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Wind
Die Augenlider waren ihr schwer, doch sie saß aufrecht und trotzte ihrer Müdigkeit, die sich mit großer Last auf sie legte. Es war die Hitze, die von alles Seiten mit auf sie eindrückte und durch die sie sich fühlte, wie in einer zu kleinen Kammer. Die Luft war schwer und sie spürte ihren warmen Atem aus der Nase strömen und ihre Oberlippe verbrennen. Wie ein müder Drache fühlte sie sich, doch sie versuchte alle zu täuschen, die sie sehen konnten und saß aufrecht da und versuchte bedrückt auszusehen.
Sie sah den Geistlichen in seiner Kutte zwischen den Kerzen und sie hörte seine Worte wie sie durch die Kapelle hallten. Die Worte von Qual und Tod.
Ein Scheppern riss sie alle aus ihrer Umnachtung, in denen manche einem Menschen gedachten und andere sich selbst. Der Messdiener, einer von dreien, lag auf dem Boden, die anderen zwei Jungen verunsichert. Der Pfarrer verstummt.
Eine endlose Zeit vergeht, in der sich drei Männer eingehend um den Ohnmächtigen kümmern und der Rest sehnsüchtig wartet, darauf, dass die Zeremonie weitergeht, oder irgendetwas weitergeht.
Stumm sitzt die Gemeinde da.
Die Kapelle ist abgedunkelt, schattig, und doch drückt ihre Luft die Lungen zusammen. Die Kerzen brennen, der Weihrauchgeruch hängt noch zwischen den Menschen und die kleinen Blumensträuße riechen nach dem grünen Kraut, mit dem sie umwickelt sind und welches durch die wärme der Hände die sie halten in die Nasen der Menschen strömt.
Etwas löst sich von ihr und ihre schweren Augenlider fallen nicht ganz zu, doch sie fallen zu Boden und kurz glaubt sie, sie tut es auch, doch stattdessen spürt sie kühle Luft und wie sie emporgerissen wird, nach oben, nach oben, es wird hell und da sind der Himmel ganz blau und die Wolken, reinweiß und sie fliegt dazwischen, sieht nach unten, doch dort ist nur Wald und Dünen und da, ja dort ist das Meer.
Sie fällt, sie fällt, doch nicht bedrohlich, nicht so schnell wie sie erwartet hätte zu fallen, sondern ein wenig wie eine schwere Feder und doch nicht sehr sanft, aber auch nicht brutal, landet sie auf weichem Sand und liegt da plötzlich, die Augen zum Himmel und die Sonne, die scheint, aber sie brennt nicht, und kühler Wind trägt Sandkörner über ihre Haut. Wie kleine Ameisenfüße oder sehr, sehr kleine Bälle, rollen sie über sie hinweg.
Irgendwer läuft durch den Sand und sie hört das Quietschen der Füße, der nackten, die sich in den Sand bohren mit jeden Schritt. Erst immer deutlicher, dann, an einem Punkt, fangen sie an zu verhallen und sie spürt plötzlich etwas kaltes an den Sohlen.
Es muss Wasser sein. Sie kann den Schaum spüren, doch noch viel wichtiger sie kann das Wasser riechen. Sie kann das Salz fast schmecken und als sie sich aufrichtet, erfasst eine Welle ihren Körper und zieht sie hinein.
Wie ein Boot treibt sie umher. Ihre Haare um ihren Kopf bilden einen Kranz aus Seetang.
Müde schließt sie die Augen und lauscht den Möwen, bis ihre Fußsohlen auf etwas stoßen. Es ist ein Boot. Sie hört den dumpfen Schlag und sie hört jemanden murmeln.
Ein Kopf erhebt sich aus dem Boot. Ein Junge, noch ein Kind, sieht sie und schüttelt den Kopf.
Das ist gefährlich, sagt er. Willst du in mein Boot, fragt er.
Sie sagt, nein danke, es geht schon. Und der Junge schüttelt den Kopf und sagt, okay.
Er legt sich wieder in sein Boot und sie liegt auf dem Wasser.
Und so liegen sie und treiben auseinander.
Der Wind weht in verschiedene Richtungen.
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Papagei
Ich bin ein Papagei und all meine Worte sind in meinem Kopf. Ich wünschte, ich könnte sie aufschreiben. Doch diese Tätigkeit erscheint mir wie eine ganz fremde Sprache und es ist mir ganz unbegreiflich, wie manche Menschen sich mit Lauten verständigen können, die für mich nur einen Klangteppich ergeben. Aber gut.
Immer nur diese Fetzen zu wiederholen, die Leutchen einem hinschmeissen, wie “Hallo, Guten Tag!” (als würde das Sinn machen) und “Na, wie geht es Dir?”, wobei sie bei Letzterem bereits erwarten, dass man mit “Gut!”antwortet, als würde es jemals etwas bedeuten, wenn jemand auf die Frage “Na, wie geht es dir” antwortet.
Aber das sind bloß die Gedanken eines Papageis und es würde den Herren das Toupet vom Kopf fetzen, wenn sie auch nur einen selbst gedachten Gedanken fein artikuliert aus dem Schnabel eines Papageis hören würden.
“Ja, fein!”, ist alles was sie sagen wollen und alles was sie denken können.
Und so sitze ich hier auf einer Stange und bin wie der Rest der Einrichtung, die keinen Zweck erfüllt, nur als Dekorationsgründen hier. Was für eine wunderbare Grundlage für eine Existenz. Und sei es bloß die eines Papageis. Ja, fein.
