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#Schotti unterwegs im Burgenland
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Der fliegende Derwisch
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Der fliegende Derwisch
Peter Noevers Land Art Project ‚The Pit/Die Grube‘, Breitenbrunn
Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī, Sufi-Mystiker und einer der bedeutendsten persischen Dichter, geboren 1207 vermutlich in Qurghonteppa, der Hauptstadt der Provinz Chatlon an einem der Quellflüsse des Amudarja, im Südwesten des heutigen Tadschikistans. Rumi war Suchender, Liebender, Poet und Lehrer und während sich sein Leben, gleich den Derwischen, im Wirbeltanz drehte, zogen an ihm aberzählige Geschichten, Gleichnisse und Gedichte vorbei, die er festhielt, um sie seinen Schülern zu überantworten. Sie gewähren Einblick in Reichtum und Romantik der persischen (Religions-)Philosophie, deren einer ihrer Vertreter Rumi war. ‚Komm, komm, wer immer du bist! Komm, auch wenn du tausendmal deine Versprechen gebrochen hast! Komm, ob du Jude, Christ oder Moslem bist. Komm!‘
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Der Keller
Ich komme zu einer der wahrscheinlich schönsten Begegnungen meiner Reise durch das hundertjährige Land, die mit dem Designer, Museologen, Chefredakteur und Herausgeber, Museumsdirektor (MAK Wien und MAK Center for Art and Architecture, Los Angeles), Utopist, Aktionist und Philosoph - Peter Noever. Der Mann hat ein riesiges Oeuvre, ein größeres, als manch einer sonst. Als Künstler geht er den wagnisreichen Weg, als Leitwolf Gleichgesinnter kämpft er seit jeher gegen Frust und Provinz. Seine Projekte sind weltweit vernetzt. Das ist das Stichwort: Er ist einer, der globales Kunst- und Kulturmanagement lebt, ein zwischen Anspruch und ‚Art and Commerce‘ sich drehender Derwisch, ein Grenzgänger und Liebessucher (das sowieso) in Personalunion. Der Mann ist eine kühne Wiener Mischung aus Intuition und Instinkt. Das Phänomen PN ist schwer zu fassen, einfach weil er nirgends zu Hause ist – vielmehr überall, am ehesten inmitten seines strengen Kunstanspruchs. 
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Der Erdplatz
Ich wähle seine Nummer und bitte um einen Termin. Den gewährt er mir – zwei Monate später. „Kommen Sie nach Breitenbrunn. Sie werden mich finden.“ ‚The Pit‘ heißt sein einzigartiges Land-Art-Project. Es geht schon gut los. Nachdem ich die immer gleiche Kellergasse auf- und abgefahren bin, bleibe ich etwas ratlos bei einer Feriensiedlung stehen. Ein Mann sieht mich fragend an. „Was wollen‘s denn vom Herrn Noever?“, sagt er, bevor ich um den Weg dorthin frage. Sieht man mir an, wonach ich suche? „Ich habe einen Termin.“ Der Mann scannt mich von oben bis unten. „Hab ich mir gedacht.“ Er verschwindet im Haus, nach einer Weile kommt er und setzt sich in sein Auto. „Folgen Sie mir.“ Ich folge. An einer frisch getünchten Mauer bleibt er stehen und lässt das Seitenfenster herunter. „Hier läuten! Viel Spaß.“ Er gibt Gas. Ich sehe, wie er mich im Rückspiegel beobachtet. Breitenbrunn, denke ich. Hier braucht‘s nicht viele Worte. 
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Klosett mit Betonplateu
Ich läute – nicht. Denn Klingel gibt’s keine. Hier kommt man vorangemeldet oder gar nicht. „Hallo?“, belle ich ins Handy, nicht ahnend, dass er bereits hinter mir steht. Peter Noever kommt nicht. Er ist da. „Ich habe Sie erwartet.“ Wir steigen eine steile Kellertreppe hinunter in Richtung Erdkern. Gut sechzig Meter Ziegelgewölbe liegen vor mir. Ein langer Tisch. Flaschen an beiden Seiten, die meisten sind leer. Vorne, ein Lichtschein. Draußen scheint die Sonne, hier drinnen bin ich blind. Noever berührt meine Schulter: „Gehen Sie. Bitte!“ Ich tappe vorwärts und stolpere auf einen der schönsten Plätze zu, die ich je sah: ‚The Pit‘ – ‚Die Grube‘. Vor mir liegt der Boden eines kleinen Vulkankegels. Die bepflanzte, steile Böschung ragt konisch auf. „Dies war der Beginn“, sagt Peter Noever und drückt mir einen Lageplan in die Hand. Dann trinken wir Kaffee, schwarz und stark. Auf dem großen Tisch aus Sandstein, steht eine Schale voll mit Erdbeeren. Ich sage: „Burgenland?“ „Billa. Marokko.“ Er beobachtet mich. 
