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#Tempel der Zapoteken
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Der fliegende Derwisch
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Der fliegende Derwisch
Peter Noevers Land Art Project ‚The Pit/Die Grube‘, Breitenbrunn
Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī, Sufi-Mystiker und einer der bedeutendsten persischen Dichter, geboren 1207 vermutlich in Qurghonteppa, der Hauptstadt der Provinz Chatlon an einem der Quellflüsse des Amudarja, im Südwesten des heutigen Tadschikistans. Rumi war Suchender, Liebender, Poet und Lehrer und während sich sein Leben, gleich den Derwischen, im Wirbeltanz drehte, zogen an ihm aberzählige Geschichten, Gleichnisse und Gedichte vorbei, die er festhielt, um sie seinen Schülern zu überantworten. Sie gewähren Einblick in Reichtum und Romantik der persischen (Religions-)Philosophie, deren einer ihrer Vertreter Rumi war. ‚Komm, komm, wer immer du bist! Komm, auch wenn du tausendmal deine Versprechen gebrochen hast! Komm, ob du Jude, Christ oder Moslem bist. Komm!‘
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Der Keller
Ich komme zu einer der wahrscheinlich schönsten Begegnungen meiner Reise durch das hundertjährige Land, die mit dem Designer, Museologen, Chefredakteur und Herausgeber, Museumsdirektor (MAK Wien und MAK Center for Art and Architecture, Los Angeles), Utopist, Aktionist und Philosoph - Peter Noever. Der Mann hat ein riesiges Oeuvre, ein größeres, als manch einer sonst. Als Künstler geht er den wagnisreichen Weg, als Leitwolf Gleichgesinnter kämpft er seit jeher gegen Frust und Provinz. Seine Projekte sind weltweit vernetzt. Das ist das Stichwort: Er ist einer, der globales Kunst- und Kulturmanagement lebt, ein zwischen Anspruch und ‚Art and Commerce‘ sich drehender Derwisch, ein Grenzgänger und Liebessucher (das sowieso) in Personalunion. Der Mann ist eine kühne Wiener Mischung aus Intuition und Instinkt. Das Phänomen PN ist schwer zu fassen, einfach weil er nirgends zu Hause ist – vielmehr überall, am ehesten inmitten seines strengen Kunstanspruchs. 
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Der Erdplatz
Ich wähle seine Nummer und bitte um einen Termin. Den gewährt er mir – zwei Monate später. „Kommen Sie nach Breitenbrunn. Sie werden mich finden.“ ‚The Pit‘ heißt sein einzigartiges Land-Art-Project. Es geht schon gut los. Nachdem ich die immer gleiche Kellergasse auf- und abgefahren bin, bleibe ich etwas ratlos bei einer Feriensiedlung stehen. Ein Mann sieht mich fragend an. „Was wollen‘s denn vom Herrn Noever?“, sagt er, bevor ich um den Weg dorthin frage. Sieht man mir an, wonach ich suche? „Ich habe einen Termin.“ Der Mann scannt mich von oben bis unten. „Hab ich mir gedacht.“ Er verschwindet im Haus, nach einer Weile kommt er und setzt sich in sein Auto. „Folgen Sie mir.“ Ich folge. An einer frisch getünchten Mauer bleibt er stehen und lässt das Seitenfenster herunter. „Hier läuten! Viel Spaß.“ Er gibt Gas. Ich sehe, wie er mich im Rückspiegel beobachtet. Breitenbrunn, denke ich. Hier braucht‘s nicht viele Worte. 