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Heißer Asphalt
Im Auto sitz ich und es ist warm. Noch wärmer als draußen, weil die Sonne auf das dunkle Metall scheint und den Innenraum erwärmt. Ich atme warme Luft aus und warme Luft ein. Vor dem Fenster und um das Auto rum ist ein Parkplatz. Der ist auch warm, denn der Asphalt ist heiß von der Sonne und strahlt zusätzliche Wärme aus.
Eine Frau läuft vorbei, sie läuft erst schnell auf dem heißen Asphalt, dann langsamer, dann bleibt sie plötzlich stehen und übergibt sich. Alle anderen auf dem Parkplatz gehen ihren Beschäftigungen nach, was bedeutet, dass sie Einkaufswägen in das Center schieben oder zu ihren Autos. Die Frau ist wie ein eigener Planet, aber niemand beachtet sie. Sie übergibt sich noch zwei weitere Male, dann richtet sie sich auf. Ihr Erbrochenes auf dem heißen Asphalt. Sie wischt sich den Mund sauber und läuft weiter.
Ich frage mich, ob sie sich gleich ein Kaugummi kaufen wird. Ich frage mich, ob jemand unaufmerksam seinen Einkaufswagen über das Erbrochene schieben wird und sich nachher im Auto über den Geruch wundern wird, der da an seinen Sohlen klebt und das warme Auto erfüllt.
Es riecht säuerlich.
Der Sommer ist wie ein alter Apfel auf heißem Asphalt.
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Kleine Ewigkeit
Ihre kleine Hand suchte nach seiner kleinen Hand. „Duuu?“, sie flüsterte ihm ins Ohr. Er sah sie fragend an. „Hm?“ Einige Zeit verstrich, als würde sie sich doch nicht trauen ihre Frage auszusprechen. Doch dann sprach sie weiter: „Wenn wir groß sind, haben wir dann ein Haus?“ Ihr kleines Gesicht war dabei sehr ernst und ihre Augen sahen auf seine Brust. Sie hatte schon darüber nachgedacht. Er überlegte eine Weile. „Willst du denn ein Haus?“
Sie zuckte mit den Schultern und murmelte „Wenn du darin wohnst, ja.“ Er nickte und sie stellten fest, dass es egal war, ob sie einmal ein Haus hatten oder nicht. „Du bist wieder dran.“, sagte sie schließlich und steckte sich einen kleinen roten Lutscher in den Mund, während sie ihm den Würfel mit dem Fuß über den Boden zuschob auf dem sie saßen. Er würfelte sehr niedrig und ärgerte sich ein wenig. Doch sie wollte gar nicht gewinnen und gab ihm ihren Lutscher.
„Na gut.“, stellte er später fest, als sie auf dem Hügel vor dem Haus saßen und in den Sonnenuntergang blickten.
Sie schwieg noch eine Weile und wartete, doch er sagte nichts mehr und so fragte sie: „Was denn?“ Er strich ihr eine Strähne aus der Stirn. „Wenn wir groß sind, sind wir immer noch wir. Nur ein bisschen größer, okay?“
In ihren Augen spiegelte sich das Sonnenlicht. In seinen Augen spiegelten sich ihre Umrisse. „Vielleicht werden wir auch niemals groß und alles bleibt wie es ist?“, fragte sie. Er lächelte. „Ja, vielleicht.“ Irgendwo flog ein Vogel lachend davon und sie blieben glücklich zurück.
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Weißer Wein
Es ist ein kleines Wunder, dass der Sand so kalt ist, ihm die Füße aber nicht zu erfrieren scheinen, wenn er sie darin vergräbt. Der Mond scheint hell, spiegelt sich im Wasser. Sein Anzug sitzt gut, eine Krawatte hatte er nie um. Wie sein Kopf abkühlt, mit den Füßen im Sand. Er sieht keine Sterne, nur den Mond. Ja, der Mond, er leuchtet und erleuchtet auch noch das letzte Eckchen in seinem Kopf. Die Zeit vergeht, als gäbe es sie nicht. Der Sand kriecht in die Falten seines Anzuges und er fragt sich, was am anderen Ende vom Wasser los ist. Er benötigt nichts. Denkt nicht an Essen, denkt nicht an Trinken. Ist so erleichtert. Noch immer klingt die Musik in seinem Kopf nach. Das Fest hat er verlassen, die hellen Girlanden, all die Lichter und die Menschen die so zufrieden sind hier und es ist Sommer. Wie er hier so sitzt kann er sich nicht vorstellen, dass jemand gerade nicht zufrieden ist, alles ist zufrieden, sogar der Mond, wie er voll und satt am Himmel steht. Etwas Sand rieselt auf seine Hand und er merkt, dass das leise Quietschen, das er zuvor kaum wahrgenommen hatte, Schritte im Sand gewesen sind. Neben ihn setzt sich jemand in einem weißen Kleid, es schein ganz leicht zu sein, einen Pullover trägt sie auch darüber, ihr Gesicht versteckt sich zur Hälfte im hohen Kragen. Ein schönes Gesicht, er hat es schon gesehen. Sie sprechen nicht und es fühlt sich nicht wie Schweigen an, wie sie da sitzen und einander kurz betrachten, bevor sie sich wieder dem Meer zuwenden. Sie hat eine Flasche dabei und er trinkt einen Schluck von dem leichten weißen Wein, der wie diese Nacht ganz klar schmeckt. Oh, das ist Glück, denkt er sich und fühlt sich nicht einmal pathetisch, obwohl er das sonst tun würde. Nicht an die Zukunft, nicht an die Vergangenheit denkt er und wenn sie sich ansehen, dann ist es als sprächen sie darüber, dass es schön ist, doch niemand sagt etwas, niemand muss das tun.