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Der Tempel der Zapoteken
‚The Pit‘ ist ein Projekt, das seinen Anfang in den frühen Neunzehnsiebzigern nahm. „Der Keller hat mich gefunden. Ich habe ihn sofort gekauft, Garten und Steinbruch inklusive. Seit damals arbeite ich hier. Ich führe einen jahrzehntelangen Dialog mit der Landschaft. Entscheidend sind die Materialien: Sandstein und Beton. Irgendwann sehen ihre Oberflächen gleich aus, mit der Natur aber kontrastieren sie.“ Ich blicke mich um. Die eine Steilwand ist übersät mit unzähligen blauen Blumensternen, die andere ist gebuscht. „Zufall. Ich belasse die Natur, wie sie ist. Sie hat dasselbe Recht wie ich. Ich stelle Kunstwerke auf, sie antwortet darauf. Das finde ich spannend.“ In dem Garten, der kein Garten ist, sondern ein Park, eigentlich Wald, stehen Kunstwerke von Pichler, Bugaev Afrika und Noever. Sie existieren nebeneinander, ohne dass das eine das andere bevormundet. Man muss sich ihnen über Wiesen, vorbei an Spiraea-Büschen, durch dichtes Blattwerk und schmalen Waldwegen nähern. „Die Büsche markieren die Grenze. Habe damals ein bisschen zu viel gesetzt. Das Grundstück wird dadurch kleiner“, lacht er, „Ich weiß längst nicht mehr wo es beginnt und wo es zu Ende ist. Ist auch nicht wichtig.“ Das riesige Stück Natur ist selbst zum Kunstwerk geworden. „Dort drüben…!“ Wir schlagen uns durchs Unterholz, überqueren den Steinbruch und stoßen auf eine Wiese die sich als ein Kosmos tausender flatternder, hauchzarter Geschöpfe entpuppt. „Lepidopterologen der Universität Wien forschen hier. Ich hatte keine Ahnung von der Existenz der Schmetterlinge. Einmal kam ein Gelehrter vorbei, fotografierte und krakelte  Aufzeichnungen in ein Buch. Seither liegen hier Sommer für Sommer Studenten im Gras und beobachten die kleinen Geschöpfe. Die Schmetterlinge finden hier ideale Lebensbedingungen vor. Ein weiteres Kunstwerk. Aber ein lebendiges.“ 
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Sitzgruben, Walter Pichler
Wir streifen durch mannshohes Gras und stehen vor einem Betonquader, in den an einer Seite eine schmale, hohe Türe geschnitten ist. Das Kunstwerk sieht aus wie einer der Zapoteken-Tempel im mexikanischen Monte Albán. „Ich bin fasziniert von der Atzeken-Kultur“, sagt Noever, „Relikte außergalaktischer Lebens auf unserem Planeten haben mich immer schon fasziniert. Erich von Däniken. Erinnern Sie sich?“ Er öffnet die Türe des raumschiffartigen Gebäudes - ich erwarte eine geheime, nachgebaute Kultstätte. Menschenopfer? Der Meister wendet sich um. „Meine Einstiegsarbeit. ‚Klosett mit Betonplateau‘, heißt sie. Der Beginn allen Lebens.“ Im Inneren der kleinen Festung befindet sich eine gemauerte Hochsitzbank, in die zwei runde Löcher geschnitten sind. Ein Doppel-Plumpsklo. Gegenüber der Besucher gibt ein flaches Fenster den Blick zu Noevers Hochzeitsbäumen frei. „Ein Geschenk. In zweihundert Jahren werden sich ihre Kronen vereinigt haben. Die Aussicht ist dann noch schöner.“ 
Der Weg führt den Steinbruch hinunter zu einem Kunstwerk von Walter Pichler. ‚Sitzgruben‘, nennt es sich. „Nehmen Sie Platz!“ Kaum ausgesprochen, verschwindet PN in einer der betonierten Gruben. Ich setze mich – und verschwinde ebenfalls unter der Erde. Mir gegenüber nehme ich zwischen Gräsern und Steinnelken, klein wie eine Hummel, den Kopf des Kunstphilosophen wahr. „Hier sind wir gesessen und haben tagelang gesprochen und getrunken. Die Natur war immer mit uns. Auch in uns“, ruft er mir zu, „Pichler war ein Freund. Seine Kunstwerke verblieben immer dort, wo sie gebaut wurden. Gelebt hat er von den Skizzen.“ 
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Kunst für Budapest
Ortswechsel. In einer der schroffen Steinbruchwände erkenne ich die Umrisse zweier Figuren: ‚Muttergottes mit Kind‘. „Keine Ahnung, wie die zu mir kam. Wahrscheinlich hat sie einer der Arbeiter in den Stein geritzt“, brummt er. Manchmal fällt einem ein Werk auch in den Schoß. Kunst und Leben. Dann gehen wir zurück, vorbei an  sechsunddreißig, in Form eines Rechtecks positionierten ‚Betonkuben‘, die Noever einst für eine Freiluftausstellung in Budapest gegossen hat, wobei der Transport hin- und zurück mit zum Kunstwerk gehörte. 
Durch die ‚Flügeltreppen‘ steige ich zum ‚Steinbruchgang‘ hinunter, durch den wir zu Beginn der kleinen Exkursion in den Wald hinaustraten. Die schnurgerade und mit Gras bewachsene ‚Nadel‘ teilt den Garten wie einer der Pfeile, die Domenigs Steinhaus am Ossiacher See durchdringen. „Günter war ein Unerbittlicher, ein Strenger. Einer meiner liebenswertesten Freunde.“ 
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Flügeltreppen
Ich nehme an dem Steintisch vor dem Keller Platz. Kalter Weißwein steht wie von Zauberhand da, dazu ein paar Sandwichs. „Habe ich aus Wien mitgebracht. Ich bin kein Koch.“ Ich frage, wie der Ort, das Land, zu dieser, seiner Lebensarbeit steht. „Einerseits, andererseits“, sagt er, „Einerseits ist alles hier unter Denkmalschutz gestellt. Auch Sie, als Besucher. Für die Dauer Ihrer Anwesenheit sind Sie Teil eines Gesamtkunstwerkes. Da sich ‚Die Grube‘ aber um ein ‚work in progress‘ handelt, verändert sie sich. Sie werden bald gehen, die Steine verwittern, die Lebenserwartung der Schmetterlinge zählt kaum mehr ein paar Wochen, die Baumkronen schmiegen sich erst in vielen Jahren ineinander, die Blumen verblühen, die Monumente sind dem Verfall ausgesetzt. Die Veränderung ist ein einberechneter Faktor. Der gegenwärtige Zustand kann nicht gehalten werden – soll auch nicht. Andererseits untersagt mir die Gemeinde neue Kunstwerke zu errichten. Die Pläne liegen seit Jahren vor, aber ich darf nicht bauen. Man schützt die bestehende Kunst, akzeptiert die Veränderung, untersagt ihr aber zu wachsen. Als ob man dem Maler verbietet, zu malen. Um nicht zu verzweifeln nehme ich sogar diese absurde Intervention der Bürokratie als eine, wenn auch höchst provokante Kunstaktion wahr. Folgerichtig, wenn auch in sich fragwürdig.“ Peter Noever sieht mich aus müden Augen an. Der Kunstphilosoph führt hier, inmitten seines Kunstparks einen großartigen Dialog mit der ihn umgebenden Natur. Der mit der Gemeinde ist ungleich schwerer. 
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Der Steinbrecher
„Kommen Sie wieder!“, sagt er, als ich auf die kleine, verschwiegene Kellergasse hinaustrete. „Gerne“, sage ich. Der große, alte Mann, der zusieht wie sich Bäume vereinen, wie Steine zu Worte werden, und wie Schmetterlinge um ihr Leben tanzen, wartet auf das Paradoxon, dass Kunst begriffen wird. Er blickt mir nach, während ich mich auf meine Vespa setze, dann wendet er sich entschlossen ab, um sich gleich darauf nochmal um die eigene Achse zu drehen und mir zuzuwinken. Ist er einer der tanzenden Geliebten des Sufi-Dichters Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī, der mit seiner Poesie und Weisheit der Welt so manches Lied sang, so manches Mal auf der Nase herumtanzte? Vielleicht ist er ja auch einer ihrer Nachfahren - ohne sich dessen bewusst zu sein. Vielleicht ist er einer jener Philosophen, die ein Leben lang einen Schmetterlingstanz um ihre Gedanken vollziehen. ‚Wer nicht schmeckt, der weiß nicht‘, sagte einst Rumi. Peter Noever hat in seinem Leben viel probiert, viel geschmeckt. Er weiß. Er wird den Ausweg aus dem ewigen Kreislauf des Unverständnisses finden. Ich bin mir dessen sicher.
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Die Nadel
Ich verlasse diesen schönen, ruhigen, um sich selbst wirbelnden Ort. Ein Ort, in dem die Gedanken nicht zur Ruhe kommen wie ewig tanzende Derwische in der Tiefe orientalischer Mystik. 
