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#Michael Schottenberg
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Chaos. Leben. Überleben
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Im Anflug auf Neapel
Neapel – Das pure Leben
Anlässlich des 100. Geburtstages des US-Schauspielers Marlon Brando am 3. April 2024, der als „Don Vito Corleone“ in Francis Ford Coppolas, dreifach mit dem Oscar ausgezeichneten Meisterwerk „The Godfather“ (Der Pate) eine seiner Lebensrollen verkörperte, möchte ich von einer lebendigsten Hauptstädte Europas berichten, die alles andere, nur keine Hauptstadt ist – obwohl, so sicher bin ich mir da gar nicht. Denn in Sachen Lebensfreude, Herzlichkeit und Genuss läuft sie der etwas mehr als zweihundert Kilometer entfernt gelegenen ewigen Stadt Rom zweifellos den Rang ab. Neapel ist Italien, und Italien ist Neapel. 
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Piazza Pignasecca
Ohne Chaos, kein Leben. Seit Jahrhunderten bringen Philosophen die beiden Begriffe in Kongruenz, vielleicht auch nur, um die Unzulänglichkeit menschlichen Strebens in ein beschönigendes Licht zu setzen. Die Begriffsverwandtschaft freilich ist in dieser Stadt mehr als offensichtlich, und kaum dass der Reisende seine ersten, zaghaften Schritte in jene vor Lust und Leidenschaft überbordende Stadt setzt, die seit je her als Synonym südländischer Lebensfreude gilt, ist und bleibt man von ihr gefangen. Und wenn erst die abendlich-goldenen Sonnenstrahlen den Lungomare vor dem Castell Uovo in ein brodelndes, vibrierendes Ganzes verwandeln - längstens dann gleicht er einem, über die schroffen Abhänge des nahegelegenen Vesuvs sich ergießenden Magmastrom. Dann kocht das Temperament des Neapolitaners hoch und eine Urgewalt an Sinnlichkeit erfasst die Stadt zwischen Via Toledo, Via Chiaia und der Spaccanapoli, die wie pulsierende Lebenslinien die Straßen der Innenstadt durchschneiden.
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In den Gassen
Dazwischen jede Menge Gassen und Gässchen, Piazzas und Piazettas, auf denen Kinder spielen, Großmütter vor den Häusern hocken, Vespa-Fahrer hupen, Fußballfans Schlachtengesänge grölen, und Verkehrspolizisten mit ihren Trillerpfeifen den Verkehr zu regeln versuchen. Dann verwandeln sich Gehsteige in Schanigärten, die Kellner hasten pizzabeladen von drinnen nach draußen, von Tisch zu Tisch, Millionen von Jugendlichen nagen einander auf Parkbänken und in Hauseingängen ihre pubertären Gesichter ab, während die Touristen endlose Schlangen vor den Eisdielen bilden, alte Männer säckeweise Muscheln, Gamberetti und anderes Meeresgetier von den Fisch-Ständen nach Hause schleppen, indes die Mamas Wäscheleinen quer über die Gassen ziehen und die Väter die Losstände plündern, um sich ihren Wettverlust gleich darauf in der nächsten Bar schön zu saufen.
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Il Cornicello
Napoli for ever! Wer das Leben trinken, dem Tod ein Schnippchen und das Glück lauthals begrüßen will, muss in genau diese Stadt reisen. Und wenn auch nur für ein paar Tage. Die aber, versprochen, haben es in sich! 
Castel Sant‘ Elmo - Von hier aus hat man den besten Überblick über Meer, Vesuv und die unendliche Stadt. Wer’s bequem machen will, der fährt mit der „Funiculare“, der Zahnradbahn, bergaufwärts, hinunter geht es dann über gefühlt tausende Stufen zurück ins Getümmel des Häusermeeres.
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Castel Sant' Elmo
Über die Via Toledo zum Piazza Dante und zur Piazza Pignasecca – Die überfüllte quirlige Straße führt zu zwei der hübschesten Hotspots urbanen Lebens: Lokale, Shops und jede Menge Märkte.
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Capella San Severo
Capella San Severo - Wer ein einzigartiges Kunstwerk innerhalb einer betörend schönen Museums-Kapelle erleben will, der muss hier hin: In der Mitte des Raumes ist das Kunstwerk Giuseppe Sanmartinos „Der verhüllte Jesus“ aufgebaut. Staunen und Wundern!
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Der verhüllte Jesus von Giuseppe Sanmartinos
Via San Gregorio Armeno - Wer Wahnsinn pur erleben will, dem sei das schmale Gässchen anempfohlen: Hier findet man den personifizierten Weihnachtsrausch: Figuren, Puppen, Krippen - chinesisches Fließband und neapolitanisch Handgemachtes. Die satirischen Krippenfiguren huldigen Politikern, Promis, Päpsten und Fußballstars aus aller Welt. 
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Weihnachten im Sommer und dazu Promis, Promis, Promis als Krippeninventar ...
Monastero di Santa Chiara - Eine Insel der Ruhe ist der zauberhafte Kreuzgang des Klosters Santa Chiara. Ein Farbenmeer strahlender Majolika-Kunst, ein gepflegter, südländischer Garten, und zwischendurch huschen Mönche über die Wege: Neapel bietet auch Muße und Ruhe.
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Monasterio die Santa Chiara, Majolika und Mönchleins und die Muße der Stadt
Galleria Umberto I - Gleich gegenüber dem ältesten und glänzendsten Theater Italiens, dem „Teatro San Carlo“, befindet sich die mondäne und wohl spektakulärste Shopping-Mall Neapels, die „Galleria Umberto I“. 
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Galleria Umberto I
Castell dell‘ Ovo - Vor dem Lungomare, der prächtigen Flaniermeile Neapels, erhebt sich eine sagenumwobene Tuffstein-Burg, ein wahrer Eye-Catcher, besonders in der blauen Stunde der orangeroten Abendsonnenstrahlen. Das Gebäude sieht aus wie ein Film-Set: Unwirklich, monströs, absichtsvoll. Das Kastell wurde ursprünglich als Überbau einer Kirche errichtet, die auf den Überresten einer Villa des Lukull thronte. Am Verrücktesten aber ist, was sich tief unterhalb befand: Das Ei des Vergil! Es lag in einer Karaffe, die tief im Verlies der Burg in einem kleinen Käfig von der Decke baumelte. Solange das Ei ganz blieb, so die Legende, blieb auch die Stadt unversehrt. Die Neapolitaner glaubten daran, bis heute -  warum auch nicht wir, die hunderttausend Touristen, die abends über den Ufer-Highway spazieren und ihr ‚unversehrtes‘ Leben genießen.
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Castel dell'Ovo
Il Duomo - Auch im prächtigen Dom zu Neapel tut sich Wunderbares: Dreimal pro Jahr wird das Blut des verehrungswürdigen Märtyrers und Stadtheiligen, das in einer silbernen Ampulle im Safe der Kirche lagert, hervorgeholt und zum Hochaltar von „San Gennaro“ getragen. Der Kardinal hält jenes wundertätige Behältnis hoch und vor den staunenden Augen der Gläubigen verflüssigt sich das gestockte Blut des Heiligen. Wenn das geschieht, hat die Stadt nichts zu befürchten. Das Gegenteil könnte verheerend sein: Ein Ausbruch des Vesuvs, ein Krieg, ein Erdbeben. Also geht ein befreiendes Raunen durch die Stadt und die Neapolitaner sind beruhigt - bis zum nächsten Stichtag.
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Il Duomo
Dass das „Blutwunder von St. Gennaro“ längst wissenschaftlich er- und geklärt ist, tut der Gutgläubigkeit des Volkes keinen Abbruch. Hier will man an Wunder erfüllt sehen, ob Eier, Blut oder die kleine, geschwungene Paprikaschote „Cornicello“, die gegen den „bösen Blick“ schützt – im Angesicht des Vesuvs, des ewig drohenden Symbols von Verderben und Untergangs, braucht man Übernatürliches. Und wenn es nichts nützt, schaden tut es gewiss nicht…  
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Das Blutwunder
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dasendevomgeld · 3 years
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Stephan Bruckmeier (Regisseur)
Am 4. Juli 2021 fuhr ich von Eichgraben bei Wien nach Zinnowitz an die Ostsee. Obwohl ich 25 Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet hatte und mit meiner kenianischen Theatergruppe in vielen Bundesländern unterwegs war, gehörte Mecklenburg-Vorpommern zu den beiden Bundesländern, in denen ich noch nie beruflich tätig war. Der künstlerische Leiter der Schauspielakademie Vorpommern, Oliver Trautwein, hatte mich eingeladen, mit den Studierenden die Abschlussproduktion zu erarbeiten, sie würden damit ihr Studium abschließen und die Produktion dann eine Saison lang an den verschiedenen Spielorten der Landesbühne aufführen. Oliver und ich hatten von 1985 bis 1989 in Wien mehrmals zusammen gearbeitet. Zuerst am international Theatre und bei Michael Schottenberg im Zelt, er als Schauspielstudent und ich als Regieassistent und danach dann er als Schauspieler und ich als Regisseur. Wir hatten damals eine sehr gute Zeit, Theater war wichtig, angesehen und zukunftsfähig. Wien pulsierte, viele namhafte Theaterleute aus allen Bereichen arbeiteten damals sowohl an großen Häusern als auch an Mittelbühnen und in der Freien Szene. Die Kraft, die Theater damals hatte, verbindet uns noch heute. Am 5. Juli begrüßte ich nun in der wunderschön angelegten Akademie neun junge Menschen, die ihren Beruf in einer anderen, wesentlich schwierigeren Zeit ausüben wollen. Schon das Studium war durch die Corona-Ereignisse deutlich beeinträchtigt und was man in diesen Monaten der Theaterschließungen und Corona-Diskussionen hören und lesen konnte, ließ wenig Hoffnung zu, dass sich die Situation deutlich verbessern würde. Und so begann ich meine Konzeptionsbesprechung mit dem Satz: „Es ist für mich eine große Verantwortung, Euch mit dieser Arbeit in die berufliche Zukunft zu führen und das erklärte Ziel, dass Ihr so erfolgreich und motiviert aus dieser Produktion gehen könnt, dass die gemeinsame Zeit eine positive und produktive Basis ist, die Euch möglichst lange tragen kann, denn einfach wird es nicht für Euch.“ Ich hatte mir aus den vorgeschlagenen Stücken „Das Ende vom Geld“ von Urs Widmer ausgesucht, ein Stück, das ausgehend von der Wirtschaftskrise 2008/09 die Entwicklung unserer politischen Struktur der letzten 20 Jahre beschreibt und eigentlich genau die Probleme thematisiert, mit denen vor allem die jungen Menschen zu kämpfen haben: eine vollkommen von der Gesellschaft und dem durchschnittlichen Menschen des immerhin reichsten Kontinents der Welt abgehobene und entkoppelte Regierungs- und Managementebene. Originell war, dass unsere gemeinsame Probenarbeit genau in die Zeit des Wahlkampfs für die neue deutsche Bundesregierung fiel und wir immer wieder von der Realität eingeholt, beziehungsweise bestätigt wurden: unser Sekundärmaterial waren dementsprechend vor allem Zeitungsartikel und gegenwärtig handelnde Personen. Mein Konzept war, dass die Figuren während des Stücks, in dem sie in Davos eingeschneit sind, kontinuierlich altern sollten, um zwei Dinge zu erreichen: zum einen die Form der Parabel, das sich nämlich nichts ändern und die Erfahrungen sofort wieder verloren sind, wenn die Menschen in ihre Realität zurückkehren und zum anderen, dass die jungen Kolleginnen und Kollegen möglichst viele Spielvarianten erarbeiten und umsetzen können. Die Entwicklung ging von jungen Karrieristen zu alten, vollkommen zerstörten Kreaturen, von konkreten Menschen, die nichts anderes kennen und wollen als Erfolg zu Karikaturen ihrer selbst. Die Tragödie des Stücks stellt sich nach allen Phasen der menschlichen Verzweiflung und Not am besten dadurch dar, dass am Schluss, nachdem alles vorbei ist, der Satz: „Bis zum nächsten Mal“ mehrfach und selbstverständlich formuliert wird: Erkenntnis aus dem Erlebten: null. Theaterarbeit, Schauspielformen und direkte Wirklichkeit verschmolzen also in den 8 gemeinsamen Wochen miteinander und die jungen Kolleginnen und Kollegen konnten sich mit dieser Produktion auch über ihre eigene Lebensrealität äußern, also fast eine Art Manifest. Wenn man sich heute ansieht, mit welcher Trumpschen Hartnäckigkeit sich Armin Laschet nach einem satten Wahlverlust an die Macht klammert zeigt, dass wir mit der Produktion traurigerweise vollkommen up to date sind. Nachdem wir die erste Woche vor allem über Figuren, die politische Situation, Management und Vorbilder gesprochen haben, begannen wir in der zweiten Woche, am Körper und an den körperlichen Veränderungen zu arbeiten. Mit der kongenialen Kostümbildnerin Gesine Ullmann wurden die Körper und Gesichter schrittweise verändert und deformiert und ich war überrascht, als wir uns nach der bejubelten Premiere in den Armen lagen, wie jung und nett die Leute eigentlich aussahen, so sehr hatte ich mich an die Fratzen gewöhnt. Über die Erlebnisse bei der Probenarbeit möchte ich erstmal mein großartiges Ensemble zu Wort kommen lassen, 3 Erlebnisse aber seien vorweggenommen: selten hatte ich eine so herausfordernde Produktion ohne nennenswerte internen Probleme erarbeiten dürfen, in der sich die Kolleginnen und Kollegen eine imposante Schlägerei selbst choreographierten und sich auf alle Deformationen ihres Körpers einließen. Weitere zwei Improvisationen über mehrere Stunden und ein Probentag mit Durchlaufprobe ohne Essen für 12 Stunden um herauszufinden, wie sich der Kreislauf verändert und wo das Hungergefühl bei jedem einzelnen entsteht. Und die Tatsache, dass ich am Tag nach der Premiere von Oliver aus beruflichen Gründen sehr früh zum Bahnhof gebracht werden musste und dort vom Ensemble und meinem wunderbaren Assistenten überrascht wurde. In der gemeinsamen Arbeitszeit haben wir natürlich auch viel über die beruflichen Möglichkeiten gesprochen und über die Aufgaben der Selbstvermarktung. Da alle in diesem Ensemble verschiedene Fähigkeiten besaßen, Instrumente spielen, Tanzen, Computer- und Filmtechniken, Website-Gestaltung etc. entstand die Idee, diese Saison, in der unsere Produktion nun läuft, eine gemeinsame Dokumentation zu entwickeln. Auch diese Arbeit in gemeinsamer Verantwortung. Das Intro für diese Doku haben Sie hiermit gelesen. Sie werden in weiterer Folge die Kolleginnen und Kollegen einzeln kennen lernen, die Wege, die wir gegangen sind aus unterschiedlicher Betrachtung erleben und sich an Fotos und anderen Images erfreuen können… Ich wünsche uns allen weiterhin viel Freude und Erfolg mit dem Stück „Das Ende vom Geld“ und Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, viel Vergnügen mit der nun entstehenden Doku. Stephan ____ Der nächste Blogartikel erscheint am 1. November.
