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#20jahreguteideen
guteideen · 3 years
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2021 geht endlich zu Ende und nun?
GOOD NEWs – statt sich ausgeliefert fühlen
Beim Blick in meine Notizen der letzten Monate lese ich über viele spannende Themen und Gedanken, die ich mir immer wieder zwischendurch notiert habe. Spannende Aufgaben, die es allesamt wert wären, gesehen, bearbeitet, durchdrungen zu werden. Es gibt viele Dinge, die wir angehen können, sollten, müssen oder wollen, gemeinsam und auch jede*r für sich.
Beim Abgleich mit meinem Innen und meinem Erleben der aktuellen Situation, mit der wahrnehmbaren und stärker werdenden Anspannung, die ich überall erlebe, verwerfe ich die meisten Themen gleich wieder. Nicht weil sie nicht aktuell oder uninteressant sind, sondern weil ich sie aktuell nicht für ausreichend relevant erachte. Ich versetze mich in euch, in meine Leser*innen, hinein und versuche mit aller Empathie zu erfühlen, was euch, was dich bewegt.
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Dieser Blogbeitrag ist der letzte in diesem Jahr. Mein großer Wunsch ist es, zum Jahresende dieses überaus fordernden Jahres über etwas Schönes zu schreiben, etwas, das Mut macht, Kraft gibt, für ein paar Momente, die Welt vergessen lässt. Im besten Fall berührt oder auch schmunzeln lässt. Ein Text, der etwas dagegensetzt. Gegen all das, was uns kollektiv beschäftigt. Teil meiner Identität ist natürlich auch die liebgewonnene “Berufskrankheit“, vor allem erst mal zu hinterfragen, was das alles mit mir selbst zu tun hat und mit mir macht. Und es hat viel mit mir selbst zu tun.
Aber eben auch mit den vielen kleinen und großen Situationen im Alltag, in denen mir fremde, unbekannte und vertraute Menschen begegnen. Mein Text hat auch mit ihnen zu tun, was sie erzählen, worüber sie klagen, traurig sind, wie sensibel sie reagieren. Er soll all denen eine Stimme geben, die arbeiten und keine Zeit, Kraft und Gelegenheit haben, selbst zu schreiben und die dennoch wahnsinnig viel leisten, oft für andere und mit großer Vision und viel Energie, Ideen entwickeln und umsetzen – um die Welt ein Stück besser und lebenswerter zu machen.
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Die Kollektive Hilflosigkeit bremst uns aus
Viele Menschen fühlen sich in der aktuellen Corona-Welle hilflos. Sie haben den Eindruck, ausgeliefert zu sein. Das geht mir nicht anders. Und es zehrt an meinen Kräften in einer neuen ungekannten Dimension. Es fühlt sich wie ein unfreiwilliger Marathon an, der immer wieder verlängert wird und nicht klar ist, ob wir je ankommen werden. Wer würde sich da nicht ausgeliefert fühlen. Wir können unsere Kräfte nicht einteilen, uns auf ein Ziel, ein Ende, etwas Bekanntes freuen.
Es ist eben nicht nur so, dass wir diesem Virus ausgeliefert sind, das eben anders ist als alles, was ich in fast fünfzig Jahren erlebt habe und das in ständig neuen, tückischeren Varianten auftaucht. Sondern es ist auch Ausgeliefertsein den Entscheidungen einer zunehmend radikalen Minderheit, denen die eigene Weltsicht wichtiger ist, als das Leben ihrer Mitmenschen und die so große Auswirkungen auf uns alle hat. Ausgeliefertsein einer zögerlichen Politik, die zu wenig aus eigenen Fehlern gelernt hat. Wir alle, die wir uns den sich ständig verändernden Entscheidungen ausgeliefert fühlen, die vermutlich in der jeweiligen Situation notwendig, im besten Fall richtig sind oder zumindest an die Hoffnung gekoppelt sind, Linderung zu bringen. Nicht zuletzt das Ausgeliefertsein einem ausgezehrten Gesundheitssystem und Menschen, die dennoch heldenhaft darin arbeiten, obwohl sie vermutlich noch viel mehr Gründe hätten, zu kündigen, sich zu beklagen und einfach morgens liegen zu bleiben.
Dem Ausgeliefert sein etwas entgegensetzen
Nun bin ich aktuell mal wieder im mobilen Office unterwegs. Nur ein paar Tage. Zum einen, um Zeit zu haben, längere Zeit am Stück zu lesen, zu denken, zu schreiben, aus meinem Trott und Radius auszubrechen und die Dinge aus anderer Perspektive zu betrachten. Zum anderen um einfach ein wenig Kraft zu tanken und ein wenig in der Natur zu sein. Ich bin diesmal nicht weit weggefahren. Brandenburg ist schön, sogar im Herbst und Winter. In Neuruppin habe ich den See direkt vor Tür. Ein Geschenk.
