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„McCarthy war einer der ersten, die sich komplett als öffentliche Figur inszeniert haben“
Am kommenden Sonntag (15.12.) zeigt das Filmbüro NW in Köln in Gedenken an Lutz Hachmeister dessen Dokudrama „The Real American - Joe McCarthy“ von 2011. Ich habe die Ehre, hinterher an einer Podiumsdiskussion über diesen frappant aktuellen Film teilnehmen zu dürfen. Der als Kommunistenjäger zu fragwürdiger Berühmtheit gelangte US-Senator McCarthy erwies sich in den frühen 1950er-Jahren als einer der ersten populistischen Politiker, der begriffen hatte, wie sich das Fernsehen als Instrument der Propaganda und der Selbstinszenierung als Held der Nation nutzen lässt. Die Aktualität von „The Real American“ wird auch im folgenden Interview deutlich, das ich mit Lutz Hachmeister seinerzeit geführt habe und das zuerst am 20.1.2012 in der „Funkkorrespondenz“ (die später „Medienkorrespondenz“ hieß) erschienen ist.
Nach Joseph Goebbels, über den Sie 2005 die Dokumentation „Das Goebbels-Experiment“ gedreht haben, widmen Sie sich mit Joe McCarthy nun erneut einer propagandapolitisch einflussreichen Figur. Obwohl sich diese Personen politisch überhaupt nicht vergleichen lassen: War der Impuls, sich mit ihnen zu beschäftigen, ähnlich?
Was McCarthys historische Bedeutung angeht, muss man differenzieren: Sein Einfluss beschränkt sich letztlich auf die Zeit zwischen 1950 und 1954, danach hat er zwar bis zu seinem Tod 1957 noch im US-Senat gesessen, allerdings, ohne noch wahrgenommen zu werden. Bemerkenswert ist, dass sein Name auch für die Verfolgung Andersdenkender in Phasen steht, in denen er keinen Einfluss hatte, der Begriff McCarthyismus wird sogar rückwirkend für Vorgänge in der Zeit vor 1950 angewandt.
Insofern ist dieser weit verbreitete Begriff also eigentlich irreführend.
Ja, aber immerhin war McCarthys Wirkung in diesen vier Jahren so groß, dass er, wie es mal jemand formuliert hat, der einzige US-Politiker war, der es geschafft hat, einen „-ismus“ zu prägen. Von einem Nixonismus oder Kennedyismus ist beispielsweise nie die Rede gewesen. Bei Ronald Reagan hat es wenigstens zu „Reagonomics“ gereicht. Es gibt aber, um noch einmal auf das Stichwort Goebbels zurückzukommen, tatsächlich einen Link zwischen NS-Verbrechern und McCarthy. Eine meiner ersten Dokumentationen habe ich über das NS-Kriegsverbrechergefängnis im oberbayerischen Landsberg gedreht; der Film lief 2002 unter dem Titel „Das Gefängnis. Landsberg und die Entstehung der Republik“ in der ARD. Während der Recherchen las ich, dass McCarthy sich für ehemalige SS-Führer und andere inhaftierte NS-Leute eingesetzt hatte. Weil ich herausfinden wollte, was einen amerikanischen, wenn auch konservativen Senator dazu bewegt, habe ich überhaupt erst angefangen, mich für diese Person zu interessieren. Als ich mich mit seiner Biographie beschäftigt habe, habe ich erfahren, dass McCarthy sich mit 48 Jahren zu Tode getrunken hat. Diese Geschichte erschien mir wie eine Parabel über Populisten, und das mich gereizt.
War McCarthy ein medialer Pionier?
Er war sicher eine der ersten, der die Massenpresse und vor allem das frühe Schwarzweiß-Fernsehen als Instrument der Propaganda begriffen hat. Man sieht in dem Film ja beispielsweise, wie McCarthy Journalisten zu sich nach Hause einlädt, um für sie Spaghetti zu kochen. McCarthy war auch einer der ersten, die sich komplett als öffentliche Figur inszeniert haben. All das, was man heute in großer Potenz vielleicht dem Facebook-Zeitalter zuschreiben würde, also das sich selbst veröffentlichen in einem sehr starken Maße, hat er in den 1950er Jahren schon vorexerziert.
McCarthys Verhöre mutmaßlicher Kommunisten liefen im Fernsehen. Wurden sie live übertragen?
Es lief nicht alles live, weil das technisch natürlich sehr viel komplizierter war als heute, aber er war eine im Fernsehen schon sehr signifikant präsente Figur. Er hat da sehr viel von Richard Nixon gelernt. Der war ja ohnehin sein großes politisches Vorbild, und zwar in vielerlei Hinsicht - etwa, was den antikommunistischen Kreuzzug angeht und die taktisch geschickte Nutzung dieses Themas. Als Nixon kurzzeitig der Korruption verdächtigt wurde, hielt er im Fernsehen die sehr anrührende so genannte Checkers-Rede, benannt nach seinem Cocker Spaniel. Nixon sagt in dieser Rede, dieser Hund sei das einzige Geschenk gewesen, das er je angenommen habe. Bei ihm hat sich McCarthy sehr genau abgeschaut, wie man das Fernsehen nutzen kann und wie man einen direkten Kontakt zur Bevölkerung bekommt. Im Grunde fand er das noch viel faszinierender als die Presse, weil man da immer dazwischen geschaltete Agenten oder Gatekeeper hat. Im Fernsehen eröffneten sich ganz andere Möglichkeiten. Das ist ja auch etwas, was Gerhard Schröder immer wieder betont hat: Dass die Wahlkampfrede und das Fernsehen für populistische Politiker leichter zu handeln sind als publizistische Formen, bei denen jemand dazwischenfragt und dann auch noch schreibt, was er will.
Was war an den Verhören außergewöhnlich?
Im Film kommt ja raus, dass dafür sogar geprobt wurde. McCarthy hat nicht nur sich selbst inszeniert, er hat die Sitzungen inszeniert. Er hat zunächst mal Zeugen in nicht-öffentlicher Sitzung vernommen, um sie auf ihre Kameratauglichkeit zu prüfen. Die entscheidende Frage war: Gibt der etwas her für eine spektakuläre Anschuldigung? Erst dann wurde entschieden, welche Zeugen öffentlich vorgeführt und damit eventuell auch unter Kamerabeobachung gestellt werden. Das war strategisch schon sehr genau durchexerziert,
Obwohl das ZDF den Film coproduziert hat, ist von deutscher TV-Ästhetik nichts zu spüren. Der „Look“ mutet international an.
Das war das Ziel. Wir haben den Film an den Smithsonian Channel verkauft, ein Joint Venture zwischen CBS und dem Smithsonian Institute. Außerdem hat BBC Worldwide den Film gekauft. Offensichtlich ist uns der internationale Look gelungen, sonst wäre das nicht möglich gewesen. Natürlich hat das auch damit zu tun, dass wir den Film komplett auf Englisch gedreht haben und einige Schauspieler in Großbritannien bekannt sind.
Welche Ambitionen hatten Sie auf inhaltlicher Ebene?
Mir war es wichtig, tatsächlich die gesamte Geschichte zu erzählen, also mehr als das, was man aus den konventionellen 45-Minuten-Dokumentationen über McCarthy kennt. McCarthy hat die politischen Dimensionen seines Handelns komplett unterschätzt, er war ein Populist, der wie ein Komet aus dem Nichts kam, nur drei, vier Jahre die Öffentlichkeit geprägt hat und dann wieder verschwand. Während Populisten vom Schlage Hitlers - abgesehen davon, dass ein politischer Vergleich abwegig ist - einfach viel länger brauchen, ihr Vorhaben viel strategischer angehen und die Macht viel eindeutiger an sich reißen. Das sind schon zwei ganz unterschiedliche Klassen von Populisten. Wir können auch Berlusconi ins Feld führen, der sich wirklich lange gehalten hat. Populismus ist ja eine Spielart des Politischen, die durchaus ernst zu nehmen ist. Wenn er funktionieren soll, braucht man aber auch einen realpolitischen Unterbau, man muss auch auf klassisch politische beziehungsweise politisch-ökonomische Koalitionen achten. Das trifft auf Berlusconi sicherlich zu, das trifft auf Hitler zu, aber dafür war McCarthy weder intelligent noch radikal genug. Als er ab zirka 1953 begann, das eigene Lager gegen sich aufzubringen, weil er die Armee, die Regierung und die CIA als kommunistisch infiltriert bezeichnet hatte, hatte er keinerlei politischen Rückhalt. Insofern ist es nur zwangsläufig, dass er an seinem Populismus auch gescheitert ist.
Warum gab es bisher eigentlich keinen, wie Sie sagen, „abendfüllenden Film“ über McCarthy?
Ich kann darüber nur spekulieren. Henry Kissinger sagt ja im Film, dass RIchard Nixon viel gelesen und sich in Büchern Auszüge unterstrichen hat, während McCarthy kein einziges Buch zu Hause hatte. Nixon gilt möglicherweise deshalb als eine faszinierende intellektuelle Figur, während McCarthy als das reine amerikanische Böse wahrgenommen wird. Vielleicht verkörpert er das so signifikant, dass es Barrieren gab, sich dieser Person zu nähern.
In Ihrem Film behauptet die Bestsellerautorin und Kolumnistin Ann Coulter, die als Verfechterin rechter Positionen Dauergast in US-Talksendungen ist, das öffentliche Bild von McCarthy sei komplett falsch. Ist das eine Minderheitenposition?
Nicht nur Coulter sagt das. Bei den Republikanern gibt es einen Flügel, der ihn zu rehabilitieren versucht.
Der Watergate-Enthüller Carl Bernstein bezeichnet McCarthy in Ihrem Film als „Märchenonkel und Alkoholiker“. Wenn man heute die Archivbilder der öffentlichen Auftritte betrachtet, die Sie ausgewählt haben, sieht man McCarthy den Alkoholismus deutlich an. War es damals egal, wenn ein Politiker im Fernsehen einen verkaterten bis angetrunkenen und somit leicht derangierten Eindruck hinterließ, oder hat man das gar nicht wahrgenommen?
Ich glaube, das war stärker akzeptiert als heute. Es gab die Tradition des Two-drink-lunch, zu der gehörte, dass zum Mittagessen zwei harte Martinis getrunken wurden, was umgerechnet, glaube ich, acht bis zwölf Schnäpse sind. Da würden heute selbst hartgesottene Politiker den Nachmittag nicht überstehen.
Zum Ende des Films gibt es eine Szene, in der McCarthy sagt, sein Arzt habe ihm verboten, auch nur noch ein weiteres Glas Alkohol zu trinken, andernfalls würde er sterben. Dann trinkt er auf Ex ein Glas Wodka aus. Ist es erwiesen, dass McCarthy gezielt Suizid durch Alkohol begangen hat?
Ja. Das sagt in dem Film auch Thomas Reeves, der profilierteste McCarthy-Biograph. Übrigens kein linker, sondern ein liberal-konservativer Historiker.
War McCarthy depressiv?
Ich bin kein klinischer Psychologe, aber es gibt bei ihm sehr starke Anklänge an eine manisch-depressive Figur. Nach außen gibt er immer den fröhlichen, trinkfesten Kumpel, und dann merkt er auf einmal, wie ihm jegliche politische Basis entzogen wird und die eigene Partei und auch die Regierung mit harten Mitteln gegen ihn vorgehen. Die CIA wird ja richtiggehend eingespannt, um ihn zu erledigen, nachdem er angedroht hatte, die CIA ins Visier zu nehmen. Das war ein harter politischer Kampf, den McCarthy nicht bestanden hat. Dafür war er nicht ausgebufft genug.
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Von Betten Holm bis Red Bull
Der folgende Text ist ein leicht überarbeiteter Auszug aus einem Kapitel, das ich 2023 für mein Buch „FC St. Pauli. Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“ geschrieben habe. Anlass der Veröffentlichung dieser Kurzfassung: das erste Aufeinandertreffen zwischen dem FCSP und RB Leipzig in der Ersten Liga.
Ein Paradiesvogel namens Ewald Albert Götz steht in der Hamburger Fußballgeschichte für eine Art Investorenfußball avant la lettre, und das heutige Trainingsgelände des FC St Pauli in der Kollaustraße war der Ort, wo er ihn zelebrieren ließ. 1954 schrieb sogar der „Spiegel“ über sein Wirken. Götz war der Inhaber der Betten-, Gardinen- und Teppichladenkette Holm. Er hatte das Gelände in der Kollaustraße gepachtet und mit seinen Mitarbeitern eine Anlage gebaut, die der heutigen ähnelt. Kosten für unter anderem „zwei billardglatte Fußballplätze mit englischer Rasensaat“ und „ein blitzsauberes, hochmodernes Clubhaus“ („Spiegel“) damals: 350 000 Mark.
Ausschließlich aus Mitarbeitern der Firma Holm formierte sich dann der FC Grün-Weiß von 1953, aber dem gelang es nicht, in den Hamburger Fußball-Verband aufgenommen zu werden. Die Funktionäre ahnten, dass da jemand den Fußball als Marketinginstrument nutzen wollte. Schließlich waren Grün und Weiß „die Reklamefarben“ der Firma Holm, wie der „Spiegel“ bemerkte.
Um eine Lösung zu finden, hijackten die Bettenverkäufer einen Verein in einem ganz anderen Hamburger Stadtteil: Sie übernahmen Ottensen 07, übernahmen unter dem Fusionsproduktnamen Grün-Weiß 07 auch dessen Platz in der dritthöchsten Spielklasse. Eine entfernt ähnliche Geschichte sollte sich 2009 in Leipzig wiederholen, als ein Getränkekonzern dem SSV Markränstadt das Startrecht in der NOFV-Oberliga Süd abkaufte.
Grün-Weiß 07 mischte dann für einige Jahre dank viel Geld die Hamburger Fußballszene auf. Der „Spiegel“ berichtete, „vor größeren Spielen“ reise Grün-Weiß, „gleich den wenigen Star-Teams der drei Stufen höheren Oberliga, bereits am Freitag zwecks seelischer Sammlung in die Einsamkeit der Lüneburger Heide“.
Dass Ewald Albert Götz seine Visiönchen ausgerechnet auf einem Gelände auslebte, auf dem heute der FC St. Pauli trainiert, der dem internationalen Fußballkapitalismus im Restrahmen des Möglichen kritisch gegenüber steht, ist eine zufällige Ironie der Geschichte.
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Niedrigschwellige Mischung aus harten politischen Informationen, erhellenden biologischen Details und emotionalen Passagen
Der folgende Text zu dem von der Ninja-Tune-Künstlerin und Meeresbiologin Jayda G präsentiertem Dokumentarfilm „Blue Carbon – Die Superkraft der Natur“ (Regie: Nicolas Brown, Buch: Kirsty Lang) ist anlässlich der TV-Ausstrahlung Ende November bei epd Medien erschienen (Ausgabe 50/23). Seit Anfang dieser Woche steht der aufwändige Film nun für drei Monate in der 3sat-Mediathek.
Weltweit sind in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Küstengebiete, deren Pflanzen CO2 aus der Atmosphäre binden und langfristig speichern können, zerstört worden, unter anderem durch Trockenlegung. Erst die immer weitere Zuspitzung der Klimakrise hat zu einer Würdigung dieser Regionen geführt. Auf solche Ökosysteme in den USA, Frankreich, Vietnam, Senegal, Kolumbien und Brasilien blickt die internationale Koproduktion „Blue Carbon – Die Superkraft der Natur“. Der sogenannte blaue Kohlenstoff, von dem im Titel die Rede ist, entsteht, wenn er in Blättern, Stämmen oder Wurzeln von Mangroven oder in Seegras gespeichert wird.
Durch den Dokumentarfilm führt die kanadische Meeresbiologin Jayda Guy, die unter dem Namen Jayda G auch als Disco-und House-Produzentin und DJ bekannt ist. Sie stellt unter anderem Projekte vor, mit denen Einheimische etwa im Senegal oder in Kolumbien Mangrovengebiete erhalten oder durch Neupflanzungen ausbauen. Ermöglicht wird dies unter anderem durch Kompensationszahlungen von Unternehmen, die damit ihren Ausstoß an CO2 ausgleichen.
Im Senegal widmen sich die Filmemacher gleich mehreren Schauplätzen. Guy und der Fotograf und Filmemacher Cherif Koury, der zeitweilig zu einer Art Co-Präsentator wird, besuchen das Dorf Nema Ba im Sine-Saloum-Delta, wo eine „am Rande des Existenzminimums“ lebende Gruppe von Frauen die Wiederaufforstung von Mangroven betreibt. Und in der Saint-Louis, einer Großstadt an der Nordwestküste des Landes, führen sie das Publikum zu einer „Frontlinie der Klimakrise“. Gemeint ist damit ein Camp für Klimaflüchtlinge: Menschen, die innerhalb der Stadt umsiedeln mussten, weil ihre Häuser am Meer bei einer Überschwemmung zerstört wurden.