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Klosett mit Betonplateu
Ich läute – nicht. Denn Klingel gibt’s keine. Hier kommt man vorangemeldet oder gar nicht. „Hallo?“, belle ich ins Handy, nicht ahnend, dass er bereits hinter mir steht. Peter Noever kommt nicht. Er ist da. „Ich habe Sie erwartet.“ Wir steigen eine steile Kellertreppe hinunter in Richtung Erdkern. Gut sechzig Meter Ziegelgewölbe liegen vor mir. Ein langer Tisch. Flaschen an beiden Seiten, die meisten sind leer. Vorne, ein Lichtschein. Draußen scheint die Sonne, hier drinnen bin ich blind. Noever berührt meine Schulter: „Gehen Sie. Bitte!“ Ich tappe vorwärts und stolpere auf einen der schönsten Plätze zu, die ich je sah: ‚The Pit‘ – ‚Die Grube‘. Vor mir liegt der Boden eines kleinen Vulkankegels. Die bepflanzte, steile Böschung ragt konisch auf. „Dies war der Beginn“, sagt Peter Noever und drückt mir einen Lageplan in die Hand. Dann trinken wir Kaffee, schwarz und stark. Auf dem großen Tisch aus Sandstein, steht eine Schale voll mit Erdbeeren. Ich sage: „Burgenland?“ „Billa. Marokko.“ Er beobachtet mich. 
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Der Tempel der Zapoteken
‚The Pit‘ ist ein Projekt, das seinen Anfang in den frühen Neunzehnsiebzigern nahm. „Der Keller hat mich gefunden. Ich habe ihn sofort gekauft, Garten und Steinbruch inklusive. Seit damals arbeite ich hier. Ich führe einen jahrzehntelangen Dialog mit der Landschaft. Entscheidend sind die Materialien: Sandstein und Beton. Irgendwann sehen ihre Oberflächen gleich aus, mit der Natur aber kontrastieren sie.“ Ich blicke mich um. Die eine Steilwand ist übersät mit unzähligen blauen Blumensternen, die andere ist gebuscht. „Zufall. Ich belasse die Natur, wie sie ist. Sie hat dasselbe Recht wie ich. Ich stelle Kunstwerke auf, sie antwortet darauf. Das finde ich spannend.“ In dem Garten, der kein Garten ist, sondern ein Park, eigentlich Wald, stehen Kunstwerke von Pichler, Bugaev Afrika und Noever. Sie existieren nebeneinander, ohne dass das eine das andere bevormundet. Man muss sich ihnen über Wiesen, vorbei an Spiraea-Büschen, durch dichtes Blattwerk und schmalen Waldwegen nähern. „Die Büsche markieren die Grenze. Habe damals ein bisschen zu viel gesetzt. Das Grundstück wird dadurch kleiner“, lacht er, „Ich weiß längst nicht mehr wo es beginnt und wo es zu Ende ist. Ist auch nicht wichtig.“ Das riesige Stück Natur ist selbst zum Kunstwerk geworden. „Dort drüben…!“ Wir schlagen uns durchs Unterholz, überqueren den Steinbruch und stoßen auf eine Wiese die sich als ein Kosmos tausender flatternder, hauchzarter Geschöpfe entpuppt. „Lepidopterologen der Universität Wien forschen hier. Ich hatte keine Ahnung von der Existenz der Schmetterlinge. Einmal kam ein Gelehrter vorbei, fotografierte und krakelte  Aufzeichnungen in ein Buch. Seither liegen hier Sommer für Sommer Studenten im Gras und beobachten die kleinen Geschöpfe. Die Schmetterlinge finden hier ideale Lebensbedingungen vor. Ein weiteres Kunstwerk. Aber ein lebendiges.“ 
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Sitzgruben, Walter Pichler
Wir streifen durch mannshohes Gras und stehen vor einem Betonquader, in den an einer Seite eine schmale, hohe Türe geschnitten ist. Das Kunstwerk sieht aus wie einer der Zapoteken-Tempel im mexikanischen Monte Albán. „Ich bin fasziniert von der Atzeken-Kultur“, sagt Noever, „Relikte außergalaktischer Lebens auf unserem Planeten haben mich immer schon fasziniert. Erich von Däniken. Erinnern Sie sich?“ Er öffnet die Türe des raumschiffartigen Gebäudes - ich erwarte eine geheime, nachgebaute Kultstätte. Menschenopfer? Der Meister wendet sich um. „Meine Einstiegsarbeit. ‚Klosett mit Betonplateau‘, heißt sie. Der Beginn allen Lebens.“ Im Inneren der kleinen Festung befindet sich eine gemauerte Hochsitzbank, in die zwei runde Löcher geschnitten sind. Ein Doppel-Plumpsklo. Gegenüber der Besucher gibt ein flaches Fenster den Blick zu Noevers Hochzeitsbäumen frei. „Ein Geschenk. In zweihundert Jahren werden sich ihre Kronen vereinigt haben. Die Aussicht ist dann noch schöner.“ 