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Die Kraft der Worte
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Folge den Zeichen am Wegesrand
Am Kleinen Csaterberg, 7512 Kohfidisch
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Am Wegesrand
Der Duft des Weins zieht den Genüssler an, wie die Fliege den Frosch oder das Fett das Ferkel. Keinesfalls sollte man sich, ist man im Süden unterwegs, die Besteigung des Csaterberges entgehen lassen. Doch Obacht: Es gibt zwei davon, den Hochcsater und den Kleinen Csater. Wobei der Kleine den Hohen um vierundzwanzig Meter überragt. Wunder der Natur. Vielleicht wird ja die Rebenhöhe mitgezählt, denn der Junior ist, soweit das Auge reicht, gespickt mit Weinstöcken. Da Reisende immer hoch hinaus wollen, halte ich mich an den Kleinen. Bergtouren wollen wohl geplant sein, also bringe ich meine Vespa auf Vordermann und pfeife in Richtung Kotezicken, nach Kohfidisch. Kaum, dass der Csater in Sicht kommt, wittere ich frischen Rebensaft. Dolde um Dolde hängt an alten, runzeligen Hölzern, aus fetten Trauben tropft der Heurige in die Bouteille. Denkste, es ist Frühjahr und da sprießen gerade mal die ersten, jungen Triebe. Der vordem staubige Wein ist längst abgefüllt und ruht in den Katakomben südburgenländischer Weinkeller. Was Phantasie mit dem Sehnsuchtsvollen macht! ‚Besser, zu genießen und zu bereuen, als zu bereuen, dass man nicht genossen hat‘, flüstert mir der italienische Dichterfürst Boccaccio ins Ohr und daran halte ich mich - seit ich denken kann.
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Sicher der Natur überlassen ...
Kurve um Kurve mähe ich mich hügelaufwärts, immer das gekühlte Glasl vorm Aug‘, bis dass der Gipfel erreicht ist. Dreihundertfünfundsechzig Meter über Meer. Ich blicke hinunter zum Hochcsater, den Kopf in den Wolken, die Füße zwischen den Reben, bereit, mich dem Hochalpinismus auszuliefern. Den Höhenrundweg beginne ich mit einem herzhaften Frühstück ‚aus dem Papierl‘, wie wir Wandervögel sagen. Kabanossi, einmal hin und zurück, ein grünes Ei, Eckerlkäse, der feine - das bitte muss sein!‘ - Wojnar-Gabelbissen, sowie ein herzhaftes Stück Bauernbrot. Solcherart gemästet, stürze ich mich in die Wanderung. Dachte ich. Ein Schild lässt mich innehalten: Der Start des ‚Literaturweges Csaterberg‘ liegt zu meiner Rechten. Ich werde den Teufel tun und den links liegen lassen. Junge, burgenländische Literatur. Ich pfeife auf Sport und überlasse mich geistigem Genuss.
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Der Weg der Worte
Da aus pandemischen Gründen auch alle Buschenschanken geschlossen haben, versenke ich mich, Not ist der Tugend geschuldet, in Texte, die sich dem Interessierten auf stilisierten Buchständern entgegenrecken. Quelle surprise! Hier, am Busen der Natur, werde ich mit Kunst gefüttert: Von March Höld über Theodora Bauer, von Heinz Janisch bis El Awadalla. Hier versammelt sich alles was burgenländischen Rang und Namen hat. Michael Hess schreibt: ‚Gheat des szeged ina - Gheat des szeged ina - Gheat des szegedina gulasch - ghead des ina.‘ Tadellos. Oder Stefan Horvath: ‚In meinen Träumen kann ich fliegen - Bis hinauf in den Himmel und auch rund um die Welt – In meinen Träumen kann ich die Welt umarmen – Ohne Angst zu haben, dass mich Dornen verletzen‘. Ich spaziere von Buch zu Buch, vorbei an Kellerstöckln und Rebstöckln, fetten Wiesen inklusive.
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Weinwegpfad
Die Aussicht übers weite Land bis in Richtung ungarischer Grenze, nur einen Steinwurf weit von hier entfernt, ist betörend. Gibt‘s was Schöneres, als sich dem Erwachen der Natur, der Kraft von Worten und seiner Phantasie zu überlassen? Irgendwo ruhe ich mich aus. Ich bin keine fünfhundert Meter gegangen und bin doch erschöpft. Ich lese, ich denke, ich träume, ich schaue und bin - rundum glücklich.
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Idylle Csaterberg
Fröhliches Lachen reißt mich aus meinen Gedanken. Ein paar Männer haben sich‘s vor einem Stöckl gemütlich gemacht. Ob ich ein Glas mittrinken möchte, ich sehe doch durstig aus. Ich traue meinen Augen nicht: Unter einem großen Baum steht ein Tisch, darauf eine Bouteille, darin perlkalter Welschriesling. Menschen, die das Leben feiern. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen, noch dazu mit gehörig coronalem Abstand. Ein Wort gibt das andere. Man kommt als Freund und geht als Vertrauter. Was für eine österliche Überraschung. Nach dem dritten Glas nehme ich beschwingt die Abkürzung durch den Weingarten - und lande erneut zwischen Buchseiten: ‚Ich knüpfe Satzteile aneinander, knote mir dabei die Finger wund. Beistriche setze ich blind wie eine Verliebte. Je mehr Zeit vergeht, desto kürzer die Abstände, desto blinder die Beistriche. Ich verliere mich in Satzanfängen. Mein Leben ist eine Rumpelkammer. Ich hole Vergangenheit hervor, abgelegte Menschen, verstaubte Gedanken, die Erinnerung an ein Bauchgefühl, ein Beistrich nach dem anderen, ganz planlos, als sei alles ein Rätsel, ein Wortgitter, ein Puzzle, aber ich weiß, am Ende fehlt ein Stück…‘ Die junge Kroatin Sanja Abramović aus Eisenstadt, dekoriert mit allen möglichen Literaturpreisen, schreibt über ihre Heimat, über ‚Verortungsversuche‘ und der grundlegenden Skepsis gegenüber Worten. Da kann ich mich hineinverlieren.
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Kraft der Worte und des Weins
Die Sonne zieht sich hinter den westlichen Hügeln zurück, der Horizont ist mit jedem Glas Welsch näher gerückt, da dringt eine Stimme an mein Ohr. Höre ich meinen Namen? Ein alter Mann steht neben einem hölzernen Gestell. Ob ich einen Schluck mit ihm trinke? Eine junge Frau erscheint in der Türe, sie sagt, dass sie aus der Stadt zum Großvater heraus gekommen sind, gerade hat sie die Eier in die Farbe gelegt, schließlich ist in ein paar Tagen Osterfest und sie möchten hier ein paar Tage ausspannen. Sie selbst sei zwar noch am Fasten, aber schon hält der Alte eine Flasche Uhudler in der Hand und wer bitte mag da wiederstehen, denn womöglich finde ich hier die fehlenden Worte, nach denen die junge kroatische Dichterin sucht und ich höre mich sagen: „Nichts lieber als das!“, und dann sitzen wir auch schon in dem leichthin abfallenden Weingarten, ein hölzernes Gestell zum Abstellen schwerer Butten dient als Tisch und die Gläser sind schnell herbeigezaubert.