Die Produktion erinnert in ihrer Machart an „The Great Green Wall“, einen anderen Dokumentarfilm zum Thema Klimawandel, in dem Musik eine tragende Rolle spielt. Hinter „The Great Green Wall“, 2019 im Kino gestartet, steht ebenfalls die britische Produktionsfirma Make Waves; auch hier fungiert eine Musikerin als Presenterin: Inna Modja aus Mali.
Bei „Blue Carbon“ ist die Symbiose zwischen Musik und Wissenschaft aber stärker ausgeprägt. Jayda Guy nahm während ihrer Masterarbeit über Orcas Walgesänge auf, die sie in einem Stück ihres Debütalbums verwendete. In „Blue Carbon“ sieht man sie immer wieder, wie sie ein Mikrofon in die Natur hält, um Klänge einzufangen, um sie gegebenenfalls auf späteren Platten zu nutzen. Mit einem Hydrophon nimmt sie zum Beispiel in Florida das Schmatzen von Seekühen auf, das entsteht, wenn sie auf Seegras kauen. Am Ende von „Blue Carbon“ steht schließlich ein von Jayda G produzierter Song, der Samples eines spirituellen Liedes enthält, das sie in Kolumbien aufgenommen hat.
Die Filmemacher verstärken die Rolle der Musik noch an verschiedenen Stellen. Die Länder, die in „Blue Carbon" vorkommen, werden mit musikalischen Mitteln eingeführt - sei es mit einer singenden Mangrovenwald-Aufseherin auf der vietnamesischen Insel Can Gio oder einer Folklore-Kapelle in der südfranzösischen Camargue. Ein weiteres musikbezogenes Gestaltungselement, jedenfalls ab dem zweiten Drittel: Plattencover. Anspielend auf die DJ-Tätigkeit seiner Presenterin, lässt Regisseur Brown sie immer dann, wenn der Film in ein neues Land führt, eine Platte aus einer Hülle ziehen, die aus eben jenem Land stammt.
„Blue Carbon“ ist im guten Sinne gefällig erzählt, und es ist durchaus bemerkenswert, wie Autorin Kirsty Lang und Regisseur Nicolas Brown eine niedrigschwellige Mischung aus harten politischen Informationen, erhellenden biologischen Details und emotionalen Passagen unterschiedlichster Art hinbekommen. So erzählt Guy von ihrem früh verstorbenen Vater, dem sie ihre Naturverbundenheit verdankt. Auch unterhaltsame Passagen fehlen nicht: Guy ist dabei, als Frauen in Nema Ba tanzend und singend im Wasser Austern sammeln, und ausgerechnet sie, die Tanzmusikproduzentin, macht dabei eine falsche Bewegung und plumpst hinein.
Eher pflichtschuldig wirkt es indes, wenn Jayda Guy ihre eigenen Selbstzweifel artikuliert: Ihr Leben als Künstlerin widerspreche ihrem Kenntnisstand als Wissenschaftlerin, sagt sie. Unter anderem, weil bei ihren Auftritten auf großen Festivals enorm viel Müll anfalle, sei Ihr ökologischer Fußabdruck zu hoch, sagt die 34-Jährige. Aber: „Jayda Guy kann Jayda G verzeihen, denn sie nutzt ihre Berühmtheit, um Gutes zu tun.“ Das klingt dann doch ein bisschen zu gravitätisch.
Die Äußerung fügt sich ein in den überdosiert optimistischen Grundton des Dokumentarfilms, der schon im Untertitel „Die Superkraft der Natur“ zum Ausdruck kommt. Ein Fazit des Films lautet: „Keine Technologie, die wir Menschen erfinden“, sei „derart effizient und vielseitig“ wie blauer Kohlenstoff. Wie das einzuordnen ist, darüber informiert der auf deutscher Seite beteiligte NDR in seinem Presseheft: „Um eine Klimakatastrophe zu verhindern, müssen wir bis 2030 jährlich mindestens 23 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre ziehen. Geschützte und wiederhergestellte Blue-Carbon-Systeme können fünf Prozent davon einlagern.“ Letztlich geht es also nur um relativ kleine Erfolge, die dank der „Superkraft“ möglich werden.
#Jayda G #Klimakatastrophe #Meeresbiologie
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Ich finde, dass der Roman-Brodmann-Preis mehr Aufmerksamkeit verdient hätte …,
… wobei ich an dieser Stelle natürlich sogleich offenlegen muss, dass ich in diesem Jahr bei diesem Preis bereits zum dritten Mal Mitglied der Vorjury war. Der folgende Text über das Kolloquium zum Preis und die Verleihung des Preises ist zuerst beim KNA-Mediendienst erschienen, es handelt sich hier um eine leicht gekürzte und aktualisierte Fassung.
Am 19. April wurde in Berlin zum dritten Mal der Roman-Brodmann-Preis verliehen. Prämiert wird hier jeweils der herausragende politische Dokumentarfilm eines Preisjahres. Der Wettbewerb, benannt nach einem der in diesem Bereich wegweisenden Vertreter und ausgerichtet vom Stuttgarter Haus des Dokumentarfilms und dem Institut für Medien- und Kommunikationspolitik, widmet sich einem Genre, das Medienberichterstattende eher stiefmütterlich behandeln - und das auch wesentlich mehr Wertschätzung in den hiesigen TV-Anstalten verdient hätte. In diese Richtung ging auch eine Rede, die Fritz Frey, Erster Chefredakteur des SWR, vor der Preisverleihung hielt. Frey, dessen Vortrags-Hauptthema die Aktualität des Wirkens des Namenspreisgebers war und der etwa Brodmannns Film „Der Polizeistaatsbesuch“ als „Klassiker des dokumentarischen Erzählers“ würdigte, forderte implizit: Die Entscheider in den Sendern müssten im Bereich Dokumentarfilm mehr Risikobereitschaft unter Beweis stellen - und den Filmemachern mehr vertrauen.
Fester Bestandteil des Preises ist seit jeher ein Kolloqium in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz in Berlin. Dieses Mal stand es unter der Oberüberschrift „Zerreissproben. Die Flut der Bilder“. Für die insgesamt vier Panels hatten die Veranstaltenden folgenden Leitgedanken formuliert: „Welche Instrumente haben wir und welche nutzen wir, um gegen die Flut von bewusst gestreuter Desinformation, aber auch gegen Polarisierung und Diskursverschiebung in der öffentlichen Debatte vorzugehen? Welche Rolle wird dabei Journalist:innen und Filmschaffenden zuteil? Und welche Rahmenbedingungen benötigen sie, um diese zu erfüllen?“
Ein Bezugspunkt des Panels „Die Flut der Bilder – Desinformation im Echtzeitalter“. waren Recherchen des Auswärtigen Amtes, das um die vergangene Jahreswende im sozialen Netzwerk X „eine systematische russische Kampagne ausgemacht“ hatte, wie „Der Spiegel“ Ende Januar schrieb. Die Ministeriumsmitarbeiter waren auf 50.000 unautorisierte Konten gestoßen, die innerhalb von vier Wochen deutschsprachige Posts in siebenstelliger Höhe generierten - wobei wahrscheinlich künstliche Intelligenz eine wesentliche Rolle spielte.
Peter Ptassek, Beauftragter für Strategische Kommunikation im Auswärtigen Amt, betonte allerdings: Die aktuelle russische Propaganda, die auf diesen Wegen verbreitet werde, ziele, so Ptassek weiter, gar nicht darauf ab, dem Publikum im Westen bestimmte Positionen einzubläuen. Es gehe vielmehr darum, die Menschen so zu verunsichern, dass sie gar nichts mehr glauben. Was könnten die Gegenmittel sein? „Wir müssen mehr erläutern, mehr erklären“, sagte Ptassek dazu.
Zum Thema russische Meinungsmanipulation hatte auch ein anderer Panelteilnehmer, der russischsprachige Politiker Sergey Lagodinsky, Mitglied des Europäischen Parlaments und Berliner Spitzenkandidat der Grünen bei der Europawahl, eine bemerkenswerte Beobachtung beizutragen. Lagodinsky sagte, er verfolge die Berichterstattung im staatlichen russischen Fernsehen, und ihm sei aufgefallen, dass dort verbreitete Informationen einige Tage später in Brandenburger Telegram-Gruppen wieder auftauchten.
„Letzte Bastion? Muss Journalismus die Demokratie verteidigen?“ lautete der Titel eines weiteren Panels, moderiert von Steffen Grimberg, dem Leiter des KNA-Mediendienstes. Während der 45-minütigen Diskussion ging es unter anderem um die finanziellen Rahmenbedingungen für adäquate Reaktionen auf juristische Angriffe aus antidemokratischen Kreisen.
Bei Tageszeitungen sei es „mittlerweile gang und gäbe, dass es gar keine Budgets für Rechtsstreitigkeiten gibt“, sagte der NDR-Justiziar Klaus Siekmann. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei auch deshalb wichtig, weil er diese Budgets habe.
Diese, so Siekmann, brauche es unbedingt. Schließlich seien Medien „aus dem blauen Umfeld“ - eine Formulierung, die sich auf die Erkennungsfarbe einer Partei bezog - dank finanzkräftiger Hinterleute für juristische Auseinandersetzungen prächtig ausgestattet. Steffen Grimbergs Frage, ob die Versuche dieses Milieus, Berichterstattung zu verhindern, in den vergangenen Jahren massiver geworden sein, bejahte Siekmann.
Der NDR-Justiziar erwähnte in dem Kontext eine Kanzlei, die „mit dem erkennbaren Ziel“ agiere, „den Betrieb lahmzulegen oder zumindest zu behindern“. Teil dieser Strategie seien ausufernde Schriftsätze, so Siekmann. Aus 35 Seiten gelte es dann erst einmal jene halbe Seite herauszufiltern, auf der er es um den eigentlichen Inhalt gehe.
Die rechtlichen Angriffe nähmen „immer neue Formen“ an. Ein Rechtsgelehrter, mit dabei bei dem von der Rechercheplattform Correctiv aufgedeckten Treffen von Rechtsextremisten in Potsdam, gehe zum Beispiel gegen einen in die Zuständigkeit des NDR fallenden Beitrag bei tagesschau.de über diese Zusammenkunft vor - obwohl er selbst darin gar nicht vorkomme. „Er versucht zu deduzieren, dass sein Name aus anderer Berichterstattung bekannt ist und er deshalb tagesschau.de abmahnen kann“, sagte Siekmann.
Was die Versuche antidemokratischer Kräfte angeht, die Funktionalität von Institutionen zu beeinträchtigen, wusste die rheinland-pfälzische Medienstaatssekretärin Heike Raab Vergleichbares zu berichten. Bei einer Verständigung der Länderparlamente untereinander habe man herausgefunden, dass die AfD in mehreren Landtage Anfragen stellt, die sich inhaltlich kaum voneinander unterscheidet. Die Anfragen hätten kaum noch zu handhabende Umfänge, und sie bestünden teilweise aus Einzelfragen, die sich normalerweise mit einem Link beantworten ließen, meinte Raab. Die Regularien des parlamentarischen Fragerechts ließen es aber nicht zu, den Fragestellern Links zu schicken.
Der nach dem Abschluss des Kolloquiums verliehene Roman-Brodmann-Preis ging an Farahnaz Sharifis „My Stolen planet“. Der Film der iranischen Regisseurin ist zum einen Protestchronik, zum anderen eine Chronik eines, gemessen an den Regeln des Teheraner Regimes, subversiven Lebens im Privaten. Der Film ist zu einem großen Teil montiert aus eigenen privaten Videos und denen anderer Menschen. Letzteres Material stammt von Personen, die den Iran verließen bzw. verlassen mussten. Sharifi erzählt, dass sie diese Filme Händlern abkaufte, nachdem sie zunächst „auf der Straße“ gelandet waren.
Die Regisseurin lebt seit 2022 in Deutschland, und wie andere Exil-Iranerinnnen und Exil-Iraner dürfte sie in den vergangenen Tagen über einige öffentliche Äußerungen zum Iran irritiert gewesen sein. Nachdem der Iran am 13. April Israel mit Drohnen und Raketen angegriffen hatte, schrieb zum Beispiel Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) bei X: „Heute Nacht hat der Iran sein wahres Gesicht gezeigt.“ Als ob der Iran in den vergangenen Jahrzehnten jemals ein anderes Gesicht gezeigt hätte.
Sharifi zeigt zum Beispiel, dass es bereits in den 1980er Jahren Hinrichtungen gab und in den 1990er Jahren Menschen mit Selbstverbrennungen gegen das Regime protestierten. Die Roman-Brodmann-Preisjury schrieb in ihrer Begründung: „Farahnaz Sharifi (dokumentiert) zwei Lebenswelten: den privaten Lebensraum, den ‚freien Planeten’ der Frauen unter sich und zu Hause, und den öffentlichen Lebensraum – überwacht und drangsaliert von einem repressiven, brutalen und frauenfeindlichen Mullah-Regime (…) (Ihr) gelingt eine einzigartige ästhetische Kombination von Bilder-Montage, sprachlicher Erzählung und Musik. Es entsteht ein Resonanzraum, der eine große Trauer vermittelt und dem Publikum gleichzeitig erschreckende Erkenntnis sowie tiefe emotionale Beteiligung ermöglicht.“
Nach der Auszeichnung für den Film „Sieben Winter in Teheran“ im vergangenen Jahr würdigt die Jury des Roman-Brodmann-Preises damit bereits zum zweiten Mal in Folge einen Film, der sich aus weiblicher Perspektive mit der Unterdrückung von Frauen im Iran und deren Widerstand gegen diese Unterdrückung beschäftigt.
Am Wochenende, an dem Farahnaz Sharifis Film in Berlin ausgezeichnet wurde, gewann „My stolen planet“ zudem den Publikumspreis beim Film Festival Bozen, vorher war der Film schon bei einem weiteren Publikumspreis, dem Panorama Audience Award bei der Berlinale, auf den zweiten Platz gekommen. Und im März bekam die Komponistin Atena Eshtiaghi für den Soundtrack zu „My stolen planet“ den Deutschen Dokumentarfilm-Musikpreis.
Sharifis Film, der aufgrund der aktuellen weltpolitischen Lage möglicherweise an Aufmerksamkeit gewinnen wird, startet erst im Herbst 2024 im Kino. In den kommenden Tagen wird er allerdings an vier Terminen beim Internationalen Dokumentarfilmfestival in München zu sehen sein. Vielleicht kann Bildungsministerin Stark-Watzinger es ja einrichten, sich „My stolen planet“ an einem der Tage anzuschauen.
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Ein medienkritischer Podcast mit produktiver Reibung
Meine am 31. Januar in Marl gehaltene Laudatio für Nadia Zaboura und Nils Minkmar, die für ihren Podcast „quoted“ mit dem diesjährigen Bert-Donnepp-Preis für Medienpublizistik ausgezeichnet wurden. Die Textfassung weicht minimal vom Redemanuskript ab.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Preisträgerinnen und Preisträger,
die Jury des Bert-Donnepp-Preis, die mir die ehrenvolle Herkulesaufgabe übertragen hat, die Laudatio auf Nadia Zaboura und Nils Minkmar zu halten - diese Jury hat die Auszeichnung für ihren Podcast „quoted“ unter anderem mit folgenden Worten begründet:
Er habe „eine Tiefe, die im geschriebenen Medienjournalismus nur noch selten zu finden“ sei.
Die eine oder andere Textjournalistin oder der eine oder andere Textjournalist wird da vielleicht gesagt haben:
Was ist denn das für ein blöder Vergleich? Die beiden haben ja schließlich viel mehr Zeit als wir. Das stimmt, eine Folge von „quoted“ - alle 14 Tage auf der Website der Süddeutschen Zeitung und bei den üblichen Plattformen abrufbar - dauert mindestens 35 Minuten, manchmal auch knapp über 40.
Tiefe entsteht aber nicht nur dadurch, dass man Zeit hat, ein Thema aufzublättern. Tiefe entsteht auch dadurch, dass man den richtigen Ansatz wählt. „quoted“ hat unter anderem deshalb Tiefe, weil Medienkritik hier immer in einem gesellschaftspolitischen Kontext stattfindet, im Kontext aktueller Debatten, die über das Journalismus-Milieu hinaus reichen.
Bei „Quoted“ findet man, grob gesagt, eine Mischung aus zwei Sorten von Themen.
Die erste Kategorie: dringliche Themen, die anderswo nicht so tiefgehend behandelt werden, wie es nötig wäre. Beispiel: Es gab im Oktober und November innerhalb von vier Wochen gleich zwei Folgen, die sich kritisch mit der Berichterstattung über den derzeitigen Nahostkrieg beschäftigten.
Die zweite Kategorie: naheliegende Themen, bei denen es den Machern gelingt, einen Ansatz zu finden, der all dem woanders schon Gesagten noch etwas hinzufügt. Beispiel: Im Frühjahr und Frühsommer 2023 wimmelte es in den Medien von Geschichten über Springer: Machtmissbrauch bei „Bild“, Döpfners Textnachrichten, Stuckrad-Barres Roman, wir erinnern uns alle.
