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hollanna · 5 years ago
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Fünf Euro Feminismus
Nicht erst seit der Causa George Floyd überschlagen sich die internationalen Modekonzerne mit Solidaritätsaktionen gegen Sexismus und Rassismus. Wenn es um ihre eigenen Geschäfte geht, zeigen sie sich aber oft weniger zartfühlend. Anna Holl über die tristen Geschichten von Frauen in den Zulieferbetrieben der Textilindustrie, die die Folgen der Corona-Krise ohne jeden sozialen Rückhalt ausbaden müssen.
Hier geht’s zur Geschichte: https://www.derstandard.at/story/2000118955552/fuenf-euro-feminismus-fuer-weissein-europa
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hollanna · 7 years ago
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hier geht’s weiter zur Reportage: 
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wirtschaft/international/999568_Made-in-India.html
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hollanna · 8 years ago
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weiter zur Reportage geht’s hier: http://n21.press/leutemachenkleider/
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hollanna · 10 years ago
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Mein Name ist Arifa Sultana Anny. Ich bin 19 Jahre alt. 2 Jahre und sechs Monate lang habe ich in der Textilindustrie gearbeitet. Vor einem Monat verlor ich meinen Job, weil ich den Mund zu weit aufmachte.
Ich arbeitete sechs Tage die Woche in der Fabrik. Jeden Tag von acht in der Früh bis um fünf am Abend. An den meisten Tagen machte ich dazu noch Überstunden von fünf bis zehn am Abend. Dann war ich 14 Stunden in der Fabrik. Manchmal musste ich auch am Freitag arbeiten, also hatte ich keinen freien Tag in der Woche.
Ich stand jeden Tag um sechs Uhr morgens auf, bereitete mich vor und machte die täglichen Erledigungen. Ich musste kochen und das Haus in Stand halten. Um zwanzig vor acht ging ich zur Fabrik.
In der Fabrik war es eine Tortur. Es gab fünf Stockwerke und pro Stockwerk nur zwei Toiletten und die waren nicht einmal sauber. 400-500 Leute arbeiteten in der Fabrik. Es gab keinen Doktor, keine Kantine und keinen Gebetsraum. Wir stellten Kleidung für ZeroXposur (eine amerikanische Outdoormarke), Li and Fung (Supply Chain Manager aus Hong Kong, mit Kunden in Europa: Recherche folgt) und Dungafree her. Ich war in der Jacken-Produktion und mein Job war „Checker“. Nachdem die Jacken fertig genäht waren, war es meine Aufgabe, sie auf Fehler zu kontrollieren. Wenn ich einen Fehler fand, ging ich zu der Person, die diesen Arbeitsschritt gemacht hatte, damit sie den Fehler korrigierte. Für diesen Job bekam ich weniger Geld als die NäherInnen.
Ich wurde ständig unter Druck gesetzt
Wenn ich einen Fehler übersah und die VorarbeiterInnen fanden es heraus, sagten sie mir, dass ich meinen Job nicht gut mache. Wenn die VorarbeiterInnen einen Fehler fanden, ließen sie mich leiden. Sie strichen mir Stunden von meiner Anwesenheitsliste, für die ich dann nicht bezahlt wurde, obwohl ich gearbeitet hatte.
Eines Tages hörte ich von der National Garment Workers Federation (NGWF). Durch diese Föderation erfuhr ich von den Gewerkschaften. Also wollte ich eine Gewerkschaft in meiner Fabrik gründen. Dafür braucht man die Unterstützung von 30 Prozent der ArbeiterInnen.
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Als ich das Thema zum ersten Mal ansprach und den KollegInnen erzählte, dass ich eine Gewerkschaft gründen wolle, hatten sie zuerst Angst vor Drohungen des Managers und Angst ihren Job zu verlieren. Ich arbeitete jeden Tag. Ich sprach die anderen ArbeiterInnen während der Mittagspause, nach der Arbeit und in ihren Häusern an. Und manchmal sagten die ArbeiterInnen: „Nein“. Ich erzählte ihnen wieder und wieder von der Gewerkschaft und ein „Nein“ wurde oft zu einem „Ja“.
Als die Fabrikbesitzer davon hörten, dass ich der NGWF beigetreten war und meine eigene Gewerkschaft starten wollte, begannen sie mich psychisch unter Druck zu setzen. Es begann damit, dass sie mir zu viel Arbeit gaben, und mir den Lohn kürzten.
Eines Tages rief mich der Qualitätsmanager in sein Büro und drohte mir, dass er mich rauswerfen würde. Er sagte: „Weißt du, wie wir es machen werden? Wir werden Kleidung bringen und die Nähte anschneiden und sagen: Das ist die Qualität, die du produziert hast.“ Sie sagten auch, dass ich mit meiner Gewerkschaftsarbeit aufhören müsse und wenn nicht, dass sie mit der Peinigung und dem Druck weitermachen würden. Sie drohten mir, dass ich nicht mehr dort wohnen könne, wo ich wohnte. Sie drohten, dass sie zu meinem Vermieter gehen würden und ihm sagen würden, er solle mich aus meinem Haus rauswerfen.
Die Besitzer und die anderen höheren Angestellten waren sich noch nicht ganz sicher, ob ich wirklich eine Gewerkschaft gründen würde. Natürlich bestätigte ich ihren Verdacht nicht. Und ich stimmte auch nicht zu, damit aufzuhören. Ich hatte nämlich schon die Unterstützung von 100 Arbeitern für die Gewerkschaft. Ich brauchte nur noch fünfzig mehr, um die 30 Prozent zu erreichen.
Die Fabrik in der ich gearbeitet habe, heißt Elite Garments und der Besitzer hat eine zweite Fabrik, die Excel heißt.
Eines Tages holte mich der Qualitätsmanager ins „Chamber“, den Raum der Vorarbeiter und der anderen höheren Angestellten. Er sagte mir, dass er mich in die andere Fabrik versetzen würde. Ich wollte aber nicht dorthin versetzt werden, weil ich mit der Gründung der Gewerkschaft in meiner Fabrik schon begonnen hatte. All die Arbeit wäre umsonst gewesen.
Es kam soweit, dass der Qualitätsmanager sagte, ich solle darum betteln nicht in die andere Fabrik versetzt zu werden, indem ich seine Füße halte. Drei oder vier Leute waren im gleichen Raum und genossen die Show. Vor ihren Augen hielt ich die Füße des Managers umfasst. Alle machten Fotos. Sie lachten mich aus, kritisierten mich, beschimpften mich. Die Arbeit in der Fabrik ging weiter. Niemand außerhalb des Zimmers wusste, was passiert war. Ich machte das drei Stunden lang. Danach ließen sie mich mit der Warnung gehen, die Gewerkschaft nicht zu gründen.Bis zu diesem Tag wusste sie aber immer noch nicht hundertprozentig, ob ich wirklich eine Gewerkschaft gründen würde.
Nach diesem Vorfall wusste ich natürlich, dass ich nicht die Einzige war, die in der Fabrik litt. Also konnte ich nicht aufhören. Ich hatte schon 100 Leute, die mich unterstützten. Also ging ich vor dem Manager auf die Knie, damit die Gewerkschaft Wirklichkeit werden konnte.
Warum hätte ich aufhören sollen? Ich war schon so weit gekommen.
Später bekam ich die fehlenden 50 Unterschriften. Ich hatte ein Formular, auf dem ich die Unterschriften der ArbeiterInnen sammelte. Das bekam ich von der NGWF. Als ich die 150 Unterschriften hatte, brachte ich das Formular zur NGWF und von dort ging es zur Bestätigung zum Labour Office der Regierung. Als der Qualitätsmanager davon hörte, nahmen die Feindseligkeiten zu. Es gab noch mehr Druck. Man beschimpfte mich bei der Arbeit. Und eines Tages zwangen sie mich, ein weißes Papier zu unterschreiben. So warfen sie mich aus der Fabrik. Ich war arbeitslos.
Aber das Gewerkschafts-Formular war schon eingereicht worden. Darum kamen die Leute vom Labour Office zur Kontrolle in die Fabrik. Sie wollten die Gewerkschaft bestätigen. Von den 150 Unterschriften hatte ich zehn Leute für ein Komitee ausgewählt. Von diesen zehn waren fünf schon gefeuert worden und der Rest hatte zu viel Angst, irgendetwas zu sagen. Sie sprachen nicht. Die Regierungsleute fragten den Qualitätsmanager und den Produktionsmanager, was mit den fünf anderen Arbeitern geschehen war. Sie antworteten, dass die fünf auf eigenen Wunsch gegangen waren. Und die Regierungsleute glaubten ihnen. Sie wusste genau von der NGWF, dass die Arbeiter gefeuert worden waren, aber sie glaubten den Managern. Also wurde die Gewerkschaft bei dieser Kontrolle abgelehnt. Ich glaube, die Leute vom Labour Office unterstützten eher die Fabrikbesitzer als die Gewerkschaften. Man weiß es nicht. Vielleicht wurden sie bestochen?
Jetzt gibt es keine Gewerkschaft in der „Elite Garments“-Fabrik, weil ich dort nicht mehr arbeite. Das alles passierte vor einem Monat. Für den letzten Monat bekam ich keinen Lohn.
Ich hatte in der Textilindustrie zu arbeiten begonnen, weil mein Vater krank wurde. Damals ging ich in die 10. Klasse, zwei Jahre vor dem Abschluss. Er war sehr krank. Also war es an der Zeit für mich, einen Job zu finden. Ohne Abschluss bekam ich keinen guten Job. Ein Nachbar erzählte mir von der Textilfabrik in der Gegend. Also bewarb ich mich dort und bekam den Job. Es war angenehm für mich. Einen besseren Job fand ich nicht.
Als ich arbeitete, verdiente ich 6600 Taka (75€) pro Monat ohne Überstunden und 1500-2000 (ca.22€) für die Überstunden. Ich wohne bei meinen Eltern mit drei Geschwistern. Wir wohnen gemeinsam in diesem Zimmer in Kilga in Dhaka. Wir kochen auf den Gaskochern von den zwei Security Guards, die das Gebäude dort vorne auf der Straße bewachen. Wir teilen die Toilette mit fünf anderen Familien.