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Kellerstöckl am Csaterberg
Wir sprechen über Gott und die Welt, übers Tanzen und übers Fasten, über Kochen und Schreiben und sogar über die Kraft der Worte, denn plötzlich hält die Frau ein Buch in der Hand, in das ich doch bitte meinen Namen hineinschreiben möge und wir lachen und stoßen an, sie mit Wasser, wir mit Wein und wie meistens wenn man beschwingten Sinnes ist, liegt die Welt in aller Schönheit und Unschuld da und man braucht sich ihr nur zu überlassen um eins zu werden mit ihr und mit dem Leben und plötzlich fällt die Sprache leicht, und die Worte beginnen zu tanzen und ich, ich muss ihr das schreiben, meiner unbekannten Freundin Abramović, dass sie nämlich nicht länger die Satzteile zu suchen braucht, denn hier draußen auf dem kleinen, hohen Csaterberg, dreihundertfünfundsechzig Meter über Meer, wissen sich Menschen eines Sinnes. Wenn das nichts ist! Die Kraft der Worte hat es möglich gemacht. Und der Uhudler steuert seine immerwährende Weisheit bei.
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Die Sonne sendet die letzten Strahlen
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Aber jetzt ist es soweit: Endlich steht mein erster Beitrag von "Schottenberg unterwegs im Burgenland" in der ORF TVThek. Der ganze Kuddelmuddel rund um die Ausstrahlung tut mir wahnsinnig leid. Ursprünglich war die Ausstrahlung Mittwochs geplant, aber mir wurde extra gesagt, dass es auf Dienstag(s) verlegt wurde und auch auf der Website des ORF Burgenland und der Presseaussendung dazu wurde als Ausstrahlungsdatum Dienstag, der 27. 7. genannt.
Sei's drum', jetzt ist das Video online und die nächsten Folgen werden wöchentlich immer am Mittwoch um ca. 19:20 Uhr nach Burgenland Heute ausgestrahlt. Viel Spaß beim Ansehen! 🛵🛵🛵
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Nau nau, af d‘ Roas!
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Af d'Roas!
Auswanderermuseum, Stremtalstraße 2, 7540 Güssing
‚Royal Mail Line‘ steht über dem Güssinger Geschäftsportal direkt neben dem Hotel Fassmann. Die modernen Motorschiffe ‚Asturias‘ und ‚Alcantara‘ bieten ihre Dienste an. ‚Wer hat noch nicht, wer will noch mal? Af d’ Roas! Af d‘ Roas! Wir bringen Sie sicher nach Argentinien, Uruguay, Peru und Chile!‘ Nicht weit davon entfernt die Filiale der ‚United State Lines‘: ‚Von Hamburg nach New York!‘ Oder: ‚Mit der ‚Express of Britain‘, dem größten und schönsten Schiff im Dienste der Europa-Kanada-Line auf schnellstem Reiseweg in alle Städte Kanadas und Amerika‘, Zweigstelle von ‚Adolf Halwax, Oberwart‘. Nicht erwehren kann man sich vor den fetten Lockangeboten. Arbeit nix. Kinder hungrig. Wohnverhältnisse armselig. Verteilung des Erbes, vergiss es. Also: Auf und davon! Der Aderlass des gerade erst zu Österreich gekommenen Bundeslandes ist eine Folge desaströser Wirtschaftsverhältnisse. Männer gehen in ihren besten Anzügen durch die Dörfer, ‚An- und Abwerber‘ heißen sie, ‚Mundwässrigmacher‘ sind sie. Die Dollarscheine haben sie in die Hutkrempe gesteckt und die Taschen sind voller Geld. Landet ein Scheinchen scheinbar zufällig im Straßenstaub, die Kinder balgen sich darum und die Erwachsenen lecken sich die Lippen.
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Auswanderermuseum Güssing
Allein in Güssing haben sieben Zweigstellen der großen Schiffsagenturen aufgesperrt und verkaufen rund um die Uhr Passagen in Richtung Neuer Welt. Tausende Wirtschaftsflüchtlinge drängen sich an Bord der großen ‚Liner‘ und wagen die abenteuerliche Reise über den großen Teich. Die meisten der Elenden sind in der Holzklasse untergebracht, gleich oberhalb der Wasserlinie, direkt über dem Maschinenraum. Aussicht gibt’s keine, außer die, auf ein besseres Leben. Ihre armseligen Koffer sind vollgepackt mit Hoffnung. Oben, in der aus Mahagoniholz getäfelten Bar, sitzen die Herren Wirtschaftsbetrüger und Spekulanten, paffen Havannas und schwofen mit fett geschminkten Miezen an der Tanzkapelle vorbei. Sie alle verbindet in diesem Augenblick eines - der ‚Big American Dream‘.
Ellis Island. Die Freiheitsstatue grüßt schon von weitem und am Pier von Dennis Island drängen sich die Hoffnungsvollen in langen Reihen. Im ‚German Belt‘, dem deutschsprachigen ‚Speckgürtel‘ der sich rund um den ‚Big Apple‘ erstreckt, kommen sie unter: Die Güssinger in Brooklyn oder Queens, die Seewinkler reisen weiter nach Minneapolis/St. Paul und die Oberwarter suchen oben am Lake Michigan nach Arbeit. Sechzigtausend Burgenländer können den ‚Af d‘ Roas!‘-Rufen der Güssinger Anwerber nicht widerstehen. Chicago wurde zur einwohnerstärksten Stadt des jungen Bundeslandes.
Der erste vor Ort war ein gewisser Johann Wenzel aus Grodnau. Über Bremen ging es via New York in die Neue Heimat – direkt in die Arme eines Methodistenpfarrers, der ihm Arbeit in einer Seifenfabrik verschaffte. Dafür aber musste er Methodist werden. Ein paar Lock-Dollars machen Lust auf mehr, also ließ sich der brave Johannes flugs in John umtaufen, stand schon am nächsten Tag in der Mühle und mahlte Tierknochen - das makabre Rohprodukt für Seife. Drei Jahre später wurde John nach Hause geschickt, um weitere Männer anzuwerben - was ihm auch gelang. Also machten sich weitere fünfundvierzig kräftige, junge Burschen mit ihm ‚Af d‘ Roas‘ nach Chicago, sprangen ins Taufbecken, um bei den Methodisten-Mühlen wieder aufzutauchen. Später folgten ihre Bräute nach. Das Schneeballsystem funktionierte: In den ‚Golden Twenties‘ standen nicht weniger als dreißigtausend Burgenländer in der großen Stadt am Lake Michigan und mahlten Knochen.
