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Freie Gedanken
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gedankenlibres-blog · 6 years ago
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Smartphones: Die Zigarette der Postmoderne
Beim Kaffee und an der Bushaltestelle. In der Vorlesung und auf dem Pausenhof. Vor dem Fernseher und in der Kneipe. In Gesellschaft und alleine. 1950 ging der Griff zur Zigarette. Fast 70 Jahre später greifen wir zum Smartphone. Freie Gedanken über gesellschaftliche Akzeptanz und die unterschätzte Gesundheitsgefahr zweier Suchtmittel.
Es ist 7 Uhr morgens, ein Bahnhof irgendwo in Deutschland. Menschen warten auf den Zug. Am Ende des Bahnsteigs, abseits der anderen Wartenden, steht eine kleine Gruppe. Das Zentrum ihres kleinen, rechteckigen Universums bildet ein silberner Standaschenbecher. Die gelbe Linie auf dem Boden markiert die Grenze.
Ein letzter, kollektiver Zug an der Zigarette. Die Bahn fährt ein. In der Bahn mischen sich wieder alle, Raucher und Nichtraucher. Kaum haben sie Platz genommen, geht der Griff zum Smartphone. Jung und Alt. Anzugträger und Schulkinder. Eine Frau mittleren Alters ist auf dem Weg zur Arbeit. Sie verschiebt bunte Bonbons auf ihrem Display. Zwei Jugendliche schauen ein Video bei YouTube. Ein Anzugträger checkt schon mal seine E-Mails. Eine junge Frau schreibt tippt WhatsApp-Nachrichten. Viele haben Kopfhörer in den Ohren. Der Blick ist starr auf den Bildschirm gerichtet.
95% der Deutschen zwischen 14 und 49 Jahren besitzen ein Smartphone. Im Schnitt nutzen sie es 2,5 Stunden am Tag. Ob die Smartphonenutzung an sich süchtig macht, ist umstritten. Als Auslöser wird eher eine Internetsucht vermutet. Social-Media-Apps sind nach einem Muster programmiert, das sich Belohnungsmechanismen zu eigen macht und dadurch Suchtverhalten fördert.
Seit iOS 12 gibt es auf iPhones die Möglichkeit, für einzelne Anwendungen eine Bildschirmzeit festzulegen. Es manifestiert die Entwicklung hin zum Digital Detox. Den Menschen ist bewusst, dass sie viel Zeit am Smartphone verbringen. Teilweise zu viel. Sogar unter Influencern verbreitet sich der Trend des Digital Detox.
Nützlichkeit und Nutzung steigen proportional. Die zunehmenden Möglichkeiten, die ein Smartphone bietet, sind sicherlich ein Grund für die zunehmende Nutzungsdauer. Das Smartphone substituiert Alltagsgegenstände wie Radiogerät, Wecker, CD-Spieler, Digitalkamera oder Navigationsgerät. Die Kommunikation ändert sich, wir schreiben bei WhatsApp statt zu telefonieren und suchen Partner bei tinder statt in Bars oder Sportvereinen. Der Konsum von Medien ändert sich, wir lesen einzelne Artikel verschiedener Zeitungen, wir hören Podcasts statt Bücher zu lesen, und spotify statt ganzer Alben. Smartphones bringen Fortschritt, verbinden Menschen und sind praktisch. Sie vereinfachen viele Dinge, ermöglichen bargeldloses Zahlen, das Aufnehmen von Ton- und Bildaufnahmen, und sind für die Kinder von heute so etwas wie ein Gameboy. Alles in einem Gerät.
Abgesehen vom Suchtpotenzial machen wir uns aber wenig Gedanken über unsere Handynutzung und mögliche Folgen für die Gesundheit. Gleiches ließ sich anfangs beim Tabakkonsum beobachten. Nach Ende des zweiten Weltkriegs wurde Rauchen massentauglich. Zumindest für Männer, von denen 90% regelmäßig zur Zigarette griffen. Rauchen galt als mondän und modern, es war schick. Erste Studien zur gesundheitsgefährdenden Wirkung von Zigaretten erschienen in der 50er Jahren. Sie identifizierten einen Zusammenhang zwischen Tabakkonsum und Lungenkrebs. 1962 bestätigte eine Studie im Vereinigten Königreich diese Studien. Zwei Jahre später, im Januar 1964, erschien in den USA ein Report, der den Stand der Wissenschaft untersuchte und zum Schluss kam, dass Rauchen eine Gesundheitsgefahr darstellt. Der Spiegel fragte auf seiner Titelseite: „Sind Zigaretten gefährlich?“. Heute, da auf Zigarettenschachteln „Rauchen ist tödlich“ gedruckt ist, erscheint die Frage absurd. Damals zweifelten noch viele Menschen an einem kausalen Zusammenhang zwischen Rauchen und Gesundheitsschäden.
In den 70er Jahren änderte sich das Bild. Das zunehmende Bewusstsein für die Gesundheitsschädigung schadete dem Image des Rauchens. Seither hat sich viel getan. Die Tabaksteuer wurde erhöht, es wurden Rauchverbote und die bereits erwähnten Warnungen auf den Packungen eingeführt. Werbebeschränkungen hindern den Marlboromann am Ausritt. Heute raucht nur noch ein Viertel der Männer und ein Drittel der Frauen. Während früher in Vorlesungssälen, im Zug, im Flugzeug und im Restaurant geraucht wurde, ist dies heute unvorstellbar.
