Tumgik
pimmelharald-blog · 6 years
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In meinem Rucksack liegt Bud Spencers Buch „Ich esse also bin ich“. Bud Spencer ist ein Mann, zu dem ich immer aufgeschaut habe. Ein Mann, der zahlreiche Sprachen spricht, in unterschiedlichsten Berufen erfolgreich war und trotz umfassenden Intellekts für sich entschieden hat, dass die einfache Lösung oft die Richtige ist. So bekämpfte er Schlaflosigkeit lieber mit einem großen Teller Spaghetti Bolognese als mit einem Gang zum Psychoanalytiker. 2016 starb Bud Spencer (eigentlich Carlo Pedersoli). Als ich es erfuhr ging mir ein Schaudern durch den Magen. In meiner Kindheit hatte ich viele Stunden mit meinem Großvater zugebracht, in denen wir im Röhrenfernseher Bud Spencer und Terrence Hill dabei zusahen, wie sie unter Zuhilfenahme billigster Toneffekte Bösewichte vermöbelten. Diese Erinnerung - mein Großvater und ich nebeneinander auf dem Sofa sitzend und meine Großmutter daneben unter der Lampe strickend - erscheint mir so klar und gemütlich wie sonst nur wenig aus meiner Kindheit.
Vergangenen Sonntag ist nun auch mein Großvater gestorben. Meine Mutter rief mich an, fragte, ob ich zu Hause sei und erzählte mir, dass Opa gestorben sei. „Oha, das ja doof!“ - waren meine ersten Worte. Anscheinend musste er plötzlich im Flur plötzlich kotzen, brach zusammen und war tot, noch bevor er auf den Boden aufschlug.
Ich nahm die Nachricht seines Todes recht gut auf. Das er nicht mehr singend und tanzend 100 Jahre alt werden würde, war mir klar. Also bevorzugte ich es, dass er jetzt einfach so aus dem nichts starb und nicht erst vorher jahrelang pflegebedürftig vor sich hin siechte. Außerdem war mein Großvater eh kein aktiver Teil meines Lebens mehr. Ich habe meine Freunde und mein Leben in Berlin, mein Großvater das seine in der norddeutschen Provinz. Zwar sah ich ihn zu diversen Festlichkeiten, doch die Anstrengung, die ich aufbringen musste, um Geschichten aus meinem Leben großelternkompatibel zu erzählen, überwog gegenüber dem Gefühl familiärer Geborgenheit.
Zwar hatte ich neben Bud Spencer-Filmen noch viele andere sehr schöne Erinnerungen an meinen Großvater -dazu zählten lange Spaziergänge im Wald, von ihm für mich gebaute Spielhäuschen und die Aufzucht von Kaninchen als Spielgefährten für mich- doch auch diese lagen alle schon lange zurück. Seit mein Großvater einen Schlaganfall hatte, nannte er mich meist „Karl-Heinz“ und war körperlich nur noch eigeschränkt handlungsfähig. Es verletzte seinen Stolz, dass er nicht mehr in der Lage war, Auto zu fahren. Ich fühlte mich stark und froh in dieser Haltung und hoffte, sie mir nicht von meiner vermutlich stärker trauernden Familie nehmen zu lassen. Als ich am nächsten Tag in Richtung Heimat fuhr, war ich außergewöhnlich fröhlich. Erst als ich mich dem Haus meiner Großeltern näherte, begann ein mulmiges Gefühl in mir aufzusteigen. Ich war zufrieden mit dem Tod und wollte mir diese Zufriedenheit nicht vom Rest meiner Familie nehmen lassen. Ich überstand die Konfrontation, schlief gut und fest und startete auch in den nächsten Tag voll guter Dinge. Doch in einzelnen Situationen verursachte die Abwesenheit meines Großvaters ein seltsames Gefühl bei mir. So kam ich ins Wohnzimmer und wollte mich grüßend nach rechts drehen, erwartend dort auf dem Sofa meinen Großvater zu erblicken. Auch das Mittagessen fühlte sich ungewohnt an ohne die schmatzenden und grummelnden Laute meines Großvaters. Am Nachmittag streifte ich etwas durchs Haus, das mein Großvater als Zimmermann übrigens zum großen Teil selber gebaut hatte. Ich sah mich etwas im Keller um. In einem Raum gibt es eine Theke -ich erinnerte mich an laute, betrunkene Neujahrsfeierlichkeiten mit dem halben Dorf, die hier ausgerichtet wurden. Außerdem sah ich im Heizungskeller zahlreiche Blumentöpfe, mit denen meine Großmutter früher das ganze Haus bepflanzte. Ich sah Knieschoner, die sie nutzte um ihre Beete von Erbsen, Karotten und Erdbeeren zu pflegen. Ich sah den von meinem Großvater selbst gebauten Werkzeugverschlag, das Kartoffellager und die Stufe an der Treppe, die er eigenhändig abgeschliffen hatte, um sich den Kopf nicht zu stoßen. Im Kontrast zu diesen Erinnerungen von Leben und Kreation steht der jetzige Zustand des Kellers. Tote Kellerasseln liegen in der Regalen, Kartons mit ungenutztem Zeug stehen in der Ecke und Spinnweben wachsen aus den Ecken, als wollten sie den ganzen Keller in grauer Tristesse ersticken.
