Tumgik
#Netzwerksteckdose
techniktagebuch · 3 years
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13. September 2021
Ein Wintersemester (Woche 1)
An einer Uni in einem fernen Land beginnt das Wintersemester. Zum ersten Mal seit Ausbruch der Seuche findet die Lehre zum Großteil in Räumen statt. Es handelt sich um eine Art Neustart aller Systeme. Die meisten Studierenden sind vor Ort. Alle Räume sind mit Kohlendioxid-Sensoren ausgestattet, die rot werden, wenn die Luft nicht adäquat ausgetauscht wird. Masken sind vorgeschrieben, Abstandhalten ebenso. Die meisten Vorlesungen sind mit Panopto aufgezeichnet, im Hörsaal machen wir stattdessen “Workshops”, also so was Ähnliches wie Vorlesungen, nur anders. Der Zugang zu Gebäuden funktioniert nur über unsere Magnetkarten. Das Scannen der Karten am Eingang wird angeblich zum contact tracing eingesetzt. Ich habe keinerlei Hinweise darauf, inwieweit das funktioniert.
Am Dienstag gehe ich zum ersten Mal seit Monaten ins Institut, zum ersten Mal seit Februar 2020 zum Unterrichten. Weil ich mittlerweile den Laptop erneuert habe, fehlt mir der Adapter zur Projektion von meinem Bildschirm (USB-C auf HDMI, für Leute, die Buchstabensalat mögen). Jemand findet einen womöglich passenden Adapter, und ich gehe ohne es vorher auszuprobieren in den Hörsaal. Es gibt, zu meiner Überraschung, keinerlei technische Probleme, weder mit dem Licht, noch mit dem Sound, noch mit der Projektion. Weil die gesamte Klasse wegen Abstandhalten nicht in den Hörsaal passt, werde ich den Workshop dreimal halten, an unterschiedlichen Tagen, jeweils für ein Drittel der Klasse.
Am Dienstag wird mir außerdem klar, dass die Laptops, die die Studierenden nächste Woche im Praktikum benutzen sollen, seit mehr als einem Jahr im Schrank lagern. Mir wird erklärt, dass die Studierenden mit diesen Rechnern nur ans Internet gelangen, wenn sie sich beim ersten Login per Kabel mit dem Netzwerk verbinden. Direktes Einloggen über Wifi geht offenbar nicht, wohl eine Regel der IT-Verwaltung. Allerdings gibt es in unseren Praktikumsraum nur vier verkabelte Netzwerksteckdosen, und ich habe 75 Studierende im Kurs, 25 pro Praktikumsgruppe. Das Praktikum wird in der Institutsbibliothek stattfinden – einem schönen, großen Raum, der für uns zu diesem Zweck gesperrt wird, weil unser normaler Praktikumsraum mit Abstandhalten zu klein ist. Für diesen Raum in der Bibliothek haben wir wochenlang gekämpft – die Anzahl der Netzwerkanschlüsse kam dabei nicht zur Sprache.
Am Mittwoch finde ich den Schlüssel zum Schrank mit den Laptops, in einem Schreibtischfach in einem verwahrlosten Büro. Der Schrank enthält 19 Laptops, aber nur 2 Netzteile. Ich schlage Alarm. Am Donnerstag finden die Techniker im Institut eine Pappkiste, die mit “Laptops” beschriftet ist, und zwar in einem sehr unordentlichen Büro. Die Kiste enthält sehr viele Netzteile. Mir wird erklärt, dass man diese Laptops nicht einfach so benutzen kann – nach einem Jahr Auszeit sind viele Windows-Updates fällig, die Stunden dauern. 
Außerdem erhalte ich eine Email von unserem zentralen Helpdesk für alle Uni-Computer. Es geht um einen Laptop, der in der Zukunft unser neues Teleskop steuern soll. Das neue Teleskop soll ferngesteuert funktionieren, das ist sein Lebenszweck, nur deshalb wurde es erbaut, mit viel Mühe und Geld. In der Email steht, dass ich den Computer, der das Teleskop steuert, nicht aus der Ferne betreiben darf. Nicht einmal vom Campus aus. Ich protestiere höflich.
Am Freitag veranstalte ich meinen Workshop zum dritten Mal, dieses Mal nicht nur für die Studierenden im Hörsaal, sondern auch für ein paar, die ganz woanders sind. Außerdem zeichne ich das Ganze auf, für Studierende, die gerade nicht können. Ich hatte mir das vorher gründlich überlegt: Ich projiziere meinen gesamten Bildschirm für die Leute im Raum. Außerdem starte ich eine Videoübertragung auf MS Teams und teile meinen Bildschirm dort. Die Aufzeichnung starte ich ebenfalls in MS Teams. Dann kann ich meine Präsentation, die sich als PDF im Acrobat Reader befindet, starten und alle sollten es sehen können. Das klappt auch wunderschön, mit einem kleinen Makel: Ich kann nur dann von einer Slide zur nächsten wechseln, wenn ich vorher das Teilen des Bildschirms mit MS Teams ausschalte. Warum, weiß ich nicht, es ist keine Zeit für Problemlösungen, nur für Workarounds. Während ich rede, schalte ich das Screensharing aus, wechsle die Slide, und schalte es wieder ein. Immer wieder. 
Zurück zu meinem Problem mit den Laptops. Ich finde heraus, dass ich mich problemlos mit einem der Laptops auch per Wifi einloggen kann, Kabel scheint nicht nötig. Vielleicht ist das Netzwerkproblem damit gelöst, auf die angenehmste Art: Es existiert eventuell gar nicht. Damit ist die Geschichte aber nicht zu Ende. Die meisten der 19 Laptops, die ich Mittwoch im Schrank fand, sind “dual boot”, das heißt, sie können in Windows oder Linux booten, die Voreinstellung ist aber Linux. Das ist schlecht, weil sie bei den diversen Neustarts, die beim Windows-Update nötig sind, automatisch im falschen Betriebssystem landen. Der lokale System-Administrator (der gar nicht lokal, und nur ab und zu am Institut ist, so wie ich) verspricht, sie alle auf Windows umzustellen, dann alle hochzufahren und sowohl mit dem Stromnetz als auch mit dem Internet zu verbinden. Dann können übers Wochenende die Akkus laden und die Updates updaten. Am Montag, so der Plan, hätten wir einsatzbereite Laptops. 
Dann aber erfahre ich von der Existenz von “bitlock”-Keys, ein Zahlencode, der eingegeben werden muss, wenn man etwas an den Systemeinstellungen ändern – zum Beispiel die Einstellungen für den Neustart. Wir haben diese Codes nicht, sie können nur von der Zentrale generiert werden, so wird mir mitgeteilt. Wir schicken eine dringende Nachricht an die Zentrale und beten. Es ist Freitag Mittag, noch sind ein paar Stunden Zeit.
(Aleks Scholz)
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