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MADFERIT ... sober
Der Sommer 1996 ist in meiner Erinnerung sehr verschwommen. Ich war gerade 10 Jahre alt und glaube, es war warm. Die Balustrade der Terrasse meiner Eltern bestand noch aus alten DDR-Gußbetonsteinen. Und beinahe jeden Tag stellten meine Brüder einen der beiden kleinen Schwarzweißfernseher auf die Fensterbank, um draußen das Ereignis des Jahres zu verfolgen. Im Fernsehen wurden die Spiele der Fußball Europameisterschaft in England übertragen. Fußball hat mich wenig interessiert. Gitarrenmusik war nur was für die Alten. Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, dass Großbritannien gerade der kulturelle Nabel der Welt war. Aber das eine Lied, das im Fernsehen andauernd vor den Fußballspielen lief, das gefiel mir. Irgendwas mit Sally. Ich wusste immerhin, dass die gleiche Gruppe meinem Bruder einen höllischen Ohrwurm einpflanzte, den ich -natürlich- ganz der kleine Bruder immer nach- äh, mitpfeifen musste. Irgendwas mit Wonder.
Ein Jahr später war vieles anders. Ich fühlte mich größer und erwachsener. Bald stand schon der Schulwechsel an. In der Stadtbibliothek konnte ich mit eigenem Ausweis auch allein Bücher und Kassetten ausleihen. Einmal rausgewagt aus der Kinderabteilung war mir aber klar, dass ich mir auch CDs für meinen nagelneuen CD Player leihen kann. Ein besonders buntes und wirres Albumcover, stach heraus und …moment war das nicht die Band von der mein Bruder so viel gesprochen hat? „Be Here Now“ von Oasis. Einmal ausgeliehen und zuhause angehört, war die Welt plötzlich eine andere. Meine bisherige Musikerfahrung bestand aus dem morgendlichen Frühstücksradio, über das meine Eltern bestimmten. Aus der Musik die ich quasi resteverwertend durch meine Brüder wahrnahm (die Loveparade und deutscher Klamaukpop waren ein großes Ding in diesem Jahrzehnt) und dem allgegenwärtigen 90er Hip Hop und R’n’B, den ich mir selbst bewusst zuführte, weil ich seit der Rob-Green-Show auf Radio Energy hängengeblieben bin und abends zum Einschlafen Radio-DJ mit meinem Kopfkissen als Mischpult spielte. In meinem sehr leeren CD Regal standen der „Toy Story“ Soundtrack, „Return of The Mack“ von Mark Morrison und ein seltsamer vermeintlicher „Best Of“ EDM Sampler.

Soundwände und Gitarrensoli waren mir weitgehend fremd. Die Kombination aus Sonnenbrillen und Parkas ebenso. Und dann waren da noch Helikoptergeräusche, Orgeln, Loops, Bläser und Johnny Depp, der die Slide Guitar spielt, auf diesem Album zu hören. Über allem schwebte die Ästhetik, (courtesy of Brian Cannon at Microdot) des Albumcovers. Wie ein Bilderrätsel das es zu entziffern galt. Nichts ergab Sinn. Alles versprach mehr. Schnell zuhause überspielt passte „Be Here Now“ perfekt auf meine 90-Minuten Leerkassette. Meine erste Raubkopie, quasi. Stolz berichtete ich meinem Bruder davon, dass ich jetzt auch ein Oasis Album hätte. Seine Begeisterung (der Mann war 25 Jahre alt) schien schon wieder verflogen. Bei mir ging es erst so richtig los.
Ich entdeckte „The Masterplan“ als Teil eines Best Of Jahres-Samplers und dann wurde das nächste Album angekündigt. Verheißungsvoll. „Standing On The Shoulder Of Giants“. Endlich sollte also neues Material kommen, dessen Noten und Wörter ich auswendig lernen konnte. Also die Platte zum Geburtstag gewünscht. Meine Ungeduld trieb mich dann aber doch zum nächstbesten CD Regal im Elektromarkt. Man stelle sich das Drama vor. Teenager, drei Wochen Taschengeld waren gerade genug, um eine CD zu kaufen. Eine hatte ich bereits auf Kassette überspielt. Eine würde ich bald zum Geburtstag bekommen, aber da waren ja noch drei mehr. Welche also nehmen? Ich entschied mich für die, mit dem Lied von damals, als dauernd Fußball im Fernsehen lief. „(What’s The Story) Morning Glory?“. Die Sucht griff nach mir und zog mich unweigerlich in das Rabbithole BritPop.
