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In Memoriam
Der Hafenkran
Am Ufer der Limmat, Zürich
Sein Grün ist vom Vorübergehn der Jahre
so müd geworden, daß es nicht mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Häfen gäbe
und hinter tausend Häfen keine Welt.
Das dumpfe Rattern seiner trägen Wippe,
die sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein grosser Wille steht.
Nur manchmal hebt ein lastendes Gehänge
er lautlos an –. Dann bricht ein Zittern ein,
geht durch des Hünen stählernes Gestänge –
und hört im Haken auf zu sein.
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Mir schenkt auch niemand was
24. Januar 2023, Dienstag
Im Café Felix am Bellevue. Ich bin öfters hier, trinke den Kaffee, den man mir unaufgefordert bringt, weil man mich kennt, und lese die Tageszeitung, meistens ungestört.
Neulich wars anders. Eine Frau, die ich nicht kenne, vielleicht um die 60, am Nebentisch, fragt in leicht gebrochenem Deutsch, ob sie mich etwas fragen dürfe. Ich bejahe in gespannter Neugier. Vielleicht ist sie eine Touristin, die einen Tipp möchte für ein Museum oder eine andere Sehenswürdigkeit. Oder eine Wegbeschreibung.
OB DAS OK SEI, DASS UKRAINER MEHR RECHTE HABEN ALS SCHWEIZER.
Meine Neugier weicht der Enttäuschung und dem Entsetzen, die Spannung bleibt, wechselt allerdings das Vorzeichen. Ich frage zurück, inwiefern die Ukrainer mehr Rechte hätten als Schweizer.
Sie können gratis den öffentlichen Verkehr benützen. Ich entgegne, das sei doch schon lange vorbei. Ja, aber das sei lange so gewesen.
In solchen Momenten beklage ich meine Hilflosigkeit. Offenbar ist da eine tief sitzende Frustration vorhanden, das Bewusstsein einer abgrundtiefen Ungerechtigkeit, so schreiend, dass man einen wildfremden Menschen daraufhin ansprechen muss und sich von ihm bestätigen lassen möchte, wie schlimm das ist. – Soll ich jetzt auf die arme Frau eingehen und versuchen, Verständnis zu zeigen, die Lage zu entspannen, zu beruhigen, auszugleichen? Oder sollte ich nicht vielmehr so jemandem klar machen, wie erbärmlich das ist, Leute beneiden zu wollen, die aus einem Land fliehen mussten, wo sie von Bomben und Raketen bedroht sind, wo sie vielleicht ihre Wohnung oder ihr Haus verloren haben; Leute, die wahrscheinlich Brüder, Söhne oder Väter haben, die noch im Land verharren und gezwungen sind, ihr Leben zu riskieren im Kampf gegen eine Armee, die für ihre Gräueltaten bekannt ist, gegen eine Armee, die Atomwaffen besitzt, gegen eine Armee, die zahlenmässig vielfach überlegen ist; Leute, die vielleicht schon Angehörige verloren haben, oder jedenfalls keinen Tag sicher sein können, dass sie ihre Angehörigen und Freunde wieder sehen werden; Leute, die hier in einem Land ankommen, wo sie die Sprache vermutlich nicht sprechen, wo sie nicht wissen, wie lange sie bleiben können, wo sie nicht wissen, ob sie je wieder ihren Lebensunterhalt werden bestreiten können? Die Frau, die hier neben mir im Café Felix sitzt, den Schutz des Schweizer Bürgerrechts geniesst und in Frieden und Sicherheit ihren Kaffee trinkt, will also solche Leute beneiden!
Mir bleibt die Sprache weg.
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Bamberg, 8. September 2022, Donnerstag
Der berühmte Domreiter: eine Sandsteinplastik aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Es ist nicht klar, wen der Reiter darstellt. Die Spekulationen gehen von einem ungarischen König bis zum Messias der Apokalypse.
So unbefriedigend es sein mag, den Hintergrund für dieses Kunstwerk nicht zu kennen, so macht doch gerade die Unbestimmtheit das Faszinierende dieser Figur aus. Sie ist als unbestimmte kein Abbild, sondern ein absolutes Symbol. Sie steht für nichts, nur für sich selber. Sie überblickt das Gewusel des Kirchenvolks aus ihrer erhöhten Warte. Und so reitet sie in mystischer Verklärung durch die Jahrhunderte.
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St. Gallen, 10. November 2022, Donnerstag:
Wanderung zu den Drei Weihern und Aussicht vom Restaurant Dreilinden über die Stadt. Auf dem Weg dahin fiel der Blick auf Schrott und Abfall, der anscheinend achtlos am Rand deponiert worden war. Bei näherer Betrachtung entpuppte sich das Material aber als Skulptur, die die Schrecken des Kriegs Putins gegen die Ukraine eindrücklich evoziert.
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St. Gallen, 10. November 2022, Donnerstag
Es ist vielleicht nicht auf den ersten Blick klar, dass das Bild ein Treppengeländer zeigt. Die Treppe befindet sich im Haus Oberer Graben 3.
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6. Dezember 2022, Dienstag:
Eine Selbstbespiegelung des Fotografen. Entstanden vor einigen Tagen am Limmatquai. Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Oder wie hiess das schon wieder?
Jedenfalls: Die Sonne bringt es an den Tag und zeigt uns den heimlichen Betrachter der coolen Schönen. Was diese nun ihrerseits betrachtet, wissen wir nicht; sie kann es hinter der Sonnenbrille verstecken, CHANEL sei Dank.
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2. Dezember 2022, Freitag
Heute den Briefwechsel Bachmann-Frisch zu Ende gelesen. Die Liebe als Mysterium fascinosum et tremendum. Als hätte es noch eines Beweises bedurft! Zwar, man wusste ja schon so einiges, konnte sich anderes zusammenreimen aus den Büchern: Aber wie direkt das Geschehen und Erleben in die Literatur Eingang gefunden hat, wie bestürzend unverstellt das Leben abgebildet wurde, das kann man erst jetzt ermessen. Ich werde einige Werke wieder und neu lesen m��ssen: Gantenbein, Montauk, Malina. Und einiges ganz neu, vor allem von Bachmann.
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