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Mit beiden Beinen im Leben
Rund hundert Jahre später lenke ich den Roller, vom Norden kommend, in Richtung ‚Perle des Südburgenlandes‘, nach Güssing. Das mächtige Burggemäuer thront wie eine weithin sichtbare Krone über das, in konzentrischen Kreisen rund um den Vulkankegel angelegte Gassengewirr. Das Wahrzeichen der schmucken Stadt imponiert: Es ist der älteste Burgkomplex des Südens, wehrhaft und imposant. Kein Wunder, dass sie alle hier vorbeikamen: Güssing ist einen Sidestep wert Die ‚EEE - Zentrum für erneuerbare Energie‘ hat heute ihren Sitz hier und kümmert sich in Sachen alternativer Energiegewinnung um nachhaltige, regionale Konzepte. Auch zahlreiche andere Erfolgsgeschichten gehen von der lebendigen Stadt an den Hofmann-Teichen aus: Gewerbe und Handwerk, Transport und Verkehr, IT, Banken, Versicherungen, Tourismus und Kultur, das Angebot erfüllt (fast) alle Wünsche. Meiner ist, mehr über die Wirtschaftsflüchtlinge in den Neunzehnzwanzigern zu erfahren.
Ich spaziere auf historischen Pfaden, träume mich weg und tauche ein in die Abwanderungsatmosphäre, begegne den Verlockungskünstlern, die hiesigen Mannsbildern die Reise in die Neue Welt schmackhaft machten und lande - im ‚Auswanderungsmuseum‘. Hier bin ich recht am Ort: Jede Menge Fotos, Koffer, Reiseutensilien, Faksimiles, Fahnen und – eine Zündholzschachtel. Zwei gekreuzte Schwerter sind drauf zu sehen, gute österreichische Qualitätsarbeit. Bemerkenswertes findet sich im Inneren der kleinen, halbgeöffneten Box: Ein Klümpchen brauner, vertrockneter Erde. „Heimaterde“, flüstert mir der Kustos und Gottseibeiuns des kleinen Gedenkhauses, der freundliche Herr Weinhofer ehrfürchtig zu.
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Ein Stück Heimat
Über der Reliquie hängt ein Brief: ‚… Ende Februar anfangs Maerz musste ich all meinen Lieben und der Heimat ein Lebewohl sagen … Ich wollte, da ich sehr heimatverbunden bin ein Stück Heimat mit mir nehmen, im Falle eines plötzlichen Todes, sodass mir ein kleines Broecken Heimaterde in den Sarg gelegt werden kann … Heimat fuer mich. Lieber Walter, bitte verzeih Fehler. Danke.‘
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Mit Gottes Hilfe ...
Es war wohl kein Einzelfall und der Aderlass der ehemaligen Südwest-Ungarn, vulgo Neo-Österreicher, war groß. Die Entwurzelten suchten nach Halt. Sie fanden ihn im ‚Verein zur Erhaltung der Heimatverbundenheit der Burgenländer in aller Welt‘ mit (heutigem) Sitz und Büro in Güssing, das von der Landesregierung zur ‚Stadt der Auslandsburgenländer‘ ernannt wurde. Die Wertschätzung, die die immer noch hochaktiven ‚Hianzen-Wesen‘ erfahren, begründet sich nicht nur in der Organisation von weltweiten, feuchtfröhlichen Vereinigungstreffen, den sogenannten ‚Picnics‘, sondern auch im Bewahren ihrer Heimatverbundenheit und der Pflege gemeinsamen, alten Kulturgutes. Das Museum, als ein Ort emotionaler Erinnerung an die Vergangenheit und geistigen Inputs für die Zukunft, möge insbesondere der Jugend als eine ‚Anleitung zum Burgenländertum‘ zur Verfügung stehen. Sich zu seinen Wurzeln zu bekennen, um daraus Kraft und Energie für das Fortschreiben seiner Geschichte zu gewinnen und an einer gemeinsamen Zukunft zu bauen, dies alles trägt zu Identität von Gedächtnis bei.
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Friseur Franz in der Neuen Welt
Der Herr Kustos hängt rasch noch ein paar Wimpeln vors Fenster und ich schieße ein Erinnerungsfoto, dann verlasse ich den geschichtsträchtigen Ort. Zur Verabschiedung bekomme ich noch eine kleine Geschichte mit auf den Weg. ‚Ein junger Mann namens Josef Weber saß Tag für Tag am Güssinger Wochenmarkt, wo es nicht nur die begehrten Schiffspassagen zu kaufen gab, sondern auch all die vielen Dinge, die die Zurückgelassenen zum Überleben brauchten: Erdäpfel, Schmalz, Eier, Kokolores und - eine rosige Zukunft. Auch ein Wahrsager schlug hier regelmäßig seine Bude auf. Wo, wenn nicht hier? Der Beginn einer großen Kartenleger-Karriere war ihm beschieden. Der Weber Josef war er und er stammte aus Rax-Bergen. ‚Naunau, schau ma holt eine in die Koaddn‘, mit den immer gleichen Worten begann für seine Kunden das spannende Prophezeien. ‚Naunau‘ sollte zu seinem Spitznamen werden und sein Ruf reicht bis zum heutigen Tag. Partnerschaft, Nachwuchs, Berufsberatung und Abwanderung – nach allem konnte man sich bei ‚Naunau‘ erkundigen. Ob er die richtige Antwort wusste ist eine andere Frage. Aber er verkaufte Hoffnung, und das ist nicht wenig. Eines Tages kam ein Mann zu ihm und erkundigte sich, ob er wohl eines dieser zukunftversprechenden, seine Barschaft ordentlich belastenden Tickets erwerben soll. ‚Naunau‘ schlug die Karten auf, sah ihm tief in die Augen und sagte: „Naunau, z‘erst speibst dich während der Überfahrt an, dann speibst, weil‘st den Knochenofen net vertragst, dann speibst, weil dich a amerikanisches Madl slitzen lasst und zuletzt speib’st, weil’st vor lauter Heimweh zum Träumen aufg’hört hast.“ „Das hoaßt, i soll goa net fahr’n?“, fragte der Mann. „Naunau. Af d‘ Roas! Weil wenn’st da bleibst, speibst dich erst recht an, weil’st nämli so gern g‘fahr’n wärst.“
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Das Wappen
Der Wahrsager sollte auch diesmal Recht behalten. Der junge Mann kaufte, fuhr, und kam bald darauf als Millionär zurück. Das aber hat ‚Naunau‘ nicht mehr erlebt - daran hätte wohl nicht einmal er selbst geglaubt!