Meine drei Schwestern gehen in die Schule. Vorher konnte ich ihre Schulgebühren mit meinem Gehalt zahlen. Das waren pro Monat 2000 Taka. Dieses Zimmer kostet uns 3000 Taka im Monat. Meine Mutter arbeitet als Haushaltshilfe und verdient damit 3500 Taka. Mein Vater kann nicht arbeiten, weil er krank ist. Aber auch als ich noch Arbeit hatte, reichte der Lohn nicht aus, weil ich das ganze Geld für unser Essen, die Miete und die Schulgebühren ausgeben musste. Wenn jemand krank wurde, mussten wir einen Kredit aufnehmen. Es war nie genug.
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Meine Mutter ist die einzige, die jetzt Geld verdient. Nachdem ich meinen Job verloren habe, haben wir einen Kredit von 15.000 Taka aufgenommen. In einem halben Jahr muss ich fast 20.000 Taka zurückzahlen.
Die Fabrikbesitzer werden reicher und reicher, aber mit meinem Lohn kam ich nirgendwo hin. Wenn das Gehalt für die Arbeit in der Textilfabrik 15.000 Taka wäre, wenn die Leute diesen Lohn bezahlen könnten, dann könnte ich in Ruhe und befreit leben und wäre nicht immer unter Zeitdruck, um alles zu zahlen.
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Ich will nicht mehr in einer Fabrik arbeiten. Ich versuche einen anderen Job zu finden. Wenn das nicht klappt, muss ich doch wieder in einer Fabrik anfangen. Und dann werde ich trotzdem nicht leise sein. Ich muss wieder protestieren. Ich bin so. Als ich von der Gewerkschaft NGWF erfuhr, war ich es, die ihnen Fragen stellte. Es gibt zwei Arten von Menschen: diejenigen, die Korruption sehen und akzeptieren und die anderen, die sie nicht mögen und bekämpfen. Ich gehöre zu Letzteren.
Zuallererst bin ich stolz darauf, Kleidung zu machen, die Menschen überall auf der Welt und im Westen tragen können. Es macht mich stolz, dass entwickelte Länder unsere Kleidung kaufen. Ich bin stolz, dass Du sie trägst.
Gleichzeitig frage ich mich aber auch, warum die westlichen Länder uns keinen anständigen Lohn für unsere Arbeit bezahlen. Warum sie uns nicht unterstützen? Ich will, dass die Zwischenhändler den Fabriken mehr für unsere Kleidung zahlen, damit die Fabrikbesitzer uns ArbeiterInnen besser bezahlen können.
Für Bangladesch ist die Textilindustrie sehr wichtig und mit dieser Industrie können wir  die Lage unseres Landes verbessern. Dafür brauchen wir die Hilfe der ausländischen Leute, die unsere Kleidung kaufen. Ich verspreche im Gegenzug, die Kleidung so gut wie möglich zu machen.
Das ist mein Versprechen.
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hollanna · 10 years ago
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Der Blog
Zurück aus Bangladesch /// 23.10.2015 Ein Blog braucht Zeit. Das habe ich in den letzten zwei Monaten gelernt. Recherche über ein Thema braucht auch Zeit, und das Schreiben erst Recht. Als ich Mitte August nach Bangladesch flog, dachte ich, ich würde alle drei Dinge in den sechs Wochen vor Ort gleichzeitig machen können. Das hat nicht ganz funktioniert.
In den ersten Wochen waren die Recherchen noch nicht allzu intensiv, und ich habe meinen Blog täglich gefüllt. Nachdem ich zum ersten Mal in einem der Textilviertel außerhalb der Stadt war, standen die Recherchen im Vordergrund. Das Notizbuch füllte sich. Der Blog nicht mehr.
Drei Tage bin ich in die Textilaußenviertel von Bangladesch gefahren, mit Sabuj, diesem Gewerkschafter mit dem genialen Humor. Wenn er lachte, lachte ich auch, so ansteckend war es. Er nannte sich Marxist, konnte wenig Gutes über Fabrikbesitzer und Konzerne sagen, rauchte gerne eine Zigarette und trank mit mir Tee an den kleinen Straßenständen. Sein Freund Hassan half mir beim Übersetzen und das gratis. Zu dritt waren wir den ganzen Tag in den Textilvierteln unterwegs. Es war herausfordernd: Lange Interviews mit Textilarbeitern machen, die richtigen Fragen stellen und die (übersetzten) Antworten notieren, immer wieder entscheiden, was wichtig ist und was nicht, wohin es als nächstes geht und dann auch noch die Geschichte mit der Kamera festhalten! Keine einfache Sache. Wir verbrachten intensive, lustige und unvergessliche Tage miteinander. Und jeder endete mit einem Abschlusstee oder einem Abschlussessen.
Und danach? Danach kam ich verschwitzt und müde, mit tausend Gedanken im Kopf in meinem zu Hause in Bangladesch an. Nach einer langen Heimfahrt durch den dichten und verstopften Verkehr dieser Stadt. Vielleicht hätte ich mich danach noch hinsetzen sollen und schreiben? Aber ich konnte einfach nichts mehr machen. Nichts, als nach einem genialen Essen in Sarahs Zimmer eine Zigarette mit ihr zu rauchen und den Tag mit einem netten Gespräch abzuschließen. Nichts als mich mit Freunden, die ich in der kurzen Zeit kennen gelernt hatte, auf einen Tee zu treffen (oder auf ein kaltes Bier, das in Bangladesch eigentlich verboten ist.)
Und so ging die Zeit dahin. Ich konzentrierte mich auf ’s Planen und darauf, diese Pläne auszuführen. Zum Schreiben blieb wenig Zeit. Ich traf mich mit einem Filmemacher, der einen Film über die Textilindustrie rausbringen würde. Ich schaute mir im Umland Fabriken und traditionelle Methoden der Kleidungsherstellung an. Ich traf einen Fabrikbesitzer und redete mit ihm drei Stunden über sein Geschäft. Zwischendurch erlebte ich den Alltag in Bangladesch, lief und fuhr durch die Stadt und lernte einige wenige Worte Bangla. Ich feierte das muslimische Opferfest Eid mit meiner Familie aus Bangladesch. Ich besuchte die Produktion von Aranya, ein Modelabel aus Bangladesch, das Stoffe mit Naturfarben färbt und bedruckt. Ich traf mich mit Mitgliedern von drei Gewerkschaften. Ich stand zwei Mal um fünf in der Früh für einen Videodreh auf, der völlig in die Hose ging. Ich fuhr in zwei Textilviertel und sprach mit vielen Arbeitern. Und am Ende hatte ich drei Notizbücher voll mit Geschichten. Die liegen nun auf meinem Schreibtisch.
Seit ich zurück bin, blättere ich sie immer wieder durch und gehe die Geschichten durch, schreibe die Reportage in meinem Kopf und bringe die ersten Gedanken aufs Papier. Ich versuche die vielen Geschichten und Menschen zu einem großen Ganzen zu formen.
Hätte ich mir ein banaleres und weniger komplexes Thema ausgesucht, wäre das vielleicht einfacher. Aber die gesamte Industrie eines Landes, die mir ihr verbundene kapitalistische Welt-Ökonomie und die westlichen Textil-Konzerne in ein Bild zu bringen, ist naturgemäß schwierig.
Ich lese immer noch viel, ordne meine Informationen, Bilder und Geschichten. Und schön langsam formt sich in meinem Inneren das große Bild, meine Geschichte. Ich will und werde sie so gut wie möglich erzählen. Ich will euch zeigen, was ich gesehen habe. Es hat meinen Horizont erweitert, meine Gedanken verändert. Im besten Fall wird es euch genauso gehen.
Eintauchen in einen Teil von Dhaka /// 18.08.2015In Dhaka leben mehr Menschen als in ganz Österreich. 15 Millionen Menschen teilen sich eine Stadt. Das versteht man erst einmal gar nicht. Wie soll das funktionieren?
Ich lebe sonst im kleinen Wien mit 1,7 Millionen Menschen. Das ist nicht viel mehr als ein Zehntel von Dhaka. Und aufgewachsen bin ich in einer Stadt mit 4.000 Einwohnern. So viele Menschen wohnen hier in einer großen Wohnanlage.
Aber die 15 Millionen machen sich schnell bemerkbar. In den vielen, eng aneinander gezwängten Hochhäusern, alle mit 5-17 Stockwerken. In der Geräuschkulisse, die diese Stadt ständig umgibt: Autos, Motorräder, kleine Dreirad-Taxis, die hier CNG genannt werden, und Rikschas. Alle hupen oder klingeln. Selbst wenn ich zu Bett gehe, sind sie mein Schlaflied.
Wirklich bewusst werden mir die Menschen immer wieder, wenn ich von A nach B fahre. Meistens in einer Rikscha und bei längeren Fahrten mit CNGs. Eine Strecke von 10 Kilometer dauert hier mehr als eine Stunde. Zu viele Fahrzeuge für die Straßen, somit bewegen sich die Fahrzeuge streckenweise nur im Schritttempo Täglich sitze ich etwa zwei Stunden im Verkehr. Wenn das CNG dann wieder mal für längere Zeit steht,  frag ich mich immer, wie viele der 15 Millionen gerade auf der Straße sind. Diese Geschichte wird der Stadt aber nicht gerecht.
Ich war in drei Teilen der Stadt unterwegs, habe fotografiert und nehme euch hier mit auf eine Bootsfahrt am Buriganga-Fluss, in das Industriegebiet südlich von Dhaka und in die Altstadt.
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Vom Sadarghat-Hafen fahren Fähren in viele verschiedene Städte des Landes und kleine Holzboote bringen Menschen von einem Ufer ans andere.
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Das Ganze erinnert mich ein bisschen an ein weniger schickes Venedig. Die Gondolieri bringen die Passagiere von einer Seite des Flusses auf die andere. Rechts ist die Altstadt von Dhaka, links das Industriegebiet südlich von Dhaka.
