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Entwurf der Liminal-Philosophie für das 21. Jahrhundert
Mit dem Terminus “Liminal-Philosophie” soll eine Philosophie verstanden werden, welche die heutige Zeit, d.i. die Nachwendezeit nach der sicheren Überschreitung des 1,5 Grad-Ziels und der neuen Rechten, also etwa zwischen 1990 bis 2020, auf den Begriff bringt und dabei in erster Linie im Ausgang von Badiou denkt, soweit es möglich ist, an seinen Grenzen und im Übergang zu etwas anderem - daher “Liminal” von lat: Limes, Grenze, Übergang. Badiou hat seinerseits ebenfalls seine Philosophie entworfen, um die Nachwendezeit begreiflich zu machen - die Liminal-Philosophie versteht sich als Fortführung, und Gegenentwurf hierzu, zugleich Aktualisierung des Gedankenguts durch eine neue Generation (von einem Kriegskind zu einem Milleinial), als auch eine Einschränkung, Negation und antizipierte Überschreitung des durch Badiou gedachten. Die Liminal-Philosophie versteht sich von den gleichen Bedingungen her, ist strukturell mit dem Denken von Badiou tatsächlich identisch, wird diese aber in einer entsprechenden Weise modifzieren, stärker systematisieren - diese Modifikationen werden teils aufgrund der veränderten Zeitlage, die Badiou nicht registrierte oder in ihrer Berücksichtigung unterdrückte, als auch durch die Konfrontation von Badiou mit seinen Vorgängern erwachsen, also der übrigen Philosophiegeschichte von Platon bis Badiou, sowie zuletzt aus der Philosophiegeschichte, Badiou und der Gegenwart, wenn durch die Betrachtung der Philosphiegeschichte und ihre Anwendung auf die Gegenwart eine Umdeutung notwendig ist, wenn etwa Platon und Leibniz einen neuen Blick auf die Welt und diese auf das System von Badiou ermöglichen. Die Liminal-Philosophie wird also die Politik, die Wissenschaft, die Kunst und die Liebe bearbeiten, und jeweils die dazwischen operierenden Verhältnisse (was Badiou nur wenig tut), und eine andere Haltung ansetzen. Hinsichtlich der Politik ist das Scheitern Badious am offensichtlichsten: Die Kulturrevolution und das französische Mai 68 blieb zwischen der Theorie des Subjekts bis zur Immanenz der Wahrheiten Badious einziges politsches Modell, so revolutionär es es auch war, so sehr scheiterte es an der Tatsache, dass die Kulturrevolution misslang und in der Machtübernahme von Deng Xiaoping und dem Tienanmen-Massaker mündete, also insgesamt in den Dengismus und den progressiven Neoliberalismus umschlug. Daher wird die Politik im Sinne der Systemfrage auf etwas neues verweisen müssen, was aber als politischer Prozess noch nicht existiert, daher bleibt sie im politischen Skeptizismus und der Erwartung von etwas Neuem. Was die anderen Bereiche betrifft, ist kein Übergang nötig, wohl aber eine Aktualisierung, d.i. Anwendung auf die gewandelte Lage, die Badiou nicht wahrnimmt. Hinsichtlich der Wissenschaft triumphiert Badious Denken mittels seiner Auslegung der axiomatischen Mengenlehre, und kann somit die epistemologischen Fragen der Zeit angemessen beantworten, gleichzeitig ist er aber unfähig, die wissenschaftlichen Erkenntnisse, welche für die heutige Zeit relevant sind - etwa die ökologische Krise - wahrzunehmen, er fällt somit hinsichtlich seiner eigenen Theorie zurück. Hinsichtlich der Liebe ist die von Badiou geäußerte Zielsetzung der Aufhebung der Familie zwar richtig, zugleich verfällt Badiou in heterosexistische Vorstellungen und ist somit auch hier gegenüber den Möglichkeiten seiner eigenen Theorie zurückgefallen. Was die Kunst betrifft, so ist hier noch vieles offen, es ist aber auch hier anzunehmen, dass die von Badiou gesetzte Systematik mit der heutigen Zeit konfrontiert werden muss, das möglicherweise in der Digitalisierung und der Entwicklung zum Transhumanismus zu sehen ist. Die Liminal-Philosophie wird diese 4 Bedingungen und die notwendigen Modifikationen jeweils bearbeiten müssen, um den Unterschied zu Badiou zu markieren, der zu wählende Weg scheint bislang darin zu bestehen, die Verhältnisse zwischen den Bedingungen zu beschreiben, wobei die (antikapitalistische) Politik, die bislang scheiterte und auf etwas neues verweisen muss, gerade die verbindende Kraft darstellt und somit das leere Zentrum, das Loch inmitten eines Kreises bildet:
1. Die Wissenschaft und die Politik ist in ihrer Zusammenwirkung zu beschreiben - und wird darin die Tatsache gerecht werden, wie die Gesellschaft am Klimawandel und der ökoligischen Krise scheiterte und scheitert, obwohl sie die wissenschaftliche Kenntnis und die technischen Möglichkeiten zur Änderung davon seit 50 Jahren besitzt, wie sie nur durch die Überschreitung des Kapitalismus das Problem beheben könnte, für das es bislang noch keine tragfahre Möglichkeit gibt, nachdem der Maoismus scheiterte. Daher bleibt es bei einer Politik der Wissenschaft, d.i. der Verbreitung von wissenschaftlichen Kenntnissen, wie sie die öffentlichkeitswirksamen Umweltorganisationen betreiben.
2 Die Liebe und die Politik ist im Verhältnis zu beschreiben, und wird somit versuchen, dem Fortschritt in der Liebe, d.i. dem Ausbruch aus dem Patriarchat und dem Heterosexismus gerecht werden, der seit 1968 unter dem progressivern Neoliberalismus geschah, wird aber zugleich darauf verweisen, dass es noch kein Mittel gibt, um den Kapitalismus zu beseitigen, sodass die Unternehmung selbst auf spezifische Weise scheitert, womit es auch bei einer bloßen Politik der Liebe bleibt, welche die Möglichkeit zur Fortentwicklung in der Zerstörung der Familie beibehält, ohne sie vollenden zu können.
3. Die Kunst und die Politik zu beschreiben, in der Bearbeitung der Schwierigkeit des Transhumanismus, in welchem auch durch die kapitalistischen Bedingungen Hemmnisse oder sogar erhebliche Gefahren bestehen.
1. Allgemeine Gesichtspunkte:
Die Liminal-Philosophie ist vom Charakter her wie Badiou ontologisch, wird sich somit wie Badiou selbst in den Kreis unterschiedlicher ontologischer, anti-dialektischer, anti-konstruktivistischer und anti-postmoderner Entwürfe einordnen, welche seit 1990 entsprungen sind und zu denen Badiou selbst auch zählt. Sie wird sich zugleich diesen Inhalten zuwenden, sie organsieren und Stellung beziehen, als auch gegen die frühere postmodernistische und daher dem Neoliberalismus nahestende Ideenbildung eine deutliche Front erheben und die entsprechenden Inhalte umdeuten, welche sich bei den neuen sozialen Bewegungen bildete - die Befreiung der Liebe ist etwa aus den postmodernistischen Gedankengebäuden von Foucault und Butler zu entnehmen und umzudeuten - entlang der faktischen Transformation der Begriffe durch die Überschreitung des 1,5 Grad Ziels und der neuen antifeministischen und antiqueeren Rechten. Der ontologische Charakter zeigt sich darin, dass sie ähnlich wie das Denken von Badiou, Leibniz, Platon, Hegel zuletzt rezeptiv ist, d.i. die bestehenden Verhältnisse, wie sie vorliegen, zumindest partiell bei einigen aktivistischen Prozessen aufnimmt und affirmiert, bei der Politik somit eine Art von Apologie betreibt. Während Badiou die Kulturrevolution affirmierte und weiterhin als Leitbild echter Politik fasste, so wird hier auch eine Klasse von politischen Operationen zu affirmieren / apologetisch einzuholen sein, welche anstelle einer echten, systemverändernden, den Kapitalismus abschaffenden Politik zu affirmieren sind. Die in 68 entsprungenen neuen sozialen Bewegungen in Gestalt der Politik der Liebe (Emanzipationsbewegungen) und Politik der Wissenschaft (Umweltorganisationen) sind faktisch dasjenige, was in der Liminal-Philosophie als allgemeines Interesse und Inhalt der überpositiven praktischen Vernunft affirmiert wird, weil sie berechtigerweise anstelle einer echten systemkritischen, antikapitalistischen Politik stehen müssen - die Liminal-Philosophie betreibt somit eine partielle Apologie der Tendenzen, die nach 68 geschehen sind und vom strikten Antikapitalismus wegzuführen und in den progressiven Neoliberalismus schienen, zumindest, sofern sie sich nun radikalisiert haben und nun kämpferisch gegen den Liberalismus eingestellt sind, die Systemfrage implizit aufnehmen. Eben gegen diese ist Badiou kritisch eingestellt, weil er noch am Gelingen der wahrhaft politischen Kulturrevolution und dem Maoismus festhält und in ihnen Formen der Erhaltung des Bestehenden begreift - gegen diese Idee ist immanent im Ausgang von Badious Entwurf anzukämpfen, zugleich ist aber auch der Punkt zu markieren, mit denen diese Bewegungen faktisch im Kapitalismus oder Liberalismus verbleiben könnten, und worin sie faktisch über ihn hinausweisen müssten weil sie von ihm unterdrückt werden. Dieses “Hinausweisen” ist konkret in den Einzelfragen und den jeweiligen aktivistischen Operationen zu zeigen - dass etwa die Befreiung der Liebe ohne die Abschaffung des Kapitalismus unmöglich ist, sich in eine Vermarktung und Hierarchisierung der Sexualität entlädt, dasselbe auch mit der ökologischen Krisis und ihren Aktivisten, deren Tätigkeit beginnt, über die bloße Propagierung eines Wandels der Technik im Liberalismus zu einem Wandel des politischen Systems hinzuführen. Während die Berücksichtigung der Umweltfrage beim Antikapitalismus unbedingt notwendig ist, - somit die ökologische Wende die Bedingung für echte Politik darstellt, so ist auf der anderen Seite die Befreiung der Liebe, die Abschaffung von Heteronormativität und Patriarchat keine Bedingung des Antikapitalismus, sehr wohl aber eine unbedingt gleichwertige Aufgabe. Der rezeptive und ontologische Charakter der Philosophie soll überleiten zu einer daran anknüpfenden, negativ-dialektischen Philosophie der Unwahrheiten, daher ist dieses ontologische Denken der Liminal-Philosophie im Unterschied zu Badiou selbst auch nicht restlos positiv, in dem Sinne, dass sie diese politischen Projekte als Weg zur Ewigkeit und zum wahren Leben ausweist, sondern soll dazu überleiten sich um eine neue antikapitalistische Operation zu gruppieren, die tatsächlich jenseits von Badiou steht und die dem ganzen eine echte Form geben könnte. Die bestimmte Negation von Badious Denken ließe sich bereits an seinem unmittelbaren Denken selbst vollziehen - da es aber viele neue Inhalte des 21. Jahrhunderts und der Post-68er-Zeit gar nicht bewältigen kann, muss Badiou erst zu dieser Liminal-Philosophie angereichert werden, die eben die Umweltfragen, die Befreiung der Liebe enthält, die sich in den radikalisierten neuen sozialen Bewegungen nach 68 ergeben haben und unsere heutige Zeit prägen, insbesondere, wenn sie vom Liberalismus abgerückt sind. Es ist davon auszugehen, dass in jenen Bewegungen der Wechsel vom ontologischen ins dialektische Paradigma eine bestimmte Änderung hervorrufen wird - dass etwa das wissenschaftliche Denken Badious Sphäre überschreiten wird, dass in der Liebe die Vorstellung von 68 überschritten wird, und ähnliches. Das negativ-dialektische Denken setzt aber keine positiven - sonst wäre es auch nicht negativ, sondern es setzt den Ausbruch aus den für heute bekannten Inhalten der Gegenwart als Ziel und Leitbild an, die sich seit 68 und der Kulturevolution in unserer Welt angereichert haben.
2. Allgemeiner Aufbau der Liminal-Philosophie:
Die Liminal-Philosophie wird also 3 grundlegende Ideen besitzen, d.i. aktive, erfolgreiche und leitende Wahrheitsprozesse, welche heute “funktionieren” und unsere um die Politik verarmte Zeit prägen und die von Badious Philosophie in ihrer Grundstruktur einfach übernommen werden können, d.i. - die 1. Wissenschaft im Sinne der axiomatischen Mengenlehre und ihrer epistemologischen Deutung durch Badiou bildet die Basis. Von ihr aus lässt sich zweitens, was die Liebe betrifft die 2. Zerstörung der Familie als kompossibles Ziel denken, als der heutige übrig bleibenden praktischen Idee, wie auch 3. Die absolute Kunst. Zwischen diesen bestehen, wie bei Badiou, unmittelbare Kompossibilitäten, sodass von der Wissenschaft aus alle übrigen Ideen “bewahrheitet” werden, ähnlich wie Platons Ideen, verwurzelt in der Mathematik, die anderen Sachen “erleuchteten”. Sie stützen sich gegenseitig, in einer ursprünglichen “Konstellation”. Das Denken ist ontologisch und näher post-cantorianisch, man könnte auch sagen, hypermodern, wenn die Unendlichkeit der Moderne entspricht. Diese Ideen von Badiou werden spezifisch von der Liminal-Philosophie aufegriffen, modifiziert und erweitert, näher zu 1. der wissenschaftlichen Kenntnis der die Menschheit bedrohenden ökologischen Krise und der Möglichkeit ihrer technischen Behebung (die wegen dem Kapitalismus nicht realisiert wird), 2. die schrittweise Aufhebung des Patriarchats und der Manifestation von immer mehr Identitäten, um die Liebe zu befreien und in freie Prozesse von Individuen zu verwandeln, die aber durch den Kapitalismus hierarchisiert, standardisiert, dem prostitutiven Ausverkauf überantwortet und gehemmt werden, 3. Die Möglichkeiten des Transhumanismus, welche aber durch den Kapitalismus nur in die Richtungen des Profitstrebens gewandelt werden; all das ist in Rücksicht auf den post-cantorschen Charakter zu bearbeiten, durch die Struktur des Forcings, sowie in Rücksicht auf die bisherige Geschichte des Denkens in all diesen Dingen im Anfang von Platon. All diese Elemente entsprechen bestimmten neuen sozialen Bewegungen, die in einem bestimmten Radikalisierungsgrad begriffen sind, der sie vom Kapitalismus wegführt, d.i. der Politik der Wissenschaft als der Umweltpolitik, der Politik der Liebe als der Befreiung der Liebe, sowie die Politik der Kunst als der Ermöglichung des Transhumanismus. Die Philosophie führt diese zersplitterten Momente linker oder avandgardistischer Proto-Politik zusammen, die an sich sonst getrennt wären - sie ermöglicht so eine vorläufige Einheit der Linken, obwohl die antikapitalistische, revolutionäre Politik als solche nicht mehr existiert.