Ich flüchtete aus dem Keller und suchte im Garten nach Leben. Vergebens. Hier habe ich mich mal beim Spielen in einen Ameisenhaufen gesetzt, da waren früher die Gemüsebeete, dort der Kaninchenstall und am oberen Ende des tadellosen Rasens eine Bank, auf der meine Großeltern oft saßen und Saft oder Wein tranken. Und jetzt? Ein Rasen, der kein Geheimnis daraus machte, dass seine Eigentümer schon halb gestorben sind, leere Fläche ohne Gemüsebeete oder spielende Kaninchen, eine kahle Stelle dort wo einst ein Springbrunnen plätscherte. Die Erinnerung an all dieses Leben, das nun nicht mehr ist, macht mich fertig. Vorbei die unbeschwerten Stunden auf der Schaukel, vorbei die gezuckerten Erdbeeren aus dem eigenen Garten, vorbei das sonnige Lachen auf der Terrasse, vorbei meine Kindheit, vorbei das Leben meines Großvaters. Das Sterben dieses Ortes begann allerdings schon viel früher… Zum Abschied umarme ich meine Großmutter. Von außen betrachtet sieht es wie eine ganz normale Umarmung aus, doch kann ich mich an keine Umarmung erinnern, die mir je so viel bedeutete. Zum ersten Mal in meinem Erwachsenenleben war die Umarmung meiner Großmutter nicht nur ein purer Anstandsakt. Den Tod meines Großvaters habe ich gut weggesteckt, aber was ist mit dem Leben meiner Großmutter? Die Frau, die in ihrer Kindheit unter Maschinengewehrdonnern mit der Kutsche aus Ostpreußen geflohen ist. Die Frau, die in Dänemark zwei Jahre im Kriegsgefangenenlager ausharrte? Die Frau, die glücklich war, in Dänischburg bei Villeroy&Boch eine sichere Arbeitsstelle am Fließband gefunden zu haben? Die Frau, die ihren Gehirntumor besiegt hat und ihrem Enkel immer die beste Oma war, die man sich wünschen konnte? Aktive Leute können den Tod eines Partners wegstecken - doch Lebensinhalt und Tagesgeschäft meiner Großmutter bestanden in den letzten Jahren fast ausschließlich aus meinem Großvater. Was nun, da dieser nich mehr ist? 
Der Tod alter Leute ist ein langwieriger, schleichender Prozess, kein Ereignis. Sollte sie die letzten Jahre ihres Lebens alleine und einsam vor sich hinsterben? „Ich weiß, Du bist alleine, ich wäre gerne für Dich da“, denke ich mir, löse die Umarmung und verabschiede mich bis zur Beerdigung. Durchs Fenster winke ich ihr noch einmal zu, versuche mit meinem Lächeln Kraft und Stärke zu vermitteln und beginne dann zu weinen.
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pimmelharald-blog · 7 years
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Man muss ja gut informiert sein bei der Wohnungssuche
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