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Hier am Buriganga-Fluss sortieren Arbeiter zerkleinertes Hartplastik. Sie waschen es im Fluss und anschließend wird es wiederverwertet. „It goes to China“, sagt Nuer, mein Stadtführer. „And something new comes back to Bangladesh.“
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Nach einer Rikscha-Fahrt kommen wir ins Textilviertel von Süd-Dhaka. Die blaue Jeansfarbe taucht überall auf der Straße auf.
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All diese mehrstöckigen Gebäude sind voller Fabriken, erzählt mir Nuer. Die Fabriken hier produzieren für den lokalen Markt.
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In den Textilfirmen die für den Westen produzieren, ist Kinderarbeit Tabu. Wenn bei einer Fabrikbesichtigung ein Kind gesehen wird, ist die Fabrik für westliche Firmen gestorben, wird mir erzählt. Das ist eine positive Entwicklung.
Das Grundproblem ist damit aber nicht gelöst. Dass manche Eltern ihre Kinder Arbeiten schicken, weil sie an Geld kommen müssen. So findet die Kinderarbeit anderswo statt. Auf den Straßen, als Bettler und Verkäufer, in der Industrie oder wie hier in den Textilfabriken für die lokale Produktion.
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In diesem Raum unterhalb der Fabrik werden die Taschen für die Hosen hergestellt.
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Die fertigen Hosen werden für den Verkauf weiter transportiert. Überall im Viertel sieht man Kleidungsstücke herumwandern. Als wir weitergehen, nicht weit weg von den Fabriken, werden die Textilien gleich verkauft.
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Über den Fluss geht es zurück nach Old Dhaka, die Altstadt. Die Straßen sind voller Leben. Das Auge kann gar nicht alle Reize wahrnehmen.
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Die Altstadt von Dhaka hat einige alte Gebäude. Aber immer mehr müssen neuen Gebäuden weichen.
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87% der Menschen in Bangladesch sind Muslime. Morgens um ungefähr fünf eröffnet der Muezzin den Tag mit seinem Gesang.
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12 Prozent der Bangladeshis sind Hindus.
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282 Fabriken /// Mo. 07.09.2015 Ich bin gerade an einer kleinen bis großen Recherche dran. Klein hat es begonnen, groß könnte es werden. H&M veröffentlicht auf seiner Homepage all seine Zulieferfabriken. Ich mache mir eine Liste von den Fabriken in Bangladesch, lösche die Doppelnennungen. Es dauert lange. Schlussendlich habe ich eine Zahl: 282 Fabriken produzieren in Bangladesch für H&M.
Diese Zahl ist der Beginn. Ich will mehr wissen.
„Watschn“ /// Mo. 07.09.2015 Und immer wieder denke ich an sie. Vor allem an sie. Diese junge Frau. Neunzehn Jahre alt. Arifa. Ich tippe in den Computer, was sie mir beim Interview erzählt hat.
Die Welt ist nicht fair, das wusste ich schon vorher. Aber es war wieder mal diese „Watschn“ die es mir gezeigt hat. Und wenn ich an Arifa denke, denke ich an die großen Unternehmen, die so viel Macht haben.
Arifa hat mir die Labels genannt, für die sie genäht hat. Sie hat mir sogar Etiquetten der Kleidungsstücke gezeigt, die sie aus der Fabrik mitgenommen hat. Beim Recherchieren stellt sich heraus, dass es eine amerikanische Sport-Marke ist, die ihre Produkte nur online verkaufen. Ich weiß jetzt, wie solche Produkte hergestellt werden und das ändert ziemlich viel. Ich tippe jeden Satz ab, den mir Arifa und Jassmin erzählt haben. Ihre Geschichten sagen viel aus darüber, wie die Kleidung für den Westen produziert wird. Bald gibt es die Geschichten hier in voller Länge.
Österreich in Bangladesch /// So, 06.09.2015  Ich kaufe mir eine Zeitung auf der Straße. Es ist Sontag und schön langsam habe ich mich daran gewohnt, dass der Sonntag hier im muslimischen Bangladesch wie unser Montag und das Wochenende freitags und samstags ist. Unser Faulenz-Sonntag wird zum Beginn der Woche.
12 Taka kostet die Zeitung, das sind 14 Cent. Ich kann es bis jetzt nicht glauben, 14 Cent für eine ganze Zeitung. Eine Mango kostet mich hier zehn Mal so viel.
Mit der Zeitung unterm Arm laufe ich die Straße entlang weiter. Während ich über den holprigen Gehsteig laufe, werfe ich einen Blick auf die Titelseite und lese „Austria.“ Ich bleibe stehen und lese mir die ganze Geschichte durch. Österreich auf der Titelseite in Bangladesch. Da steht:
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Eine Frage /// Fr, 04.09.2015 Nach den Interviews zeigt mir Hera von der NGWF (National Garment Workers Federation) ihren Workshop. Eine große Gruppe von Textilarbeitern lernt dort drei Tage lang über ihre Rechte als Textilarbeiter, indem sie die Arbeitergesetze besprechen. Sie lernen, wie sie eine Gewerkschaft in ihrer Fabrik starten und Hera gibt ihnen Ratschläge, wie sie ihr Geld managen.
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Ich höre zu. Ein Trainer übersetzt für mich. Hera stellt mich den Arbeitern vor und ich muss erklären, was ich hier in Bangladesch mache. Alle hören aufmerksam zu. Als ich fertig bin, will Hera, dass ich die Arbeiter mit ein paar Worten ermutige. Puh. Das fällt mir schwer. Alle warten, was ich sagen werde.
Ich habe heute zwei faszinierende Frauen kennen gelernt, die beide in ihrer Fabrik einer Gewerkschaftsbewegung gestartet haben. Ich sehe hier an diesem Ort so viel positive Kraft, die gegen ein bestehendes System kämpft. Als ich das zusammenfasse und den Arbeitern sagen will, dass sie auch so viel Kraft haben können, gemeinsam, ist das ein sehr emotionaler Moment. Ich frage mich, ob man mir das ansieht.
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Danach frage ich die Arbeiter, ob sie Fragen an mich haben. Eine junge Frau (mit lila Kleidung im Bild) steht auf und sagt. „Wir Textilarbeiter arbeiten hier sehr viel und lange in den Fabriken und am Ende des Monats bekommen wir nicht genug Geld dafür. Wie kannst du uns helfen, dass das anders wird?“
Ich sage, dass ich Journalistin bin und über die Arbeitsverhältnisse schreiben werde und die Leute zu Hause es so lesen werden. Das ist alles, was ich machen kann. Und ich sage, dass ich gerne all ihre Geschichten hören würde und wenn sie Lust haben mir aufschreiben können, was sie gerne sagen wollen. Ich werde es dann veröffentlichen und den Leuten weitergeben. Alle im Saal kramen in ihren Taschen und holen Notizblöcke und Zettel heraus. Einige beginnen schon zu schreiben. Ich sage, sie können es später machen und ich hole die Nachrichten in ein paar Tagen ab.
Bevor ich gehe, kommen einige her und wollen ein Foto mit mir machen. Auch die Frau mit der Frage.
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Jessmin und Arifa /// Fr. 04.09. 2015 Es ist Freitag. Heute treffe ich die Textilarbeiterinnen. Ich sitze mit Sarah im CNG, dem Drei-Rad-Taxi von Asien. Sarah wird für mich übersetzen. Auf meinen Schoß liegt mein A4-Blog. Zwei Seiten voll mit Fragen, die ich den Arbeiterinnen stellen will. Meine Augen überfliegen die Fragen und überlege, wie ich sie stellen soll.
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Später wird alles ziemlich anders werden. Denn die Geschichten von Arifa und Jessmin, die ich treffen, sind so besonders, dass sie unser Gespräch leiten. Meine Liste an Fragen wird Nebensache werden.
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Als das CNG hält, sind wir eine halbe Stunde zu früh da und Sarah und ich trinken noch einen Tee in einem kleinen Restaurant. Meine Liste wird noch einmal bearbeitet und dann starten wir los. Und treffen Jessmin und Arifa.
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Ich sitze im Haus von Arifas Familie. Es ist ein Zimmer mit zwei Doppelbetten, die der Länge nach hintereinander stehen. Daneben ein schmaler Gang, der zu Hälfte von einem großen Schrank verstellt ist. Darin die bunten, schönen Salwar Kameez der Frauen der Familie (traditionelle Kleider in Bangladesch), Haarbürsten, Zahnbürsten, Becher, Zündhölzer, alles Mögliche. An der Decke läuft der Ventilator und macht es in der Hitze angenehm. Die Wände sind massive, silber-glänzende Wellblechdächer. An der Decke hängt die Fahne von Bangladesch, gleich neben einem Familienfoto und einem Foto eines lokalen Politikers. Arifa sitzt neben mir am anderen Bett. Sie ist neunzehn Jahre alt. Gerade gibt sie ihrer kleinen Schwester einen Geldschein und die verschwindet zur Tür hinaus, wo einige Nachbarn neugierig reinschauen. Was macht die Ausländerin hier?
Die Ausländerin stellt Fragen und Arifa antwortet. Sie hat zweieinhalb Jahre in einer Textilfabrik gearbeitet und erzählt mir zwei-drei Stunden lang, wie es war dort zu arbeiten. „Danke, dass du da bist Anna. Es freut uns, wenn jemand unseren Geschichten zuhört,“ sagt sie. Arifas Schwester kommt mit einer großen Packung Keksen zurück. Das ist die Gastfreundschaft von Bangladesch. Also reden wir weiter über die Arbeit in der Fabrik und essen gleichzeitig Kekse.
Die Gewerkschaft ///  Mi. 02.09.2015 Ich sitze in einem langen dünnen Raum, an einem Tisch, der sich diesem Raum offensichtlich angepasst hat. Gerade nicht zu groß, damit noch Stühle darum stehen können. Die Wände sind vollgepflastert mit großen Bildern. Von Demonstrationen. Textilarbeiter die Banner in die Höhe halten. Safia, die mich gerade mit einer großen Umarmung begrüßt hat, zeigt auf einen Mann: „Brother Amin“ und ihre Hand findet denselben Mann an vielen Stellen der Wand. Die Fotos zeigen die National Garment Workers Federation in Aktion. Es ist eine Gewerkschaft, und Brother Amin ist der Chef. Mit ihm habe ich gestern telefoniert und das Treffen ausgemacht.