Die Inhalte der Liminal-Philosophie umfassen so mindestens 3 getrennte Untersuchungen:
1. Das Kapitalozän denken (Name noch variabel) - in der Überkreuzung von Wissenschaft und Politik. Es wird die Wissenschaft hinsichtlich ihrer Fähigkeit entwickelt, den Klimwandel zu denken und grundsätzlich die Möglichkeit zu besitzen ihn technisch aufzuhalten, die Politik, um den Liberalismus / Kapitalismus abzuschaffen, die aber mit dem Scheitern der Kulturrevolution auch versagt, dann auch die Wissenschaft des Politischen im historischen Materialismus, denn die Politik der Wissenschaft im Sinne des Umweltaktivismus, der anstelle der funktionierenden Politik jene als fernes Ziel vorbereitet. Hier gilt es das Verhältnis von Wille und Wissen zu bearbeiten, d.i, zwischen zwei höheren Funktionen des Intellekts, die das Allgemeine als solches treffen. Der Fokus liegt auf dem (globalen, klassenmäßigen) Kollektiv, der Einzelne verschwindet in jenem. Die Studie wird einschließen 1. Die theoretische Philosophie von Platon bis Badiou zu bearbeiten, mit Aristoteles, Hobbes, Berkeley, Descartes, Leibniz, Kant, Hegel, Heidegger, jeweils bezogen auf die ökologische Krise 2. Ihre Aufhebung in der “Metaontologie” von Badiou, d.i. ihre Auflösung in Mathematik, 3 Die theoretisch-phänomenologische Erfahrung des 21. Jahrhunderts, die darin besteht, mit dem Klimawandel konfrontiert zu werden und die Verwirrung zu durchlaufen. Anschließend auch 1. Die praktische Philosophie von Platon bis Badiou, mit Platon, Wolff, Rousseau, Babeuf, Blanqui, Kant, Hegel, Marx, Lenin, Althusser, den mittleren und den älteren Badiou als Punkte, jeweils in Bezug auf die ökologische Krise, zuletzt scheitert diese Bewegung aber 2. Die Auflöung dieses Weges in der Metapolitik von Badiou, auch jeweils Bezogen auf die ökologische Krise mit dem Scheitern der Kulturrevolution als Ende 3. die praktisch-phänomenologische Erfahrung des 21. Jahrhunderts, mit dem Beschluss, in die Politik der Wissenschaft überzugehen als Einmündung. Die gesamte Geschichte der Wissenschaft und Politik muss “einbezogen” werden, alles Gewesene, um unsere Zeit dahingehend zu verstehen. Aufgrund des Scheiterns der Politik kann die Wissenschaft ihren Triumpf über die Welt nicht umsetzen und gerinnt zu einer schädlichen Kraft. Als allgemeine “Tätigkeiten” bezieht sich diese Philosophie auf die äußeren Bedingungen der Wisenschaft und Politik im “grünen” und “roten” Spektrum. So wird für die Grünen sie a) als theoretische Philosophie oder Epistemologie die Klimaforschung und diejenigen, welche mit ihr in Berührung geraten, vor der Verwirrung schützen, dabei die falsche Epistemologie von Latour, dem neuen Materialismus und des Konstruktivismus bekämpft und sie an die marxistische Erkenntistheorie von Lenin, Althusser und Badiou heranführt sie wird b) als praktische Philosophie die politischen Ziele der Klimaaktivisten, einen Gesellschaftsrat zu fordern, auf überpositive und überdemokratische Vernunftgehalte zu rekurrieren, Wissenschaft zu verbreiten stützen, andererseits zeigen, dass die meisten Auslegungen des sozialen Kipppunkts scheitern, womit sie aber die Beschränkung auf die Politik der Wissenschaft verstärkt, sie ist insofern schützend oder defensiv, wird die Bedinungen bloß reproduzieren, ferner wird sie c) durch die Idee der philosophischen Kompossibilität diejenigen, welche Klimaforschung haben, zum Klimaaktivismus bringen sowie umgekehrt die Anhänger der Idee des Gesellschaftsrates, des sozialen Kipppunkts und der Politik der Wissenschaft zum Klimaforschung bringen. Das gilt in Rücksicht auf die “Grünen“. Sie wird weiter d) die kritische Ökonmie und den historischen Materialismus epistemologisch gegen die theoretische Verwirrung schützen und mit der allgemeinen Geschichte in Verbindung bringen, zugleich aber feststellen, dass diese Wissenschaft grunderneuert werden muss e) die Idee des Kommunismus durch die praktische Vernunft gegen die nostalgische Anhängerschaft an ihre realsozialistische Verwirklichung von Marx, über Lenin bis Mao voranbringen, und so den alten Kommunismus für beendet erklären, aber auch die Möglichkeit des Austritts aus dieser Verfasssung emporhalten; so ist sie defensiv oder auf die Bedingungen bezogen, wehrt Trübsinn und naiven Enthusiasmus in der Realisierung des Kommunismus ab, f) sie wird vom historischen Materialismus zum neuen Kommunismus überleiten und umgekehrt, so ist sie kompossibilisierrend und fordert den Übergang von Theorie und Praxis - das gilt in Rücksicht auf die Roten und die klassischen Felder, auf denen sich diese Roten betätigen und tätig sind. Weiter wird sie g) eine Synthese von Klimaforschung und historischem Materialismus / Ökonomie in wissenschaftlicher Hinsicht fordern, welche den Zusammenhang von Kapitalismus und ökologischer Zerstörung beweist und näher bestimmt, sowie ein allgemeines Bewusstsein der Ausbeutung und der Gefahr der Angstellten, Arbeiter und Bauern im 21. Jahrhundert zum Ausdruck bringt h) die Idee des Gesellschaftsrats mit dem der Diktatur des Proletariats, allzu optimistische Fassungen des sozialen Kipppunkts und des Antikapitalismus abwehren und das Scheitern der bisherigen Politik behaupten, i) zuletzt wird sie die allgemeine Kompossibilisierung vollziehen, d.i. vom einen g zum anderen h übergehen. In Kurzfasssung drückt diese Abhandlung aus: Durch das Überschreiten des 1,5 Grad Ziels und dem Scheitern alle Bemühungen der Eindämmung der Katastrophe ist das Greenwashing des Kapitalismus/Liberalismus am Ende, wir haben nach dem Scheitern des Maoismus noch keinen Weg über den Kapitalismus hinaus gefunden, die historischen Möglichkeiten scheinen erschöpft, können aber nicht ausschießen, dass es möglich ist, ihn zu überwinden und trennen uns von ihm daher ab.
2. Die Abhandlung über Liebe und Politik (noch kein Name gefunden) - in der die Liebe und die Politik überkreuzt werden. Die Liebe wird hinsichtlich ihrer Möglichkeiten von Platon bis Badiou entwickelt, die Politik, um der Liebe Raum zu geben, die Liebe in ihrer Bindung an gesellschaftlich-wirtschaftlich-politische Phänomene, die aber durch den unüberwindlichen Kapitalismus unterdrückt bleibt, und dann die Möglichkeit, anstelle der funktionierenden Politik die Politik der Liebe zu vollziehen, die aber nur die Liebe dem Kapitalismus aussetzt. Hier wird das Verhältnis von Einzelnem und Allgemeinen, der “Chorismos” behandelt, und zwar im Bereich der Praxis. Zentral ist hier die Idee, dass das Individuum im Mittelpunkt steht bzw. seine Fähigkeit, sich in einer höheren Einheit aufzuheben. Die Aufgaben umfassen hierbei die Interaktion mit den entsprechenden politischen Bewegungen des Feminismus, der sexuellen und der Gender-Minoritäten, die kurz als “Pink” zu bezeichnen sind, mit dem klassischen Antikapitalismus. Die Wissenschaft wird auch hier ein gewisses Gewicht darstellen - etwa in Form der Genderwissenschaft, der Psychoanalyse, des historischen Materialismus der Familie - aber da es eine lösbare Form gibt, wird sie nur eine sekundäre Gestalt haben. Sie wird in Rücksicht auf die Pinken a) als Theorie der Liebe von Platon bis Badiou einen Begriff der Liebe entwickeln, in welchem die gegenwärtig in den politischen Prozessen der Befreiung der Liebe antizipierte Zerstörung der Familie gedacht wird, zudem auch eine Basis für die Wissenschaft, auf welche die queere Politk beruht, b) Sie wird im Verhältnis zur Politik eine Überwindung des Kapitalismus fordern aber nicht denken können, um diese Verhältnisse der Zerstörung der Familie nachhaltig zu sichern, sie wird c) diejenigen, welche sich in der queeren Lieben und der queeren Politik bringen zum Kommunismus bringen und umgekehrt, indem sie auf die Kompossibilität beider hinweist, den Zusammenhang hier. Sie wird in Rücksicht auf die Roten d) den historischen Materialismus und die politische Ökonomie in Rücksicht auf die Frage der Familie neu auslegen, e) die Idee des Kommunismus emporhalten, auch wenn sie mit dem Maoismus vorläufig gescheitert ist, f) sie wird die Kompossibiltät beider Strukturen hervorheben. Zuletzt wird sie alle diese Dinge kompossibilisieren.
In Kurzfassung drückt diese Abhandlung aus: Durch die neue Rechte und die reale Aussicht der Aufhebung aller in 68 errungenden Möglichkeiten für Queers und für Frauen ist das Pinkwashing des Kapitalismus/Liberalismus ist am Ende, wir haben nach dem Scheitern des Maoismus noch keinen Weg über den Kapitalismus hinaus gefunden, die historischen Möglichkeiten scheinen erschöpft, können aber nicht ausschießen, dass es möglich ist, ihn zu überwinden und trennen uns von ihm daher ab. 3. Die Abhandlung über Kunst und Politik (kein Name gegeben) - in der Kunst und Politik überkreuzt werden. Hier ist noch am meisten offen. Es müsste hier dargestellt werden, wie von beiden Seiten her kommend die Grenzen des Menschen zur Materie durchbrochen werden, sowie umgekehrt die Sphäre des Menschen überschritten wird. Weiter ließen sich noch untersuchen:
1-2: Wie die Liebe mit dem Klimawandel interagiert, die Befreiung der Liebe mit der Politik gegen den Klimawandel. So etwa in der Gefahr der Diktatur des Allgemeinen gegen die Besonderheit einer Minorität, der Möglichkeit beide Aspekte gegeneinander auszuspielen, aber auch, sie zu verbinden; auch kann die Untersuchung der Liebe zeigen, wie die Funktionslust im Kapitalismus dazu treibt, den Klimawandel voranzubringen.
2-3: Transhumanistische Sexualität und Liebe?
3-1: Transhumanismus und Kapitalozän.
4. Allgemeiner Charakter, Verhältnis zur Neuen Linken und zur ganz neuen Linken (Wagenknecht)
Die Einheit der Philosophie besteht für Badiou darin, Bedingungen zu verknüpfen. Dieses Umstandes macht sich die Liminal-Philosophie zunutze, um zerstreute Formen der Politik zu verknüpfen, in welche die gegenwärtige Linke zuersplittert ist - näher die grüne Bewegung als Umweltschutzbewegung, sowie die pinke Bewegung als Bewegung der Befreiung der Liebe. Diese Typen der Politik fassen die neue Linke in sich, durch die Philosophie wird diese zerstreute neue Linke also verbunden gedacht. Zugleich werden diese Prozesse auf die fehlende Politik insgesamt bezogen - die künftige Arbeiterpolitik der Zukunft, welche erst den Widerspruch auflösen könnte. Insofern wird die neue Linke in einer bestimmten, illiberalen Form empfohlen, propagiert, miteinander verküpft und zuletzt an eine künftige noch ungewisse Arbeiterpolitik gebunden, nachdem sie ihren Bezug zum Maoismus, aus der sie ursprünglich hervorging, verloren hat. Weder der Schutz der Umwelt, noch die Befreiung der Liebe kann gelingen, solange es keine Aufhebung des Kapitalismus gibt, welche den Maoismus progressiv überwindet. Dass nun dieser Antikapitalismus ungreifbar scheint, wirft aber auf diese Formen der neuen Linken zurück. Die Gewerkschaftler und Arbeiter stehen vor keiner stabilen Strategie, die darüber hinausgehenwürde, ihre nationalen Kämpfe auszufechten und sich dabei positiv auf die Tätigkeit der neuen Linken zu beziehen. Die neue Linke hat dabei zunächst die Tätigkeit, sie von Bündnissen mit dem alten Kapital abzuhalten, d.i. dem queerfeindlichen und fossilen Kapital, sie somit vom Linkspopulismus abzuhalten, aber auch von der Verbindung mit der gegenwärtig entstehenden etatistischen und grün-pinken Form auf Distanz zu gehen. Durch diese Tätigkeit, die neue Linke in sich zu fassen, zu verbinden, auf eine illiberale Form und auf eine Zukunft hin zu entwerfen, wird die neue Linke von ihrer postmodernistischen Form abgelöst, d.i. ihrer Fixierung auf Sprache und Konstruktion, eine Tendenz, welche es insbesondere in Rücksicht auf das Geschlecht gibt, es gibt aber auch nicht wenige Konstruktivisten in Rücksicht auf die Natur und Umweltproblematik. Latour ist zwar kein Konstruktivist im klassischen Sinne, erhält aber eine ähnliche Funktion. Die Zurüstung hin zu einer ontologischen Interpretation ermöglicht es, den Kampf mit der neuen Rechten aufzunehmen. Zugleich wird in dieser Bewegung fatale Verbindung der neuen Linken mit dem Liberalismus und dem Neoliberalismus abgebrochen, welche von seiten der klassischen Arbeiterbewegung, und auch etwa den hasserfüllt von den neuen Linken abgewandten Linken wie Wagenknecht der neuen Linken vorgeworfen wird. Verhätlnis zur Postmoderne. Linkspopulismus : Neuester Angriff des Kapitals, neben der neuen Linken, welche sich dem Kapitalismus hingegeben hat.
Ausbruch aus der Lethargie
Selbstzerstörerischer Kapitalismus. Zumindest werfen sie ein Halbdunkel darauf.
3. Darüber hinaus: Post-Cantorsche Philospohie der Unwahrheiten
Es ist deutlich, dass die Philosophie der Unwahrheiten als bestimmte Negation der Liminal-Philosophie auf ihr unbedingt wird aufbauen müssen. Sie stellt die Forderung der Rückkehr zum Antikapitalismus und damit der echten Politik dar oder kommt aus entsprechenden politischen Prozessen, welche dies verwirklichen. Während die Liminal-Philosophie ontologisch, rezeptiv und apologetisch agiert, beruht die Philosophie der Unwahrheiten auf der Hervorbringung eines Ereignisses in der Zukunft und damit dem Ausbruch aus dem Sein der gegenwärtigen Situation, mit der antikapitalistischen Politik als ihrem lebendigem Zentrum. Von der Politik aus, die gegen die Tendenz der Liminal-Philosophie nun wieder im Zentrum steht, ist eine Modifizierung des Wissenschaftsbegriffs zu erwarten - möglicherweise auf die Geisteswissenschaft zu, von den Liebe ist eine andere Weise der Organisation zu erwarten - möglicherweise noch weiter von der Familie entfernt, und dasselbe wohl auch von der Kunst.
Die Philosophie der Unwahrheiten ist eine nur entfernte Idee, nicht nur, weil die Liminal-Philosophie zuerst konstruiert werden müsste, sondern auch Formen negativ-dialektischer Philosophie, welche es noch nicht gibt, und welche den jeweiligen Formen der postcantorschen Ontologie des Denkens von Badiou und der Liminal-Philosophie vorangehen. So ist anzunehmen, dass es:
1. Eine bestimmte Negation finitistischer Ontologie gibt - bei Levinas und dem Benjamin der Kritik der Gewalt.
2. Eine bestimmte Negation infinitistischer Ontologie gibt, bei Benjamin und den Schriften zu Baudeliere und dem französischen 19. Jahrhundert gibt.
3. Eine bestimmte Negation des transzendentalen Idealismus gibt.
4. Eine bestimmte Negation des absoluten Idealismus gibt.
5. Eine bestimmte Negation des postcantorschen ontologischen Denkens gibt - die gesuchte kontemporäre Philosophie der Unwahrheiten.
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Grundentwurf für eine kontra-Aristotelische Ethik.