Zu der Zeit gab es eine „quoted“-Folge, die unter der Überschrift stand: „Bild-Zeitung: Toxische Texte?“
Ich fand das angemessen: Das ganze, im übrigen ja völlig berechtigte Bohei um Springer und „Bild“ zum Anlass für Fragen zu nehmen, die gar nicht oft genug gestellt werden können: Inwiefern sind „Bild“-Texte toxisch? Für wen sind sie toxisch?
Ein wesentliches Merkmal von „quoted“ ist die internationale Perspektive, also Fragen wie diese: Wie blicken internationale Medien bei bestimmten Themen auf Deutschland? Wie unterscheiden sich bei bestimmten Themen die deutsche und die internationale Berichterstattung? Wie berichten deutsche Medien über internationale Themen?
Um Letzteres ging es einer Folge, die mir besonders gut gefallen hat. Die lief Mitte August, als sich zum zweiten Mal der Tag jährte, an dem die Taliban wieder die Macht in Afghanistan übernahmen. Seitdem haben deutsche Medien oft nur unpräzise über dieses Land berichtet. Und vorher - leider auch schon. Vor allem berichten sie mittlerweile sehr wenig, verglichen mit den Zeiten, als unsere Freiheit noch am Hindukusch verteidigt wurde - um mal einen bekannten Politiker-Ausspruch zu variieren. All das haben Nadia Zaboura und Nils Minkmar in der besagten Folge aufgegriffen.
Wie sind nun die Rollen unter den beiden Protagonisten verteilt? Nils Minkmar ist, wie er es selbst in einer Podcast-Folge mal formuliert hat, „ein Stück älter“ als Nadia Zaboura. Die Frau etwas jünger, der Mann nicht ganz so jung - diese Konstellation könnte zu etwas klischeehaften Einordnungen der Rollenverteilung animieren. Also versuche ich es lieber anders.
In der Einleitung zu jeder Folge ist folgender Satz zu hören: “Es diskutieren Nadia Zaboura, Linguistin und Kommunikationswissenschaftlerin … und der Journalist Nils Minkmar.“ Damit ist gleich für alle Zuhörenden, auch für die gerade neu dazu Gekommenen, relativ klar, dass die beiden aus unterschiedlichen Perspektiven auf die Themen blicken.
Bei der Entwicklung der Idee für diesen Podcast, die von der CIVIS Medienstiftung stammt, war früh klar, was man nicht wollte: Man wollte nicht zwei einander sehr ähnliche Personen miteinander reden lassen - was bei Podcasts ja gelegentlich der Fall ist und was für die direkt Beteiligten vielleicht eine feine Sache ist, aber nicht zwangsläufig für die Zuhörenden.
„Quoted“ ist also kein Bro-cast, kein Sis-cast, kein Buddycast oder dergleichen.
Nadia Zaboura steht für die wissenschaftliche Analyse, sie blickt auf das Strukturelle und Systemische und übernimmt oft den fundamentalkritischen Part. Nils Minkmar kennt die Binnenlogiken des Medienbetriebs bzw. mehrerer Betriebe, u.a. Zeit, Spiegel, FAZ, Süddeutsche Zeitung. Er weiß, wie bestimmte Entwicklungen zustande kommen und zu erklären sind. So entsteht oft eine produktive Reibung.
Nun könnte es natürlich passieren, dass jemand diese Laudatio unter anderem mit den Worten zusammenfasst, dass bei „quoted“ „Positionen aufeinander prallen“ oder Ähnliches. Aber: „quoted“ ist keines dieser „kontrovers“ besetzten Medienformate, bei denen die Positionen erwartbar oder sogar quasi vorchoreografiert sind. Dass fast immer ein Gast dabei ist, sei der Vollständigkeit halber auch erwähnt.
All das trägt dazu bei, dass „quoted“ sowohl für Journalist*innen sehr instruktiv sein kann - als auch für Leute, die überhaupt nichts mit Medien zu tun haben, aber sich eben dann für Medienkritik interessieren, wenn sie gesellschaftlich debattenrelevant ist. „Quoted“ zeigt auch, dass analytische Qualität und niedrigschwelliger Zugang kein Widerspruch sein müssen.
Die etwas trockenere Materie habe ich mir für den Schluss aufgespart. Der vollständige Titel dessen, was die Jury des Donnepp-Preises ausgezeichnet hat, lautet ja etwas sperrig: „quoted. der medienpodcast von CIVIS Medienstiftung und Süddeutscher Zeitung, gefördert von der Stiftung Mercator.“ Die redaktionelle Verantwortung liegt bei der CIVIS-Stiftung, die ich in dieser Laudatio schon etwas früher erwähnt habe. Und von der Stiftung Mercator kommt das Geld.
In den Debatten um die künftige Finanzierung von Journalismus geht es ja immer mal wieder um die Rolle, die Stiftungen dabei spielen könnten. Es gibt Forderungen, dass sich Stiftungen stärker in der Finanzierung von Journalismus engagieren sollten. Und es gibt Forderungen, dass der Gesetzgeber bessere Rahmenbedingungen dafür schafft, dass sich Stiftungen stärker engagieren können.
Dass wir hier heute einen Preis vergeben für eine medienpublizistische Leistung, hinter der zwei Stiftungen stehen - das könnte die hiesige Stiftungswelt als Signal verstehen.
Wer gerade noch überlegt, ob er sich mit Ideen oder Geld oder beidem im Journalismus oder gar Medienjournalismus engagiert, der weiß jetzt: Als Lohn winkt irgendwann vielleicht der wichtigste deutsche Preis für Medienpublizistik.
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit!
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Als CDU-Granden einmal die ARD aus den Angeln heben wollten
Da der Spitzenkandidat der AfD in Thüringen angekündigt hat, im Fall einer Wahl zum Ministerpräsidenten den MDR-Staatsvertrag zu kündigen, bietet sich ein historischer Exkurs an: Vor rund viereinhalb Jahrzehnten kündigten schon einmal Ministerpräsidenten einen Sender-Staatsvertrag. Betroffen damals: der NDR. Für das Medienmagazin „journalist“ (Ausgabe 12/20) habe ich einen Text geschrieben, in dem es u.a. um diese Staatsvertragskündidung ging. Aus aktuellem Anlass republiziere ich hier die entsprechende Passage (mit leichten Änderungen).
Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre drohte die Aufspaltung des NDR in einen Zwei-Länder-Sender und einen Sender für Hamburg. Es war „die dramatischste Situation, die es in der bundesdeutschen Rundfunkpolitik je gegeben hat“ , sagt der langjährige NDR-Intendant Jobst Plog, der seine Karriere beim Sender 1977 als Justiziar begann.
Die dramatischen Ereignisse begannen, nachdem das NDR Fernsehen 1977 die ersten Folgen einer Reihe mit dem nüchternen Titel „Der Betriebsrat“ ausgestrahlt hatte. Die Sendung hatte den Anspruch, Arbeitnehmern das Betriebsverfassungsgesetz nahezubringen. Der damals aus norddeutschen Ministern und vergleichbar hochrangigen Parteivertretern zusammengesetzte Verwaltungsrat des NDR forderte den Sender daraufhin auf, die Reihe „Der Betriebsrat“ abzusetzen – ohne die ausgestrahlten Filme überhaupt gesehen zu haben, wie Plog heute bemerkt.
Als sich die Senderspitze weigerte, den Befehl der Parteienvertreter umzusetzen, kündigte Gerhard Stoltenberg, der damalige christdemokratische Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, 1978 den Staatsvertrag. Niedersachsens Ministerpräsident Albrecht (CDU) kündigte den Vertrag einige Zeit später ebenfalls - und beantragte beim Bundesverwaltungsgericht die Feststellung, dass es sich um eine Auflösung des NDR handele. „Wir werden über den NDR das ganze Rundfunkwesen in Deutschland verändern“, proklamierte Albrecht.
Die beiden damaligen Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins und Niedersachsens hätten die „Axt an die Wurzel“ gelegt, sagt Plog. Im Februar 1980 unterzeichneten Stoltenberg und Albrecht einen Zwei-Länder-Staatsvertrag, den der damalige NDR-Intendant Martin Neuffer als Ausdruck eines „etatistischen Denkens“ bezeichnete. Dass „ein unabhängiger kritischer Journalismus Leitziel der Programmgestaltung“ sei, lasse dieser Staatsvertrag nicht erkennen. Der damalige nordrhein-westfälische Innenminister Burkhard Hirsch (FDP) war der Ansicht, Albrecht und Stoltenberg wollten einen „Staatsrundfunk“ etablieren.
Im Mai 1980 war der Spuk vorbei, als das Bundesverwaltungsgericht im Sinne des NDR entschied. Innerhalb relativ kurzer Zeit einigten sich Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein auf einen neuen gemeinsamen Staatsvertrag.
#NDR #MDR #AfD #CDU #Niedersachsen #Schleswig-Holstein
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Große Sorge um das Grimme-Institut und seine Preise
Mitglieder der Nominierungskommissionen und Jurys der Grimme-Preise appellieren in einem Schreiben an die Gesellschafter des Grimme-Instituts, das Institut und seine Preise zu schützen und zu stärken. Zu den Gesellschaftern gehören unter anderem das Land NRW, der WDR und das ZDF. Das Schreiben der Mitglieder ist im Folgenden dokumentiert.
Angesichts der jüngsten Nachrichten zur wirtschaftlichen Situation des Grimme-Instituts sehen wir uns als Mitglieder der Nominierungskommissionen und Jurys des Grimme-Preises und des Grimme Online Awards in der Verantwortung, einen dringenden Appell an die Gesellschafter:innen und Aufsichtsrät:innen zu richten.
Die aktuellen Nachrichten aus Marl sind ein Schock: Ein Drittel der Arbeitsplätze im Institut soll wegfallen. Das ist nicht nur für die Betroffenen katastrophal, die betriebsbedingten Kündigungen werden auch den Kernauftrag des Grimme-Instituts schwächen: die Preise. Ohne starkes Grimme-Institut gibt es keine starken Preise, keinen Grimme-Preis und keinen Grimme Online Award. Und ohne starke Preise ist das Grimme-Institut in Gefahr.
Das darf nicht passieren.
Die Preise des Grimme-Instituts zeichnen Qualitätsfernsehen und andere hochwertige Medieninhalte aus. Beiträge, deren Bedeutung in Zeiten, in denen Fehlinformationen bewusst gestreut und benutzt werden, um Menschen zu manipulieren, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Wer die Preise schwächt, handelt gesellschaftlich fatal.
Das Besondere an den Auszeichnungen des Grimme-Instituts ist die unabhängige transparente Preisfindung. Wir sind stolz und dankbar, Teil davon sein zu dürfen, und wir wissen: Dieser komplexe Prozess kann nur dann weiterhin stattfinden, geschweige denn diesen höchsten Maßstäben genügen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Die sehen wir schon seit einigen Wochen und nun ganz akut in größter Gefahr.
Die Nominierungskommissionen Fiktion und Information & Kultur des Grimme-Preises haben die Auswirkungen der Sparmaßnahmen bereits zu spüren bekommen. Konkret: die Entlassungen der beiden Assistent:innen und damit das Wegfallen von zwei Schlüsselpositionen im ohnehin notorisch unterbesetzten Grimme-Preisreferat. In der Vorbereitung auf die zweite Sichtungswoche im November waren die Abläufe bereits gestört. In den kommenden Wochen und Monaten, wenn noch mehr Gremien gleichzeitig Nominierungen und Preisträger:innen bestimmen, wird sich das zuspitzen.
Beim Festakt zum 50. Jubiläum des Grimme-Instituts wurde von vielen Seiten die Bedeutung des Instituts und speziell des Grimme-Preises als bekanntesten Preis des Instituts betont, gar von einem „Gralshüter der Qualität“ war die Rede. Dem müssen auch Taten folgen. Die Preise des Grimme-Instituts sind die renommiertesten in der Branche.
Wir appellieren dringend an die Träger:innen des Grimme-Instituts, eine adäquate finanzielle Ausstattung inklusive Assistenzstellen zu gewährleisten, um das Institut und seine Preise zu schützen. Die Qualitätsdiskussion am Grimme-Institut ist einzigartig und ein wertvoller Baustein der Kulturförderung und politischen Bildung in Deutschland. Das Institut und seine Preise müssen geschützt und gestärkt werden. Ihre Arbeit ist wichtiger denn je.
Die Mitglieder der Nominierungskommissionen und Jurys des Grimme-Preises und des Grimme Online Awards:
Kathrin Hollmer
René Martens
Prof. Anna Barbara Kurek
Ascan Dieffenbach
Helen Dreyhaupt
Justin Hölzer
Senta Krasser
Klaus Raab
Tanja Weber
David Assmann
Gerd Hallenberger
Isabella A. Caldart
Lukas Respondek
Uwe Mantel
Diemut Roether
Ebru Taşdemir
Amna Franzke
Niklas Hebing
Brigitte Zeitlmann
Margret Albers
Anne Fromm
Prof. Michael Hauri
Carla Wagner
Rolf Eckard
Axel Eberhard
Claudia Mikat
Peter Weissenburger
Marc Hippler
Gudrun Sommer
Barbara Sichtermann
Dr. Leif Kramp
Lisa Kräher
Dr. Heike Hupertz
Anna Gerritzen
Prof. Michael Schwertel
Karin Boczek
Jenni Zylka
Matthias Struch
Sandra Das
Antje Laacks
Gïti Hatef-Rossa
Heike Heinrich
Patrick Presch
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Ein verspäteter Trostpreis
Mein Buch „FC St.Pauli. Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“ ist gerade erschienen. Dies ist ein digitaler Bonustrack! Nur hier, nicht im Buch!
Ein Meistertitel sorgt in der Regel für große Freude, doch unter anderem bei Viktoria Griesheim und dem FC St. Pauli hielt sich die Euphorie 1981 in Grenzen. Sie gehörten zu den acht Meistern in den damals drittklassigen Amateuroberligen, denen trotz der Meisterschaft der Weg in die 2. Liga verbaut war. Der Titel war wenig wert, weil der DFB beschlossen hatte, die Nord- und Südstaffel der 2. Liga zu einer eingleisigen Spielklasse zusammen zu legen - und Aufsteiger waren dabei nicht vorgesehen. Während den Viktorianern aus der Nähe von Darmstadt damit quasi die Chance ihres Vereinslebens genommen wurde - der Sprung in die Zweitklassigkeit gelang ihnen später nie -, sollte der FC St. Pauli bekanntlich bald zum Inventar der 2. Liga gehören.
Es ist nicht überliefert, ob der hessische Meister damals vom DFB entschädigt wurde. Zumindest beim FC St. Pauli war das der Fall - wenn auch mit erheblicher Verspätung. Im Dezember 1982 reiste die Mannschaft, finanziert vom DFB, für drei Wochen nach Ostafrika und absolvierte dort insgesamt sechs Freundschaftsspiele.
Teilweise hatte die Reise politische Dimensionen. Über das Hotel in der tansanischen Hauptstadt Dar es Salaam, in dem die Reisetruppe unter anderem beherbergt war, heißt es in der Chronik zum 75-jährigen Vereinsjubiläum: „Die Versorgung an Speisen und Getränken war sehr mangelhaft und konnte erst nach zähen Verhandlungen mit dem dortigen Sportminister und unserer Zusage zu einem zusätzlichen Spiel verbessert werden.“ Aus anderen Gründen unerfreulich war die Begegnung mit dem ortsansässigen Simba SC, denn weil der Gastgeber eine, sagen wir mal: eher rustikale Spielweise an den Tag legte, mussten mehrere St. Paulianer verletzt den Platz verlassen.
Vom zum diesen Zeitpunkt bereits neunmaligen tansanischen Meister Simba konnte man damals also nichts lernen, nicht einmal als deutscher Drittligist. Heute könnte man es vielleicht - wenn auch auf einer ganz anderen Ebene. Der Simba SC hat auf Instagram 5,3 Millionen Follower - ungefähr 17-mal so viel wie der FC St. Pauli mit seinem Hauptaccount.
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Der Fußballmagazinmarkt ist kleiner, als man denkt
Für den KNA-Mediendienst habe ich Ende Juli einen Überblick über den deutschen Fußballmagazinmarkt geschrieben. Anlässlich der am Dienstag verkündeten Übernahme des „11 Freunde“-Mehrheitsanteils durch den „Spiegel“ habe ich den Text aktualisiert und auch sonst leicht überarbeitet.
„Das Magazin ’11 Freunde’ aus Berlin widmet sich dem Kick-Kult“ - diese nicht überaus einfallsreiche Worten zum Wirken der monatlich erscheinenden Fußballzeitschrift findet man heute noch im Internetangebot des „Spiegel“. Die Beschreibung ist ein Überbleibsel einer Kooperationspartnerschaft: Zwischen 2007 und 2014 republizierte das damals noch als "Spiegel Online“ firmierende Web-Angebot des Nachrichtenmagazins ausgewählte Texte von „11 Freunde“, jeweils zwei bis drei pro Monat.