Ich betrachte die Bilder, eines zeigt vier Kinder. Darunter steht, dass diese durch den Einsturz des Rana Plaza-Gebäudes 2013 zu Waisen geworden sind. Und dann in dieses Büro gekommen sind, um Hilfe zu suchen. Ich würde gerne alle Geschichten unter den Bildern lesen, da werde ich schon in einen weiteren Raum geführt. Wir gehen durch einen langen schmalen Gang. Er ist feucht, vom vielen Regen. Vor der Tür ziehen wir die Schuhe aus und treten ein. Das Büro der Gewerkschaft.
Es gibt neun weitere solche Büros in anderen Städten von Bangladesch. Mir wird Tee angeboten. Den lehne ich ab, auch wenn es sich falsch anfühlt, aber den Durchfall der letzten Tage muss ich nicht unbedingt wiederholen. Wir sitzen zu fünft an einem Schreibtisch und reden über die Textilindustrie, darüber, was ich machen will und darüber was wir gemeinsam machen können. Golam in der Mitte übersetzt auf Englisch, was ich sage und mir was die anderen sagen. Die Wand ist bedeckt mit bedruckten weißen A4-Zetteln. Alles Beschwerdefälle von Arbeiterinnen, wird mir erklärt. Die zwei Frauen am Tisch haben beide über zwanzig Jahre in Fabriken gearbeitet, jetzt arbeiten sie Vollzeit in der Gewerkschaft. Wenn ich Fragen über die Arbeit in den Fabriken stelle antworten sie schnell und mit vielen Worten. Am Freitag werde ich wieder kommen, dieses Mal um mit Textilarbeitern zu sprechen, Interviews zu machen. Und sehr wahrscheinlich auch, um mit ihnen in deren Häuser zu fahren, um ihr Leben zu sehen. Um zu sehen, welches Leben sie sich mit ihrer Arbeit finanzieren können.
Mensch sein in Österreich – Mensch sein in Bangladesch ///  Mo. 31.08.2015 Ich liege im Bett. Der Ventilator läuft an der Decke. Ich schwitze trotzdem. Gerade habe ich die letzte Sitzung am Klo hinter mir. Kein schönes Erlebnis. Durchfall.
Ich hab den ganzen Vormittag geschlafen und genug davon. Ich schaue auf den Bildschirm und sehe durch Facebook, was zu Hause passiert. 20.000 Menschen auf einer Demo für Flüchtlinge. Das ist wunderschön. Die Szenen am Westbahnhof. Mein Facebook ist voll von positiven Flüchtlings-Geschichten. Das ist mal etwas anderes, und wirklich erfrischend.
71 tote Flüchtlinge sind in einem Lastwagen gefunden worden. Das verändert Österreich. Schade, dass es immer wieder so schlimme Ereignisse braucht, damit sich etwas ändert. Trotzdem gut, dass sich etwas ändert. Die Solidarität, die es vorher schon gegeben hat, summiert sich und zeigt sich auf den Straßen. Es ist schön, das über Facebook mitzuerleben. Und ich denk mir, es ist fast schade, dass ich nicht zu Hause bin. Und ich denk mir: Jetzt sitze ich hier in Bangladesch und will über die Textilindustrie schreiben, darüber wer unsere Kleidung produziert. Das interessiert doch jetzt kein Schwein. Das Thema Nummer Eins sind Flüchtlinge. Ich hätte an Europas Grenzen fahren sollen, das wäre zeitgemäße Berichterstattung.
Textilindustrie ist nicht zeitgemäß, nicht wirklich aktuell. Hier in Bangladesch ist alles ziemlich ruhig und alltäglich. Es ist gerade niemand gestorben. Vor zwei Jahren war das anders, da war Bangladesch Thema Nummer Eins. Als 1.138 Menschen beim Fabrikeinsturz von Rana Plaza ums leben kamen.
Und dann denk ich mir: So ein Blödsinn, Anna! So ein Blödsinn, was du denkst. Ich muss die Themen doch nicht vergleichen. Das eine schließt das andere nicht aus. Nur weil es keinen schlimmen Auslöser gegeben hat, und nicht alle Augen auf das Thema gerichtet sind, besteht das Problem trotzdem. Das Thema ist aktuell. Jeder von uns kauft regelmäßig Kleidung. Und die wird zu einem großen Teil hier in Bangladesch produziert.
Hier in Bangladesch geht es auch um’s Mensch sein. Für die Textilarbeiter. Mensch sein in Bangladesch.
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Oh /// Sa. 29.08.2015 Ich stehe am Bug eines kleinen Holz-Motorbootes. Nuer hält meine Kamera und gibt mir Anweisungen: „Streck beide deine Arme in die Höhe!“ Er zeigt es mir vor und macht eine Art Titanic Pose. Die soll ich jetzt machen, und er macht ein Foto davon. Ich bin mitten am Buriganga Fluss. Gerade sind wir vom Hafen weggefahren. Nuer ist mein Guide. Er lacht viel. „Na mach schon!“ Ich strecke die Arme leicht in die peinliche Position. Rund um uns sind sicherlich zwei Dutzend Schiffe. All deren Passagiere schauen auf mich, die Ausländerin, die mitten am Fluss am Bug eines Schiffes steht und jetzt auch noch ihre Arme in die Höhe streckt. Ich mach es kurz, nur ganz kurz. Für Foto-Shootings war ich noch nie gemacht. Ich bin lieber hinter der Kamera. Das ist meine gewöhnliche Position. Der Mann hier dreht den Spieß um. Ich blicke nach vorne auf den breiten Fluss. Wir fahren unter einer massiven Betonbrücke durch. Rechts von mir ist die Altstadt von Dhaka. Links von mir Süd-Dhaka, mit einem großen Industriegebiet. Vor mir ist der Buriganga. Und darauf hunderte kleine Holzboote, die von Männern mit langen Holzpaddeln über den Fluss chauffiert werden. Es sieht ein bisschen aus wie Venedig, ein etwas heruntergekommenes Venedig. Ein großes, tiefliegendes Dampfschiff fährt dicht an unser Boot rann. Nuer erzählt mir etwas darüber. Meine Gedanken sind noch beim Venedig von Bangladesch. Da sagt Nuer: „Da rüber.“ Was? Da rüber? „Was meinst du?“ Er deutet auf das Dampfschiff. Oh.
Ich wage einen kleinen Sprung und bin auf dem anderen Schiff. „Everything is possible with me!“, sagt Nuer und lacht laut und lang. Und ich lache mit.
Mehr Eindrücke von meiner Tour durch die Stadt, gibt es bald in Bildformat. Ich war im Industrieviertel von Süd-Dhaka und habe in Textilfabriken reingeschaut. Solche, die für den lokalen Markt produzieren, nicht für den Westen. Ich habe bei der Schiffsreparatur zugeschaut, war in einer wunderschönen Moschee, bin durch die geschäftigen Gassen der Altstadt gelaufen und habe Tee mit Bangladeschis geteilt. Eigentlich sie mit mir. Zwischendurch habe ich mir massiven, aber gottseidank kurzweiligen Durchfall geholt und in den folgenden Tagen mehr Zeit am Klo als auf der Straße verbracht.
Überall Textil  ///  Mi 26.08.2015 Heute habe ich meinen Computer vom Techniker zurückbekommen. Er funktioniert wieder. Das macht einiges einfacher. Jetzt zum Eigentlichen:
Ich komme hier so oft und immer wieder in Kontakt mit Leuten, die in der Textilindustrie arbeiten. Vor ein paar Tagen war eine Cousine von Sarah zu Besuch, deren Mann gerade die Arbeit in seiner neuen Textilfabrik gestartet hat. Heute sitze ich mit Atik und seinen Freunden auf der Dachterrasse und Atik erzählt, dass der Freund neben mir ein „Buyer“ ist und für ein „Buying House“ arbeitet. So nennt man diejenigen, die als Zwischenhändler für westliche Textilunternehmen arbeiten.
Er erzählt von seiner Arbeit. Dass er für deutsche Unternehmen arbeitet. Er sagt mir sogar den Namen eines Unternehmens. Ich habe dort schon eingekauft. Jeder von uns wahrscheinlich. Ich schreibe hier nicht, welches Unternehmen es ist, weil ich mit ihm in Zukunft gerne zusammenarbeiten will. Wenn ich alles hier schreibe, könnte er Probleme bekommen und ich verliere den wichtigen Kontakt. Das Ganze funktioniert so, erzählt er mir: Sein Boss fliegt nach Deutschland und nimmt dort die Verträge auf. Die Unternehmen nennen den Preis, den sie für das Produkt zahlen wollen. Wenn der nicht möglich ist, bekommt sehr wahrscheinlich jemand Anderer den Vertrag.
Der Freund zeigt auf Atiks T-Shirt. „Wie viel glaubst du, bekomme ich für so ein T-Shirt?“ fragt er mich. Vielleicht 1-2 Dollar? „Ich bekomme etwas mehr als einen Dollar,“ sagt er. Und diese Summe teilen sich, er also der Buyer, die Textilbesitzer und die Textilarbeiter. Für ihn ist die Textilindustrie nicht schlecht. Sie ist gut. Und sie bietet den Bangladeschis Arbeitsmöglichkeiten. Wir reden lange. Das Thema ist komplex. Er kann mir nicht genau sagen, wie es ist. Jede Fabrik ist anders, so auch die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung. In vielen Fabriken machen die neuen Gewerkschaften Ärger, meint er, aber nicht in allen. Bei einem ist er sich sicher: „Wenn uns die westlichen Unternehmen mehr Geld geben, kommt natürlich mehr zu den Arbeitern.“
Es ist nicht alles schlecht  ///  Di, 25.08.2015 Ich bin wieder mal auf Besuch in Sarahs Zimmer: zum Rauchen. Sie hat mir gerade Musik aus Bangladesch gezeigt. Eine junge Bangladeschi mit schwarzem Hindu-Punkt singt aus dem Laptop-Bildschirm heraus. Drei Männer hinter ihr vollbringen den Rest. Schlagzeug, E-Gitarre und Bass. Sehr rockig und irgendwie wild. Dazu die tiefe Stimme der Sängerin, die ein traditionelles Lied in den Rock-Sound einbettet. Genial. Faszinierend. Ihre Stimme benutzt andere Tonhöhen und –abfolgen, als wir es im Westen tun.