In diesem Augenblick gibt es nichts und alles und alles und nichts sind gleichermaßen wichtig.
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Rauschen
"Was ist das Schönste?" -"Das schönste was?" "Das Schönste." -"Überhaupt?" Sie nicken. Beide. Gleichzeitig. Xiu zuckt mit den Schultern. "Äh, es gibt so Vieles!" Sie sagen nichts. Warten noch auf eine Antwort. Xiu schaut aus dem Fenster und sieht viele Häuser. Alle sind sie hoch. Sehen aus wie Dominosteine aus Glas. Hinter den Fenstern sieht sie Menschen. Sie alle schauen auf ihre Schreibtische und Bildschirme. Niemand schaut hinaus, geschweige denn herüber. Nur die Beiden. Der Größere räuspert sich, notiert etwas, der Andere, ein Dünner mit breitem, schwarzem Brillengestell und so weißen Haaren, dass Xiu sich fragt, ob er aus einem Schwarz-Weiß-Film gefallen ist. Er sieht aus, ie aus einem sehr langen Film. In fremder Sprache. Oder ohne. Xiu zuckt mit den Schultern, sagt: "Was auch immer es ist, wenn es als das Schönste benannt ist, verliert es an Schönheit." Sie steht auf und geht zum Fenster, das oben anfängt, an der Decke und bis zum Boden reicht. Sie steht in hellem Licht und sieht eine andere Frau, die, wie sie selbst, am Fenster steht und deren Hand auf der Scheibe ruht, wo sie Wärme verliert und das Glas beschlägt. Xiu winkt und Groß und Dünn stehen auf und verabschieden sich. Dann verlassen sie den Raum. Sie denkt an das Meer. Die hohen Häuser wiegen sich langsam hin und her und die Frau am Fenster löst sich langsam auf, als sie rückwärts tanzend im Dunkeln verschwindet. Leise stürzen die Häuser nieder. Wasser schwappt darüber. Dann wird es wirklich still. Dann Rauschen.
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Kleiner schwarzer Wald
Für Jeannette
Im kleinen schwarzen Wald sitzen kleine schwarze Bären und kraulen sich die Bäuche.
Wo ist der Honig?, fragt einer von ihnen und ein anderer rollt sich auf seinen Bauch und richtet sich langsam auf. Er tapst schwerfällig davon und die anderen bleiben liegen und dösen. Irgendwann rascheln wieder die schwerfälligen Schritten des einen Bären durch Blattwerk und Geäst am Boden. Er hat Honig dabei. Er schimmert golden in der Schwärze und es ist ein wenig wie müder Sonnenschein. Alle Bären stecken nun ihre Tatzen in den Honig und dort wo er sie berührt wird ihr Fell ganz hellbraun und ihre Augen werden auch heller und nach einer Weile sind sie wieder muntere und buntere Bären. Der kleine schwarze Wald ist still und warm, doch irgendwie träge. Bevor sie wieder müde werden gehen die Bären weiter und kommen bis zu einer Lichtung in diesem Wald. Der Boden dort ist grau, denn weißes Licht scheint von oben herein und sie legen sich dort hin und dösen wieder, obwohl es so hell ist. Es stört sie nicht. Als sie wieder aufwachen ist es schwarz und sie merken der kleine schwarze Wald weckt sie vorsichtig. Geht nun weiter, flüstern die Äste der Bäume und Blätter rieseln ihnen auf die Nase. Geht nun weiter, singt ein Stimmchen und es ist sehr tief, aber auch sehr freundlich und so rappeln sie sich wieder auf und der gleiche Bär derzuvor gefragt hat, fragt nun wieder: Wo ist der Honig? Doch niemand antwortet und niemand holt Honig und so gehen sie weiter. Langsam wird ihr Fell wieder dunkler, da stupst ein Bär den anderen an und obwohl ihr Blick traurig ist, erzählen sie sich etwas und müssen lachen.
Du bist ein ganz schön netter Bursche, sagt er zu ihm und meint damit auch, dass er ihnen Honig brachte. Und wie sie beginnen zu lachen, merken sie wie sich etwas Trauer vermischt mit einer komischen Freude, die sie nicht erwartet haben zu fühlen, und so lachen sie weiter und bringen die Blätter der Bäume weiter zum Rascheln. Die Schwärze löst sich langsam von ihnen und je weiter sie gehen, auch als sie irgendwann wieder verstummen und nur gelegentlich der eine den anderen anstupst, auch dann noch löste sich das Schwarz von den Bäumen und Blättern und rieselt wie Asche zu Boden, außen Schwarz, innen Weiß.
Als sie das Ende der Welt erreichen, war auch der Wald zu Ende und vor ihnen erstreckte sich eine Wiese. Sie wiegt sich hin und her wie ein riesiger Ozean. Diese Wiese ist hell und ein Bär sagt: Hört ihr das Summen?
Tatsächlich war es das Summen von Bienchen und sie legten sich ins hohe Gras und schliefen erschöpft, doch zufrieden, ein.
