Tumgik
#dass die linke die einzige partei ist der der afghanistaneinsatz vorgeworfen wird
todaviia · 3 years
Text
Übrigens, Redebeitrag der PDS (jetzt Die Linke, ab S. 20) vom 22.12.2001 im Bundestag im Zuge der Debatte, ob die Bundeswehr militärisch in Afghanistan eingesetzt werden soll (damals angeblich auf 6 Monate begrenzt) Hervorhebungen von mir:
Präsident Wolfgang Thierse: Nun erteile ich dem Kollegen Wolfgang Gehrcke, PDS-Fraktion, das Wort.
Wolfgang Gehrcke (PDS): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe nicht gerade das Gefühl, dass ich mit irgendjemandem im Bett liege. Ich muss aber zugeben, dass es eine verführerische Alternative zu dem wäre, was hier abläuft. Wir sollten uns ernsthaft damit auseinander setzen - das ist der Gegenstand der Diskussion in meiner Fraktion - wie rasch Hilfe für das afghanische Volk erfolgen kann, für ein Volk, das von Kriegen und Grausamkeiten geschunden ist, für ein Volk, das militärische Interventionen - sei es von Großbritannien als Kolonialmacht, sei es von der Sowjetunion oder sei es von den Amerikanern - über sich ergehen lassen musste, für ein Volk, auf das Bomben und Raketen abgeworfen worden sind und das von örtlichen Kriegsherren, von Fanatikern und von Mörderbanden ausgeplündert worden ist. Das ist unsere Zielsetzung. Wir glauben, dass es nicht so geht, wie es von der Mehrheit hier vorgeschlagen wird.
Ich hoffe - das will ich hinzufügen - dass wir mit unserer Auffassung Unrecht behalten. Ich befürchte aber, dass sie richtig sein wird. Gern würde ich im Interesse des afghanischen Volkes bezüglich meiner Prognosen Unrecht behalten.
Wir haben einen anderen Weg vorgeschlagen - die Beendigung des Krieges in Afghanistan ist dabei für uns die Voraussetzung - eine UNO-Mission nach Kap. VI der Satzung der Vereinten Nationen. Das hat nichts mit einem robusten oder weniger robusten Einsatz zu tun; auch eine Mission gem. Kap. VI kann robust sein. Wir haben vorgeschlagen, rasch humanitäre Hilfe zu leisten und die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.
Das ist dringend notwendig. Wir haben eine Unterstützung bei der Minenräumung und beim Aufbau einer zivilen Verwaltung vorgeschlagen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine Bemerkung zu dem machen, was Kollege Struck hier gesagt hat; Kollege Irmer hat in diesem Zusammenhang noch draufgesattelt. Ich setze mich gern mit Geschichtsfragen, die mich und meine Fraktion betreffen, auseinander; aber nur dann, wenn sie nicht platt gestellt werden. Heute will ich jedoch von der Plattheit absehen. Natürlich ist es berechtigt, uns immer wieder zu fragen, was wir zu bestimmten Positionen gesagt und was wir in diesem Fall getan haben. Ich gehöre zu denjenigen, die die sowjetische Intervention in Afghanistan gerechtfertigt haben.
Dies habe ich aber mit den gleichen schlechten Argumenten gemacht, wie ihr das heute tut. Auch ich habe damals von dem Unsinn des Kampfes gegen den Terror und gegen Banditengruppen und von der Beförderung des kulturellen Fortschritts gefaselt.
(Widerspruch bei der SPD)
Diese Argumente waren damals schlecht und sie sind heute nicht besser geworden
Ich sehe nicht ein, warum man sich heute davon absetzen muss, Schwerter zu Pflugscharen umformen zu wollen. Ich kann euch ja einmal vorlesen, was in eurem Programm steht. Wir alle wollten das einmal. Daran sollten wir festhalten. Ihr macht es nicht!
Nun spreche ich einmal die Kolleginnen und Kollegen an, die wie ich als Linke aus dem Westen stammen - man kennt sich ja untereinander - : Seid einmal weniger laut und legt zugrunde, was wir und ihr - ich schaue dabei die Grünen und einen Teil der Sozialdemokraten an - damals geschrieben haben! Das wäre nicht weniger unmenschlich und inhuman geworden als das, was im Osten Praxis war. Nehmt euch einmal ein Stück zurück! Auch gedachte Untaten bleiben Untaten! Auch dazu sollte man stehen.