Wir schweigen und lauschen der Musik, da sagt Sarah plötzlich: „Anna, schreib nicht nur die schlimmen Sachen über die Textilindustrie. Es gibt gute Sachen hier. Es gibt auch gute Fabriken.“ Sie schaut ernst und redet von einer Doku, die ihr ein Freund gezeigt hat und zeigt sie jetzt mir. Darin ist ein Kanadier zu sehen, der eine sichere und faire Fabrik betreibt. „Es ist nicht alles schlecht“, sagt Sarah. „Die Textilindustrie ist eine großes Potential für Bangladesch.“
Am nächsten Tag sitze ich mit Samina Luthfa im Aufenthaltsraum der Professoren an der Dhaka University, der staatlichen Universität von Bangladesch. Sie hat mit drei anderen Professoren eine Studie über Textilarbeiterinnen gemacht. Sie selbst betrachtete deren Leben aus soziologischer Perspektive. Sie analysierte, was die Textilarbeiterinnen essen, ob sie sich medizinische Behandlungen leisten können und das Sicherheitsgefühl der Arbeiterinnen in den Textilfabriken. Die fertige Studie kann sie mir nicht geben. Sie wird erst veröffentlicht. Aber sie gibt mir einen kurzen Einblick: Das Sicherheitsgefühl der Arbeiterinnen sei seit dem Einsturz von Rana Plaza 2013, wo fast 1.200 Menschen starben, gestiegen. Die Arbeiterinnen fühlen sich bei der Arbeit sicherer. Das kann zeigen, dass die Veränderungen die seit dem verheerenden Unglück gemacht wurden, wirklich Auswirkungen auf das Arbeitsklima haben. Die Ernährung sei aber sehr schlecht. Meistens nur Reis, also Kohlenhydrate, keine Proteine und Vitamine. Ihr Kollege, der an der Studie mitarbeitete, stößt zu uns, bestellt einen Tee. Wir reden über das Weltwirtschaftssystem. Er sieht die Probleme der schlechten Bezahlung, meint aber auch: „Für Frauen, die in Textilfabriken arbeiten, verbessern sich ihre Lebensumstände. Ihr Status in der Familie und Gesellschaft ändert sich. Sie sind diejenigen, die Geld reinbringen und ihre Familie finanziell unterstützen können“. Er betont, wie wichtig er es findet, dass ich das auch beleuchte.
Der Rock  /// Mo, 24.08.2015 Ich wasche den dunkelbauen, langen Rock. Er hat mich jetzt sechs Tage durch Dhaka begleitet und war dabei unbezahlbar. Lang und dezent. Er berührt fast den Boden, mit jedem ungewaschenen Tag wurde er länger. Heute zu lang und zu dreckig. Das Wasser färbt sich braun, wie der Staub auf den Straßen. Der Rock ist dem, was die Frauen hier tragen sehr ähnlich. Er ist perfekt für hier. Luftiger als eine Jeans. Weniger auffällig. Gemütlich. Er passt zu dieser Kultur und zu mir gleichzeitig.
Gekauft habe ich ihn um 15 Euro in Österreich. Gemacht wurde er in Bangladesch, steht am Etikett. Es war die Ironie des Lebens. Die Ironie unseres Wirtschaftssystems. Die Frauen, die ihn genäht haben, bekommen einen Mindestlohn von 5300 Taka, das sind knapp sechzig Euro. Ich will in den kommenden Wochen herausfinden, welches Leben man damit führen kann. Und was es für Frauen in Bangladesch bedeutet, wenn ich einen Rock um 15 Euro bei einem der großen Ketten in Österreich kaufe.
Ich habe vergessen auf Holz zu klopfen  ///  So-Mo, 23-24.08.2015 Eine Stunde nachdem ich mit einer Freundin geskyped habe und erzählt hatte, wie genial und einfach der Anfang hier ist, gibt es eine „Watschn“ für mich. Mein Laptop geht ganz plötzlich ein, lädt nicht mehr, ist unbenutzbar. Supergenial. Die Blogeinträge, die ich geschrieben habe, sind futsch. Ziemlich cool für meine Recherche. Ziemlich cool für’s Video schneiden. Ich bin begeistert.
Der Typ im Apple-Shop sagt, die Wahrscheinlichkeit, dass er ihn wieder hinbekommt ist gering. Wahrscheinlich braucht er ein Teil, das aus Singapur hertransportiert werden muss. In 21 Tagen fahre ich fast schon wieder nach Hause.
Familienessen  ///  So.23.08.2015 Sarahs Mutter und ich warten auf Atik, Sarahs Bruder. Sarah selbst sitzt vor ihrem Laptop und arbeitet an einer Grafik. In zwei Tagen muss sie eine 80-Seitige Arbeit an der Uni abgeben. Sie studiert Architektur. Morgen wird sie Pläne für die Endarbeit zeichnen. Darum kann sie nicht zum Familienessen mitgehen. Der Fernseher läuft, Nachrichten auf Bengalisch. Eine Frau spricht ins Mikrofon. Sarahs Mutter sagt: „Our Prime Minister“. Ich höre Stolz aus ihrer Stimme. Sheikh Hasina ist Premierministerin von Bangladesch. „She is the daughter of Sheikh Mujibur.“ Dem Mann der den Unabhängigkeitskrieg gegen Pakistan geführt und 1971 gewonnen hat. Vier Jahre später wurden er und seine gesamte Familie von Extremisten ermordet. Bis auf zwei Töchter, die sich gerade in Europa aufhielten. Eine davon ist jetzt Premierministerin von Bangladesch. Eine Frau an der Macht, in einem muslimischen Land. Ein Vorurteil von mir wird gerade zerstampft.
Beim Familientreffen gibt es wieder zu essen. Viel zu essen. Wir essen mit den Händen. Wie ich es mache und das ich es mache, ist lustig für alle anderen. Die Gastgeberin ist Sarahs Tante. Sie spricht kein Englisch, läuft in der Küche von A nach B und schaut, dass alle zufrieden sind. Ihr Mann und ihr Schwager unterhalten sich mit mir über meine Recherche. Aber ich bin immer wieder abgelenkt von dieser Frau. Sie hat ein Lachen am Gesicht und strahlt eine Zufriedenheit aus, die ansteckend ist. Sie sagt etwas auf Bengalisch zu ihrer Tochter Brishty, die auch am Tisch sitzt. „She’s asking why you are looking at her so much,“ sagt Brishty lachend. Ich fühle mich ertappt beim Starren und erkläre, dass ich ihr Lachen wunderschön finde. Alle lachen.
Das Essen ist natürlich genial. Danach gehen wir Jungen in das Zimmer von Brishty. Sie, ihre Schwester, Atik, zwei Cousins und ich. Brishty ist wie ihre Mutter, voller Elan und Zufriedenheit. Sie redet gerne und kraftvoll. Wir reden über Faridpur, das Heimatdorf der Familie. Ich habe schon viele Geschichten von Sarah und Atik gehört und wurde dorthin eingeladen. Wenn Brishty über Faridpur redet, strahlen ihre Augen. Sie sagt: „Our president comes from Faridpur. Faridpur is the place of strong women.“
Win Win – Essen /// Fr, 21.08.2015 Ich habe schon lange nicht mehr so viel gegessen wie hier. Drei mal täglich. Schon am Morgen gibt es warmes Essen. Sarahs Mutter bereitet es mit zwei Haushaltshilfen zu. Die zwei wohnen und schlafen hier. Sie bekommen ein kleines Gehalt.
Wenn ich esse, schaut Sarahs Mutter genau, wie viel ich esse und ob ich alles probiere. Wenn nicht, füllt sie einen Schöpfer an und schaut mich fragend an. Meistens nicke ich und der Schöpfer landet auf meinem Teller. Jeden Tag kommt ein neues Gericht dazu, es sind so viele verschiedene: Reis, Chapati (ein typisches dünnes Fladenbrot), eingerollte, gefüllte Chapati, Kartoffeln, Melanzani, Grünzeug, Hühnchen, Rind, Fisch in verschiedenen Größen, alles in würzigen Soßen. Dazu frisches Gemüse und Salat. Und manchmal eine Nachspeise. Bei solcher Großzügigkeit, drei mal täglich gratis Essen, bin ich mir zuerst schmarotzerisch vorgekommen. Wie ein Parasit im Haus. Aber Sarahs Mutter ist traurig, wenn ich nicht esse. Also esse ich. Sie ist glücklich. Ich bin glücklich.
Aller Anfang ist schwer. Und Aufregend  ///  Fr, 21.08.2015 Ich will das Ganze langsam angehen. Erst mal etwas ankommen hier in Bangladesch, bevor ich loslege. Dazu kommt die Portion Respekt, die ich vor dem ganzen Thema habe. Es ist komplex. Sehr komplex. So viele verschiedene Akteure, so viele verschiedene Interessen. Ich bin dafür keine Expertin. Habe nur meine Bücher und meine Archiv-Artikel, sowie meine Ohren zum Zuhören und meinen Mund zum Fragen stellen. Ich versuche das Ganze etwas gelassen zu sehen, obwohl ich jetzt schon Angst habe, dass mir die Zeit zu kurz wird. Im Grunde genommen ist es Luxus, sechs Wochen Zeit zu haben. So habe ich die Möglichkeit, einmal ein erstes Gefühl für das Land zu bekommen. Dass ich bei Sarah wohne, hilft. Durch den Alltag mit ihr und ihrer Familie habe ich einen sehr nahen Einblick. Ich bin nicht die Journalistin, die für zwei Wochen kommt und zu einem Thema recherchiert, sondern ich wohne auch hier. Am Abend fahre ich nicht in ein Hotel, sondern zu meiner Bangladeschi-Familie.