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Ich versuche es mal mit dem Perspektivwechsel und was wir dem Ausgeliefertsein entgegensetzen können. Vielleicht besser Entgegensetzen müssen. Denn eine andere Chance haben wir nicht. Aber die Chance einer eigenen neuen und positiven Haltung haben wir immer wieder. Nichts anderes ist positive Psychologie.
Wenn wir uns ausgeliefert fühlen, empfinden wir Kontrollverlust. Wir sind nicht mehr Herr der Lage und des eigenen Schicksals. Je nach Naturell reagieren wir unterschiedlich. Ein Kontrollverlust ist bedrohlich. Wer plötzlich feststellen muss, dass er keinen Einfluss mehr auf den Gang der Ereignisse hat, weil er beispielsweise im Lift feststeckt oder sein ins Schleudern geratenes Auto nicht mehr kontrollieren kann, bekommt Angst bis hin zur Panik. Bei einer Pandemie kommt das Unbekannte und nicht Planbare hinzu – zeitlich, gesundheitlich, persönlich, emotional.
Winfried Berner schreibt dazu:
„Auch für psychisch stabile Menschen bedeutet es extremen Stress, wenn ihnen plötzlich die Kontrolle über ihr Schicksal aus der Hand genommen ist und sie zum Spielball der Ereignisse werden. Genau das ist es jedoch, was Übernahmen, Fusionen und Umstrukturierungen für Mitarbeiter und Führungskräfte bedeuten: Von einem Moment auf den anderen liegt der weitere Verlauf ihres (Berufs-)Lebens nicht mehr in den eigenen Händen, sondern wird durch die Entscheidungen Dritter bestimmt. Ein solcher Kontrollverlust löst zunächst Angst, Wut und Widerstand aus; wenn es nicht gelingt, die Kontrolle zurückzugewinnen, schlägt die Frustration in Hilflosigkeit und Resignation um.“
Was für Umstrukturierungen im Kleinen gilt, gilt auch im Großen und für unsere Gesellschaft. Nur können wir unser System, die Welt Firma gerade nicht verlassen. Selbst Auswandern ist nicht hilfreich. Das Virus spielt Hase und Igel und ist im Zweifel immer schneller als wir.
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Was hilft nun, wirksam zu werden und wieder die Kontrolle zu erlangen?
Viele Dinge, die wir tun – auch aktuell – entspringen dem (häufig unbewussten) Bedürfnis, auf diese Weise durch eigenes aktives Handeln die Kontrolle zurückzugewinnen. Nur dann fühlen wir uns im Gleichklang, sind wirksam und geraten nicht in die Gefahr, der (vom Sozialpsychologen Martin Seligman benannten) sogenannten "Gelernten Hilflosigkeit", einem Zustand von Passivität, Apathie und Depression. Wenn übrigens die Mehrheit eines Unternehmens gelernt hilflosagiert, sind die Folgen dramatisch. Solch ein Unternehmen ist im Markt und Wettbewerb kaum noch handlungsfähig, es reagiert kaum noch auf Führungsimpulse, sondern lässt, was auch immer geschieht, es apathisch und teilnahmslos an sich vorbeiziehen. Ein solches Unternehmen wiederzubeleben, zählt zu den schwierigsten Aufgaben der Kulturveränderung. Was das für ein ganzes Land oder gar die Weltbevölkerung bedeutet, mag ich mir gar nicht vorstellen…
Was mir wirklich immer wieder hilft – mal besser, mal schleppend, aber immer mit einem kleinen Plus auf der Habenseite – ist die bewusste ressourcenorientierte Wahrnehmung meiner Situation, meiner Umwelt und meiner Selbst. Meint: dahin zu schauen, wo die Sonne scheint, das Licht ist, die Menschen sind, die mir guttun, die Möglichkeiten wahrnehmen, die mir bleiben oder unter den gegebenen Bedingungen neue zu schaffen. Und auch wenn es vielleicht ausgeleiert klingt, ist es dennoch DIE Möglichkeit mit dem größten Potenzial.
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Unsere Berichterstattung hat sich sehr einseitig entwickelt. Krisen, Katastrophen, Hiobsbotschaften und Skandale bestimmen unsere Nachrichten. Das führt zu einer sehr einseitigen Wahrnehmung unserer Welt. Viele Dinge können und dürfen wir auch nicht ignorieren, aber die Flut an negativen Informationen überfordert und lähmt. Macht hilflos. Um dem etwas entgegen zu setzen, können wir uns alle im Alltag mit mehr guten Nachrichten versorgen. Beispiele für Good News gibt es zum Beispiel unter https://goodnews.eu/ Good News bietet täglich von Montag bis Freitag einen Überblick über die wichtigsten guten Nachrichten und lösungsorientierten Beiträge aus den deutschsprachigen Medien: via App, Newsletter, Website und Browser-Erweiterung.