Wenn nun an jene inzwischen fast 6 Jahre zurückliegende Veröffentlichung erinnert und angeknüpft werden soll, welche unter dem Namen der “Phänomenologie der aristotelischen Ethik” unter dem Pseudonym “Hermeneutic Earthquake” hier auf Tumblr erschienen ist, so fällt auf, dass diese im schlechten Sinne ortlose, zeitlose, traditionslose und geschichtslose Schrift, die eine Re-Aktualisierung der aristotelischen Ethik als einer der Ethik der Selbstverwirklichung versuchte, sich als ein Werk erwiesen hat, welches völlig blind, unabsichtlich daher eher künstlerisch-unphilosophisch den Zeitgeist der frühen 2010er Jahre und die Millenial-Mentalität ins Schwarze getroffen hatte, vor dem eigentlichen Einbruch des neuen Rechtsradikalismus. Sie hatte in einer darstellenden und zugleich kritischen Weise veranschaulicht, was die gemeinübliche Denkweise, den Common Sense unserer Zeit tatsächlich ausmacht und wie er philosophisch und begrifflich zu durchdringen sei: der Common Sense, der darin Bestand, das individuelle narzisstische Streben nach einem sinnvollen, erfüllten, einem Begriff angemessenen Leben in den Mittelpunkt zu rücken. Diese auf das Individuum und seine Erfüllung fixierte Ethik wurde in Anschluss an Aristoteles als eine analysiert, welche nur durch eine Kollektivierung oder Politisierung, oder auch der Entwicklung ihres politischen Korrelats aus ihrem schlechtem Schwebezustand ausbrechen konnte, eine Politisierung, die aber durch ihre auf das menschliche Glück und die Verwirklichung abzielenden Wurzeln nur auf eine unterdrückerische und organizistische Form von Politik hinauslaufen konnte, auf unterschiedlich vollkommene Abbilder des Philosophenstaates, der Herrschaft der Ideen über das Gemeinwesen. Es war schon damals klar, dass es eine Art inverses Negativum dieser Ethik geben müsste, nur fehlten mir damals die bildungsmäßigen und zeitlichen Ressourcen, um die Ausführung dieses Projekts auch wirklich zu stemmen. Dieses Negativum, die “Kontra-Aristotelik” war der eigentliche neue Raum des Denkens, den Hegel und Günther gegen das überwältigende Insgesamt der an Selbstverwirklichung interessierten Tradition eröffnet hatten, dasjenige dunkle Feld, was ich eigentlich zu begreifen versuchte. Es war innerhalb des angestrebten Vorhabens der Moment, wo die deskriptive, rezeptive Zeitdiagnose über das im Keim unterdrückerische Streben nach Selbstverwirklichung, die ich in meiner bisher erschienen Ethik darstellte, in eine Zeitkritik und Kritik der Selbstverwirklichung umschlagen sollte. Ich hatte damals also nur eine verurteilende und unzufriedene Zeitdiagnose, keine echte Zeitkritik liefern können.
Nun sehe ich viel klarer, und vielleicht klar genug, um dieses Projekt auch tatsächlich bald zu wuchten. Wahrscheinlich werde ich gegen Ende des Jahres, vielleicht auch gegen erst gegen Januar, die Bildungsgüter in Gestalt von Exzerpten versammelt haben, um diese schwere Aufgabe wirklich anzugehen. Viele bisher entwickelten Momente der alten, zeitdiagnostischen Ethik sind aus meiner jetzigen Perspektive zu überarbeiten, anzupassen, in ihrer Stoßrichtung neu zu justieren, und es gilt endlich den zweiten, kritischen Teil zu schreiben. Bis hierhin möchte ich aber nicht darauf verzichten, doch zumindest einige Eindrücke aus den bisherigen Lektüren hinzuzufügen. Als wesentliche weitere neue philosophische Lektüre-Sphären, welche ich erschlossen habe, rechne ich: 1. Levinas, Derrida, überhaupt die intensive Lektüre von Husserl und Heidegger. In Levinas Denken sehe ich vor allem ein Gebiet, auf welchem ich eine nähere Ausführung kontraaristotelischen Denkens aufbauen möchte, bei Derrida viele wichtige Impulse und Hinweise, wie ich dieses Denken konkreter fassen könnte, und wo wiederum dessen Blindheiten und Grenzen zu verorten seien 2. Zudem der Marxismus und die kritische Theorie, auch hier sehe ich in jedem Fall entscheidende Impulse, um die politische Seite der Zeitkritik zu entwickeln, 3. Eine intensive Freud-Lektüre, durch die ich meine Kenntnisse um das Problem der Intersubjektivität vertiefen konnte.
Was ist nun zu tun? Es ist hier rudimentär vorzuzeichnen, wo die Reise hingehen könnte. “Kontraaristotelik” dreht sich um das Verhältnis zum Anderen, ein Moment, welches in der Ethik der Selbstverwirklichung und der Politik im Ausgang der Ideen nicht eingeholt werden konnte. Der Andere tritt in unterschiedlichen Manifestationen auf, zunächst natürlich als sinnliches und empfindendes Wesen, dann als freies und entscheidendes Wesen, schließlich als denkendes Wesen. 1. Die empfindsame Leiblichkeit des Anderen will man befreien oder unterdrücken, auch 2. seine Überzeugungen und die Kraft, sich solche zu bilden, dann gibt es 3. zuletzt das Feld der am Anderen orientierten Politik, wo die dinghaften Begriffe kritisiert und zerstört werden, die im Ich ihren Ursprung haben und im aristotelischen System der Politik nur in Staaten und andere zentralisierte und unveränderliche Gebilde münden können. Alle drei Sphären sind die Invertierung der bekannten aristotelischen Grundformen des mit dem Selbst beschäftigten Aktionsformen, die sich um den 1. sinnlich genießbaren Körper, 2. das Sprechen und Handeln und dann den 3. Intellekt und die Selbstverwirklichung und Politik drehen. Diese drei Sphären, die ursprünglich auf die platonische Scheidung in Einzelding und Idee zurückgehen, gibt es also bei beiden Gebieten. Es ist davon auszugehen, dass die entsprechenden Lebensformen und Lebenswiesen der alten Ethik in der neuen Ethik eine gewisse Wiederkehr finden.
1. Die Leiblichkeit des Anderen
Wie ist die Andersheit des Anderen zunächst zu denken? Die radikale Andersheit ist erst keine des objektivierbaren Anderen, der in seinen Bedürfnissen und Interessen durchschaubar ist, über den man Wohlwollen und Behütung üben kann, dann wäre man wider im Feld des aristotelisch-platonischen Politischen. Wenn sich der Andere nun doch auch als Leiblichkeit zeigt, so ist diese Leiblichkeit keine der gestalteten und begreiflichen Leiblichkeit, sondern einer, welche das Erkennbare überschreitet. Man kann sie nicht haben und nicht festhalten. Es ist eine sinnliche, körperlose Leiblichkeit, die zugleich immer frei ist und immer frei bleiben muss. Zugleich ist aber doch die Welt der Körper präsent: Also die des Sklaven und des Herren, der Polizei und der Zivilbevölkerung, der Gewalt und der Unterdrückung, der Arbeiter und Kapitalisten, des Genusses und der Knechtschaft, aber über die will man hinausstreben. Für Freud ist klar, dass alle Beziehung zum Anderen aber zunächst als eine destruktive, sadistische beginnt. Der Sadist will den Anderen in seiner Freiheit zerstören; er will ihn nicht nur zum Sklaven machen, ihn benützen oder genießen, sondern hinter diese Oberfläche greifen und das Innere des Anderen vernichten.
Was schließt aber diese Zerstörung der Freiheit ein? Es ist das Unglücklichmachen, ein Absterbenlassen und es ist ein Unfreimachen. Es ist das Überführen des Anderen, wenn er Glücklich sein will, zur äußersten Spannung des Leids, und es ist dann ein Zerstören dieser gespannten Subjektivität, dann wieder das Befriedigen des Anderen, bei gleichzeitiger Beraubung seiner Fähigkeiten. Das sadistische Leben entdeckt die Andersheit des Anderen, dieses Unbezügliche, Unverfügbare und will es zerstören. Dieses Andere ist aber stets ein leibliches Anderes, er will das kaputt machen, was der andere leiblich fühlt, erstrebt, indem er macht über seinen Körper gewinnt, und doch eigentlich die unkörperliche Leiblichkeit finden will. Das sadistische Fühlen hat einen relativ positiven Bezug zur Vorwelt der Körper, des Strebens nach Glück und Formvollendung, obwohl er zugleich in seinem Streben radikal darüber hinausgeht. Es fragt sich hier: Wo kommt dieses Streben her? Und wo führt es hin? Es ist vor allem gegen die Subjektivität des Anderen gerichtet. Es ist ein echter Hass; und ein echter Hass schlägt gern in einen erwiederten Hass um. Hier ist vielleicht an Sartres Bestimmung des Hasses anzuknüpfen, er bestünde darin, kein Objekt des Anderen sein zu wollen, also seine Freiheit zu hassen.
Für Freud ist bekanntlich das Perverse mit einer sie negierenden, verdrängenden Neurose verknüpft, und der Sadismus eine typische Form der Perversion. Dessen Neurose ist die des Zwangsneurotikers, der mit dem Helfersyndrom und dem Moralisten höchst verwandt ist. Hier wird der Andere zwanghaft verwirklicht, in seiner spezifischen Freiheit, sich leiblich zu erfüllen, will ihm Glück, Freiheit, Zufriedenheit, Selbstbestimmung geben. Er wird seine sadistischen Impulse in solche verwandeln, die die Leiblichkeit des Anderen begünstigen; daher ist der Zwangsneurotiker erstmals eusozial. Die Verwandtschaft von Zwangsneurose und Verliebtheit ist zu erwähnen, es wendet sich häufig alles gegen das Ich, um aber dafür dem Anderen alles zu geben, was zugleich desexualisiert wie auch liebevoll und fürsorglich ist. Es gibt ein latentes Erstreben des betroffenen Neurotikers, diese Freiheit die er dem anderen gibt, umgekehrt auch vom Anderen erwiedert zu bekommen. Es ist eine Art Liebe und Gegenliebe. Aber zumeist kann und wird der Andere auch nicht zurücklieben, sondern er wird die Liebe dem man ihn entgegenbringt, benützen - sei es zu seiner Selbsterhaltung, zu seinem Genuss oder irgendetwas anderes. Wenn auch das Helfen und die Moral über die Welt der Körper und der Herrschaft hinausweist, so tut es das nicht besonders effektiv, und allzu häufig wird der Liebende und der Moralist einfach ausgenützt.
Diese beiden Ur-Figuren des Bezugs zum Anderen sind wohl hier anzunehmen. Es fragt sich hier aber, wie die beiden anderen sind, welche damit zusammenhängen. Es wurde bei der Aristotelik eine Vierheit von Formen im Körperlichen entdeckt, Genussleben, Askese, Selbsterhaltung und Selbstzerstörung. Wie steht es nun hier? Es ist möglich, es ist davon auszugehen, dass hier auch 4 liegen, und dass sie an der Problematik des Dritten entspringen, oder vielleicht die besagten 2 Formen auch durch das Problem des Dritten modifiziert werden müssen, wie ja auch die Schwierigkeit bei der Aristotelik durch den Zweiten (Anderen) entsprungen ist. Wie kommt aber der Dritte hier ins Spiel?
Der Dritte ist bei einer dyadischen Beziehung nie ein Problem, das liegt in ihrem Begriff. Bei Sadismus und seiner Aufhebung wäre in einem dyadischen Verhältnis sofort deutlich, wie man weiter fortfahren muss. Nun ist aber meistens, fast immer ein Dritter da. Dieser Dritte muss als Problem beseitigt werden, damit das Verhältnis vollendet ist, es muss wieder auf ein Ich-Du-Verhältnis zurückgebracht werden, der Dritte muss also in das Ich oder in das Du eingefügt werden. Es gäbe folglich zwei Modi, einmal das Verhältnis zum Du, bei welchem der Dritte noch da ist und folglich alles konfus, elementar, ungerichtet ist, und dann das Verhältnis zum Du, wo das durch das Hervorbringen einer eindeutigen Dyade das Problem des Dritten behoben ist oder auf die Aufhebung geht. Die Konfusion ist das, worin alles beginnt.
Die einzig sinnvolle Form der Re-Arrangierung des konfusen Verhältnisses ist: Dass alle mit einander im Widerspruch stehenden Anderen zu Einem anderen werden, zu einem Alle, dem das Ich gegenübergestellt ist. Diese Grundidee müsste man dann aber bei beiden Formen des Bezugs zum Anderen durchspielen. Das ist nun beim zwangsneurotischen, helfenden Bezug zum Anderen deutlich einfacher, zumindest dem Anschein nach, zu konstruieren:
Alle werden befreit. Das, was ihren Widerspruch erwirkt und was dann zerstört werden kann, ist das Ich, und alle damit eng zusammenhängende unvermeidlich Kollateralschaden nehmende Strukturen und Personen, die zum Wohl des Ganzen zerstört werden müssen. Diese Momente sind eine kostbare Seltenheit, sie sind aber auch zwingend eine Situation, in dem viel Täuschug liegen kann, somit der mögliche Schaden groß ist. Es ist eine Nicht-Parteinahme, weil man für alle kämpft, das Allgemeine also, zugleich aber doch etwas bekämpft. Eigentlich dürfte aber jeder Kampf, bei dem gegen die Unfreiheit einer Bevölkerung bekämpft wird, also zu deren eigener Befreiung genau diesen Charakter haben. Diese abstrakte Bestimmung verweist auf die Beseitung der Form überhaupt, was aber natürlich in der besonderen Bestimmung der Sinnlichkeit nur bedeuten kann, dass man sich der Körperlichkeit entledigen will. Die Parteinahme für alle kann nur dann erfolgreich sein, wenn man die Anfangsbedingungen zerstört, welche die gegenseitige Liebe unterbinden, d.i. die Körperlichkeit, womit natürlich auch gerade das System von Genuss und Unterdrückung gemeint ist. Insofern ist klar, dass die Befreiung aller nur damit einhergehen kann, dass auch sehr viel zerstört werden muss, das nämlich, was ihre unterdrückerische Vereinheitlichung hervorbringt und verhindert, dass sich alle in eine sich liebende und achtende Pluralität von Anderen auflösen können. Das Ziel ist ein Machtvakuum, in der es keine Unterdrückung, sondern nur widersprüchliches Nebeneinander von Individuen gibt, die diesen Widerspruch nicht tilgen wollen. Diese Figur findet sich etwa in Benjamins Vorstellung des Aufstands der Unterdrückten durch reine Gewalt, sowie bei Adorno in der Figur des antifaschistischen Widerstandskämpfers, der beschließt, zum Wohle aller Hitler zu erschießen, ganz egal was das für das eigene Leben und das der eigenen Familie bedeuten mag.
Umgekehrt wäre dann der Hass in eine Dyade zu überführen. Alle werden hier unfrei gemacht, oder aber, die Anderen als Anderen werden aufgehoben. Diese Aufhebung ist auch gegen die Welt der Körper gerichtet, gegen das System der Herrschaft und der Unterdrückung. Diese schlechte Welt wird aber nun dadurch aufgelöst, dass man eine allgemeine Fusion der verschiedenen Subjekte anstrebt, alles sollen sich zu einer Einheit hin verschmelzen, in der Subjekt und Objekt aufgehoben sind. Das Streben nach Verschmelzung ist eine Art und Weise, den Widerspruch mit der Subjektivität anderer aufzulösen. Es kann gut sein, dass bei näherer Betrachtung dieses Bestreben näher an der Liebe zu liegen scheint, als am Hass. Man könnte sagen, dass Denker wie Klages, Bergson und viele andere Lebensphilosophen, welche die Einheit mit der Natur widerherstellen wollen, ein solches Interesse haben. Es ist eigentlich durchweg Regressiv.