Wie beim Rauchen, könnte auch bei der Smartphonenutzung die Latenz des Krankheitseintritts eine Verbindung zwischen Ursache und Wirkung verschleiern. 2007 wurde das iPhone auf den Markt gebracht. Vor 12 Jahren. Dies ist nicht genug Zeit für Langzeitstudien. Es können keine Aussagen getroffen werden, wie sich eine intensive Smartphonenutzung über 30 Jahre auf den Körper auswirkt. Die Parallelen zwischen Zigarette und Smartphone sind erschreckend und zeichnen eine düstere Utopie. Werden wir, die heute das Smartphone wie selbstverständlich den ganzen Tag am Körper tragen und nachts neben das Bett legen während wir schlafen, in 20 bis 30 Jahren die Quittung bekommen?
In Deutschland stirbt heute jeder 8. an den Folgen des Tabakkonsums. Droht uns ein ähnliches Szenario der Smartphonenutzung?
Bildschirmzeit, Handytürme und Digital Detox richten sich gegen die Dominanz des Smartphones in unserem Alltag. Über elektromagnetische Wellen wird wenig diskutiert. Es scheint keine Gefahr zu bestehen. Nur vereinzelt wird ernsthaft vor den Gefahren der elektromagnetischen Wellen gewarnt. Experten geben halbherzige Tipps, wie das Schalten in den Flugmodus, das Telefonieren mit Headset und das Vermeiden des Smartphonenutzung bei schwachem Funksignal. («Wie gefährlich ist Handystrahlung?», 2017)Ein Verzicht auf die Vorzüge des Smartphones scheint illusorisch. Neben seinem praktischen Nutzen ist das Smartphone das Statussymbol der heutigen Jugend. Diese Jugend, die so wenig Alkohol und Tabak konsumiert wie nie zuvor seit die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Konsumgewohnheiten junger Menschen erhebt.
Es bleibt einem wohl keine andere Wahl als die Belastung durch elektromagnetische Wellen so gering wie möglich zu halten und seine Mitmenschen zu mobilisieren. Dabei geht es nicht um Panikmache und die Aluhüte dürfen auch im Schrank bleiben. Allerdings sollte man bewusster mit seinem Smartphone umgehen, sei es in Bezug auf die Suchtproblematik oder auch die elektromagnetischen Wellen. Der aktuelle Stand der Wissenschaft sieht keine Gefahr, kann sie aber auch (noch) nicht ausschließen.
QUELLEN
Alkoholkonsum von Jugendlichen: Dein Limit? Kennste selber, ne? | ZEIT ONLINE. (s. f.). https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2017-05/alkoholkonsum-jugendliche-anstieg-umfrage
„Digital Detox“: Das neue Statussymbol? Handy haben, aber nicht benutzen - WELT. (s. f.). https://www.welt.de/icon/partnerschaft/article181191438/Digital-Detox-Das-neue-Statussymbol-Handy-haben-aber-nicht-benutzen.html
dpa. (2019, enero 8). Hintergrund: Faktencheck: Macht uns das Smartphone krank? Die Zeit. https://www.zeit.de/news/2019-01/08/faktencheck-macht-uns-das-smartphone-krank-181212-99-187965
FORSCHUNG / RAUCHEN: Wie gut. (1964, enero 22). Spiegel Online, 4. https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46162828.html
Gefährlich: Handy am Körper. (s. f.). https://www.zentrum-der-gesundheit.de/handy-am-koerper-gefaehrlich-ia.html
Haas, M. (2018). Smartphone-Markt: Konjunktur und Trends. 12. https://www.bitkom.org/sites/default/files/file/import/Bitkom-Pressekonferenz-Smartphone-Markt-22-02-2018-Praesentation-final.pdf
Honey, C. (2018, abril 9). Smartphone-Abhängigkeit: Was Handys mit Hirnen machen. Die Zeit. https://www.zeit.de/digital/mobil/2018-04/smartphone-abhaengigkeit-handysucht-unterschied/seite-2
Husmann, W. (2018, diciembre 31). Digital Detox: Der letzte Klick. Die Zeit.  https://www.zeit.de/kultur/2018-12/digital-detox-achtsamkeit-smartphone-nutzung-gehirn
Kulturgeschichte der Zigarette - Das Gift der großen, weiten Welt. (s. f.). https://www.deutschlandfunk.de/kulturgeschichte-der-zigarette-das-gift-der-grossen-weiten.1148.de.html?dram:article_id=377428
Menschen, die auf Handys starren: Machen Smartphones süchtig? | Wissen | SWR2. (2014, febrero 14). https://www.swr.de/swr2/wissen/handysucht/-/id=661224/did=12864238/nid=661224/12nuyjy/index.html
Rauchen: Das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko Deutschlands - SPIEGEL ONLINE. (s. f.). https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/rauchen-das-groesste-vermeidbare-gesundheitsrisiko-deutschlands-a-1181208.html
Wie gefährlich ist Handystrahlung? (2017, mayo 8). Apotheken Umschau website: https://www.apotheken-umschau.de/Krebs/Wie-gefaehrlich-ist-Handystrahlung-535337.html
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