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schottisreisetagebuch · 9 months
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Knopfkönig
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So begann es ...
Perlmutt Manufaktur, Felling 37, 2092 Felling
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Hardegg, die kleinste Stadt Österreichs
Unweit von Hardegg, der kleinsten aller nur denkbaren Städte, rollere ich hügelauf, hügelab, vorbei an Feldern und Wäldern in die, hinter sieben Hügeln verborgene Katastralgemeinde Felling. Für Reisende birgt ein Ritt, vorbei an Steckrüben, Erdäpfelkeimlingen und Kukuruzstengeln so manch Entdeckenswertes. Im Niemandsland des östlichen Wald- und westlichen Weinviertels und versteckt sich ein Handwerksbetrieb, der seinesgleichen sucht - einfach weil es Ähnliches europaweit kaum noch gibt. Die Familie Mattejka verarbeitet ein ebenso seltenes, wie kapriziöses Rohmaterial: Die Innenfläche von Molluskenschalen, im speziellen Fall jene von Perlmuscheln, Kreiselschnecken, Turban- oder Rundmundschnecken, sowie Seeohren. Wie kommt das, fragt der Neugierige und der Connaisseur schürzt die Lippe, denn die Antwort ist simpel: Wie wir wissen, besteht der fleischige Körper dieser Weichtiere, die mit ihren über hundertdreißigtausend verschiedenen Arten die zweitgrößte zoologische Tiergruppe darstellt, aus vier Abschnitten: Kopf, breiter Fuß, Eingeweidesack und Atemhöhle, jener Raum der zwischen der weichen, drüsenreichen Körperoberfläche und dem als Schutz dienenden Außenpanzer liegt. Dieser „Schutzmantel“ besteht aus Calciumcarbonat, die Innenseite ziert ein irisierendes Verbundmaterial, dessen Form und Farbe sich nach Spezies und geographischer Herkunft der Trägerin richtet und das seit über hundert Jahren den Lebensmittelpunkt der Familie Mattejka darstellt: Perlmutt. 
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Ritterburg Hardegg
Der Herr über jährlich eineinhalb Millionen eigenhändig fabrizierter Perlmutthemdknöpfe repräsentiert die fünfte Generation des Hauses. Der Mann steht in der Türe. Der Zeitpunkt meines Besuches ist gut gewählt: Gerade eben gibt‘s Betriebsferien, die Maschinen stehen still und die Manufaktur liegt im Dornröschenschlaf. 
In letzter Zeit wurde hier viel renoviert. Über den Außenbereich mit Besucher-Lounge und Kinderspielplatz wacht der größte Knopf der Weinviertels, falsch, der Welt. „Wo sieht man das sonst noch?“ Die Frage ist rhetorisch gemeint, dennoch sieht mich der Chef des Hauses verwundert an, ich antworte mir vorsichtshalber selbst:  „Nirgends.“ Jetzt erst reicht er mir die Hand, lacht und bittet mich ins Allerheiligste. Aufnahmeprüfung bestanden. 
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Thaya bei Hardegg
„Wir sind die Überlebenden einer langen Reihe von gleichartigen Betrieben“, sagt Herr Mattejka, “Vierhundert Menschen haben hier früher vom Knopfmachen gelebt. Heute sind wir die letzten.“ Ich sehe mich in der formidablen Schmuckboutique um. „Alles selbst gefertigt…“, sagt der Herr Chef „Den Schmuck macht in der Hauptsache meine Frau. Wir sind ein Familienbetrieb.“ 
Ich blicke mich um. Die Vitrinen sind vollgepackt mit Colliers und Clips, Broschen und Buttons. „Hier machen wir unsere Besucher glücklich. Dort drüben bereiten wir sie darauf vor.“ Er deutet hinüber zum Kinosaal, in dem man zu Beginn einer Betriebsführung alles über den edlen Rohstoff Perlmutt und dessen Verarbeitung erfährt. Die nebenan liegende Werkhalle dient sowohl als Ausstellung (eine zweihundertfünfzig Kilo schwere „Mördermuschel“ aus fernen Tiefseegewässern ist hier ebenso zu bewundern wie historische Stanzmaschinen und High-Tech-Maschinen), wie auch als Produktionsstätte. Hier kann man den Manufakteuren bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen. Die Perlmuttwelt lebt. 
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Ausgangsmaterial
„Woher kommt das Material?“, frage ich und Herr Mattejka blickt mir tief in die Augen - ich scheine die Gretchenfrage gestellt zu haben. „Damals oder heute?“ „Ich sage: “Macht das einen Unterschied?“ Die Riesenmuschel öffnet ihr gewelltes Maul und droht mich zu verschlingen. Ich sitze in der Wissensfalle. Darauf scheint mein Perlmuttbeauftragter nur gewartet zu haben. „Als mein Urururgroßvater die Firma gegründet hat, waren die Thaya und die March bis zum Rand voll mit Süßwassermuscheln. Die Kinder haben sie gebrockt, und die Erwachsenen in die Fabriken geschleppt. Bis zu acht Tonnen Material pro Jahr wurde aus dem klaren Wasser gefischt. An der Innenseite der Schalen: pures Perlmutt! Hardegg boomte. In jeder Beziehung. Besonders in der heißen Jahreszeit boten Flüsse und Bäche des heutigen Nationalparks Thayatal Erholung „comme il faut“. Sommerfrischler reisten an, und die Hotels und Strandbäder platzten aus allen Nähten. Die Landlust der Städter wurde hier mehr als nur befriedigt. Siebenundzwanzigtausend Übernachtungen pro Saison sprechen eine deutliche Sprache. 
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Maschinen, einst wie früher
Wir haben inzwischen in der Küche Platz genommen, Herr Mattejka serviert heißen Kaffee. „Heute sind die Gewässer leer.“ „Leer gefischt?“, frage ich. Er schüttelt den Kopf: „Jenseits der Grenze, in Vranov, im heutigen Tschechien, haben sie in den 1930ern ein Kraftwerk gebaut, nebst Stausee. Die Folge war, dass sich das Wasser in der Thaya verändert hat, es wurde kalt und immer kälter. Das vertrieb erstmal die Muscheln, später die Urlauber. Wer will schon im Eiswasser schwimmen? Beide kamen nie mehr wieder. Bis heute nicht.“ „Wo finden sie die Muscheln heute?“, frage ich. „In Indonesien, Australien und Neuseeland.“ „Teuer“, sage ich. „Teuer“, sagt er, „… aber was sollen wir machen? Die Mollusken brauchen mindestens dreizehn Jahre bis die Schalendicke stimmt. Wir stanzen ja mit zwei Millimeter, im Unterschied zu den Chinesen, die machen’s nur halb so dick. Folge: Die Knöpfe brechen leichter. Unsere Qualität ist unsere Chance.“ „Und wie kommen die Muscheln hierher?“, frage ich. „Gar nicht. Es kommen nur die Schalen. Das ist von der Artenschutzbehörde so festgelegt. Die Rohlinge sind bereits vorbereitet für den letzten Arbeitsgang, den Schliff der Rondelle und deren Durchbohrung.“ 
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In der Manufaktur
Heutzutage regiert der Plastikknopf. Was aber eine Manufaktur wie jene aus Felling ausmacht, ist Nachhaltigkeit und Qualität. Das spricht sich herum, und es macht sich bezahlt. Die Knöpfe werden weltweit exportiert. Herr Mattejka ist mitten im Thema. „Als ich drei Jahre alt war, ist meine Familie nach Wien übersiedelt, nach dem Bundesheer bin ich zurückgekommen. Mein Berufswunsch war Uhrmacher und während der Opa immer noch das Perlmutt von der Schale schnitt, um es zu verarbeiten, habe ich mich in der Uhren- und Schmuckbranche umgetan. Letztlich aber bin ich doch wieder beim Standbein gelandet. Der Knopf ist der Kopf, der Schmuck die Seele.“ 
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Knopfwelt
A propos. Perlmutt ist definitiv mehr als bloß ein schöner Rohstoff. Glaubt man Esoterikern, besitzt er heilende Wirkung auf Körper und Seele. Auf der Haut getragen löst er Konflikte, stärkt Selbstwertgefühl, verleiht Leichtigkeit und Gelassenheit, wirkt „anti-stressuell“ und - Perlmutt regeneriert Mundflora und Zahnfleisch, stützt den Knochenbau, kümmert sich um Verschleißerscheinungen, wie  Muskelverhärtungen, Rheuma oder Kiefergelenksentzündungen, er hilft beim Abtransport von Stoffwechselrückständen, lindert Kreuzschmerzen, wirkt sich positiv für Bandscheiben und Knorpel aus und bekämpft Ödeme in Beinen und Füßen. Wer bitte kann das von sich behaupten?
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Der Schmuck der Seele
Und nachdem ich eigentlich schon nicht mehr weiß, wie ich ohne das schillernde Wunderding bisher (über-) leben konnte, kommen wir zum Wesentlichen. Fotos liegen auf dem Tisch, worauf Grandioses zu sehen ist: Möbelintarsien, Armaturen, gefertigt für Yachten und Jets, dazu Schatullen, Orden, Münzen und Medaillons, ziseliert, geprägt und gefertigt aus - woraus schon - Perlmutt! Niemand anders als er selbst, Meister Mattejka hat dies alles in seiner Manufaktur geschaffen und das, liebe Freunde, das geht weit über das Stanzen und Aufbohren von Hemdknöpfen hinaus und ich wähne mich zurückversetzt um Jahrtausende, an den Hof des Ming-Kaisers und  Himmelssohnes Hong Wu, der mir die wertvollsten Stücke seiner Schatztruhe vorlegt, Schmuck und Zierrat, das kein Menschenauge je zu Gesicht bekam. Und ehe ich mich versehe, präsentiert mir der Knopfweltmeister auch noch eine fingernagelgroße Medaille, auf der zwei Kraniche unter Bäumen einen „Tanz im Mondlicht“ vollführen, eine Arbeit, die so aufregend schön ist, dass ich mich kaum getraue, sie zu betrachten. Ich geniere mich nicht zu sagen, dass mich die außergewöhnliche Fähigkeit meines Gastgebers tief berührt. 
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Perlmutterunterwasserwelt
Schönheit und Können gegenüber hat man sich als würdig zu erweisen. Ich war es zu Beginn meines Besuches nicht und in der Rückschau kann ich nur sagen, dass meine Anwesenheit im Perlmuttreich meine Hochachtung für die Vollkommenheit alten Handwerks einmal mehr bestätigt hat.
Draußen besteige ich den Roller. Der Perlmuttkünstler winkt. „Danke“, rufe ich. Ich weiß nicht, wie ich meinen Respekt anders ausdrücken soll und bevor ich Ungelenkes sage, beschränke ich mich aufs Wesentliche. Ich verabschiede mich und ziehe weiter, immer auf der Suche nach dem Ungewöhnlichen. 
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Muschelkunst
Heute, unweit von Hardegg, der kleinsten aller nur denkbaren Städte, hinter sieben Hügeln, verborgen zwischen Steckrüben, Erdäpfelkeimlingen und Kukuruzstengeln, im Niemandsland des östlichen Wald- und westlichen Weinviertels durfte ich es entdecken.                            