Neun Jahre nach der Trennung kommt es nun sogar zur Eheschließung. Der Spiegel-Verlag übernimmt von RTL die 51-Prozent- Mehrheit des Fußballmagazins. Dieser Anteil gehört zu den Objekten und Beteiligungen des alten Gruner-+Jahr-Verlags, die zum Verkauf stehen oder standen. Zum „Spiegel“ passen „11 Freunde“ eigentlich besser als ins sehr heterogene alte Gruner-+-Jahr-Portfolio.
Der Fußballmagazinmarkt ist in Deutschland wesentlich kleiner, als man angesichts der Popularität und der gesellschaftlichen Bedeutung des Fußballs denken würde. Branchenführer ist weiterhin der „kicker“, der wöchentlich knapp 133.000 Hefte verkauft (Montags- und Donnerstagsausgabe zusammengerechnet). Die verkaufte Auflage des Monatstitels „11 Freunde“ liegt bei 61.000 Exemplaren. Dahinter gibt es, jedenfalls an den Verkaufszahlen gemessen, eine riesengroße Kluft.
Stabil in dieser Nische bewegt sich die 2015 gegründete und in Hannover ansässige Vierteljahreszeitschrift „Zeitspiel“. Schwerpunkte hier: Fußballgeschichte sowie Amateurfußballthemen mit überregionaler Strahlkraft. Frank Willig, der das Magazin mit Hardy Grüne herausgibt, ist Präsident des Fünftligisten Arminia Hannover. Der Titel einer der wichtigsten Heftstrecken lautet „Überleben im Turbokapitalismus“, es geht hier um Vereine, die schon sehr viel bessere Zeiten und auch schon mindestens eine Insolvenz oder Neugründung erlebt haben, aber immer noch auf eine relativ große Fanbasis zählen können.
„Zeitspiel“ gibt es nur für Abonnenten oder als Einzelheft per Post, von Anfang an vermied man die Kosten, die durch den Vertrieb am Kiosk oder im Bahnhofsbuchhandel anfallen. 1.900 Abonnenten hat „Zeitspiel“ derzeit, dazu kommen 900 Hefte im Einzelverkauf. „Wir spüren eine Abwendung vom großen Fußball - auch wenn ich nicht so weit gehen würde, von einem Trend zu sprechen“, sagt Dietrich Schulze-Marmeling. Er veröffentlicht seit mehr als 30 Jahren Fußballbücher und ist gerade als dritter Mann in die bisher zweiköpfige Chefredaktion eingestiegen. Die Erweiterung des Führungsteams ist Ausdruck eines Wachstums in recht kleinen Schritten. Autorenhonorare zahlt „Zeitspiel“ beispielsweise erst seit Anfang 2023.
Ein freundschaftliches kollegiales Verhältnis pflegen die Norddeutschen zum österreichischen Monatsmagazin „Ballesterer“, das auch auf dem deutschen Markt mitspielt. Der „Ballesterer“ hat 5.000 Abonnenten, rund ein Viertel davon aus Deutschland. Zwei Redakteur*innen verdienen einen großen Teil ihres Lebensunterhalts mit der Zeitschrift.
Die „Ballesterer“-Resonanz in Deutschland erklärt sich unter anderem dadurch, dass das Magazin unter anderem auf internationale Themen setzt, die gesellschaftspolitischen Aspekte des Fußballs im Blick hat - und sich, ähnlich wie „Zeitspiel“, oft der Geschichte diese Sports widmet. Es wäre aber falsch beim Schlagwort „Geschichte“ an vermeintlich selige Zeiten zu denken, als es vermeintlich noch nicht um Geld ging. Nicole Selmer, stellvertretende Ballesterer“-Chefredakteurin, sagt: „Für viele Leserinnen und Leser sind die 1990er Jahre ein wichtiger Referenzpunkt, weil das ihre Jugend war. Andererseits schreiben Autoren für uns, die erst nach 2000 geboren sind.“
Ein kleiner Fußballmagazin-Boom schien sich noch 2005 anzubahnen, als mit Blick auf die WM 2006 in Deutschland das Magazin „Rund“ auf den Markt kam, ein Joint Venture, an dem der Olympia-Verlag, der den „kicker“ heraus bringt, beteiligt war. „Rund“ zielte auf ein ähnliches Publikum wie „11 Freunde“, segnete aber bereits 2007 das Zeitliche. Im Netz gibt es „Rund“ immer noch, die Website wird aber nur sporadisch mit Zweitveröffentlichungen gefüllt. Auf die Mischung Fußball und Lifestyle, also eine andere Nische jenseits des „kicker“-Journalismus, hatte sich seinerzeit das Magazin „Player“ kapriziert. Es existierte aber ebenfalls nur von 2005 bis 2007. Der Erfinder von „Player“ war Oliver Wurm, mittlerweile Bundesverdienstkreuzträger. Er wurde 2020 für das Projekt „Das Grundgesetz als Magazin“ ausgezeichnet.
Die frischeste Einstellung auf dem Markt der Fußballblätter erfolgte gerade erst im vergangenen Monat. Da erschien bei der Funke-Mediengruppe zum letzten Mal die Druckausgabe des „Reviersports“, entfernt vergleichbar mit dem „kicker“, allerdings mit Schwerpunkt Ruhrgebietsfußball. Man konzentriert sich nun aufs Digitale. Die Lage „unter anderem durch steigende Papier- und Logistikkosten soweit verschlechtert, dass die Printausgabe nicht mehr wirtschaftlich“ sei, teilte Thomas Kloß, Geschäftsführer von Funke Medien NRW, zum Abschied mit. Solche Begründungen sind in der Regel ja immer nur ein Teil der Wahrheit. Ulrich Homann, der das Blatt 1987 gegründet hatte, platzierte in der letzten Ausgabe noch eine kleine Spitze gegen die hohen Damen und Herren in der Konzernspitze: „‚Seit 30 Jahren auf Ballhöhe‘. So steht es auf dem Titel dieser Zeitschrift, die im Portfolio des riesigen Funke-Konzerns zuletzt eine Nebenrolle, eher gar keine mehr spielte. Sonst wäre es sicher jemandem dort aufgefallen, dass sie sich bereits im 37. Jahrgang befindet.“
Dass der Markt jenseits von „kicker“ und „11 Freunde“ nischig ist, wird auch mit Blick auf aktuelle Crowdfunding-Aktionen deutlich: Das Frauenfußballmagazin „FFussball“, das gedruckt sechsmal pro Jahr erscheint, hatte bis Anfang August eine Kampagne bei der Plattform Startnext laufen. Das Ziel: die Zahl der digitalen Ausgaben von sechs auf zwölf zu erhöhen. Die Kampagne war aber nicht erfolgreich.
Das neueste Objekt auf dem Markt ist die Jugendfußball-Zeitschrift „Bolzplatz“. Zielgruppe: 8-14-jährige Mädchen und Jungen. „Bolzplatz“ erreichte bei einer Crowdfunding-Kampagne gerade knapp das Ziel, 4.500 Euro für die erste gedruckte Ausgabe im Herbst zusammen zu bekommen. Mittelfristig sind zwei Ausgaben pro Jahr geplant.
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Wenn Redakteur*innen allergisch auf den Begriff „Nische“ reagieren
Der folgende Text von mir über den Dokumentarfilm-Branchentreff Dokville ist zuerst in epd Medien (Nr. 25/23) erschienen.
„Warum bin ich jetzt unseriös mit lackierten Nägeln?“ So lautet eine Frage in „Janboris Rätz NonBinär“, einem kurzen Porträtfilm von Studierenden der Stuttgarter Hochschule der Medien. Er war zum Auftakt des Dokumentarfilm-Branchentreffs Dokville zu sehen, den das Haus des Dokuemtarfilms am 15. und 16. Juni zum 19. Mal in Stuttgart veranstaltete.
Der Film war Teil der Keynote, für die die Organisatoren Janboris Rätz gewonnen hatten. Rätz definiert sich, wie der Titel des Porträts bereits verrät, als nicht-binär und spricht die Nachrichten für „SWR aktuell“ im Programm für Rheinland-Pfalz. Seine Non-Binarität bringt er auf dem Bildschirm unter anderem durch seine lackierten Nägel zum Ausdruck.
Rätz hatte vor der Veranstaltung überlegt, ob er/sie/es den Film dort überhaupt zeigen soll. Denn: „Meinem Abteilungsleiter hat er nicht gefallen.“ Angesichts der mangelnden Selbstreflexion in öffentlich-rechtlichen Führungsetagen ist das kein Wunder, denn es ist, ein plakativ formuliert, SWR-kritischer Film. „Den Job, den ich heute habe, habe ich ja bekommen, als ich den Nachrichtensprecher gespielt habe, den alle wollten. So wie ich heute auftrete, würde ich diesen Nachrichtensprecherjob nicht bekommen“, sagt Rätz dort. „Jetzt bin ich die Person geworden, die ich bin, und jetzt ist das ein ‚Problem‘.“
Rätz erläutert in dem Porträt, dass er/sie/es seit der Pubertät unter Depressionen gelitten habe, „weil ich gemerkt habe: Ich werde mir selber nicht gerecht, ich lebe an mir vorbei und mache das, was andere von mir verlangen“. Die Krankheitsgeschichte sei auch „auf der Arbeit“ immer wieder ein Thema gewesen, so Rätz weiter. „Irgendwann sagte mein direkter Vorgesetzter mal zu mir, dass es auch Menschen in der Redaktion gibt, die ernsthaft krank sind. Und das für war mich so ein Punkt, wo ich gesagt habe: So, jetzt reicht’s. Jetzt gehe mich lackierten Nägeln auf den Schirm.“
Rätz betonte während der Keynote, er/sie/es sehe sich bei Dokville nicht nur als Vertreter*in queerer Personen - und erwähnte zum Beispiel, dass es nach seiner/ihrer Kenntnis in Deutschland keinen „Nachrichtensprecher mit einer sichtbaren Behinderung“ gebe. Ein Hauch der 1970er Jahre wehte kurz durch den Saal des Stuttgarter Hospitalhofs, als Rätz berichtete, kürzlich habe sich eine perfekt Deutsch sprechende Frau mit osteuropäischen Wurzeln an ihn gewandt, deren Bewerbung für ein Volontariat der SWR mit der Begründung abgelehnt habe, ihr Deutsch sei nicht „akzentfrei“.
An dem folgenden Panel „Diversity in den Medien“, an dem auch Rätz teilnahm, ging es unter anderem um die von der Moderatorin Adrienne Braun formulierte Frage, ob es zumindest bei durch öffentliche Gelder finanzierten Medien eine Quote geben müsse, um verschiedenen Minderheiten eine Teilhabe zu ermöglichen. Ja, sagte Negin Behkam, 2010 aus dem Iran geflohen und heute Redakteurin beim „ND“ (vormals „Neues Deutschland“) - und nannte davor folgendes Beispiel: Wenn es in den Medien nicht genug Migranten gebe, „könnten diese Medien deren Probleme nicht erkennen“. So lange fühlten sich viele Migranten „nicht repräsentiert“, und „deshalb interessieren sie sich nicht für die Medien“. Insofern würde die Medienlandschaft mittelfristig von einer Quote profitieren.
Wiltrud Baier von der Dokumentarfilm-Produktionsfirma Böller und Brot legte auf diesem Panel nahe, die Begriffe Diversität und Vielfalt möglichst weit zu fassen. Sie berichtete davon, dass Redakteure der Sender auf den Begriff „Nische“ mittlerweile allergisch reagierten. Diese seien mittlerweile vor allem an „Leuchtturmprojekten“ interessiert - ein Begriff, den Funktionäre des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gern verwenden, um Diskussionen über den Programmalltag auszuweichen. Baier argumentierte: Wenn man von den 44 Millionen Euro, die die ZDF-Serie „Der Schwarm“, eines der fiktionalen „Leuchtturmprojekte“ der jüngeren Vergangenheit, gekostet habe, je 500.000 Euro auf Dokumentarfilme verteilt hätte, hätte man davon 88 drehen und damit eine enorme gesellschaftliche Vielfalt abbilden können. Wobei man bedenken müsse, dass 500.000 Euro für einen Dokumentarfilm heute ja ein großzügiges Budget sei, weshalb man mit dem „Schwarm“-Etat auch noch weitaus mehr als 88 hätte drehen können.
Zu den bei dieser Dokville-Tagung vorgestellten dokumentarischen Serien gehörte die SWR-Produktion „Drags of Monnem“. Die „vorwärts erzählte Alltagsreportage“ (Regisseurin Julia Knopp), die seit dem 23. Mai in der ARD-Mediathek abrufbar ist, erzählt von fünf schwulen Männern und einer lesbischen Frau, ihren Rollen als Drag Queens und Drag King und ihrem bürgerlichen Leben in Mannheim. Angelika Knop, die Moderatorin des Panels, fragte zunächst, warum ausgerechnet diese Stadt Schauplatz einer solchen Serie sei. Sie passe zur „Mentalität“ Mannheims, sagte SWR-Redakteurin Ursula Schwedler. Hier finde zum Beispiel Deutschlands fünftgrößter Christopher Street Day statt.
In einem der gezeigten Serien-Ausschnitte liefert die Drag Queen Macy M. Meyers eine perfekte Definition von Drag. Es sei die „theatralische Repräsentation dessen, was man in der Öffentlichkeit als Frau verstehen kann“. Auf dem Podium sagte sie, angesichts der „brandgefährlichen“ Queerfeindlichkeit, „die aus den USA herüberschwappt“, sei es wichtig, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk dazu beitrage, dass sich so ein Klima in Deutschland nicht verstärke. Schwedler betonte, man habe das Ziel gehabt, junge und andere Zielgruppen zu erreichen, die man sonst zu wenig erreiche, und die Abrufzahlen in der Mediathek zeigten, dass dies gelungen sei.
Als Moderatorin Knop erwähnte, dass es während der Produktion von „Drags of Monnem“ ein „kreatives Ringen“ darum gegeben habe, wie viel Off-Text es braucht und ob es ihn überhaupt braucht, kam auf dem Podium eine Anspannung auf, die für jedermann im Publikum spürbar war. Julia Knopp sagte, sie hätte mit weniger Off-Text „leben können“. SWR-Redakteurin Schwedler meinte dagegen, angesichts des „vielen Personals“ - es gibt sechs Protagonisten in fünf nicht monothematischen Folgen - trage die Off-Stimme dazu bei, „Ordnung“ zu schaffen. Aus dem Publikum meldete sich dazu die Dokumentarfilmregisseurin Sigrid Faltin („Anne-Sophie Mutter - Vivace“) zu Wort. Der Off-Text sei nicht notwendig, sagte sie, die Geschichte erschließe sich auch ohne ihn. Sie fragte Schwedler, ob man den Off-Sprecher aus „Rücksicht auf althergebrachte Zielgruppen“ eingesetzt habe. Ein Sprecher könne „in fünf Sekunden kompakt und schnell etwas erzählen“, wofür die Gesprächspartner der Serie viel länger bräuchten, sagte Schwedler dazu. Das mache es „einfacher“.
Das klingt nicht völlig unplausibel, aber es gibt auch Passagen in der Dokuserie, für die das nicht zutrifft. Zum Beispiel eine zu Beginn der vierten Folge, als es um eine Mannheimer Inszenierung des Theaterstücks „La Cage aux folles“, in der einer der Protagonist*innen, Markus Beisel, erzählt, wie wichtig es ihm ist, hier die Figur Albin zu spielen, und wie wichtig dieses Stück für die „schwule Popkultur“ ist. Ein Störfaktor ist aber vor allem der zwischen Lockerheit und Onkelhaftigkeit changierende Stil des Sprechers, der überhaupt nicht zur sonstigen Tonalität der Serie passt. Vielleicht wäre es ja ein guter Kompromiss gewesen, auf eine Erzählerstimme zu setzen, die dem Stoff angemessen ist.
Die bei der Veranstaltung ebenfalls vorgestellte Dokuserie „Capital B - Wem gehört Berlin?“ (RBB/WDR/Arte) kommt dagegen ohne Kommentar aus. Zumindest in einer Hinsicht ging es in der Planungsphase der Serie offenbar geradezu paradiesisch zu. Denn: Eine Diskussion zum Thema Off-Kommentar habe man mit den beteiligten Redakteuren gar nicht führen müssen, sagte Regisseur Florian Opitz. Mit Hilfe von 29 Interviewpartnern erzählen Co-Autor David Bernet und er hier die Geschichte der Stadtentwicklung und der Skandale in Berlin seit dem Ende der DDR - und vom Einfluss politischer Netzwerke auf die jüngere Geschichte der Stadt.