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Wenn ich an die wahnsinnige Hilfsbereitschaft denke, die immer wieder zu spüren ist, wenn Hilfe gebraucht wird, bekomme ich Gänsehaut und manchmal kommen mir auch die Tränen. Als das Ahrtal überschwemmt wurde und so viele Menschen und Initiativen auf unterschiedliche und kreative Art und Weise gespendet und Hilfe organisiert haben. Das Spendenaufkommen in Deutschland insgesamt ist riesig. Egal wo ich hinschaue, gibt es Menschen, die im Kleinen wie im Großen, ihre Freizeit, ihr Geld, ihre Ressourcen einsetzen, um ärmere, traumatisierte, kranke, eingeschränkte, junge, alte oder einfach traurige und müde Menschen zu begleiten, zu unterstützen und einfach einen Unterschied machen.
Ein paar sehr unterschiedliche „Leuchttürme“, die mich persönlich sehr beeindruckt haben, mir Mut machen und die ich unterstützenswert finde, möchte ich hier noch nennen:
Obdachlose werden durch Housing First begleitet auf dem Weg zur eigenen Wohnung: https://www.housingfirstfonds.de/ https://housingfirstberlin.de/
Ein Schweizer Unternehmen, gegründet von Meeresbiologinnen und Wissenschaftlerinnen, entwickelt Korallenriffe aus dem 3D-Drucker und baut damit Korallenriffe wieder auf. Nachhaltig, wissenschaftlich und mit künstlerischem Weitblick. https://www.rrreefs.com/
Wie kann man ÖPNV, Digitalisierung und Spaß mit der Reinigung der Amsterdamer Grachten verbinden? Mit selbstfahrenden Booten in Amsterdam https://roboat.org/
Die Berliner Filmemacherin Theresa Breuer hat das Team "Kabul Luftbrücke" gegründet und rettet/e hunderte Menschen vor den Taliban aus Afghanistan und bringt diese in Sicherheit https://www.kabulluftbruecke.de/
Kompostierbare Verpackungschips, geliefert im super umweltfreundlichen Graskarton https://www.biobiene.com/kompostierbare-verpackungschips
Meine Links sind Beispiele für unterschiedlichstes Engagement und Kreativität von Menschen. Und nur ein kleiner Ausschnitt ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Neben öffentlichkeitswirksamen Projekten gibt es aber auch die vielen Selbstständigen und Unternehmer*innen, die trotz Unsicherheit an ihren Traum glauben, ihrer eigenen Vision folgen und Firmen gegründet, Hotels und Restaurants, Läden und Praxen eröffnet haben. Und es gibt die vielen Menschen, die sich einfach verantwortlich fühlen, jeden Tag ihr Bestes geben, auf der Arbeit, in der Familie, im Ehrenamt – trotz schwieriger, ständig wechselnder Umstände. Die damit Mut machen, für andere da sind, leise und ohne viele Worte. Das macht mir wirklich Mut und gibt mir Kraft. Meistens.
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Was mir grundsätzlich noch hilft und mich entlastet ist, einfach anzuerkennen, dass wir aktuell kollektiv gestresst, ausgelaugt, überfordert sind. Und dadurch sensibel, dünnhäutig, weniger belastbar und müde sind und ungeduldig und ungerecht auf unsere Umwelt reagieren. Das anzuerkennen, fällt mir selbst auch nicht immer leicht. Weil es eben nicht dem Bild entspricht, das ich gern von mir habe. Welche Schlüsse muss ich nun daraus ziehen, damit es mir gut geht? In jedem Fall nachsichtig sein mit meiner Umwelt, mir selbst und gut mit mir selbst sein.
Ich wünsche uns allen, dass wir uns gegenseitig Verständnis entgegenbringen, wenn wir kraftlos sind, dass wir Unterstützung bekommen, wenn wir sie brauchen, dass wir umarmt werden, wenn wir verletzt sind. Und Liebe sowieso. Kräfte sammeln und einteilen. Vielleicht gelingt uns das ein wenig über den Jahreswechsel.
In diesem Sinne – genießt die Vorweihnachtszeit, bleibt gesund, stabil, aufmerksam und passt gut auf euch auf.