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schottisreisetagebuch · 5 months
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Der andere Raum
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Der andere Raum
Der Trauerredner Carl Achleitner, Maurer Friedhof, Friedensstraße 16, 1230 Wien
Also fahre ich hinaus nach Mauer, wo man im Sommer gerne ein Gläschen trinkt oder zwei und inmitten der hochgezogenen Weinreben der Buschenschenken hockt - dort wo die gute Laune zu Hause ist und das schnelle Vergessen. Heute aber, heute habe ich anderes vor. Friedensstraße heißt mein Ziel. Was für eine trostspendende Adresse für ein ummauertes Stück Land, in dem die Verstorbenen aus dem Süden Wiens ihre letzte Ruhe finden. Der Sechziger fährt von der Kennedy-Brücke geradewegs zum Totenort. Die vielbefahrene Brücke trug schon so manchen Namen, ihren aktuellen erhielt sie zum Angedenken an jenen jungen, charismatischen Präsidenten Amerikas, die Lichtgestalt der frühen Neunzehnsechziger Jahre, der in Wien die sowjetische ‚Kanonenkugel‘ Nikita Chruschtschow zu entschärfen versuchte. Im ‚Kalten Krieg‘ war das heiße Kuba zum Epizentrum des Gefahrenherdes geworden.
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Der Trauerredner
Am Samstag, den 23. November 1963, zwanzig Stunden nachdem in Dallas drei Schüsse fielen, hielt mein Vater an einem kalten Wintermorgen vor der Stadtbahnstation Schönbrunn, nicht weit entfernt von der damals noch ‚Hietzinger Brücke‘ benannten Wienfluss-Traverse. Der Bub sprang aus dem Wagen und griff nach der Zeitung, die an diesem Tag als Sonderausgabe verteilt wurde. Der Express titelte ‚Funkbildbericht – Kennedy ermordet!‘ Die Nachrichtenkanäle krochen damals noch im Schneckentempo dahin. 
Die Straßenbahn schaukelt mich in Richtung Rodaun. Heute ist es ähnlich kalt wie damals, als der Elfjährige mit der Zeitung in der Hand zu seinen entsetzten Eltern ins Auto hüpfte, während der Vater aufs Gas stieg und die Mutter mit leiser Stimme die Neuigkeiten vorlas, die die Welt in Richtung Abgrund führten. 
An der Friedensstraße verlasse ich die Bim und schlendere an jener Mauer entlang, die das Reich der Toten von dem der Lebenden trennt. Raben schnarren ihr ewig gleiches Lied und aus den umliegenden Baumwipfeln klingen die Antworten ihrer Artgenossen wie düstere Rufe aus dem Jenseits. Die Äste sind heute gut besetzt, als hätten sie über Nacht dunkle Schwingen bekommen. Ich durchstreife einen Gang in der ‚Sechsten Abteilung‘. Ein Hilfsarbeiter ist gerade damit beschäftigt einen Haufen Lehm neben einem offenen Grab abzusichern. Er legt die Schaufel zur Seite, zündet sich eine Zigarette an und starrt hinunter in die akkurat ausgehobene Grube. 
„Wie tief?“, frage ich. „Geht so“, sagt er. Früher hat er das mit der Hand geschaufelt, heute macht die Arbeit ein Bagger. Der Mann scheint meine Gedanken zu erraten. „A klana.“ Er deutet missmutig auf das Fahrzeug, das mich mit seinen amphibienartigen Auslegern an einen Wasserläufer erinnert. „Wieviel?“, frage ich und blicke ins Grab hinunter. „Vier. Und a paar Urnen.“ Hier ist Platz für eine ganze Familie. Ich schieße ein paar Fotos von der Totengräbermaschine und wende mich dann wieder der Grube zu. „Anverwandter?“, fragt er. „Nein“, sage ich. Die Antwort schmeckt ihm nicht. Orte wie diesen besucht man nicht ohne Grund. Ich möge mich gefälligst ‚schleichen‘ und anderswo meine Fragen stellen, meint er unwirsch und wuchtet ein paar Querbalken neben das Grab, das Absenkgestell braucht Halt. Ich ‚schleiche‘ mich also, um meine Fragen anderswo zu stellen. Weiter vorne bleibe ich stehen und blicke zurück. Er fuchtelt mit der Schaufel. „Verschwind‘!“, ruft er. Und das tue ich jetzt auch. 
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Der letzte Weg
Vor der Aufbahrungshalle hält ein Wagen. Blank polierte Schuhe setzen auf dem Kiesweg auf, in ihnen steckt ein ernst drein blickender Mann, der Star unter den Trauerrednern der Stadt. Die Autotür klackt sanft ins Schloss, lässig kommt der ‚fesche Zapfen‘, wie man hierzulande sagt, näher. Sein Gesicht erinnert an einen Filmstar. Carl Achleitner ist tatsächlich ausgebildeter Schauspieler, seit neuestem hat er auch mit der Schriftstellerei begonnen. Für seinen Erstling hat der Mann, der vornehmlich mit dem Tod beschäftigt ist, einen überraschend lebendigen Titel gewählt: ‚Das Geheimnis eines guten Lebens‘. Ich habe mir das Buch im Vorfeld besorgt, der Text hat mir Einblick in eine Welt gewährt, die mir fremd war, die, der professionellen Trauer. „Weshalb sollte der Tod nicht auch eine heitere Seite haben?“, sagt Herr Achleitner und sieht mich stirnrunzelnd an. 
Es ist neun Uhr morgens und wir sitzen in einem kleinen, notdürftig geheizten Raum neben der ‚Aufbahrung‘, indes sich die Trauergemeinde drüben nach und nach versammelt. „Von der Bühne zum Sarg, das verdanke ich meiner Frau.“ Der Satz könnte aus einem der coolen 007-Drehbücher stammen. „Wir hatten uns bei den ‚Letzten Tagen der Menschheit‘ kennengelernt.“ Er senkt seine Stimme und ich denke, er könnte wunderbar Daniel Craig synchronisieren oder umgekehrt. Auch der junge Roger Moore wäre seine Stimmbandweite. Carl, wir sind bereits per Du, kaut die Worte bedächtig, er ist es gewohnt vor Publikum zu stehen. Über zweieinhalbtausend Trauerreden hat er schon gehalten, flüstert er mir zu und das bedeutet, dass er in seinen neun Dienstjahren täglich zumindest eineinhalbmal gesprochen hat. Beeindruckend. So viel Text können die Herren James-Bond-Darsteller in dieser Zeit nie und nimmer gesprochen haben. „Hochzeitsreden waren auch dabei?“, frage ich. „Nein. Zu traurig“, sagt er und blickt mich an, als wäre er der Clown Grock. Oder ist es doch Pierce Brosnans Nespresso-Gesicht? Ich lächle für den Fall, dass es scherzhaft gemeint war, und dann erzählt er, weshalb er macht, was er macht. „Ich möchte den Hinterbliebenen eine möglichst angenehme Erinnerung an ihren großen Tag schenken.“ Klingt leichter als es ist, denke ich. „Die Verstorbenen verlassen uns ja nicht, sie befinden sich nur einem anderen Raum. Mit Sicherheit aber sind sie um uns herum. Und das bleiben sie auch. Für immer.“ 
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Der Maurer Friedhof
Die Stimmen draußen werden lauter. „Sind Sie nervös?“, frage ich. „Das bin ich immer“, sagt er, „Ich habe ja keinen festgelegten Text wie die Kollegen vor der Kamera. Ich schreibe ja jede Zeile selbst, also trage ich auch die Verantwortung. Versprecher sind verboten und die Namen müssen stimmen. Für kurze Zeit bilde ich mit den Hinterbliebenen eine Übereinkunft: Ich spreche das aus, wozu sie auf Grund ihres Schmerzes nicht in der Lage sind. Für die Momente der Trauer gehöre ich zur Familie. Ich vermittle zwischen ihnen und dem Verstorbenen. In der Regel bereitet sich der Sterbende ja auf seine Reise vor und erlebt den Abschied als Erlösung. Für ihn ist Trauer keine Kategorie. Im Gegensatz zu seiner Familie. Also versuche ich Leichtigkeit in die schwere Stunde seines Abschiedes zu bringen.“ „Ist es ein Abschied?“, frage ich. „Der Tod meint es gut mit dem Neuankömmling, vermutlich empfindet er ihn als eine Art Erlösung“, sagt er und erhebt sich. Ich frage, ob er gläubig ist. „Nein“, sagt er, „das einzige woran ich glaube, ist das Gute im Menschen. Wenn ich erreiche, dass die Trauernden nach der Verabschiedung mit erhobenem Kopf ins Leben hinaustreten, habe ich es richtig gemacht. Wie oft sagten mir Freunde, ich möchte meinen Job möglichst lustig gestalten, wenn es bei ihnen soweit ist. Daran denke ich, ohne es auf die leichte Schulter zu nehmen.“ Welche Verabschiedung er sich selbst wünscht? „Und tschüss!“, sagt er und blickt auf die Uhr. Bevor Herr Achleitner den Raum verlässt, wirft er noch einen Blick in den kleinen Wandspiegel, atmet tief ein, zwinkert sich selbst zu und sagt kaum hörbar: „Und tschüss.“ 
Drüben ist der Saal ‚bereit‘. Die kleine Trauergemeinde sitzt auf ein paar wenigen Stühlen und blickt scheu auf den, mit Kerzen umstellten Sarg. Verabschiedungen fühlen sich kühl an. Niemand weiß wohin mit sich, die Nähe des Todes macht befangen. Manche der Trauernden halten einander an den Händen. Der Trauerredner nickt dem ‚Herrichter‘ zu, so wird der Zeremonienmeister des Todes genannt, und der drückt auf einen Knopf. Musik. An den Sarg sind zwei Kränze gelehnt. Auf einer der beiden Schleifen steht: ‚Unvergessen und beweint. Gattin‘. Schlichter kann man‘s nicht ausdrücken. 
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Carl Achleitner, der Filmstar
Auftritt Sir Carl. Er schreitet den Mittelgang entlang, verneigt sich vor dem Toten, dann wendet er sich den Lebenden zu. Die Pause vor dem ersten Wort ist so entscheidend, wie jener Moment, da sich im Theater der Vorhang hebt. Sein Blick ruht auf den Hinterbliebenen und, man glaubt es kaum, er lächelt. Dann spricht er über den Verstorbenen, über seine Vorlieben, die Stärken, die Schwächen und es klingt, als wäre er seit langem mit ihm bekannt gewesen. Ein Freund, der keineswegs verstorben ist, einer, der mithört, mitlächelt. Die Angehörigen nicken mit den Köpfen. Die Gattin weint. Auch ich bin ergriffen. Herr Achleitner hat mit aller Selbstverständlichkeit, mit allem Respekt ausgesprochen, was alle denken. Der Verstorbene ist in einen anderen Raum gegangen. So simpel. So wahr. Andrea Bocelli singt ‚Time to say Goodby‘. 
Der Trauerredner mit dem Filmschauspielergesicht blickt die Hinterbliebenen an, sie blicken ihn an, er blickt zu mir, nach hinten in die letzte Reihe und - er lächelt. Oder bilde ich mir das nur ein? Dann verlässt er die Aufbahrungshalle. Jetzt weiß ich, woran mich sein Gang erinnert: An jene Filmszene, in der Sean Connery über das Rollfeld schreitet, direkt auf die Maschine mit der Aufschrift ‚United States‘ zu, die Gangway hinauf schlenzt, um gleich darauf in einen weißen Lederstuhl zu sinken.  Triebwerke heulen auf, James Bond lächelt in die Kamera. Hinter ihm steht - Goldfinger. Jetzt erst löse ich mich von meinem Platz und blicke nach draußen. Die Limo rollt auf das große Tor zu und biegt in die Friedensstraße ein. 
Reihe sechs. Ein letztes Mal einmal gehe ich am offenen Grab vorbei. Noch ist es leer, der Raum nebenan aber ist schon bezogen. Der Totengräber steht da und hält seine Schaufel in der Hand wie ein Paddel, als wäre er der Fährmann, der den Reisenden über den Fluss Styx ins Reich der Unterwelt übersetzt hätte. Feindselig blickt er mich an. Ich sage: „Ich gehe jetzt.“ „Wiederschau‘n“, brummt er mit heiserer Stimme. Aus seinem Mund hört es sich an wie eine Drohung. 
Es ist bitterkalt. Die Krähen rufen ihr Lied von Baum zu Baum. Eine Glocke weist den Trauernden den Weg zum Grab. Schlussklappe. Drehschluss.  
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schottisreisetagebuch · 3 months
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Von der Entdeckung der Welt
Zum heutigen 700. Todestag von Marco Polo – Vierundzwanzig Jahre dauerte die Weltreise Marco Polos, über die Seidenstraße bis nach China, und wieder zurück nach Venedig.
Meine Reisen dauern nur ein paar Wochen lang. Und doch kommen sie mir wie kleine Ewigkeiten vor. Waren die Karawanen der ersten Orient-Fahrer bepackt mit Tausch- und Handelswaren, trage ich nicht mehr als einen Rucksack am Rücken, eine Kamera in der Hand und eine große Portion Courage im Herzen.
Ballast – Über das wenige Wichtige
Michael Schottenberg ist Schauspieler, Regisseur und Reiseschriftsteller
Ballast abzuwerfen und nur mit dem Nötigsten zu reisen, ist befreiend. Das Abenteuer, auch das der Beschränkung, kann beginnen. Die wichtigsten Requisiten meiner Reisen sind Block und Bleistift. Mit ihnen halte ich meine Beutezüge fest: Die Begegnungen mit Menschen und ihrer Kultur.
Ein Gutteil der Faszination des Reisens ist der Tatsache geschuldet, dass ich alleine unterwegs bin. Die Anstrengung, dass kein Tag dem anderen gleicht, erhöht das risikoreiche Spiel. Es ist spannend, sich einer Welt zu stellen, mit nichts anderem im Gepäck, als sich selbst. So erobere ich Neuland, mit all seinen Sinnen. Und kamen die tapferen Asien-Reisenden um Signore Polo beladen mit Gold, Teppichen, Seide und Porzellan zurück, trage ich meine Erlebnisse im Herzen.