„Wenn man sich vornimmt, ohne Kommentar zu erzählen, braucht man mehr Erzählzeit und damit auch mehr Schnittzeit“, erläuterte Opitz - und bezog sich damit auf Ursula Schwedlers Argumentation auf dem vorigen Panel. Während die Folgen von „Drags of Monnem“ 30 bis 33 Minuten lang sind, hatten die Macher von „Capital B“ 52 bis 56 Minuten zur Verfügung.
Ein weiterer Veranstaltungspunkt lautete: „Unterrepräsentiert? Produzentinnen im Dokumentarfilm“. Bei der Diskussion stellte sich heraus, dass die Repräsentanz von Macherinnen nur ein Aspekt des Problems sei. Es gebe auch eine Unterrepräsentanz von Frauen vor der Kamera, sagte die Produzentin Nicola Graef. Konkret berichtete sie von Interviewanfragen bei Künstlerinnen und Künstlern: „Wenn man zehn Männer fragt, sagen elf zu. Fragt man zehn Frauen, sagen alle ab.“ Ein Thema dieser Runde war auch die „50:50-Challenge“ - eine Initiative der BBC, die zum Ziel hat, mehr Geschlechtergerechtigkeit im Programm zu erreichen, und der sich 2021 auch hiesige Sender, etwa der SWR oder der BR, angeschlossen haben. Teil dieser „Challenge“ ist die Ermittlung des Anteils von Frauen und Männern in TV-Formaten. Das greife aber zu kurz, sagte Antje Boehmert, Inhaberin der Produktionsfirma Docdays, denn es gehe „nicht nur um ein quantitatives, sondern auch um ein qualitatives Problem“. Wenn Geschlechtergerechtigkeit bedeute, dass in einem Film „Frauen Krebs haben und Männer Krebs heilen“, sei sie nichts wert.
Die Teilnehmerinnen hatten sich, wie Moderatorin Cornelia Köhler, Vorsitzende der WIFTG (Women in Film & Television Germany) sagte, vor der Veranstaltung vorgenommen, „nicht rumzuheulen“, und das taten sie dann auch nicht. An die jüngeren Frauen im Publikum gerichtet, sagte Dagmar Biller, die Geschäftsführerin von Tangram International: „Die Zeiten, in die Branche einzusteigen, waren noch nie so gut wie jetzt.“ Denn: „Nachwuchs“ werde gesucht - zum Beispiel, weil, wie die SWR-Dokumentarfilmredakteurin Mirjam Dolderer sagte, „es ein Bewusstein dafür gibt, dass wir Zuschauerschaften erreichen müssen, die wir verloren haben oder nie hatten“.
Wie man bisher vernachlässigte Zuschauerschaften erreicht - darum ging es unter einem anderen Fokus auch in einem Impulsvortrag von Anna Koktsidou, der Beauftragten für Vielfalt und Integration beim SWR. „Menschen zu erreichen, die bisher nicht im Fokus standen, geht nicht einfach nur so, weil wir es nun beschlossen haben“, sagte sie. „Menschen, die bisher wenig partizipiert haben, müssen davon überzeugt werden, dass das Angebot nun ehrlich gemeint ist. Dass es nicht nur um ‚Colourwashing‘ geht, sondern um einen neuen Blick auf die Gesellschaft.“
Darüber hinaus verband Koktsidou einen Appell an die Verantwortlichen in den Sendern mit einem persönlichen Rückblick: „Als ich anfing, konnte man uns tatsächlich mehr oder weniger an einer Hand abzählen, auch wenn wir uns in der ARD nicht immer persönlich kannten, so wussten wir ganz häufig voneinander“, sagte die 1962 in Griechenland geborene Integrationsbeauftragte. „Das hat sich geändert. Der Nachwuchs ist längst da. Wir müssen ihn aber auch halten. Ihn aufbauen, fördern. Damit er auch bleibt.“
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Hitler, Heidemann, Billy Idol, Madness
Ich finde die Dokuserie „Der Hitler-Fake: Geschichte einer Jahrhundertfälschung“ unbefriedigend. In dieser Rezension, die in epd Medien 18/23 erschienen ist, hebe ich vor allem auf die filmischen Schwächen ab. Weitere inhaltliche Kritik findet man bei Thomas Schuler (Übermedien).
Die Doku-Serie „Der Hitler-Fake“ ist der dritte ausführliche Beitrag der ARD anlässlich des 40. Jahrestages der Veröffentlichung von Teilen der „Hitler-Tagebücher“ in der Zeitschrift „Stern“. Im Februar hatten bereits die vom NDR fürs Erste produzierte Sendung „Reschke Fernsehen“ und die ebenfalls vom NDR verantwortete Online-Reihe „Strg_F“ das Thema wieder in den Blickpunkt gerückt.
Der NDR ist auch an „Der Hitler-Fake“ beteiligt, und insofern fällt es auf, dass sich die Serie nur auf seltsam verdruckste Weise auf die „Reschke Fernsehen“-Folge zu den „Hitler-Tagebüchern“ bezieht. Anja Reschkes Team hatte im Rahmen der Ausstrahlung damals im Netz sämtliche 60 Bände der gefälschten Tagebücher zugänglich gemacht, die der Verlag Gruner + Jahr bis dato weggesperrt hatte. In „Der Hitler-Fake“ heißt es nun nur, das Material sei „gegen den Willen“ des Verlags Gruner + Jahr „online veröffentlicht“ worden. Wem der Scoop gelang, wird nicht erwähnt.
Die drei Teile der Doku-Serie sind zwischen 30 bis 33 Minuten lang; am Starttag der Serie lief in der Reihe „ARD History“ auch eine 90-minütige Fassung, die in der Mediathek allerdings nur schwer auffindbar war und inzwischen schon nicht mehr online steht. Der Protagonist ist der frühere „Stern“-Reporter Gerd Heidemann, der die Tagebücher beschafft hat.
In seinem riesig wirkenden Kellerarchiv in Hamburg gibt sich Heidemann redselig. Autor Christian Bock hält ihn für eine nicht sonderlich glaubwürdige Person. Der Filmemacher wirft zum Beispiel die Frage auf, ob Heidemann bei alten Nazis antichambrierte, „um sich in braunen Netzwerken beliebt zu machen“ und Türöffner für seine Artikel zu finden, „oder ob er selbst dazu gehörte“. Heidemann beteuert, dass Ersteres zutreffe. Dass der frühere Waffen-SS-General Karl Wolff sein Trauzeuge war, spricht zumindest nicht gegen die zweite Option.
Dennoch delektiert sich Bock an der Schrulligkeit Heidemanns, die auch darin zum Ausdruck kommt, dass er in seinem Mega-Archiv Material zu seiner Ex-Freundin Edda Göring aufbewahrt. Die Tochter des NS-Verbrechers Hermann Göring sei ihm „auf die Nerven gegangen“, klagt der 91-Jährige. Er habe ihr „immer Komplimente machen“ sollen.
Angesichts dessen, dass die Tagebücher an einigen Stellen Hitler als relativ judenfreundlich darstellen („Wir müssen unbedingt einen Platz im Osten finden, wo sich diese Juden selbst ernähren können“) stellt die Serie auch die Frage in den Raum, ob es bei der Fälschung um „den Versuch“ gegangen sei, „Hitler rein zu waschen?“ Der britische Historiker Richard Overy sagt dazu, es sei „schwer herauszufinden“, ob Konrad Kujau Teil eines Nazi-Netzwerks war, das „ein Dokument erschaffen wollten, das Hitler in einem besseren Licht zeigt“. Das wirke zwar „in sich plausibel, aber wir werden sehr viel mehr Beweise brauchen, als wir sie tatsächlich im Moment haben.“ Das ist aber vielleicht gar nicht entscheidend, interessanter ist die Frage, wie die Führungskräfte des „Stern“ und im Verlag Gruner + Jahr seinerzeit auf das durch das Tagebuch vermittelte Hitler-Bild reagierten.
Ein tragendes Element der Doku-Serie sind Telefonate zwischen Heidemann und dem Tagebuch-Fälscher Konrad Kujau. Der einst renommierte Journalist hat sie alle aufgenommen und Serienautor Bock zur Verfügung gestellt. Diese Aufnahmen können überhaupt nicht richtig ihre Wirkung entfalten. Der Zuschauer wird ständig abgelenkt: Die Spielszenen, in denen nachgestellt wird, wie Heidemann telefonierte, sind im Prinzip noch hinnehmbar, nehmen aber zu viel Raum ein. Völlig verzichtbar sind die Animationen, in denen die Ausreden, die Kujau am anderen Ende der Leitung dafür erfindet, dass die Bücher noch nicht in Hamburg angekommen sind. Heidemann glaubte zu dem Zeitpunkt ja noch, dass es die Tagebücher wirklich gibt und es nur eine Frage der Zeit ist, bis Kujaus Kontaktleute liefern. Als einen der Gründe für die Verzögerung nannte der Fälscher zum Beispiel, dass in Polen die Gewerkschaft Solidarnosc mit ihren Protesten das Land lahm gelegt habe. In der Animation dazu sind dann hopsende Demonstrierende zu sehen.
Nicht nur bei den Animationen verliert sich die Serie in Abschweifungen, sondern auch in einer exzeptionell langweiligen Passage über Menschen, die NS-Artefakte sammeln (auch gefälschte) und danach in den Wäldern des Berchtesgadener Lands graben. Bock hat hier jedenfalls zu viel Zeit. Ein kompakter 45-Minüter, der das Wesentliche zusammenfasst und ein paar neue Einschätzungen einfließen lässt - das wäre bei diesem Stoff die bessere Option gewesen.
Ein Ärgernis ist auch die Musik in „Der Hitler-Fake“. Hits von Madness, OMD, Visage, Billy Idol, Blondie und noch vielen mehr werden hier eingestreut, als ob es sich um ein Jahrzehnt-Rückblicks-Format handelte. Einen Bezug zu den beschriebenen Ereignissen oder den dargestellten und interviewten Personen haben die kurz angespielten Songs allerdings nicht. Die Musik soll bloß nostalgische Affekte erzeugen, und das für eine politisch-historische Dokuserie dann doch ein bisschen billig.
Der Ton, den die Sprecherin Marion von Stengel anschlägt, erinnert ebenfalls eher an ein Jahrzehnt-Rückblicks-Format. Ihre Stimme strahlt eine tendenzielle Gutgelauntheit aus, die überhaupt nicht zu Passagen passt wie „der gute Hitler - von allen Fakes und Fälschungen die übelste“. So gibt es an mehreren Stellen eine Kluft zwischen dem Gesagten und der Art, wie es gesagt wird.
Nicht zuletzt fragt man sich, warum bei einer Produktion, in der mehrere Monat Arbeit stecken, nicht einmal ein paar Minuten darauf verwendet werden, spätestens bei der Endabnahme die gröbsten sprachlichen Plattheiten heraus zu redigieren. Zu der Zeit, als Gerd Heidemann beim „Stern“ anfing, heißt es in der ersten Folge zum Beispiel: „Der ‚Stern‘ macht heiße Storys und große Geschichten.“
Die zahlreichen Makel dieser Doku-Serie irritieren auch insofern, als hier mit Thomas Michel beim federführenden SWR sowie Rolf Bergmann (RBB) und Marc Brasse (NDR) drei Redakteure beteiligt waren, die oft genug bewiesen haben, dass sie wissen, wie man hochwertiges dokumentarisches Fernsehen produziert. Hier scheinen sie aber von vielen guten Geistern verlassen gewesen zu sein.
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Wer braucht eigentlich ard.de?
Die ARD hat für 2023 angekündigt, „Regelungen zur Altersversorgung und die Gehaltsstruktur bei außertariflich Beschäftigten“ offen zu legen. Das ist ein natürlich ein feiner Zug, aber die Sache hat mindestens einen Haken: Die für diese Transparenz-Performance auserkorene Website ard.de ist ein digitaler Unort.
Auf der Startseite finden sich fünf profane Standard-Weiterleitungen: zur Mediathek und zur Audiothek der ARD sowie zu den Web-Angeboten von „Tagesschau“, „Sportschau“ und Kinderkanal. Eine sechste Weiterleitung führt derzeit zur Berichterstattung über den „Krieg gegen die Ukraine“. Klickt man den Bereich an, wird man wieder hingewiesen auf: Mediathek, Audiothek, tagesschau.de.
Im „Telemedien-Änderungskonzept“ für ard.de, veröffentlicht im Juni 2022, heißt es, das Angebot sei der „zentrale Hub für die Nutzung der digitalen Angebote der ARD“. Sind tagesschau.de und sportschau.de etwa so wenig bekannt, dass sie auf so einen „Hub“ angewiesen sind? Der für ard.de zuständige SWR betont auf Anfrage, dass hier „der Corporate-Auftritt der ARD integriert“ sei. Nur: Die dort präsentieren Informationen - zum Beispiel zum Rundfunkbeitrag und zur „ARD-Selbstverpflichtung“ - findet man teilweise auch unter daserste.de. Für die ist nicht der SWR zuständig, sondern die ARD-Programmdirektion in München.
Konsequent wäre es ja, solche Informationen an einer Stelle kompakt zur Verfügung zu stellen, um die viel kritisierten „Doppelstrukturen“ zu vermeiden. Zumal es in einem wenig wahrgenommenen ard.de-Prüfbericht des Landesrechnungshofs Rheinland-Pfalz von 2020 heißt: „Der Rechnungshof nimmt zur Kenntnis, dass ARD.de und DasErste.de Überschneidungen und Doppelungen erkannt haben. Er bemerkt jedoch auch, dass der Prozess zu deren Beseitigung noch nicht abgeschlossen ist.“
Nun kann man ard.de natürlich schlecht abschalten, dafür ist die Domain zu wertvoll. Allerdings ist es auch weder sinnvoll noch wirtschaftlich, ein derart inhaltsarmes Gemeinschaftsangebot bereit zu halten. Seit Januar ist SWR-Intendant Kai Gniffke ARD-Vorsitzender. Vielleicht ereilt ihn in seiner neuen Doppelfunktion ja ein Geistesblitz zur Zukunft von ard.de.
Dieser Text ist einer von vier Teilen einer Kolumne, die kurz vor Weihnachten im “Medium Magazin” erschienen ist (Ausgabe 6/22). Die hier veröffentlichte Fassung habe ich gegenüber der gedruckten minimal aktualisiert.
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„Musikdokumentationen sind dann gut, wenn sie gewissermaßen ein musikalisches Arrangement in Bildern liefern“
Für epd medien habe ich mit Christian Bettges gesprochen, der Autor und Produzent für zahlreiche Kulturdokumentationen - vor allem im Bereich Musik, unter anderem für die jährliche „Summer of …“-Schwerpunkte bei Arte - mitverantwortlich zeichnet. Hauptanlass des Interviews: seine Dissertation, die er in diesem Jahr unter dem Titel “Docutimelines – Zur Produktion von Musikdokumentationen” (Transcript Verlag) veröffentlicht hat. Ein weiterer Aufhänger: der aktuelle Arte-Schwerpunkt „Summer of Passion“. Zur Zeit entwickelt Bettges für die Gebrüder Beetz Filmproduktion das Konzept für eine Doku-Serie über den FC St. Pauli. „Summer of Passion“ läuft noch bis zum 21. August. Die folgende Interview-Fassung ist minimal länger als die gedruckte. Zur Startseite von epd medien geht es hier.
epd medien: Wie kommt man darauf, mit über 50 noch eine Doktorarbeit zu schreiben? Zumindest für Autoren und Produzenten von Musikdokumentationen ist das ja kein gewöhnlicher Weg.
Christian Bettges: Ich hatte das Bedürfnis, noch einmal zusammenzufassen, womit ich mich fast 30 Jahre beschäftigt habe - und dazu einen theoretischen Zugang zu finden. Zum einen ging es mir darum Kriterien offen zu legen, anhand derer man arbeiten sollte - zumal in Zeiten sehr heftiger Diskussionen rund um das öffentlich-rechtliches Fernsehen, das ich selbst sowohl kritisch sehe als auch im Wesentlichen massiv verteidige. Ich glaube, dass man sich von diesen Dauer-Attacken von rechts nicht beeindrucken lassen sollte, sondern den Fokus darauf legen, wo denn eigentlich die Potenziale und Stärken des öffentlich-rechtlichen Fernsehens liegen. Der zweite Impuls für meine Arbeit: Vor einigen Jahren fand ich mich als eine Art Zeitzeuge auf einer Konferenz über Musikdokumentationen an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg wieder, und ich war ein bisschen erschrocken darüber, wie in den Medienwissenschaften über Dokumentationen geredet und geschrieben wird, weil ich das Gefühl hatte, dass das nicht viel mit dem zu tun hatte, was ich bei meiner Arbeit in diesem Bereich erlebt habe.
Was fanden Sie konkret so erschreckend?
