Tumgik
daddynicaragua · 6 years
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Eine Heimatgeschichte über die Lust an der Zerstörung des Internets
Es ereignete sich in der vergangenen Silvesternacht. Während sich das Land wie an jedem 31. Dezember auf die letzte Nacht des Jahres vorbereitete, bereitete sich Jens Schmiedgen auf sein erstes Attentat vor. Genauer gesagt auf sein erstes Terrorattentat oder noch besser, auf seine erste Terrorattacke. So nannte er selbst nämlich sein Vorhaben, weil sich „Attacke“ eben noch ein wenig animalischer und Sci-Fi-mäßiger anhört als „Attentat“. 
Während es also draußen dämmerte und die Kinder aus der Nachbarschaft anfingen, ihre sanft erwachende Vorstellung von Erwachsensein in Form von Böllerzündungen zu erproben, wollte Jens seine erwachende Unabhängigkeit eben in Form seiner ersten Instagram-Terrorattacke demonstrieren.
Angespannt saß der verwirrte Heranwachsende also vor seinem Computer in einem grauen, mit Erdnussbutter beschmutzten Hoodie. Eifrig tippte er auf dem mit verschiedenen Sekreten bespritzten Keyboard, deren Ursprungsgeschichten uns sicher zu weit weg von unserer eigentlichen Geschichte, nämlich der Geschichte über J.A.s ersten Instagram-Terroranschlag, führen würde. Mit einem komplizierten Verfahren, das er Wochen im Voraus gebaut und getestet hatte, begann er nacheinander die Profile aller in Deutschland ansässigen Influencer, deren Followerschaft mehr als 1 Mio. aufwies, endgültig zu löschen. Die auserwählten Opfer waren zusammengenommen mehr als 20 Milliarden Follower stark. Vor Mitternacht sollten alle Accounts gelöscht sein. Wie genau er das machte? Auch diese Geschichte würde uns zu sehr von unserer eigentlichen Geschichte wegführen.
So saß J unter einer hell erleuchteten Schreibtischlampe in seinem Jugendzimmer, dessen Unordnung die karge Einrichtung überspielte. Mittlerweile war es 20:13 Uhr. Js weiße Wangen waren leicht errötet, auf der unreinen Stirn hatte sich ein recht stabiler Schweißfilm gebildet. In regelmäßigen Abständen legte er eine Pause vom Tippen ein und griff nach seiner Handcreme von Rossmann, die rechts neben der Tastatur lag, um sich die von Neurodermitis geplagten Hände einzucremen. Er war ganz alleine Zuhause. Vielleicht hätten ein guter Freund, eine gute Freundin oder seine Eltern ihn ja zum Abbruch seines Vorhabens bewegen können. Er war aber nun mal allein und hoch entschlossen, die im Kopf skizzierte Attacke in der Realität auszumalen.
Jens wohnte mit seinen Eltern in so einem ländlich gelegenen frei stehenden, ebenerdigen Einfamilienhaus, dessen Fassade nahezu vollkommen verglast war und damit nicht ganz zu Unrecht Wohlstand vermittelte. Aber eben auch nicht vollkommen zu Recht. Ich habe mich immer gefragt, wie viel Geld in solcher Art von Häusern liegt. Sieglinde und Eymen, seine wahrscheinlich wohlsituierten Eltern, waren schon vor zwei Stunden zum Käsefondue im nachbarlichen Vorstadtidyll verschwunden. Sieglinde arbeitete bei Bayer, in einer nicht nachzuvollziehenden Position im Management und Eymen arbeitete als Erzieher in einem nahe gelegenem Kindergarten. Geschwister hatte Jens Abdullah keine.
Während seine Eltern also den Silvesterabend, wie viele andere Nachbarn, Schulfreunde und Bekannte in geselliger Runde begingen, stülpte sich Jens einen schwarzen Strumpf über den Kopf. Die Augenhöhlen schnitt er anschließend mit einer Schere frei. Wie bei einem echten Terroranschlag mit eventuellen Zeugen und Publikum. 
So ging Jens also am Silvesterabend 2018 vollkommen allein und hingebungsvoll, mit einem vor Blicken schützenden Nylonstrumpf auf dem Kopf, seiner Lust nach Zerstörung des Internets nach. Um 23:47 Uhr war schließlich der letzte Account gelöscht. Genüsslich zog er den Strumpf vom Kopf, nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank und gesellte sich mit einer XXL-Packung Silvesterböller von Rewe zu den Jugendlichen auf der Straße.
von Claudia Raupach
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daddynicaragua · 6 years
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Der kleine bot-Jahresrückblick: Betten 2018
Berlin Neukölln, Bett von L – für Überraschungen zu haben
Köln, Bett von A – zwischen Schurwolle und Alcantara bekomme ich Atemaussetzer
Berlin Neukölln, Bett von J – zielgerichtete Griffe, ich lasse mich gehen
Berlin Kreuzberg, Bett von N – unmöglicher Matratzenumstand
Berlin Kreuzberg, Bett von I – gedörrtes Obst im Briefkasten, kein Öl in der Küche, dafür meine verlässliche Matratze
Berlin Tempelhof, Bett von B – 5 Zimmer, 4 getestet und alle auf Platz 1
Berlin Alt-Treptow, Bett von T – korrekte Zeit am richtigen Ort, friedlicher Schlaf und hoffnungslose Zuversicht
Istanbul, Bett von S – beim Umzug geholfen und zwei Betten gut beschlafen
Berlin Neukölln, ONS – ich greife nach meinem Ring und verlasse die Wohnung
Berlin Neukölln, ONS – anschmiegsames Kissen, Decke, Bauchdecke, das nächste Treffen steht
Berlin Neukölln, ONS – unbeholfenes Bett, spärlicher Charakter
Berlin Neukölln, ONS – ich bin hin und weg, falle nahezu aus der Hängematte
Hamburg, Bett von V – Bett und alles andere haben ein Lifting erfahren
Hamburg, Bett von M – ich steige in Wilhelmsburg aus, warum bin ich eigentlich nicht in Williamsburg?
Leipzig Hausprojekt – Parole hier, Devise da, hohes sehr anziehendes Bett
Aline Lumre Festival – der Boden ist eben und mein Rücken passt sich an
Stuttgart Messe mit M – wahrliche Zeitverschwendung
München Messe mit M – wahrliche Zeitverschwendung
Mainz Messe mit M – wahrliche Zeitverschwendung
Berlin Wilmersdorf, Bett von P – weit und breit heruntergekommenstes Wohnen in meinem Freundeskreis
Kassel Documenta, Bett von E – Campingbus, geborgenes Matratzengefühl deutlich vorhanden
Berlin Alt Treptow, ONS – Altbau und Hochbett, Gefahr bei auf Auf- und Abstieg
von einer externen Autorin, die anonym bleiben möchte
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daddynicaragua · 6 years
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Lola
Ich bin gerade aufgewacht. Die letzten Tage habe ich viel geschlafen, weil ich gedrückter Stimmung war und das Leben zu ernst genommen habe. Das merke ich, als ich aufstehe, die Zimmertür öffne und gegen eine weiche, warme Masse laufe. Sie berührt mich sanft am linken Oberarm. Sie hat die Wärme eines jungen Menschen, eines Babys.
Mir ist schwindelig. Wenn ich versuche, zu erkennen was mir da den Weg zum Kaffee versperrt, sehe ich nur in Weltall-Farben schimmernde Schwaden. Ich kann nicht hindurchgehen, obwohl der Nebel Fröhlichkeit versprüht und mich nicht abstößt. Vielleicht will ich nicht hindurchgehen. Ich sehne mich nach einer weiteren Berührung. Die Masse bewegt sich wie eine Flüssigkeit auf einem Subwoofer. Wenn sie sich zu mir, die immer noch fasziniert im Türrahmen steht, ausstreckt, mich kurz berührt, streckt sie einen anderen Teil ihrer Existenz als stachelförmige Antenne in die Küche, zum Kühlschrank aus. Ich stehe nur da und gucke dem Leben zu, das da vor mir brodelt wie heftig kochendes Wasser.
Ich kann den Ausschlägen der Plasmawolke kaum folgen, fühle mich lahm und phlegmatisch in ihrem Angesicht. Dennoch versuche ich ihre Bewegung zu lesen; strenge mich an einen Kern zu sehen, denn der Nebel muss doch etwas verbergen. Sobald es mir gelingt das sekundenschnelle Wachsen in den Raum und das schnell darauf folgende Zurückweichen der flüchtigen Masse mit meinen eigenen Augen zu ergreifen, entsteht in mir ein Gefühl außerordentlicher Zufriedenheit. Es fühlt sich an, als hätte das Wesen ein schamanisches Ritual an mir vollzogen, das mich mich selbst vergessen ließ. Ich will zwar immer noch vorbei, zum Kaffee, aber gleichzeitig will ich die Masse nicht mehr alleine lassen. Ich bin wie gespalten.