Es ist zu beobachten, dass eigentlich beide dyadischen Formen des Bezugs zum Anderen, das Befreien und Verschmelzen, eine negativen Bezug zur Welt der Körper haben, in der die Herrschaft und die Unterdrückung stattfinden, überhaupt alle Staatlichkeit. Beide erscheinen somit als “links” im Sinne davon, dass sie die Herrschaft, also das System der Hierarchie von Oben und Unten, Körper und Geist, Herr und Sklave, Souverän und Untertan zerstören wollen. Sie tragen auch beide eindeutig die Züge beider Urfaktoren an sich. Die Verschmelzung ist eine Art von bestimmte Liebe und bestimmter Hass, es ist ein Hass auf die Trennung und Vereinzelung, und eine Liebe den qualitativen und formgebenden Merkmalen, die den Widerspruch hervorbringen. Umgekehrt ist aber auch die Befreiung ein Akt, der Hass enthält, nämlich gegen die strukturellen Merkmale der den Widerspruch hervorbringenden Momente, d.i. gegen die formgebenden Merkmale. Sadismus und Zwangsneurose können nicht aus der Welt der Körper und der Herrschaft ausbrechen, auch wenn sie beide darüber hinausstreben wollen. Wahrscheinlich ließe sich sagen, dass es Levinas und auch Rosenzweig nicht über das zwangsneurotische Moment schafft, das erfolgt dann erst bei poltischen und nicht mehr bloß moralisch-religiösen Fortdenkern dieser Gedanken, etwa Benjamin und Adorno. Damit wären die 4 Grundpositionen der leiblichen Welt umrisshaft beschrieben:
1.1 Sadistisches, orientierungsloses Streben, den Anderen unfrei zu machen, dass sich in Widersprüche verwickelt.
1.2 Zwangsneurotisches, orientierungsloses Streben, den anderen frei zu machen und zu helfen (Levinas, Rosenzweig).
1.3 Streben nach Fusion mit dem dyadischen Anderen, der Zerstörung der Materie, durch die die Körperwelt zerstört wird (Klages).
1.4. Streben nach Emanzipation des dyadischen Anderen, der Zerstörung der Form, durch die die Körperwelt zerstört wird (Benjamin, Adorno).
2. Die Entscheidungskraft und das Sprechen des Anderen
Hier spielt dann der Gedankenkreis des mittleren Levinas die entscheidende Rolle. Wahrscheinlich ist der “Übergang” in diese Sphäre dadurch zu leisten, dass eien Welt ohne körperliche Gewalt, wie sie durch eine erfolgreiche staatlich-ökonomische Emanzipation möglich wäre, noch die Meinungen als Sphäre der Herrschaft übrig bleiben. Der Andere erscheint hier vor allem im Zusammenhang mit seiner Stimme und seinen Bestrebungen, die sich nach Meinungen und Überzeugungen richten. Es ist notwendig, diese Art von Verhältnis zum Anderen von der plumpen Hörigkeit und Trotzigkeit streng zu unterscheiden, die in Rücksicht auf das Entscheidungsvermögen zu konstatieren ist; es geht hier nicht darum, dass das Selbst an Meinungen hängt, unfrei ist, sondern der Andere. Auch hier ist wohl anzunehmen, dass die Grundformen der Subjektivität, die im Zusammenhang mit der Leiblichkeit aufgetreten sind, zusammenkommen. Es ist also anzunehmen, dass wir hier folgende Figuren finden:
2.1 Streben, die Meinung des Anderen zu zerstören oder ihn gegen seine eigene Überzeugung verstoßen zu lassen
2.2 Streben, dass der andere seiner eigenen Überzeugung entsprechen könne
2.3 Streben danach, dass der Unterschied zwischen den Meinungen verschwinde, alle ein Denken haben.
2.4 Streben nach der Pluralität der Meinungen, bzw. des eigenständigen Urteilens eines jeden.
Hier ist wahrscheinlich anzunehmen, dass besonders 2.4 der Grundidee des geistigen Liberalismus entspricht. Entgegengesetzt ist diese Bestrebung vor allem der Idee einer autoritären Kirche, d.i. einer Unterordnung der Vielen Menschen unter einen Glauben und einer Meinung. Die Selbstständigkeit des Urteilens ist das Ziel. Hier wäre vielleicht die Reformation als eine vergleichbare Idee zu nennen.
Diese beiden Ebenen - die des Sprechens und die der Leiblichkeit des Anderen - sind wohlmöglich höchst verwoben. Eine echte Emanzipation muss natürlich beide Ebenen umfassen.
3. Geisteswissenschaft und Dialektik
Es ist nun anzunehmen, dass die ganze Sphäre der Untersuchung der Subjektivität des Anderen auch die Wurzel für das ist, was man eine Geisteswissenschaft nennen könnte. Geisteswissenschaft bedeutet: Es geht um die Hebung der Subjektivität. Mit Günther sagen wir: Die Subjektivität ist Reflexion, sie ist Abbild des Seins; aber wie wird diese Subjektivität nun greifbar, wenn doch alle Wissenschaft Seiendes beschreibt? Hierin liegt zwingend eine Paradoxie; es kann aber nicht angehen, ihr einfach auszuweichen, vielmehr gilt es ihr auf eine angemessene Weise zu begegnen.
Wichtig ist dabei eine klare Bezugnahme, Abgrenzung, Würdigung dessen, was man üblicherweise oder klassischerweise unter Geisteswissenschaft verstanden hat. Diese war ursprünglich höchst verwandt, nahe an der Lebensphilosophie, welche einen unmittelbaren Bezug zum eigenen unmittelbar erlebten, qualitativ gefüllten Leben annahm und auf diesen zurückverwies. Dieses ursprüngliche Sichverstehen im eigenen Leben ist nun höchst mysteriös, irgendwie nicht einholbar, weder experimentell überprüfbar, noch eigentlich symbolisierbar oder mitteilbar. Das eigene Leben, dieser Strom der Zeit, war aber irgendwie da, und irgendwie war es möglich, sich darauf indirekt zu beziehen, in einem Verweisen. Das Verweisen geht auf die eigene Subjektivität und in Analogie dazu auf andere Subjektivität, die als ähnlich fühlend angenommen wird, sie setzt zugleich einen Unterschied und Bezug zwischen dieser konkreten Lebenswelt des Ich, des Anderen und der formellen Möglichkeit der Lebenswelt überhaupt. Das Verweisen auf die Lebenswelt überhaupt ist das, was man formale Anzeige nennen könnte - alle frühere, hermeneutische Geisteswissenschaft bewegt sich wahrscheinlich in diesem Gewässer, das Heidegger entdeckte. Die so verstandene hermeneutische Geisteswissenschaft mag neue Phänomene umreißen können, die sonst nicht in der klassischen Wissenschaft aufgehen, ist aber immer auch romantisch, wehmütig, weil sie nämlich nur das verlorene Leben hinter der Verdinglichung zeigen und setzen kann, das verlassene und zerstörte Paradies; oder aber eine ganz formalisierte und entleerte Variante davon, welche sich schnell zum Apriori erheben dünkt, wie es etwa bei Heideggers Begriff des Daseins passiert.
Die Geisteswissenschaft, ihr zugehöriges Moment der Lebensphilosophie kann nur das zeigen, wohin die Fusion führen würde, oder aus welchem Urgefühl heraus das verdinglichende Leben der bewussten Herrschaft erwachsen ist. Sie ist somit mit dem Trieb zur Fusion eng verwandt; oder aber die hermeneutische Geistessiwssenschaft ist diejenige Weise der Anzeige, durch welche das Ziel der Fusion deutlich wird. Die so verstandene Geisteswissenschaft hat aber noch eine andere wichtige Aufgabe. Indem sie das Urgefühl aufweist, aus dem die dinghafte Welt hervorgeht, so zeigt sie den Ursprung der verdinglichenden Natur-Wissenschaften auf. Sie hat also noch eine besondere Beziehung zur Welt der anderen, metaphysischen Wissenschaft nach dem Vorbild des Identitätsprizips, also die komplizierte Welt der Biologie, Psychologie, Sozialwissenschaften, usw, die in unterschiedlicher Form objektivieren, bestimmen, unterteilen, quantiativ und kausal einzuschätzen. Die Geisteswissenschaft zeigt auf, dass sie alle nur aufgrund des fließenden und strömenden Lebensgefühls möglich sind, also auf einer qualitativen Urform, die aller Verdinglichung vorausgeht. Sie kritisiert diese Wissenschaften. Man könnte dem noch hinzufügen, dass die empirischen Naturwissenschaften auf dem gefüllten, vollen und qualitativen Leben beruhen, während die korrelative Mathematik auf dem entleeren und formalen Leben beruht, der Zeitlichkeit, welche Heidegger aufgewiesen hat. Alle diese Kritiken, diese Aufweisungen des Urgefühls sind aber auf die (intelligible) Vergangenheit bezogen, es sind alles Dinge, die verloren sind. Geisteswissenschaft kann in diesem Modus nur das Vergangene zeigen und es romantisieren. Wahrscheinlich würde Badiou behaupten, das Denken der Geisteswissenschaft wäre durch seine Überanwendung nicht verdinglichbarer, qualitativer und synästhetischer Momente ein Obskurantismus.
Bei Benjamin sehen wir in der Kritik und Auseinandersetzung mit der Lebensphilosophie in Gestalt von Bergson, Klages, eine klare Abgrenzung dieses Modells, ohne aber zugleich seine Erkenntniskraft zu leugnen. Für Benjamin ist wie auch für Proust dieses Lebensgefühl, dass die hermeutische Geistesswissenschaft beschreibt, irgendwie da und zugleich nicht mehr einholbar, verloren, Index der vergangenen Zeiten vor der Rationalisierung. Diese Versperrtheit des qualitativen Lebens nimmt Proust aber zum Anfang, sich auf die Suche dieser verlorenen Zeit zu machen - eine wie wir jetzt sehen durchweg regressive, auf Fusion ausgehende Unternehmung. Benjmain stell sich selbst, zusammen mit Baudeliere, auf die Seite derjenigen, welche diese Erfahrung für unwiederuflich verloren erachten, sie werden getrieben vom Spleen, dem Trübsinn als dem eigentlich modernen, verbitterten Gefühl. Die Qualitäten, die Aura, die festen Formen sind unweigerlich verloren! In dieses Gefühl der für immer verlorenen Zeit muss man sich vertiefen, um einen Ausweg aus der Romantik zu suchen.
Der regressiv gewendeten Geisteswissenschaft ist nun etwas anderes entgegenzusetzen, und das wäre eine progressive und materialistische Geisteswissenschaft. Eine solche Bestrebung würde versuchen, aus den gegebenen und gewesenen Formen auszusteigen, also auf das Naturwissenschaftlich-Dinghafte und Geisteswissenschaftlich-Qualitative aufweisbare. Das Mittel um eine solche Unternehmung zu vollziehen, ist die Dialektik. Die Dialektik weist auf, was die Widersprüche oder das Negative der gegebenen Formation des Dinglichen ist, ohne das Künftige daran zu spezifizieren oder in die Lobpreisung des Vergangenen zurückzufallen. Das Moment, an welchem sich diese Operation zeigen müsste, wären eigentlich alle Naturwissenschaften und die Lebenswissenschaften im Besonderen; an all diesen Formen müsste man eine dialektische Aufhebung vollziehen können, welche nicht regressiv ist. Die dialektische Geisteswissenschaft ist nach dem Vorbild von Günther zu entwerfen, als ein Denken, welches auf transzendente Subjekte gerichtet ist, die also in keinerlei Nähe zum eigenen Erleben stehen. Umso wichtiger scheint in diesem Zusammenhang zu sein, wie zusammen mit diesen als Fremd angesehen Subjekten die Wissenschaft konstituiert wird. Wahrscheinlich ließe sich die Psychoanalyse und der historische Materialismus als eine Wissenschaft ansehen, welche versucht, auf diese Subjekte einen Zugriff zu erlangen. Eine klare Abgrenzung zu den Qualitäten der Geisteswissenschaften ist hier eminent wichtig.
4. Die Politik in Bezug auf den Anderen. Progressive und Regressive Politik.
Die Politik, welche aus dem Verhältnis zum Anderen erwächst, müsste im Zusammenhang mit dem Beschriebenen erdacht werden. Es muss Politik geben, welche ich auf die Befreiung des Anderen richtet, dann auch auf jene, die ihn unfrei machen will und auf Regression aus ist.
Die Befreiung des Anderen zu erwirken, das ist die emanzipative Politik im strikten Sinn des Wortes. Sie richtet sich negativ gegen bestimmte Begriffe im Ich oder der bestehenden staatlichen Struktur, und positiv auf die unterworfenen Anderen, die dem unterworfen sind. Somit setzt diese Art der Politik die Kenntnis der falschen Begriffe voraus, kennt meist nicht eine bestimmte, freie Zukunft, wohl aber eine zu fliehenden Vergangenheit. Alle emanzipative Politik bedient sich ob wissentlich oder nicht der Dialektik. Sie überführt z.B. die Erfahrung des eigenen Lebens, auf welche die Biologie aufbaut und die wehmütig herbeigesehnt wird, und die dinghaften Kategorien des Biologischen, mit denen eine falsche Politik gelenkt wird, in eine dialektische Aufhebung. Und so auch mit den übrigen Kategorien. Es gibt bei der dialektischen Politik normalerweise kein bestimmtes positives Ziel, das man erreichen will, sondern nur Kritik des Gegenwärtigen und Vergangenen; ganz besonders wenn man sich Adorno und Benjamin anschaut - Marx, Badiou kennen “positive” Synthesen als Zielpunkte emanzipativer Politik und setzen sie als zwingend voraus. Es kann sein, dass die progressive oder emanzipative Politik auch eine Abgrenzung zur Regressiven braucht, um sich überhaupt orientieren zu können. Die progressive Politik ist darauf aus, ein Ereignis in politischer Hinsicht zu sollizitieren. Sie hat keine konkreten Inhalte, keine lebbaren Qualitäten, sondern greift auf etwas Uneinholbares vor.
Dem steht die Politik entgegen, welche ein verlorenes Lebensgefühl wieder herbeiführen will. Eine solche Politik bedient sich der Geisteswissenschaft und ihrer qualitativen und hermeneutischen Begriffe, um die dinghaften Begriffe und die damit ermöglichte organische Struktur des Staates zu zerstören. Die regressive Politik ist typisch für den manifesten Faschismus, der die Zeit zurückdrehen will, der sich obskurer und unwissenschaftlicher Gefühle bedient, ohne zugleich direkt religiös zu sein. Sie bringt ein Gegen-Ereignis hervor und will die dinghafte Welt und ihre wissenschaftlich klaren Begriffe, übrhaupt die Rationalisierung der Lebenswelt zerstören. Auch wenn es natürlich richtig ist, dass es unmöglich ist, die Zeit zurückzudrehen, lehrt die Geschichte leider das Gegenteil: Die Geschichte kennt tatsächlich Rückschläge, Verkehrungen der Aufklärung in Mythologie - und zwar nicht wenige. Das Frauenbild der 50er Jahre war ein Rückfall hinter das der 20er, der gegenwärtige Nationalismus, Autoritarismus und Protektionismus Bruch mit dem wenigen, was die neoliberale Phase noch gut gemacht hatte. Sie scheitern aber darin, keine echte Vergangenheit hervorzubringen, sondern eine künstliche, schlechtere, Verdrehtere, Sinnlosere.
Progression und Regression verweisen natürlich auf eine evolutionistische, vielleicht sogar lineare Geschichtsvorstellung. Man könnte behaupten, dass es in beiden Formen der Politik einen Bezug zur Geschichte im Sinne einer dialektischen, die Form des Politischen betreffende Veränderung gibt, eine politische Bestrebung, welche schon in den etwas primitiveren Varianten angelegt ist, welche die körperliche Welt zerstören wollen. Es ist deutlich, dass die Idee einer Entwicklung in der Geschichte, die Forderung der Befolgung ihrer Logik auch dafür sorgen kann, dass man in die hegelianischen und marxistischen Ideen hineingerät, dass die Künftigen ein Eroberungsrecht gegen die Früheren haben, dass z.B. gegen autoritäre Regime ein Recht zur Eroberung besteht, wenn man diesen dann den Liberalismus bringt, oder auch gegen die kapitalistischen Länder, wenn man dann den Sozialismus bringt - die Logik von Napoleon und Lenin. Diese Kosequenz muss aber nicht unbedingt problematisch sein. Sie zeigt aber auf, dass diese Formen der Politik potenziell durchaus ein echtes und reales Korrelat haben können. Das Machtvakuum zu erzeugen kann auch ein gradueller Prozess sein oder als ein solcher interpretiert werden.
