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Kultur: Ein Kommentar
1.
Spätestens seit der neuen Frühzeit, schreiben Harun Maye und Leander Scholz in einer Einleitung zur Einführung in die Kulturwissenschaft ließe sich der Begriff der Kultur für die Gesamtheit der menschlichen Leistungen finden, um sie einzelnen Epochen oder Orten (”bestimmten Völkern”) zuzuordnen.
Erst habe der Begriff einen Genitiv eingefordert, man habe nur von der Kultivierung eines bestimmten Objektes gesprochen, cultura rerum, cultura corporis oder cultura animi, aber dann verliere der Begriff seinen Bezug zu begrenzten Feldern und weite sich aus. Eine seltsame Vorstellung ist das (was nicht heisst, das sie schlecht ist), weil ja auch vorher im Begriff etwas Allgemeines mitschwang, das es erlaubte, sowohl von einer cultura animi als auch einer cultura corporis zu sprechen, obwohl Körper und Geist unterschiedlich sein sollen und weil nachher der Begriff immer noch auch etwas Besonderes bezeichnete, weil er dem Vergleich diente, Kultur also danach entweder französische oder britische Kultur war. Vorher war der Begriff also nicht ganz so besonders, danach nicht ganz so allgemein, etwas an der Erweiterung des Begriffes war nicht erfolgreich.
Aber dennoch: Maye und Scholz gehen davon aus, dass der Begriff eine Totalisierung erfahren habe - ähnlich wie der Begriff der Gesellschaft beziehe er sich auf Gesamtzustände, man könnte sagen: auf Monumentales und Großes und etwas, bei dem so schnell die Übersicht, Anfang und Ende nicht zu erfassen sind.  In der Gegenüberstellung von Kultur und Natur, daran erinnern die beiden auch, wird vielleicht am besten deutlich, was für eine Aufladung der Begriff erfahren haben soll.
Neben der treffenden Beschreibung, die die beiden liefern, sollte man den Witz darin nicht übersehen - der erstens darin liegt, dass nur weil etwas aufgeladen wurde, es immer noch an kleinen Stellen vorkommen kann - Totalität findet man sozusagen in der kleinsten Hütte. Zweitens: Es genügt nicht, zur Geschichte der Medien eine Einführung herauszugeben, man muss dazu auch noch einen Einleitungstext schreiben (der dann wieder eine Eröffnung hat und in sich selbst einführt), sprich: Die Reproduktion kann gar nicht oft genug wiederholt werden, zumindest wenn man sich für das Thema interessiert. Man sagt ja auch nicht bei einem guten Song: Den höre ich mir nicht an, den habe ich schon mal gehört.  
2.
In den zeitgenössischen Wissenschaften, heute, taucht der Begriff Kultur ebenfalls als Monument auf - und steht damit in Konkurrenz zu anderen Großbegriffen wie Gesellschaft, Wissen, Sinn, Sein, System, Geschichte, aber auch Recht.
Die Unbestimmtheit, die im Begriff der Kultur liegt, scheint die Attraktivität des Begriffes nicht zu stören, ganz im Gegenteil. Wenn der Begriff monumental ist und einen Überschuss mit sich führt, der gegenwärtig nicht eingelöst werden kann, dann ist das auch einer der Begriffe, Überschüsse, die einem auffallen, verarbeiten zu können.
Wenn der Sinn eines Films sich nicht aus dem Film selbst ergibt und nicht im Film selbst erschöpft, wenn also etwas anderesals der Films selbst am Film mitarbeitet und den Film erscheinen lässt, wahrnehmbar, besprechtbar und sichtbar, übertrag- und teilbar macht, dann könnte man über die Kultur des Films reden.
Wenn die Bedeutung einer Imbissbude und die Art und Weise, wie die Leute dort im Jogginganzug aufkreuzen, sprechen, trinken, Wurst essen, schlabbern und wieder abziehen, sich nicht aus der Imbißbude und der Art und Weise, wie die Leute dort im Jogginganzug aufkreuzen, sprechen, trinken, Wurst essen, schlabbern und wieder abziehen,  ergibt und sich nicht darin erschöpft, aber auch kein Gott über der Imbißbude thront, der das alles aus dem Nichts geholt hat, dann ist Kultur einer der Begriffe, an die Immanenz einer Situation heranzugehen, ohne darin zu versacken.