Habe ich es selbst erschaffen, frage ich mich. Oder ist es doch nur ein Schwindel? Das Produkt unausgewogener Druckverhältnisse? Ich sehe nur noch sein Wabern und sein rosiges Glühen, sein Blitzen und wünsche mir noch einmal seine Berührung zu fühlen. Das wäre für mich wie eine Segnung oder das Überreichen eines Freundschaftsarmbands. Plötzlich aber dehnt sich die Wolke nach oben und unten zugleich. Sie zieht sich zurück. Wie ein Hund der beim Schnüffeln nichts Interessantes entdeckt hat, zieht es mich aus seiner Erfahrungswelt ab. Schließlich dehnt es sich in einer langsamen und flüssigen Bewegung nach oben aus und verschwindet in der Zimmerdecke. Alles ist wie vorher, aber mein Kaffeedurst ist verschwunden. Es bleibt nur ein etwas verkatertes Gefühl. Ich hätte durch es hindurchgehen sollen. Ich hätte meinen Kaffee nicht vergessen dürfen. Dann wäre es vielleicht geblieben und hätte sich nach mir ausgestreckt. Diven langweilen sich bekanntlich schnell.
von Stefanie Raupach
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daddynicaragua · 6 years
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Baby born *30k Followers
Das Baby ist da. Meine erste Schwangerschaft verlief größtenteils komplikationsfrei. Ich hatte mich gut vorbereitet mit Schwangeraschsftsyoga, Geburtsvorbereitungskursen und der richtigen Ernährung. Meine Followerschaft ließ ich in einem gesunden Maß teilhaben. Komplikationen traten erst ab dem dritten Monat auf.
Ab Monat 3 fing der ungeborene Mensch in meinem Mutterleib an, sich seine eigene Followerschaft aufzubauen. Dieses Gerät, das wir vor langer Zeit Smartphone nannten, mit dem wir unsere Freunde anriefen, unsere sozialen Netzwerke fütterten, Schritte und Kalorien zählten, hatte sich mittlerweile zu einer fast durchsichtigen Datenschicht weiterentwickelt, die jeder wie eine zweite Haut auf der Oberseite seines Unterarms trug.
Die warm-weiche, interaktive Datenhaube schmiegte sich geschmeidig an den menschlichen Körper. An jedem Unterarm war die wohlige Schicht montiert. So dünn dass man sie beim Tragen kaum merkte, versehen mit kleinen Löchern für die darunter liegenden Armhaare. Auch nachts und unter der Dusche blieb die Schicht am Körper.
Unsere zweite Haut hielt unsere Follower also automatisch und ohne unser Zutun auf dem Laufenden. Wir mussten keine Selfies mehr uploaden, keine Locations mehr taggen oder Veranstaltungen liken. Unser Netzwerk wusste alles über uns und konnte uns zu jeder Zeit beobachten, auch ohne Gerät.
Im Vergleich zu seinen Altersgenossen und proportional zu seiner Körpergröße entwickelte sich die Datenschicht meines Babys also schon im Mutterleib rasant. Auf dem Ultraschall stellten die Ärzte fest, dass sein Körperwachstum nicht mit dem Wachstum der Datenhaut mithalten konnte. Im vierten Monat hatte mein Baby bereits eine Followerschaft von 15k. Ein ziemlicher Wonneproppen.
Während ich weiter mit Geburtsvorbereitungskursen und mentaler Vorbereitung auf mein Erstgeborenes beschäftigt war, arbeitete der Kleine in meinem Mutterleib schon kräftig an seiner digitalen Reichweite.
Früher bauten sich Menschen ihre eigenen, kleinen Followerschaften auf, legten sich thematische Accounts in den einschlägigen sozialen Netzwerken zu, produzierten überwiegend persönliche Inhalte und Stories, kommentierten und markierten Beiträge mit “gefällt mir” oder “gefällt mir nicht”. Heute verfügte jeder Mensch über einen angeborenen Schwarm an digitalen Followern.
Bei seiner Geburt war der Kleine bereits 30k schwer. Die Datenschicht verdeckte seinen winzigen Unterarm. Da wird er bald reinwachsen, beruhigte mich der Arzt. Behutsam trennte er Nabelschnur und Datenlappen vom Mutterkuchen.
von Claudia Raupach
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daddynicaragua · 6 years
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Der Bodybuilder in der Zweizimmerwohnung
Der Bodybuilder passt rein physisch gerade eben in die heterogene Berliner Zweizimmerwohnung, die trotz der räumlichen Enge eine ganz selbstverständliche Weltoffenheit verkündet. Im gleichen Atemzug jedoch vor Bescheidenheit nur so um sich schlägt. Der Bodybuilder sieht diese Themen nicht und arrangiert sich deswegen hervorragend mit dieser Wohnung und der Situation.
Mit einem Wodka Cola steht er in der Küchentür als ich, leicht beschämt mit meinem Gesprächspartner in einer #metoo Diskussion vertieft, an ihm vorbeigehe. Würde diese Zweizimmerwohnung in Berlin Neukölln nicht so frisch und leicht aufdringlich nach Inklusion, genau dem richtigen Maß an frischem Zigarettenrauch und thailändischem Essen riechen, so hätte der Bodybuilder sicher Probleme, sich mit seinen Oberarmen, dem riesigen Nacken und den enormen Oberschenkelmuskeln durch die engen Räume zu manövrieren. Unter diesen wohligen Umständen bekommt er es aber hin und schleppt sich von der Küchentür auf die Schwelle zur Schlafzimmertür. Ich stehe am Fenster im Schlafzimmer und rauche während sie und ich weiterhin über ein Hashtag reden.
Das enge, schwarze, leicht glänzende Shirt liegt für meinen Sauerstoff verlangenden Blick zu dicht an seinem großen Oberarm und nimmt seinen rasierten Brustbereich sehr stark in die Mangel. Das grelle Deckenrampenlicht im Schlafzimmer befeuert dieses Bild. Sauerstoff fühlt seine darunter liegende Haut sicher nicht, denke ich panisch. Mein Blick hängt an diesem Körper. Seine Hose, eine ehrliche Jeansbegleitung, wurde mit einem massiven Gürtel fest an seine, im Vergleich zum Oberkörper, zierlichen Hüften geschnallt. Ihm ist sicher nicht bewusst, welch enormes Bild er kreiert.
Der Bodybuilder nimmt einen Schluck Wodka Cola aus jenem hohen Kristallbecher, mit dem hier jeder hantiert: Wein, Sekt, Wodka-O, Wodka Cola, Gin Tonic, alles in den gleichen massiven Bechern. Gerade als er zum Trinken ansetzt schwappt die Mischung gegen den zwar frisch rasierten, von der scharfen Klinge jedoch leicht aufgedunsenen Bereich direkt über seiner Oberlippe. Seine Haut ist das scheinbar gewohnt. Die Wodka-Cola-Mischung perlt an dem fleischigen Oberlippenbereich, ungesehen, ab. Er lacht ungezügelt. Während er weiter in Gesprächen vertieft ist, umgreifen die Hände nervös den Kristallbecher. Auf seiner Stirn bildet sich dabei ein leichter Schweißfilm, der nicht mehr und nicht weniger werden will. Ich habe genug geredet und überlege, wie ich meine Gesprächspartnerin los werde, als sich der Bodybuilderkörper von jetzt auf gleich auf das etwa dreifache aufplustert. Der Körper hängt jetzt schon unter der Schlafzimmerdecke. Das schwarze, leicht glitzernde Top platzt auf. Es kann den Oberkörper nicht mehr akkurat halten. Sein Bauch quillt aus der Hose heraus, der Kopf tiefrot, der Gesichtsausdruck weiterhin freundlich. Der Wodka-Cola-Kristallbecher liegt jetzt schon länger auf dem Boden, zersprungen in gleichmäßig große Scherben. Die aufgeplusterten Hände waren nicht mehr imstande das Gefäß in angemessener Position im Raum zu halten. Schlussendlich platzt der gesamte mühsam trainierte Körper mitten im Schlafzimmer. Der Bodybuilderkörper klebt mittlerweile auf dem Holzfußboden. Die restlichen Partygäste haben ihren #metoo-Gesprächen eine Pause gegönnt und beobachten die Situation gebannt. Des Bodybuilders Haaransatz hat sich bereits ohne großes Aufsehen von der sensiblen Stirnhaut gelöst.
Ein paar halbmotivierte Versuche, den Bodybuilderkörper aus der unbequemen Fußbodenhaltung zu befreien, scheitern.
von Claudia Raupach
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daddynicaragua · 7 years
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Sitzenbleiben
Der Vorhang geht auf. Die erste, jetzt schon unendlich lange Szene, enthüllt eine Drehbühne, die sich in einem quälenden Schneckentempo um die eigene Achse dreht. Die Drehbühne zeigt sich in einer ziemlich aufdringlichen Post-Internet-Ästhetik. Und schon jetzt merkt man, dass hier etwas anders ist. Ist das eine neue Folge "Black Mirror"?