Eure Jana
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guteideen · 3 years
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20 Jahre ideenmanufaktur
Ein Interview
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Jana & Martin – Schwester und Bruder, meine Chefs, meine Mentor*innen, Wegbegleiter*innen, Freunde und Gründer*innen der ideenmanufaktur. Vor 20 Jahren haben die beiden der ideenmanufaktur das Leben eingehaucht. Für eine Agentur bedeuten 20 Jahre schon etwas – eigentlich nicht nur für eine Agentur, finde ich. Ich habe zu Beginn meiner Berufszeit schon einmal in einer Agentur gearbeitet und weiß, die Agenturlandschaft verändert sich stetig. Zwischendrin habe ich felsenfest behauptet, niemals mehr auf Agenturseite arbeiten zu wollen. Dass bei der ideenmanufaktur wiederum Werte, Ansichten, Personen, Kunden für mich mehr als stimmen, hat unser Gespräch zu 20 Jahren ideenmanufaktur nur noch einmal verfestigt und mir bestätigt, dass hier der richtige Platz für mich ist.
Als die Idee aufkam, Jana und Martin mit einem Interview zu Werdegang und Zukunft zu löchern, haben sie nicht sofort “HIER” geschrien. Im Gegenteil, sich in den Vordergrund zu spielen, ist überhaupt nicht ihr Ding. Dabei können sie stolz sein, auf das, was sie aufgebaut haben. Und tatsächlich wurden durch das Team spannende Fragen gestellt, denn wir sind ja alle erst an ganz unterschiedlichen Bojen dazu gestoßen.
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NILS / Als Autodidakten habt ihr die Agentur gegründet – mit welchem Gefühl seid Ihr da ran gegangen? Ich stelle mir das herausfordernd vor, weil man vieles vorher vielleicht noch nicht gemacht hat. Bis heute gilt, geht nicht - gibt's nicht. Was ist da euer Erfolgsgeheimnis? Was ist eure Motivation dahinter und was sind da eure Treiber?
MARTIN / Am Anfang war es wahrscheinlich ein wenig jugendliche Unbekümmertheit (lacht). Das ist ein bisschen so, wie mit dem Frosch der in einen Topf mit Wasser gesetzt wird und der wird erwärmt. Wir hatten einfach Zeit, uns trotz der vielen neuen Aufgaben anzupassen – es war meist eher eine Anforderung, aber selten eine Überforderung. Wir haben es geschafft, mit dem, was uns zur Verfügung stand, mit der Haltung mit der wir da ran gegangen sind, uns immer wieder Neues zu erarbeiten. Was uns von Anfang an ausgezeichnet hat, war auch, dass wir neugierig auf die Dinge waren und wir immer schon viele Fragen gestellt haben. Das ist einfach ein Teil unserer DNA, dass wir immer wieder versuchen, den Sachen auf den Grund zu gehen. Das führte eben auch zu der Erkenntnis, die sicherlich gewachsen und nicht neu ist, dass im Grunde genommen eine gut formulierte Aufgabe ja schon die Hälfte der Lösung ist. In dem Moment, wo wir uns Klarheit darüber verschafft haben, was unsere Kunden von uns wollen und brauchen, ist eigentlich die Lösung in uns schon entstanden und gereift. Anschließend war es mehr oder weniger ein Abarbeiten dieser Lösungen, sich Unterstützung holen, Lernen, Dinge ausprobieren. Natürlich sind auch Dinge mal schief gegangen, überraschenderweise selten, aber aber so funktioniert ja agiles Arbeiten – dann verbessert man den Fehler halt wieder. Und das ist auch überhaupt nicht schlimm.
Fragen stellen, neugierig sein, offen bleiben, sich gegenseitig stützen. Für uns – Jana und mich – war es auch immer wichtig, dass wir uns beide hatten und dass wir uns gegenseitig gesagt haben, dass wir das schon irgendwie hinkriegen. Mal war der eine, mal der andere einfach auch ein bisschen mutiger.
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SABINE / Wenn wir von Werten reden, haben diese sich in der ganzen Zeit auch mal verändert?
JANA / Ich glaube die grundlegenden Werte haben sich nicht wirklich verändert. Was vielleicht mit dem zunehmenden Selbstbewusstsein hinzugekommen ist, ist das Gefühl für den eigenen Wert. Das war etwas, was uns immer beschäftigt hat:
Sind wir gut genug? Wie können wir unseren Kunden ausreichend bieten, immer mit dem Patchwork-Lebenslauf und einem defizitären Gefühl mit im Gepäck?
Es hat lange gebraucht, um einordnen zu können, dass das Studium sicherlich ein guter und sicherer Weg ist, aber dass es auch viele andere Möglichkeiten gibt, sich Wissen anzueignen und zu Lernen. Das wird einem ja nicht beigebracht, dass es einfach viele unterschiedliche Lerntypen gibt und dass Schule und Studium eben nur ein Weg sind – ein sehr populärer und nachvollziehbarer und für alle Seiten auch transparenter Weg. Aber mit dem, was wir uns angeeignet haben und wie wir an Dinge herangegangen sind, müssen wir uns nicht verstecken. Am Anfang hatten wir Schwierigkeiten damit, ein Gefühl dafür zu bekommen, wie viel ist unsere Arbeit wert und wieviel können wir bspw. als Honorar verlangen. Mit dem Bewusstsein des eigenen Wertes, dass gute Arbeit einen Wert hat, der sich durch Wertschätzung in vielen Dingen, aber auch in einer fairen, angemessenen Bezahlung widerspiegelt. Das wollen wir auch insgesamt als Agentur – in alle Richtungen – und versuchen das in einer guten Balance zu halten.