Heute ist Sarahs Bruder Atik aus Beijing zurückgekommen. Er studiert dort Medizin. Ein Freund von ihm, Ischrak, kommt vorbei. Gemeinsam sitzen wir zu viert im Zimmer, quatschen über dies und das. Ischrak hat lange schwarze Locken. Er dreht sich eine Zigarette und erzählt, dass er in einer Rockband spielt. Sie covern zum Beispiel Pearl Jam. Er will sich ein Plakat von den Beatles für sein Zimmer drucken lassen. Wir gehen gemeinsam auf die Dachterrasse und genießen den Windzug. 15 Millionen Menschen wohnen rund um uns in Dhaka.
Fortsetzung  ///   Do, 20.08.2015 Also bin ich auf den Straßen von Dhaka. Hochhäuser rund um mich, deren Fassaden zugepflastert mit Werbetafeln und Schildern von den Geschäften und Büros. Ich laufe los, halte Ausschau nach dem richtigen Geschäft für eine SIM-Karte, gehe vorbei an einer Reihe von bunt verzierten Rikschas, deren Fahrer auf Kunden warten. Vorbei an kleinen Verkaufsständen mit Obst, Gemüse, Batterien, Zahnpasta und allem möglichen.
Ich quere die Straße. Dafür braucht man die volle Aufmerksamkeit, um einschätzen zu können, welche Lücke zwischen den Fahrzeugen groß genug ist, um nicht überfahren zu werden. Es gibt viele Fahrzeuge: Autos, CNG, Rikschas und Radfahrer. Alle fahren in einem chaotischen System. Der Stärkere und Wagemutigere setzt sich durch.
Ich gehe in ein klimatisiertes, großräumiges Schuhgeschäft. Hier hoffe ich auf Englisch-Kenntnisse. Der Mann zeigt in eine Richtung, dort soll ich hin. Also wieder die Straße queren und nach einem entsprechenden Geschäft suchen. Ich finde nichts und gehe in die Apotheke vor mir. Ein Mann hält mir die Tür auf. Auf meine Frage antwortet er mit einem Handwink. Sein Arbeitskollege führt mich aus dem Geschäft hinaus in eine Seitenstraße. Da steht an der Hauswand neben einem Stoff- und Kleidungsgeschäft ein kleiner Holztisch, dahinter sitzt ein Mann.
Eine SIM-Karte wird aus der Schublade gezaubert. Ich bezahle 280 Taka und habe keine Ahnung, ob das der richtige Preis ist, oder der erhöhte Spezialpreis für eine Weiße. Nach einem Kaffee in einem schicken, überteuerten Café mit Klimaanlage, Fußballübertragung und europäischer Radiomusik gehe ich wieder nach draußen. Dort ist es plötzlich total dämmrig und dunkel. Es ist sechs Uhr abends. Wann wird es noch mal finster in Bangladesch? Doch nicht um sechs. Der Himmel ist grau und gruselig. Da fallen schon die ersten Regentropfen und werden schnell zur intensiven Freiluftdusche.
Ich halte ein CNG an. Der Fahrer versteht nicht, wo ich hinwill. Hinter ihm hält eine Rikscha, der Fahrer kennt den Ort. Ich schaue wenig erfreut auf den Rikscha-Sitz. Das wären dann zwanzig Minuten für mich unter einer beweglichen Freiluftdusche. Er sieht meinen Blick und deutet auf eine Plastikplane. Und schon hat er mich. Mit der Plane vor den Füßen und kleinem Dach vor dem Oberkörper geht’s durch das nasse Dhaka ab nach Hause.
Der Beginn  /// Do, 20.08.2015 Es ist Morgen. Ich liege im Bett und vom Balkon höre ich die Stadt. Autos hupen. Die Rikschas klingeln. Es ist eine Einladung in die Stadt.
Zwei Stunden später, nach einem genial-leckeren Frühstück von Sarahs Mama, sitze ich in einem CNG, einem der kleinen Taxis mit drei Rädern. Ich bin auf dem Weg in die Stadt. Zum ersten Mal sehe ich Dhaka bei Tageslicht. Ich wohne derzeit in einem Wohnviertel am Stadtrand. Von da aus geht es zuerst auf asphaltierten Straßen und dann kleinen Gassen Richtung Hauptstraße. Wir fahren durch eine Gasse voller kleiner bunter Geschäfte. Hier gibt es alles, was man zum Überleben braucht. Und mehr. Fladenbrot, Gemüse, Klopapier, Kaugummi, Elektrogeräte, Handys und tausend andere Dinge, die ich bei dem Gewimmel gar nicht alle wahrnehmen kann.
Das Ziel für heute: Eine SIM-Karte für Bangladesch. Dann kann ich die vielen Kontakte, die ich noch in Österreich vermittelt bekommen habe, anrufen und mit der Recherche losstarten. Mein Fahrer spricht kein Englisch. Er weiß, wo er mich hinbringt. Nach Gulshan 2, ein Stadtteil von Dhaka. Wir fahren über einen Fluss (später wird mir klar, dass es ein kleiner See inmitten von Dhaka ist) und bleiben an einer geschäftigen, chaotischen Kreuzung stehen. „This is Gulshan 2.“ Auf meine Fragen, wo ich denn ein Handygeschäft finde, antwortet er in Bangla. Ich antworte wieder auf Englisch. Er versteht kein Wort von mir. Ich kein Wort von ihm. Ich steige aus. Bin auf den Straßen von Dhaka.
Die Couchsurferin  ///  Mi, 19.08.2015 Ich sitze im Zimmer von Sarah, meiner Couchsurferin. Bei ihr wohne ich für die nächsten paar Tage. Ich bin angekommen in Dhaka, es ist zehn Uhr Abends. Sarah trägt ein wunderschön buntes Salwar Kameez, ein traditionelles Kleidungsstück Bangladeschs. Wir rauchen eine Zigarette. Und sprechen über uns, das Leben und Kleidung. Sarah erzählt von ihrer Schwester, die in den Staaten wohnt. Sie lacht und sagt, ihre Schwester würde ihr nie Kleidung aus Amerika mitbringen: „Dann nimmt sie mir ja wieder nichts aus Amerika mit, denn auf dem Etikett steht mit großer Wahrscheinlichkeit: Made in Bangladesch.“ Sie erzählt von einem Ort in der Hauptstadt Dhaka, wo es Kleidung von großen westlichen Firmen ganz billig zu kaufen gibt. Das sind jene Stücke, die westliche Firmen von den lokalen Firmen bestellt haben, aber schlussendlich auf Grund von Fehlern und Mängeln nicht akzeptieren. Sarahs letzte Couchsurferin war ganz glücklich, als sie Kleidung von den zu Hause bekannten Labels spottbillig in Dhaka kaufen konnte. „Ich kann dich dort hinbringen,“ sagt Sarah.
Made in Bangladesh  ///  Di, 18.08.2015 Vier Tage vor meinem Abflug nach Bangladesch wird mir klar: Ich habe ein Problem. Ein Kleidungsproblem. Ich muss lachen. Irgendwie ironisch. Ich fahre nach Bangladesch um über die Textilindustrie zu recherchieren, um den Ursprung unserer Kleidung zu erforschen und stehe vor einem Schrank voller unpassender Kleidung. Ich habe alles durchforstet. Die Ausbeute: Eine khaki Wanderhose zum Raufstecken und vier T-Shirts. Mehr gibt mein Kleiderschrank nicht her.
Bangladesch ist ein vorwiegend muslimisches Land. In meinem klugen Reiseführer steht: Frauen sollten sich dezent kleiden. Dezent in Bangladesch, was genau bedeutet das? Für mich bedeutet es: eine Hose und vier T-Shirts. Alles andere ist entweder zu heiß oder zeigt zu viel Haut. Ich weiß, dass ich in Bangladesch schon auf Grund meiner braunen Haare und meiner hellen Haut auffallen werde. Da ist es mir lieb, wenn nicht auch noch meine Kleidung lauthals durch die Straßen schreit: „Ausländerin!“
Mein Kopf arbeitet. Auch mit dieser Wanderhose werde ich auffallen. Ich brauche einen langen Rock, nur einen. Den Rest kauf ich mir in Bangladesch.
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hollanna · 10 years ago
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hollanna · 10 years ago
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hollanna · 10 years ago
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In Ruanda:
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Wir sind wie eine Familie. Meine Cousine, meine Groβmutter, Tante, Arine vom Waisenhaus, unser Hausmädchen und ich.
Meine Eltern wurden im Genozid getötet. Das Leben ist eine Mischung aus hart und gut. Früher bekamen wir Geld von der Regierung, jetzt hört das manchmal auf. Aber es ist gratis, ins Krankenhaus zu gehen. Ich will Ärztin werden.
Wenn ich vom Genozid höre, macht es mich traurig. Ich rede nicht darüber. Ich bleibestill. Ich habe es nicht gesehen. Es ist Geschichte.
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Heute ist es anders. Wir leben nicht mehr zusammen wie zuvor. Zuvor haben wir in Frieden gelebt. Es ist nicht einfach zu vertrauen. Nach dem Genozid kann ich niemandem trauen, wegen den Dingen, die passierten.
Eines Tages schossen sie eine Bombe in unser Haus. Wir hatten Glück. Wir waren nicht zu Hause. Gott hat uns geholfen. Als der Genozid startete, half mir mein Nachbar. Er lies mich unter sein Bett kriechen. Dort versteckte ich mich zwei Monate lang. Mein Nachbar war ein Hutu, von dem Stamm, der uns Tutsi tötete. Aber er brachte mir Essen. Eines Tages kamen Männer und er sagte ihnen, ich sei Tutsi und ich bräuchte ihre Hilfe.
Mit ihnen lief ich zu Fuβ in den Kongo, nach Goma. So viele Menschen starben. Meine Tochter blieb zurück. Nach einem Monat kam ich zurück und fand sie unversehrt. Mein Nachbar und seine Frau hatten auf sie aufgepasst. Sie kannten unsere Familie, deshalb halfen sie uns.
