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Das “starke” Geschlecht
Das starke Geschlecht.
Diese Begriffkombination hat mich schon seit meiner frühsten Kindheit irritiert. Der "Mann" soll das starke Geschlecht sein? Das habe ich noch nie einsehen können. Und mittlerweile bin ich der Überzeugung, dass wir bei diesem Begriff einem gehörigen Irrtum auf dem Leim gegangen sind. So wie die Jungs konnte ich herumtollen, auf Bäume klettern, schwere Sachen tragen, und dank der emanzipatorischen Bewegung sogar Hosen! Ich konnte alles, was auch Männer konnten - und sogar teilweise besser! War in der Fußball AG, in der Schach AG, echt gut in Mathe und besiegte sogar einmal in der Grundschule beinahe alle Jungs meiner Klasse im Armdrücken. Ein großer Tag für mich und für alle Frauen dieser Welt! Und dennoch ließ ich mich mit den Jahren einlullen von der in Gesellschaft und Medien vertretenen Meinung, Frauen seinen "schwach". Mittlerweile bin ich da anderer Meinung.
Stärke. Was ist Stärke? Die Kraft und den Mut zu haben, seine eigenen Schwächen (die wir übrigens ALLE - Männer nicht ausgeschlossen - haben) zu überwinden und Ihnen entgegen und trotz Ihnen zu handeln.
Und diese hochgepriesene Qualität soll nun ausgerechnet den Männern zu eigen sein? Und wir Frauen sind demzufolge das "schwache" Geschlecht?
Dem ist nicht grade wenig entgegen zu setzten!
Allein unsere Fähigkeit Kind zu bekommen (und nicht bloß zu zeugen) ist jawohl ein eingeutiges Gegenargument zu diesem Standpunkt. JEDEN Monat durchleiden wir, die einen mehr, die anderen weniger, schlimme Schmerzen in unserem Uterus und warten nur darauf, bis diese Qualen darin, ein Kind auszutragen, ihren Höhepunkt erreichen. Und wenn es um Schmerzen und Leiden geht - beispielsweise einer Krankheit oder körperlicher Schmerzen geht, sind wir Frauen bewiesenermaßen bedeutend belastbarer und resistenter.
Auch zum Begriff Stärke lässt sich die Eigenschaft der Belastbarkeit hinzuziehen. Über die körperliche Belastbarkeit brauchen wir nun nicht mehr zu sprechen, doch was ist mir der psychischen Belastbarkeit? Ein guter Freund von mir, der vor kurzem Vater wurde, erklärte mir in einem Gespräch, dass Vollzeitvater sein eine der zehrensten, anstrengensten und härtesten Aufgaben seines Lebens sei. Härter als jeder Job den er in seinem Leben je gehabt hätte - und da waren nun schon einige aufreibende dabei. Und wie viele alleinerziehende Mütter gibt es allein in Deutschland? Genug, um klar zu machen, dass es genug Frauen gibt, die stark sein müssen und es auch sind.
Und was ist mit psychischer und emotionaler Stärke? Es besteht zwar noch das Vorurteil, dass Männer immer den ersten Schritt wagen, wenn es um die Kontaktaufnahme geht. Diese Vorstellung ist zum einen veraltet - wie ich es immer wieder in meinen Freundeskreisen hautnah miterleben kann - und bezieht außerdem nicht den zweiten und dritten Schritt mitein, den eine Beziehung zwischen den Geschlechtern beinhaltet. Nämlich das Zulassen von Versetzlichkeit, emotionale Offenheit und seelische Trasparenz, wozu so viel Mut und Stärke gehört, dass es die meisten Männer UND Frauen schnell wieder in die Flucht schlägt. Männer, die der stereotypischen Version von Männlichkeit und Stärke, die ja leider klischeemäßig Hand in Hand gehen, verfallen sind, kriegen allein bei dem Gedanken daran, sich zu öffnen, seelisch, psychisch, emotional eine mittlerschwere Panikattacke. Geschweige denn Gefühle zu zeigen und sich in seiner ganzen Blöße und Verletzlichkeit zu zeigen. Körperliche Stärke kann jeder zeigen und erwerben - dazu braucht es lediglich etwas Disziplin und Durchhaltevermögen. Doch die andere Art von Stärke, von der niemand zu sprechen mag, wird in dieser Gleichung völlig übergangen. Aus Angst lasst Ihr lieber die Frau ziehen, anstatt zuzulassen und euch einzugestehen, dass auch Ihr emotionale und empfindsame Wesen seid, die Liebe bedürfen und auch mal die Stärke haben sollten, schwach zu sein. Das erfordert nämlich mehr Stärke als man denken mag.
Stärke setzt sich aus so vielen Komponenten zusammen. Die Stärke zu haben, ein gebrochenes Herz zu heilen und nicht aufzugeben, sondern sich neu für einen Menschen zu öffnen. Nach einem Schicksalsschlag nicht den Mut zu verlieren und sich sein Vertrauen in die Welt und das Leben wiederzuerarbeiten. Auch in schweren Zeiten nicht zu verzagen und den Kopf in den Sand zu stecken, sondern weiter zu machen. Eifrig, zuversichtlich, mutig, unermüdlich - einfach um einer selbst willen und aus Glaube und Liebe zum Leben. In all diesen Punkten stehen wir Frauen den Männern um keinen Deut nach und übertrumpfen sie in dem einen oder anderen Punkt gelegentlich sogar.
Alles was ich sagen will, ist, dass Stärke nicht gleich Stärke ist und wir Frauen uns nicht hinter dem überholten Frauenbild verstecken und klein machen sollten - nur um den Männern dieser Welt (dem Patriachat) keine Angst einzujagen.
Eher dürfen mal zeigen, wie stark wir eigentlich sind und sollten dies auch tun.
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