(Beifall bei der PDS)
Für mich ist die entscheidende Frage, ob das VN-Mandat den Bruch mit der Logik des Krieges darstellt oder ob es im Gegenteil auf der Logik des Krieges beruht. Es war interessant, zu hören, was der Herr Bundeskanzler in seiner Erklärung dazu gesagt hat. Er hat das VN-Mandat aus dem Krieg heraus entwickelt und beides miteinander verbunden. Ich halte die Logik, dass man durch das Führen eines Krieges zu einem solchen Ergebnis kommt, für fatal. Ich möchte, dass künftige UN-Missionen von Kriegen abgesetzt werden, dass sie das Gegenteil von Krieg darstellen und dass es um zivile Lösungen geht.
Hier liegen unsere Probleme mit dem Mandat selber. Für die Öffentlichkeit sei gesagt - die Kolleginnen und Kollegen hier sollten es wissen -: Dies ist keine UNO-Mission, sondern eine Mandatierung der UNO für eine Staatengruppe. Das ist einfach ein Unterschied.
Großbritannien ist aus meiner Sicht ob seiner kolonialen Geschichte und seiner Verwicklung in den Krieg als Leitnation ungeeignet. Großbritannien tritt zweifach in Erscheinung: als Kriegspartei und als Teil der UNO-Mission. [...] Auch Folgendes werden Sie beantworten müssen: Wenn Sie die Bundeswehr so einsetzen, wie Sie sie einsetzen, dann ist sie wirklich unterfinanziert. Ich will sie nicht so einsetzen; aber um die Beantwortung dieser Frage kommen Sie nicht herum. In mindestens einem halben Jahr werden Sie in der Türkeifrage und auch in anderen diesbezüglichen Fragen Farbe bekennen müssen.
Weiterhin ist festzuhalten, dass der Kampfeinsatz der USA in Afghanistan und die dortige UNO-mandatierte Truppe - das Herumgerede hilft ja nicht weiter - doch miteinander verbunden sind. Wenn man die Texte genau durchliest, so stellt man fest, dass im Konfliktfall letztendlich die USA die Entscheidung treffen. Täuschen Sie die Öffentlichkeit doch nicht, wenn Sie das befürworten! [...]
Ich will mich mit einer weiteren Frage auseinander setzen. Die humanitäre Hilfe ist nicht Gegenstand des Mandates. Das muss hier deutlich gesagt werden. Das Mandat dient zur Unterstützung, zur Assistenz und zur Sicherung der neuen Verwaltung. Da kann es vielleicht einen Sinn machen. Aber Sie werden Fragen beantworten müssen.
Was passiert, wenn die Scharia die Rechtsordnung bleibt und in Kabul und in ganz Afghanistan Hinrichtungen stattfinden? Dann hätten Sie kein Mandat, um unmittelbar einzugreifen. Was passiert, wenn die Differenzen zwischen Großbritannien, Frankreich, den USA und auch Deutschland - das sind ja keine Kleinigkeiten - größer werden? Lassen Sie mich noch eine Frage hinzufügen, die Sie heute fairerweise hätten beantworten müssen.
(Detlev von Larcher [SPD]: Er wird immer schlechter!)
Man kann Afghanistan nur im Gesamtzusammenhang sehen. Sie hätten heute sagen müssen, wie es mit weiteren militärischen Einsätzen aussieht; diese Frage ist oftmals aufgeworfen worden und steht damit in Zusammenhang. Da Sie das nicht tun, gibt es nur zwei Antworten. Entweder Sie wissen nichts - das spräche nicht gerade für Partnerschaft; aber das kann ja so sein - oder Sie sagen nichts, weil Sie den Eindruck, dass die Wahrheit scheibchenweise verabreicht wird, vermeiden wollen: Die uneingeschränkte Solidarität führte zum Beschluss der NATO über den Bündnisfall. Die NATO wurde danach gar nicht mehr gefragt, aber das ist nicht mein Problem. Dann kam der Beschluss des Bundestages, für die Aktion der USA 2 900 Soldaten zur Verfügung zu stellen. Wo sind die eigentlich stationiert? Wo sind sie geblieben? Darüber redet keiner. Sind sie schon in Afghanistan? Sind sie in Somalia oder in Kuwait? Wo sind sie denn? Ich möchte endlich Antworten darauf haben, wo diese Soldaten sind.
(Beifall bei der PDS)
Jetzt sollen 1 200 Soldaten für den UNO-Einsatz zur Verfügung gestellt werden. Zum gleichen Zeitpunkt sagt der Verteidigungsminister zu Somalia, es gehe nicht mehr um die Frage des Ob, sondern nur um die Frage des Wann und mit welchen Mitteln. Das ist die Verknüpfung zwischen Kriegsaktion und Friedensmission. Die genau wollen wir nicht. Sie aber nehmen sie vor bzw. laufen Gefahr, sie vorzunehmen. Deswegen haben wir uns zu einem Nein entschieden, was wir unter uns kritisch genug und auch in der Öffentlichkeit diskutiert haben.
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