SABINE / Wie ist Euer Gefühl dabei, die Entwicklung der ideenmanufaktur zu sehen? Ihr habt als Zweierteam gestartet in eurem Zuhause, später in einer dazu gemieteten Wohnung, …. und jetzt sind wir hier in einem wunderschönen Büro.
JANA / Ich muss sagen, mir ging es oft zu langsam. Martin war dagegen eher ein etwas vorsichtiger und war da tatsächlich auch der passende gute Gegenpart. Wir haben nie ausprobiert, den Fuß von der Bremse zu nehmen. Aber vielleicht gäbe es uns jetzt auch nicht mehr...
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MARTIN / Ich wäre ja auch gerne nicht immer der Bremser gewesen, aber ich hatte das Gefühl, wenn ich den Fuß von der Bremse nehme, dann werden wir zu schnell und es kommt ein ungesundes Tempo rein. Wir sind beide eher energiegeladen und wollen viel, aber ich habe immer eher versucht zu gucken, wie gleisen wir ein System strukturiert auf, so dass unser System das auch verträgt.
Wir wollten auch eigentlich auch gar nicht gründen. Es war zumindest nicht geplant.
Wir waren keine Gründer in dem Sinne, dass das schon immer unser Lebenssinn, -zweck oder Wunsch war oder wir irgendwann Unternehmer sein wollten. Das war für einfach der einzige Weg, den wir sahen, um das machen zu können, was wir machen zu wollen.
Dafür brauchten wir eine Hülle. Alle anderen Wege, bspw. über Werkverträge oder Honorarverträge, waren eher limitierend durch Vorschriften und Regelungen oder fehlende Versicherungen. Und natürlich ist das Vertrauen in eine Firma oft größer als in eine Einzelperson. Wir wollten immer Gestalten, das hat uns Spaß gemacht. Somit mussten wir uns unseren eigenen Rahmen schaffen. Das fing anfangs eher klein an und auch nicht mit einer strategischen 5-Jahresplanung, sondern eher mit Blick auf das, was sich anbot. Ich erinnere mich, dass wir natürlich auch Gespräche mit Leuten von außen hatten, die uns beraten und gesagt haben “ihr braucht einen Businessplan” - da war schon ein bisschen Verwunderung dabei, wie wir unser Business aufziehen.
JANA / Ich habe tatsächlich diesen Unternehmensberater vor ein paar Jahren wieder getroffen. Er war nach wie vor überrascht. Er fand uns super. Er fand auch das, was wir realisiert haben, super. Aber er hätte nie im Leben geglaubt, dass aus der ideenmanufaktur einmal ein “anständiges” Unternehmen würde (lacht).
SABINE / Ist dieses “anständige” Unternehmen” nun das, was ihr euch so vorgestellt habt damals? Oder habt ihr weitere Pläne, wie stellt ihr euch die Zukunft vor für die ideenmanufaktur?
MARTIN / Was mich zieht und was mich auch immer wieder begeistert, sind einfach die Menschen in unserem Umfeld. Ich kriege das ja aus anderen Systemen mit, wie schwer es ist, so viele tolle Menschen auf einem Haufen zu versammeln, die natürlich sehr verschieden sind, aber trotzdem ähnliche Werte teilen und leben. Das ist etwas, was ich einfach sehr schätze. Ich habe immer das Gefühl, hier ist einfach ein gutes Miteinander. Und natürlich sind wir auch hier, um kreativ zu sein, um Leistung zu erbringen, Projekte nach vorne zu bringen und gute exzellente Arbeit zu machen, aber trotzdem sind hier alle immer Menschen. Und das ist etwas, was uns beide - Jana und mich - antreibt und hält.
JANA / Das kann ich komplett unterschreiben.
Menschen um uns herum sagen ja oft “ihr arbeitet ja auch wirklich viel – wie schafft ihr das? Was gibt euch die Energie?”
Das seid tatsächlich auch ihr (blickt in die Runde). Jetzt gleich ein Tränchen im Knopfloch (lacht). Und euch allen zuzuschauen, was ihr macht, wie ihr euch entwickelt, was da in euch steckt, von dem wir und auch ihr manchmal noch gar nicht wusstet …
MARTIN / Ja, das ist glaube ich etwas, was die Agentur hier toll macht, was für uns auch das Besondere daran ist. Wir dürfen hier mit tollen Menschen zusammen sein, zusammen arbeiten und dürfen so ein bisschen daran teilhaben und mitbestimmen, wo die Reise hingeht. Das ist einfach großartig. Da ist natürlich auch ne Menge Respekt für das ganze System, das wir bewahren und beschützen wollen. Ich habe immer das Gefühl, wir können uns auf euch alle verlassen. Wir wissen, dass ihr uns beisteht. Das habt ihr auch schon mehr als deutlich gezeigt in der Vergangenheit.