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Ein Ort des Widerstandes
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Das Turmhaus zu Unterrabnitz
Rabintztaler Malerwochen, Am Kastell 2, 7371 Unterrabnitz
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Der Tausendsassa Harro Pirch
Hier muss man nicht, man kann. Man soll nicht, man darf. Keiner zwingt, aber jeder will. ‚Kultur beginnt im Herzen des Einzelnen‘, sagt der Denker Nestroy, und der Kasperl Johann Nepomuk sagt: ‚Wenn ich spiel, leb‘ ich, wenn ich nicht die Wahrheit sag‘, sterb ich‘. Der Großmeister des geschliffenen Wortes hat die Bühnenkunst als sein Ausdrucksmittel gewählt. Kunst hat er als einen Spiegel der Gesellschaft begriffen, kommentierend und kratzbürstig, bereit zum Widerstand. Kunst wurde auch schon zu seiner Zeit glorifiziert, vergewaltigt, totgesagt. Und doch hat sie Weltreiche begründet, Katastrophen getrotzt, Diktatoren überwunden. Kunst muss anecken, frivol und anrüchig. Kunst ist Krise. Es liegt an der Gesellschaft, ob sie sich ein geistiges Grundnahrungsmittel wie dieses leisten und erhalten will. Ein Staat, der der Kunst den Geldhahn abdreht, untergräbt seine eigene demokratische Zukunft, weil er dem Volk die Basis zur Gedankenfreiheit nimmt. Oft obliegt es der Kühnheit Weniger, dem Bedürfnis Vieler zu dienen. Kunst ‚überlebt‘ im Herzen der Mutigen.
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Der Hof
Ein solcher ist der Maler, Kunsterzieher, Kulturpapst und Tausendsassa Harro Pirch. Im idyllischen Unterrabnitz, Bezirk Oberpullendorf, ist die Welt (noch) in Ordnung. Es gibt einen Bienenzuchtverein (für Emsige), einen Verschönerungsverein (als Ortskosmetik), einen ‚Sparverein zum Weihnachtsschilling‘ (aus der Zeit gefallen), ein Frühmittelalterdorf (noch mehr), einen ‚Verein zur musikalischen Kommunikation zwischen den Völkern‘ (was immer das ist) und eine Schule. Und inmitten dieser Gemeinschaft lebt einer, der die Welt auf seine Art aus den Angeln hebt. Herr Pirch, der Sancho Panza des Rabnitztales, kämpft einen jubiläumsverdächtigen Windmühlenflügelkampf im Auftrag seiner Angebetenen Athene, der Göttin der Kunst. Die von ihm ins Leben gerufenen ‚Rabnitztaler Malerwochen‘ jährten sich im Jahre 2020 zum fünfzigsten Mal.
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Die Kunst wirft ihren Schatten voraus
Hier, in seinem Zaubergarten treffen sich Jahr für Jahr Künstler aller Sparten und Himmelsrichtungen. Sie malen, bildhauern, töpfern, schreiben und denken, essen und trinken, und bilden so ein großes Ganzes, gefügt aus einander ergänzenden Einzelnen, einem Bienenschwarm gleich. Und inmitten all dieser bunten Wesen thront eine Königin, die ohne die, sie umschwärmenden Einzelwesen nicht existieren könnte, und die ihrerseits das Überleben aller sichert. Herr Pirch ist eine solche Stockmutter. Der ausgebildete akademische Maler und Pädagoge, durch dessen Inspiration unzählige Kunstwerke das Licht der Leinwand erblickten und dessen pädagogisches Talent ebenso vielen Schüler*innen das Ende der Unwissenheit erschloss, wohnt und arbeitet und denkt in dem schönen Turmhaus, das längst schon zum Wahrzeichen des schmucken Örtchens wurde.
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In der Werkstatt des Künstlers
„Ich male ebenso gerne, wie ich unterrichte. Als Brotberuf begann es, zur lebenslangen Kraftquelle wurde es.“ Vielleicht half es ihm, einen künstlerischen Vorgang zu formulieren, weiterzugeben, zu (er-) klären. Ich, dem jedes Talent zum Formen und Zeichnen fehlt, bitte den Meister, mir in wenigen Worten das Wesen der Dreidimensionalität zu erklären. Harro Pirch lässt sich mit der Beantwortung der Frage Zeit. Er schenkt sich aus einer vor Kälte zitternden Bouteille ein Glas voll, schwenkt, prüft, spitzt die Lippen, schließt die Augen und – genießt. Dann blickt er mich ernst an: „Beim Menschen sieht der Maler zuerst den Umriss, dann sein Inneres. Von der Linie zur Form und von dort zur Seele. Sie wird durch die ‚Lichter‘ sichtbar, die er setzt. Verstehen Sie?“ Ich verstehe. „Handwerk. Erst wenn man das Geheimnis des schwellenden Striches durchschaut, weiß man um die Dimension. Bis hierher ist es erlernbar. Ab da wird es zur Kunst.“
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Spanien I
Wir sitzen im Innenhof des schönen Gartens, der aus Zufall so ist, wie er ist. ‚Gestalten heißt oft Zulassen. Ich bin alt geworden, er ist gewachsen‘ - das aber sagt er nicht. Das denke ich mir. Die Wiese ist übersät mit Gänseblümchen, die Sträucher werfen die ersten Knospen wie einen Sternenschauer über die Zweige. Drüben, entlang des ehemaligen Pferdestalls, ist das Holz aufgeschichtet, daneben lehnen Gerätschaften, die wohl schon lange nicht mehr benutzt wurden. Das Pförtnerhaus des ehemaligen Esterhazy‘schen Besitzes liegt da wie eines der von Theodor von Hoermann gemalten Gutshäuser, und die Pirchs wirken wie Bewohner einer lange schon versunkenen, illyrischen Welt. Abendlicht fällt durch den Garten und schraffiert Linienmuster an die schroff verputzten Wände des dreikantigen Hofes. „Ich war auf Sardinien und habe gemalt. Hunderte Aquarelle werden es gewesen sein. Ich war jung - und ich war glücklich. Die Arbeiten habe ich später meinem Lehrer an der Akademie vorgelegt. Er hat sie betrachtet, lange, dann hat er sie weggelegt und gesagt: ‚Heizen Sie’s ein!‘. Ich habe es gemacht.“ „War es so schlecht?“ „Ja.“ „Wie geht man als Künstler mit Kritik um?“ „Weiterarbeiten, weiterarbeiten, weiterarbeiten.“ Herr Pirch erhebt sich und holt ein neues Fläschchen Welschriesling. Ich habe nichts dagegen und beschließe, mich dem Moment zu überlassen. Als er wieder zurückkommt, frage ich, ob Malen erlernbar sei. Ich ahne die Antwort. „Natürlich!“, sagt er und schenkt mein Glas voll. „Wie?“, frage ich. „Mit Disziplin.“ Wir trinken drauf - und lachen. Das Leben ist gerade gut zu mir.