Ich habe den Eindruck, dass sich Medienwissenschaftler vor einen Computer oder früher ein anderes Wiedergabegerät setzen, sich etwas anschauen und rein vom Endprodukt her anfangen Thesen zu entwickeln. Die zentrale These meiner Arbeit ist aber, dass die kommunikativen Prozesse im institutionellen Rahmen, die so einer Produktion vorgängig sind, konstitutiv sind für das, was später entsteht — im guten Sinne, denn ich habe ja zum Beispiel auch mit vielen tollen Redakteuren zusammengearbeitet, aber auch im nicht so guten. Das heißt, diese kommunikativen Prozesse - die noch dadurch an Bedeutung gewinnen, dass an mehrteiligen Produktionen mehrere Autorinnen und Autoren und mehrere Redakteurinnen und Redakteure beteiligt sind - bringen hervor, was später gesehen wird. Diese Ebene taucht in den Medienwissenschaften mal ab und zu auf, sie wird meiner Meinung nach aber nicht so stark durchdrungen, wie es notwendig wäre, wenn man den Gegenstand, mit dem man sich beschäftigt, verstehen will.
Sie setzen sich in Ihrer Dissertation ausgiebig mit Jürgen Habermas auseinander, unter anderem mit dem, was er Ende der 1980er Jahre unter dem Begriff „ethischen Gebrauch der praktischen Vernunft“ fasst – also mit der Frage, „wie ich oder wie wir leben wollen“, wie Sie es formulieren. Warum stellen Sie das in Ihrer Arbeit heraus?
Weil diese Frage viele Arten von Musik antreibt - und gute Musikdokumentationen das entsprechend inszenieren und arrangieren sollten.
Sind die Beschäftigung mit Habermas einerseits und die Arbeit als Produzent oder Autor von Musikdokumentationen eine Zeit lang nebenher gelaufen und ist irgendwann der Punkt gekommen, an dem Sie wussten, dass sich das verbinden lässt?
Eigentlich war es eher umgekehrt. Ich habe Philosophie und Soziologie studiert in Hamburg, in einem Umfeld, in dem Habermas intensiv rezipiert wurde. Insofern ist eher so gewesen, dass ich das, was ich beim Fernsehen gemacht habe, inhaltlich durch die Brille dessen betrachtet habe, was ich studiert hatte. Da war nicht nur Habermas ein Impulsgeber, aber auch.
Sie sind vor mehr als 20 Jahren als Autor der Reihe „Pop 2000 - 50 Jahre Popmusik und Jugendkultur in Deutschland“ mit dem Grimme-Preis in der Kategorie Information & Kultur ausgezeichnet worden. Ich bin seit einigen Jahren regelmäßig Mitglied der Nominierungskommission für diese Kategorie. Mittlerweile sehen wir in der Kommission nur noch selten dokumentarische Produktionen über Musik, die überhaupt dafür in Frage kommen, für den Preis nominiert zu werden. Ich nehme jedenfalls wahr, dass sich die Qualität in den vergangenen Jahren verändert hat. Falls der Eindruck stimmt: Haben sich die Bedingungen für die Produktion von Musikdokumentationen verschlechtert? Sehen sich Autorinnen und Autoren mit anderen Anforderungen konfrontiert?
Wir hatten bei „Pop 2000“ riesiges Glück, dass wir mit Rolf Bringmann beim WDR einen Redakteur hatten, der uns schlicht und ergreifend hat machen lassen, was wir für richtig hielten. Oder uns in die richtige Richtung gesteuert hat, ohne dass wir es überhaupt gemerkt haben. Wir hatten zudem bei der Firma Me, Myself & Eye mit Jörg Hoppe einen Chef, der gegen Widerstände aus verschiedenen Abteilungen im Haus für eine gute Finanzierung gesorgt hat. Die Reihe hatte zwölf Teile, und das bedeutete einen riesigen Rechercheaufwand. Wir hatten ein Jahr Zeit, um das zu recherchieren, und wir wurden auch dafür bezahlt. Wir konnten Vorgespräche führen, bevor wir das Konzept bauen. So etwas ist heute tatsächlich eher unüblich. Damit sind wir dann wieder bei Aspekten, die in der Medienwissenschaft weniger reflektiert werden.
Inwiefern?
Zum Beispiel die Frage, unter welchen Bedingungen in welchem institutionellen Gefüge man überhaupt eine Finanzierung auf die Beine stellt. Das geht auch der Medienkritik manchmal durch die Lappen. Natürlich spielt es für eine Produktion eine ganz entscheidende Rolle, wo gedreht wird. Wenn die Filmförderung in Niedersachsen beteiligt ist, muss man auch Geld in Niedersachsen ausgeben, und dann werden die Reenactments halt in Celle gemacht und sehen auch entsprechend aus.
Bei dem Thema, was Medienwissenschaft und Medienkritik durch die Lappen geht, können wir gern bleiben.
Viele Betrachterinnen und Betrachter sind so hypnotisiert von dem, was sie sehen, dass sie gar nicht mehr auf die Produktionsmittel und die Entwicklung der Technik achten. Wir schneiden ja alle an Computerprogrammen, und dieser Prozess des digitalen Schneidens hat eine starke Analogie zur Produktion elektronischer Musik. Wir arbeiten jeweils in Timelines: Man hat diverse Tonspuren, eine Videospur, eine Effektspur, und man sieht, wo man sich gerade im Film befindet. Musikproduktions-Software ist ähnlich gebaut.
Auch wie wir zwischen Interview- und Archivmaterial wechseln und das rhythmisieren, wird von Betrachterinnnen und Betrachter nicht ausreichend reflektiert. Alex Weheliye - ein aus Berlin stammender, in Chicago lehrender afrodeutscher Theoretiker, auf den ich mich in meiner Arbeit beziehe - sagt, dass wir uns nicht bewusst machen, was das eigentlich bedeutet, wenn da aus verschiedensten Zeiten der Historie Sachen aus dem Archiv gesammelt und neu arrangiert werden. Letztlich hat diese Arbeitsweise ja viel mit Sampling gemeinsam, also mit Prinzipien, die aus Schwarzen Musikkulturen kommen. Womit Schwarz jetzt nicht Hautfarbe, sondern soziale Positionen meint. Wir haben die, die quasi unsere Arbeitsweise erfunden haben, zu wenig auf dem Schirm, und daher hatte ich das Gefühl, dass es angemessen ist, sich im Buch vor ihnen zu verbeugen. Es bräuchte aber auch noch auf anderer Ebene eine stärkere Beschäftigung mit technischen Mitteln.
Zum Beispiel?
Mit im Vergleich zu früher günstigen Kameras, die auch hohe Auflösungen wie zum Beispiel 4 K drehen können, und Kameras wie der EOS, die eigentlich ein Fotoapparat ist, kann man mittlerweile wahnsinnig wertige Bilder drehen, so dass man manchmal dazu neigt, mit einer Hochglanzästhetik, die jetzt so leicht herzustellen ist, den Gegenstand zu erschlagen. Die eigentliche Pointe des Musikfernsehens ist ja, dass sie nicht Raum thematisiert, sondern Zeit. Musik ist eine Zeitkunst. Sie rhythmisiert Zeit, entfaltet sich in der Zeit, arbeitet mit ihr als Material durch Zählzeiten, Tempi, auch Melodiebögen. Sie arbeitet mit Zeitqualitäten und Stimmungen: Wie ist es, verliebt zu sein, erfreut zu sein, eine Fledermaus zu sein, überhaupt zu sein? Wenn man solche Aspekte wegästhetisiert, sie nicht auch in ihren schaurigen, gegebenenfalls unschönen, destruktiven, hässlichen Seiten zeigt, wird es eben auch inhaltlich falsch.
Sie waren in den vergangenen Jahren vielfach als Autor für die popkulturelle Sommer-Schwerpunktreihe von Arte tätig. Derzeit läuft unter dem Titel „Summer of Passion“ eine neue Ausgabe. Wir haben im Vorgespräch verabredet, auf Filme aus dem neuen Schwerpunkt einzugehen, damit das Interview nicht zu abstrakt wird und wir auch konkret über Musikfernsehen reden können. Ein dankbares Thema hat sich Alessandro Melazzini, der Autor von „Italo Disco. Der Glitzersound der 80er“ ausgesucht. Dankbar insofern, als er Hits einsetzen kann, die für Wiedererkennbarkeit sorgen - und weil das Thema eine Fallhöhe hat: Das Genre wurde zu seiner Zeit oft verächtlich gemacht, hat sich aber als einflussreich für die spätere Entwicklung der elektronischen Popmusik erwiesen.
Das Problem bei dem Film ist: Wenn die Geschichte eines Subgenres von Disco erzählt wird, und die Gay History wird zur Fußnote, dann erzählt man diese Geschichte falsch. Das Thema taucht bei Melazzini an zwei Stellen auf, wird aber nicht weiter vertieft. Das sind so Aspekte, die normalerweise unter Stichworten wie Hegemonie und Erinnerungsdispositive diskutiert werden, und über die ich in meiner Arbeit einen ganzen Teil geschrieben habe.
Sie schreiben in Ihrem Buch, Musikdokumentationen seien dann gelungen, wenn „sie in der Art des Kompilierens, der Musikalisierung der Montage unterschwellig Soundebenen wirken lassen – und eben diese auch als maßgeblich für das Wie des Kompilierens betrachten.“ Können Sie aus dem aktuellen Arte-Schwerpunkt ein Beispiel dafür nennen?
Oliver Schwabe spannt in seinem Film „Barry White - A dream of love“ einen sehr langen Bogen über die Musik, er entwickelt einen musikalischen und nicht nur einen inhaltlich-dramaturgischen Rhythmus. Wie er das macht, finde ich in manchen Passagen sehr gut gelungen. Musikdokumentationen sind dann gut, wenn sie gewissermaßen ein musikalisches Arrangement in Bildern liefern. Die noch aus den Hochzeiten des linearen Fernsehens stammende Devise, man müsse die Zapper einfangen, führt dagegen zu Erzählweisen, bei denen dann, eben ganz anders als bei Schwabes Film über Barry White, kein dramaturgischer Bogen entsteht, sondern eher so Anekdote an Effekt an nächster starker emotionaler Moment gereiht wird.
In Ihrem Buch haben sie dem für viele Filmemacher leidigen Thema Formatierungen unter dem Titel „Kritik der formatierenden Vernunft“ gleich einen ganzen Abschnitt gewidmet. Warum?
Ich finde ja, dass man einen Film aus seinem Gegenstand heraus entwickeln muss und die Form aus dem, was man thematisch vorfindet. Problematisch wird es, wenn wichtige Aspekte aus Formatierungsgründen herausfliegen, und das passiert relativ häufig. Wenn ich aber allem dieselbe Schablone überstülpe, wird es halt inhaltlich falsch - und das ist übrigens nicht, auch wenn es die Rechten gern behaupten, die linke, woke Schablone, die da übergestülpt wird, sondern im Gegenteil eine, die auf eine imaginierte gesellschaftliche Mitte zielt. Nicht immer, aber oft.
Aber es gibt doch Redaktionen, die einem mehr Freiräume lassen als andere.
Ja, die Arte-Redaktion von ZDF, für die ich sehr gern arbeite, sucht neue erzählerische Zugänge. Sie bekommt sie aber viel zu selten angeboten, weil viele sehr gute Kolleginnen und Kollegen glauben, es sei sinnlos, überhaupt noch etwas Unkonventionelles vorzuschlagen - und diese Entwicklung ist natürlich auch verhängnisvoll. Aber anderswo passiert es oft, dass Annahmen, was dem Publikum gefallen könnte, dazu beitragen, dass alles, was zu intellektuell oder aus diffusen Gründen unpassend wirkt, raus gekegelt wird. Gern wird in solchen Fällen dann auch mit Marktforschung argumentiert. Ich habe es schon erlebt, dass in der Fassung eines Films bei Minute 13 ein Wollpullover zu sehen ist - und dann sagt ein Redakteur sinngemäß: Ein Wollpullover bei Minute 13 geht gar nicht. Dann schalteten die Leute ab, das wisse man dank der Minutenschrittanalyse.
In was für einem Zusammenhang war das?
Es war eine Zeitreise durch die 1970er Jahre für ein Drittes Programm, wenn ich mich recht entsinne. Man sollte die Schuld für solche Entwicklungen aber nicht nur in den Redaktionen suchen.
Sondern?
Ein anderes Phänomen, das zu einer Entintellektualisierung beiträgt, sind Filmemachende, die aus dem Zeitgeist- und Trendfernsehen der 1990er Jahre stammen und gar nicht dafür ausgebildet sind, sich Kulturphänomen sinnvoll anzunähern geschweige denn vertiefend zu betrachten.
Ein Eindruck, den ich bei Musikdokumentationen oft habe, dass sie offenbar ähnlich funktionieren sollen wie Formatradio, das sich auf vergangenen Jahrzehnte spezialisiert hat. Da scheint es dann vor allem darum zu gehen, nostalgische Bedürfnisse zu bedienen und nicht etwas über Musik oder die Lebenswelten eines Musikers zu erzählen.
Solche Art Musikfernsehen schöpft das reflexive Potenzial des Genres überhaupt nicht aus, sondern fügt sich, salopp gesagt: in die ständige Berieselung durch Pop-Musik bei allen Alltagstätigkeiten ein, die der Diskurstheoretiker Jürgen Link beschreibt. Er spricht von einem "Fun & Thrill-Band", das sich durch den Alltag zieht. Das Publikum soll mühelos etwas wiedererkennen, ohne hinhören zu müssen. Da reiht sich dann Hit an Hit, und dann sagt jemand sagt etwas Lustiges. Das wirkt manchmal so, als hätten die Autorin oder der Autor der Editorin oder dem Editoren das Material geschickt und gesagt: Mach mal.
Bei Arte ist von Ihnen eine Dokumentation über Jürgen Habermas angekündigt. Da scheint sich nun also ein Kreis zu schließen. Worauf haben Sie sich in dem Film thematisch konzentriert?
Es ist ein Werküberblick, ich habe verschiedene deutsche und französische Philosophinnen und Philosophen befragt, unter anderem Axel Honneth - und auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Der kennt sich wirklich aus mit Habermas.
Ist das Ihr erster Film nach Erscheinen der Dissertation?
Zumindest der erstere längere. „Peace ’n’ Pop“ war 2015 meine letzte musikbetonte Dokumentation für Arte, bevor ich mit der Dissertation begonnen habe. Kurz nach Abgabe der Dissertation und vor der Disputation stellte sich heraus, dass Arte einen Film über Habermas haben wollte. Da war ich natürlich ganz gut im Thema.
#arte#barry white#italo disco#dokumentationen#musikfernsehen#musikdokus#jürgen habermas#Grimme-Preis#medienkritik#medienwissenschaft
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„Nicht das Realismus-Problem ist der springende Punkt, sondern die Methodik“
Mein in epd medien (Ausgabe 26/22) erschienener Text zum diesjährigen Dokumentaristen-Branchentreff Dokville mit dem Schwerpunkt investigative Langformate und Doku-Serien. 👇
Was können Dokumentarfilme bewirken? Diese Frage spielt in den meisten Diskussionen über das Genre eine Rolle, und natürlich klang sie auch bei der diesjährigen Ausgabe des Branchentreffs Dokville an, der am 23. und 24. Juni in Stuttgart zum nunmehr 18. Mal stattfand. Karsten vom Bruch, einst Ingenieur bei der Firma Bosch und im Februar 2021 Protagonist des WDR/Arte-Dokumentarfilms „#Dieselgate“, hatte auf diese Frage eine überraschende Antwort. Ihm war 2018 bei unter einem offensichtlichen Vorwand gekündigt worden, nachdem er intern thematisiert hatte, dass Bosch die Softwarefunktion, die im Dieselskandal eine zentrale Rolle spielte, entwickelt hatte. Zeitweilig war er auf Hartz IV angewiesen. In Stuttgart erzählte er nun, nach der Ausstrahlung von „#Dieselgate“ habe eine ihm unbekannte Frau, die ihn unterstützen wolte, 10.000 Euro gespendet, außerdem riefen ihn Anwälte von geschädigten Diesel-Kunden an, die auf Schadensersatz klagen. Er verdiene sein Geld derzeit damit, diese Anwälte in technischen Fachfragen zu beraten bzw. deren „Schriftsätze zu entrümopeln“, wie es vom Bruch formuliere.
Hauptthema des vom Haus des Dokumentarfilms (HDF) veranstalteten Branchentreffs waren in diesem Jahr investigative Langformate und Doku-Serien. Vom Bruch trat bei einem Panel zum Thema „Whistleblower - Vom Umgang mit Informanten“ auf. Es handelte sich hierbei um einen der von den Organisatoren als „Case Studies“ bezeichneten Programmpunkte, in deren Rahmen Regisseure, Redakteure und andere Beteiligte aktueller und teilweise auch noch nicht ausgestrahlter Produktionen anhand ausgewählter Ausschnitte über ihre Projekte diskutieren.
Andere Whistleblower konnte Regisseur Johann von Mirbach in „#Dieselgate“ nicht zeigen. Daher inszenierte er von düsteren Thrillern beeinflusste Szenen, in der eine mit Hoodie bekleidete Person zu sehen ist, die nachts im Auto durch eine Großstadt fährt - und ließ dazu im Off einen nachgesprochenen Text laufen, der aus einem Gespräch mit einem Informanten, das von Mirbach nicht einmal mitschneiden durfte, kompiliert ist.