Vielleicht bin ich ja auch nur deshalb ein Leben lang unterwegs, um jenen jungen Kerl wiederzufinden, der ich einmal war – oder den, der ich immer sein wollte. Getroffen habe ich beide. Ein ums andere Mal.
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Schotti backstage - Reisen will wohl vorbereitet sein
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Abflug
Hier das Video vom Studio 2
Vom Packen und Planen einer Reise
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Koffer und Tagesrucksack
Eine Reise ins Unbekannte, kreuz und quer durch rätselhafte, phantastische, neue Welten, will wohl vorbereitet sein. Wie gerne lasse ich die Beschwernis des Alltags hinter mir und blicke nach vorne, zu Unbekanntem. Genau hier beginnt für mich das Abenteuer. Nur mit dem Nötigsten aufzubrechen, kann befreiend sein. 
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Das Wichtigste ...
Vierundzwanzig Jahre dauerte die Weltreise Marco Polos, über die Seidenstraße bis nach China, und wieder zurück nach Venedig. Meine Reisen dauern nur ein paar Wochen lang. Und doch kommen sie mir wie kleine Ewigkeiten vor. Waren die Karawanen der ersten Orient-Fahrer bepackt mit Tausch- und Handelswaren, trage ich nicht mehr als einen Rucksack am Rücken, eine Kamera in der Hand und eine große Portion Courage im Herzen. 
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Kleider sind nicht wichtig
Ballast abzuwerfen und nur mit dem Nötigsten zu reisen, ist beglückend. Das Abenteuer, auch das der Beschränkung, kann beginnen. Handy, Kreditkarte, Pass, ID, Impfpass, ein paar Medikamente, Zahnbürste, feste Paar Schuhe, vielleicht eine zweite Hose, ein T-Shirt und – das Ticket für den Rückflug. Die wichtigsten Requisiten meiner Reisen aber sind Block und Bleistift. Mit ihnen halte ich meine Beutezüge fest: Die Begegnungen mit Menschen und ihrer Kultur.
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Das Gepäck ist immer dabei
Alles, was ich mit mir trage, muss in einem handlichen Rucksack Platz finden. Am besten, er hat Rollen, so kann ich ihn auf endlosen Straßen großer Städte bequem hinter mir herziehen – dazu noch einen Tagesrucksack für den täglichen Gebrauch. Handgepäck mit sich zu führen hat auch den Vorteil, dass ich es auf den langen Transkontinentalflügen in den Passagierraum mitnehmen kann, um es im Gepäckfach oberhalb meines Platzes zu verstauen. So muss ich mich am Zielort nach dem Verlassen des Flugzeugs nicht an den Kofferrollbändern anstellen und kann das Flughafengebäude meist als erster verlassen.
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Ich setze auf Inhalte
Es hat aber auch noch einen anderen Vorteil: Ich gehe sicher, dass auch mein Gepäck „sicher“ reist. Auf den großen Umsteigflughäfen dieser Welt wird meist eingechecktes Gepäck von einer Maschine in die andere umgeladen. Kein Mensch kann sagen, was zu diesem Zeitpunkt mit dem Koffer passiert. Wie leicht könnte bei dieser Gelegenheit Gefahren- oder Schmuggelgut in eines der Fächer gepackt werden. Am Zielflughafen dann könnte es so manch böse Überraschung geben. Wie beweist man, nicht selbst z. B. ein kleines Säckchen mit weißem Pulver im Gepäck verstaut zu haben. Auf Drogenschmuggel stehen in den meisten asiatischen Destinationen drakonische Strafen – tragische Beispiele gibt es genug.
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Ein Reisebuch entsteht
Ein Gutteil der Faszination des Reisens ist der Tatsache geschuldet, dass ich alleine unterwegs bin. So bin ich mir und dem Zufall meiner Begegnungen konfrontiert. Spontanes, Zufälliges, Unerwartetes ist genau das, was ich suche. Es macht meine Reiseberichte spontaner und farbiger. Die Anstrengung, dass kein Tag dem anderen gleicht, erhöht das risikoreiche „Spiel“. Es ist spannend sich einer Welt zu stellen, mit nichts anderem im Gepäck, als sich selbst. So erobert man Neuland und erlebt es mit all seinen Sinnen.
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Man ist und bleibt doch Einzelkämpfer
Auf Reisen beginne ich meist den Dialog mit mir selbst. Schreiben als Überlebenskunst. Ich schreibe, also bin ich. Der Erfolg des Wanderers beginnt damit, sich ein Ziel zu setzen. 
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schottisreisetagebuch · 4 months
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Von Kirchen, Klöstern, Kathedralen
Bulgarien zum Niederknien
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Alexander Nevski Kathedrale
Das Kloster Rila
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Das Rila Kloster
Inmitten von Braunbären, Blaubeeren, Raubvögeln und Wölfen, im wirtlichen Wald in der Gegend um Rila, heutzutage zwei Autostunden von Sofia entfernt, vor tausend Jahren abseits der Welt, lebte einst der Eremit und Mönch Ivan Rilski. Bewundert und befeindet von den Menschen umliegender Gehöfte, fristete er ein karges Leben, das hauptsächlich aus Gesprächen mit Gott bestand, später aus dem Heilen Kranker.
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Die Magie der christlichen Kirchenkunst
Bald schon sprach sich die Kunde seiner heilsbringenden Konsultationen herum. Kranke wurden gesund, Siechende fanden zum Leben zurück. Aus anfänglicher Ablehnung wurde Bewunderung, Anbetung. Auch Majestäten fanden den Weg in den Wald. Das heilsbringende Mönchlein wurde landesweit bekannt. Legenden sprechen sich schnell herum und werden zur Wahrheit – so man dran glaubt. Und das taten die Bewohner rund um Rila. Die Kunde sprach sich kreuz und quer im Karpatenlande herum. I, Laufe der Jahrhunderte geriet die Klause zum geistlichen, kulturellen Zentrum des bulgarischen Balkans.
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In anderen Welten
Weder die Osmanen, noch die Griechen, schon gar nicht die Nationalsozialisten oder Kommunisten konnten das im Wald versteckte Kloster dem Erdboden gleichmachen, obwohl sie allesamt nicht unbeträchtliches Interesse daran hatten. Das Corpus delicti übertauchte Brand und Brandschatzung. Nicht mal die Kreuzfahrer der Neuzeit, die Touristenmassen, können dem prachtvollen Kulturschatz an den Kragen. Allerdings – die Besatzung des geschichtsträchtigen Klosters, einstmals rund vierhundert Pax, schrumpfte im Laufe der Zeit dramatisch. Heute leben nur mehr sieben Aufrechte hinter den immer noch frommen Mauern. Sogar das Umfunktionieren der Mönchszellen zu preisbrecherischem Airbnb-Angebot schmälert die christlich-orthodoxe Bedeutung der Klosteranlage nicht. Wer frei von weltlicher Begehrlichkeit ist, der werfe den ersten Stein. Auf jenen Frommen freilich wartet man hier schon seit langem vergebens.
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Der prächtige Säulengang
Kirche der Sieben Heiligen
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Kirche der sieben Heiligen
Eine ganz andere Geschichte erzählt das Gotteshaus der Sieben Heiligen, nahe dem Slaveykov-Platzes, Ecke Graf-Ignatiev-/Ecke Ivan-Shishman-Straße. Die schöne Kirche ist zwei Männern geweiht, deren Wiege in Thessaloniki stand und die ihr Leben der christlichen Missionierung slawischer Völker weihten, im neunten Jahrhundert kein leichtes Unterfangen. Die beiden Brüder Konstantin und Michael machten Karriere: Sie wurden zu verehrungswürdigen „Slawenaposteln“ und Heiligen – und entwickelten ganz nebenbei die glagolitische Sprache und die kyrillische Schrift. Man hat ihnen ein würdiges Angedenken gewidmet. Das Denkmal der beiden Pioniere in Sachen Christentum und Buchstaben, Kyrill und Method, hat einen würdigen Platz. Es steht vor der imposanten Nationalbibliothek. So wachen die Beiden für alle Zeiten über Millionen von Büchern. So soll es sein.
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Kyrill und Method
Basilika Sveta Sophia
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Basilika Sveta Sophia
Vor dem roten Backsteinbau einer der ältesten Kirchen Osteuropas, steht ein erstaunliches Monument. So ehrwürdig alt das Gotteshaus auch ist, es datiert bis in frühchristliche Zeit zurück, so jung ist das Standbild von Zar Samuil, seines Zeichens einer der letzten Könige des 1. bulgarischen Reiches – wurde es doch erst im Jahre 2014, hier, auf geweihter Erde errichtet. Der unerschrockene Krieger Samuil bestritt unzählige Gefechte gegen das damals übermächtige Byzanz, die Metropole Ostroms. Vierzig lange Jahre währte die kriegerische Auseinandersetzung um Macht und Einfluss. Der tapfere Zar gewann und verlor. Die entscheidende Schlacht fand im Südwesten Bulgariens, an der Grenze zu Griechenland statt. Fünfzehntausend seiner Krieger wurden gefangen genommen und ihres Augenlichtes beraubt. Als Geblendete kehrten sie zu ihrem geschlagenen König zurück. Beim Anblick der Blinden soll Samuil einen Schlaganfall erlitten haben, an dessen Folge er starb. 
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Die Augen des Zar Samuil
Der Künstler, der seine Statue schuf, hat dem bronzenen Zar ein Augenpaar verpasst, das in der Dunkelheit leuchtet. Manche Sofioter empfinden dies als Kitsch, andere als Kunst. Gewiss ist eines: Hätte Samuil zu Lebzeiten einen solch scharfsichtigen Durchblick gehabt wie sein erkaltetes Ebenbild, seinen Soldaten wäre einiges erspart geblieben.
Der lächelnde Christus
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Der lächelnde Christus
Am Hügel der Schönen, Reichen und Korrupten, im Stadtteil Boyana am Fuße des Vitosha Gebirges steht ein äußerlich unscheinbares Gotteshaus, das es, im wahrsten Sinne des Wortes, in sich hat. Die vielfach erweiterte Kirchebeherbergt die wohl schönsten Fresken, die ich jemals zu Gesicht bekam. Inmitten eines exotischen Gartens steht die Trouvaille. Das Außergewöhnliche ist, dass die hier dargestellten Herrscher und Heiligen keineswegs idealisiert, sondern naturgetreu dargestellt sind. Selbst Jesus Christus trägt die Züge eines anmutigen Teenagers. Ich hätte nicht gedacht, dass ich Gottes Sohn je so ansichtig werde. Seine Gestalt ist schlank, in der Linken hält er eine Schriftrolle, die Rechte greift sich ans Herz, der etwas weltfremde Blick ist fragend, zweifelnd – beinahe lächelnd. Allein des Ausdruckes auf dem Antlitz des Allergnädigsten wegen hat sich der Ausflug gelohnt.
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Boyana Kirche
Im Angesicht dessen vergesse ich jegliche frömmelnde Überlieferung, jedes gutgemeinte, allzu konservative Dogma. Hier ist ein Mensch abgebildet, wohl ahnend, welches Los ihm beschieden ist. Natürlich herrscht in dem winzigen Innenraum strengstes Foto-Verbot, das raunt mir mein (hier unerlässlicher) Guide ins Ohr. Ich nicke. Er fragt, ob er sonst noch etwas für mich tun könne. Ich nicke abermals, positioniere ihn mit beiden Händen so, dass sein massiger Körper die neugierigen Blicke des Kustos verdeckt, sodass ich blindwütig alles abfotografiere, dass mir gerade vor die Linse kommt. Einmaliges darf sich nicht der Begehr meiner Leserschaft entziehen, schon gar nicht der Anblick seiner Heiligkeit, Gott aller Christen, Juden und Protestanten, der Herr allen Lebens. Dann packe ich meine Siebensachen zusammen, verabschiede mich freundlich vom Museumswärter, puffe meinem Führer freundschaftlich in die Hüfte und verlasse schlechten Gewissens den heiligen Ort. Draußen im Garten überprüfe ich das Ergebnis meiner Raubkunst. Was ich sehe, treibt mir die Tränen der Rührung in die Augen. Ein etwa 17-Jähriger blickt mich an: fragend, zweifelnd – beinahe lächelnd.
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Die bemalte Kirche
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schottisreisetagebuch · 2 months
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Und jetzt, da ich Euch mit Lanzarote vielleicht "Gusto" auf die Kanarischen Inseln gemacht habe, versuche ich Euch mit Julian Kutos kanarische Bananen Kroketten - sozusagen als kulinarisches Argument - das Stückchen Spanien vor der afrikanischen Küste näher zu bringen.