JANA / Dieses relativ unscheinbare Wort VERTRAUEN hat für uns etwas Verbindendes.. Das wir zu 100% vertrauen können und ihr glaube ich auch untereinander vertraut, das ist etwas, was wirklich besonders ist. Selbst wenn Dinge passieren, jemand mal enttäuscht oder verletzt ist oder man sich missverstanden fühlt. Wir haben es geschafft, eine gute Kultur zu entwickeln, darauf nicht sitzen zu bleiben, sondern wieder in Verbindung zu kommen. Das erlebe ich wirklich als großes Geschenk und bin da auch richtig richtig doll dankbar. Das ist eben etwas, was man sich nicht kaufen kann.
Je älter ich werde, desto mehr merke ich tatsächlich auch, das ganz viel von dem, was ich mir früher noch gewünscht hätte an Mehr, an Größe, an Höhe, an Internationalität, verliert an Bedeutung.
Weil ich weiß, dass das Wichtige gefüllt ist mit den richtigen Dingen.
KATJA / Hattet ihr einmal drüber nachgedacht, ob ihr euch noch vergrößern möchtet?
MARTIN / Wachstum war für uns per se nie ein Ziel oder Antrieb. Wir hatten nie den Wunsch oder die Vorstellung, wir wollen irgendwann 50 Angestellte haben. Wir sind eher gewachsen, weil sich Beziehungen, Chancen und Projekte ergeben, weil sich Themen und Technologien weiterentwickelt haben und Projekte auch größer und umfangreicher wurden, für die wir einfach Unterstützung gebraucht haben.
JANA / Wir haben im Moment eine Größe, die für uns passt. Da ist noch ein wenig Luft, aber es hat einfach Grenzen. Wir können irgendwann nicht mehr mit der Leichtigkeit führen, wenn das Team viel größer wird. Wir möchten eben nicht nur Geschäftsführer sein, sondern wir wollen auch in unseren Projekten arbeiten, ganz nah dran sein, an dem was passiert. Natürlich müssen wir einen Teil unserer Arbeit für strategischer Weiterentwicklung, Personalentwicklung und Buchhaltung aufwenden, aber wenn wir doppelt so viele oder mehr Mitarbeiter*innen hätten, verschiebt sich einfach alles. Das, was wir hier haben, fühlt sich immer noch so gut und passend an.
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ISABEL / Meine Frage ist eher etwas Politisches: ich merke einfach in meiner Bubble, dass politische Themen und Stimmen lauter werden, gerade auf Instagram. Egal ob Klimakrise, Feminismus, Black lifes matter, man kann das mittlerweile so schwer trennen. Wie seht ihr das, gewinnt das in der Zukunft mehr an Bedeutung? Muss man als Agentur mehr Stellung beziehen? Muss man, auch hinsichtlich der Kunden, vorsichtig sein?
MARTIN / Wir kommen aus einer Ecke, wo Überzeugungen und Werte schon immer eine sehr große Rolle gespielt haben. Wir haben uns in all den Jahren immer wieder überlegt, ob und welche Themen zu uns passen, welche Projekte wir vertreten können – oder auch nicht. Natürlich war es für uns immer die Abwägung zwischen dem, was für uns moralisch vertretbar ist und was nicht. Das nach außen zu präsentieren oder Statements abzugeben, mit welchem Ziel? Für uns intern ist ganz klar: wir haben eine Haltung und wir wollen uns ganz klar freiheitlich, demokratisch, humanistisch positionieren, wir wollen nachhaltig handeln usw. – wir sind aber keine politischen Meinungsmacher.
JANA / Wir haben unsere Werte und entsprechend reagieren wir auf bestimmte Themen und engagieren uns. Martin seit vielen Jahren ehrenamtlich im Bereich Medien- und Digitalkompetenz für Kinder und Jugendliche beim meredo.eV. tätig, ich arbeite seit mehreren Jahren bei MentorMe als ehrenamtliche Mentorin, da mir die Förderung und Vernetzung von Frauen sehr am Herzen liegt. Wir haben 2015 und in den darauffolgenden Jahren Flüchtlingsfamilien und Unterkünfte unterstützt, nutzen seit jeher grünen Strom und stellen bewusst Menschen ein, deren Lebensläufe nicht immer geradlinig sind – weil uns das eben wichtig ist.
Wir müssen nichts verstecken und wir würden uns nicht verbiegen, um bestimmte Aufträge zu bekommen. Das würde im Prozess sowieso auffallen.