Nein, das ist "Women in Trouble" von Susanne Kennedy, deines der ersten Stücke des neuen Intendanten der Berliner Volksbühne Chris Dercon. Screens, grelle Farben, Entspannungsgegenstände, Massagehandtücher, zu ordentlichen Pyramiden zusammengebastelt, aber weit und breit keine Schauspieler, keine Menschen. (Wo sind sie?) Das sind die ersten ca. 3 Minuten des Stücks. Nach und nach füllt sich die Bühne mit Angela, Angela 2, Angela 3, 4, 5, 6 usw., Angelas Mutter und ein paar Boys, deren Aufgabe in dieser entwurzelten Bühnenwelt noch nicht ganz deutlich ist. Alle Angelas sind in cozy Wohlfühloutfits gezwängt. Sie alle tragen lupenreine, weiße Sneaker und bewegen sich in einem kaum auszuhaltenden Schneckentempo über die Drehbühne. Ein bisschen Berghain-Ästetik und ganz viel Wohlfühlstimmung, die sich an der restlichen Inszenierung scharf bricht. Alle Angelas tragen die gleichen Perücken. Die Stimmen kommen vom Band. Kein Ausdruck, keine Mimik, keine Freude, keine Trauer, keine Wut. Und weil dieses Stück eben im großen Saal der Berliner Volksbühne stattfindet, vermisst man nicht zu Unrecht schon in den ersten Minuten, die hedonistisch-anarchische Castorf Bühne, auf der gelacht, rumgealbert, gesoffen und gefickt wird; auf der es emotionale Höhen und drastische Tiefen gibt. Und auf der eben auch ein Protagonisten ausgemacht werden können, dessen Rolle der Zuschauer gut oder schlecht oder witzig oder egal finden kann. Theater für Menschen eben. Was hier stattfindet, liest sich wie eine totale Negation des Castorff Theaters. Ein Code hätte das Drehbuch schreiben können, so bezugslos kommen die Dialoge daher. Manche werden dreimal hintereinander wiederholt. Mit verschiedenen Angelas, die jedoch alle gleich aussehen und doch eigentlich auch die gleiche Rolle innehaben. Dem Zuschauer wird viel abverlangt. Und noch mehr: In den meisten Szenen fallen Sprache und Bühnenhandlung auseinander. Während Angela 1,2,3 oder 10 in einem Wirhlpool inmitten der unheimlichen Wellnesskulisse entspannt und dabei von einer Frau oral befriedigt wird, befindet sie sich - laut Regieanweisung - gerade in einem Dialog mit ihrem Regisseur. Hä?! Genau! Sitzenbleiben wird zur Devise. Kaum auszuhalten, das Auseinanderfallen von Aktion und Sprache. Und Susanne Kennedy wehrt sich vehement dagegen diese Mechanik aufzulösen: Kein erleichtertes Lachen, kein "Achso", kein "Hahaha". Begibt man sich als ZuschauerIn auf die Suche nach einer Interpretation des Gespielten, so fällt man schnell frustiert in den gepolsterten Theatersessel zurück. So dicht, so theoretisch und so ungreifbar ist dieses Stück. Und auch die Rundbühne lässt keine Atempause zu und dreht sich die kompletten 150 Minuten um die eigene Achse, ohne Pause, ohne Beschleunigung, ohne Stopp. Und das passt sehr gut zum Bühnenbild, das wohl ein dystopisches Meditationszentrum darstellen soll, sich aber eher ins Jetzt als in eine Zukunft einordnen lässt. Die vielen, kleinen Screens mit Bubblelampenfilmchen wirken fast etwas unbeholfen. Aber was passiert denn jetzt konkret auf der Bühne? Allen geht es gut, alle sind willkommen, einige machen Sport und alle sind ruhigen Gemütes. Niemand stößt sich, niemand sabbert, kein Blut, kein Schweiß, kein Geschrei. Auf die Spitze getrieben wird diese Logik in der Szene "Cancer-Talkshow", in der ein sichtlich leidender Krebspatient zu seinem Umgang mit der Krankheit befragt wird. Die Bandstimme berichtet abgeklärt und zuversichtlich über seine Erfahrungen mit der lebensbedrohlichen Krankheit. Der Schauspieler bewegt emotionslos die Lippen dazu. Als der Krebspatient  den Bühnenraum verlässt, fängt er im Alleinsein heftig an zu schluchzen. In diesem Wohlfühl-Schlachtplatz scheint kein Platz für menschliche Regungen. Die Screens und die Geräte und die Wellness füllen den Space zwischen den Menschen. Nicht die Menschen selbst. Gemeinschaft scheint ein veralteter Wert. Und das erfährt der Zuschauer auch wieder auf einer ganz theoretischer Ebene: Bis man aus den verschachtelten Dialogen herausgelesen hat, dass Protagonistin Angela 1-10 selbst an Krebs leidet, sind die 150 Minuten Spieldauer bald vorbei. Das vorab groß angekündigte Thema "Gender" lässt sich in "Women in Trouble" auch nur in Theoriebrocken herausbrechen. In einer Szene trägt Angela ein Shirt mit der Aufschrift "Gender"; in einer anderen Szene wird über den Sexismus des Theaterregisseurs theoretisiert. Später wird dem Publikum etwas zusammenhangslos ein entblößtes, weibliches Geschlechtsteil aufgetischt: Eine nackte Frau liegt auf einer Kernspintomographie, ihr Körper ist mit einem OP-Tuch bedeckt, ihre Beine gespreizt gen Zuschauerraum. Das liest sich wie ein Aufbegehren gegen die Logik des männlichen Protagonisten-Theaters. Heute eben mal kein Lars Eidinger Penis. "Women in Trouble" versucht alles neu zu machen: Die Volksbühne, das Theaterdispositiv, die Rolle der Frau im Theater und die Zuschauerrolle. Man kann das eine ziemlich rabiate Theoretisierung des Theaters nennen, man kann das "unzumutbar" nennen oder eben "Neuanfang".
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daddynicaragua · 7 years
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Hinter der Bezahlschranke herrscht Einsamkeit
In Berlin Neukölln herrscht Hitze. Schweiss läuft über die klebrige Stirnen. Schwarze Ledersandalen brennen sich in Frauenfüße. Haare schmiegen sich ölig an Kopfhäute. Schiefgelaufene Badeschlappen am unteren Ende von breiten, männlichen Unterschenkeln. Hinterhöfe riechen nach heißem Müll. Die Ratten finden das gut und flitzen durch die Beete. Manche pusten Zigarettenrauch in die zu heiße Luft.
Ich stehe vorm Zaun. Nur die Bezahlschranke trennt mich von Chlorduft, fröhlichen Stimmen, Badehosen an kleinen Jungs, Bikinis an älteren Frauen mit steakroten, breiten Oberarmen und Poolrauschen.
Hinter der Bezahlschranke. Bikinis, weiße Beine, Badetücher auf armselig begrünter Wiese, tragbare Gefrierfächer, magere Hände, Melone hier und da, Pommes Frittes.
von Claudia Raupach
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daddynicaragua · 8 years
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Liebesbrief an C.N.
Das Weltall hat etwas sehr festliches. Es ist immer still und schwarz. Wenn ein Mann mit einem riesigen Fischglas auf dem Kopf um die Oberfläche eines Planeten herumfliegt, zeichnet die nicht allzu weit entfernte Sonne gleißend die sphärische Krümmung des Glases nach. Sie glitzert dann fast wie eine Weihnachtskugel, die man vor das knisternde Kaminfeuer hält. Das Weltall ist festlich und besonnen.
Wenn man den Fernseher ausschalten würde und stattdessen lieber mal ein bisschen rausginge, würde man mit keuchendem Atem auf einem kleinen Hügel im Wald stehend im besten Fall das Weltall sehen. Das Weltall ist die Realität. Das Leben auf der Erde ist dagegen ein amerikanischer Animationsfilm oder die Lindenstraße. Dass sich Herbstlaub mit dem Wind bewegt ist doch eine kitschige Geschichte. Die Welt ist Metaphysik. Das Weltall dagegen ist unser aller Zukunft. Diesen unendlichen Raum durchschossen im Sekundentakt hochwertig schimmernde Gefährte, die vor dem Hintergrund des mit glänzenden Sticknadelköpfen gespickten Schwarz wie Statisten wirkten, die in einem mittelmäßig choreographierten Film vom linken Ende des Bildes zum rechten schlendern.
Wir hatten den Schritt getan. Wir hatten es hinter uns gelassen: Das Christentum, die Antike, die Familie ohne gefederte Kinderwagen mit Kaffeehalter. Endlich hatten wir es gewagt in ein Universum vorzudringen das war wie eine nur leicht geschminkte nicht mehr ganz junge Blondine die eine dramatisch realistische Serienhauptrolle spielt. Heute konnte niemand mehr sagen wann genau die Technik das Leben der Menschen endgültig revolutioniert hatte, aber angefangen hatte es mit jenen Netflixserien, die im Zeitalter der optimistisch gestimmten Apokalypse den Höhepunkt des Materialismus zum Kern der Popkultur erhoben hatten. Sie hatten das Denken der Menschen frei gemacht für einen erweiterten Umgang mit der Welt. Nach „Girls" oder „Transparent" baute keiner mehr Atomkraftwerke oder Studentenwohnheime. Auch die Bemühungen eine exakte Kopie der Erde zu finden, um das Überleben der Menschheit zu sichern wurden zu dieser Zeit eingestellt. Stattdessen begannen die Tycoons der Welt irgendwann nach der fünften Staffel von „Fargo“ ihr Kapital zusammenzuziehen und in Marketingsstrategien zu investieren mit denen sie leistungsstarke Raumschiffe für jeden erschwinglich machten und einen regelrechten Boom auf diese ovalen matt sich krümmenden Raumflitzer auslösten. Die Pioniere unter ihnen wussten schon als die ersten paar Dunstspuren die Atmosphäre benetzten, dass in dieser Technologie das Potenzial lag, um der Erde so wie wir sie noch kennen ein sehr luktarives neues CI zu geben. Andere Planeten lagen jetzt direkt vor dem Wohnzimmerfenster und so wie die Erde die Menschheit in bestimmte Lebensformen gezwungen hatte, so betraten die Raumreisenden mit jedem Planeten eine neue Umgebung, der sie sich anpassen mussten.