5. Die zwei Politiken der Aristotelik und die 2 Politiken der Kontra-Aristotelik
Wenn man nun die beiden gehobenen Politik-Formen der Kontra-Aristotelik nimmt und sie mit den beiden Politik-Formen der Aristotelik vergleicht, so kommt man auf eine neue Vierheit der Politik, die man locker auch mit den Familienfiguren von Vater, Söhne, Mutter, Töchter verbinden könnte. Das Wesentliche ist hierbei aber nicht ein familiär-politischer Mystizismus, sondern die gegenwärtigen Orientierungspunkte des politischen Handelns zu bestimmen, die sich durch bestimmte Negationsformen aus dem Gegebenen ergeben.
1. Elitäre, organische Politik - bei Aristoteles, Platon. Sie sucht die Selbstverwirklichung und Vervollkommung des Ganzen durch naturwissenschaftliche Begriffe des guten menschlichen Lebens zu erwirken. Der Zielpunkt ist der Philosophen-Staat oder auch schlechtere Zerrbilder von ihm, die Verwirklung aller Tugenden und vor allem des Glücks der Betrachtung. Es ist die Politik des Urvaters, oder auch des schlechten, narzisstischen Vaters, der seine Kinder beneidet, unterdrückt oder nach seinen Vorstellungen formen will. Saturn als Paradebeispiel.
Heutzutage entspräche dem das breite Spektrum Politik von der linken Identitätspolitik, über verschiedene Varianten des autoritäreren Zentrismus, wie er in Frankreich oder Deutschland anzutreffen ist, bis hin zum autoritären Rechtspopulismus in den USA, Ungarn, Russland; auch China dürfte so einzurodnen sein. Es ist also auch das Spektrum von repräsentativer Demokratie bis zur autoritären Diktatur hier zu finden, vom Globalismus bis hin zum Multipolarismus oder Nationalismus. Ziel ist die Stasis oder Modifikation des politschen Körpers, der nur als Staat gedacht werden kann, durch das Erhalten und Verwandeln der Gesetze, Ideale und Prinzipien, die ihn bestimmen. Diese Form der Politik will die Selbstverwirklichung über das Individuum hinaus, im Staat als dem erweiterten Selbst des politisch denkenden und tätigen Menschen erreichen. Gemeinsame Abgrenzungsfolie ist der Liberalismus, sowie die nun genannten politischen Formen.
2. Egalitäre, demokratische Politik - bei Rousseau, Babeuf, Frühsozialisten, teilweise Badiou; anhand mathematischer Begriffe wird eine Selbstbestimmung der vielen Individuen in der Gemeinschaft erwirkt. Es ist die Politik der Söhne, der Brüderhorde, die den Urvater töten und alle Herrschaft kollektivisieren. Oder eben des guten Vaters, der die Kinder nicht unterdrückt, behütet, sondern ein Auskommen der Gleichheit und des innerfamiliären Konsenses finden will.
Die Diktatur des Proletariats bei Marx, Badiou und Ähnlichen ist eine bestimmte bloß instrumentelle Phase egalitär-demokratischer Politik, welch darauf hinführen soll, den Staat überhaupt abzuschaffen, d.i. ein Ziel in Richtung 4 zu erreichen. Heutzutage ließen sich unterschiedliche Formen der Forderung eines globalen oder auch nur nationalen durchweg demokratischen Gemeinswesens im Angesicht der Klimakrise als Versuch ansehen, diese Form zu verwirklichen. Das Problem hierbei ist, dass in einer solchen sozialistischen Demokratie das Individuum als Wähler und Begünstigter vorausgesetzt werden muss, das aber intrinsisch Produkt der schlechten kapitalistischen Welt und ihres Personenbegriffs ist. Man transformiert also nur die bestehende Ideologie des Individuums von einer inegalitär-hypostasierten-organischen Form in eine egalitäre, ohne dass die Struktur als solche verändert worden wäre.
3. Regressive, verschmelzende Politik - bei Klages, Lebensphilosophie überhaupt, beim Faschismus. Das Ziel ist der Rückfall hinter die bestehende Form der Verdinglichung, hin zum fließenden Leben um eine größere soziale Dichte und Kohäsion, eine geringere Pluralität zu erwirken. Es ist die Politik der Ur-Mutter, oder auch der schlechten Mutter, welche ihre Kinder als Teil von sich ansieht und sie wieder in sich hineinziehen will. Sie will den Vater oder die Herrschaft der Söhne brechen, indem sie die Welt der getrennten Verhältisse und der Organisation auflöst. Gaia, welche gegen die Herrschaft der Titanen, dann der Olympier aufsteht.
Wahrscheinlich sind die schlimmsten unter den Rechtspopulisten, Verschwörungstheoretikern, dummen Hippies und Aussteigern Anhänger dieses Politik-Typus. Sie wollen den Staat, die technische Welt, die Moderne im Ganzen verendlichen oder gleich zerstören. Alexander Dugin wäre hier zu nennen.
4. Progressive, emanzipative Politik - bei Benjamin, Adorno, auch teilweise Marx und Badiou. Das Ziel ist die Zerstörung der bestehenden Form des Staates, der Entfesselung der in ihm unterdrückten Pluralität und die Hervorbringung eines Machtvakuums, in dem sich diese Pluralität widerspruchsvoll entfalten kann. Es ist die Politik der Töchter, welche ihren Vater oder auch die Brüder vernichten wollen und keine andere, alternative Herrschaft installieren, welche das Vakuum füllt, sondern die Leere als diese belassen.
Heutzutage entspräche dies dem Versuch, aus den gegebenen Formen des politischen Lebens auszubrechen und eine neue zu suchen, welche den Kapitalismus und auch seine immanent mit ihm gegebenen Begriffe des Menschlichen hinter sich lässt; also eine vollständige Negation alles Gegenwärtigen und Gegebenen.
2 und 4 bilden wahrscheinlich die “linkeren” Formen der Politik, wobei besonders 3 den gefährlichen, falschen Anschein linker Politik hat, weil sie auch gegen die Herrschaft und die Organisation gerichtet ist; umgekehrt 2 zwar Gleichheit bringt, aber zugleich die Unfreiheit bringt. Nur 4 kann echte Befreiung bringen. Marx und Badiou sind wahrscheinlich dadurch charakterisierbar, dass sie eine Kombination von 2 und 4 anstreben, d.i. entweder eine Zerstörung der bestehenden Verhältnisse, welche dann in einer fernen, unbgreiflichen Gleichheit mündet (wie in Marx’ Frühwerk von 1844), oder umgekehrt das Bestreben, eine Gleichheit herzustellen, welche dann der Ansatzpunkt ist, um auch diese Struktur langfristig zu zerstören (wie es etwa der Dualismus von Diktatur des Proletariats und Kommunismus darstellt).
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Anmerkungen und Entwürfe zur gegenseitigen Ergänzung der Psychoanalyse und der Stellenwertlogik Gotthard Günthers
In diesem Artikel möchte ich einige skizzenhafte Anmerkungen, Entwürfe und Ideen sammeln, welche auf eine nähere Auseinandersetzung zwischen der Psychoanalyse und der mehrwertigen Stellenwertlogik Gotthard Günthers zuarbeiten. Die Verknüpfung dieser beiden recht weit voneinander entfernt wirkenden Theoriekomplexe, welche sich auf scheinbar sehr unterschiedliche Probleme und Schwierigkeiten beziehen, mag etwas verwundern und sollte daher zuerst gerechtfertigt werden. Auch möchte ich kurz wegen dessen anhaltender Unbekanntheit in G. Günther einführen.
Inhaltsverzeichnis
1. Der Narzissmus und die seinsthematische Logik.
2. Die Zwangsneurose und die reflexionsthematische Logik.
3. Die absolute Reflexion und die das einwertige Bewusstsein. Die Entwicklungsstufen.
4. Probleme, die sich aus dieser Zusammenstellung ergeben.
Günthers logisches, philosophisches und kybernetisches Werk entwickelte sich wie das vieler deutscher Intellektueller zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Ausgang der Frage nach den Geisteswissenschaften.[1] Anders als die lebensphilosophisch orientierten Klassiker hierzu, Dilthey, Heidegger und Klages, welche die Quelle geisteswissenschaftlichen Wissens in der distanzlosen eigenen Erfahrung des Lebens und der Einfühlung in das Leben anderer suchten, schlug Günther einen sehr unkonventionellen Weg ein, um sich diesem Problem anzunähern. Im Ausgang der hegelschen Wesens- oder Reflexionslogik postulierte Günther eine zweite, parallele Reflexions-Logik, die neben der klassischen zweiwertigen Logik existieren müsse und in der Lage sein müsste, die Probleme der Geisteswissenschaften anzugehen.[2] Günthers Logik entwickelte er während seines Lebens beständig fort, etwa ab den 50er Jahren nahm Günther an, dass die gesuchte Logik, die das Intersubjektive beschreiben können solle, mehrwertig sein müsse, näher mindestens 3 logische Werte einschließen müsse, um das Wechselverhältnis von mehreren Subjekten formal begreiflich werden zu lassen.
Die immer wieder von neuem beginnenden und teilweise recht unzugänglichen Werke Günthers befassten sich neben den eigentlich logischen und philosophischen Problemen hauptsächlich mit technikphilosophischen, naturphilosophischen, geschichtsphilosophischen und wissenschaftstheoretischen Fragen. Günther lebte geistig recht isoliert, etwas abgeschieden von den lauten Diskussionen der deutschen Nachkriegsphilosophie. Engen Kontakt pflegte er mit den Kybernetikern und Pionieren der Informatik aus Amerika, unter Anderem etwa Heinz von Foerster, McMulloch, Norbert Wiener. Von der Psychoanalyse fehlt in seinen Werken jede denkbare Spur; und umgekehrt gibt es auch keinerlei psychoanalytische Rezeption der Werke Günthers. Weswegen also diese Überkreuzung, wenn es scheinbar gar keinen direkten rezeptionsgeschichtlichen Bezug zueinander gibt? Das Gedankenexperiment rechtfertigt sich letztlich einzig und allein aus der Ähnlichkeit und Zusammengehörigkeit der behandelten Sachfragen, wenn man von ihren oberflächlichen Differenzen abzusehen vermag.
Die Psychoanalyse, als Einheit von Praxis und Theorie, befasste sich von ihren Anfängen an mit dem Problem der menschlichen Psyche, mit ihren Krankheiten, ihrer inneren Struktur, ihrer normalen und abnormalen Funktionsweise. Freud wurde schnell klar, dass die individuelle Psychologie und Psychoanalyse eine reine Fiktion ist,[3] dass fast alle Neurosen, Perversionen und psychischen Phänomene durch eine enge Bezugnahme auf Andere geprägt sind, ja oft sogar gerade darin ihr Pathologisches haben, sich zu sehr auf andere Subjekte zu fixieren. Zuletzt rückte auch mit dem Fortschreiten der psychoanalytischen Forschung die intersubjektive Beziehung zwischen Patienten und Arzt immer stärker in den Vordergrund, als Mittel und Hindernis zur Genesung musste das Phänomen der Übertragung verstanden werden.[4] Der vor Ideen überschäumende Sigmund Freud schuf sich einen ganz eigenen Begriffskosmos, um sich dieser schwierigen Probleme anzunehmen, die er als erster geistiger Eroberer gefunden zu haben meinte.[5] Also: Die menschliche Psyche, aber auch die Tätigkeit der Psychoanalyse selbst dreht sich beinahe nur um das Problem der Intersubjektivität. Und so regt sich der Verdacht, dass beide Entwürfe davon profitieren könnten, sich einander anzunähern.
Wie aber beginnen? Welcher Ansatz ist zu wählen, um diese beiden Theoriekomplexe miteinander kompossibel zu machen? Die Herausforderung ist nicht gering, weil sowohl Freud wie auch Günther eine etwas isolierte Stellung in den geistigen Entwicklungslinien des deutschsprachigen Raumes einnehmen. Freud, weil er für den unverstellten, wirklich empirischen Blick auf den Patienten sogar mit voller Absicht vermied, sich durch die philosophische Allgemeinbildung verdummen zu lassen,[6] schuf entsprechend eine ganz eigene Welt der Begriffe, Brenatanos Psychologismus spielte für Freud nur eine gewisse Rolle. Günther wiederum dachte zwar im Ausgang einer tiefen Kenntnis von Hegel und dem deutschen Idealismus, der ganze klassischen Tradition, ging aber nach Auseinandersetzung mit den symbolischen Logikkalkülen auch schnell eigene Wege. Während Freud, der sich wie Baron Münchhausen von selbst eine Begriffswelt schuf, eine gewaltige und bis heute immer größer werdende Rezeption erfahren hat, ist Günther bisher nur wenig bis fast gar nicht gelesen worden; die Ausnahme bilden wohl der Komponist Stockhausen[7] und der Soziologe Luhmann[8]. Sie treffen sich also nicht mal in der nachfolgenden Rezeption. Es gibt scheinbar keine historischen intellektuellen Brücken, auf die man direkt zurückgreifen könnte.
Um hier weiterzukommen, möchte ich daher eine unprofessionelle, waghalsige, problematische Bresche schlagen. Wenn zwar Freud versucht hat, sich ganz aus der abendländischen Tradition des Denkens herauszuhalten, so hat man nach ihm von vielen Seiten her versucht, ihn mit den Hauptströmungen des abendländischen Denkens, also mit der Tradition die von Aristoteles, über Leibniz, zu Kant, dann Hegel führt, wieder zu versöhnen; also all diese Tradition, die Günther zum Anstoß seiner eigenständigen Reflexionen genommen hat. Diese Reintegration Freuds hat je nach Strömung und Autor zu teils sehr unterschiedlichen Resultaten geführt. Wichtig sind hier etwa die Arbeiten des Freudomarxismus, des philosophisch höchst vorgebildeten Psychoanalytikers Lacan, aber auch Levinas und Derrida, die alle versucht haben, Freud und seine Begriffswelt wieder in das dominierende abendländische Denken einzuführen. Über diese Eselsbrücke – mehr als das möchte ich diese Bewegung nicht nennen – lässt sich nun zumindest einiges festhalten und fixieren, was als Anfang genügen kann.
So lässt sich etwa die Freudsche Lehre der stufenförmig sich entwickelnden Neurosen und Perversionen durchaus mit den von Günther entwickelten Stellungen der Subjektivität vergleichen – will man als Mittelglied der Schlussfolgerung Arbeiten von z.B. Derrida, Adorno oder Lacan, sowie dann die Lehre der Reflexionsstandpunkte Hegels einführen. Wenn überhaupt lässt sich nur über diesen Umweg hier etwas erreichen. Das Resultat dieser Verknüpfungen bringt aber durchaus ein gewisses Licht in die von beiden entwickelten Probleme. Freud wie Günther kommt es darauf an, das Phänomen der Intersubjektivität weder verdinglichend aufzufassen, wie es etwa im Behaviorismus geschah, noch sie im Ausgang des inneren Selbstgefühls des Subjekts und seiner Einfühlung zu begreifen, wie es die Lebensphilosophie tat. Ihrer Zeit ist es auch geschuldet, dass sie sich in abenteuerlichen phylo- und ontogenetischen Ideen üben, um die Emergenz der typisch menschlichen Psyche mit ihren rationalen Fähigkeiten aus einfacheren und der Tierheit näheren Verhältnissen zu erklären, die zwar historisch gesehen wertlos sind, wohl aber eine gewisse erklärende Kraft für das Jetzt und die Zukunft entwickeln sollen; und die ihrerseits viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Legt man Günthers und Freuds Überlegungen aufeinander, so ergeben sich für beide Theoriekomplexe bezeichnende Ergänzungen, aber auch eine ganze Reihe neuer Probleme und Aufgaben, die zu lösen wären.