Wie filmt man Recherchearbeit? Unter anderen Aspekten vor dieser Frage standen Susanne Binninger und Britt Beyer bei ihrem ZDF/Arte-Dokumentarfilm „Auf der Spur des Geldes“. Die beiden Regisseurinnen begleiteten die Redakteure der gemeinnützigen Organisation Correctiv bei ihren Recherchen zu AfD-Parteispenden und für das Projekt „CumEx Files 2.0“, das neue Erkenntnisse zum Thema organisierter Steuerraub bot. Correctiv veröffentlichte die Recherchen zu diesen beiden Themen im September beziehungsweise Oktober 2021, der Film von Beyer und Binninger lief am 9. November jenes Jahres bei Arte.
Binninger sagte in Stuttgart, natürlich sei die Bereitschaft investigativ arbeitender Journalisten, ihre Recherchen mit anderen zu teilen, nicht besonders ausgeprägt. Es sei daher ein längerer Annäherungsprozess zwischen dem Filmteam und den als Beobachtungsobjekten auserkorenen Journalisten notwendig gewesen. Die Kulturjournalistin Adrienne Braun, die dieses Panel moderierte, wollte von der Regisseurin wissen, ob sie manchmal das Gefühl gehabt habe, die Correctiv-Leute zu „stören“?“ Ja, sagte Binninger. Es habe aber auch zahlreiche Situationen gegeben, „wo wir nicht dabei sein konnten, weil Quellen geschützt werden mussten“.
In einem der bei Dokville gezeigten Ausschnitten aus „Auf der Spur des Geldes“ war zu sehen, wie die Regisseurinnen die Rahmenbedingungen kenntlich machen: Bei einem Interview, das die Correctiv-Redakteurin Gabriela Keller auf einer Bank vor dem Bahnhof in Uelzen mit dem niedersächsischen AfD-Politiker Armin Paul Hampel führt, ist die Kamera zunächst dabei, und dann unterbricht die Journalistin das Gespräch demonstrativ, um deutlich zu machen, dass nun ein Teil folgt, den das Fernsehen nicht zeigen kann.
„Der Sinn dieses Dokumentarfilms war, eine Investigation zu begleiten. Wir wollten damit die mühsamen Recherchen, die Vorsichtsmaßnahmen und den ganzen Prozess an sich zeigen” sagte Martin Pieper aus der Arte-Redaktion des ZDF. Eine klassische Investigativ-Recherche, bei der also die Gefahr bestünde, dass sie „ins Leere läuft, können wir uns nicht leisten“. Veranstaltungsteilnehmende, die mit den Budgets der Redaktionen im ZDF nicht vertraut sind, dürften sich an dieser Stelle gewundert haben. Denn wer, wenn nicht eine öffentlich-rechtliche Redaktion, sollte den finanziellen Atem für solche Recherchen haben?
Zu den Kosten für „Auf Spur des Geldes“ sagte Ümit Uludag von der Produktionsfirma Corso Film: Natürlich habe man, wie bei jedem anderen Film auch, vorher kalkuliert, wie viele Drehtage man brauchen würde. Offenbar wurden diese Planungen aber bald über den Haufen geworfen, weil, so Uludag, es „in einer investigativen Redaktion immer ad hoc zugeht” - und das begleitende Filmteam dann ebenfalls kurzfristig reagieren musste. „Wenn ich so einen Film noch einmal machen würde, würde ich ihn anders kalkulieren“, sagte Uludag.
Einen unkonventionellen und überraschenden Ansatz zum Thema Finanzen lieferte Franz Böhm, Regisseur des Films „Dear Future Children“, der am Abend des zweiten Dokville-Tages im Rahmen des parallel stattfindenden SWR Doku Festivals mit dem Deutschen Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet wurde. Böhm begleitet hier drei Protagonistinnen junger Protestbewegungnen - eine Klimaaktivistin aus Uganda sowie zwei Frauen, die in Hongkong für Demokratie bzw. in Chile gegen soziale Ungerechtigkeit kämpfen, teilweise unter Einsatz ihres Lebens. Das Budget habe 45.000 Euro betragen, sagte Böhm in Stuttgart, etwas mehr als die Hälfte sei durch Crowdfunding eingesammelt worden. In die Post-Produktion sei dann die Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg eingestiegen.
Auf die Frage von Panel-Moderatorin Angelika Knop („MedienMagazin“, Bayerischer Rundfunk), ob das „Selbstausbeutung“ sei, sagte Böhm: „Nein, Leidenschaft“. Böhm, Jahrgang 1999, betonte, dass das Durchschnittsalter des Film- und Produktionsteams zu Beginn der Arbeit an dem Projekt bei 21,2 Jahren gelegen habe. Vertreter einiger Sender, die er wegen einer Zusammenarbeit angefragt hatte, hätten daraufhin amüsiert abgewunken.
Angesichts des sehr geringen Budgets überrascht die relativ lange Drehzeit: Jeweils drei Monate drehte Böhms Team in Hongkong, Uganda und Chile. Bei der Unterbringung sei man von NGOs und anderen Journalisten unterstützt worden, sagte der Regisseur. Und die Flüge seien „gesponsert“ gewesen. “Ich glaube, wir haben keinen einzigen Flug bezahlt.“ Das sei den Mitglieder des Crews zu verdecken, die gegenüber Fluggesellschaften hartnäckig Überzeugungsarbeit geleistet hätten. Dass Airlines bei unterfinanzierten Filmprojekten die Reisekosten übernehmen, ist nun aber auch nicht die beste Lösung, erst recht nicht für einen Dokumentarfilm, der politische Fundamentalkritik formuliert.
Die Ausgangsidee für „Dear Future Children“ sei, so Böhm, Anfang 2019 entstanden, als ihm aufgefallen sei, dass die Berichterstattung über die jungen Protestbewegungen in den meisten Nachrichtenbeiträgen und auch in kürzeren Filmen sich immer auf deren extremste oder populärste Vertreter konzentrierten. Er habe das Bild, das dabei entstanden sei, als ungenau empfunden.
„Dear Future Children“ lieferte auch die eindrücklichsten Szenen dieser Dokville-Veranstaltung: einen Gewaltausbruch der Hongkonger Polizei in einem U-Bahn-Waggon. Böhm und sein Kameramann Friedemann Leis waren nach einer Demonstration auf dem Weg zurück zu ihrer Unterkunft, als Polizisten auf Passagiere einschlugen. Der Regisseur selbst wurde von Gummigeschossen getroffen. Die Wirkung dieser Bilder erklärt sich natürlich auch dadurch, dass sie auf engstem Raum entstanden sind.
Die optisch hochwertigsten Bilder dieser Dokville-Veranstaltung waren im Rahmen eines Vorausblicks auf die von der Firma Gebrüder Beetz produzierte Doku-Serie „Reeperbahn Special Unit 65“ zu sehen, die ab Herbst in der ARD-Mediathek abrufbar sein wird. Ein Grund für die Qualität der fünfteiligen Produktion liegt darin, dass sie als erste Doku-Serie aus dem für Serienförderung vorgesehenen German Motion Picture Fund (GMPF) der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien mitfinanziert wurde. 425.000 Euro Steuergeld flossen so in den Etat von „Reeperbahn Special Unit 65“ ein. Auch dank dieser Förderung konnten die Produktionsfirma hier nun „mit unseren alten Partnern“ zusammenarbeiten, wie es Christian Beetz während der Diskussion formulierte. Gemeint sind damit die Öffentlich-Rechtlichen: An „Reeperbahn Special Unit 65“ sind gleich vier Landesrundfunkanstalten der ARD beteiligt: NDR, SWR, WDR und rbb. Die Doku-Serie „Rohwedder“ hatten die Gebrüder Beetz 2021 für Netflix produziert
Von Moderatorin Angelika Knop darauf angesprochen, warum seine Firma bei „Reeperbahn Special Unit 65“ nicht wieder mit Netflix kooperiert habe, sagte Christian Beetz: „Die Streamer werden immer kommerzieller. Dramaturgie steht über Inhalt, immer stärker jedenfalls.“
Die Serie liefere eine „neue Form eines klassischen Themas“ und einen „radikalen anderen Ansatz“, sagte NDR-Redakteur Marc Brasse. Der „Kampf gegen die organisierte Kriminalität“ in den 1980er Jahren werde hier „konsequent aus den Augen der Polizistinnen und Polizisten“ erzählt. Regisseurin Ina Kessebohm betonte, eine der fünf Folgen konzentriere sich auf die weibliche Perspektive auf die „Mikrokosmen“ St. Pauli und Polizei.
Nicht zuletzt hat die Serie auch den Anspruch, die gesellschaftliche Entwicklung in den 1980er Jahren mitzuerzählen. Aids und konservative Wende waren zwei der Stichworte, die bei Dokville in diesem Zusammenhang fielen. Christian Beetz sagte, „serielles Erzählen“ mache es möglich, „auch Seitenstränge und Hintergründe“ in den Blick zu nehmen.
Bei der „Special Unit“ handelt es sich um die 1982 gegründete Fachdirektion 65. „Wir tauchen mi Ü65-, Ü70- und Ü80-Charakteren in die Welt ein, in der sie damals gelebt haben“, sagte Beetz. Eine tragende Rolle in der Serie spielt Wolfgang Sielaff, Jahrgang 1942. Der spätere Vizepräsident der Hamburger Polizei war der erste Leiter der Fachdirektion 65. Sielaff steht nicht zum ersten Mal im Mittelpunkt einer dokumentarischen Produktion. Die Macher der mehrteiligen NDR-Dokumentation „Eiskalte Spur – Die Göhrde-Morde und die verschwundene Frau“ (2019) begleiteten ihn über mehrere Jahre. Sielaff ist auch das Vorbild für den Protagonisten des fiktionalen ARD-Films "Das Geheimnis des Totenwaldes“.
In zwei Programmpunkten ging es um die Frage, inwiefern derzeit die Arbeit von Medienschaffenden in Deutschland behindert wird. Markus Pfalzgraf, Redakteur beim SWR und im Deutschen Journalisten-Verband (DJV) Vorsitzender des Landesverbandes Baden-Württemberg, erwähnte, dass Zeitungskollegen, die über die Proteste gegen die Corona-Politik berichten, am Rande von Demonstrationen lieber Handy ins tippen, statt einen Schreibblock zu benutzen - weil man sonst leichter als Journalist zu erkennen wäre. In der Niederlanden, ergänzte Pfalzgraf, würden Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die von solchen Demonstrationen berichten, die Logos auf ihren Fahrzeugen abkleben, damit diese nicht zu einem Angriffsziel werden.
In diesem Kontext äußerte sich auch Eric Friedler, mehrfach preisgekrönter Dokumentarfilmer und beim SWR Hauptabteilungsleiter für den Bereich Dokumentationen und Dokumentarfilm, in einem Vortrag, der im Programm als „Zwischenruf“ aufgeführt war: „Der sprachliche Rotz“, der Dokumentarfilmerinnen und Dokumentarfilmern, Kameraleuten und Reportern auf Demonstrationen und anderen Veranstaltungen „entgegen schwallt“, sei „verletzend, ehrabschneidend, deprimierend“. Er nenne „diese Einschüchterung ein antidemokratisches Kalkül“.
Ein zentraler Teil des Zwischenrufs war dem „historisch verstörenden Augenblick“ des Krieges in der Ukraine gewidmet - und den Fragen, die sich für Macherinnen und Macher dokumentarischer Produktionen daraus ergeben. „Bilder, die in Kriegsgebieten aufgenommen werden, zwingen zu der Frage, wie man Opfer zeigt oder Opfer zeigen kann“, sagte Friedler. Wähle man Fotos von Opfern aus, sie „dies auch eine Form der Selektion - und mit diesem Begriff steht der Aufklärer unvermittelt auf der Seite der Täter.“ Friedlers Erläuterung: „In der Montage dessen, was ich, was meine Kameraleute aufgenommen haben, steckt die zwingende und zu bezwingende Dialektik einer verantwortungsvollen, die Rechte und Würde des Porträtierten wahrenden Auswahl der Bilder.“ In eine „innerliche Willkür der Selbstzensur“ dürfe man in diesem Reflektionsprozess aber nicht verfallen. Es sei „ständig zu prüfen, ob ein dokumentarischer Film nicht in eine Fallgrube selbstgefälliger, heiß laufender Rhetorik oder purer cineastischer Virtuosität zu stürzen droht“ - wobei er sich bei letzterer Formulierung auf Ausführungen des israelischen Historikers Saul Friedländer bezog.
Um noch einmal auf die Frage zurückzukommen, was Dokumentarfilme bewirken können: Auch die mit den besten aufklärerischen Absichten nicht unbedingt das Beste - jedenfalls, wenn man Friedlers Gedanken folgt. „Nicht das Realismus-Problem ist der springende Punkt, sondern die Methodik“, sagte er in diesem Zusammenhang des weiteren. In den kommenden Monaten dürften einigen dokumentarische Filmen über den russischen Angriffskrieg zu sehen sein, anhand derer man über Friedlers Thesen diskutieren kann.
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Eine Würdigung des Schwerpunkts “Generation Africa”
Ich habe für „epd medien“ (Ausgabe 25/22) die Dokumentarfilme „Geld für Mutter nach Simbabwe“ (Drehbuch und Regie: Rumbi Katedza) und „Neue Boote, leere Netze. Die Fischer von Sierra Leone“ (Drehbuch und Regie: Barmmy Boy) besprochen. Sie sind noch rund ein Jahr lang in der Arte-Mediathek abrufbar.
Dokumentationen und Dokumentarfilme und zum Thema Migration stammen in der Regel von Menschen, die bereits dort leben, wo die Migranten leben möchten. Mit dem Schwerpunkt „Generation Africa“ hat sich Arte das Ziel gesetzt, „Migration neu erzählen“. Auch innerafrikanische Migration (die in europäischen Medien gemeinhin wenig Aufmerksamkeit bekommt) spielt dabei eine Rolle.
In Zusammenarbeit mit dem gemeinnützigen südafrikanischen Medienunternehmen Steps sowie Filmemachern und Produktionsfirmen aus 16 afrikanischen Ländern entstanden 25 zwischen 15 und 85 Minuten lange dokumentarische Arbeiten, von denen der deutsch-französische Sender an zwei Abenden eine Auswahl von sieben Produktionen im linearen Programm zeigte. Die übrigen Filme stehen ausschließlich online zur Verfügung.
Arte bezeichnet die beteiligten Kreativen als „junge afrikanische Filmemacherinnen und Filmemacher“. „Jung“ ist natürlich eine dehnbare Formulierung. Eine andere Sichtweise wäre, dass dieser Schwerpunkt die Aufmerksamkeit auf renommierte Regisseurinnen und Regisseure lenkt, die in Europa bisher kaum wahrgenommen wurden. Rumbi Katedza etwa, die Regisseurin für „Geld für Mutter nach Simbabwe“, ist Jahrgang 1974, war früher Festivaldirektorin des Zimbabwe International Film Festivals, hat eine eigene Produktionsfirma und ist eine der prägenden Persönlichkeiten in der dortigen Filmbrache.
„Geld für Mutter nach Simbabwe“ ist einer von zwei „Generation Africa“-Filmen, an denen sich die Arte-Redaktion des ZDF beteiligt hat. Es sind die beiden einzigen mit deutscher Senderbeteiligung. Katedza porträtiert eine fünfköpfige Kernfamiliie: Die Mutter und eine ihre beiden Töchter leben in verschiedenen Städten in Simbabwe, sie sind abhängig von dem Geld, das ihnen drei weitere Kinder, die in London, im südostenglischen Luton und in Kapstadt arbeiten, monatlich überweisen. Die in der Diaspora lebenden Familienmitglieder helfen aber auch noch weiteren Verwandten, etwa Cousins und Neffen und ihrer Großmutter.
Am Anfang weist Katedza darauf hin, dass aus Simbabwe stammende Migranten jährlich 1,5 Milliarden US-Dollar in ihr Heimatland überwiesen. Das übertreffe „bei weitem die Gesamtsumme ausländischer Wirtschaftshilfen“. Ein zentrales Thema in ihrem Film sind die Beeinträchtigungen, die es für die Geld Gebenden nach sich zieht, wenn man sich um Familienmitglieder im Heimatland kümmert. Wer kann wann wem wie viel zahlen? Mit solchen Fragen beschäftigen sich die Migranten ständig. „Als Einwanderer verdiene ich in diesem Land ja selbst nicht viel“, sagt Miles, der in London als IT-Berater an einer Schule und nebenbei als Tänzer arbeitet. Offenbar wegen dieser Belastung geht seine Beziehung in die Brüche. Katedza illustriert diese Veränderung mit einer Szene, in der Miles bei einer Tanzübung mitten auf einer gerade nicht befahrenen Straße zu sehen ist und dabei etwas verloren wirkt.