Hier in Ruanda reden wir nicht, wir sind leise. Wir kennen die, die Sachen gemacht haben. Wir sehen sie im Gefängnis und vor Gericht. Aber wir bleiben leise, weil wir in Frieden leben wollen. 
Ich startete meinen Friseursalon vor zwanzig Jahren. Selbstständig zu werden war schwierig. Ich musste alles alleine organisieren und kaufen. Für einen Frauen-Salon braucht man viel Material. Mein Salon war einer der Ersten hier in dieser Straβe. Zuvor arbeitete jeder für mich. Dann eröffneten alle ihren eigenen Salon. Jetzt gibt es viel Konkurrenz.
Manchmal fühle ich mich hier nicht zu Hause. Die Leute nehmen mich nicht als ganz, wegen meiner hellen Haut. Mein Vater war ein Belgier. Ich kannte ihn nie, nur meine Mutter. Sie wurde im Genozid getötet, erschossen. 
Du siehst Rwanda, mit schönen Häusern und schönen Menschen. Aber was passierte, kann nicht vergessen werden. Wir respektieren einander, aber mit einem Limit.
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Ich bin Journalist. In Afrika ist es generell schwierig. Besonders wenn es um Fehler der Politiker geht. Du kannst sie nicht einfach aussprechen. Wenn es um Politik geht, musst du immer etwas verstecken.
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Ich bin seit drei Jahren Musik-Video Produzent. Wir nehmen Material auf, führen Regie und schneiden. Mein Bruder ist Journalist, Kameramann und Cutter. Als ich klein war, hat mir er mir beigebracht, wie das alles funktioniert. Das ist mein Hobby. Vor Kurzem hab ich das Video für den ugandischen Musiker Radio and Weasel - kennst du ihn? - und einen ruandischen Star gedreht. Ich dreh nur mit Superstars. Wir haben ein eigenes Label mit drei Musikern. Green P zum Beispiel, er ist sehr erfolgreich. Ich selbst finanziere ein paar Einsteiger, weil ich an sie glaube.
In Ruanda ist Musik sehr wichtig. Musik ist in unserer Kultur. Einmal wollte ein Kunde ein halb nacktes Mädchen in seinem Video. Schau, ich zeige es dir. Wir haben es produziert, aber die Regierung weigert sich, es im Fernsehen zu spielen. In unserer Kultur ist so etwas nicht erlaubt.
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Ich hab in der Volkschule begonnen, Volleyball zu spielen. Jetzt bin ich in meinem letzten Jahr im Gymnasium und spiele in der Nationalmannschaft. Die Mannschaft gibt mir manchmal Geld und zahlt meine Schulgebühren. Nach der Schule komme ich ins APR-Team. Das darf ich jetzt während der Schule noch nicht. Wenn ich weiterstudiere, werden sie für mich zahlen. Ich will zwei oder drei Jahre spielen und dann heiraten.
Mit meinem Team waren wir in vielen Ländern Afrikas. In Ägypten, Tanzania, Uganda und vielen mehr. Ich habe gelernt, dass wir alle unterschiedliche Traditionen haben. Und ich habe gelernt, wie wir sie miteinander teilen können.
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Ich komme aus der Demokratischen Republik Kongo. Ich bin seit 21 Jahren in Ruanda. Als ich hierher kam, begann ich bei Null. Ich reparierte Computer, weil es da Geld zu verdienen gab.
Eigentlich will ich ein Buch schreiben. Ich werde beginnen. Siehst du den Stapel Papier? Darauf werde ich mein Buch schreiben. Ich will über Gerechtigkeit schreiben. Ich will Politikern mit meinen Ideen helfen.
Ich hab meine Gerechtigkeit, du hast deine eigene Gerechtigkeit. Mein Land hat eine Gerechtigkeit und dein Land hat eine Gerechtigkeit. Aber da ist ein Unterschied. Es gibt verschiedene Gerechtigkeiten.
Ich habe zu essen, aber mein Nachbar nicht. Ich habe gesehen, wie Nachbarn jemanden getötet haben und dafür nicht ins Gefängnis gekommen sind, weil sie einen guten Anwalt kannten.
Auch im Journalismus. Die Leute interessieren sich nicht für Nachrichten über Frieden. Journalisten schreiben lieber über Länder, die kämpfen. Die Leute wollen nicht hören, dass wir hier in Ruanda wieder Freunde sind. Sie wollen hören, dass wir Feinde sind.
Wenn ich ein Buch über Kämpfe schreibe, werden sie es kaufen, aber wenn es über Frieden ist?
Manche Leute sagen, dass schwarze Menschen schlecht sind. Wenn du meine schwarze Haut ansiehst, und deine Weiβe, ist da ein Unterschied. Aber innen drinnen ist alles gleich. Es ist nur die Hülle. Wenn du drinnen eine Schlange bist, wird deine Hautfarbe das auch nicht ändern.
Ich kann mich noch erinnern, wie ich im Radio gehört habe, dass das Flugzeug des Präsidenten abgestürzt ist. Ich dachte mir, das ist schlimm. Wir flüchteten bevor der Völkermord begann. Der Vater meiner Stiefschwester ist Araber. Den Ausländern hat die UN geholfen zu flüchten. Meine Schwester nahm mich mit. Ich sah tote Menschen. Als wir Kigali verließen, sah ich, wie sich Menschen vorbereiteten. Ich fragte sie was sie taten, sie sagten, sie machen ihren Job.
Wenn sie mich getötet hätten, könnte ich jetzt mein Buch nicht schreiben. Das Buch ist nicht für mich, es ist für die Menschen. Ich will es schreiben und gratis verteilen. Ich glaube, dass sich die Menschen ändern können.
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Die meisten Menschen sprechen kein Englisch in Ruanda. Wir lesen englische Nachricht, übersetzen sie auf Kinyarwanda und stellen sie auf unsere Newssite. Ich schreibe über Unterhaltung. Manchmal übersetzte ich englische Songtexte, damit die Leute wissen, wovon die Lieder handeln.
Ich reise gerne. Ich war zum Studieren in Kamerun. Samstags habe ich meine Radioshow. Und manchmal singe ich, das mache ich am liebsten.
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In Uganda kannst du mit wenig Geld ein Geschäft aufmachen. Es gibt dort wenig Regeln. Für kleine Leute ist das besser. In Ruanda ist es härter. Es gibt viele Regeln. 
Aber in Uganda gibt es auch viel Korruption. Nicht in Ruanda. Und wir haben mehr Sicherheit im Land. Ich kann zur Bank gehen und eine groβe Summe abheben, nichts wird passieren. Aber in anderen Ländern...
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Die Leute reden nicht gerne. In ihren Häusern können sie reden, nicht auf der Straβe. Sie haben Angst. Aber Ruanda geht es jetzt gut. Kigali ist sauber. Wenn du nach Kampala in Uganda gehst, sieht das anders aus.
Wir respektieren unseren Präsident. Ruanda hat viel gelitten. Wenn eine Person kommt und Frieden bringt, dann respektieren wir sie. Dieses Land hat viel gelitten. Aber jetzt ist es gut.
Während dem Genozid versteckten wir uns in einer Kirche. Aber bald fühlten wir uns nicht mehr sicher. Ich flüchtete nach Burundi, zu Fuβ mit vielen anderen Menschen. Meine Familie wurde getötet. Meine Mutter, Groβmutter, meine kleine Schwester und mein Bruder.
Mein Vater ist Spanier. Er fand mich, als ich 14 Jahre alt war. Ich verkaufte Zigaretten auf der Straβe. Er kam auf mich zu und fragte mich, ob ich Bildung wollte. Ich habe nicht zweimal nachgedacht. Nur einmal.
Ich kam nach Spanien, als ich 16 war. Das war schwierig. Stell dir vor, ein Kind von Österreich kann nicht Englisch, nicht Französisch und nicht Kinyaruanda und kommt in unser Land. So war es bei mir in Spanien. In Europa gibt es gute Menschen, aber viele denken kapitalistisch. Europäer sind sehr gastfreundlich. Aber wenn du kein Geld hast in Europa, ist es miserabel. In vielen Kreisen wirst du nie Freunde finden. Als Kind hörte ich Begriffe wie ‚Neger‘. In Spanien bin ich gerne gereist, nach Barcelona zum Beispiel und ich habe viel gelernt in Europa. Es gibt so viel Information dort, groβe Bibliotheken. Nach 16 Jahren bin wieder zurück nach Ruanda. In Spanien gibt es keine Jobs mehr, weniger Chancen.
Afrikanische Präsidenten mögen es nicht, wenn man zu viel über sie weiβ. Aber auch in Europa gibt es radikale Politiker. Haider in deinem Land ist sehr radikal. Der starb doch in einem Autounfall? Ja du lachst, ich weiβ diese Sachen. Ich lese die Zeitung. Dann Marine Le Pen in Frankreich. Aber weiβt du was? Bei einem bin ich mir sicher. Wenn eurer Haider Naomi Campbell sieht, wird er Liebe mit ihr machen. Das ist die Politik. Sie ist hypokritisch.
Just some Humans of Kigali...
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hollanna · 10 years ago
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Sunday Abbau stellt den Teller Reis auf den Tisch und setzt sich neben mich. Sie atmet tief aus. Abbau bereitet sich auf den Abend vor. Jetzt ist es zwei Uhr Nachmittags. Am Abend wird sie kämpfen. Die Waffen liegen verpackt in einem schwarzen Plastiksack neben ihr. Sie führt den ersten Löffel zum Mund. Ihre Gegnerinnen hat sie vor Augen: Zehn junge Frauen in Stöckelschuhen und schicken Kleidern. Ihre eigenen fünf Outfits warten im Plastiksack. Abbau will Miss Südsudan werden.
Weiter nördlich im Lande bereiten sich Männer auf andere Kämpfe vor. Ihre Outfits sind  grüne Militäruniformen und  Maschinengewehren um die Schulter. Ehemalige Soldaten der Regierungsarmee kämpfen seit einem Jahr gegen die Regierung, ihren früheren Arbeitsgeber. Sie sind Rebellen. Ihr Anführer ist der ehemalige Vize-Präsident Riek Machar. 