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schottisreisetagebuch · 2 months
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Lanzarote 
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Lanzerote, Arrecife, -Eglesia San Ginés
Das Wunder des Lichts
César Manrique, der Inselarchitekt
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César Manrique, der Inselarchitekt
Ohne ihn läuft hier nichts. Sogar die Kunstwerke, die von Jesús Soto, Paco Curbelo oder José Saramago stammen, sind von César Manrique. In welcher seiner vielen Sprachen er sich auch ausdrückte, Malerei, Architektur, Bildhauerei, Poesie, Gartengestaltung oder Stadtplanung, der Wille, seine Heimat zu einer grandiosen Neuschöpfung aus Kunst und Natur zu formen, bestimmte das Leben des Inselarchitekten. Die „totale Kunst“ bestimmte seinen Anspruch, (äußere) Schönheit mit (innerer) Ruhe in Einklang zu bringen. Dass dabei sein Hang zu Society und Jetset nicht auf der Strecke blieb, lässt sich aus jedem seiner grandiosen Land-Art-Werke herauslesen. Wer war der Wunderknabe, und wie baute er Macht, Kunst und Einfluss auf? Der Devisenbringer ist aus Lanzarote ebenso wenig wegzudenken, wie Lava und Licht. Der vielseitig Begabte machte sich beides zu nutze. Ob in den abstrakten Gemälden, den omnipräsenten, farbenfrohen Skulpturen, die sich mit oder gegen den Wind drehen, und die Straßen ebenso prägen wie die aufsehenerregenden architektonischen Entwürfe – seine Arbeiten verherrlichen die Schönheit der Insel, ihre schroffe Aristokratie und ihre von Feuer und Vulkangestein geprägte Landschaft.
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Fondacion Manrique
César Manrique war Visionär, Diktator und Lebenskünstler, er war Andy Warhol, Fidel Castro und Gunther Sachs in einer Person. Ob Gärten, Museen, Villen, Restaurants, Aussichtswarten, Windspiele oder Landschaftsskulpturen, Manrique hat die Insel geprägt. Wer hat seinen Landsleuten schon den Farbton ihrer Häuser vorgeschrieben. Die Farben Weiß und das spezielle „Manrique-Grün“ gehören zum gesamtheitlichen Konzept. Und die Bewohner, sie ließen sich’s gefallen. Kaum ein Land wurde so nachhaltig von einem Künstler entworfen und geformt, wie Lanzarote, und – der Geniestreich ist gelungen. Es gibt wohl niemanden, der dem widerspricht. Da verwundert es auch nicht, dass sogar der Flughafen den Namen „César Manrique“ trägt. Kaum, dass der glitzernde Ferienvogel den Boden der Insel berührt, werden die Passagiere darauf hingewiesen, in wessen Hand sie sich befinden. Und wenn wir schon beim „Verkehr“ sind: Auf den Straßen fahren Autos, deren Lackierung eines der knallbunten Gemälde aus des Meisters Werkstatt zeigt… 
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Arrecife, Autor im Bild
Der Insel-Genius hat mehr erreicht, als je ein Künstler vor ihm. Blickt man auf die wild zerklüftete Küste bei El Golfo oder auf die pittoreske Mischung zwischen dem omnipräsenten schwarzen Lavagestein und dem teilweise aufgeschütteten weißen Sand der Strände – vermutet man sogar hier die Handschrift Manriques. Auch in Sachen Ökologie, Stadtarchitektur und Umweltpolitik stößt man auf seine Einflussnahme. Werbetafeln in- oder ausländischer Konzerne sucht man auf der Insel vergeblich - was einem gar nicht sofort auffällt – genau wie das gänzliche Fehlen von Touristen-Hochburgen oder anderen nicht mehr wieder gut zu machenden Bausünden. Der weitgreifende Kunstanspruch des Ausnahmekünstlers prägt Lanzarote ebenso wie die gewaltigen Vulkankegel. 
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Wundert es, dass sich der umtriebige Herr Architekt nicht nur Freunde gemacht hat? Seine Künstlerkollegen wurden von der Übermacht des Maestros erdrückt, und auch die  Immobiliensachverständigen formierten sich mit der Zeit gegen Manrique, stand der doch bei beinahe jedem zweitem Bauprojekt auf der Bremse – und die Inselregierung folgte ihm. Keinesfalls wollte er zulassen, dass seine geliebte Insel am Altar des Massentourismus geopfert wird. Die ästhetische und ökonomische Integrität Lanzarotes ging ihm über alles. Die mächtigen Geister die er dabei zu Hilfe rief, wurde er bald schon nicht mehr los und je kostbarer die Insel wurde, desto mehr boomte sie auf den internationalen Ferienbörsen. Je exklusiver, desto begehrter. Immer mehr Menschen wollten teilhaben an den Gossip-Geschichten der bunten Illustrierten über das Insel-Lotterleben des Meisters. Die Anzahl der Übernachtungen explodierte, sanfter Tourismus hin oder her. 
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Teguise, Plaza de la Constitución
Der Unfalltod Manriques am 25. September 1992 erschütterte die Insel nachhaltig, von den internationalen Klatschspalten ganz zu schweigen. Sogar das Ende war an Theatralik nicht zu überbieten: Mit seinem Jaguar raste der Inselkaiser auf eine Kreuzung zu, unmittelbar darauf wurde er von einem schweren Geländewagen „abgeschossen“. Schenkt man der Insel-Fama Glauben, schlug die Bau-Mafia zu. Sogar sein Tod bewirkte Erstaunliches: Seither gibt es auf Lanzarote keine Überlandkreuzungen mehr, sie wurden in Kreisverkehre umgewandelt, in deren Mitte zumeist große Mobiles aus des Märtyrers Hand stehen, die sich in die verschiedensten Windrichtungen drehen und wenden. Symbolträchtiger wurde wohl noch keinem Künstler gedacht.
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Villa LagOmar
Die Sehenswürdigkeiten der Insel-Mitte:
César Manrique Fondacion – Das erste Wohnhaus Manriques ist als Museum begehbar. Wer wissen will, was Geschmack bedeutet, muss dorthin.
Arrecive – Hafen und Hauptstadt. Weit mehr als nur Meer-Promenade, Castillo San Gabriel, Islote de Femina und Castillo de San José (inkl. Kunstmuseum)
Teguise – Zauberhafte, ehemalige Inselhauptstadt mit prächtigem Hauptplatz vor der „Iglesia de Nuestra Señora de Guadalupe“, in der eine Christusfigur mit Langhaarperücke schwebt und eine Büste des spanischen Literatur-Nobelpreisträgers steht („Durch seine Gedanken kann der Mensch die Wahrheit entdecken, die verborgen in der Welt umgeht“)
San Bartolomé – Besuchenswerte Stadt in der geografischen Mitte Lanzarotes. Vor dem Rathaus und der Pfarrkirche fühlt man sich um Jahrhunderte zurückversetzt.
Tao – hier und rundum in den Nachbarorten finden die populären Ringkämpfe der Giganten, den „Luchadores“ statt, z.B. in der Arena „Lucha Canaria“ statt. Keinesfalls versäumen!
Villa LagOmar in Nazaret - „Dr. Schiwago“ Omar Sharif kaufte die Traumvilla und verspielte sie noch am selben Abend beim Bridge. Nicht nachahmens- aber empfehlenswert.
El Jable, alttestamentarisch anmutende Sandwüste beim Örtchen Soo.
Die Wunderwelt der spektakulären Gesteinsformationen „Las Grietas“ in den Montana Blanco ist Lanzarotes Antwort auf den „Grand Canyon“ Arizonas.
Surf-Süchtige müssen zum Wind- und Wellenparadies „Caleta de Famara“.
Der „Playa de Matagorda“ ist die Touri-Einflugschneise: Düsenjets zum Anfassen!
El Jable, die Sandwüste – Las Grietas – Stratified City – Caleta de Famara:
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schottisreisetagebuch · 6 months
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Von Grachten und Bitterballen 
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Grachten, Grachten, Grachten
Die Wasserstadt Amsterdam
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Radeln am Wasser
Wasseradern versehen das brettlflache Land mit einem Muster an Rillen und Furchen und erinnern damit an Arbeiten des Künstlers Graham Fink, dessen Bilder mit  Bleistiftstrichen vollgekritzelt sind, als wollte er das rätselhafte Geflecht nachzeichnen, das Vogelschwärme in die Luft malen.
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Tulpen in Amsterdam
Entschleunigung ist angesagt: Der Zauber von Deichen und Dünen, das engmaschige Muster an Radwegen die üppige Tulpenfelder säumen, und die seit Jahrhunderten um die eigene Achse rotierenden Flügeln der übers Land verstreuten Windmühlen strahlen eine überirdische Ruhe aus, als wollte sich die Erde der Kraft des Windes überlassen, die sie, gleich einem fliegenden Teppich, in den Himmel emporhebt. „Niederlande“ heißt das Land voll von landschaftlicher Schönheit, Beschaulichkeit und exzentrischem Anspruch.
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Rembrandt auf der Rembradtplein
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Der Meister im in seinem Museum ... Auch so hat er gemalt ...
Putzige Städtchen, stylische Architektur: Ob in Amsterdam, Den Haag, Rotterdam oder Haarlem - der Fremde kommt aus dem Staunen nicht heraus. Welchem der Puzzlesteine schenkt er Aufmerksamkeit? Die Niederländer sind ebenso wagemutig-konservativ, wie traditionsreich-innovativ. So überschaubar klein ihr Land ist, so konkurrenzlos groß ist es an Abwechslung. Lassen wir uns ein auf die kunterbunte Stadt an der Amstel, auf ihre unzähligen Grachten und Kanäle, auf die windschiefen Häuser und die zahlreichen Hinterhöfe in den Wohnvierteln, auf die bunten Vögel in den Parks und die viel versprechenden Schaufenster des chinesischen Viertels. Vieles, vieles gibt es hier zu entdecken! 
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Der Königspalast
Wovon der Neuankömmling als erstes überrascht wird, ist die geschäftige Entschlossenheit der Hauptstädter - alle scheinen sie zur gleichen Zeit unterwegs zu sein. Ein Schritt aus dem Hotel und schon befindet man sich im Epizentrum von Eile. Radfahrer, Jogger und Scooter. DHL-Boten, Taxis und Kehrwägen. Hunderttausende von Fußgänger. Und erst die gefahrvoll lautlosen Straßenbahnen! Amsterdam ist ein größenwahnsinniges Vielfaches aus Glanz und Glamour, Kirmes und Kirtag, Time Square, Trubel und Trara. Schlendert man durch die Gassen, taucht man ein in eine Wolke aus Hasch und Hanf, wird mitgerissen von Kiddies und Bro‘s, Urban People und Brokern - garniert mit Touris, City Walkers und Privat Guides. 
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Grachtenrundfahrt
Übertroffen wird der ganz normale Wahnsinn nur noch vom alljährlich wiederkehrenden „Koningsdag“, an dem das Volk den Geburtstag des amtierenden niederländischen Königs feiert. Eskalation pur! Die Stadt wird überschwemmt von einer Welle aus Pomp und Party. Am „Kings Day“ verfärbt sich der Planet in Orange und der Einzelne löst sich auf in einem unüberschaubar großen Ganzen. Am nächsten Tag ist Amsterdam auf Reset gestellt und der Countdown beginnt erneut: In dreihundertfünfundsechzig Tagen ist es wieder soweit, die Vorbereitungen dazu aber beginnen schon heute…
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Unterwegs in Amsterdam
Einmal quer durch Amsterdam
„9 Straatjes“ – Neun Straßen rund um die Prinsengracht, Keizersgracht, Herengracht etc. Das Planquadrat bildet den berühmten Wassergürtel Amsterdams. Ein Stadtviertel der besonderen Art: Shops, Bars und Coffeeshops!
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Chinatown
In China Town regiert Glutamat und rotes Licht. Rund um die Uhr isst man Entenzunge und Hühnerfüße, während sich nebenan, in den Schaufenstern, mandeläugige Schönheiten zur Degoustation anbieten.
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Anne Frank Haus an der Prinsengracht
Das schmalste Haus der Stadt liegt in der Oude Hoogstraat. Es misst knapp über zwei Meter Breite und fünf Meter Tiefe. Die schlanke Taille ist dem Umstand geschuldet: Je abgemagerter die Häuser, desto schlanker die Grundsteuer. Weshalb die Fassaden zumeist eine Hühnerbrust haben?  Beim Übersiedeln werden sowohl Omi und Opa per Flaschenzug hochgehoben – wie auch die übrigen Möbel. 
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Das Opernhaus
Und wenn wir schon dabei sind, windschief und mit krummen Rücken versehen sind hier alle Gebäude. Kein Wunder, die Stadt steht auf Pfählen, und die sind bis zu zwanzig Meter tief in den sandigen Boden gerammt. Die Häuser „tanzen“ - auch wenn man nichts getrunken hat…
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Der Tuschinksi Kinopalast
Amsterdam ist wirklich anders: Der „Sinterklaas“ (Hl. Nikolaus) kommt bereits am 3. Sonntag im November, und am „Pakjesavond“ (Päckchenabend), am 5. Dezember, öffnen die Kinder ihre Weihnachtsgeschenke - Im 17. Jhdt. wurden Tulpenzwiebel an der Börse gehandelt wie Gold. Ihr Preis stieg in den Himmel, am Höhepunkt der Hausse, war eine Zwiebel so viel wert wie ein Haus. Danach brach der Wert ein - Wirtschaftskrise à la Holland - Einst wurden die Grachten angelegt, um den Warentransport zu erleichtern. Heute besitzt die Stadt mehr Wasserwege als Venedig, von den Brücken ganz zu schweigen: dreimal so viele! - Wussten Sie, dass in Amsterdamer die meisten Junggesellenpartys weltweit stattfinden? Von den Hochzeiten danach allerdings schweigt die Statistik. 
Te Huur
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Zu vermieten ...
