Tumgik
Text
Episode 2: Masa und Mike
Unweit südlich saß Masa in einem geliehen Corolla, Baujahr ‘99, weiß, rundherum verrostet, Anmut ähnlich dem bleichgelben Suzuki Esteem, den Jimmy in Better Call Saul fährt. In ihrem Schoß ein verrückt kurzes, schwarzes Kleid, zu ihren Füßen ein paar High Heels – sie wünschte, es wären Jimmy Choos, eigentlich waren es aber billige Waggadoogas. Masa war eine dürre, erschreckende Gestalt Ende 20, kam aus gutem Hause und hatte mit der Volljährigkeit beschlossen, ihre spießigen Eltern und ihre kleinkarierte Heimat in Lüchow-Dannenberg im endlosen Osten Niedersachsens einzutauschen gegen ein vermeintlich besseres, eigenes Leben und sich hoffnungslos verschuldet beim Versuch, Philosophie und Sprachlogik in Kalifornien zu studieren. Nach sechs Semestern brach sie ihren Ausflug in die Intellektualität an der UCLA ab, um sich wenig später in einem Trailerpark unweit des West Highway einen Wohnwagen mit Mike zu teilen. Mike war ein immer rauchender, fetter Rasenwart der örtlichen Parkbehörde, stank 24/7 nach Schweiß und Kaffee und ernährte sich ausschließlich von billigen Sandwiches. Keine Idee, wie sich mit Gelegenheitsjobs jemals eine erdrückende Summe von etlichen Zehntausenden Dollar zurückzahlen ließ, hatte sie ihr Leben schon aufgegeben, ehe es anfing, was tragisch und komisch zugleich anmutet. Sie musste auch dringend irgendwie wieder nach Deutschland zurück, weil ihre Aufenthaltsgenehmigung in weniger als einem Monat ablief. Einen Rückflug hatte sie noch nicht, das Geld dazu fehlte sowieso. Masa würde in weniger als vier Wochen illegal in den Vereinigten Staaten wohnen und wiegte sich fast pedantisch ignorant in einer Gleichgültigkeit, das ihre Eltern vor Ekel hätten Galle kotzen müssen. Masa tupfte ihre Stirn und ihre Nase mit billigem Puder ab und machte ihre Haare vor dem ausklappbaren Spiegel der Sonnenblende zurecht. Sie machte sich lang, zog im Sitzen ihre Jeans aus, dann ihr weißes Shirt und strich das schwarze Kleid über ihren knöchernen Leib, zog die billigen High Heels an und stieg aus. Die Sonne brannte auf ihre schwarzen, dünnen Haare. Ihre Haut war gezeichnet von wenig Schlaf und viel Coke, tiefe Furchen fingen Schatten ein, wo auf Haut ihres Alters Sonne scheinen sollte. Die Augen waren glasig und sie roch nach billigem Parfum. Masa schaute nach links, nicht nach rechts, und ging über die Straße. Wie zu erwarten war, verlief das Bewerbungesgespräch für die Stelle der Telefonistin am Empfang einer unbedeutenden Anwaltskanzlei irgendwo am südlichen Rand der Stadt schlecht. Ohne Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung würde sie keine Anstellung bekommen, nicht hier und nirgendwo in Kalifornien. Nicht mehr wissend, was sie erwartet hatte und erstaunt ob ihrer Naivität und darüber, dass sie den ganzen Tag nichts gegessen hatte und sie dennoch kein Hungergefühl verspürte, ging Masa über die breite Straße zurück zum geliehenen Corolla, warf die High Heels in den Beifahrerfußraum, drückte das Gesicht gegen das Lenkrad und empfand für mindestens zwanzig Minuten gar nichts. Dann klopfte es am rechten Fenster. Masa drehte ihren Kopf und konnte ein dickes, pickliges Gesicht ausmachen, das zur Hälfte von einer verspiegelten Sonnenbrille verdeckt wurde. Es war Mike. Er trug weite, helle und abgewetzte Jeans und ein viel zu enges, weißes Shirt. Schweißflecken rahmten seine Achseln ein und sein üppiges Brusthaar drückte sich wie ein Teppich aus dem engen Kragen. Masa war kotzübel. Mike bot an, Masa solle sich auf den Beifahrersitz setzen und er würde nach Hause fahren. Gefangen in unendlicher Gleichgültigkeit stimmte sie wortlos zu, ging am Wagen hinten vorbei, während Mike vorne vorbei ging, setzte sich auf den Beifahrersitz und schwieg, bis Mike den geliehenen Corolla direkt vor dem silbernen Wohnwagen in der ersten Reihe des Trailerparks abstellte. Sie schwieg auch, während Mike wie jeden Abend drei billige Sandwiches aß, dazu zwei Dosen Mountain Dew trank, dann schnarchend rücklings auf dem winzigen Bett gegenüber der kleinen Küchenzeile einschlief und die Sonne über Los Angeles unterging.
0 notes
Text
Episode 1: Pilot
Das Haus in Silverlake war weiß verputzt und alles in allem ein kleiner, aber echter kalifornischer Traum. Es befand sich am Ende einer kleinen, engen und steilen Straße. Es war ein kleines, hübsches, aber durchaus nicht unübliches und eher unauffälliges Haus im Norden von Los Angeles. Ende Juni drückte die Sonne steil in den kleinen Garten, der das Haus südlich säumte und aus einem etwa fünf auf zehn Meter großen Rasenstück bestand. Die Grundstücksgrenze fiel steil ab, zur Straße im Osten hin so steil, dass eine etwa zwei Meter hohe Mauer, ebenfalls weiß verputzt, den Garten auf eine Art Plateau hob. Vier kleine Zitronenbäume, eine große Fächerpalme und kleinere Olivenbäume grenzten das Rasenstück vom Steilhang ab. Vom Garten in Richtung Süden hatte man einen guten Blick auf Downtown Los Angeles, bei sehr gutem Wetter und einem wolkenlosen Himmel konnte man im fernen Westen den Pazifik erahnen. Die Geräusche der Stadt waren an diesem Freitagnachmittag etwas gedämpfter als sonst. Etwa zweihundert Meter weiter im Norden bewässerte ein Sprinkler den Rasen einer mondänen Villa. Das wiederkehrende und rhythmische Geräusch, das sich vom Sprinkler über die Neighborhood ausbreitete, war gemischt mit den fernen Wailhorns der Rettungswägen und Polizeistreifen in Downtown der perfekte Soundtrack für einen Laid Back-Nachmittag im perfekten, kalifornischen Sommer. Um dem Klischee einen Schlagobers zu versetzen, saß Mars auf der Motorhaube seines rauchsilbernen 123er Coupés, der auf der kurzen Einfahrt im Westen des Grundstücks stand. Vor sich ausgebreitet hatte er zwei Cheeseburger, zwei Portionen Chili Cheese Fries und zwei Cokes von In’N’Out. Diesen instagramable Moment genoss Mars allein, die große Liebe seines Lebens würde er erst knapp zwei Jahre nach diesem Sonntag im späten Juni Ende der Nullerjahre kennenlernen.
0 notes