Es sind zwei verschiedene Kämpfe in einem Land. Abbau kämpft um die Krone. Machar und seine Anhänger um Regierungssitze und Macht. Abbau kämpft gegen Schönheiten. Machar gegen die Regierung, und diese gegen ihn.
Die Frau von Abbaus Cousin schaut auf den Teller. „Iss nicht so viel!“, sagt sie laut „Sonst sieht dein  Bauch zu dick aus.“ Abbau rollt mit den Augen und schnauft verachtend. „Ihr! Lasst mich in Ruhe. Ich will essen“, sagt sie, lacht und nimmt den zweiten Happen.
Abbau ist 21 Jahre alt und Frisörin in ihrem eigenen, kleinen Haarstudio in Juba, der Hauptstadt des Südsudans. Damit finanziert sie ihrem fünf Jahre alten Sohn die Schule. Seit drei Monaten hat sie Lauftraining für die Miss-Wahl. Und seitdem wenig Zeit zu arbeiten. Sie hofft auf den Hauptgewinn heute Abend: Ein nagelneuer, roter Mazda. Auto fahren kann sie nicht.
Solange etwas um sie passiert, fühlt sie die Nervosität nicht, sagt Abbau. Der Bewerb beginnt in vier Stunden. Ihre Trainerin wird sie anrufen, wenn sie zur Vorbereitung kommen muss. Es passiert noch so einiges. Abbau und ich laufen zum Markt in der Nähe. In der Hand hat sie 50 Südsudanesische Pfund, umgerechnet acht Euro. „Mein Geld ist zu Ende. Rose hat es mir gegeben“, sagt Abbau.
Wir sitzen in einem Schönheitsstudio mitten im Markt. Ein junger Mann wäscht Abbau die Füβe. Nichts verrät, dass in diesem Land der ehemalige Vizepräsident im Machtkampf mit dem Präsidenten ist. Vor uns spielt ein Mann FIFA, Linz gegen Fulham. Abbau schaut unruhig auf ihr Handy. „Ich bereu es schon. Meine Trainerin wird mich anrufen, wenn ich noch hier bin“, sagt sie. Der Mann trägt eine Schicht nach der anderen auf ihre Zehennägel. „Wer wird die Nägel schon sehen?“
Nach dreiβig Minuten ist die letzte Schicht an Händen und Füβen aufgetragen. Der Mann bekommt vier Euro. Die Nägel jetzt rosa mit weiβer Verzierung darauf, läuft Abbau in grünen Flipflops durch die geschäftigen Marktgassen, ich hinterher. Ein Geschäft spielt laute Musik von Silver X, einem südsudanesischen Sänger. „Ich brauche noch was“, murmelt Abbau vor sich hin, schaut an den vielen bunten Ständen vorbei und spuckt auf den staubigen Boden. „Schmuck für meinen Kopf, wenn ich mein afrikanisches Kleid trage.“ Sie findet nicht, was sie sucht. Dafür kauft sie einen Plastiksack voller Bohnen. Für die traditionelle Vorstellung ihres Stammes.
 „Maniküre und du läufst durch den Dreck nach Hause“, begrüβt uns die Frau ihres Cousins, als wir wieder ankommen. Abbaus Trainerin ruft an. Nach ein paar Wortmeldungen eilt Abbau zur Dusche, dann zum Plastiksack und dann durch die Tür hinaus. „Bis später!“, schreit sie uns nach.
Das nächste Mal sehe ich Abbau drei Stunden später auf dem Laufsteg in enger, schwarzer Hose und weiβem T-Shirt, darüber ein Blazer aus afrikanischem Stoff. Die elf jungen Frauen von verschiedenen Stämmen stellen  sich der Reihe nach vor. Abbaus Stimme ist etwas unruhig: „Mein Name ist Sunday Abbau. Ich komme vom Madi-Stamm. Wir waren die Ersten, die die Briten willkommen geheiβen haben. Darum nennt man uns das Wörterbuch des Südsudan.“ Die Menge schreit und klatscht.
Wir sitzen in einem riesigen Saal, verziert mit langen weiβen Stoffbahnen und blinkenden Lichterketten. Zwei goldene Luster hängen von der Decke. Die Gäste sitzen an runden, dekorierten Tischen entlang des weiβen Laufstegs. Irgendwo im Norden leben Familien in Flüchtlingscamps. Fast zwei Millionen Südsudanesen mussten von ihrem zu Hause flüchten und zumindest über 10 000 starben laut UN seit Beginn des Konflikts.
Bevor die richtige Modenschau beginnt,  hören wir  Reden über Frieden und Einheit aber kein Häufchen Kritik an südsudanesischer Politik. Sänger MC Lomex tritt auf die Bühne und fragt die Menge: “Seid ihr bereit für Unterhaltung. Seid ihr bereit für Frieden?“ Dann übertönt er mit seiner Stimme die Playback-Computerstimme und singt auf Arabisch: „Wir haben genug vom Blut. Genug ist genug. Wir wollen keinen Krieg mehr.“
Der Konflikt startete als Machtkampf zweier Männer, Präsident Kir und Vize-Präsident Machar. Im Juni 2013 kritisierte Machar, der jetzige  Rebellenführer  damals noch Vizepräsident  seinen Parteikollegen Kir öffentlich und riet ihm zurückzutreten. Er kündigte an, bei der nächsten Wahl als Kandidat antreten zu wollen. Einen Monat später wurde er von Kir entlassen. Und wieder ein halbes Jahr später warf Kir seinem Rivalen vor, einen Putsch zu planen. Es kam zu Schieβereien zwischen den verschiedenen Fraktionen in der Regierungsarmee. Elf zu Machar loyale Politiker wurden unter Hausarrest gesetzt. Er selbst flüchtete und startete die Rebellion.
Jahrzehntelang kämpfte der Südsudan in blutigen Kriegen um die Unabhängigkeit vom Sudan. Nur zweieinhalb Jahre nachdem diese erreicht wurde, ist der das Land erneut im Krieg. Dieses Mal kämpfen Südsudanesen gegen Südsudanesen.
„Warum richtest du die Waffen gegen deinen Bruder? Wir sind alle Bürger dieses Landes“, singt MC Lomex weiter. Alle Redner und Sänger sprechen von Einheit und Frieden. Keiner und keine traut sich zu kritisieren. „Danke Salva Kir, dass du Frieden willst“, singt auch MC Lomex.
Im Jänner 2014, zwei Wochen nach dem Beginn des Konflikts, begannen Friedensverhandlungen. Und nach nur 3 weiteren Wochen wurde ein Waffenstillstand vereinbart. Doch die Kämpfe blieben nicht aus. Schnell gab es wieder Berichte von Toten. Beide Seiten warfen der anderen vor, den Waffenstillstand gebrochen zu haben. Und so ging es weiter. Städte wurden erobert und zurückerobert, während die Streitenden in Adis Abeba Friedensverhandlungen führten. Präsident Salva Kir betont immer wieder, Frieden zu wollen. Aber Zurücktreten will der erste Präsident des Südsudan nicht.
Nach drei Modekollektionen aus Abbaus Plastiktüte kommt es zur Vorstellung des jeweiligen Stammes und dessen Traditionen. Die jungen Models tanzen in ihrem Stammestanz den Weg bis zum Ende des Catwalks nach vorne. Dort angekommen, beantworten sie die Fragen der Jury.
Die Jurorin fragt eine von Abbaus Konkurrentinnen, ob  Stammeskennzeichen abgeschafft werden sollten. Im Südsudan gibt es 64 verschiedene Stämme. Jeder hat seine eigenen Traditionen. Viele von ihnen haben Stammesmerkmale, eine Art Tattoo am Körper, das verrät welchem Stamm man angehört. In der Stadt sind solche Merkmale kaum mehr zu finden, aber am Land sind sie Teil der Identität. Aktivisten fordern immer wieder, diese zu verbieten, um den optischen Unterschied zwischen Menschen verschiedener Stämme zu minimieren.
Stammeskonflikte sind alltäglich. Es gibt Vorurteile und Stereotypen. Was als Machtkampf zwischen dem Präsidenten Salva Kir und dem Ex-Vizepräsidenten begann, nahm schnell ethnische Züge an. Kir ist vom Dinka-Stamm, Machar ein Nuer. Schlafende Fronten erwachten und die Stammesangehörigen schlossen sich den Streitenden an. Vielen Berichten zu Folge töteten Regierungstruppen seit dem 15. Dezember systematisch Nuer. Daraufhin taten es ihnen die Rebellen, gröβtenteils Nuer, gleich und massakrierten Dinka. 
“Nein, Stammesmerkmale sollen nicht verboten werden“, sagt die Schönheitskandidatin. „Ohne sie kann man nicht sehen, wer ein Dinka und wer ein Nuer ist.”
Es ist Abbaus Zeit für die Frage. „Wie würdest du Südsudan und seine Menschen der Welt da drauβen erklären.“ Abbau schluckt. Es ist eine kontroverse Frage. Südsudanesen kämpfen gegeneinander. „Ich liebe mein Land. Auch wenn es Konflikte gibt, ich denke das sind Missverständnisse und darum kümmere ich mich nicht. Ich liebe mein Land“, sagt sie ins Mikro. Die Menge pfeift und schreit. Die Jurorin fragt erneut, wie Abbau die Menschen beschreiben würde. Sie sagt: „In meinem Verständnis sind wir friedliche Menschen.“ Die Menge schreit und pfeift lauter. Die Juroren schauen sich an.
Elf junge Frauen kämpften in schicken Kleidern, mit schwingenden Hüften und ihren Worten. Der Gewinn ist die Krone und ein roter Mazda. Am Ende ist nicht Abbau die Glückliche. Die Krone glitzert am Kopf einer Konkurrentin. Der Schönheitskampf ist damit zu Ende.
Männer in Militäruniformen kämpfen um Macht. Mit Waffen am Boden und mit Worten bei den Friedensverhandlungen. Ihr Kampf geht weiter. Der Gewinn ist Macht und Geld in einem Land, das groβe Ölreserven hat. Doch längst gibt es mehr Verlierer als Gewinner. 
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hollanna · 10 years ago
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