Das berühmte Rotlichtviertel ist bürgerlicher als man denkt: In unmittelbarer Nähe herrscht Alltag: Schulen, Kindergärten, Bio-Läden, Rentnerklubs. Keine Rede also von „anrüchig“. In den Schaufenstern hocken vollbusige Frauen und starren heraus auf hereinglotzende hühnerbrüstige Männer, die die Blicke nicht vom sündigen Interieur lassen wollen. Je aufreizender das Drinnen, desto verklemmter das Draußen. In unnmittelbarer Nähe lese ich auf der Fensterscheibe eines  Lustfachgeschäftes die Aufschrift „Te huur“. Handelt es sich hiebei um die professionelle Ankündigung käuflicher Liebeslust oder ist es eine schräge Kunstinstallation zum Thema Abbild weiblicher Benutzbarkeit? Das Innere des sinnentleerten Liebestempels nämlich ist gänzlich leergeräumt.
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In der Auslage
Auf holländischen Tellern
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FEBO Automatenbuffets in Amsterdam
Wenn’s denn sein muss: Um die allgegenwärtigen FEBO-Essensautomaten kommt man nicht herum. Hier „zieht“ man sich seinen heißen Snack: „Bitterballen met mosterd“ (Frittierte Fleischragoutbällchen mit Senf)
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Bitterballen und Pommes!
Den frischesten Fisch gibt‘s in der Zeedijk 129: Im „Viswinkel Zeedijk“ („Fischwinkel“), einem winzigen Geschäft mitten in China Town, hält Mijnheer Ger Palmer Krabben, Räucherfisch und den denkbar zartesten Matjes bereit. Den Fischschwanz nehmen, Kopf nach hinten und – der Biss in den Hering!
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Der Biss in den Hering
In Amsterdam isst man am besten philippinisch, indonesisch, surinamesisch, kreolisch, koreanisch oder thailändisch. Nirgendwo sonst ist die asiatische Küche so gut am Teller vertreten, wie hier.
Für Hartgesottene - ein paar Food-Tipps (ohne Gewähr): „Stamppot“ (Kartoffelstampf, Kohl, Kraut, gemixt mit Wurst und Hackfleisch), „Kibbeling“ (im Bierteig frittierter Kabeljau, dazu: Knoblauchdipp), „Friet speciaal“ (Pommes mit bis zu vierundzwanzig verschiedenen Saucen, nebst gehackten Zwiebeln), „Stroopwafel“ (Waffel mit Karamelsirup und knallbuntem Topping)
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Im Fischwinkel
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schottisreisetagebuch · 2 months
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Der Stand der Stände
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Zum scharfen René
Die Opferwurst
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Die Opferwurst
Ziemlich genau hundert Jahre ist es her, dass die fahrenden ‚Würstler‘ sesshaft wurden - genauer gesagt ‚standhaft‘. Längstens seit damals gehört der Wurststand zu Wien wie der Steffl zum Turm, der Riese zum Rad oder der G’mischte zum Satz. Nach dem ersten Weltkrieg hat man sich dazu entschlossen, Kriegsinvaliden zu neuer ökonomischer Chance zu verhelfen - Lizenzen für Trafiken und Wurstverkäufer wurden vergeben. Recht so. Der alte Herr Kaiser hat seinem Volk ein Blutbad zugemutet, nun ließ man erste zaghafte Tropfen auf noch glühend heißen Steine fallen. Während sich die Menschen daran machten, die ‚Roaring Twenties‘ gebührend abzufeiern, versank die Welt in der nächsten Katastrophe. Tschick und Würscht galten immer schon als Nahrung des kleinen Mannes und da die Depression Lust und Laster förderte, boomten Restaurants, Gaststuben und Heurigen. Und erst die Stehhütten! Für kleines Geld wurde hier jedermann satt und alleine blieb man auch nicht lange. Im Gegenteil, so manch ein Hofrat fand hier seine lustige Witwe. Die Zeiten haben sich bis heute nicht geändert, immer noch drängen Drahrer und Nachteulen, Hurenbäudln und Asphaltblüten an die Nirosta-Theken der Stadt - indes in den Wurstkesseln Kraut und Rüben schmoren, neben Frankfurtern blubbern Debreziner, Burenwürste und Waldviertler. Dazu Senf, Gurkerl, Beuschlreißer oder Oaschpfeifferl, wie hierzulande der gemeine Pfefferon genannt wird. „Scharf oder Öl?“, lautet denn auch die Gewissensfrage des Herrn Standlers und der Stadtschwärmer hat Farbe zu bekennen. Ich selbst gehöre mehr der Scharf- und Buckel-Fraktion an, so viel Privatimes sei verraten.
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Der Herr der Würste
Jede Stadt frönt ihrem Laster: Der Hamburger beißt ins Fischbrötchen, der Südosasiate in die Pho, der Berliner in die (rot-weiße) Currywurst, der Osman in den Döner, der Sirtaki in den Gyros, der Belgier in Muschel und Fritten und, hier schließt sich der Kreis, der New Yorker in den Hamburger - ganz zu schweigen von den Wienern und Frankfurtern, die sich gegenseitig auffressen. Eine südländische Variation des frankophilen Würstels ist eine lange schon eingemeindete Spezialität aus dem südlichen Europa - die zugewanderte ‚Burenhaut‘. Gemeint ist die gemeine ‚Klobasse‘, auch ‚Klobassi‘ genannt. Die gibt’s im Rohzustand zwar im Supermarkt, aber ich kenne keinen, der sie sich in den eigenen vier Wänden schmort. Nur am Stand schmeckt ‚Klobasse‘ nach ‚Burenhäudl‘. Für Etymologen: Die Sprache Wiens ist zwar blumig, aber so bunt nun auch wieder nicht, denn die Begriffe ‚Klosett‘ und ‚Häusl‘ haben nichts, aber auch gar nichts mit ähnlich Klingendem zu schaffen.  
Der gerne am ‚Stand‘ verwendete Satz: „Oida, reib uma a Eitrige mit an G‘schissenen, an Glasaug, a Krokodü und an Bugl, dazu a 16-er-Blech!‘ heißt auf Hochdeutsch: ‚Lieber Herr, reichen Sie mir ‘ne Kochwurst mit Süßsenf, Perlzwiebel, Essiggurke, ‘n Seitenteil Brot, dazu ‘ne Dose Helles!‘ Nichts trennt so sehr wie die gemeinsame Sprache. Allerdings, der Gegenbesuch jenseits des Weißwurst-Äquators würde ebenso desaströs ausfallen. Da aber der echte Wiener zur Heimattreue neigt, ist für ihn meist in Stammersdorf Endstation.
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Scharf oder Öl
Mischt man sich im Laufe des schönsten und beschwingtesten aller Wiener Bälle, dem Opernball, zwischen heimische Wurstkessel, wird einem die Globalisierung erst recht bewusst, berichtet doch der Staatssender ‚live‘ und in Konferenzschaltung von der, am Allerwertesten des Opernhauses gelegenen Wurstbude. Kreti und Pleti drängt sich vor Ort und so manches Schlauchboot, das einmal ein Mund war, verkantet sich im Zipp des Kreditkartentascherls des nebenan stehenden Baulöwen. Das gibt‘s wirklich nur in Wien: Wurstbeißen garantiert Quoten.
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Der Seitenblickewurststand
Zu berichten aber ist von einem der originellsten aller Wiener Würschtler, dem ‚Scharfen René‘. Zwar hört er im Zivilleben auf den Namen Kachlir, doch mit dem kommt man im Gewerbe nicht weit. Es braucht ‚Branding‘. Also besann sich der  Mann seiner Wurzeln – und seines Namens. Rückblende. In den Siebzigern war’s, da Kachlir Sr., der Herr Papa, nach einem ‚unverhunzbaren‘ Vornamen für den Sohn suchte. Gesagt, getan und der Kleine wurde auf René getauft. Womit der Alte nicht gerechnet hatte: Ein paar Tage nachdem der Herr Sohn aus Mamis Wurstkessel schlüpfte, lief Folge Vierzehn des damaligen TV-Straßenfegers ‚Ein echter Wiener geht nicht unter‘. Just in dieser Episode stand auch die Taufe des Nachwuchses der Familie Sackbauer an. Der Kleine erhielt den Namen René, worauf Opa Mundl beschloss, den Wurm ab nun ‚Renne‘ zu rufen. Vater Kachlir war sauer. Soviel zum Thema ‚unverhunzbar‘.
Renne landete in der Gastronomie. Er wurde Koch im Hotel ‚Zur kleinen Brust‘, dem ‚Bristol‘, später dann im ‚Zürserhof‘, bevor er als Stewart auf der MS Europa anheuerte. Vom ‚Mundl‘ bis zum ‚Traumschiff‘, ein Katzensprung. Der nächste ergab sich, als 2005 der ‚Stand der Stände‘ im Zentrum der Stadt zum Verkauf angeboten wurde. Die Geografie könnte besser passen, denn schräg gegenüber wurde fünfzig Jahre zuvor im Schloss Belvedere Geschichte geschrieben. Es fehlte nicht viel, und die Herrn Figl, Molotow, Macmillan, Dulles und Pinay ließen sich nach getaner Unterschrift eine ‚Haße‘ schmecken. Renne jedenfalls zögerte nicht lange und unterschrieb ebenfalls. Seither wächst das Imperium. Unter dem prächtigen Namen ‚Zum scharfen René‘ schreibt Hr. Kachlir jr. Stadtgeschichte. Auch die Namen seiner Kunden können sich hören lassen: Von Weck bis Schubeck, von Niavarani bis Tim Mälzer, sie alle drängten schon um den Kessel. Der Würstlhaubenkoch versteht sich eben nicht nur aufs Brühen, sondern auch aufs ‚Klappern‘, er ist ein erstklassiger Vermarkter seiner selbst. 
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Im Reich der Burenhaut
Das Erfolgsrezept scheint einfach: „Wenn die Wurst glücklich ist, ist es auch der Kunde. Unabdingbar dafür ist natürlich qualitätsvolles Brät, verfeinert mit dem Besten vom Duroc-Schwein.“ Der Name steht für großes Tennis. „Und die Hülle?“, frage ich. Herr Kachlir redet sich warm: „Die hochwertigste Wursthaut ist der Dünndarm des Schafes, der ‚Saitling‘. Knacken muss es, wenn man in die Wurst beißt. Das ist das Wesentliche.“ Noch ein Geheimnis gefällig? In der Käsekrainer des Meisters wird das Beste heimischer Fromagerie verarbeitet: Der Zillertaler Bergkäse. Und dann raunt mir der fröhliche Wurstunternehmer sein Credo ins Ohr: „Im Kessel köchelt nicht Wasser, sondern Rindssuppe, nebst der Opferwurst.“ „Opferwurst?“, frage ich Ahnungsloser. „Eine Wurst, die ausschließlich dem Gout ‚geopfert‘ wird. Soll die Wurst nach Wurst schmecken, muss das auch die Flüssigkeit tun, in der sie brüht. Logisch, nicht?“ 
Und dazu macht der Scharfe René seinem Namen alle Ehre. Denn neben der Wurst am Tatzerl liegt das Beiwerk eigener Manufaktur: Chili-Saucen, von mild bis Hölle. Die Rohstoffe kommen aus der ganzen Welt. Aus der Karibik stammt der ‚Scotch Bonnet‘, der mit seinen hundertfünfzig bis dreihunderttausend Scoville, dem internationalen Schärfe-Gradmesser, zu den weltweit heißesten Geschmäckern zählt. Im Sortiment findet sich neben dem mexikanischen ‚Habanero Red Savannah‘ (fünfhunderttausend Scoville) als Krone der konsumierbaren Schärfe die nordindische ‚Bhut-Jolokia-Schote‘ mit über einer Million Scoville. Da allerdings brennt das Besteck.
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Der Ritterschlag
Zum Abschluss unseres Gespräches zwänge ich mich selbst in die Bude und mir ist, als wäre ich in eine Ritterrüstung verschweißt: In den Kesseln wabbeln, nebst der ‚Opferwurst‘, die fetten Köstlichkeiten, vor mir, feinsäuberlich beschriftet und in Griffnähe, warten die Chili-Saucen, die Ingredienzen der Hölle, rechts von mir der Brotwecken und die Senfmaschine, hinter mir hängen hunderte Promis an der Wand, linker hand steht der ‚Gedenk-Altar‘ des Renne-Vaters (auch er ist stets mit von der Partie), und, nicht zu vergessen, lacht mich Backe an Backe das Original, der Philosoph der Würste höchstpersönlich, an. „Wie wird man, was du bist?“, frage ich ein bisschen neidvoll. Und was antwortet der scharfe Herr Philosoph darauf? „Das Leben legt dir täglich zwei goldene Blätter zu Füßen. Du brauchst sie nur aufzuheben.“ 
Es ist elf. Der Rollbalken hebt sich, davor wartet eine Schlange Hungernder. Keine Sorge, liebe Freunde, euer ‚Flamoh‘ (wienerisch für: ‚Heißhunger‘) wird auch heute gestillt werden! Und wem es doch zu lange dauert, der begebe sich zum Billa ums Eck‘. Dort nämlich gibt’s den, vom ‚Falstaff‘-Magazin zum ‚Besten Würstler Wiens‘ ausgezeichneten René seit neuestem auch zum Mitnehmen. So etwas hat vor ihm noch keiner aus der Branche geschafft. Weil Wurscht in Wien keineswegs wurscht ist.
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Schärfe aus aller Welt
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schottisreisetagebuch · 3 months
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Wie immer war mein Besuch in Willkommen Österreich mehr als amüsant, deshalb bin ich auch immer gerne bei Grissemann und Steermann zu Gast. Oben könnt Ihr "meinen Block" ansehen. Wenn Ihr die ganze Sendung sehen möchtet, dann bitte einfach hier draufklicken.