Der Weg führt den Steinbruch hinunter zu einem Kunstwerk von Walter Pichler. ‚Sitzgruben‘, nennt es sich. „Nehmen Sie Platz!“ Kaum ausgesprochen, verschwindet PN in einer der betonierten Gruben. Ich setze mich – und verschwinde ebenfalls unter der Erde. Mir gegenüber nehme ich zwischen Gräsern und Steinnelken, klein wie eine Hummel, den Kopf des Kunstphilosophen wahr. „Hier sind wir gesessen und haben tagelang gesprochen und getrunken. Die Natur war immer mit uns. Auch in uns“, ruft er mir zu, „Pichler war ein Freund. Seine Kunstwerke verblieben immer dort, wo sie gebaut wurden. Gelebt hat er von den Skizzen.“ 
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Kunst für Budapest
Ortswechsel. In einer der schroffen Steinbruchwände erkenne ich die Umrisse zweier Figuren: ‚Muttergottes mit Kind‘. „Keine Ahnung, wie die zu mir kam. Wahrscheinlich hat sie einer der Arbeiter in den Stein geritzt“, brummt er. Manchmal fällt einem ein Werk auch in den Schoß. Kunst und Leben. Dann gehen wir zurück, vorbei an  sechsunddreißig, in Form eines Rechtecks positionierten ‚Betonkuben‘, die Noever einst für eine Freiluftausstellung in Budapest gegossen hat, wobei der Transport hin- und zurück mit zum Kunstwerk gehörte. 
Durch die ‚Flügeltreppen‘ steige ich zum ‚Steinbruchgang‘ hinunter, durch den wir zu Beginn der kleinen Exkursion in den Wald hinaustraten. Die schnurgerade und mit Gras bewachsene ‚Nadel‘ teilt den Garten wie einer der Pfeile, die Domenigs Steinhaus am Ossiacher See durchdringen. „Günter war ein Unerbittlicher, ein Strenger. Einer meiner liebenswertesten Freunde.“ 
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Flügeltreppen
Ich nehme an dem Steintisch vor dem Keller Platz. Kalter Weißwein steht wie von Zauberhand da, dazu ein paar Sandwichs. „Habe ich aus Wien mitgebracht. Ich bin kein Koch.“ Ich frage, wie der Ort, das Land, zu dieser, seiner Lebensarbeit steht. „Einerseits, andererseits“, sagt er, „Einerseits ist alles hier unter Denkmalschutz gestellt. Auch Sie, als Besucher. Für die Dauer Ihrer Anwesenheit sind Sie Teil eines Gesamtkunstwerkes. Da sich ‚Die Grube‘ aber um ein ‚work in progress‘ handelt, verändert sie sich. Sie werden bald gehen, die Steine verwittern, die Lebenserwartung der Schmetterlinge zählt kaum mehr ein paar Wochen, die Baumkronen schmiegen sich erst in vielen Jahren ineinander, die Blumen verblühen, die Monumente sind dem Verfall ausgesetzt. Die Veränderung ist ein einberechneter Faktor. Der gegenwärtige Zustand kann nicht gehalten werden – soll auch nicht. Andererseits untersagt mir die Gemeinde neue Kunstwerke zu errichten. Die Pläne liegen seit Jahren vor, aber ich darf nicht bauen. Man schützt die bestehende Kunst, akzeptiert die Veränderung, untersagt ihr aber zu wachsen. Als ob man dem Maler verbietet, zu malen. Um nicht zu verzweifeln nehme ich sogar diese absurde Intervention der Bürokratie als eine, wenn auch höchst provokante Kunstaktion wahr. Folgerichtig, wenn auch in sich fragwürdig.“ Peter Noever sieht mich aus müden Augen an. Der Kunstphilosoph führt hier, inmitten seines Kunstparks einen großartigen Dialog mit der ihn umgebenden Natur. Der mit der Gemeinde ist ungleich schwerer. 