Auf Ausflügen in Shoppingcenter mit meinen Eltern konnte ich ihnen auch noch das Debüt „Definitely Maybe“ aus den Rippen leihern. Das musste natürlich noch im Auto auf der Heimreise gehört werden und ich erinnere mich an meine Entrüstung, dass es diese Musik also schon seit 1994 gab und ich davon nichts mitbekommen hatte. Empört von der Welt, dass sie mich um mehr Zeit mit dieser Musik gebracht hat. Mutwillig, scheinbar. Mit einer angemessen Gallagheresken Wut. Schnell suchte ich nach mehr Musik. Mehr Stoff. Ein LiveAlbum gab es noch, „Familiar To Millions“. Gekauft. Fantasiert, wie es sein muss, auf so einem Konzert zu sein. (Live Musik war davor für mich nie einen Gedanken wert). Der Moment, in dem ich „The Masterplan“, eine Compilation mit B-Seiten der Singles von Oasis entdeckte, und mir klar wurde, dass ich noch immer nur die Hälfte der bisherigen Musik kannte, war mein Rock Bottom. Die B-Seiten waren für mich das Kind von Simon und Allison in Trainspotting, dass an der Zimmerdecke krabbelnd seinen Kopf nach mir verdrehte. Keine Musik, kein Künstler hat mich je wieder so sehr in Recherchewut versetzt, soviel Hunger nach mehr ausgelöst. Und ich war immernoch nur 14 Jahre alt.
Aber dann, um bei Trainspotting zu bleiben, Cold Turkey. In kurzer Zeit hatte ich mir alles von Oasis besorgt, was es legal zu erstehen gab. Doch die (nicht einmal mehr) zwei Jahre nach dem vierten Studioalbum bis zum Nachfolger 2002 kamen mir elendig lang vor. Meine Band hatte mich verlassen. The Drugs didnt work anymore. Ich kaufte einem Mitschüler eine alte Akustikgitarre ab, um -na klar- Oasislieder spielen zu können. Aus dem was ich hatte wollte und musste ich so viel rauspressen wie nur möglich. Meine ersten Erfahrungen mit Napster, Audiogalaxy und KazaA waren vor allem einem Drang geschuldet: Mehr Oasis Songs zu finden. Mein Methadon war Rockmusik aller Art. 60, 70er, 80er, Beatles, Kinks, Smiths, Led Zeppelin, … Musik, in den 90ern noch Untermalung, wurde mein Hobby und eine Leidenschaft, die mich nie wieder losließ.
Ich lernte in einer Art Selbsthilfegruppe, getarnt als Fanforum im Internet (Social Media war höchstens in einer Embryonalphase) andere ebenso verrückte Fans in anderen Teilen Deutschlands kennen. Traf einige von ihnen persönlich. Bildete einen virtuellen Freundeskreis neben jenen aus, die ich eh jeden Tag in der Schule sah. Wir konnten fachsimpeln über die nächsten Alben „Heathen Chemistry“ und „Don’t Believe The Truth“. Natürlich war bei denen nichts mehr so wie früher. Die Musik klang anders. Aber Ich konnte mich auch nicht mehr überfressen, an einem Buffet aus Songs, zu groß für meinen Magen, zu viel für mein Hirn, zu überwältigend für meine Emotionen. Ich musste essen, was die Band mir auf den Tisch stellte. Es war genug. Gerade so.