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schottisreisetagebuch · 10 months
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Das Land des Che
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Das Kapitol
Quer durch Kuba
Eine Reise über die Insel ist immer noch Abenteuer pur. Das beginnt in der Hauptstadt Havanna und seinen unüberschaubar verwirrenden Gassenlabyrinth, den Plätzen, Boulevards und Avenues. Karibisches Inseltreiben, großstädtischer Straßenverkehr und dörflicher Charakter, all das macht das (Über-) Leben hier  unvergesslich. Kolonialpaläste und baufällige Häuser, Prachtvillen, Kasinos und triste Hinterhöfe, farbenfrohe Umzüge, Bars – und immer und überall Musik. Havanna ist eine tanzende Stadt, eine ewig feiernde Geliebte, eine pralle Schönheit der Superlative.
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In den Gassen Havannas
Auch wenn die Machthaber Kubas immer Kubaner waren, standen sie doch stets unter fremdem Protektorat. Ob Estrada Palma (erster Staatspräsident) oder Fulgencio Battista, die Karibikinsel hing am Gängelband der Yankees. Auch die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts importierten Gangster Meyer Lansky, Al Capone oder Francis Albert „Frank“ Sinatra, genannt „Franky Boy“ machten sich im Selbstbedienungsladen Havannas breit – machten krumme Dinge und klauten, was nicht niet- und nagelfest war. Nachhaltig veränderte sich das Leben in Kuba erst 1959 mit Fidel Castro und Ernesto „Che“ Guevarra und ihren wagemutigen Freunden.
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Gefangen in der Vergangenheit
Die neuen politischen Führer legten dem Land einen jahrzehntelangen Konfrontationskurs zur benachbarten Supermacht USA auf und gingen auf Kuschelkurs mit dem andern Ende der Welt, der Sowjetunion. Das Wettrüsten und der damit einhergehende Machtpoker zwischen Ost und West brachten im Oktober 1962 die Welt an den Rand des Abgrundes. Die Kuba-Krise wurde zum Sinnbild des Kalten Krieges. Nach dem Zerfall der UdSSR blieb Kuba zunächst sozialistisch, entschloss sich zum Überleben und schwenkte um zu einer sehr gemäßigten Privatwirtschaft. Raoul Castro, der Bruder des ehemaligen Revolutionsführers legte schlussendlich mit Präsident Obama den historischen Konflikt der Länder bei. 
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Das Überleben in Kuba ist seither mäßig fortschrittlich und ist den Auswirkungen des überlangen Wirtschaftsembargos, der Vertrauenskrise des Volkes zu seinen politischen Führern und den vielfach enttäuschten Erwartungen geschuldet. Dem Inselstaat geht es gut und – auch nicht. Man sollte das Land bereisen und Devisen im Land lassen, die letztlich der Bevölkerung zugutekommen: Privatunterkünfte, Familienrestaurants, landeseigene Autovermietungen, Einkaufen am Markt, kurz, lokale Gewerbetreibende unterstützen. Kuba hat alles, was ein Land reich macht. Aber es wurde ausgeblutet, von Kriminellen und falsch verstandenen „Ismen“. Letztlich war der Kommunismus dem Land wirtschaftlich ebenso abträglich wie es früher der Klassenfeind, der Kapitalismus war.
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Che
Unterwegs in Havanna
El Capitolio – Offizielles Wahrzeichen Havannas, das an das Original in Washington erinnert. Diktator Machado weihte es unter amerikanischer Protektion ein. Es steht unter keinem guten Stern: Auf dem ehemaligen Sumpfgebiet wurden in alten Tagen Sklaven untergebracht!
La Habana vieja – Die Altstadt: Pittoreske Häuser, Plätze, Gassen. Südsee-Flair und Salsa Musik. Zigarren und Rum. Und: Jede Menge Bars… Man kann sich nicht satt sehen, trinken, tanzen!
El Malecon – An der überirdisch schönen Strandpromenade schlendern und die Welt eine gute sein lassen. Menschen, Trubel, Straßenmusikanten, und der wahrscheinlich spektakulärste Ausblick auf das berühmteste Abendrot der Karibik – das gibt’s hier mmer noch, und wohl lange noch. Hoffentlich!
The Partagas Cigar Factory – Die riesige Zigarrenfabrik liegt im Herzen Havannas und ist einen Besuch wert – auch für Nichtraucher!
Mit der Pferdekutsche durch das Gassengewirr entlang der Bahia de la Habana, im Chevie über die Boulevards. Die alte, karibische Dame hat mehr Leidenschaft und Sinnlichkeit zu bieten als so manch andere Weltstadt!
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Musik
Und dann geht’s hinaus, durch Außenbezirke, über breite Ausfallstraßen, quer durch tropische Urwälder, malerische Flüsse, über abenteuerliche „Autopistas“, auf denen einem so ziemlich alles entgegenkommt, was Gott je erschaffen hat: Straßenkreuzer, Radfahrer, Pferdefuhrwerke, altersschwache LKW’s, Schulbusse, und, als wäre es nicht schon genug, jede Menge Fußgänger. In Kuba ist man wahrlich nicht alleine unterwegs. Der Verkehr gleicht hier einer Lotterie – man weiß nie, was kommt. Über die Insel zu fahren ist Abenteuer pur. Das beginnt schon bei der Orientierung. Am besten, man prägt sich die Topografie des Landes und die vier Himmelsrichtungen ein. Wer will’s schon alles wissen? „Keine Details, das Stück!“, lautet ein alter Theaterspruch. Die Bühnenkünstler müssen es wissen. Eine gute Straßenkarte würde bereits an der Straßenbeschriftung scheitern – denn die gibt es nicht. Man landet in jedem Fall in der Pampa. Was soll’s, die ist hier so schön, wie nirgendwo. Die effektivste Methode ans Ziel zu kommen, heißt hierzulande „Autostopp“. Das funktioniert. Und todsicherer als man denkt. 
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Die Revolution
Am Rand jeder Überlandstraße stehen Heerscharen von Reisenden. Man hat die Qual der Wahl - meist habe ich Mütter mit Kindern als Co-Passagiere gewählt. Man hält an, fragt wohin die Reise gehen soll, und schon ist man genau dorthin unterwegs. Es spielt es schon für eine Rolle, ob man zuerst ins Valle de Viñales, dem sagenhaft schönen Tal an der Westküste Kubas reist, oder doch in Richtung Trinidad, in die entgegengesetzte Richtung. Hauptsache man landet irgendwann, irgendwo. Und Quartier zu finden ist ein Kinderspiel, ob in „Casas Particulares“ (Privatquartiere) oder in altersschwachen Provinzhotels – beides probiert, beides zu empfehlen. 
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Das Haus der Väter
Unterwegs in Kuba
Pinar del Rio – Verschlafenes Nest in der Nähe des traumhaft schönen Vinales-Tales, der Tabak-Hochburg Kubas!
Cienfuegos – Koloniales Nest am karibischen Meer. Pferdekutschen, Meeresfrüchte, verträumte Märkte und… jede Menge tropischer Regengüsse!
Trinidad – Katzenkopfpflaster, Musik, zwei Museen und der wunderschöne Dorfplatz „Plaza Mayor“. Hier träumt man sich hin und weg!
Santa Clara – Die Stadt des Che Guevarra. Hier siegte die Revolution, der Weg der Guerillas nach Havanna öffnete sich. Kuba errichtete seinem großen Helden hier ein Mausoleum. Seither steht hier eine der größten Fremdenverkehrsattraktionen des Inselstaates: Das Grab des großen Che!
Santiago de Cuba – Die Seestadt ist eine der ältesten des Landes. Hier begann in den Fünfzigern die Revolution von Che, Fidel und den Anderen!
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Im Oldtimer-Paradis
Manchmal lohnt es sich auch, männliche Passagiere einsteigen zu lassen. Weshalb? Ich bin gewiss schon unter so manch widriger Bedingungen durch ein fremdes Land gereist, nirgendwo aber hatte ich so viele Autopannen wie in Kuba. In einer Woche waren es gezählte vier (!) Platte, hervorgerufen durch eingefahrene Nägel. Warum ausgerechnet die Straßen, auf denen ich unterwegs war, gespickt mit rostigen Hindernissen waren, weiß ich nicht. Vielleicht handelte es sich um eine Art späte Rache am Weißen Mann? Meine autostoppenden Mitfahrer jedenfalls erwiesen sich allesamt als Kavaliere – bei nicht einem einzigen Reifenwechsel musste ich selbst Hand anlegen. Und da sage noch einer, Kuba sei kein sicheres Reiseland. Es wirft einem zwar jede Menge Hindernisse in den Weg, die Kubaner räumen sie aber auch eigenhändig wieder weg.
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Sunset am Malecon
Noch ein paar Fotos aus Kuba
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schottisreisetagebuch · 5 months
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Die Wiege Siams
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Wat Pho
Bangkok backstage
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Wat Pho
Die Welt Buddhas
Der Wat Pho ist Thailands ältester und größter Tempel – ihm einen Besuch abzustatten gehört zum Pflichtprogramm der ersten Besichtigungstage. Den Begriff „Wat“ mit „Kloster“ zu übersetzen greift zu kurz, und ist auch falsch. In jeder thailändischen Stadt fungiert ein Wat als Zentrum buddhistischen Lebens. In Bangkok stehen ganze 400 Stück herum. Finanzieren tun es alle. Arme, reiche, bedürftige, begüterte – vereint der Wat doch Grundschule, Spital, Gemeinschaftsräume, Altenheim, Versammlungszentrum und Unterkunft für Mönche und Adepten. Oft gibt es auch medizinische Anwendungen, wie Massage oder soziale, wie die Behandlung von Drogensüchtigen oder gar Sterbebegleitung. Der von einer Mauer umgebene Tempelbezirk beherbergt verschiedene Gebäude. Mittelpunkt der Anlage ist meist ein mächtiger Baum. Buddha selbst soll unter einem Bodhi-Baum meditiert haben.
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Wat Pho
Ergebnis ist die von ihm entwickelte und gepredigte Lehre. Buddhismus ist keine Religion, es ist Philosophie. Zentrales Element ist die Meditation, aus der Wissen und Erfahrung weitergegeben wird. Die Lehre begründet sich aus umfassenden philosophischen Gedanken und Geboten bezüglich Lebensführung. Kein Gott steht dafür zur Verfügung, vielmehr ein Lehrer. Der Wat Pho ist wohl einer der prächtigsten Tempel seiner Art. Gegenüber dem benachbarten „Großen Palast“ herrscht im Gebäudekomplex eine gelöste, ja heitere Stimmung. Mit der Bekleidungsvorschrift nimmt man es nicht so genau wie nebenan, außer, dass man beim Eintritt ins Innere der Tempel die Schuhe ablegen muss. Man soll sich dem großen Denker eher nur bloßhappert nähern, ihm jedoch keineswegs die Fußsohlen zuwenden – die nämlich gelten als unrein, was sie meistens auch sind. Rund um das Allerheiligste herrscht viel Verkehr. In der Anlage leben heute rund 300 Mönche – eine hoch angesehene Kaste. Viele männliche Halbwüchsige treten nur für eine Weile in die Ordensgemeinschaft ein, bringt dies doch ihren Familien, insbesondere den Müttern Glück und Segen. Ihre Aufgaben sind meist untergeordnet. Die Profis unter den Safrangelben sind für Höheres zuständig. Der tägliche Segen, die buddhistischen Riten und nicht selten die Funktion des angesehenen Schullehrers.
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Wat Pho
Genau gegenüber des Wat Pho, jenseits des träge dahinfließenden, die Stadt in zwei Hälften teilenden, Chao Praya, befindet sich der nicht minder prächtige Wat Arun. Namenspatronin ist eine Inderin: Aruna, die Göttin der Morgenröte. Ein Missverständnis, zeigt der 67 Meter hohe Prang (Turm) doch erst bei Sonnenuntergang seine volle Pracht. Die aus Porzellanscherben bestehende Mosaikverkleidung funkelt den Gläubigen so pittoresk entgegen, dass diese bestärkt, die Ungläubigen aber dadurch erst recht erleuchtet werden. Der Wat Arun aber hat noch eine andere Funktion zu erfüllen – und die ist profaner Natur. Sein Konterfei zu besitzen hat eine höchst beruhigende Wirkung auf das gemeine Volk. Ziert es doch die hiesige 10-Baht-Münze.
