🫀 kurzgeschichten einer gymnasiastin✒️ maya // geb. 2009
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hey hi! ❤️
heute teile ich „Angela“.
sie ist teil meines sommerprojekts 2025: ~24 kurzgeschichten. kein happy end, nur echte gefĂĽhle.
eine geschichte ĂĽber schuld, stille und das weiĂźeste kleid, das man sich vorstellen kann.
ĂĽber eine beerdigung.
über ein mädchen, das geht, obwohl es längst verschwunden ist.
sie weiĂź nicht, ob sie trauern darf. aber sie fĂĽhlt.
und das reicht. vielleicht.
Angela 🥀
„Moral ist ein Korsett aus Regeln, genäht aus Angst und Anpassung“, pflegte meine GroĂźmutter zu sagen. Ein KleidungsstĂĽck, das jeder trägt, auch wenn es manchmal zu eng sitzt und an den Rippen drĂĽckt.Â
Zu einer Beerdigung trägt man Schwarz. Man zeigt Respekt, man verschwindet im Schatten, man fällt nicht auf. Man lässt die Trauer aller Menschen tief in ihre Herzen eindringen, indem man nicht wagt, ihre Aufmerksamkeit – etwa durch grelle Farben – auf sich zu ziehen. Ich denke, diese Moral gehört zu den unumstrittenen, zu denen, die man auch als naives Kind nicht zu brechen wagt.
Weiß zu tragen? Ein kleiner Aufstand, eine Provokation – ein Vergehen, das man sich nur erlauben kann, wenn es der Verstand zulässt, oder wenn man das Korsett unter einem hübschen Kleid versteckt.
Der wahre Bruch, der Schlag ins Gesicht der Etikette, liegt jedoch nicht allein darin, weiĂź gekleidet zu erscheinen – auch das ist bereits eine Untat.Â
Noch unmoralischer aber ist es, dort in weiĂź aufzutauchen, wo man ĂĽberhaupt nicht erwartet wird: bei einer Beerdigung, zu der man nicht eingeladen war.Â
Womöglich war ich die Person, die das Korsett am stärksten spürte – so sehr, dass es mir die Luft nahm. Vielleicht musste ich es deshalb unter einem hübschen Kleid verstecken. Nicht, um es zu tarnen. Sondern um es zerreißen zu können, wenn der Moment kam.
Ich senkte die blauen Blumen in meiner Hand und atmete einmal tief durch, bevor ich den steinernen Flur der Kirche betrat.Â
Ein Hauch von GroĂźmutters Worten schwebte noch in der Luft, als die Stille platzte:
„Sie haben sich wohl in der Adresse geirrt, junge Dame!“
Die Stimme des Mannes ließ keinen Platz für Zweifel – kalt, verächtlich. Und doch: ein schwaches Zittern. Vielleicht, weil ich seine Welt gestört hatte. Vielleicht, weil irgendwo in seinen Worten noch ein Rest von Menschlichkeit lauerte. Winzig. Zitternd. Wie ein Licht, das sich nicht ganz löschen ließ.
Ich schĂĽttelte den Kopf.
„Ist das… ihr Ernst?“, zischte eine ältere Frau zwei Reihen hinter mir. „Das ist nicht der Moment fĂĽr so etwas.“ Ihr Satz zerrte am ReiĂźverschluss meines Moral-Korsetts. Das, was ich gerade tat, war absurd. Ohne Frage. Aber ich war noch jung – niemand wĂĽrde die Polizei rufen. Richtig?Â
„Wer glaubt, sie hat hier was zu sagen?“Â
Um mich herum tuschelten andere Angehörige. Spitze Kommentare, lange sowie kurze Seufzer, stille Blicke aus glasigen Augen. Ich hatte es so erwartet – doch es stach trotzdem.
Zwei Jugendliche, kaum älter als ich, sahen sich an. Ich kannte sie flüchtig aus den Gängen der Schule – und doch wirkten sie heute wie Fremde. Ihr Lächeln war kein Spott. Eher ein Reflex. Hilflos. Geteilt, um sich der Absurdität meines Handelns zu vergewissern.
„War das nicht die, die…“, begann der eine.
„Lass es“, unterbrach ihn der andere, und plötzlich war alles still.Â
Aber es war zu spät. Die Worte hingen in der Luft wie Frost – man konnte sie nicht wegwischen.
„Sie haben hier nichts verloren, junge Dame. Ich bitte Sie im Namen der Gäste, die Kirche zu verlassen. Wenn die Zeremonie vorbei ist, können sie das Grab gerne besuchen.“ Der Pfarrer befand sich mir gegenüber. Sein Blick war ruhig. Aber mein Rücken fror.
„Er hat… Er war…“ Keine Worte passten.
„Was soll das hier?“, rief der Mann von vorhin, während er Anstalten machte, von der Bank in der ersten Reihe aufzustehen. Es musste sein Vater sein, der nun mit großen Schritten auf mich zuging. Er hatte dieselben Füße wie sein Sohn. Schwarze Lackschuhe zierten sie. „Was soll das? In Weiß? Mit… diesen Blumen.“
Neben dem Platz, den er zurückgelassen hatte, hob eine Frau – seine Mutter? – leicht die Hand. Ihre Finger umklammerten ein schwarzes Tuch, das über ihren Knien lag. Alle waren ihrem verstorbenen Sohn nah.
„Bitte“, flüsterte sie. „Geh einfach. Bitte.“ Keine Forderung. Ein leises Aufgeben.