Im Gegenzug eröffnete sich den Reisenden aber auch eine kaum zu überblickende Vielzahl von neuen Möglichkeiten. So brauchte es nicht viel vermarktungsstrategischen Feinsinn, um den Leuten klar zu machen, dass man zur Erde flog, wenn man mal Lust auf ein fein komponiertes Menü aus Kürbisblüten und Radiesschensprossen verspürte oder sich nach einem leicht transparenten handgefilterten Kaffee verzehrte, zu dem ein knusprig-süßer Cracker aus italienischem Import serviert wurde. Mit nur einem Klick ließ sich der Autopilot eines jeden Shuttles aber auch so einstellen, dass es in ein paar Stunden auf einem Stern landete der alle Bedürfnisse befriedigt, die sich regen, wenn man sich in einem schwarzen Jumpsuit mit silbernen Schnürplateauschuhen vorm Spiegel bewundert. Der einzige Preis dieses Lebens war, dass man mitspielen musste. Zu lange auf einem Stern zu verharren war nicht ratsam, denn jedes Biosystem konnte, infiziert mit einem irdischen Eindringling, nur einen minimalen Schwung an Energie liefern, die zu seiner Aufrechterhaltung nötig war. Sobald dieser Energiesatz aufgebraucht war, und für diesen Moment musste jeder Reisende eine gewisse Senisbilität entwickeln, wurde es Zeit zum Raumshuttle zurückzukehren und sich wieder auf den Weg zu machen.
C hatte es sich momentan auf der Erde bequem gemacht, genauer gesagt, auf einem kleinen Frühstücksbalkon mit einem spektakulären Blick über einen beachtlichen Teil Kölns. Es war ein wunderschöner früher Herbstmorgen. Eine angenehme Frische versprach die Stadt in spätestens zwei Stunden zu beleben und der blaue Himmel würde sie in Massen in die Parks und Cafes zu ihren Füßen ziehen. C nippte an ihrem heißen Milchkaffee, dem der Milchschaum doch schmerzlich fehlte. Ihr Croissant hatte sich zu großen Teilen in erstaunlich harten kleinen Blättchen auf ihrem Schoß niedergelassen. Vor ihrem inneren Auge betrachtete sie sich selbst, wie eine Fotografie mit dem Thema französisches Savoirvivre und war sehr zufrieden mit dem was sie sah. Mit warmen Orangetönen und einer Lässigkeit mit der sie es sich auf dem schmalen Metallstuhl für einen aristokratischen Tagesanfang angemessen bequem gemacht hatte, wiegte sie sich selbst in dem beruhigenden Vorsatz heute alles richtig zu machen. Mit einem warmen Gefühl in der Magengegend war ihr Blick gerade an einem Dach hängengeblieben, als sie plötzlich ein seltsames Gefühl überfiel.
von Stefanie Raupach
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daddynicaragua · 8 years
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Liebesbrief an C.N. Teil 2
Es kroch blitschnell über ihre Oberarme langsam sich in Gänsehaut verwandelnd eiskalt und doch brennend direkt in ihr Herz. Von einem Moment auf den anderen hatte sich ein Augenblick ihre gesamte Existenz gegriffen.
Ihren Cafe au lait in der Hand, eingemummelt in eine Flauschdecke hatte sie keine Hände frei um sich ihm entgegenzustellen und war hilflos ausgeliefert. Der Augenblick hatte ihr ein paar Sekunden geraubt. Sie waren ihm bereitwillig in die offenen Arme gesprungen und hatten den Lauf der Zeit so vollkommen durcheinander gebracht. Zugegeben, sie hielt ihre Sekunden, Minuten und Stunden, ja manchmal sogar Tage nicht so beisammen, wie andere Leute es taten. Aber dieses Gefühl gerade... Die Sekunden deren Fehlen ihr gerade siedend heiß aufgefallen war, hatten sie verraten, ausgeliefert an etwas das sie weder hören noch sehen oder riechen konnte. Es war ein unheimliches Gefühl. Sie kam sich vollkommen allein vor, so als ob sie nackt zu einem Beurteilungsgespräch gehen müsste. Während sie sich langsam wieder am geordneten Vorüberziehen der folgsamen Sekunden beruhigte, kam die trockene und unelegante Fingerspitze ihrer rechten Hand ins Bildfeld und sie sah ihr zu wie sie gegen den Blütenrand der viel zu pinken Balkonkastenblume neben ihr drückte. Sie sah die kleinen Härchen an ihrem Stengel und bedauerte, dass sie die Wirklichkeit der Blume durch die Hornhaut an ihrer Fingerspitze nicht fühlen konnte. Sie fühlte keine Feuchtigkeit, kein Leben, kein Chlorophyll, keine Farbe- Alles was sie fühlen konnte war die fast schon obszöne Vergänglichkeit der Blume.
Es ist doch alles nur Theater, dachte sie mit einem Anflug von Verbitterung. Wenn sie ehrlich zu sich war, wusste sie, dass sie sich auf den weitaus bequemeren Boden setzen würde, sobald ihr eine unsichtbare Hand eine Packung Toffifees reichen würde. Savoirvivre hin oder her. Mit dem geligen Schmelz von Nougat auf der Zunge geht eine Bedingungslosigkeit einher, der man sich ganz hingeben muss und das geht nicht mit einem Rückenwirbel zwischen zwei Metallplanken. Sich selbst zum Objekt machen oder aufgeben – das waren die zwei Möglichkeiten die C zur Verfügung standen und die nur der Gedanke an Nougat ihr wirklich bewusst machen konnte. Das was bei ihr hinter den Organen saß wurde in diesen schmerzlich erleuchtenden Momenten von ihrem Willen auf eine Einbahnstraße durch ihren Körper geführt, die in dem Bruchteil der Sekunde in dem sich die Packung Toffifees vor ihrem inneren Augen materialisierte, durch ihre brüchige Schlagader, an der Seite ihres Halses vorbei, schmerzhaft die äußere Kante ihres linken Unterkiefers anschabend, durch den Gehörgang hinauf zum oberen Rand ihrer Ohrmuschel führte. Ein ungesund stechender Schmerz der sich langsam vom Piddeln an dieser Stelle ausbreitete, machte dem Druck gegen die Wände ihrer Zellen Luft.
Insgesamt war es heute aber nicht so schlimm. Sie schwitzte momentan nicht und fühlte sich insgesamt recht wohl. Trotzdem ignorierte sie ihre fettigen braunen Haare und zu Pickeln neigende Haut jetzt schon in der dritten Stunde und drückte ihre langen, spröden Fußnägel im Rhythmus von Viertelstunden auf den Boden um ihren Abstand zu ihrem Körper zu überbrücken. Als sie den Blick hob, sah sie Buntheit. Leere, stille aber positive Buntheit. Wahrscheinlich ist das der Trick - an einem Sonntag können sich alle mit ihren Körperpflegeprodukten und weichen, neuen Klamotten beschäftigen, dachte sie, während eine Schönheit aus dem Nachbarhaus zum zweiten Mal einen Berg Secondhand-Klamotten zum Verkauf um die Ecke schleppte. Die sitzen in ihren langen Flatterkleidern und Sombreros auf Kisten vor den Cafés und es stört sie nicht, dass alles still ist und keiner in dieser Stille über etwas hinwegsehen kann. Sie sind so dünn, dass sie keine Speckrollen unter ihren Flatterkleidern haben, die der Alltag so mitschleift, das Wochenende aber thematisiert. Sie selbst fühlte sich mittlerweile miserabel. Wie nach einem dieser langen Fernsehtage ihrer Kindheit, bei denen man sich die Arte-Wirklichkeit so abgewöhnt, dass man nur noch die bunt flackernde Carbonaranudeln-Realität erträgt ohne Eisenmangel zu kriegen. Mein Gott, was ist das! Gerade hatte sie schon wieder das Gefühl aus einer anderen Welt wiedergekommen zu sein.
Nach dieser wiederholten Erschütterung fiel es ihr sichtlich schwerer sich wieder zu sammeln. Aber noch siegte die Faulheit und ihre Sehnsucht nach einem Kochsendungsmorgen. Also ignorierte sie das zutiefst ungute Gefühl einfach weg. Sie drückte es an die Wände ihrer Croissantgeschmierten Innenwände und versiegelte die Kanten mit lauwarmem Milchkaffee. Alles fühlte sich so schön an. Die Sonne schien auf die Balkonblumen und hinter ihnen staffelte sich das Grün des Hochsommers wie in einem mittelalterlichen Landschaftsgemälde bis vor die letzte Betonwand. Ihr Kaffee schmeckte leider nicht besonders gut. Er sah etwas grau aus und schmeckte bitter-säuerlich. Es wäre wahrscheinlich besser, wenn ich aufhören würde ein gutes fettiges Croissant mit selbstgemachter Marmelade- besser Konfitüre- und einen vollmundigen Milchkaffee mit Vollmilch aus dem Bioladen, am besten die mit den kleinen Butterstücken aus der Flasche, als das ultimative Sonntagserlebnis zu verstehen. Jetzt hier in einem sagen wir gut gebügelten Pyjama sitzen, vielleicht aus Seide. Die Haare gespült und insgesamt blond riechen. Das wär doch was... Auf der gegenüberliegenden Straßenseite hatte das verdammte Ströer ein Riesenplakat von einer Frau aufgehängt, die für eine dieser Billo-Dessousmarken Werbung macht. Es ist eine Frau, die auf 9Gag der Kategorie Frauen zugeteilt würde. Frauen, Frauen, Frauen, wenn man es oft genug sagt, hört es sich an wie kaufen, kaufen, kaufen, dachte sie mit dem warmen Zorn der Überlegenheit im Bauch.