In zwei längeren Passagen setzt die Regisseurin Videochats der Familie ins Bild. Normalerweise ist es filmisch wenig attraktiv, Menschen zu zu zeigen, wie sie auf einen Smartphone-Bildschirm blicken und mit auf dem Bildschirm zu sehenden Menschen kommunizieren, aber das erweist sich hier nicht als Problem. Katedza drehte die Chats mit zwei Teams parallel in London und Kapstadt. Diese Bilder wiederum hat die Editorin Ronet Van der Walt auf lebendige Weise montiert. Ohnehin ist das Editing herausragend in diesem von häufigen Schauplatz- bzw. Kontinentwechseln geprägten Film. Van der Walt lässt sich von ähnlichen Bewegungen und Kleidungsfarben zu eleganten Bildübergängen inspirieren.
In den Familien-Chat-Szenen zeigt sich gleichzeitig aber auch die einzige Schwäche dieses beeindruckenden mittellangen Dokumentarfilms: das deutsche Voice-Over. Wenn innerhalb kurzer Zeit mehrere Stimmen zu hören sind und die dann auch noch durch deutsche Sprecher quasi verdoppelt werden, stört das erheblich. Nicht nur aus diesem Grund erweist es sich als Glücksfall, dass Katedza auf einen Off-Text verzichtet.
„Neue Boote, leere Netze. Die Fischer von Sierra Leone“, die zweite unter Beteiligung der Arte-Redaktion des ZDF entstandene Produktion des „Generation Africa“-Schwerpunkts, kommt ebenfalls ohne textlichen Kommentar des Filmemachers aus. Regisseur Barmmy Boy widmet sich hier der Frage, welche Folgen die Industrialisierung und Globalisierung des Fischfangs für die Bevölkerung des Meeresdorfs Tombo im Westen von Sierra Leone hat. Chinesische Schiffe fischen mit international geächteten Schleppnetzen quasi die Küste leer, so dass für die lokalen Fischer und deren Familien, die auf das Nahrungsmittel Fisch angewiesen sind, immer weniger übrig bleibt. Sowohl für die Kräfte zehrende, archaisch anmutende Arbeit der traditionellen Fischer als auch für die grobschlächtigen und ökologisch schädlichen Methoden der Konkurrenz aus China findet der Regisseur eindrucksvolle Bilder.
Seine Gesprächspartner sind betroffene Fischer - und Frauen, deren Ehemänner ins Nachbarland Guinea ausgewandert sind, weil sie als Fischer dort bessere Perspektiven sahen. Sie schicken aber nicht nur kein Geld nach Hause, sondern haben teilweise den Kontakt abgebrochen.
Der prekäre Normalzustand spitzt sich im Laufe der Dreharbeiten zu: Im zuletzt immer häufiger von Folgen des Klimawandels betroffenen Dorf zerstört eine durch Starkregen ausgelöste Überschwemmung Häuser und Fischerboote. Der Film endet mit einer melancholischen Drohnenaufnahme eines fahrenden Autos, in dem einige Frauen aus Tombo nach Guinea aufbrechen, um ihre Männer aufzusuchen - in der Hoffnung, sie davon überzeugen zu können, die zurückgelassenen Familien in Sierra Leone zu unterstützen.
„Generation Africa“ ist ein verdienstvoller Schwerpunkt. Dass es solche Großprojekte braucht, weist implizit aber auch auf eine Schwäche hin: Zumindest im deutschen Fernsehen - in Frankreich mag das etwas anders sein - spielen zum Beispiel die in den ZDF/Arte-Koproduktionen in den Blick genommenen Länder Simbabwe und Sierra Leone sonst ja keine Rolle.
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Kettenreaktionen, Teufelskreise, Rückkopplungseffekte
Noch bis August in der Arte-Mediathek: „Der Wind. Motor des Klimawandels“. Ich habe diese Dokumentation für epd medien (Ausgabe 23/22) besprochen. 👇
Mehr als 90 Menschen starben im August 2021 in den USA infolge des Hurrikans Ida. Der Autor Torsten Mehltretter hat für seine Dokumentation „Der Wind“ zwei Überlebende in Lousiana und New Jersey getroffen. Der eine sieht man vor seinem eingestürzten Haus, der andere dort, wo einst sein Haus stand, das eine durch Ida ausgelöste Flut weggespült hatte.
Es sind, auch, emotionale Bilder, aber sie sind die Ausnahme in diesem Film. „Der Wind“ ist im wesentlichen ein Erklärfilm bzw. ein Lehrfilm im guten Sinne. Bereits der schlichte Haupttitel „Der Wind“ lenkt den Zuschauer in diese Richtung. Wenn man die Botschaft auf besonders saloppe Art zusammenfallen wollte, ließe sich sagen, dass beim Thema Klimawandel alles mit allem zusammenhängt. Etwas konkreter: Die globale Erwärmung beeinflusst den Wind, und der wirkt dann auf den Klimawandel zurück bzw. wird zu dessen „Motor“, wie es im Untertitel des Films heißt. „Veränderungen in den Windverhältnissen waren die Ursache für die extremen Hitzewellen und Dürren in den Sommern 2018 und 2019.“
In „Der Wind“ geht es um gefährliche Kettenreaktionen, Teufelskreise, Rückkopplungseffekte und „Prozesse in einem gekoppelten System von Atmosphäre und Boden“, wie es die Meteorologin Marion Maturilli vom Potsdamer Alfred-Wegener-Institut formuliert. Anhand eines Blicks auf ein Waldgebiet in Mecklenburg-Vorpommern liefert Mehltretter ein prägnantes Beispiel für so eine Kettenreaktion: Extreme Sommer machen Bäume brüchig, so dass sie für Stürme anfälliger werden und umstürzen.
Die Potsdamer Meteorologin Maturilli ist eine der Protagonistinnen Mehltretters, mit ihrem Team sammelt sie in einer deutsch-französischen Forschungsstation auf Spitzbergen in der Arktis Wetterdaten aller Art und beobachtet das Auftauen des Permafrostbrodens über einen längeren Zeitraum. Die Forscher dort haben vor allem die geringer werdende Meereisbedeckung im Blick, die dafür sorgt, dass sich die Arktis schneller erwärmt - was es wiederum mit sich bringt, dass der Jetstream langsamer wird, sich Hoch- und Tiefdruckgebiete länger halten und Extremwetterereignisse (wie die Flut im Ahrtal 2021) länger andauern. Einen Teil des auf Spitzbergen entstandenen Materials hatte Mehltretter bereits in einem Beitrag für das 3sat-Magazin „Nano“ am 18. Februar genutzt, das sich der Frage „Wie kommt es zu so vielen Stürmen?“ widmete. Anlass für diesen Schwerpunkt waren die kurz aufeinander folgende Winterstürme Ylenia und Zeynep in jenen Tagen gewesen.
Der andere Strang der Dokumentation widmet sich Menschen, die nicht den Klimawandel erforschen, sondern in der Praxis auf ihn reagieren müssen. Das gilt für Land- und Forstwirte, die auf den Wandel eingehen, der längst stattgefunden hat, und die die weiteren unausweichlichen Veränderungen so gut wie möglich antizipieren. Ein Landwirt aus Niedersachsen zum Beispiel setzt nun darauf, möglichst viele verschiedene Pflanzen anzubauen, um besser gewappnet zu sein, falls Extremwetterereignisse bei einer Sorte die Ernte ruinieren.
Einen instruktiven Blick auf die Klimawandelkosten wirft Mehltretter ebenfalls - am Beispiel der Region Aquitanien im Südwesten Frankreichs, wo die Strände jedes Jahr flacher werden, weil die Stürme den Sand ins Landesinnere wehen und Sturmfluten ihn in Richtung Meer spülen. Der Geologe Thomas Bulteau, der für das Küstenobservatorium in der Region Daten für das Risikomanagement an bedrohten Küstenabschnitte sammelt, sagt: „Die Gesellschaft muss sich damit abfinden, Häuser und Menschen umzusiedeln.“ Um so einen Rückzug von der Küste umzusetzen, fehle, so der Geologe, derzeit zwar „der rechtliche und finanzielle Rahmen“. Der Film macht aber deutlich: Diese Lösung wäre immer noch realistischer und günstiger als ein vollständiger Schutz des Gebiets.
„Der Wind“ ist ein maximal nüchterner Film. Mehltretter dramatisiert nicht, Musik setzt er zum Beispiel sehr zurückhaltend ein. Er setzt auf die Kompetenz der von ihm befragten Wissenschaftler und Praktiker, und allein daraus gewinnt der Film seine Dringlichkeit. Es ist absehbar, dass sich die Macher von Dokumentationen und Dokumentarfilmen künftig noch stärker der Detailarbeit von Wissenschaftlern widmen werden. Denn Filme über die grundsätzlichen Gefahren des Klimawandels braucht es vermutlich eher nicht mehr. René Martens
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So nicht, ZDFinfo!
Über einen Tiefpunkt des öffentlich-rechtlichen Geschichtsfernsehens habe ich für epd medien (Ausgabe 20/22) geschrieben. Es geht um zwei Folgen der sechsteiligen Dokumentationsreihe „Lüge und Wahrheit – Die Macht der Information.“ 👇
„Welche Rolle die Medien bei der Verbreitung von Propaganda und der Verteidigung der Wahrheit gespielt haben“ - dieser Frage nachzugehen, ist eines der von ZDF info formulierten Vorhaben mit der deutsch-kanadischen Koproduktion „Lüge und Wahrheit – Die Macht der Information“.
Das Konzept der beiden Filmen der Reihe, die für diese Rezension gesichteten wurden ( „Krieg“, „Religion“, „Geld“ und „Verschwörungstheorien“ lauten die weiteren Titel): Sie beginnen jeweils mit einem Beispiel aus der Gegenwart und leiten dann über in die Zeit vor Christus. Daraufhin geht es mit großen Schritten durch weitere Epochen, ehe man dann am Ende wieder in der Jetztzeit landet. Die Macher setzen dabei ausgiebig auf Reenactment und Animationen.
Der Film „Skandale“ etwa handelt zum Auftakt in weniger als vier Minuten den Fall Harvey Weinstein und die Entstehung der Metoo-Bewegung ab, um dann erst einmal mehr als 2300 Jahre zurück zu blicken: „Skandale gibt es schon lange vor Erfindung der modernen Medien. Schon im Altertum haben sie die Macht Regeln und Grenzen zu verändern.“ Diese Sätze von all nicht zu großer Aussagekraft werden über ein paar Bildfetzen zur „Watergate“-Affäre gelegt. Um folgenden Skandal aus dem Altertum geht es dann: „Ein Athlet aus Athen wird bei den 112. Olympischen Spielen beim Schummeln erwischt.“
Es macht aber nun durchaus einen Unterschied, ob man beim Sport schummelt oder Straftaten begeht, die einen für 23 Jahre ins Gefängnis bringen. Nur weil viele Medien in beiden Fällen von „Skandalen“ sprechen, heißt das noch lange nicht, dass man sie in einem Film unterbringen muss.
Die nächste „Skandal“-Figur (nach einem kurzen Schlenker zu dem Leichtathleten Ben Johnson, also einem „Schummler“ aus der jüngeren Geschichte des Sports) ist dann die zwischen 1774 und 1792 amtierende französische Königin Marie-Antoinette - wobei es in dem Teil auch um Skandalträchtiges geht, das Pariser Straßenliteraten, die in den sogenannten Libelles eine Art Frühform des Boulevardjournalismus praktizierten, der Monarchin bloß andichteten.
Was in der atemlosen ersten Minute dieser Passage auf der Bildebene zu sehen ist, sei hier im Telegrammstil referiert: eine Spielszene mit einer möglicherweise der jungen Marie-Antoinette ähnelnden Frau, der gerade die Haare frisiert werden - ein paar flashartig aufblitzende Bilder, die zumindest teilweise aus Sofia Coppola Spielfilm „Marie Antoinette“ von 2006 stammen - eine Spielszene, in der eine fahrende Kutsche zu sehen ist - Ausschnitte mit dem auf einer Bank sitzenden Romanisten Pierre Saint-Amand - animierte Bilder, die die Trauung Marie-Antoinettes mit Ludwig XVI in einer Kirche illustrieren sollen - noch einmal ein Interviewausschnitt mit Saint-Amand - dann wieder animierte Kirchenbilder, dieses Mal von der Trauerfeier für Ludwig XVI - Einblendung eines historisches Gemäldes.
Dieser Abschnitt, für die sich als Kategorisierung der Begriff Historyporn aufdrängt, endet mit einem Reenactment der Hinrichtung Marie-Antoinettes, acht Minuten später kommen dann die gefälschten „Hitler-Tagebücher“ des „Stern“, und am Ende der Folge beschäftigen sich die Filmemacher mit Chelsea Manning, dem „Collateral Murder“-Video aus dem Irak und anderen zunächst via Wikileaks verbreiteten Enthüllungen.
Im Film „Meinungsmacher“ geht es zu Beginn um die Praktiken der Firma Cambridge Analytica, die 2016 im Auftrag der US-amerikanischen Republikaner in den sozialen Medien manipulativen Einfluss auf Wähler ausgeübt. Der Übergang zum nächsten Thema ist dann geradezu haarsträubend: „In den sozialen Netzwerken heißen diejenigen, die gezielt Nutzer beeinflussen, Influencer. Solche Meinungsmacher gibt es schon viel länger.“ Cambridge Analytica arbeitete mit Methoden, die die Demokratie zersetzen. Wer Menschen, die hieran beteiligt waren, als „Influencer“ bezeichnet, verharmlost deren Wirken.
Zu sehen ist während dieser textlichen Überleitung ein in Lumpen gekleideter Mann, der gestützt auf einen Stock durch einen Fluss watet. Er soll, wie der Zuschauer dann gleich erfährt, den Apostel Paulus darstellen. Wenn man den Begriff „Meinungsmacher“ weitestmöglich fasst, kann man Paulus natürlich so nennen. Zwingend ist es aber nicht, um es zurückhaltend zu formulieren. Das gilt auch für Martin Luther, dem das darauf folgende Kurzkapitel gewidmet ist.
Als Experten in diesen beiden Abschnitten treten die Theologen Douglas Campbell und Thomas Kaufmann auf. Die Macher scheinen sie dahingehend gebrieft zu haben, dass sie unbedingt ein paar Begriffe aus der heutigen Zeit einfließen lassen sollen. „Paulus steht an der Spitze einer IT-Revolution. Er benutzt das geschriebene Wort, denn er kann nicht überall gleichzeitig sein“, sagt Campbell. Als „Marketing-Genie“ bezeichnet er Paulus auch. Der hier für Luther zuständige Kaufmann sagt im Kontext von Luthers Weigerung, in Worms seinen Thesen abzuschwören: „Influencer wird man nicht unbedingt, wenn man besonders zögerlich ist und abwägend agiert, sondern Influencer sind Leute, die aufgrund einer bestimmten Mission massiv tätig werden.“
Auch Luthers Antisemitismus, also eine negative Seite seines, wenn man denn so will: Influencertums kommt zur Sprache. Das ist dann Anlass für eine 13 Sekunden lange Stippvisite in die NS-Zeit: „Luthers Antisemitismus dient später anderen zur Legitimation ihres Judenhasses. Auch die Nationalsozialisten nutzen seine Schriften, um die staatliche Verfolgung der Juden im Dritten Reich zu begründen.“ Man darf schon froh sein, dass die Macher oder irgendein bei Fuß stehender Experte nicht auf die Idee gekommen sind, Hitler oder Goebbels als „Meinungsmacher“ oder „Influencer“ zu bezeichnen.
Mit einer Einblendung eines Gemäldes geht es dann wieder ein paar Jahrhunderte zurück: „Der Kampf um den wahren Glauben mündet in den Dreißigjährigen Krieg, an dessen Ende Konfessionen einander anerkennen.“ Das Motto der Autoren scheint zu sein: Wir haben ja schließlich nicht ewig Zeit. Denn den Dreißigjährigen Krieg frühstücken sie sogar in nur zehn Sekunden ab. Und womit geht’s dann weiter? „300 Jahre später erfindet Edward Bernays die PR und öffnet ein neues Tor zu Manipulation der öffentlichen Meinung.“
Man weiß manchmal nicht, worüber man mehr lachen soll: über die textlichen Verrenkungen, die grotesken Themensprünge oder die Spielszenen im „Terra X“-Stil. Aber es ist kein befreiendes Lachen, sondern eines, das sich mit Entsetzen paart. Verkürzungen und Unschärfen lassen sich in historischen Schnelldurchläufen und Rundumschlägen kaum vermeiden. Die Schwächen der in der Reihe „Lüge und Wahrheit“ gezeigten Dokumentationen „Skandale“ und „Meinungsmacher“ sind aber gravierender. Diese Filme markieren einen neuen Tiefpunkt des öffentlich-rechtlichen Geschichtsfernsehens. René Martens
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