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Spanien II
An drei neuralgisch schönen Plätzen hat Pirch, der ‚Maler und Handwerker‘ seine Träume verwirklicht: Auf der Bosporus-Insel Burganz vor Istanbul (wo er fünf Jahre lang im St. Georg Kolleg unterrichtet hatte), in Borgo Valsugana (Trentino) und eben hier, im Turmhaus zu Unterrabnitz. Überall gelang ihm das gleiche Kunststück: Künstler*innen aus aller Herren und Damen Länder treffen einander und verfolgen gemeinsame Pläne. Und mitten drin der Eigenbrötler, Kunstvernetzer, Menschenversteher und Maler Pirch, der am Genuss seine Freude hat, das Leben trinkt, sein Talent lebt und Freundschaften pflegt. Insgesamt werden es knapp hundert, von ihm veranstaltete ‚Malerwochen‘ gewesen sein, in denen gearbeitet und gelebt wurde – ein Einzelner kann im Laufe seines Lebens nicht mehr tun für Andere. „Die Künstler blicken sich gegenseitig über die Schulter und - verändern sich.“ „Warum tun Sie sich all diese Mühe an?“, frage ich. „Weil es mir Spaß macht“, die Antwort kommt prompt. Er wusste sie schon lange bevor ich fragte.
„Wieviel ist dem Land diese Institution wert?“ „Nicht mehr als ein Zubrot“, sagt er. „Im Grunde finanziere ich.“ Wenn es ums Geld geht, wird Kultur zur ‚Posse ohne Gesang‘. Kaum Geld für viel Musi. Noch einmal Nestroy: ‚Die Phönizier haben das Geld erfunden - aber warum so wenig?‘
Kunst, die sich nicht an den Mainstream verkauft, sondern ihrem kulturellen Auftrag nachkommt und kritisch subversiv bleibt, rechnet sich höchstens geistig oder emotionell, keinesfalls aber ökonomisch. Einer wie Harro Pirch weiß das. Indem er weitgehend selbstständig arbeitet, bleibt er unerpressbar. Erst der Mut und die Kühnheit, Projekte wie dieses gegen jede Erwartungshaltung zu bürsten, auch Kontroversen zu provozieren, schafft Profil. Die ‚Rabnitztaler Malerwochen‘ müssen ein Ort des Widerstandes bleiben. Sonst taugen sie nichts, nicht mal zum Dialog untereinander.
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Spanien III
Und dann führt mich der sanfte Rebell durch die Ausstellung, in der viele seiner eigenen Arbeiten hängen und noch mehr andere. Und ich staune über einen Mann, der so verschwenderisch viel von der Kunst und der Seele der Menschen versteht, und ich denke, solche wie ihn müsste es mehr geben. Und ich denke, zum Glück gibt’s wenigstens ein paar davon. Und dann weiß ich es: Es gibt zumindest einen.
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Das Lachen der Kinder
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Das jüdische Ghetto in Eisenstadt
Synagoge Kobersdorf, Schloßgasse 25, 7332 Kobersdorf
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Die jüdischen Gemeinden
‚Hochfürstlich Esterhazy Schutzjuden‘, nannten sie sich stolz, die vorwiegend orthodoxen Juden, die sich in sieben burgenländischen Gemeinden, von Eisenstadt bis Kobersdorf, von Frauenkirchen bis Deutschkreutz angesiedelt haben, nachdem sie von Joseph I. aus Wien vertrieben wurden. Die Esterhazys nahmen sie auf, verlangten zwar Steuern, gewährten aber Schutz - zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts keine Selbstverständlichkeit. Die Hochblüte jüdischen Lebens in Südwestungarn war um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts erreicht, als stolze achttausend Nachfahren Abrahams, Isaaks und Jakobs hier ihre Heimat fanden. ‚Schutzbriefe‘ regelten Rechte und Pflichten. Die Lebenssituation der seit der Angliederung Südwestungarns an Österreich jüdischen Neo-Burgenländer änderte sich erst im März 1938 dramatisch, als der Gauleiter Tobias Portschy die Absicht bekundete, ‚die Agrarreform, die Zigeunerfrage und die Judenfrage mit nationalsozialistischer Konsequenz zu lösen‘.
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Die Synagoge von Kobersdorf
Am 20. April 1938 poltern SA-Schergen an der Haustüre des Kobersdorfer Rabbiners Simon Goldberger, dessen Frau zu diesem Zeitpunkt erst drei Wochen nach Niederkunft ihres dritten Kindes ist. Dunkle Schneewolken liegen über dem Tal, die Familie ist um den Holzofen in der Küche ihres kleinen Hauses versammelt. Es ist einer der vier ‚Mittleren Tage‘ des Pessach-Festes, Chol HaMoed genannt, und der Rebbe erzählt die Geschichte, als die Juden aus Ägypten auszogen und im Meer auf dem Trockenen gingen und Lieder sangen. Gerade als sich seine Frau an die Zubereitung des Mahles macht, hören sie Stiefeltritte an der Türe. Der Mob hat die Zwangsdeportation beschlossen und man ist dabei, sie gründlich zu exekutieren. Sie zerren den Rebbe, die Frau und die Kinder ins Freie, werfen sie auf die Pritsche eines Lastwagens, plündern den Hausrat und brausen los. Lautes, höhnisches Gejohle dringt aus den Häusern ringsum. Nahe der ungarischen Grenze hat die Fahrt ein Ende. Die Teufelsgesellen schmeißen die Goldbergers, samt Möbel auf den gefrorenen Waldboden. Ein eisiger Schneesturm fegt über die vor Kälte zitternden Kinder hinweg. Vor ihren Augen wird der wehrlose Vater zu einem blutenden Fleischklumpen geschlagen. Nachdem die Peiniger auch noch den Babys, deren Finger und Zehen bereits abgefroren waren, die Decken, mit denen sie notdürftig verhüllt waren, klauen, verfügen sie sich ins nächste Wirtshaus um den Erfolg der Amtshandlung gebührend zu begießen. Das ‚Judenpack‘ überlassen sie ihrem Schicksal. Der schwerverletzte Rabbiner indes schleppt sich und seine Familie über die einige Meter entfernte Grenze nach Ungarn und bittet dort um Asyl.
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Jom Kippur
Dieses schaurige Ereignis steht am Beginn einer langen, unerträglich langen Reihe an Verbrechen, mit der die braune Kloake das Land überzog und die Welt in die Hölle führte. Der Rebbe von Kobersdorf, seine Frau und seine Kinder überlebten die Shoa nicht.
Der Geschichte des Simon Goldberger wurde jüngst ein neues, spätes Kapitel hinzugefügt. Dem Direktor des jüdischen Museums Eisenstadt gelang im Oktober 2019 am Jüdischen Friedhof in Kobersdorf ein sensationeller Fund: Der zerbrochene Grabstein eines Genisa-Grabes, in dem, laut Inschrift, dreizehn Tora-Rollen der nahegelegenen Synagoge bestattet wurden. Mit ‚Genisa‘ werden sowohl Räume als auch Gräber bezeichnet, in denen koschere, in Gebrauch befindliche Schriften und/oder liturgische Gegenstände begraben und so vor fremdem Zugriff geschützt werden. Mit ungelenker Schrift ist auf dem Grabstein das Datum der immerwährenden Schande von Kobersdorf eingraviert: ‚יום ג’ דחו”ה מ”פ תרצח‘, was so viel wie ‚Z(wi)sch(en)f(eier)t(ag) von P(esach) 698‘ heißt - oder 20. April 1938. Der Rebbe hatte sein Ende vorhergesehen.