Nostalgie, das steht fest, war von Anfang an ein wichtiger Bestandteil des Erfolgs von Oasis. Sicher, die vielbemühte Zuschreibung als Beatles Coverband war zu verkürzt, sollte bewusst eine mehr und mehr anstrengende Jugendbewegung diffamieren und der Blick war zu sehr geprägt von jenen Meinungen, die sich nur zu einem kurzen flüchtigen Blick auf die Band hinreißen ließen. Generational Divide tat sein übriges. Aber der Einfluss britischer Musikgeschichte war nicht zu leugnen. Die Einflüsse kamen aber natürlich auch aus anderen Richtungen. Oasis waren eine Kombination aus der Kreativität der Rock und Pop Bands der 1960er Jahre, dem anti establishment Auftreten der Punk Szene der 1970er und der drogengeschwängerten Extase der 80er. Aber auch dem wirtschaftlichen Verfall ihres sozialen Umfelds im Großbritannien dieser Jahre. Die Gallagher Brüder, Guigsy und Bonehead, der Kern von Oasis, kamen aus einer gebeutelten Arbeiterklasse, waren dabei mehr Gosse, Gangster und Bordstein als so mancher andere Hip Hop Star das noch Jahre später von sich behaupten sollte. Es verhalf ihnen zu Kredibilität und machte sie nicht zuletzt unter ihresgleichen populär. Die Dominanz der US-Popkultur auch in Großbritannien und Europa wurde zum Einsturz gebracht. Nicht zuletzt durch BritPop und dem politischen sowie wirtschaftlichen Aufschwung nach der post-Thatcher Katerstimmung sollte Großbritannien in den 1990er Jahren wieder kultureller Hotspot werden. Eine neue globale English Invasion, wie zuletzt in den 1960ern. Da lagen die Parallelen zu den Beatles oder Stones natürlich nahe. Aber so wie BritPop sich im Drogenrausch schnell auspowern sollte, taten es ihm in den frühen 2000ern auch Tony Blair und natürlich die Band Oasis gleich.
Passend zu meinen ersten Livekonzerten ging Oasis der Saft aus. Die Liveauftritten wurden gequälter, der Yellow Press Appeal der Gallagher Brüder wurde größer als ihr musikalischer Impact. Für mein persönliches Erlebnis egal. Auf den Konzerten war ich im Rausch. Hörte eh nur die tausenden Menschen um mich herum jedes einzelne fucking Wort mitsingen. Oasis waren keine Band mehr, sie waren Lifestyle geworden. Ein Event zu dem man sich länderübergreifend verabredete, für das wir uns kostümierten und in dessen Parallelwelt wir eine Performance aufführten.
2009 dann auf der Promotour zum Album „Dig Out Your Soul“ das Ende. Eine von vielen „Bruder X verlässt im Streit mit dem anderen die Band“-Anekdoten zu Beginn. Sehr schnell aber dann der definitive Schlussstrich. Die Erschöpfung, auch von sich selbst, war allen anzumerken. Der Band und auch den Fans. Noch kurz zuvor hatte ich in der Heimatstadt von Oasis zusammen mit 70.000 anderen Besucher:innen mein zehntes Oasis Konzert besucht. Beseelt. Aber auch ein wenig, als hätte ich einen Punkt auf meiner Bucketlist erfüllt. Der Hunger war vorbei. Immerhin schmeckte es noch. Und irgendwie ging es damit auch für mich im Guten zuende.
Ganz gleich für wie edgy wir uns vielleicht damals hielten, rückblickend, spätestens aber seit der Textzeile einer ehemaligen Chemnitzer Schülerband darüber, wer von den beiden Gallagher-Brüdern denn nun für wen Songs schreibt (oder eben nicht), muss allen klar geworden sein, wir waren mittendrin im Mainstream. Oasis waren sehr schnell nicht mehr und dann nie wieder Outcasts oder Underclass.
Unbestritten jedoch ist, und dafür spricht ihr Status im popkulturellen Mainstream:
für ein paar Jahre in den 90ern waren Oasis die größte Band der Welt.
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On todays late night mindfuck...
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Go ahead. Try to fall asleep not bending over in thoughts.
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that nostalgic evening in the city vibe
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See, I spent my teens enraged, spirallin' in silence And I armed myself with a grin 'Cause I was always the fuckin' joker Buried in their humour amongst the white noise and boys' boys Locker room talkin' lads' lads Drenched in cheap drink and snide fags A mirrored picture of my old man Oh God, the kid's a dab hand Canny chanter, but he looks sad God, the kid looks so sad
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I know now that I can't make good How I wish I could Go back and put Me where you stood Nothing's really something, now the whole thing's soot It serves to suffer, make a hole in my foot And I hope you look As I fill my book What a waste of wood Nothing's really happened like I thought it would I can't rest on no dynasty Yeah, what is wrong with me? Man, I'm so sorry I got the best of me I really damn been on such a violent spree But maybe you can still make a man from me Here on Speyside quay With what's left of me As you live and breathe I really know now what had hold on me
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2006 me is being portrayed by every character in this video.
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groovy bassline, flute, handclaps, it's all there..
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