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daddynicaragua · 8 years
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Risse und Löcher
Hellbraun, die Fassade des 70er-Jahre-Gebäudes ist schon lange depressiv. Deswegen auch die vielen Risse und einige Löcher. Die Risse haben sich in den zurücklegenden Jahrzehnten durch die Fassade des Bürogebäudes gefressen. Hier und da ist Putz mit abgesprungen. "Ein Sicherheitsrisiko für das Gebäude hinsichtlich seiner Stabilität stellen die Risse im Regelfall nicht dar", sagt der Gebäudefassadenfachmann. Ab und zu kommt er und spachtelt sie mit hohlen Wangen rauchend zu. Er hat schon viele Risse in seinem Leben gesehen. Er übermalt den abgeplatzten Putz mit frischem Hellbraun.
Bei den Büroangestellten Katja und Franziska, die im Gebäude arbeiten, schlägt sich der nie enden wollende Nieselregen in einem starken Husten nieder, Brüllhusten. Brüllhustend rauchen sie vor dem Hellbraun John Player Special. Ihre Köpfe versacken müde in flauschigen Schals und verstecken einen Teil ihres Gesichts, bis zur Unterlippe. Ihre Handflächen sind in die Jackenärmel hineingezogen, so dass nur die vor Kälte roten, trockenen Finger mit Silberringen und langen Nägeln herausschauen.
Die Haare von Franziska und Katja sind streng zu einem Dutt zurückgekämmt. Strähne für Strähne wurde mit Haarspray an den Kopf geklebt. Das was halt noch übrig ist. Jeden Morgen kämmen und sprayen sie um ca. 7 Uhr vorm Badezimmerspiegel. Ein autoagressives Ritual, das Zeit spart und Ordnung schafft. Sommer auf Gran Canaria. Ohrenstecker aus Strass. 5 Euro. Katzenfutter im Angebot.
Hustend und rauchend unterhalten sich Franziska und Katja über den Jahresurlaub. Sonst steht nicht viel an. Geraucht wird viel und gehustet. Wann ist Mittagspause?
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daddynicaragua · 8 years
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Nichts von nichts
Sich gegenseitig die Unterseite der Füße rasierende Berghain-Automaten, Bong-rauchende Anti-Models und Coke trinkende Smartphone-Kids - Anne Imhof verwandelt die große Halle des Hamburger Bahnhofs in einen Aufführungsort, der die Gegenwart ganz nebenbei und zugleich ziemlich brutal demontiert: Mit "Angst II" bringt Imhof die totale Nicht-Aufführung "auf die Bühne". Es gibt weder einen festen Aufführungsort (Imhof's Akteure bewegen sich frei durch die Vorhalle; mal in der Rolle; mal senil in der Ecke sitzend, mal rauchend und auf dem Boden, mal am Smartphone) noch eine Handlungs-Dramaturgie, an der sich der gewohnt-gemütliche Zuschauer anlehnen kann. Auch die manifesten Hallen des Hamburger Bahnhofs werden durch dichte Nebelschwaden visuell eingerissen. Nothing comes from nothing.
Mal wird vor sich hin gesungen, mal der Bauch oder die Unterseiten der Füße rasiert (alles in einem betonten Schnecken-Tempo), mal Coke getrunken oder zusammen in der Ecke rumgehangen. Ein junger, träger Gangster und ein noch jüngerer Smartphone-Boy von etwa 8 Jahren sitzen eine ganze Weile lang fast reglos in einer von Nebel und Wärme dünstenden Wohnzimmer-Kulisse links am Eingang. Der ca. 8-Jährige liegt mit dem Rücken zur Wand und tippt unbeeindruckt auf dem Handy. Er trägt einen bunten Schlafanzug. Der junge, leicht schwitzende Gangster-Boy hängt breitbeinig an der Wand mit dem reglosen Gesicht zum ankommenden Besucherstrom. Eine andere Akteurin sitzt 2 Stunden unbeweglich in der Ecke rechts am Eingang. Das Smartphone am Ladekabel, der Blick mal auf dem Phone mal im Nebel der Halle.
Ansonsten wird viel geraucht und viel Nichts getan und das Nichts Tun ausgehalten. Kann man sich da einfach zusetzen? Wer hier Akteur ist und wer nicht scheint egal. Rein visuell unterscheidet die ungeschminkten Akteure allesamt in weißen Sportsocken und schwarzen Sportschuhen nicht viel von dem anwesenden Berliner-Hipster-Publikum. Sie könnten allesamt genauso gut gerade aufgestanden sein, gerade ins Bett gehen, gerade auf dem Weg ins Berghain oder zur Arbeit sein: Jogginghose, Sportsocken, genderfreundliche Frisuren, bauchfreie Tops, kein Bunt. Egal.
Wo man hier hinsieht, herrscht das Diffuse, das Egale. Die totale "Egalness" ist bei Imhoff allerdings nicht Katharsis, nicht Mittel zur Moral, sie ist vielmehr Normalität. Das Egale ist kein Zustand der aufgrund fehlender Ambition eintritt. "Egalness" ist hier vielmehr gelebte Haltung. Nicht minder wertvoll und nicht mehr als politisches, soziales oder gesellschaftliches Involvement. Die genderfreundlichen Imhoff-Modelle schwitzen auch alle ein bisschen beim Egal-Sein.
Bei so viel Absense machen sich die Sinne des Besuchers eigens auf die Suche nach dem Auftritt: Es scheinen die stillen Dinge, das unbelebte Material, das hier zum Akteur wird. (Vibrant Matter: A Political Ecology of Things, Jane Bennett): stapelweise "Gilette"-Rasierschaum, Paletten von Pepsi Cokes, Bongs, iPhones und Drohnen (die mal an der Wand lehnen, sich mal auf Besucher-Köpfe setzen oder Schultern anstupsen). Eine bildliche Nomenklatur sondergleichen, ein Spiegel unserer Zeit möchte der gemeine Kritiker sagen, das Erwachen der Materie als logische Konsequenz des Materialismus würde Jane Bennett sagen, "Angst" sagt Imhof.
 Anne Imhof ist deutsche Medien- und Performance Künstlerin, die bereits 2015 die Einzelausstellung Deal im MoMa, New York ausstellte. Im gleichen Jahr erhielt sie den Preis der Nationalgalerie Berlin für junge Kunst.
von Claudia Raupach
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daddynicaragua · 8 years
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Majestätischer Puma springt kraftvoll auf Ast und fällt versehentlich runter
Sie hatten einen guten Platz weit weg vom Klo bekommen. Die Sitzflächen waren zwar etwas klein- der Holzrahmen bohrte sich zeitweise in ihr Steißbein- aber die Atmosphäre verbot sowieso jede Gemütlichkeit.  Die wollte sie gerade aber auch nicht zulassen. Bequemlichkeit ist die Droge der Schwachen, dachte sie und bei dem Gedanken sich jemals in ihrem Leben für die bequemere Hose oder das zweite Stück Kuchen entschieden zu haben, kroch ihr die Scham eiskalt den Nacken hinauf.
In diesem Moment saugte sie die enorme Energie, die sie ausstieß sofort wieder auf und blies ihre Geschichte immer weiter damit auf. Aus irgendeinem Grund hatte sie angefangen, davon zu erzählen, wie sie vor ein paar Tagen in ein Gewitter geraten war. Ihr souveränes Auftreten und ihr subtiler Witz hatten ihr auf eine imaginäre Bühne geholfen und nun suhlte sie sich schon ein paar Anekdoten lang in der warmen Sonne der atemlosen Aufmerksamkeit von B. Die Sätze sprudelten aus ihr heraus. Bs Gehirn verfolgte die Worte, wie ihre Augen einen Film verfolgt hätten.
Sie sah C durch einen verschatteten doch sehr grünen Wald rennen. Die Baumspitzen lagen außerhalb ihrer Vorstellungskraft. C rannte und rannte. B ergriff das kalte Entsetzen, als sie den Grund für Cs gehetzten Gesichtsausdruck erkannte.  Wenn C zufällig einen Ast zur Seite schlug, verwandelte der sich sofort in einen Troll, der sie verfolgte. C wusste nicht, was die Trolle ihr antun würden, schlössen sie zu ihr auf. Aber aus irgendeinem Grund beschlich sie bei ihrem Anblick das gleiche phobische Zittern, das sie bei der Begegnung mit Hausspinnen bekam. Außerdem musste sie bei jedem Tritt kleinen hirschähnlichen Tierchen ausweichen. Das erforderte unheimlich viel Beinarbeit. Zum Glück hatte sie nicht vergessen, nach dem Laufen ihre orthopädischen Sohlen wieder in ihre Turnschuhe zu legen. Cs blasse Haut war feucht von Schweiß und Luftfeuchtigkeit. Ihre dunklen, leicht fransigen langen Haare klebten an ihren Wangen. Ihre Lippen waren vor Anstrengung etwas geöffnet und ließen den Blick auf etwas zu große weiße Zähne zu. Das rote Flanellhemd hatte sie ausgezogen und fest um ihre schlanken Hüften geschlungen. Ihre im schlichten Tanktop fast mager erscheinenden Gliedmaßen zeigten bei größeren Sprüngen und festeren Tritten das Spiel ihrer jugendlichen Muskeln unter der weich aussehenden Haut. B verstand Cs Aussehen absolut nicht, aber sie wusste, dass sie wirklich anziehend war.