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Eine kurze Geschichte über den Duft von Sonnenblumenkernen
Als sie aus dem Zug stieg, war es dunkel, aber es war noch früh am Abend. Das erste was sie vernahm, als sie sich von dem warmen Koloss entfernte, war ein Duft, wie von frischen Sonnenblumenkernen. Die Luft roch danach, als würde jemand die Kerne aus den noch jungen Sonnenblumen pflücken und sie ihr unter die Nase halten. Es war ein merkwürdiger Geruch von Sommer, so mitten im Winter und sie erinnerte sich daran, wie ihr jemand einmal erzählte, das jeder Ort seinen eigenen Geruch hatte, doch vielleicht nicht jeder ihn wahrnahm. Sie fragte sich, ob der Mann, der die Treppe vor ihr hinauflief und den Zug mit ihr verlassen hatte, es auch roch, doch sie konnte es beim besten Willen nicht ausmachen. In Gedanken vertieft ging sie nach Hause und mit jedem Schritt wurde die Erinnerung an den Duft stärker, während er in Wirklichkeit verblasste. Ein großes Licht tat sich auf, doch sie war so in Gedanken vertieft, dass sie es nicht bemerkte und hineinschritt. Die Luft wurde warm und es war heller. Sie sah sich um und merkte, dass sie an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit war. Der Garten blühte prächtig und wieder roch es nach Sonnenblumen, denn dort saß ein alter Mann zwischen ihnen und hatte eine sogar auf dem Schoß, aus denen er die Kerne pickte. Es war sehr warm und sie zog ihre Jacke aus und setzte sich auf das Gras um dem alten Mann zuzusehen. Ein kleines Mädchen kam herbeigerannt und rollte über das Gras. Irgendwo in der Ferne, fuhr ein Zug vorbei.
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Helllichte Nacht
Obwohl es nicht mehr Tag war, war es nicht so dunkel wie es nachts eigentlich wäre. Manchmal, wenn man sich von einer Lichtquelle wegdrehte, sah es aus, als würde es dämmern, als würde ein neuer Tag anbrechen, dabei ging der alte gerade immer noch zu Ende. Nichts brach an. Jibril stand da und sah das künstliche Licht gegen die Wand scheinen und er sah die Wand selbst auch scheinen. Alles schien hier. Unzählige Menschen waren bereits an ihm vorbeigegangen, dabei stand er in einer kleinen Straße und es war ein Werktag und bereits spät. Doch müde war er nicht, niemand schien hier müde zu werden. Wenn er es zuließ, konnte er die ganze Stadt hören. Um normal leben zu können, blendete man die vielen Geräusche eigentlich aus, doch wenn man einmal still stand und alles auf sich einprasseln ließ, merkte man erst, wie viele Ursprünge von Klängen und Krach es hier gab. Er fragte sich, von wie weit noch Geräusche an ihn herangetragen wurden. Jemand rempelte sich an und er entschuldigte sich. Der Andere entschuldigte sich auch und Jibril setzte seine Füße in Bewegung, denn es war auch ein wenig anstrengend, wenn man sich hier nicht bewegte. Es war ein wenig anstrengend, weil sich hier alles zu bewegen schien. Hier schien alles zu leben. Selbst die Laternen. Wieso gab es hier eigentlich Laternen, bei so viel Werbung die leuchtete und schien? Das Laternenlicht ging unter. Manchmal fühlte er sich in dieser Stadt wie eine Laterne. Er schien, aber hier schien alles und er fragte sich, ob Scheinen vielleicht nicht der richtige Weg war, um aufzufallen. Dann wiederrum fragte er sich, ob er auffallen wollte und in einem ewigen Kreisel aus Gedanken schlenderte er durch die Stadt und ließ nach und nach seine Gedanken treiben. Sie hüpften von einem Licht zum nächsten. Obwohl es nicht Tag war, sah er das Rot, wenn er seine Augenlider schloss, und wenn er sie wieder aufmachte, kam es ihm vor, als wäre er in wenigen Schritten eine Meile weit gelaufen. Er rechnete nach, wie viel eine Meile war, denn eigentlich kannte er sich mit Kilometern besser aus und dann fragte er sich, wie der Kopf manchmal auf Abwege ging, die man selbst gar nicht verstand und dann dachte er, mein Kopf, das bin doch ich und er fragte sich wieder, ob er etwas nicht wusste, dass er irgendwie doch wusste. Er bog in einen kleinen Laden ein und kaufte sich zu teuren Kaffee, weil er kurz vergaß, dass es schon sehr spät war, und als er zu trinken begann fiel es ihm zwar wieder ein, doch er wusste, heute war an Schlaf nicht zu denken und so lief er weiter, immer weiter, bis er irgendwann beschloss aus der Stadt hinauszukommen und als er in einen Zug stieg in eine der Richtungen, die raus aus dem lebhaften Tumult führten, hatte er die Zeit nicht mehr im Blick und ließ sich treiben.
Es war die letzte Station, an der er ausstieg und er ging von einem kleinen Bahnhof gewundene ruhige Straßen bergauf. Hier schienen die Laternen und sonst nichts. Er lief durch ein kleines Wäldchen und stieß irgendwann auf eine Lichtung mit einer Bank und die Lichtung und die Bank, sie zeigten zum Meer hin. Dort ganz weit hinten war das Meer tatsächlich und er roch jetzt auch die salzige Brise. Und es dämmerte. Mit dem kalten Kaffee in der Hand, setzte er sich auf die Bank und sah dem Himmel dabei zu wie er die Farben wechselte und er dachte nicht mehr daran, dass er gerne eine Laterne wäre. Langsam spürte er die Müdigkeit, oder vielleicht war es nur die Ruhe, die ihn ergriff.