Allgemein lässt sich festhalten, dass Freud und Günther aus zwei sehr unterschiedlichen aber ergänzenden Blickwinkeln und Problemlagen das Phänomen der Intersubjektivität und seine Stufungen beschreiben. Liegt bei Günther das Theoretische und Wissenschaftliche im Vordergrund, ohne dass das Emotional-Motivationale, Psychodynamische und Praktische irgendeine Rolle spielen würde, ist genau dies das Gebiet, in welchem Freud seine größte Stärke zeigt. Will Günther die Intersubjektivität als Problem der Wissenschaft ansehen, so befasst sich Freud hauptsächlich mit der Intersubjektivität als Herausforderung der Liebe und Sexualität.
1. Der Narzissmus und die seinsthematische Logik
„Und darum, weil ich nicht als ein Verliebter Kann kürzen diese fein beredten Tage, Bin ich gewillt, ein Bösewicht zu werden Und feind den eitlen Freuden dieser Tage.“ --- Richard III. [
Eine in ihrem Wert kaum zu überschätzende Wiedereinbettung der freudschen Begriffswelt in die der klassischen philosophischen Tradition ist die der Gleichsetzung des Narzissten bzw. des Urvaters mit dem hegelschen Herrn aus der Phänomenologie, der siegreich aus dem Kampf um Anerkennung hervorgeht und die übrigen unterwirft. Diese gedankliche Gleichsetzung findet sich bei so unterschiedlichen Figuren wie Adorno und Horkheimer,[9] bei Lacan,[10] bei Derrida,[11] bei Levinas,[12] wahrscheinlich ließen sich hier noch viele weitere nennen.
Nun ist der Herr im hegelschen System der Wissenschaft zugleich der Standpunkt des Seins und allem damit zusammenhängenden Aspekten,[13] er korrespondiert der so genannten substanziellen Sittlichkeit,[14] hat keinen eigentlichen Begriff der Freiheit oder des Liberalismus, ist überhaupt das Klassische und Vormoderne. Metaphysisch gesehen vertritt er die unmittelbar behauptete These der Identität von Denken und Sein, Logisch gesehen die klassische aristotelische Logik und ihre ontologische bzw. seinsthematische Ausrichtung. Diese Zusammenhänge im hegelschen Werk sind sicherlich diskutierbar; aufs Ganze gesehen ist aber bei den meisten Interpreten diese Zusammengehörigkeit deutlich (wenn sie überhaupt Hegel als zusammenhängende Totalität, und nicht etwa als Sammelsurium verschiedener unzusammenhänger Sätze lesen), weswegen ich das hier nicht im Einzelnen begründen werde. Für eine detaillierte Hegellektüre ist hier kein Raum.
Entscheiden für die hiesige Unternehmung aber ist, dass hierdurch eine gedankliche Verbindung zwischen den einem zentralen psychoanalytischen und einem zentralen güntherschen Konzept hervorgebracht werden kann, nämlich zwischen einem Perversionstypus Freuds und dem ontologisch ausgerichteten, aristotelischen Bewusstsein nach Günther, beides Begriffe für ein frühes, zu überwindendes oder zurückgebliebenes Strukturniveu der menschlichen Psyche, welches einen echten Bezug zu anderen Subjekten vermissen lässt. Oder anders gesagt, es mangelt dieser einfachen Form des Denkens einer Teilhabe an der echten Intersubjektivität. Begegnet es anderen Subjekten, so nicht als anderen Subjekten.
Freud, der den Narzissmus-Begriff in die psychologische Forschung einführte und etablierte,[15] stieß erst verhältnismäßig spät auf dieses psychische Phänomen, um es gleich bei seiner Einführung schon als eines zu setzen, welches der psychoanalytischen Forschung und Therapie schwer oder gar nicht zugänglich sein sollte.[16] Schizophrene und Hypochonder sollten Narzissten sein, auch viele Frauen, die vor allem geliebt werden wollen statt selbst zu lieben,[17] später treten als Narzissten noch Gestalten wie der schreckliche Urvater oder böswillige literarische Gestalten wie Richard III auf. Untherapierbar seien Narzissten deswegen, weil sie keine sog. „Objektlibido“ entwickeln, sie verlieben sich nicht, sie haben auch keine festgefahrenen inzestuösen Objektbeziehungen oder Übertragungen im Ausgang von ihnen und können daher auch am behandelnden Arzt kein Interesse entwickeln. Sie haben zwar eine Realitätsprüfung, sind nicht eigentlich psychotisch, aber sie haben kein Interesse an ihren Mitmenschen, nehmen sie höchstens als Konkurrenten und Rivalen wahr.
Der Begriff des „aristotelischen Bewusstseins“ existiert bei Günther in der einen oder anderen Form schon seit dem Anbeginn seiner Schriften.[18] Er bezeichnet im Ausgang von Hegel den Standpunkt des Denkens, welcher sich mit der üblichen, von Aristoteles überlieferten Logik beschreiben lässt, welche also zwischen wahr und falsch unterscheidet und in der Mathematik und der Naturwissenschaft ihre legitime Anwendung findet,[19] nicht aber auf dem Feld der Geisteswissenschaft, weil es nicht in der Lage ist, andere Subjekte zu denken. Das aristotelische Bewusstsein strebt nach dem Glück durch die Einheit mit dem Sein, es will seine zeitweilige, mögliche Trennung vom Sein aufheben,[20] und sei in den alten Hochkulturen, insbesondere der heidnisch-antiken und asiatischen Welt anzutreffen.[21] Diese recht nahe Weiterdeutung der hegelschen Gedanken ergänzt Günter durch die Feststellung, dass eigentlich die gesamte formale Logik, die damals mit Frege, Russel und Gödel bedeutende Fortschritte tätigte, der Sache nach völlig in jenem aristotelischen Bewusstsein und seiner einsamen metaphysischen Grundstellung verhaftet blieb und es bloß innerlich vertiefte, statt es zu überwinden und so eigentlich sklavisch am griechischen Anfang des Denkens festhielt. Umgekehrt hieß das aber auch, dass die Forschung auf dem Feld der modernen formalen Logik einen wissenschaftlichen und exakten Einblick in die Struktur einer Psyche erlaubte, welche die Subjektivität als Gegenstand der Reflexion ausschließt und sich ganz auf das Sein fixiert. Die Begriffe, Axiome und Operationen der formalen Logik gewannen für Günther also einen metaphysischen Sinn,[22] waren nicht, wie sie es die klassischen analytischen Philosophen gern hätten, metaphysikfrei und damit nüchtern, neutral und unschuldig. Die feinen Striche der zweiwertigen Logik repräsentieren eigentlich die Austauschverhältnisse von Sein, Subjekt und das Wahrheitsverhältnis beider zueinander.
Will man erläuternde Günthers Notationsweise nach dem Muster I, R, D für die metaphysische Bedeutung formaler Logik verwenden,[23] so ist zunächst vom Gegensatz der Wahrheitwerte „wahr“ und „falsch“ abzukommen.[24] „Wahr“ bedeutet, dass eine Aussage, ein Gedanke, ein Schluss Denken ist, was mit dem Sein und damit dem Gegenstand der Reflexion übereinstimmt; es bezeichnet das Irreflexible und wird daher mit dem Buchstaben I bezeichnet. „Falsch“ bedeutet, dass eine Aussage, ein Gedanke, ein Schluss nur im Denken gegeben ist, er ist somit in der Reflexion gegeben ist, bezeichnet mit R, welche aber in einer seinsthematischen Reflexion nie interessiert. Falsche Aussagen, Sachen, die nur und eigens in der Reflexion existieren, etwa auch Widersprüche, Absurditäten und widerlegte Aussagen, sind hier nur insofern relevant, weil ihr Gegenteil, was auch immer dies genau sein mag, wahr sein muss. Die Reflexion entspringt als Negation des Seins, das Reflexible aus der Aufhebung des Irreflexiblen, und die Aufgabe des Denkens ist es, vom Verharren in der Reflexion zum Sein zurückzukommen, von dem es hervorgegangen ist. Ganz ausgeschlossen aus dem Spiel ist das Dritte, das sich nicht mal denken lässt. Die Negation der Negation führt nicht in eine tiefere Schicht der Negativität, sondern wieder zurück zum Sein; alles Denken spielt sich zwischen wahren und falschen Aussagen ab. Die doppelte Reflexion, die weder wahr noch falsch ist, bezeichnet mit D, ist gemäß des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten nicht gegeben. Zugleich ist aber klar, dass die doppelte Reflexion D irgendwie die Prozedur des Denkens darstellen muss, welches von R auf I kommen möchte. Es ist daher eigentlich notwendig, neben der Denkbewegung des klassischen Denkens, welche von R auf I, also R -> I geht, noch ein daraus ausgeschlossenes D zu denken, von welchem die Denkbewegung ausgeht, aber zugleich unbewusst und ausgeschlossen bleibt, man schreibe hier: D -> (R->I).
Auf diese Weise also lässt sich das Modell der einsamen, ganz auf sich selbst fixierten Subjektivität formalisieren. Es ist auch deutlich, weswegen sie zweiwertig ist, und was die Bedeutung davon ist. Eine Subjektivität, welche auf das Sein fixiert ist und sich nicht für Subjektivität interessiert, wird diese bloß auf ihre Übereinstimmung mit dem Sein hin interpretieren. Alles was diese Probe nicht besteht, fällt in ein Gesamt-Reservoir der Subjektivität überhaupt, die nicht weiter gesondert ist. Andere Subjekte treten auf als welche, mit denen man übereinstimmt und somit identisch ist, die damit die Wahrheit sprechen und mit dem Sein koinzidieren; oder als solche, welche falsches für wahr halten und damit selbst Falsch sind. Was hier in dieser strikt theoretischen Analyse Günthers aber völlig fehlt, ist jegliche praktisch-philosophische, praxeologische oder psychodynamische Bedeutung dieser Stellung des Subjekts.
Es ist also deutlich, welcher Gewinn sich für dieses Phänomen der einsamen Psyche abzeichnen dürfte, wenn man Günther und Freud gegenüberstellt. Fehlt es Günther an einer Analyse der psychischen Struktur einer solchen logisch-metaphysischen Grundstellung, kann Freud wiederum davon profitieren, eine etwas genauere Vorstellung zu haben, welche logische Struktur aus den psychischen Strukturen hervorgehen soll, die er da beschreibt. Freud selbst führt das Austauschverhältnis von Wahr und Falsch bereits auf die Oralität zurück, die manches ausspuckt – „Falsch, Böse“ und anderes in sich aufnimmt „Gut, Wahr“[25], wobei hier hinzuzufügen ist, dass der Narzissmus im Ganzen eine orale Fixierung darstellt;[26] wie genau aber diese Verhältnisse zwischen Logik und der Stellung des Subjekts zu denken sind, bleibt im Ganzen aber recht unklar. Freud und Günther tun darin einhergehen, dass sie annehmen, das faschistische und totalitäre Subjekt, welches sich etwa im Nationalsozialismus manifestierte, sei strukturell durch ein solches einsames Subjekt zu erklären, repräsentiert im größenwahnsinnigen Führer-Urvater, der klar zwischen wahr und falsch, Gut und Böse unterscheidet und einer folgsamen Masse, die ihn idealisiert.[27] Heinz Kohut, der inzwischen unter praktizierenden Psychoanalytikern als bedeutende nachfreudianische Bereicherung der Psychoanalyse auf dem Niveau von Melanie Klein anerkannt ist,[28] hielt auch als zentrales Merkmal der Narzissten fest, dass sie im Gegensatz zu den Psychotikern eine Kohärenz des Selbst[29] entwickeln vermögen, dass ihr Gebahren sich in erster Linie aus dem Streben nach Kohärenz ergibt – also das, was eben die zweiwertige Logik als Grundidee des Seins hat, sei es durch die Annahme eines „Größenselbst“ oder durch die Idealisierung und Unterwerfung unter ein anführendes „Selbstobjekt“, das als Erweiterung und vollkommenere Seite des Ichs fungiert. Geht man zu Lacan weiter, wird man im Narzissmus ebenfalls auf diese dualistische, zweiwertig-logische Struktur, in der Macht und Ohnmacht, Oben und Unten, Herrschaft und Knechtschaft gegenübergestellt sind.[30]
Es gibt hier also mannigfaltige Möglichkeiten, eine fruchtbare Anknüpfung beider Theorien zum beiderseitigem Vorteil zu bilden. Was bereits hier aber festgestellt werden muss, ist dass durch diese Identifizierung fast die gesamte Philosophiegeschichte von Aristoteles bis Leibniz, Wolff und Spinoza wegen der Dominanz des ontologischen Denkens als eine Art vergeistigte Form des Narzissmus gedeutet werden müsste; und nicht nur das, wahrscheinlich auch das meiste der politischen Geschichte durch diesen Effekt erklärbar werden, sowie auch das meiste der Wissenschaftsgeschichte. Organisationen und Machtblöcke neigen dazu, anführende und unterworfene Gestalten zu haben, die wie eine Psyche reagieren und sich auch innerlich so empfinden, Wissenschaften wiederum kommen nicht ohne die Unterscheidung von Wahr und Falsch, der Kohärenz und Identität ihrer Objekte aus und damit der Unterdrückung der Subjektivität anderer Menschen. Es stellt sich hier überall nun die Frage, ob diese Psychopathologisierung der Logik und Logifizierung der Pathologie nicht mehr Probleme schafft, als sie löst; und ob es nicht in vielen Momenten angemessen sein dürfte, ein solches Verfahren als angemessen und normal anzusehen. In jedem Fall aber gilt, dass weder Freud noch Günther ihre eigentlichen Entdeckungen, Fortschritte und Therapieerfahrungen auf diesem Feld getätigt haben, sondern dass es ihnen eher darum ging, Phänomene anzugehen, welche über diese einsame Subjektivität hinausgehen.
2. Die Zwangsneurose und die reflexionsthematische Logik
Deutlich strittiger als die bisherige Zusammenfügung von Narzissmus und logischem Aristotelismus ist nun der folgende Schritt. Zugleich begibt man sich mit dem nun folgenden Problem in die eigentliche Sphäre dessen, wo die Übereinstimmungen von Freud und Günther interessanter werden.
Bekanntermaßen geht Freud davon aus, dass alle Übertragungsneurosen durch eine problematische Überstrapazierung der Objektliebe gezeichnet sind.[31] Mit Objekten meint Freud – das ist unbedingt zur Vermeidung von Missverständnissen hervorzuheben – stets andere Menschen. Der Neurose ist also insgesamt eigen, über die bloße narzisstische Egosphäre der eigenen Triebe hinwegzulieben, sich stattdessen auf andere Subjekte zu beziehen, sie ist in einem starken Sinne etwas Intersubjektives, hat echtes Interesse am Anderen als Anderen. Der Neurotizismus entspringt aus dem Ödipuskomplex durch die Internalisierung der Interessen des verbietenden Vaters, es ist eine Art der Liebe zum Vater und vor allem der Ordnung, welche er hervorbringt. Der Neurotiker unterwirft sich der anderen Subjektivität, und lässt damit das Ziel seiner Wünsche, einen narzisstischen Genuss zu erlangen, fallen; überlässt es somit dem geliebten Vater, diesen stattdessen zu erlangen. Eben dieselbe Erfahrung überträgt der Neurotiker auf jeden, besonders den Analytiker: Er verliebt sich, er verfällt dem Analytiker, der für ihn zum schlechthin Anderen wird, an dem alle Probleme noch einmal ausgelebt werden: Segen und Fluch zugleich für den Fortgang der Analyse.[32] Bekanntermaßen unterscheidet Freud verschiedene Typen der Neurose, die Dreiteilung in Phobie/Angstneurose, Zwangsneurose und Hysterie ist bekannt,[33] auch gibt es bei Freud eine rege Bemühung, kulturelle und religiöse Phänomene auf diese Weise zu deuten, als einer Art von Neurotizismus, nicht wie der Vater sein zu wollen. Jede Form von Moral scheint beinahe auf diese Grundstruktur zurückführbar zu sein, ein anderes Subjekt an die Stelle des narzisstisch begehrenden Selbst setzen zu wollen.