Hinter C war schon ziemlich viel los. Sie hatte aber wie durch ein Wunder immer noch einen großen Vorsprung. Wild suchte sie nach einem Ausweg oder einem Versteck. Warum hast du dich nicht einfach irgendwo untergestellt? Unterbrach B die Ausführungen Cs. C: Hast du überhaupt zugehört? Sie hatte den Schwung, den man hat, wenn man zufällig richtig gegessen hat, bevor man nach einer Woche  joggen geht. C wusste, dass sie einen großen Vorsprung hatte. Sodass sie in eine langsamere Gangart wechselte und links neben sich einen steinernen Verschlag entdeckte. Er war viel zu verfallen, um wirklich als Versteck zu dienen, aber Hexenfilm-Formen hatten sie schon immer magisch angezogen. Also betrat sie den Verschlag und wäre fast in das Loch gefallen, das sich im Atrium direkt vor ihren Füßen auftat. Es sah aus wie ein Brunnenschacht. Nur eine einzelne Stufe führte noch eine handbreit in das Loch hinein.
Die Trolle im Nacken und das Loch zu ihren Füßen gaben C einen Energiekick. Sie war so aufgeregt, dass ihre Ellbogen nervös zu kribbeln begannen. Angst in das Loch hinabzusteigen, beschlich sie, aber wann würde sie hier noch einmal herkommen? Lieber alles angucken. Nicht, dass sie sich irgendwann mit jemandem über diesen Ort unterhielt und das Gespräch auf das Loch käme und sie müsste dann sagen, dass sie nicht herabgestiegen war, weil sie erstmal vor den Trollen flüchten müsste. B: Aber soviel Zeit blieb doch gar nicht! C.: Mein Gott, ist doch piepegal . Kennst du das nicht, wenn du viel zu schnell trinkst, weil du nicht abwarten kannst, bis der Abend super wird? Du weißt, es kann nur perfekt werden, deswegen willst du den weniger guten Teil einfach straffen? Als sie den ersten Schritt auf die Stufe getan hatte, entstand direkt unter ihr eine neue. Sie hatte nicht gesehen, wie das geschehen war. Vielmehr war es, als sei die Stufe schon die ganze Zeit da gewesen. So lief sie einige Wendungen nach unten in die Dunkelheit, die aber nie undurchdringlich erschien. Ihr Herzklopfen war ein völlig neues Gefühl. Sie fühlte sich, als ob sie ihren ganzen Körper auf der Autobahn warm gefahren hätte. Das rote Lederoutfit  mit Arm- und Schulterschonern passte sich perfekt den extremsportlichen Ausbalanciermanövern an, die nötig wurden, wenn eine Stufe doch mal fehlte.
B: Das ist echt so wie die Leute in den Horrorfilmen, die in den Keller gehen, statt in ein Einkaufszentrum oder so zu fliehen. C: Ja so hat es sich auch angefühlt. Da konnte ich zum ersten Mal verstehen, warum man sich Horrorfilme ansieht. Es geht nicht um Körper, Mord oder sowas. Es geht um den Grenzüberschritt. C wurde immer aufgeregter, während sie runter stieg. Hinter einer etwas schrägen Kurve lag ein Mauervorsprung, der ihr den Blick auf den vor ihr liegenden Weg versperrte. Um jedes Risiko auszuschließen, nahm sie ihre Pistole aus dem Halfter. Sie richtete die Waffe am ausgestreckten Arm auf ein Ziel neben der Kamera, sodass die Perspektive ihren Körper noch dynamischer erscheinen ließ. Die Augen in ihrem weichen, kindlich verquollenen und deswegen umso attraktiveren Gesicht , waren entschlossen und strahlten eine unbezähmbare Wildheit aus. Sie wusste, ihr Wille war stärker als ihr schmaler Körper. Wie beim heimlichen Hören von harter Hip-Hop-Musik, wie beim verstohlenen Bewundern von übermäßig aber stilvoll geschminkten Frauen, erfasste der Anblick von Cs schlankem Körper, den ihr Wille fast zu einem Tribaltattoo formte, die anarchische Seite in Bs Seele.
Die Kurve entblößte jedoch keine Monster. Nach ein paar weiteren Schritten fing sie an, schwach in den Knien zu werden, als ihr Gesicht langsam in warmes Licht getaucht wurde. Je weiter sie ging, desto breiter wurde die Treppe, bis sie zu einer Empore in einer inzwischen hell erleuchteten Halle geworden war. C sprang die letzte Stufe hinunter und traute sich in das tiefere Loch hineinzusehen. Es war hell erleuchtet, wie im schönsten Sonnenaufgang. An seinem Grund konnte sie grünen Rasen erkennen. C dachte sich, dass der Boden über den Grundriss hinausragte, wusste aber, dass sie es heute nicht mehr schaffen würde herunterzuklettern, um dort hinzulaufen. Im warmen Sonnenlicht flogen animierte kleine Wesen mit Flügeln herum. Einige sahen aus, wie gezeichnete Vorstadien von Marienkäfern, andere eher wie Seekühe. Unter dem Treppenabsatz hatten sich geflügelte glitschige Seepferdchen mit ihren Rüsseln festgesaugt. C: Das war alles echt erhebend. Dieses Naturspektakel. Aber langsam hatte ich irgendwie keine Lust mehr. Picknicken wäre mir jetzt aber auch irgendwie zu bürgerlich gewesen. Jetzt mal auf der Couch lang machen und am liebsten Nudeln mit irgendeiner geilen Käsesoße? Ich mach einfach auf dem Rückweg einen kleinen Abstecher zu Rewe. Also stieg sie die Stufen wieder hoch. B: Hattest du nicht noch Pesto und ne Packung Nudeln zuhause? Das kannst du dir doch einfach machen. C: Ja hast recht. Als C aber vor die Tür des Steinbaus trat, sah sie links weit hinten den ersten schwarzhaarigen, berüsselten Troll durchs Dickicht brechen. Er stieß ein Geräusch aus wie ein pfeifender Wanderer, nur gehetzter.
C: Meine Lust auf quetschige Nudeln verschwand so plötzlich, wie sie gekommen war und ich ergriff die Notwendigkeit durch diesen Dschungel zu fliehen am Schopf. Genau darauf bedacht, nichts Pflanzliches zu berühren, rannte sie nach rechts tiefer in den Wald hinein. Bis ich plötzlich am Anfang einer asphaltierten Straße, der Bismarckstraße wie das Straßenschild verriet, stand. Links und rechts Mietshäuser und an einer Bushaltestelle saß ein selbstblondiertes Mädchen mit Lederarmparka anatomisch verändert über ihr Smartphone gebeugt. Als ich weiter in die Straße hineinlief, wäre ich fast mit einem älteren Mann zusammengestoßen, der wohl gerade eine wichtige Nachricht auf seinem iPhone empfangen hatte. Mit dem Wald hatte mich auch der Entdeckerdrang schlagartig wieder verlassen. B: Und bist du dann wirklich noch einkaufen gegangen? C: Ehrlich gesagt ja, und dann habe ich tatsächlich der zweiten Folge Game of Thrones eine Chance gegeben. Ich habs im Nudelkoma echt die Stunde lang durchgehalten, aber ich finds glaub ich scheiße, ist echt nur nackte Frauen und aufgewärmte Herr-der-Ringe-Ästhetik. Für C war die Welt durch ihre Abenteuer wieder ein bisschen fremder und größer geworden. Sie wusste, zwischen den Bildschirmen gab es eine unbekannte Parallelwelt die Bedürfnisse in ihr weckte, die sie im Rewe vor dem Käseregal nicht kannte.
Mit einer Träne im Auge, tippte das Monster den letzten Buchstaben und drückte das E dabei mit seinen Krallen so tief in die Tastatur, dass es sich verhakte und für jeden zukünftigen Benutzer unbrauchbar wurde. Langsam griff es nach der Leserbrille auf seiner Schweinsnase und legte sie unter lautem Geklacker seiner Krallen auf dem Küchentisch ab. Dann stand es auf und schmiss den Ofen samt halb gegessenen Nudeln aus dem Fenster. C wurde von diesem Lärm nicht wach. Sie war vor dem Fernseher mit schokoladenverschmiertem Mund eingeschlafen. Am nächsten Tag würde sie mit einer unangenehmen Fernbedienungsquetschung an der linken Hüfte aufwachen.
von Stefanie Raupach
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daddynicaragua · 8 years
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Im Getriebe
Guten Morgen!