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Borutzki der Mops
Hechelnd rennt er durch das Haus und bringt die Teppiche dazu Wellen zu schlagen. Zu viele Teppiche, zu viele Wellen. Anton wird später wieder darüber stolpern. Wie jede Woche wenn er vorbei kommt um nach Borutzki zu sehen.
Borutzki rennt jetzt zur Tür und drückt sich langsam aus der Hundeklappe. Draußen ist es frostig kalt, aber das merkt er noch nicht, denn er hält Ausschau. Wo ist sie? Sein schneller Atem macht so viele Wolken, dass sie, wie die Rauchzeichen eines Indianers in die Höhe steigen. Vorsichtig lugt die Sonne schon irgendwo hervor, denn der Himmel wird immer heller, aber noch geben die Berge das grellgelbe Licht nicht frei. Zarte Schritte sind auf dem frostigen Gras zu hören und Borutzki richtet seinen Blick in die Richtung aus der sie kommen. „Tana!“, bellt er und Tana macht „Pscht!“ und sprintet die Treppen hinauf und krault den Mops am Ohr. Sie gehen beide durch die Klappe wieder rein und im Haus entzündet sie das Feuer im Kamin, in dem sie ihre warmen Hände auf einen Holzscheit legt. „Gut, dass du kommst. Es ist unglaublich trist hier, so alleine.“, brummt Borutzki und Tana holt ein altes Schachspiel unter dem Sofa hervor und schiebt es in die Nähe des Feuers, wo sie ein Spiel fortsetzen, dass sie vor nicht zu allzu langer Zeit unterbrechen mussten. Tanas Arme und Beine sind so zierlich, wie die einer Porzellanpuppe, doch ihr Bauch ist groß, denn sie liebt Lebkuchen. Während sie spielen gleiten ihre Finger wie selbstverständlich in eine der vielen Manteltaschen (es müssen tatsächlich an die drei Dutzend sein) und holen ein Lebküchlein nach dem anderen heraus. „Schachmatt.“, ruft sie und ein großer Kuchenkrümel erwischt Borutzkis König und er kullert vom Brett unter das Sofa. Wütend steht der Mops auf und rennt wieder durch das Wohnzimmer, wobei er all die Teppiche noch mehr durcheinander bringt. Sie liegen nun an den Wänden wie erlegte Soldaten und Tana steht auf und klopft sich den Mantel von süßen Krümeln frei. „Ich muss wieder los.“, ruft sie und Borutzki bleibt stehen, scheint kurz zu überlegen und stürmt dann zur Klappe hinaus. Tana folgt ihm. Die Sonne steht nun hoch oben, aber es sind erst wenige Stunden vergangen und in ein paar weiteren, wird sie wieder hinabsinken. Dann wird es dunkel sein, aber Borutzki hatte ja das Feuer und er nahm sich vor, regelmäßig Holzscheite hineinzulegen, damit es nicht ausging. „Bis bald, mein Lieber“, murmelte Tana und hüpfte wieder ins Gras. „Bis bald.“, rief Borutzki und sah nicht mehr so griesgrämig aus. Er ließ sich noch eine Weile auf der Holztreppe nieder, doch es dauerte nicht lange und ihm wurde es zu kalt. Als er wieder hineinstapfte und sich vor das Feuerlegte, merkte er einen vertrauten Duft und entdeckte schließlich den großen Krümel, der seinen König umgeworfen hatte. Lange Zeit sah er ihn an, dann ließ er sich neben ihn fallen und roch daran. Dabei mochte er Lebkuchen nicht einmal.
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Ganz gut soweit
Ein dunkler Wald. Es ist nicht still, denn es knattert und knistert, es ruft und es raschelt. Der Wald ist kein stiller Ort. Kleine Atemwölkchen verlassen Herrn Mimskis Mund und er zieht seinen dicken Mantel noch enger um sich, während er weiterstapft. Seine Augen haben sich an das Dunkel gewöhnt. Ein blauer Schein liegt auf Allem und das meiste versteckt sich in Schatten. Herr Mimski geht weiter. Seine starken Füße die zu seinen kurzen (aber auch kräftigen Beinen) gehören, treten mutig, nicht achtlos, durch Laub und Geäst. In seiner Jugend wanderte er viel und im Alter erlebte er nicht einen Tag ohne Spaziergang. Bei Wind, Wetter und sonstigen Umständen ließ er sich nie beirren und verließ das Haus, wenn auch nur kurz, aber er versäumte es nie die Luft zu kosten und sich an ihrem Geschmack zu ergötzen. Manche Tage waren bitter, manche waren süß, andere hatten nur subtile Noten, manchmal waren sie auch rauchig oder ein wenig wie alte Socken. Doch heute schmeckte die Luft ein wenig salzig und ein wenig Pflaumen. Er fragte sich, was das hieß und sah hoch in den Himmel, wo die Sterne langsam schwächer leuchteten. Wie es dem Astronauten wohl erging?