Darum ist es für uns wichtig, sich am Anfang gut kennen zu lernen, um zu sehen, ob man zusammenpasst oder nicht.
MARTIN / Für mich ist das Handeln wichtiger, als das “Zurschaustellen”. Wobei ich das auch nicht negativ bewerten will. Wenn ihr als Team das Gefühl, das Bedürfnis oder den Wunsch habt, hey wollen wir uns als Agentur dazu positionieren, bitte sprecht es an. Das ist auf jeden Fall etwas, das wir dann in der Runde besprechen.
JANA / Es kamen ja auch in der Vergangenheit immer mal wieder Impulse, die wir dann aufgegriffen haben, wo eben ein Diskurs entstanden ist, der ja auch immer wieder spannend ist. Vielfalt leben, heißt eben auch, dass Menschen, Kolleg*innen unterschiedliche Meinungen haben dürfen, auch wenn man selbst ein bisschen braucht, um zu verstehen.
JESSICA / Könntet Ihr Euch vorstellen, noch mehr Mitarbeiter einzustellen? Bzw. mit noch mehr Freelancern zusammen zu arbeiten?
MARTIN / Hier haben wir keinen strategischen Plan. Wir werden eher schauen, ob sich Situationen oder Settings ergeben, die es erforderlich machen, dass wir ein größeres Team brauchen. Wenn Verstärkung für neue Kunden oder Projekte benötigen, werden wir aber natürlich reagieren..
JANA / Neue Mitarbeiter heißt auch, dass wir noch mehr und gezielt sehr viel Energie in Akquise und Vertrieb stecken müssten. Dann müssten wir wahrscheinlich auch Aufträge annehmen, auf die wir nicht so viel Lust haben. Was dann möglicherweise auch auf unsere Arbeit abfärben würde. Wir überlegen ja inzwischen sehr genau, was zu uns passt. Das was wir nicht mehr wollen in unserem Leben, ist mehr Druck, als sowieso vorhanden ist.
MARTIN / Am besten ist Recruiting sowieso über unser Netzwerk. Wenn ihr sagt, ihr kennt da jemanden. Das hat nachweislich am besten funktioniert (lacht).
Das Recruiting aus dem erweiterten Freundes- und Bekanntenkreis hat auch nachhaltig dazu geführt, dass ihr heute da seid, und das macht auch die besondere Stimmung.
Also, grundsätzlich ist Wachstum nicht ausgeschlossen, aber nicht um jeden Preis.
ISABEL / Ihr habt ja in den 20 Jahren unzählige Projekte umgesetzt. Gibt es so ein Projekt, wo ihr euch noch besonders erinnert, was euch nachhaltig geprägt hat oder auch schief gegangen ist? Und gibt es einen Kunden, mit dem ihr unbedingt einmal zusammenarbeiten würdet?
JANA / Also ich habe tatsächlich ein Projekt, woran ich mich total gerne erinnere – das ist unser Vogelhäuschen-Baum für den NaBu. Weil es sowohl vereint als auch unsere Identität ausmacht. Es gab einen Sinn, es war eine wirklich gute, kreative Idee, durch unser gesamtes Team innovativ umgesetzt, unterstützt durch unsere ganze Familie und digital verlängert.
Unser Showstopper war ganz am Anfang der Umbau der Büchergilde, oder? (lacht)
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MARTIN / Ich glaube, ich kann nicht so ein Leuchtturmprojekt nennen. Begeistert haben mich schon immer große Webprojekte. Es ist ein tolles Gefühl, wenn wir da etwas fertiggebracht haben und auch nach Jahren noch merken, dass wir wirklich etwas geschaffen haben. Vielleicht ist die Website nach 5-6 Jahren vom Look&Feel nicht mehr topaktuell, aber das Konzept, die Idee und die Gedanken, die wir da eingebracht haben, die waren so nachhaltig, dass die Seite auch heute noch gut ist und funktioniert. Das erfüllt mich immer wieder mit Stolz. Und klar, die ganzen großen Veranstaltungen – das ist immer so ein bisschen wie Ausnahmezustand.
JANA / Ich habe noch eins: “Die Woche der Sonne” fand ich super – diese 300 Pappkameraden auf der Palastwiese. Das war auch voll auf die 12! Was am nachhaltigsten und langfristigen zu sehen ist, ist unser Logo der Parkraumbewirtschaftung. Ist schon so lange her (2010) und steht immer noch. Inzwischen haben wir schon für so viele tolle Menschen, Brands und Unternehmen gearbeitet. Das hätten wir uns früher niemals vorstellen können.
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MARTIN / Mir sind die Brands ja immer gar nicht so wichtig.
Ich habe für mich festgestellt, dass mir wichtig ist, mit den richtigen Leuten zusammen zu arbeiten. Das ist es, was mich inspiriert.