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Der Genisa-Stein
Das burgenländisch-jüdische Leben verbrannte auf den Scheiterhaufen des Holocaust. Nur fünfundvierzig Überlebende fanden nach dem Krieg den Weg zurück in ihre alte Heimat. Heute leben hier nur mehr eine Handvoll davon.
Die Synagoge von Kobersdorf hat längst ausgedient. Sie wird als Kulturzentrum weitergeführt. Auch die Synagoge in Eisenstadt, die älteste des Landes, dient nur mehr musealen Zwecken. Zeit fegt über Leben hinweg. Erinnerungen verblassen. Das Gedächtnis entlässt das Gewesene ins Nichts. Dass nicht sein soll, was nicht sein darf, verdanken wir dem Instinkt des Judaisten und Grabinschriften-Scouts Johannes Reiss, der in Stein geritzte Botschaften zu deuten versteht. Seine Arbeit ermöglicht es Jenen, deren Verlust ihrer Identität immerwährendes Vergessen droht, Name und Würde zurückzugeben. Steine beginnen zu sprechen, und dem Vergangenen wird Erinnerung geschenkt. Das Geheimnis des Genisa-Grabes von Kobersdorf erzählt die Geschichte des Rabbi Goldberger. Erinnerung wird lebendig und Worte erhalten ihre Bedeutung zurück. Tatsächlich beschäftigen sich weltweit nur eine Handvoll Gelehrte mit diesem nobelpreisverdächtigen Unterfangen.
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Die Jahrzeittafeln und der Geschichtenversteher Johannes Reiss
Ich treffe den Mann auf geweihter Erde: Zwischen den verwitterten Grabsteinen des ‚Hauses der Ewigkeit‘. Mit Bürste und Kreide rückt er den Steinen von Kobersdorf an den Kragen. „Der hier interessiert mich schon lange. Ein Dreier!“, ruft er mir von Weitem zu und deutet auf ein verwittertes, mit Moos überzogenes, dreiteiliges Grabmal. Seine Augen funkeln. Die Steintafeln haben als oberen Abschluss Rundungen. „Das Sterbedatum ist mit 1894 umschrieben. Die Vergangenheit verbirgt sich hinter Rätseln. Das soll auch so sein.“ Mit einem Stück Kreide weißelt er den Stein, dann putzt er mit einem Lappen nach. Wie aus dem Nichts erscheinen auf dem Sandstein Schriftzeichen. Die Ewigkeit wird durchlässig. „Der Name ‚Meier‘… Hier! Und hier!“ Er beugt sich vor um besser zu sehen. Zeichen um Zeichen berührt er mit den Fingern, als wäre er ein Blinder, der zu lesen beginnt. „Leiden! Hier steht ‚Leiden‘! Die anderen Schriftzeichen… Ich verstehe sie nicht. Noch nicht.“ Seine Augen bekommen einen feuchten Schimmer, sie glitzern wie Sterne. Ich sage: „Seit wann kommen Sie hierher?“ „Ich bin hier zu Hause. Manche Steine kann man nur unter gewissen Lichtverhältnissen lesen. Dort drüben!“ In der Nähe einer Tanne steht ein unscheinbares Grab. Er kniet nieder und befühlt den Stein. „Sehen Sie? Ein Hammer.“ Tatsächlich, über der Inschrift sehe ich ein Zeichen, das einem Werkzeug gleicht. „Darunter steht ‚Michael Bauer‘.“ Zärtlich berührt er den Stein. „Ich habe den Mann in der Dorfchronik gefunden. Er galt als behindert und hat mit seinem Hammer auf hölzerne Plättchen geklopft, die an den Haustüren befestigt waren. Er hat zum ‚Schma Jisrael‘ gerufen: ‚In Schul! In Schul!‘“ Wie manisch streift der Gelehrte aus Eisenstadt mit der Hand über Grabsteine und liest aus Vertiefungen, Punkten und Linien. Geschichten, die dem Vergessen überantwortet waren. Indem er Verschüttetes freilegt, macht er Überlieferung begreifbar. „Hier lag der Genisa-Stein. Und dort, dort drüben liegen die Großeltern vom Maler Fuchs!“ „Wie finden die Menschen Sie?“ „Zufall. Übers Internet. Menschen auf der ganzen Welt suchen nach ihren Familien. Ich schenke sie ihnen zurück. Gräber sind Identität. Man muss sie nur zu lesen lernen.“
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Das Haus der Ewigkeit
Herr Reiss hat mir eine verschlossene Welt geöffnet. Leid, Erinnerung, Vergessen, Lebenslust. Wir reichen einander die Hand. Dann setzt er sich in seinen Wagen. Er hat genug gelesen für heute.
Die Straße führt den Abhang hinunter. Hinter mir, zwischen den Gräbern, höre ich ein Geräusch. Zwei Rehe aus dem nahen Wald suchen nach Futter. Trotzdem der Friedhof umzäunt ist, haben sie den Weg hier herein gefunden. Die Dämmerung legt sich über die Gräber und der ausgehende Winter sendet seine letzten Boten vorbei. Dunkle Wolken ziehen über das Tal. Bald wird es Frühling. Trotz der Kälte empfinde ich eine tiefe Wärme in mir. Ich blicke über die Weite der Landschaft, das Schloss, die ebenerdigen burgenländischen Häuser. Weit drüben, etwas verdeckt, stehen die Reste der alten, ehrwürdigen Synagoge. Ich denke an Rabbi Goldberger, seine Frau Paula und die kleinen Söhnchen. Ich starte meinen Roller und fahre zurück nach Wien. Aus einem der umliegenden Häuser höre ich helles Kinderlachen.
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Letzte Woche durfte ich auf der Burg Schlaining mein Buch "Schotti to go. Burgenland für Entdecker" zum 100. Geburtstag des Burgenland sozusagen "offiziell" präsentieren. Vielen Dank für den wundervollen Empfang und die Gastfreundlichkeit, besonders an den Landesrat Leonhard Schneemann und die Landtagsabgeordnete Doris Prohaska. Es war mir eine große Freude! 📕📗📘
Foto: Landesmedienservice Burgenland / Daniel Fenz
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Schon gesehen? Mit dem ORF Burgenland geht es zum Tourguide Mario Baier nach Neumarkt in St. Martin an der Raab mitten in die Natur. Hier kann man wunderbar mit dem Kanu durch die grüne Flusslandschaft paddeln und den Alltag hinter sich lassen.
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