Herr Mimski wäre fast gegen einen sehr dünnen Baum gelaufen und blieb stehen. Neben ihm blieb auch etwas stehen. Es war ein, zwei Schritte hinterher und er hörte das Laub bei der Bewegung vor dem Halt und es klang wie ein Echo seiner Bewegung. Langsam drehte er den Kopf und erkannte im Zwielicht ein Reh, das ihn ansah. „Hast du mich erschreckt.“, flüsterte er und das Reh nickte, wie um sich zu entschuldigen. „Macht nichts, macht nichts.“, winkte er ab und just in diesem Moment brach der erste Sonnenstrahl zwischen den Bäumen hindurch und erhellte die Umrisse des Tieres. Herr Mimski hätte schwören können, dass auch Musik erklang. Irgendwo. Er stand in diesem Moment da und fragte sich, was nun passieren würde. Doch natürlich ging die Sonne einfach immer weiter auf und das warme Licht verteilte sich auf die vielen Bäume um sie herum und auch auf sein Gesicht. Die Musik verstummte. „Das heißt wohl, wir gehen weiter, hm?“, meinte Herr Mimski und umrundete den dünnen Baum und schritt auf den immer lichter werdenden Wald zu. „Ganz gut soweit.“, sagte eine Stimme und wieder musste Herr Mimski stehen bleiben. Sein Herz pochte und er drehte sich um, doch dort stand bloß das Reh, das so gar nicht scheu schien. Ganz gut soweit, hatte er gehört und wieder nickte das Reh einmal. Herr Mimski nickte auch und ging schnell schlagenden Herzens und entschlossenen Schrittes weiter. Raschelnde Schritte folgten ihm.
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Ein Tag
Es ist ein Tag. Es ist nicht sehr warm und auch nicht sehr kalt. Die Sonne steht irgendwo und davor sind Wolken. Es ist nicht düster, es ist nicht hell. Meine Füße im Sand. Vor mir die Wellen. JA, das ist der Strand und das Wetter wird dem Meer heut gerecht. Ich renne hinunter zum Wasser und irgendwer möchte mich aufhalten, ruft schon, wir müssen gehen, ich muss gehen. Doch wie soll ich gehen, wenn meine Füße gerade jetzt erst das kalte Wasser berühren und mein Blick am Horizont klebt. Es ist so ruhig. Ist es Herbst? Ist Frühling? Herr Drusel kommt und stellt sich neben mich. Er hat nicht gerufen, aber er sagt zu mir, während er das Meer ansieht, wie einen alten Freund: „Sie warten auf dich.“ Ich nicke, denn ich weiß und bleibe wo ich bin. Herr Drusel kratzt sich seinen Schnurbart. „Vielleicht ist es besser zu gehen, wenn man noch bleiben will, dann hat man Orte, an die man zurückkehren möchte, hm?“ Mir egal, denke ich. „Aber Sie haben Recht.“, sage ich. Das Wasser mit den kleinen Algen und Steinchen und Muscheln tanzt zwischen meinen Zehen und seinen Zehen und noch ganz vielen anderen Zehen, denn dort hinten stehen noch mehr Menschen. Links und rechts sind sie. Wir sind wie ein Publikum, aber das Meer applaudiert. Ich kratze mich am Kopf und habe Sandkörner zwischen den Fingernägeln. „Na gut, Herr Drusel. Dann bis irgendwann einmal.“ „Bis zum nächsten Mal.“, meint er schmunzelnd und zieht zwei Eukalyptusbonbons aus seiner Westentasche. Gibt mir eins. Es klebt an seinem Papierchen, doch es schmeckt gut und ich behalte das Papierchen. Dann gehe ich. Und wir fahren.
4 Vom Auto aus sehe ich die Landschaft vorbeiziehen. Das letzte Mal als ich hier war, war alles anders an mir und doch fühlt sich jetzt alles an wie immer. Das kleine Auto fährt auf nicht enden wollenden Straßen und langsam sieht man der Natur an, dass das Meer immer näher kommt. Wenn man jetzt das Fenster runterkurbelt, und das tue ich, kommt einem der Geruch davon in die Nase. Es ist das Jod im Wasser, und obwohl es noch so ein weites Stück hin ist, trägt der Wind es ins Land und ehe man es sehen oder erahnen kann, riecht man es. Das kleine Auto gibt sich Mühe schnell zu sein, doch wozu die Eile. Wir haben Zeit. Die Zeit kurz davor ist fast schöner, als anzukommen. Fast. Herr Drusel erwartet nichts, doch ich habe ihm Eukalyptusbonbons mitgebracht. Er wird lächeln wenn er sie bekommt und er wird danke sagen und uns dann die Zimmerschlüssel geben. Dann werden wir danke sagen und schließlich wird das Zimmer viel leer stehen und meistens werden wir unsere Füße im Sand vergraben und einfach nur da sein. Es ist manchmal schön, bloß da zu sein.
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Etwas mehr als neun Leben
„Merkado! Du alter Teufel, komm her!“
Merkado, rollte die Augen und schlich zu der alten Frau, die fast blind in ihrem Schaukelstuhl saß und Pfeife raucht. „Merkado! Herrgott!“, in der anderen alten, knotigen Hand hielt sie einen nicht minder alten, knotigen Stock. Merkado fragte sich manchmal, ob sie mit diesem Stock und mit der Pfeife zu Welt gekommen war. Nie sah man sie ohne.
Immer noch gemächlich und träge ging der Kater zu ihr hinüber und sprang ihr dann auf den Schoß.