Jacke aufhängen, an den Sitzplatz am Acht-Mann-Tisch gehen, Handy aus der Tasche kramen, auf den Schreibtisch legen, Tasche unter den Schreibtisch schieben. Computer hochfahren, Outlook öffnen – der Posteingang aktualisiert sich: 4 neue Nachrichten – 2 x Spam, 2 x in CC gesetzt: Merken das nichts passiert ist.
Dann anfangen auf den Desktop zu starren, jedes Pixel zu betrachten, müde, frustriert, einsam. Die anderen hauen in die Tasten, schwingen die Telefonschnüre, sprinten in den Konferenzraum oder zum Drucker.
Zeit für einen ersten Kaffee – sehr süß und mit Milch. Überzuckerung, die Chance, hier endlich mal was zu spüren. Zurück am 8-Mann-Tisch wird für den restlichen Vormittag sehr laut Musik gehört. Die kommt aber nicht bei mir an, sie bleibt so weit weg, kann sich den Weg in die blinde Geschäftigkeit, in der ich sitze, nicht bahnen. Eine Geschäftigkeit, die sich eigene Probleme schafft, um sie lösen zu können. Eine Geschäftigkeit, in der alles Thema ist, sehr viel kommuniziert, behauptet, festgestellt und weitergeleitet wird, aber trotzdem nichts gesagt wird.
Zum Mittag meldet sich mein Körper zur Situation: Ich fange an mich eingeklemmt zu fühlen und bekomme Stress. Mir wird heiß, die Computertastaturen trommeln mir ins Ohr, ich schwitze, bekomme einen roten Kopf, ich muss aufstehen, raus aus meinen Schreibtischstuhl, weg von meinem Schreibtisch. Fenster auf, Fenster zu, Kaffee 2, 3, 4 und 5 und einen Schokoriegel. Gegen Feierabend habe ich Kopfschmerzen und sehr schlechte Laune.
Bis morgen dann!
von Christina Raupach
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daddynicaragua · 8 years
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Einmal Fernreise zum hier essen, bitte
Thomas wollte einmal Fernreise machen. Er wollte mit dem Flugzeug nach Bangkok fliegen und sich ab da ein richtig deftiges Abenteuer servieren lassen. Mit dem Bus wollte er durch das farbenfrohe Thailand fahren, aus dem Rucksack leben - in der Ungewissheit des nicht gebuchten Rückflugs sich in seinem wohl portionierten Abenteuer sonnen. Mit einer Fähre wollte er die abgeschiedenen Inseln der "The-Beach-Kulisse" erobern.
Über die Möglichkeit, eine Tätowierung als bleibende Erinnerung mit nachhause zu bringen, hatte er auch schon nachgedacht. All das hatte er in sein Thailand Diary aufgenommen; in der Sorge eines seiner Vorhaben zu vergessen. Er wollte auch ein Erlebnis-Blog schreiben und seine zurückgebliebenen (im wörtlichen und übertragenen Sinne) Freunde an seinem selbst gekocht und eigens servierten Abenteuer (zum hier essen, bitte!) teilhaben.
Aber dann kam alles ganz anders, als Thomas es sich je erträumen ließ.
Wie alles begann - Thomas wollte nach seinem Studium etwas erleben. Er überlegte, was man da machen kann, aber - um ehrlich zu sein - nicht sonderlich akribisch. Ich habe schon Menschen akribischer Paprika schneiden sehen. Er wollte sich also einfach und schnell auf den Weg machen. Das sei ihm ja auch gegönnt, oder? Und so kam Thomas zu dem Schluss, dass viele seiner Freunde in Thailand schon ganz viel erlebt hatten. Und alle sie kamen wieder mit einem bepackten Rucksack voller müßiger Erinnerungen, aus dem immer die gleichen Fotos fielen: im Bikini am Strand von "The Beach", mit einem Cocktail auf dem Street Food Market, mit einem authentischen Thai-Mann oder auch einer Thai-Frau ins Gespräch vertieft, bei einem Kräuter-Workshop, bei einer einmaligen thailändischen Massage oder zwischen 100 halb-strandtauglichen Bikini-Körpern mit verbrannten Nasen. Thailand-Thomas wollte so etwas auch. Er wollte es aber auch eigentlich nicht. Aber in der Eile des Lebens beschloss er eben sich einen Flug nach Bangkok zu buchen.
Was soll's.
Wie es weiter ging - Thomas stieg entspannt in sein Flugzeug. Ach quatsch, was erzähle ich - Thomas war jetzt schon gar nicht mehr entspannt. Dem lief im wahrsten Sinn des Wortes der Angstschweiss von der schwitzigen Stirn. Richtig, so geht diese Geschichte hier weiter. Und Thomas schämte sich, weil er keinen einzigen Funken Vorfreude beim Gedanken an die Fremde fühlte. Man merkte ihm seine Angst bislang noch nicht an. Alles, was ihm vor der Ankunft in Thailand noch bevorstand, empfand Thomas als reinstes Urlaubsgefühl: das wohlige Flughafengebäude, der letzte Toilettengang vorm Einstieg in sein Flugzeug, der geschlossene Körper des Flugzeugs. Wäre es nach Thomas gegangen, so hätte sein Abenteuer an dieser Stelle enden können oder er hätte eben eine Weile in seinem Flugzeug verbracht - das ist kein Witz. Dieses Flugzeug war schön und aufregend genug war es auch.
Zwischenstopp - In den arabischen Emiraten. Wie heisst die Hauptstadt nochmal? Thailand-Thomas wusste es auch nicht. Er wusste aber, dass er jetzt wirklich auf Fernreise war. Und er wusste, dass ihm das immer weniger gefiel. Aber er war Realist und Traveller-Schablone genug um zu wissen, dass er das, was er hier angefangen hatte, auch zu einem Ende bringen musste. Und so stieg Thomas in das Flugzeug nach Bangkok.
Final stop.
Was dann geschah - Thomas landete in Bangkok. Thomas Körper stieg aus dem schönen, behutsamen Flugzeugkörper aus; die netten, wohlgesonnenen Stewardessen-Körper blieben aber im Flugzeuginneren; genauso wie dem Thomas sein Herz. Da wollte nichts mehr nach draußen, ins Thailand. Da dürstete es ihm einfach und feige nach einem guten deutschen Bier und einer Pause im Allgäu. Ist Thomas kleinkariert? Ist Thomas ein Versager? Muss Thomas ein Traveller sein? Er machte sich ernsthaft Sorgen. Er war ein weltoffener Mensch. Naja, als nächstes verdrängte Thomas das Hier und zwang sich zu Entspannung. Das gelang ihm nicht mehr. Um ehrlich zu sein, Thomas wünschte sich, er hätte das hier nie gemacht.
Ein Weg raus? Hätte ihm jemand just in diesem Moment angeboten, eine einfache Pille zu schlucken, die sein bevorstehendes Abenteuer in seine Erinnerung verpflanzt, ohne dass er sich selbst einen Schritt hätte weiter bewegen müssen, Travel-Thomas hätte das genauso gemacht. Er hätte auch Nebenwirkungen in Kauf genommen; Kopfschmerzen, erhöhtes Fieber. Er wäre dann in den nächsten Flieger gen Allgäu gestiegen. Aber Thomas war eben Realist genug um zu wissen, dass das alles nicht so einfach ist. Dass das Leben nicht einfach ist. Und dass zum Leben auch Fernreisen gehören. Also beschloss er: Augen zu, Abenteuer auf, traveln und nachts möglichst ruhig schlafen.
Nichts schwerer als das.
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daddynicaragua · 9 years
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Cyprien Gaillard bei Julia Stoschek
Der melancholische Refrain setzt immer wieder ein, wird jedoch jedes Mal nach ein paar Takten abgebrochen, während der Filmprojektor, unterlegt von unermüdlichem Rattern Bilder an die Leinwand wirft.
Seine offensichtliche Mechanik weckt beim Zuschauer den Eindruck von Authentizität. Tatsächlich sehen wir die Welt in Cyprien Gaillards Filmen ungefiltert durch die Linse der Kamera.
Wenn der Projektor uns Eindrücke des Irak zeigt, kommen wir nicht in den Genuss von politisch provokanten oder künstlerisch innovativen Bildern, sondern folgen einfach ein paar Soldaten durch das Land, lassen unseren Blick durch die Gegend schweifen und erfahren sie so in ihrer ganzen Unspektularität. Die triste staubige Landschaft scheint unter der gleißendenen Sonne geradezu konserviert. So wie der Refrain immer wieder von Neuem alles verheißt und dann doch wieder abgeschnitten wird, stößt sich der wandernde Blick, der alle Facetten der Landschaft, auch ihre melancholisch schönen, aufnehmen darf, irgendwann an der Leere und der Isolation der Menschen. Auch dass der Krieg die Kultur dieses staubigen Landes zerstört hat, wird dem Zuschauer erst durch die Montage von Aufnahmen kultureller Schätze wie dem Ischtar-Tor, die sich in Berlin befinden, vor Augen geführt.