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Wat Arun
Unterwegs in Bangkok
Bewegt man sich durch Bangkoks Straßen, ist man gut beraten, sich eines der unzähligen Tuk Tuks zu bedienen, besonders wenn man morgens, mittags oder abends unterwegs ist – vor allem aber dazwischen. Bangkoks Verkehrsadern sind immer verstopft. Keine einzige Tageszeit, die keinen Verkehrsinfarkt aufweist. Die kleinen, wendigen, neonbeleuchteten Dreiräder bewegen sich kreuz und quer mit und gegen die Spur der Limousinen, SUVs oder Busse. Mit dem Leben sollte man aber sicherheitshalber Schluss gemacht haben, steht man doch alle irdischen Ängste aus. Aber: Ans Ziel ist noch jeder gekommen – fragt sich nur wie. Spaß beiseite, Tuk Tuks sind nun man die schnellsten Gefährte durch die Verkehrsschneisen des Mollochs. Natürlich gibt es Hochbahn und U-Bahn – beides probiert, perfekt organisiert – aber Spaß machen die Pistenflöhe allemal am meisten. Am besten man überlässt sich in Bangkok der Quadratur des Kreises, denn der Rushhour-Gigant hält prächtige Oasen bereit: Parks und Grünflächen, die in ihrer Pracht und Muße keinen Vergleich mit japanischen Zen-Gärten, mitteleuropäischen Palmenhäusern oder gar der sensationellen, Singapore vorgelagerten Sentosa-Insel zu scheuen braucht. Ob Lumphini – Siam – Queens – oder Kings Royal Park, vom prachtvollen Dusit Park ganz zu schweigen. Ein Fitnesserlebnis höchst individueller Art sei hier nicht verschwiegen. Radeln in Bangkoks grüner Lunge Bang Kachao. Es handelt sich um eine künstliche Insel in einer Biegung des Chao Praya-Flusses. Die einfachste Art dorthin zu kommen ist per Boot. An drei Piers wird die Überfahrt angeboten, ich habe die in Klong Toei genommen. Per Metro, ein paar Stationen mit dem Bus, schon steht man vor einer netten Oma, die einem für 20 Baht (50 Cent) eine Longtail-Fahrt in Richtung anderes Ufer verkauft. Drüben angekommen mietet man für ebenso wenig Geld ein Rad und strampelt los. Gemüse- und Reisfelder, Obstplantagen und ein märchenhafter Park mit See, Birdwatch-Türmen nebst garantierter Waran-Begegnung in freier Wildbahn inklusive. Dazu noch der Besuch eines pittoresken Wochenendmarktes. Bangkok-Abenteuer pur jenseits touristischer Trampelpfade.
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Wat Arun - Das Lächeln Thailands
Sünde und Pfründe
Reist man nach Thailand der Sünde wegen, ist man gut bedient. Wahrscheinlich nirgends auf der Welt bekommt man für kleines Geld mehr geboten als hier. Besonders in Bangkok. Hier lauert hinter jeder Massage das „Happy End“, hinter jeder Anmache, hinter jedem Cocktail – in einschlägigen Bezirken. Daher: Obacht, Fremder, wohin du dich bewegst. Vor allem aber: Hände weg von guten Tipps. Anquatsche pur. Die Girls sind zumeist Boys, das Bier ist warm und die Salons Gerümpel. Schauen erlaubt, vom Naschen wird abgeraten. Was Pattaya außerhalb der Metropole ist Patpong innerhalb der Stadtgrenze. Einst gehörten die zwei sündigen Gassen einem Chinesen. Ob man´s glaubt oder nicht. Die thailändische Reeperbahn war in Privatbesitz – und der Nabel des Rotlichtviertels. Go-Go-Bars, GIs-Schuppen und Hostessen-Etablissements.
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Bang Kachao
Dazwischen Massage, Massage, Massage. Empfohlen wird der Besuch der feuchten Meile in den Vormittagsstunden. Fahle Gesichter ohne Puder und Flitter, Hanfschwaden und ruinöse Bierkneipen zeigen ihre wahre Fassade, und die ist triste wie Praterbuden im November. Kaum zu glauben, dass hier jede Nacht der Rubel rollt. Aber ein Blick hinter die schalen Kulissen von Glanz und Glamour lohnt allemal, wenn auch nur zur Abschreckung.
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schottisreisetagebuch · 5 months
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Bangkok, die goldene Stadt
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Grand Palace
Unterwegs in Anderswelt
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China Town by night
Die zehn Stunden, die man im Großraum-Jet von Wien Schwechat nach Bangkok Suvarnabhumi verbringt, vergehen im Flug. Man steigt aus dem Flieger und landet in einer anderen Welt: Protz, Pracht und jede Menge Buddhas. Das Drehkreuz Südostasiens spielt alle Stückln. Ist man von Dubai, Abu Dhabi und Sharjah schon einiges gewohnt, der Thai-Luxus setzt noch einen drauf. Hier trifft man auf Schritt und Tritt, Glanz und Glorie. Endlos lange Gänge und Couloirs, zwischen den Menschenbeförderungsbändern jede Menge Talmi. Operettenzauber à la Mörbisch, made by Sirikit – legendäre Lächelkönigin des „Goldenen Siams“ vergangener Tage.
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Grand Palace
Man bestellt bei einem der Fuhrunternehmen ein Taxi, in Sekundenschnelle wird einem der Wagenschlag aufgehalten. 50 Millionen Passagiere pro Jahr tun hier desgleichen. Und dann fährt man, nein, staut man in Richtung Hotelkasten. Am nächsten Tag ist der Jetlag weggeschlafen und man stürzt Hals über Kopf in Richtung der Sehenswürdigkeiten Bangkoks. Dabei aber ist man nicht alleine. Mein Tipp: Von Juni bis Oktober ist Monsunzeit, da ist man weitgehend alleine unterwegs – wenn’s halt nicht gerade schüttet.
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China Town by night
Der Große Palast
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Grand Palace
Die Stadt in der Stadt ist aus Gold. Die Stadt in der Stadt ist aus Gold, man hat´s nicht anders erwartet. Die großartige Anlage diente einst der ersten Familie des Riesenreiches. König und Buddha zogen hier zu Ende des 18. Jahrhunderts ein, als Bangkok zur Hauptstadt wurde. Heute ist der Monarch ein paar Straßen weiter zu Hause, im Nobelbezirk Dusit und im oberbayrischen Tutzing, in der Villa Stolberg, am Starnberger See. Den Besitz hat der heutige Rama X. noch zu Lebzeiten seines Vaters, König Bhumibol erworben. Seither regiert der damalige Kronprinz und heutige „Kini“ in seinem kühlen Prachtanwesen. 10 Millionen Euro hat das Schreberhäusl gekostet. Seltsam nur, dass vom Rama, trotzdem es sein offizieller Zweitwohnsitz ist, bislang kein Cent an Grundsteuer einging. Auch die Erbschaftssteuer, die nach dem Tod seines Vaters im Freistaat fällig geworden wäre, hat sich der siamesische Schlingel erspart – was die Bayern schmerzt und die Thais schon nicht mehr wundert. Immerhin würde sie 30 Prozent der gesamten Erbsumme ausmachen. Bei 10 Milliarden Flüssigem, schlanke 3 Milliarden Euro. Aber was bedeuten weltliche Güter dem Gottähnlichen.
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Grand Palace
Sein nomineller Palast ist gegen einen Touristenobulus zugänglich. Allerdings müssen sich Zudringlinge verhüllen. Bei 40 Krügeln im Schatten haben Damen kniebedeckt und Herren in langen Hosen zu erscheinen. Das Opfer muss man erst mal bringen. Man tut es gerne. So viel Pracht sieht man selten auf einem Fleck. Beinahe zwei Kilometer lang begrenzt die prächtig geschmückte Mauer den Regentenbezirk. Palast und angrenzendes Wat sind jede Mühe wert. Die Wunderwerke aus Stein und Gold stellen den weltlichen und religiösen Himmel auf Erden dar. Die exotische Pracht raubt den Atem. Und längstens wenn man dem Smaragd-Buddha gegenüber steht, greift die Allmacht Siddharta Gautamas, des Weisheitslehrers und Religionsstifters – auch wenn er nicht aus Smaragd ist, sondern aus Jade.
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Grand Palace
China Town
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China Town by night
Folgt man der Charoen Krung Road, später der Yaowarat, befindet man sich längst nicht mehr in Thailand. Man taucht ein ins Reich der Mitte, ins Garküchen-Paradies, dem Streetfood-Wahnsinn Bangkoks. Kaum eine andere Stadt erscheint dem Neuling auf Asiens Straßenmärkten spektakulärer. Das Viertel ist ein einziger Kochtopf, in dem Hartgesottene so lange weich gekocht werden bis sie sich freiwillig jedes Süppchen, Dumpling (gefüllte Teigtaschen), Hühnerfuß, von veritablen Schwalbennestern ganz zu schweigen, reinziehen. Untertags ist die Chinesenstadt ein einziger Marktplatz, bei Nacht ein gedeckter Tisch. Hinein also ins Gedränge der Seitengassen, das Angebot verblüfft europäische Schlachtenbummler. Plastikgeschirr und Affenhirn, Seegurken und Ginseng-Wurzeln, Krokodilburger und zu Staub gemahlene Tigerzähne. Nebenbei wird aus der Hand gelesen, Papiergeld verbrannt, aus Reptilien zubereitete Arzneien verkauft und in den Goldgeschäften der Unzenpreis in die Höhe getrieben - die Börsenkurse schnellen in die Höhe, je länger die Schlangen vor den Juwelieren sind.
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China Town by night
Relaxen in Bangkok
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Food Massage
Der Eintritt in den Himmel ist nicht mehr als 300 Baht wert. Das entspricht 7 Euro. So viel kostet im Land des Lächelns eine Massage für den wahrscheinlich am wenigsten beachteten Körperteil. Die Füße kommen seit je her paarweise zur Welt, verdienen zumindest aber ungeteilte Aufmerksamkeit. Thailand ist das einzige Land der Welt, das beiden Extremitäten alltägliche Reverenz erweist. Herr und Frau Siam gehen zumeist einmal pro Tag zur Fußpflege. So sie sich´s leisten können. Wenn nicht, machen sie sich´s selber. Eine Fußmassage ist hier Ritual. In jedem zweiten Laden, Einkaufszentrum, hinter Marktständen und Restaurants lauern die Polsterstühle.
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China Town by day
Auf ihnen macht man es sich bequem, man schließt die Augen und – schläft ein. Die Füße werden besprüht, gesäubert, abgerubbelt. Dann wird einer davon verpackt und los geht´s ins himmlische Vergnügen. Eine Creme wird auf den freiliegenden aufgetragen, einmassiert, verstrichen. Zehe für Zehe, Knöchel, Ferse, Rist wird bearbeitet. Hin und her, rechtsseitig, linksseitig, Wadel rauf, Wadel runter, und das währt so lange bis man nicht mehr Herr seiner Sinne ist und man längstens jetzt in seligen Dämmerschlaf fällt. Irgendwann nimmt man ein geflüstertes Good morning war, man erwacht, bestreitet, dass man weggepennt ist, erhebt seine zu neuem Lebensmut erwachten Glieder, bezahlt die Bagatelle und begibt sich auf den Weg – zum nächsten Massagesalon.
Hoch hinaus und tief hinunter
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Wolkenkratzer
Gleich neben Chinatown liegt die „Innenstadt“ Bangkoks, so heißt das Viertel, das dem Business gehört. Auch hier wird Geld verbrannt, wobei das hier nicht unbedingt Glück bedeutet, eher schon das Gegenteil. Zwischen Silom Road und Ratchadamri Road stehen sie Hand in Hand: die Skyscraper Bangkoks.
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Lumphini Park
Die wahnwitzigen Hochhäuser überbieten sich an einfallsreichem Design, die angesagtesten Architekten stellen kühne Nadeln aus Stahl, Glas und Beton ins Planquadrat und in den Lobbys der Hotelgiganten versammeln sich die plastikgesichtigen Ehefrauen fleischgewordener Globalplayer. Heute in Bangkok, morgen in Singapore, Honkong oder New York. Hier logiert man, hier macht man Geschäfte, hier schlürft man Martini Sour. Schließlich steht Bangkok im weltweiten Ranking an 15. Stelle der Städte mit den meisten Wolkenkratzern. Der derzeit höchste von ihnen ist der „Magnolias Waterfront Residences Tower 1“ mit 315 Höhenmetern. Ein anderer Himmelskitzler gleicht einem Lego-Haus, ist nur einen Meter niedriger und wird hauptsächlich als Appartement-Haus der Ritz-Carlton-Kette genutzt. Der Fantasy-Tower wurde vom deutschen Architektenpapst Ole Scheeren erbaut und ist mit Sicherheit einer der Hingucker unmittelbar vor dem wunder-romantischen Lumphini-Park.
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Wolkenkratzer
An Gegensätzen ist die Metropole reich. Slum und Millionärsviertel, Aberglaube und Wissenschaft, Märchenstadt und Finanzmetropole, Science und Siam – all das beherbergt Bangkok. Und noch viel mehr. Zum Beispiel Wahn und Witz: Der derzeitige König von Thailand, Maha Vajiralongkorn Phra Vajiraklaochaoyuhua, kurz Rama X. ist einer der verhaltensoriginellsten Monarchen der Welt. Schießt das Land hinsichtlich Wirtschaftswachstum, Infrastruktur und Technik durch den Plafond, versinkt die halsstarrige Schrulligkeit des Königs im tiefen Klamauk. Folgende Geschichte ist keine Zeitungsente, sie ist wahr, und ein Hund. Des Königs verstorbener Pudel Fufu, der einst von einer seiner, mit einem G-String bekleideten Ehefrauen, anlässlich seines Geburtstags mit einer doppelstöckigen Torte gefüttert wurde. Nicht nur das ließ die Wogen Siams hochgehen. Auf die Titelseiten ausländischer Gossip-Zeitschriften brachte es der Rama, als er den Pudel allen Ernstes zum „Air Chief Marshall“ der thailändischen Luftwaffe beförderte. Bei einem Gala-Dinner sprang der General in Uniform auf den Tisch und schlürfte aus den Wassergläsern der honorigen Gäste auf das Wohl des anwesenden US-Botschafters, Ralph L. Boyce. Auch das ist Thailand. Man wundert sich, staunt – und lächelt.
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