„Jesus, Maria, Dolores!“, rief sie erschrocken, doch beruhigte sie sich, als Merkado zu schnurren begann. Die Alte hatte schon lange nicht mehr alle Porzellantässchen in der Vitrine, aber sie hielt sich gut für ihr stattliches Alter. Man vermutete, dass sie Dinge gesehen hatte, die andere nur aus Geschichtsbüchern kannten. Man munkelte auch, dass sie mit Tolstoy bekannt gewesen war, als dieser noch lebte, denn ihre Eltern flohen aus Lipezk mit ihr, da war sie noch ein junges Mädchen, doch sie war schon schwanger mit ihrem ersten Sohn (insgesamt sollte sie noch zehn weiteren Menschen das Leben schenken, wie viele darüber hinaus verfrüht starben, gab sie nie bekannt). Doch Merkado war ein Kater und ihm erzählte die Alte doch mehr, als jemals einem Menschen. Vielleicht glaubte sie, er verstehe sie nicht.
Mit ihrer rauen Stimme, die einem den Gehörgang raspelte, fing sie an von Werner zu erzählen, einem Theaterschauspieler, den sie damals kennenlernte, als sie Goethes Faust auf der Bühne spielen sollten. Sie spielte Gretchen, auch wenn Merkado sich das nicht vorstellen konnte. Aber immerhin war das nicht nur gefühlte hundert Jahre her. Sondern fast tatsächlich.
Man sagt Katzen hätten neun Leben, aber diese alte Frau hatte sie auch, und meistens sogar gleichzeitig gelebt. Junge Mutter, auf der Bühne und all ihre kleine Geschichten von „Leo“, wie sie Tolstoy nannte (es hatte Jahre gebraucht, bis Merkado verstand, das Leo der Mann war auf dessen Büchern er schlief) oder von Susi (Sissi fand sie albern) und Zelda (denn ja, sie kam nicht bloß aus Russland und lebte jetzt hier irgendwo im Nirgendwo Deutschlands, natürlich, natürlich war sie auch in Amerika gewesen, damals mit so einem Dampfer und hochschwanger) und deswegen hieß ihr Sohn auch Gerald, den sie in Amerika gebar (und im übertragenen Sinne nach F. Scott Fitzgerald benannte, den sie auf einer Party kennenlernte).
Natürlich hatte sie mehr als nur einen Krieg gesehen, doch sie sprach nie von der Judenverfolgung und auch nicht davon ob sie Jüdin war (aber Merkado vermutete es). Sie rauchte einfach ruhig ihre Pfeife und dann und wann, wenn ihr etwas einfiel, konnte sie keine Sekunde mehr warten und rief nach Merkado um es ihm zu erzählen (vielleicht glaubte sie ja doch, dass er verstand).
Das war Merkados Leben. Er hörte den Abenteuern der Alten zu und fragte sich dann und wann, ob sie sich vielleicht alles nur ausgedacht hatte.
Doch es passierten merkwürdige Dinge. Merkwürdige Besucher kamen vorbei. Einmal sogar Thomas und wie sich dann später rausstellte, war es Thomas Pynchon gewesen, der Autor, dessen Gesicht der breiten Öffentlichkeit nicht in Verbindung mit diesem Namen bekannt war. Er war hier gewesen.
Merkado erinnerte sich lebhaft an den Tag als es an der Tür klopfte und die Alte sie fluchend öffnete, doch als sie sah wer da vor ihr stand, jauchzte sie und lud Thomas direkt zum Tee ein. Er blieb eine Woche.
Bis heute war sich der Kater nicht sicher ob er alles glauben konnte, was er da gehört hatte, denn die beiden haben gekifft und irgendwann ist die Alte sabbernd eingeschlafen.
Merkado sah vom Schoß der Dame auf in ihr altes Gesicht, wie es grimassierte, während sie erzählte. Und spuckte und paffte und fluchte.
Sie war schon etwas Besonderes.
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Mann im Bus
Mit einem Quietschen, das wie ein menschliches Stöhnen klingt, fällt die Tür hinter mir langsam ins Schloss. Ich verlasse das Gebäude und gehe auf der schattigen Seite der Straße zur Bushaltestelle. Ich bin so lange wach, alles fühlt sich ein wenig wie ein Traum an und ich könnte mich hier neben die Straße unter einen Baum legen und erst einmal dösen. Tagelang. Doch ich gehe zum Bus, der von Weitem schon angefahren kommt. Immerhin. Ich zücke meinen Geldbeutel mit der Fahrkarte darin und halte sie vor mir, aber der Busfahrer guckt bloß in den Rückspiegel und an mir vorbei, nickt aber, als sei das okay. Ich nehme mir vor ihm das nächste mal ein Brötchen unter die Nase zu halten. Ob das als Fahrtausweis durchginge? Wahrscheinlich schon. Er will bloß losfahren und so setze ich mich schnell auf den leeren Platz neben einen Mann, der in einem Tweedanzug steckt, der ihm zu groß ist. Irgendwie passt der Anzug aber zu ihm und ich stelle mir vor, dass er in letzter Zeit schnell gealtert ist, weil ihn die Sorgen zerfressen und er deswegen auch abgenommen hat. Er sieht ein bisschen grau aus, obwohl seine Haare irgendwie noch braun sind, scheint ein Schleier von Grau über ihm zu hängen. Vielleicht geht auch die Farbe langsam aus ihm raus. Sein Anzug hüllt ihn ein wenig ein, wie ein Mantel oder eine Decke und er hört Musik durch diese Ohrstöpsel, doch das macht ihn nicht jünger, sondern irgendwie noch älter. Doch er lächelt müde. Dieses Lächeln sieht aus wie eine gutmütige Maske die er so trägt wie seinen Anzug: eine lange Zeit. Ich finde es schade, dass ich ihn nicht kenne und würde gerne mit ihm sprechen, doch obwohl ich bei Weitem nicht so müde sein kann wie er, arbeitet mein Hirn nicht gut. Ich überlege so lange, was ich sagen könnte, dass ich um ein Haar meine Haltestelle verpasse. Schnell springe ich auf und drücke den STOP-Knopf. Als ich den Mann ansehe, lächelt er mir aufmuntert zu, und ich will ihm nicht nur einen schönen Tag wünschen, sondern ein gutes Leben, aber all die Überschwänglichkeit kann ich gar nicht in Worte packen und so nicke ich und lächle. Kurz verliere ich mich in diesen Augen, aber dann macht der Bus auch schon seine Vollbremsung und ich finde mich wieder. Dann springe ich raus aus dem Bus und bleibe etwas verloren an der Haltestelle stehen.