Welche Brüche in der Realität dieses Betrachten montierter Bilder zu Tage fördern kann, erfährt der Zuschauer noch eindrücklicher in einem anderen Film über mexikanische Ruinen. Hier sind es vor allem absurde Parallelen, die für Verwirrung sorgen. Nach den verlassenen Ruinen eines Stufentempels aus einer anderen Zeit schwenkt der Blick zu einem modernen Hotel das die Form eines solchen Tempels nachahmt. Verstärkt durch die sinnigerweise archaisch wirkenden Trinkwettkämpfe jugendlicher Hotelgäste auf einem angrenzenden Rasenstück, springt die Totenstarre der verlassenen Tempelruinen auf das Hotel über und setzt die gekappte Verbindung zur historischen Kultur der Landschaft in Szene.
Geradezu programmatisch führt ein Video mit Ausblick in einen Park diese Art des Bilderarrangierens und -zeigens vor Augen. Über eine pompöse Terassenmauer blicken wir auf eine malerische Landschaft in Primärfarben. Im Mittelpunkt des Parks vor einem Wald steht ein großer Baum. Einige Augenblicke genießt der Zuschauer die Harmonie in diesem filmischen Gemälde, doch dann explodiert etwas vor dem Baum, weißer Staub breitet sich über die ganze Perspektive und verstellt langsam aber stetig den Blick auf das filmische Landschaftsgemälde. Gebannt folgt der Betrachter den sanften Bewegungen der Staubwolken und beobachtet, wie der Rauch das Bild nicht auflöst, sich aber darüber legt und so etwas vollkommen Neues schafft. Mit jeder aufsteigenden Stauwolke wird so klarer, dass der Künstler die Naivität unseres Blicks zugleich schätzt und sich zunutze macht
Dass seine erzählerischen Arrangements aber nicht nur im Medium des Films in der Lage sind, die Oberflächen der Realität zu ergründen, beweist Gaillards Arbeit mit Magazinen. Allein durch das Umbiegen einzelner Fotoseiten eines Magazins kann er neue Erzählungen schaffen, indem mehrere Bilder zugleich sichtbar werden und neue Verbindungen miteinander eingehen.
So arbeitet Gaillard in einem faszinierenden Raum zwischen Kunst und Dokumentation. Er zwingt uns keine Sichtweisen auf, sondern legt sie nahe. Es ist dann das zu seichte Wasser auf dessen Grund sich zwei junge Männer beim übermütigen Hineinspringen die Nase brechen, die Papageien vor dem Mehrfamilienhaus, der Breakdance vor dem mexikanischen Tempelhotel oder die nächste Seite im Magazin, die unser Bild der Wirklichkeit erschüttern. Der Künstler nutzt die Freiheit des Blicks als genuine Überredungsstrategie des Films für das dokumentarische Genre.
von Stefanie Raupach
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daddynicaragua · 9 years
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Über Selfiesticks und Einsamkeit
Nichts befremdlicheres als folgendes Bild:
Rom, November 2015, 19 Grad, blauer Himmel - vor dem dicht besuchten Trevibrunnen eine neugierige, fröhliche, energetische, wohl ernährte und zufrieden sabbernde Touristenmasse.Eine harmonische Zufallsgemeinschaft.
Mitten in dieser - für mein Auge - glückseligen Anhäufung von Menschen: Tourist XY. Er ist nicht weiter auffällig, fügt sich in das Szenario ein. Er ist eben Teil dieser ungewollten, aber dennoch richtigen Zusammenkunft, wie jeder andere hier auch. Als nächstes zückt XY selbstverständlich seinen Selfiestick, steckt ihn in den unschuldigen, blauen Himmel, setzt ein breites Grinsen auf - von dem ich mich frage, woher es kommt - und drückt zufrieden mit der Mimik eines überblendeten Castingshow-Gewinners den Auslöser. Klick - da hat XY ein astreines, hygienisch sauberes Zeugnis seines Besuchs am Trevibrunnen in Rom vom November 2015.
Das Befremdliche an dieser Szene? Das friedliche, scheinbar allseits akzeptierte Nebeneinader von Gemeinschaftlichkeit und totaler Isolation. Ich tue mich ansonsten schwer die Digitalisierung im Alltag für die Vereinsamung des Menschen verantwortlich zu machen, aber in dieser Szene am Trevibrunnen drängt sich mir genau dieser Gedanke auf. Der Selfie-Stock löst die gelernte fotografische Situation auf: Er löst Tourist XY aus seiner Umgebung, macht ihn zum Einzelkämpfer; und entbindet ihn damit seiner Verantwortlichkeiten gegenüber der umgebenden Umwelt. Das wechselseitige Miteinander von Fotograf, fotografiertem Objekt und Umgebung wird hier durch eine einfache Stange ersetzt, die weder im Stande ist, sich in der Szene zu positionieren, das 'hinter der Linse' zu interpretieren noch in einem passenden Moment auf den Auslöser zu drücken. Auch wirkliche Gefühle und Reaktionen vermag der Stick im Objekt kaum auszulösen. Anstelle der sensiblen Beziehungen zwischen Fotograf, fotografiertem Objekt und Umwelt tritt somit eine maximal unrelationale (und damit unsoziale) Situation zwischen Objekt und Stock.
Der Selfiestick - eine Bedrohung? Für die soziale Intelligenz des Menschen, ja!
Ich werde den Selfiestick nicht mehr wegdenken können und ich möchte zum Ende dieses Text nicht nostalgisch werden, aber in diesem einen Moment am Trevibrunnen in Rom beschlich mich folgender Gedanke: "Dieser mickrige Plastikstab - ein Konzept der Zukunft? Ein Selfiestick für das Feierabendbier, ein Selfiestick zum Tränen wegwischen, zum Sorgen anhören, zum gemeinsam Musik hören, zum Kaffee trinken ..."
In diesem Sinne, an alle leichtsinnigen Selfiestick-BenutzerInnen:
Lasst uns (wieder) Fotos machen!
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daddynicaragua · 9 years
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Werben und Gebrauchen
Lassen Sie uns über die Seele sprechen, genauer gesagt über den USP der Seele. Die Seele soll ein inexistentes, mittleres und unsterbliches Irgendwas sein, das im menschlichen Körper wohnt, aber - und hier liegt der USP der Seele - auch ohne den Körper fort existieren kann. Jede Seele ist einzig und unterliegt strengen Copyright Regularien.
Die Positionierungstrategie der Seele highlightet demnach zwei Features: Individualität und Immortalität. Darüber hinaus ist das Seelen-Konzept - wie alle christlichen Konzepte - lediglich skizzenhaft beschrieben. Details und Erklärungen wurden im Sinne der Uniqueness der Marke ausgespart.
Auch eine beliebte Markenstrategie in diesem Segment: das Arbeiten mit Autoritätsfeatures, die keine Beweisführung erlauben. Das sichert langfristigen Erfolg und stärkt die Kundenbindung. Eine gängiges Vorgehen in der strategischen Markenkommunikation.
Körperlos und unsterblich - das haben die Verbraucher noch bei keinem anderen Produkt erlebt. Wie Sie sehen, Meine Damen und Herren, hier wurde eine vollkommen neue Branche geschaffen, in der die Soul-Brand strategisch an die Pole Position katapultiert wurde. Brand Marketing und Kundenbindung aus dem Lehrbuch!!
Welche Strategie liegt hinter der Marke, die ihr eine solch einzige Performance sichert? Wir haben mit dem verantwortlichen Product Manager und Bestsellerautor ("The Bibel") gesprochen. Seine Antwort ist simpel: "Story Telling". Das mystische Element der Seelen-Strategie eigne sich für Kommunikationen in nahezu allen (westlichen, christlich geprägten) Zielgruppen. Darüber habe er in den letzten Millionen Jahren Wert darauf gelegt, die Kommunikation der Seele anschlussfähig zu machen. Und hier käme sein Bestseller "The Bibel" ins Spiel, so der Soul-Experte. Die Story-Outline seines Werks sichert dem Produkt zumindest zweimal im Jahr (an Easter und Christmas -Feste, die die Protagonisten in "The Bible" Jahr für Jahr feiern) Platzierungen wie sie sich jeder Product Manager nur erträumen kann. Der Nachrichtenwert der Seele steigt damit zwei mal im Jahr durch die Decke; die User Experience der Seele wird regelmäßig und nachhaltig gestärkt. Zu diesen beiden Peaks der christlichen Geschichtsschreibung funktioniert die Seele darüber hinaus fast in allen Channels.
Brand Positioning für Seele an Christmas und Easter demnach fast bei 100 Prozent.
Das Konzept konnte in den letzten Jahren auch den nicht-christlichen Markt erobern und seine Brand Performance damit um 50 Prozent erweitern.
Das Konkurrenzumfeld im Seelen-Segment ist übersichtlich. Direkte Konkurrenten gibt Es nicht. Andere christliche Konzepte (Nächstenliebe zum Beispiel) mischen zwar um die oben beschriebenen "Feiertage" ordentlich am Markt mit, können der Seele aber nicht den ersten Rang ablaufen. Denn die Markenpositionierung der Seele ist im Vergleich zu ihren Konkurrenten absolut: Wir haben "the mystic element" (durch die Körperlosigkeit) und "the immortal element", die selbst in dem Segment der christlichen Werte kein anderes Konzept aufweist. (Außer die Marke "God", aber hier arbeitet die katholische Kirche schon seit ein paar Jahren an einer anderen Strategie: dem Brand Destroying; die Marke liege perspektivisch am Boden und müsse mit großer Wahrscheinlichkeit bald eingestellt werden, so führende Brand-Experten.)
von Claudia Raupach
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