Kultur ist einer der Begriffe, so eine Konstellation wie Film oder Pommesbude (also heterogene Dinge) deutbar zu machen - und der Begriff steht in Konkurrenz zu anderen Begriffen. Die Sprachwissenschaften werden etwas zur Sprache sagen wollen, die Architektur zur Bude, die Kunstgeschichte zu dem bedruckten T-Shirt des Besitzers (der kam gerade aus Rom zurück und trägt ein Michelangelo-T-Shirt), Historiker werden etwas dazu sagen wollen, denn die Bude steht an einer Brücke, wo schon lange Sammelplätze waren, der Verwaltungsrechtler wird was sagen wollen (hat oder braucht die Bude eine Genehmigung), der Zivilrechtler wird etwas über den Austausch von Wurst und Geld sagen können, der Gesellschaftstheoretiker wird wie alle anderen zu fast allem was sagen können.  Die Konkurrenz zu den anderen ist unterschiedlich, da werden welche dabei sein, die eher Details fokussieren und andere, die groß ausgreifen. Es soll nicht unsere Aufgabe sein, die Konkurrenz aus dem Feld zu räumen, eher schon, sie selbst als Kulturen zu beschreiben.
3.
Eine Einführung in die Medienwissenschaften gibt eine erste Orientierung. Man kann sagen, dass der Begriff der Kultur hier (wie an anderen Stellen) dazu dient, nicht nur über Medien reden zu können, sondern auch über ‘deren’ Kultur oder aber über eine Kultur, in der Medien auftauchen und gebraucht werden - der Begriff soll insoweit einen Ausgriff ermöglichen, dessen Bedarf entsteht, wenn der Begriff des Mediums zu eng und derjenige der Transzendenz zu überhöht erscheint. Der Begriff der Kultur soll für Medien einen Vergleich ermöglichen, dessen Maßstab nicht im Medium selbst liegt - zum Beispiel, weil ein Buch zwar ein Buch ist, es aber doch einen Unterschied macht, ob es in einem polnischen Kloster oder der New Yorker-Bahn in die Hand genommen wird.  
Ganz simpel dient der Begriff der Kultur insoweit einer Perspektivenerweiterung, bei der man nicht auf das Bodenlose einer Erweiterung allein setzt, sondern sich weitere Haken organisiert, um etwas zu beschreiben.
4.
Neben einem Blick auf den Begriff, der versucht, die Funktion des Begriffes zu nutzen (der also durch die Frage bestimmt ist, wozu man überhaupt über Kultur spricht, wenn man es doch nicht muss), kann man noch einmal fragen, was der Begriff denn bezeichnet. Eine Einführung in die Medienwissenschaft hat es da leicht, denn sie kann eine technische, dogmatische Antwort geben, das heisst: Sie kann etwas vorgeben, mit dem dann im Kurs gearbeitet werden soll. Kultur ist ein (!) Begriff für Reproduktion. Die Besonderheiten jener Reproduktion, die Kultur genannt wird, steht in Frage.
5.
Noch bevor man sich fragt, was Kultur ist, steht der Begriff im Raum, er gehört wie alle Begriffe, zu dem, was immer schon vor einem da ist und einem ausgerechnet so nicht erspart, damit zu hantieren.
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Kulturtechniken. Einführung in die Medienwissenschaft 2
Ein neues Schlagwort, neuer hashtag, neue Lehrveranstaltung. Am Dienstag, den 21.04.2020 beginnt die Lehrveranstaltung an der Goethe-Universität in Frankfurt. Wie immer werden Zettel auf meinem tumblr die Lehrveranstaltung teilweise begleiten. Mit einem Klick auf den hashtag werden dann die Zettel zusammen gelistet; von da aus kann man (sich) weiter verzetteln.
1.
Bei dem Kurs handelt es sich um einen zweiten Einführungskurs in die Medienwissenschaft.  Dieser Kurs  fängt, wie der erste Einführungskurs, immer noch an, stellt nur vor, soll Übersicht geben und als Einführung ‚zeigen, wo es reingeht‘, also etwas eröffnen oder Zugänge schaffen. Es ist aber schon der zweite Teil, der Kurs ist sozusagen schon Einführung ins Fortschreiten oder fortschreitendes Anfangen, also werden hier und da schon Tiefenbohrungen versucht.
Die Inhalte und Schwerpunkte sind im Titel grundsätzlich markiert. Die Lehrveranstaltung soll mit Gegenständen, Texten, Methoden, Institutionen, Konditionen, Arbeitsfeldern, Konflikten und mit Autorinnen und Autoren einer wissenschaftlichen Disziplin bekannt und teilweise vertraut machen.
2.
Worüber schreibt und forscht, wozu arbeitet man in den Medienwissenschaften?
Das reicht von solchen Medien wie mdl. Sprache und geht hin bis zu komplexen Kulturtechniken, etwa Planungsverfahren zu einem Atomkraftwerk, aber das erste Beispiel macht schon deutlich, dass ein Medium aus einigen Medien besteht.
