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Der Wind war angenehm kühlend auf der überhitzten Haut, wie die Berührung kalter Finger umschmeichelte der Fahrtwind seine schweißbenetzte Stirn während der Blick der dunklen Augen konzentriert und ruhig auf dem schmalen Pfad ruhte, welcher das alte Auto alle paar Meter zum ruckeln brachte. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen wie das fliederfarbene Sommerkleid an ihren Beinen hochwehte und der dünne Stoff sich bis über die Knie schlich, die noch blasse Haut zum Vorschein bringend, die in wenigen Tagen deutlich mehr Farbe annehmen würde. Sie schlief, der lange Flug hatte sie erschöpft und die Melodie des italienischen Liedes, das leise und friedlich aus dem Radio drang, hatte sein übrigens getan um ihre Lider zufallen zu lassen. Die Weinberge in der Ferne und die leuchtenden Lavendelfelder zu beiden Seiten der unbetonierten Straße versprühten einen süßlichen Duft, der schwer in der sonnengeladenen Luft hing und dem jungen Mann am Steuer ein entspanntes Seufzen entlockten. Urlaub. Das gemietete Cabrio eilte, so schnell es die marode Straße zuließ, in Richtung Ziel des frisch vermählten Paares – ein Ort abgelegen all der Probleme, die der Alltag mit sich brachte. Eliott. Der schlaftrunken geflüsterte Name brachte ihn zum Lächeln und er legte seine Hand in den schlanken Nacken seiner Frau, durch die glatten, rot gefärbten Haare streichend. Sind wir bald da?
Ein Ziel. Ankommen.
Blue öffnete seine Augen und vertrieb somit die Trugfantasie an lang zurück liegende Flitterwochen um statt idyllisch italienischer Landschaften die gleichbleibende graue Fassade der quadratisch steinernen Zelle vorzufinden. Es war kühl und feucht, ein starker Kontrast zu der Hitze, von der er wusste dass diese nur wenige Meter über ihm herrschte. Da oben war nur Wüste, eine kleine Anlage umgeben von meilenweiten Sandfeldern, gebaut aus Beton und dem Blut irgendwelcher lohnhungernden Arbeiter, die vermutlich genauso unter diesem Gebäude verschachert waren, wie auch er es in wenigen Tagen sein würde. Vorgestern noch hatte er die schräg über ihm verlaufenden Eisenstreben dafür genutzt um seinen erschöpften Muskeln mit einigen Klimmzügen etwas mehr Leben einzuhauchen, heute wusste er, das er sich diese Kräfte lieber sparen sollte – ganz gleich der schleichenden Gewissheit, dass es keinen Ausweg gab. Resignation war die bessere Alternative zur blanken Panik. Die verbeulte Plastikflasche neben ihm war noch ungefähr ein Drittel mit Wasser gefüllt, alle drei Stunden einen kleinen Schluck, das war die Devise. Doch wie viel Zeit entsprach drei Stunden? Wann spielte ihm seine durstende Kehle bloß einen Streich und wollte ihm vormachen, er sollte etwas trinken weil die Zeit wieder verstrichen war? Seine Gedanken gerieten inzwischen zu oft auf Abwege um die Zeit noch im Blick zu haben, immer wieder versuchte sich sein Geist aus der tristen Gefangenschaft zu befreien und schickte ihn zu Bildern aus seiner Vergangenheit. Das dumpfe Pochen seiner Rippen links des Brustkorbs nahm er kaum noch wahr, ein ähnlich monotones Gefühl wie der eigene Herzschlag, der seine Präsenz nur dann verkündete, wenn man darauf achten wollte. Deutlich unangenehmer war das Ziehen im rechten, kleinen Finger, welcher inzwischen keinen Nagel mehr besaß und so fest in der Metallzwinge eingespannt worden war, dass der obere Teil verdächtig schmaler wirkte als gewöhnlich. Er hatte das ganze grob bandagiert, mit einem Teil seines T-shirts, aber da dieses so voller Sandkörner und Staub hing, könnte das auch eine eher dumme Idee gewesen sein. An einer der Metallstreben baumelte eine trübe Glühbirne, flackerndes, kaltes Licht, das einen fast ausnahmslos zwang die Augen geschlossen zu halten, wenn man nicht vor hatte Epilepsie zu entwickeln. Eben jenes Licht war es, das ihm den Schatten aufzeigte, der in diesem Moment an seiner Zelle vorbei ging. Gedanklich verabschiedete sich Blue bereits von seinem kleinen Finger – oder dem was davon noch übrig war – doch die schlurfenden Schritte zogen vorüber und das Geräusch von quietschendem Metall verriet ihm, das eine der anderen Kammern geöffnet worden war. Hier unten wurde neben Lebewesen, in Form seiner Selbst, vor allem Lagerware, Sprengstoff und Rationen gelagert.
Stille. Schritte. Das Quietschen. Stille. Dann, schwere Atemzüge, die langsam aber stetig lauter und schneller wurden. Blue presste sein Gesicht seitlich an die Wand, an welche er mit dem Rücken gelehnt hatte, die linke Hand gegen das Gestein drückend als könnte er die Risse vergrößern, durch welche seine Augen hindurch in die andere Zelle blicken konnten. Das Sichtfeld war bloß ein schmaler Streifen auf der anderen Seite und wer immer dort hinein gebracht worden war, schien an der Wand zu sein, außerhalb seines begrenzten Sichtfelds. Die Atemzüge, die langsam aber sicher schiere Panik ausdrückten, gehörten ohne Zweifel zu einer Frau und sein Verstand bäumte sich hoffnungsvoll auf. „Violett? Vi, bist du es?“ Vielleicht war sie in El Katahar entkommen und dann doch in die Fänge der Roten Asche gelangt und hier her gebracht worden, so wie er. Aber nein, sie würden keine zwei Gefangenen brauchen, Vi wäre sofort exekutiert worden und darüber hinaus würde sie nicht derart ängstlich klingen und hätte ihm längst geantwortet. Zumindest war der Klang der Atmung ruhiger geworden, lauschend ins Zwielicht. „Aya mara dark mi kony?“ Er versuchte es auf persisch, seine freie Hand an die eigene Kehle legend, die genauso rau und seit Tagen unbenutzt klang wie er sich fühlte. „Bist du Amerikanerin?“ Blue gab sich nicht dem Irrglauben hin, diese Information könnte ihm irgendwie von Nutzen sein, aber er war eben auch nur ein Mensch, ein dumm hoffendes Individuum das sich an jede kleine Möglichkeit klammerte und wenn er die leistete Chance hätte, wenigstens noch in Erfahrung bringen zu können, ob es seine Mitstreiter geschafft hatten, würde er diese Nutzen.
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