berghoferin
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Palmbesen
Manch einer wird sich vermutlich fragen, was es mit den auf langen Stöcken befestigten Büscheln auf sich hat, die man bei Spaziergängen in Radein an den Gartenzäunen angebunden sieht. Dorftypische Vogelscheuchen? Archaischer Schutz vor bösen Gartengeistern? Die sogenannten Palmbesen haben einen religiösen Hintergrund. Sie stehen als Symbol für die Palmzweige mit denen die Gläubigen Jesu Christi bei seinem Einzug auf dem Esel in Jerusalem huldigten. In den Gärten Mitteleuropas wurden daraus schon im frühen Mittelalter segensreiche Zeichen der Fruchtbarkeit. Einer alten Tradition folgend werden hier für die Feier des sogenannten Palmsonntags, dem sechsten Sonntag in der Fastenzeit und zugleich dem letzten Sonntag vor dem Osterfest, Sträuße vorwiegend aus Wacholder-, Birken-, Fichte,- Weidekätzchen- und Buchsbaumzweigen gebunden, in deren Mitte häufig Farbtupfer aus Heidekraut oder blühenden Lärchenzweigen aufleuchten. Den ausgewählten Pflanzen werden krankheits- bzw. unheilabwehrende Kräfte nachgesagt. Immerhin „Siebenerlei Arten Grün“ sollte man für das Zusammenstellen eines „Buschen“ bereitstellen. Dafür muss man in Oberradein auf einer Meereshöhe von gut 1500 Metern zu dieser frühen Frühlingszeit intensiv auf die Suche gehen und oft auf die Flora tieferer Lagen zurückgreifen. Viele sind in ihren Ansprüchen jedoch etwas bescheidener und kombinieren nur zwei oder drei Pflanzenarten. In den letzten Jahren lässt sich wieder eine steigende Begeisterung für den Brauch feststellen, gerade Familien mit Kindern sind sehr eifrige und kreative Palmbesenbinder, manche stellen gar mehrere pro Familie her. Die Sträuße werden auf oftmals kunstvoll gestaltete Stöcke gesteckt, fest mit Draht fixiert und mit bunten Bändern verziert. Am Palmsonntag tragen die Gläubigen sie nicht ohne einen gewissen Stolz und nach rechts und links auf die Palmbesen der Nachbarn äugend, in einer Prozession zur Kirche. Vielfach steckt man vor der Segnung mit Weihwasser noch die vor der Messe verteilten Ölbaumzweige in den Palmbesen hinein. Einzelne Ölbaumzweige befestigt man zuhause hinter dem Kruzifix oder über der Stalltüre als Zeichen des Lebens und des Sieges über den Tod. Der uralte Brauch des Palmbesens am Gartenzaun soll vor Wetterunbill schützen, im Eisacktal bleibt er bis Christi Himmelfahrt stehen, in vielen Südtiroler Pfarreien bis zum letzten Sonntag vor dem ersten Advent, dem Fest Christ König. Dann entzündet man mit den vertrockneten Zweigen ein Feuer. Die Flamme wird anschließend in den Kirchen gehütet, um die erste Adventskerze daran zu entzünden. In Radein aber bleibt der buschige Besen das ganze Jahr über angebunden - auch wenn er spätestens bis zum Winter verdorrt ist und vom Schnee und eisigen Wind ganz unansehnlich wird. Der Palmbesen behält seine Stellung als segensreicher Gartenwächter bis zum nächsten Palmsonntag, dann folgt ihm der schöne, frühlingsgrüne Nachfolger auf seinen Platz. Nicht, dass man den alten Zausel nun ruhmlos entsorgt. Seine dürren Zweige werden in den Holzhütten aufbewahrt, denn wenn sich ein Unwetter ankündigt, wirft man ihn mancherorts zum Schutz vor Hagel ins Ofenfeuer. Und darin zeigt sich bis heute ein tief verwurzelter Volksglauben...
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Still from Jessica Hausner’s film Amour Fou from 2014, starring Christian Friedel and Birte Schnöink.
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