Wenngleich sich Günther wie bereits gesagt worden ist, nirgends um Probleme der Praxeologie und Moral schert, sondern sich eigentlich fast nur mit dem theoretischen und (geistes-)wissenschaftlichen Problem des Anderen befasst, so kennt er doch eindeutig einen spezifischen Modus, in welchem Subjektivität eigens thematisiert werden kann. Wie alles bei Günther entspringt dieser Gedanke im Ausgang von Hegels Logik. Hegel nahm an, dass bei der Reflexionen Subjekts auf andere Subjektivität, wenn also die Form sich nicht auf den Inhalt, sondern auf eine andere Form bezog, eine andere, dialektische Logik greifen sollte. Dies entwickelte Hegel vor allem im Ausgang von Kants fragmentarischer Lehre der Reflexionsbegriffe[34] und legte sie in der hoch komplexen Wesenslogik dar, in seiner Lehre von der Reflexion-in-sich. Charakteristisch für dieselbe ist, dass in ihr das Sein aufgehoben und verloren ist, - also die unmittelbare Beziehung zum Gegenstand - und an stattdessen das Verhältnis gebrochen, disjunkt und verfallen ist.[35] An die Stelle des mit sich einigen Seins tritt das Wesen, welches eben sich mit sich uneinige Negativität ist. Aus genau diesem Gedanken heraus entwickelt nun Günther seine Theorie der Reflexionslogik. An ihr lässt sich nun auch sehr intuitiv nachempfinden, weswegen Günther genötigt ist, zu einer mehrwertigen Logik überzugehen.
Das Thema der Logik ändert sich also: An die Stelle des Seins, des Irreflexiblen I, das bislang das Interesse der logischen Reflexion war, rückt das R, die Reflexion. War die Reflexion in der Seinsthematik das Reservoir des Falschen und Belanglosen, diejenigen umfassend, die widerlegt worden sind, ist nun dieser Bereich selbst mit genuinem Interesse besetzt. Damit ist die Subjektivität selbst nun ein Gegenstand geworden. Wenn es aber immer der Fall ist, dass die Reflexion auf einen Gegenstand von einem Subjekt vollzogen werden muss, dass davon verschieden ist, so wird nun also das R von einem doppelt-Reflexiven Subjekt D aus gedacht, wir haben also nun eine verinnerlichte Reflexion (D->R). Und wenn die Analogie zum seinthematischen Denken weiter bestehen soll, so dürfte seinerseits dies doppelte Reflexion, von welcher aus R gedacht wird, von einer weiteren Reflexion her gedacht werden, die ihrerseits ausgeschlossen ist, und die ich hier V nennen möchte. Die nach innen, in die Subjektivität gerichtete Reflexionssituation ist also hier näher V-> (D->R). Das Sein, welches irreflexibel ist, kann nun als etwas gesehen werden, welches aus dem Verhältnis ausgeschlossen ist, welches aber zugleich indirekt über R gegeben ist. Zählt man dieses Moment hinzu ist klar, dass diese Reflexionskette drei bewusst voneinander unterschiedene Stufen enthält: Sein, einfache Reflexion, doppelte Reflexion. Eigentlich muss das Denken notwendigerweise, wenn es eine innere Selbstreflexion unternimmt, auf eine dreigliedrige Struktur treffen; und genau das findet sich auch etwa in der kantischen Analyse der Struktur des logischen Bewusstseins in von Ding an sich (Objekt), Anschauung (einfache Vorstellung) und Begriff (als Vorstellung einer Vorstellung) wieder. Aber erst Günther ist so weit gegangen, im Ausgang dieser erkenntnistheoretischen Überlegungen eine logische Dreigliedrigkeit anzunehmen, indem er die damals experimentell entwickelten dreiwertigen Logik-Kalküle von Łukasiewicz neu interpretierte.
Die Behauptung an Stelle also ist: Die Übertragungsneurose hat die Struktur einer Reflexion in sich, einer Verinnerlichung der Reflexion; und sie kann in ihrer Grundstruktur durch die Annahme einer dreiwertigen Logik analysiert werden[36]. Das ist sicherlich nicht ohne weiteres überzeugend. Um diese Sache etwas plausibler zu machen, möchte ich auf einige Punkte aufmerksam machen, die für diesen experimentellen Gedankengang sprechen: Hier wieder im Ausgang der Brückenintellektuellen, die bereits Verknüpfungen zwischen Hegelianismus und Freudianismus aufgestellt haben, es gibt allerdings auch etwas unmittelbarere Bezüge.
Hegel entwickelt bekanntlich seine Logik in steter Rücksicht auf die Philosophie des Geistes und darin besonders der Religion, die ihm eine Art vorstellungsmäßige Verkleidung philosophischer und damit logischer Begriffe ist. Der logischen Kategorie des Wesens entspricht mit seinen Charakteristika der Transzendenz, Negativität und Alterität[37] zweifellos dem Gott der Juden,[38] der von Hegel direkt mit dem kantischen Begriff des Erhabenen versehen wird.[39] Diese Interpretation geht auch Günther mit, die Vorstellung eines subjektiven und geistigen Gottes sieht er als Korrelat jener Reflexions-logischen Herangehensweise an, diese Idee geht übrigens bis auf die ersten Anfänge seines Denkens zurück.[40] Freuds Begriff der Neurose und der kulturellen Triebkontrolle beruht im Großen und Ganzen der Forderung von desexualisierter Objektliebe,[41] einen Moment, den Freud im jüdischen Glauben über die heidnischen Bildergötter triumphieren sieht; wie er ja überhaupt das neurotische Verhalten nah an die Religion heranrückt.[42] Wenn also Freud, Hegel und Günther auf eine echte Bezugnahme auf Subjektivität, sowie ihrer praktischen Umsetzung in Moralität und Achtung zu erklären versuchen, kommen sie schnell auf das Spezifische des monotheistischen Gottes zurück. Wenn der Analysand zu übertragen beginnt, aus seinem Narzissmus ausbricht, steigt der Analytiker für ihn zu einer solchen Instanz auf, der schlechthin Andere zu sein; es ist das eigentümliche des Übertragungsneurotikers, zu einer solchen Operation fähig zu sein, die aller Selbstliebe spottet. Wird sie auch für den Neurotiker selbst zum Fluch, so ist die Fähigkeit zu einer solchen desexualisierten Objektliebe für Freud in gewissen Maßen die Grundlage der Zivilisation, durch welche sie ihre destruktive Seite unter Kontrolle zu bringen hat. Ganz kantisch und seinem Glauben treu scheint Freud hier auf einmal, das Übertragen mit der narzisstischen Selbstliebe kontrastieren zu wollen, die sich im Nationalismus und im Weltkrieg selbst überschlug.[43] Auch Lacan wird die Begehrensstruktur des Neurotikers, wohl im Ausgang von Hegel und Freud mit dem jüdischen Gott in Verbindung bringen.[44]
Was nun Günther betrifft, so ist seine Einführung der Selbstreflexions-Lehre ursprünglich im Ausgang des Problems entstanden, wie eine echte Geisteswissenschaft möglich ist. In der Weise, wie er dieses Problem angeht, ist er dabei höchst originell – wenn vielleicht auch schon Hegel als Vorläufer genannt werden kann, der aber vor lauter konkret-philosophischer Systematizität nie den Gang zur echten Anwendung finden wollte. Dilthey, Klages und Heidegger sind als Namen zu nennen, welche die Methodik der Geisteswissenschaft von der der Naturwissenschaft abheben und ihr damit eine Eigenständigkeit, vielleicht sogar Höherordnung zubilligen wollten. Ihr Schlüssel dazu sollte zum einen die Lehre eines vorreflexiven Sich-Selbst-Verstehens sein, sowie zweitens der Fähigkeit, sich in andere Subjekte einzufühlen, weil diese wie Ich seien; geisteswissenschaftliches Verstehen also bestehe darin, sich im anderen zu finden; ein Vorgang den Freud die Identifizierung nennt, und die auch etwa Grundlage des Animismus ist, bei welchem man in die Natur Gleiche hineindeutet.[45] All diese Möglichkeiten schlägt Günther aber aus, ihm schwebt keine schwammige Hermeneutik vor, sondern eine andere logische Struktur, die das andere Subjekt als Subjekt setzt. Wenngleich Günther einige große Entdeckungen auf dem Gebiet der formalen logischen Struktur dieser Bezugnahme zur Subjektivität finden konnte, wurde es doch etwas unklar, wie diese geisteswissenschaftliche Logik nun eigentlich konkret zur Anwendung kommen sollte. Es gibt bei Günther [leider] keine Auseinandersetzung mit Historikern, Soziologen oder Völkerkundlern.[46] Durch den Rekurs auf Freud mag es nun zumindest ein paar Anhaltspunkte dafür geben, was man sich unter einer solchen Struktur vorstellen könne; auch dürfte es hier lohnen, den Günther-Rezipienten Luhmann zu Rate zu ziehen, der versuchte, Günthers Theorie in der Soziologie zur Anwendung zu bringen.
Zum Abschluss der These, dass die Übertragungsneurose durch eine Reflexion-in-Sich erläutert werden kann, soll hier noch gewagt werden, diese näher zu bestimmen. Die Angstneurose, die Zwangsneurose und die hysterische Neurose sind zwar alle durch eine solche desexualisierte Objektwahl geprägt – sie haben aber einen unterschiedlich starken Bezug zu jenen Figuren der erhabenen Subjektivität des Anderen. Es scheint hier fast unmöglich, zu entscheiden wie weiter verfahren werden soll. Sind sie als Neurosen alle gleich in ihrer Bezugnahme auf den Anderen? Gibt es eine, die in besonders deutlicher Weise diese moralische Bezugnahme zum Anderen hat? Es ist – zumindest in dieser Kürze – kaum entscheidbar.
Aber: Von all diesen Figuren sticht die Zwangsneurose mit ihrem Helfersyndrom, ihrer Gewissensstrenge und ihrer Kontaktscheu in einer besonders deutlichen Weise als eine solche hervor, in der die anderen einen solchen erhabenen Standpunkt desexualisierter Objektliebe einnehmen. Sie ist auch als Verdrängung des Sadismus,[47] der ersten objektbezogenen Perversion, von besonders ausgeprägter und ursprünglicher Objektliebe geprägt. Daher soll zum Abschluss noch diese Vermutung geäußert werden, nicht ohne hinzuzufügen, dass nun das Problem umso drängender ist, wie mit den übrigen Perversionen verfahren werden solle, was mit der Angstneurose, dem Sadismus, dem Masochismus und der Hysterie passieren muss, ob diese auch in Günthers Überlegungen einen Platz finden oder nicht. Zumindest, solange die Zwangsneurose wirklich diese erhebende, moralische Bezugnahme auf den Anderen repräsentiert, ließe sich auch aus dem Kontext der lacanianischen Theorie behaupten, dass, so wie dem Narzissmus und damit der Seins-Reflexion das dualistische Imaginäre entspreche, so der Zwangsneurose ihre Obsession für das Reale.
Eine wichtige, ja zentrale Frage, welche sich in diesem Zusammenhang der Neurose und ihres Hervorgangs aus der Verdrängung stellt ist die nach dem Unbewussten. Wie lässt sich dieses zentrale freudsche Theorieelement aus der Perspektive der mehrwertigen Stellenwertlogik einschätzen? Was bedeutet es, dass der Neurotiker seine Perversion verdrängt, und wie verhält sich das zu diesem eigentümlichen Verhältnis zum genießenden Vater, welches der Neurotiker annimmt? Erscheint hier vielleicht die mysteriöse Lehre Lacans, nach welcher das Unbewusste und Verdrängte der Diskurs des Anderen sei, in einem neuen Licht? Ist vielleicht das neurotische Bewusstsein, als Subjekt des Unbewussten, ein dreiwertiges Bewusstsein?
3. Die absolute Reflexion und die das einwertige Bewusstsein. Die Entwicklungsstufen
Nach dem Aufweis dieser Dualität zwischen Neurose und Narzissmus und ihrer logischen Korrelate stellt sich natürlich jedem die Frage, wie es weitergeht. Gibt es nicht vielleicht eine psychische und logische Struktur, in welcher ihrerseits der Neurotizismus reflektiert wird oder der Vorgang der Selbstrelfexion reflektiv eingeholt wird? Besonders durch die sehr formalen Überlegungen Günthers ist man geneigt zu fragen, ob nicht die Bewegung iterierbar ist. Aber auch Freud legt es nahe, hier weiterzugehen. Wenn es möglich ist, von sich selbst zum Anderen überzugehen, Objektlibido statt Ichlibido zu entwickeln, ist es dann nicht auch möglich, zum anderen des Anderen überzugehen? Hier wird es wirklich spekulativ.
Klar ist jedenfalls, dass sich die meisten Überlegungen von Freud und Günther gleichermaßen in der Gegenüberstellung dieser beiden erst genannten Positionen drehen, ohne direkt zu einer dritten überzugehen oder sie konkret zu behandeln. Günther weist schon früh in seinem Werk beide Operationsformen des Geistes auf, und wird sich sein Leben über wieder und wieder mit der Frage der „Vermittlung“ dieser beiden Standpunkte beschäftigen,[48] was aber keine genuin neue Logik bedeutet, sondern eher eine Theorie, wie beide Logiken ineinander geschachtelt werden können. Mit der Idee einer dreiwertigen Logik meint er dann das Werkzeug gefunden zu haben, welches diese Vermittlung leistet – weil hierin nämlich beide Logiken ihren Platz finden.[49] Aber eine echte Überschreitung des Standpunktes der Reflexion in sich, eine Analyse der „gedoppelten Reflexion in sich“ als solcher wird nicht angestrebt.
Bei Freud findet sich eine bunte und umfassende Theorie der Perversion und Neurose vor, auch eine überzeugende Idee, wie die einen aus der Verdrängung der anderen hervorgehen, aber es gibt keine ausgearbeitete Theorie des Dritten, der über Perversion und Neurose hinausgehen würde. Die Ausnahme bildet vielleicht die Gesundheit, als genitale Sexualität, welche von der Fixierung auf kindliche Sexualobjekte – sei es das Ich oder die Mutter – abkommt und auch vielleicht einen Ausgleich zwischen Ichlibido und Objektlibido schafft, oder auch das Durcharbeiten, bei welchem die neurotische Übertragung aufgehoben wird. Zumindest in seiner Lehre der perversen Triebumkehr entwickelt Freud wirklich eine Lehre der Verschiebung der Triebenergie, die gleich drei Glieder umfasst: Die Liebe beginnt beim narzisstischen Ich, geht dann über dazu, sadistisch die Energie auf den anderen zu lenken, um dann zuletzt als Masochist zu wollen, dass man von anderen sadistisch zum Äußersten getrieben wird. Daraus lässt sich aber natürlich nicht ableiten, dass es auch in anderen Rücksichten eine Triplizität geben müsste.