„Schau, wie hübsch ihr Kleid ist, Papa!“
Ich drehte den Kopf ein wenig zur Seite, suchte nach dem Mädchen, das gesprochen hatte. Sie hatte wohl noch nie ein derart zartes Kleid gesehen. Und sie hatte recht, es war hĂĽbsch. An meinem Körper. Es betonte meine Schultern, die ich viel zu oft gesenkt hatte. Meine Taille, an der ich mich jahrelang festgehalten hatte, um nicht zu verschwinden.Â
Das Mädchen selbst trug ein zu groĂźes Kleid mit Karomuster, die Ă„rmel ĂĽber die Hände gezogen. Ihre Präsenz erinnerte mich an Sommerregen, fehl am Platz, aber dennoch da. Ehrlich.Â
„Sie weint nicht mal“, stellte das Kind fest. Nicht verächtlich, nur erstaunt. Und ich dachte: Ja. Deswegen bin ich wohl hier.
FĂĽr einen Moment glaubte ich, niemand wĂĽrde ihr mehr antworten. Doch der Vater blieb stehen. Und schwieg.
Dann sagte er langsam, fast wie ein Urteil: „Schwarz steht für Trauer. Weiß für Schuld.“
Ich nickte. Nicht als Eingeständnis. Als Antwort.
Die Blumen in meiner Hand begannen zu zittern.
Ich sagte nichts.Â
Der Mann rückte näher, die schwarzen Lackschuhe klickten auf dem kalten Steinboden. „Ich weiß nicht, was du hier willst“, knurrte er.
„Angela“, entgegnete ich. „Ich war…“Â
Ich stockte.
Was war ich?
Nicht seine Freundin. Nicht seine Vertraute. Nicht einmal jemand, den er gemocht hatte.Â
Und doch hatte ich mehr Zeit mit seinen Blicken verbracht als mit meinem eigenen Spiegelbild.
Ich war sein Ziel.Â
Sein KloĂź im Hals, wenn er wĂĽtend war.Â
Sein Lächeln, wenn es schnitt wie eine Klinge.Â
Seine BĂĽhne, wenn er dem Applaus anderer sicher sein wollte.Â
Und ich –
ich war das Mädchen, das unter diesem Applaus zu leben lernte.Â
Nicht, weil ich stark war, meinen eigenen Stolz hatte. Sondern weil ich keine Wahl hatte.
Man nennt es Mobbing. Als würde das Wort erklären, wie es sich anfühlt, wenn ein Teil von dir sich in der Verachtung des Anderen spiegelt. Wenn man beginnt, seinen Schmerz zu zählen, als Beweise dafür, dass man existiert.
Ich habe ihn gehasst. Habe gezittert, wenn er sprach. Aber ich habe seine Grausamkeit behandelt wie Wärme – weil es das Einzige war, was mich berührte.
Als er starb, war es, als hätte jemand die Bühne abgerissen, auf der ich immer stand. Keine Schreie mehr. Keine Namen. Nur Stille. Und Schuld. Und ein Mädchen, das niemand war, wenn er nicht da war, um es zu verletzen.
Ich war nicht in Weiß gekommen, um zu provozieren. Ich war in Weiß gekommen, weil ich keine Rolle mehr spielte. Weil Schwarz nicht passt, wenn das, was man fühlt, kein klares Ende hat. Ich war gekommen, weil ich nie wusste, wo ich hingehörte. Und weil er, so verdammt falsch er auch war, der Einzige war, der mir einen Platz zugewiesen hatte – auch wenn es der Platz unter seiner Schuhsohle gewesen war.
Dieses Kleid war kein Zeichen. Es war ein Aufschrei. Gegen ein Moral-Korsett, das mir vorschrieb, wie Trauer auszusehen hatte. Dass ich ihn hassen mĂĽsse. Dass ich ihn lieben dĂĽrfe. Dass ich nichts fĂĽhlen solle. Aber ich fĂĽhlte.
Chaos. Verlust. Und Schmerz, der lächelte wie er früher – spöttisch, aber echt.
„Ich war die, die er nie lieben konnte. Aber auch die, die er nie ganz losließ.“
Ich hob den Blick. Sein Gesicht verschwamm. Vielleicht vor Tränen. Vielleicht, weil ich spürte, wie etwas in mir nachgab.
Die Stimmen hinter ihm wurden leiser – oder ich hörte nur noch mein eigenes, wildes Herz.
Ich hätte das Korsett in diesem Augenblick zerreiĂźen können.Â
Aber ich hatte es nur enger gezogen.Â
Dann –
lieĂź ich die Blumen fallen.
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hi! ❤️
ich bin maya, 15, gymnasiastin mit zu vielen gedanken im kopf.
ich schreibe seit der grundschule – damals ins deutschheft, heute ins digitale nirgendwo.
dieses jahr: deutsch 1,0
aber das hier ist kein aufsatz. ich versuche, meine stimme zu finden – in einer welt voller filter, feeds und ki.
mein sommerprojekt: ~24 kurzgeschichten. tiefgründig, chaotisch, absurd – meist ohne happy end. 🥀
jener blog ist nicht durchdacht. nur echt.
ich mag texte, die nachhallen.
und menschen, die zwischen den zeilen lesen. đź‘€
freu mich ĂĽber feedback! aber auch ĂĽbers stille mitlesen.
p.s. ich mag (auch) keine leute, die alles kleinschreiben.
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