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Der Steinbrecher
„Kommen Sie wieder!“, sagt er, als ich auf die kleine, verschwiegene Kellergasse hinaustrete. „Gerne“, sage ich. Der große, alte Mann, der zusieht wie sich Bäume vereinen, wie Steine zu Worte werden, und wie Schmetterlinge um ihr Leben tanzen, wartet auf das Paradoxon, dass Kunst begriffen wird. Er blickt mir nach, während ich mich auf meine Vespa setze, dann wendet er sich entschlossen ab, um sich gleich darauf nochmal um die eigene Achse zu drehen und mir zuzuwinken. Ist er einer der tanzenden Geliebten des Sufi-Dichters Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī, der mit seiner Poesie und Weisheit der Welt so manches Lied sang, so manches Mal auf der Nase herumtanzte? Vielleicht ist er ja auch einer ihrer Nachfahren - ohne sich dessen bewusst zu sein. Vielleicht ist er einer jener Philosophen, die ein Leben lang einen Schmetterlingstanz um ihre Gedanken vollziehen. ‚Wer nicht schmeckt, der weiß nicht‘, sagte einst Rumi. Peter Noever hat in seinem Leben viel probiert, viel geschmeckt. Er weiß. Er wird den Ausweg aus dem ewigen Kreislauf des Unverständnisses finden. Ich bin mir dessen sicher.
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Die Nadel
Ich verlasse diesen schönen, ruhigen, um sich selbst wirbelnden Ort. Ein Ort, in dem die Gedanken nicht zur Ruhe kommen wie ewig tanzende Derwische in der Tiefe orientalischer Mystik. 
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endlosestrassen · 7 years
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16.3.
Juchitan de Zaragoza wird nicht als Topziel in Erinnerung bleiben, es ist , wie schon erwähnt , keine Hochburg der Kultur, aber als Stadt die von Landwirtschaft, Fischfang und Handel lebt, ohne im direkten Umkreis alter Tempel oder Nationalparks zu sein, hat sie’s auch nicht leicht. Im Laufe des Tages, nachdem wir uns früh am Busschalter wie immer leicht zu teure Tickets geholt hatten, fanden wir doch noch das eine oder andere ansehenswerte Gebäude, wunderschöne Wandmalereien, ein kleines , aber feines kostenlose Kunst- und archeologiemuseum, eine hübsche Kirche sowie einen beeindruckenden, wenn auch sehr engen Markt. Die 200km weiter nördlich praktizierte Art des Ökotourismus wird hier leider ad absurdum geführt, zum Speiseplan zählen Schildkröten, deren Eier, Leguane etc pp. Die Zapoteken und ihre Traditionen…. Dafür gibt es wunderschön bunte Kleider für die Damen und die Muxes sowie farbenfrohe Feste. Überall wimmelt es von Minitaxis , dreirädrige Mopeds mit Dach, sowie normalen Taxis. Eine Fahrt mit ersterem kostet 25 Cent, letztere schlagen mit 1,25€ zu buche. Entspannt. Im Stadtpark wimmelt es von laut singenden Vögeln, Schirme sind angebracht, sonst wird es im wahrsten Sinne des Wortes beschissen. Frauen spielen tatsächlich eine große Rolle, sowohl im Straßenbild als auch in Form von Monumenten und Wandmalereien. Die Polizei, welche sehr massiv zu sehen ist, besteht aber auch hier größtenteils aus Männern. Etwas seltsam fühlt es sich schon an, wenn man ganztägig ständig auf schwer bewaffnete Uniformierte trifft, Revolver (Carota ;) ) und Maschinenpistole gehören immer dazu. Über die genauen Gründe weiß ich nichts, und während unserer Anwesenheit sind mir keine Gesetzesübertretungen aufgefallen. Toitoitoi. Morgen geht es wieder in eine schöne Ortschaft. Pueblo Magico, San Cristobal. Letzter großer Aufenthalt in Mexiko. Vielleicht gibt es dort endlich mal wieder ein einigermaßen funktionierendes Internet, da gibt's dann auch mal wieder kurze bewegte Bilder...;)
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