Am ehesten noch kann in Hegel jemand gesehen werden, welcher diese Reflexion charakterisierte: Als sogenannte absolute Reflexion,[50] die aber in seiner allgemeinen Theorie des spekulativen, positiv-Vernünftigen und versöhnenden Moments aufgeht. Aber auch diese Konzeption überzeugt nicht und bleibt höchst vage, auch weil Hegel letztlich auf keine bessere Versöhnung kommt als die seines eigenen Systems. Lacan dürfte vielleicht am ehesten noch eine nähere Ausarbeitung der Sache geleistet haben, wenn er innerhalb seiner Theorie noch die Bindung an das Symbolische annimmt und die freudsche Theorie im Ganzen formalisiert und vertieft. Die Möglichkeiten, sich hier mit Günther auszutauschen, sind kaum überschaubar, sollen nur angemerkt bleiben.
Es zeigt sich also hier aber, dass alles in allem hier noch viel Arbeit offen ist und geleistet werden kann. Rein formal gesehen ist klar, dass sie ihrer Struktur nach noch eine tiefere Reflexion darstellen müsste. Ihr Gegenstand wäre „D“, die gedoppelte Reflexion, welche als ausgeschlossenes Drittes der seinsthematischen Reflexion fungiert; sie hätte V, die dreifache Reflexion als Negatives, sowie drittens „G“ als vierfache Negativität. Es fragt sich natürlich hier wieder, ob hierdurch nur eine quantitative Steigerung der Reflexionstiefe erfolgen würde, oder ob hiermit eine qualitativ neue Figur aufgemacht wird – Günther schwankt bezüglich dieser Frage.
Viel interessanter an dieser Stelle ist die Frage nach dem der seinsthematischen Reflexion Vorausgehenden. Die Seinsthematik bildet die einzige theoretische Reflexion, deren logische Fassung anhand der klassischen Logik allgemein anerkannt ist. Sie hat also weder ein Verhältnis zum Davor noch zum Danach. Bei Günther gibt es nun durchaus eine Vorstellung des Davor der klassischen Logik, es ist die immer wieder ansetzende Theorie des sogenannten einwertigen Bewusstseins, das der Subjekt-Objekt-Spaltung vorhergeht. Charakteristisch für dasselbe ist, dass es seine Gedanken unmittelbar für die Realität hält. Es hat keinerlei Distanz zu sich selbst oder zur Welt. Günther denkt hier vor allem an primitive Denkweisen, an extatische und mystische Zustände. Ein solches einwertiges Bewusstsein ist deswegen im Unterschied zu einem zweiwertigen Bewusstsein alogisch, weil jede Operation der Logik erfordert, Zumindest zwischen Vorstellung und Gegenstand zu trennen. Tut man das aber nicht, so werden die Gedanken, egal ob sie widersprüchlich, abstrakt, korrekt oder falsch sind, für die Realität gehalten; und diese selbst hört auf, den Charakter einer Sache zu haben, die außerhalb des Denkens ist. Die Realität ist fortan der Gedanke und man steht immer in der absoluten, schlechthin gewissen und unbezweifelbaren Wahrheit. Daher lebt das Bewusstsein in einer solchen Form direkt aus seinen Vorstellungen, hat keine Reflexion und Distanz zu ihnen, der Idealismus ist in vollendeter Form etabliert. Man hat es hier mit einem unmittelbaren Leben in den Anschauungen zu tun, ohne jeden Begriff. Günther sieht die Entwicklung des zweiwertigen Denkens aus dem Einwertigen als Beweis dafür, dass die Möglichkeit einer bewusstseinsmäßigen Fortbildung der Menschheit von einer logischen Struktur zu einer anderen denkbar ist.[51] Das Einwertige ist für Günther zuletzt der Stand der Tierheit, in all ihrer Blindheit, Naivität und Stumpfsinnigkeit.
Bei Freud finden sich analoge Vorstellungen, näher die Idee des psychotischen Denkens, welches die Realitätsprüfung aussetzt und seine Wünsche unmittelbar halluzinieren vermag,[52] sowie auch des damit Traumbewusstseins.[53] Wichtig ist auch hier die Lehre von der Allmacht der Gedanken zu nennen, welche in der allerprimitivsten Psyche wohl anzutreffen sei.[54] Freud entwickelt seine Lehre dieser Psyche ohne Realitätsprüfung, des Lebens unter dem bloßen Lustprinzip nach ganz materialistischen Gesichtspunkten, als Ausdruck einer halluzinatorischen Bewirkung von Empfindungen, die den Spannungen durch das eigene innere Triebleben eine Befriedigung geben; Träume und Halluzinationen sind reine Wunscherfüllungen, des ist ein geschlossener Kreis in der Psyche, von ihrem Trieben zu ihren Wahrnehmungen, der sogenannte regressive Prozess. Das psychotische Leben ist das Leben im reinen Trieb, der sich nicht um die Realität oder Sozialität schert.
Auch von dieser Seite her lässt sich also recht gut darlegen, dass sich Freud und Günther an gewissen Schwächen des jeweils anderen Ergänzen. Günther kann im Ausgang von seiner logischen und transzendentalidealistischen Überlegungen eine einfache und zugleich erklärende Strukturdarstellung der allerursprünglichsten Psyche liefern, Freud hingegen entwickelt ein tragendes Modell zu seiner psychischen und dynamischen Struktur dieser Anfänge. Man könnte die Überlegungen beider Denker als Beitrag, Ergänzung und Kritik jener Phänomene ansehen, welche zum Ende des 19. und dem Anfang des 20. Jahrhunderts zur „Lebensphilosophie“ geführt haben. Ihre bestimmende Frage war gewesen, was dem objektivierenden, kohärenten Denken der Wissenschaft vorausgeht, was also vor der Zweiwertigkeit, vor dem Realitätsprinzip der Charakter der menschlichen Psyche gewesen ist – wobei dieses „Davor“ bereits in der doppelten Bedeutung von Phylogenese und Ontogenese zu verstehen ist. Unter die Lebensphilosophie fasst man üblicherweise Denker wie Bergson, Dilthey, Nietzsche, Klages, Scheler; zudem hat auch Heidegger von den Lebensphilosophen eine gewisse Anleihe genommen, ist aber zugleich eine ganz eigene Richtung gegangen, die ihm seine Eigenständigkeit und historische Einmaligkeit sichern.
Es lässt sich nun zuletzt im Ausgang der bisherigen Herausstellung der gemeinsamen Charakteristika von Günther und Freud eine Darstellung der Strukturentwicklung insgesamt wagen, welche all die bisher behandelten Stufenfolgen in einer Gesamtübersicht darstellt. Es sei hier noch einmal gesagt, dass hiermit nicht der Anspruch gesetzt ist, dies mit behauptender Kraft als neue gemeinsame Theorie hinzustellen, sondern eher Fragen auszuformulieren, welche das Trennende und Übereinstimmende herausstellen. Es wird sich nämlich schnell zeigen, dass das alles nicht so einfach ist, wie es in dieser Zusammenschau den Anschein erweckt.
Was an dieser Übersicht bereits hervorzuheben gilt, bevor die eigentliche Entwicklung der Probleme beginnt, ist der Wandel der Auffassungsweise der Instanzen durch den Ausbau oder Abbau der Reflexionstiefe. Besonders deutlich wird es an den ersten drei Reflexionstiefen, in ihrem Verhältnis zur Reflexion R. Während bei der Höhe 1 die Reflexion R einfach mit der Realität gleichgesetzt wird – egal wie widersprüchlich, ambivalent, willkürlich und chaotisch die Vorstellungen sein mögen, ist R auf Höhe 2 das Mittel, um I zu erkennen, ohne mit I identisch zu sein: Es gibt hier also eine Auffassung von R, sie haben hier die Funktion von Akten der Wahrnehmung, Verbildlichung und Symbolisierung, durch welche man sich auf das Ding an sich I beziehen und es erkennen kann; sie sind aber schon als etwas subjektives und nicht eigentlich an sich Seiendes durchschaut; zugleich gilt aber R nun als absolut transparent und erkennbar. Bei Höhe 3 schließlich ist R erstmals selbst der Gegenstand des Interesses, wie etwa in einer echten Geisteswissenschaft, hier aber als die transzendente und fragliche Empfindung und der Wille des Anderen. Es ist also jedes Mal dieselbe Instanz, die eine Rolle im Bewusstsein spielt, aber ihre Erfahrungsweise wandelt sich hierin radikal. Ähnliches ließe sich nun auch über I, das ist das Irreflexible, behaupten.
An dieser Stelle sollte sich dann auch die berechtigte Skepsis zu einem Widerspruch gegen die Idee verfestigen, dass sich das lacanianische RSI-Schema einfach mit dem DRI-Schema von Günther identifizieren lasse. „Das Imaginäre“ ist bei Lacan stets dual strukturiert, und nicht einfach die Existenz des irreflexiblen Dinges I; umgekehrt ist „das Reale“ nicht die Reflexion R, welche nicht nur in verschiedenen Strukturen wiederholt auftaucht, sondern dabei auch in einer unterschiedlichen Weise adressiert wird. Es ist aber nicht zu leugnen, dass Lacans Formalisierungsversuche der Psychoanalyse auf eine erstaunliche Weise in ähnliche Strukturen – monadische, duale, triadische - hineingeraten ist, wie Günther in der Suche nach einer Logik der Geisteswissenschaften.
4. Probleme, die sich aus dieser Zusammenstellung ergeben
Was also lassen sich aus dieser Zusammenstellung für Probleme entnehmen? Bei der Reflexionshöhe 1, bei der Beschreibung der psychotischen und einwertigen Psyche, ist das Modell, welches Günther und Freud annehmen, im Großen und Ganzen ergänzend, ohne irgendwo inkompatibel zu werden. Aber schon bei Stufe 2 gehen die Probleme los. Es mag sein, das das narzisstische Suchen nach Kohärenz durch die Seinsthematik formal erklärt werden kann. Aber, für Günther ist klar, dass das seinsthematische Bewusstsein nicht nur ein kindliches Übergangsstadium ist, welches wie der Narzissmus vorrübergeht, sondern eine Art Grundverfassung der menschlichen Psyche überhaupt, die zwar in verschiedenen Variationen und Komplexionen auftritt, in letzter Instanz aber nie von der Menschheit zurückgelassen worden ist, welches sie wie ein böser Fluch nicht mehr loslässt. Auch ist ein echtes Problem, wie die Zusammengehörigkeit von Narzissmus und Aristotelismus, überhaupt des griechischen Denkens zu deuten ist. Der narzisstische Urvater Freuds ist mit Sicherheit eine Figur, welche in Platons Bild des tyrannischen Charakters und seiner tyrannischen Herrschaft wiedererkannt werden kann,[55] oder auch in den aristotelische Analoga des Genussmenschen und des despotischen persischen Sklavenstaates.[56] Diese Gestalten sind aber für Platon und Aristoteles das absolut Böse, dem sie ihren Philosophenherrscher bzw. ethischen Gentelmen, der sich nach dem Sein und der Natur des Kosmos richtet in äußerstem Kontrast entgegenstellen.[57] Sind Philosophenherrscher und Gentlemen also ebenfalls Narzissten, aber in sublimierter Form, sodass man nun beginnen könnte, mit psychoanalytischen Narzissmus-Theorien die griechische Klassik auszulegen? Oder ist es doch am Ende problematisch, die günthersche Idee des seinsthematischen Denkens mit dem des freudschen Narzissten zusammenzuwerfen? Hier gibt es viel Arbeit zu leisten, woraus sich vielleicht eine Kritik des ontologischen Denkens überhaupt entwickeln könnte, als eines narzisstischen Denkens, dass jeden Bezug auf Andere unterbinden will.
Es muss auch hervorgehoben werden, dass für Freud das neurotische Denken auch in den allerprimitivsten Völkern beginnt, dort sogar noch ausgeprägter als bei Zivilisierten sein soll. Günther würde den Übergang zur Reflexionsthematik, wenn er diese überhaupt in der Geschichte ansetzen würde, entweder erst mit dem Monotheismus beginnen lassen,[58] oder mit der Neuzeit, als Descartes Subjekt sich nach innen richtete;[59] wenn Günther nicht, wie in späteren Schriften deutlich wird, sogar die gesamte abendländische Geschichte des Denkens als geschlossen seinsthematisch auffassen würde.[60] Es ist hier noch einmal hervorzuheben, dass sich Günther fast nur auf das Problem der Wissenschaft, und weniger auf das Lieben oder die Politik bezieht, die eher im Fokus von Freud ist; und im Bereich der Wissenschaft weiterhin die Naturwissenschaften vorherrschen und die Geisteswissenschaften weiterhin ihre Ziele, Grenzen und Methoden suchen. Aber es ist bei Günther auch immer als eine allgemeine Denkform gemeint, und insofern steht sie im Widerspruch zur Behauptung der absoluten Primordialität des Narzissmus bei Freud.
Eine gewisse Notlösung für diesen Schwierigkeit könnte der Ansatz bergen, dass man zwischen verschiedenen Körpern unterscheidet, an denen diese strukturellen Eigenschaften zu finden sind. Denn wenn auch die Mitgleider einer Familie zueinander durch das Töten des Urvaters nicht mehr diese unmittelbar die Existenz anderer negierende Struktur haben, sondern soziale Bindungen, Austausch und Achtung füreinander haben, sie zu einer anderen Familie wieder dieselbe kriegerische, rivalisierende und ausbeutende Beziehung haben, wie einst der Urvater zu den Mitgliedern der Familie. Dies würde sich dann wieder in Staaten aufheben, die wiederum im Nationalismus untereinander ihre Allergie gegen den Anderen ausleben würden. Unter diesen Umständen wäre es also richtig zu sagen, dass das ganze menschliche Denken zunächst und zumeist von rückbindenden narzisstischen Leitstrukturen geprägt ist, - sei es der Stolz, Leistungs- und Standesbewusstsein der Familie, die Ehre der Nation, der eigenen Identität, der Identifizierung mit den Identitäten unterdrückter, die Sache der Menschheit - in denen sich dann sichere und triebgehemmte intersubjektive Verhältnisse einfinden können. Die Suche nach dem Anderen wäre dann nichts anderes als das Bilden von größeren Einheiten, in denen dann wieder ein herausforderndes, potenziell unterdrückerisches Gefühl der Kohärenz und Einheit hervorgehen könnte. Im Detail der Verwindung der Entwicklungsstränge von Freud und Günther mit historischen Ereignissen, Phasen und Übergängen gibt es also viele Probleme und Widersprüche; die Grundstruktur ist aber bei beiden durchaus dieselbe.
Das wichtigste Desiderat bleibt allerdings die nähere Ausarbeitung des bereits genannten Problems, wie sich die zentrale freudsche Lehre vom Unbewussten in mit den logischen Schemata vereinigen lassen, welche Günther entworfen hat, sowie, damit zusammenhängend, die Frage nach dem exakten Verhältnis der verwandt wirkenden Theorien von Lacans Formalisierung der Psychoanalyse und der Stellenwertlogik nach dem DRI-Schema bei Günther. Eine echte Auseinandersetzung zwischen Günther und der Psychoanalyse kann nur fruchten, wenn auch das komplexe Werk Lacans in die Untersuchung mit aufgenommen wird, was ich als mittelfristiges Projekt im Ausgang des hier bloß Umrissenen und Skizzenhaften antizipiere.
So oder so ist aber bis hierhin schon deutlich geworden, dass Günther und Freud in ihrer Suche nach einer Struktur der Intersubjektivtät auf ähnliche Effekte und Probleme gestoßen sind. Die Gemeinsamkeit der einsamen und der intersubjektiven Psyche sind doch recht erstaunlich.
[1] G. Günther, Grundzüge einer neuen Theorie des Denkens in Hegels Logik, S. VII f.
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[36] (was nicht besagt, dass sie dreiwertig denkt! Das Sein spielt für sie keine Rolle mehr, es ist ausgeschlossen, verstellt, daher geht die Reflexion nicht als V-> (D->R-> I), sondern als V->(D-R).)
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