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Sommertag
Es war ein heißer Tag voll Sonne gewesen und der Abend kündigte sich mit einem kühlen Wind an, der Gustaf den Kopf abkühlte. Er lag auf der Wiese und folgte gedankenlos den Wolken mit seinem Blick. Die langen Gräser kitzelten ihn an der Stirn. Ein Duft von Sommer lag in der Luft. Ganz leicht. Der Boden war noch warm, ganz anders als der Wind der durch die Gegend strich. Irgendwo rumorte die Stadt. Ein Flugzeug tauchte zwischen den Wolken auf und verschwand wieder. "Hach, das ist ein Leben, was?", fragte eine tiefe Stimme und Gustaf richtete sich auf, um ihren Besitzer zu finden. Es war ein alter Mann, mit grünem Hut und dazu passendem Hemd. Gustaf nickte, und der alte Mann setzte sich neben ihn. Eine kurze Ewigkeit saßen sie so da. Irgendwann deutete der Alte mit seinem Gehstock auf ein Waldstück. "Dort wohne ich." Gustaf sah eine Hütte im Schatten der Bäume, dann deutete er auf die entfernte Stadt, mit ihren Schornsteinen. "Und ich dort." Der Mann nickte, als hätte er es gewusst. "Ist schön hier.", sagte Gustaf. Wieder nickte der Alte. "Ich war mal ein Kater.", flüsterte er plötzlich und ehe Gustaf etwas erwidern konnte, war er verschwunden. Wieder legte er sich in das Gras. Der Boden wurde langsam kühl. Er fragte sich, wie es war ein Kater zu sein und als er einschlief setzte sich so ein Tier zu seinen Füßen und schnurrte dem Sonnenuntergang entgegen.
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Das Ritual
Der Sensei stand jeden Morgen mit der Sonne auf und kochte sich seinen Tee. Der Tee war hell und kleine Blätter schwammen darin und tanzten. Wenn der Sensei seinen Tee trank, sah er auf das Feld vor seinem Haus. Meist stand das Wasser dort in hohen Pfützen und alles glänzte golden in den Morgenstunden. Immer, wenn die Sonne auf seiner Augenhöhe war, wie er dort vor seinem niedrigen Tisch saß, tauchte der Kranich auf. Der Kranich war auch alt und wie der Sensei hielt er sich an einen Ablauf, der ihm ins Blut übergegangen war. Ruhig stapfte der Kranich über das Feld auf seinem Morgenspaziergang, und das Herz des Sensei wurde klamm, bei dem Gedanken, dass er aussah als suche er etwas, das er dort verloren haben könnte. Doch er schien es nie zu finden. Was er jedoch immer tat, war, seinen Blick auf das Haus des alten Sensei zu werfen. Wenn er in der Mitte des Feldes stand und die Sonne links und rechts an ihm vorbeischien, drehte er seinen schönen, schlanken Kopf zum Haus und sah den Sensei an. Sie sahen sich beide nicht mehr gut, aber sie fühlten es. Sie fühlten, das ein neuer Morgen anbracht und dass ein Gefährte ihnen auch an diesem Tagesanbruch Gesellschaft leistete.
Leise dampfte der Tee.
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Die Bären im alten Baum
Die Bären wohnten alle in einem riesigen Baum. Der weise Bär schätzte seine Jahre auf das Altee der Welt. Jeden Morgen,wenn die Sonne aufging, stand zuerst der kleinste (aber nicht jüngste) Bär auf und stapfte hinunter um etwas Honig mit Milch warmzumachen. Bis der Rest wach wurde, las er in einem dicken Buch und trank die süße Milch. Der jüngste Bär purzelte die hohe Treppe meist herunter und tollte so lange durch das Wohnzimmer, bis er einen sonnigen Flecken fand, auf dem er liegen blieb. Zu guter letzt kam der Rest und setzte sich zum kleinsten Bären oder legte sicz zum jüngsten und lange sprachen sie nicht,sondern begrüßten den Tag und einander wortlos. Der älteste Bär stand dann als erster auf und drückte dem jüngsten die Schulter. Sie gingen dann beide hinaus, um den langen Bach entlang zu spatzieren. Manchmal trafen sie dann Füchse und Hasen aus der Nachbarschaft und manchmal lud sie jemand auf ein Honigbier ein. Wenn sich dann am Abend alle vor dem Baum wiederfanden und die Gäste des Tages mitrbachten, hatten der kleinste Bär und die leiseste Bärin bereits einen großen Eintopf für alle gekocht und sie schlemmten summend und singend und den Sonnenuntergang betrachtend.
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