Die mdl. Sprache besteht, vereinfacht gesagt, aus einem Körper der spricht, aus etwas, was ihm als Sprache mit Regeln und Praxis zur Verfügung steht, aus Routinen des Sprechens, aus institutionellen Konditionen des Sprechen-Könnens, etwa der Zulassung zu einem Forum, aus internalisierter Scheu oder Energie, die jemanden mehr oder weniger sprechen lassen. Vielleicht hat er der Sprecher Wein getrunken oder etwa geraucht und spricht auch dadurch.
Schon der Körper lässt sich wieder in Medien unterteilen, ist es ein menschlicher Körper, dann tauchen in dem, was die Rhetorik als Aktion beschreibt etwa Mimik und Gestik, Artikulation, aber auch Gewandtheit und Gewand und noch Akustik, Bühne (Forum) als Medien der mündlichen Sprache auf, das heißt: nicht nur der Mund ist das Medium der mdl. Sprache. Noch die Botenstoffe, die einen Labberflash triggern gehören zum medialen Komplex mündlicher Sprache.
Wir werden von einer vereinfachten Übersicht ausgehen, die kontingent ist, also auch anders aussehen könnte. Es wird unterstellt, dass die Medien unterschiedlich komplex sein können. In der Übersicht, die dann Tiefenbohrungen zugänglich sein kann, sollen folgende Gegenstände in der Veranstaltung vorgestellt und teilweise vertraut gemacht werden:
Schreiben/Schrift
Zählen/ Zahl
(Auf-)Zeichnen
Protokollieren/ Listen
Planen/ Kartographieren/ Landnahme
Architektur/Städtebau
Bild(re)produktion
Körpertechniken
Zensieren/ Institutionalisieren/ Disziplinieren
3.
Wenn etwas schon eine universitäre Disziplin ist, wenn eine Wissenschaft schon einen eigenen Namen oder Titel trägt und dafür sogar Lehrstühle eingerichtet und Curricula entworfen sind, dann ist schon einiges passiert, einiges vorgefallen, einiges geordnet und vieles (aus-)sortiert worden, so viel, dass das sogenannte Fach auch ein Fass ohne Boden ist, aber so präsentierbar wird, als sei das alles begründbar und gründlich erledigt.
Gerade Einführungskurse suggerieren, es gäbe für eine Wissenschaft klar und einfache Anfänge, eindeutige Eingänge, Prinzipien. Das Spiel machen wir mit, es schließt Skepsis und Distanz nicht aus.
Bei der Auswahl des Materials ist bei einem Kurs auszuwählen. Das Kriterium ist hierfür erstens das Stichwort Kulturtechniken, ein Begriff, der in bestimmen Zweigen der Medienwissenschaft noch einmal Ansätze und Fragestellungen präzisieren sollte. Solche Präzision lässt durch zwei Dinge aber nochmal Raum für Entscheidungen: es gibt auch hier viel Literatur und auch noch Unbestimmtheit. Neben Medienwissenschaft und Kulturtechnik soll ein drittes Begriffspaar den Schwerpunkt und die Auswahl bestimmen:  Macht und Normativität.
Das heißt, dass es im Kurs weniger um Empirie geht. Es geht insoweit  um eine Macht, die (wie es bei Foucault heißt (der sagt: pouvoir)) auch als Potenz und auch als Potential wirkt, deren Effektivität also auch ein grundloser oder von Gründen gelöster Effekt sein kann.  Macht braucht den Ohnmächtigen, ohne ihn entfaltet sie sich nicht. Macht ist mitgemacht, sie teilt ihre Gründe mit etwas anderem, sie ist geteilt.
Normativität ist ein ähnlicher Effekt: Man kann nicht bestreiten, dass da etwas wirkt, aber es eine Form des Scheins oder des Scheinens. Darum nennt man eine normative Disziplin auch Dogmatik: Scheintechnik, Technik des Scheins. Gesetze und Recht werden also ein Teil jener Kultur sein, mit deren Techniken wir uns im Kurs beschäftigen werden. Eventuell  werden wir versuchen, im Laufe des Kurses Macht und Normativität einen Oberbegriff beizugeben, denjeinigen der Effektivität, das wäre Scheinwirkung.
2.
Schreiben, Zeichnen, Zählen, Sprechen, Tanzen: Das sind Kulturtechniken. Verwalten, Planen, Bauen, Fotografieren, Inszenieren, Richten, Feiern, Spielen: Das sind Kulturtechniken. Die Leseliste wird einen Kanon definieren. Das Material im Unterricht hält außerdem einen digitalen Semesterapparat zur Verfügung.
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