Es macht einfach total Spaß, wenn man so einen Flow entwickelt – auch zusammen mit dem Kunden.
JANA / Das geht mir ähnlich. Früher wollte ich tatsächlich immer mehr Glamour. Da hat sich wirklich was verändert, gerade mit den größeren, umfangreicheren und ernstzunehmenden Projekten und mit dem Reinschnuppern in bestimmte Branchen. Mit zunehmendem eigenen Bewusstsein hat sich der Fokus vom Außen ins Innen verschoben. Mit so wunderbaren Menschen arbeiten zu dürfen und wenn ich nach einem langen, vielleicht auch anstrengenden Workshop denkst “Wow, das ist meine Arbeit!” – das ist so zauberhaft (emotional).
KATJA / Was meint Ihr denn, wo die Reise in der Medienwelt hingehen wird?
JANA / Aufs Segelboot (lacht)
MARTIN / Es wird sich immer weiter auffächern, immer ortsunabhängiger, agiler, individueller werden – diese Trends sind ja seit Jahren erkennbar. Was ich so ein bisschen spüre ist, auch im Zeichen von Klimakrise etc., dass mehr ressourcenorientierter geschaut wird, was wirklich neu sein muss?
Wie können Services individuell, aber trotzdem nachhaltig sein? Also vorhandene Dinge weiterentwickeln, Synergien schaffen und Dinge zusammenbringen.
Was das für die Medienwelt bedeutet? Ich denke nicht, dass wir eine Umkehrung erfahren werden hin zu weniger Kanälen – im Gegenteil, es wird sich immer weiter diversifizieren. Es wird auch weiterhin große Player geben, die sich aber immer weiter auffächern hin zu Special Interest.
JANA / Ich glaube die Arbeitswelt wird generell in vielen Bereichen an Komplexität zunehmen. Es ist nicht mehr so, dass künftige Generationen einen Beruf erlernen und den führt man sein ganzes Leben lang aus. Es ist eine permanente Weiterentwicklung, ein Lernen – verbunden mit großem Leistungsdruck. Wir sind ja nach wie vor Menschen und wir müssen auch auf den Menschen in uns Acht geben. Somit werden die ganzen Soft-Themen, wie Teamentwicklung und Führungskultur, Menschen stärken, entwickeln, wie gehen wir mit Problemen um, wenn Überforderung da ist und Motivation fehlt – ich glaube diese Themen werden weiter zunehmen.
SABINE / Abschließend noch eine Frage, schaut ihr mit Zuversicht in die Zukunft?
JANA / Wir haben ja in den letzten 2 Jahren die unterschiedlichsten Herausforderungen vor die Tür gestellt bekommen. Und wir haben die Tür aufgemacht und sie angenommen. Auch davor hatten wir immer wieder schon Situationen oder Wachstumsschübe, Lernkurven, Schmerzen, Überraschungen und haben das alles mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln, Ressourcen, auf die wir im Umfeld zurückgreifen können, gut gemeistert. Deswegen bin ich positiv zuversichtlich, dass wir auch in Zukunft mit euch gemeinsam gute Entscheidungen treffen werden. Dass wir unseren Weg und einen guten Kurs finden werden – bei dem der Druck in den Segeln nicht ständig Schieflage bedeutet und wir komfortabel segeln können.
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guteideen · 3 years
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Mein Sommer-Experiment: Mobiles Arbeiten & Reisen durch Spanien und Frankreich
Mein persönliches Experiment als digitale Nomadin auf Zeit und wie sich die schöne neue Arbeitswelt anfühlt.
Im ersten Lockdown hatte ich meine Wohnung schön gemacht, die Kammer umgebaut und einen Weinkühlschrank gekauft. Im zweiten Lockdown wurde sie noch schöner und praktischer. Der Arbeitsplatz wurde optimiert und es kam eine neue Kaffeemaschine, Sauerteig samt Brotback-Utensilien und ein Tiefkühlschrank dazu, um nicht jeden Tag zu kochen und drei Tage am Stück dasselbe zu essen. Und dennoch konnte ich sie nicht mehr sehen – meine hübsch gemachte Wohnung. Wir beide brauchten eine Pause. Vielleicht lag es ein klitzekleines bisschen am Teenager, der auch noch in der Wohnung wohnt und mit unvorstellbaren Kräften im Lockdown ein brillantes Abitur hingelegt hat. Seitdem fühlt es sich aber an, wie ein Schlauchboot aus dem die Luft raus ist.
Endlich mal raus aus der Stadt, nicht nur nach Brandenburg, frei sein, die Sonne auf der Haut fühlen. Die dunklen Monate des ewig langen Lockdowns abschütteln, in den Wellen zurücklassen und mit frischer Energie zurückkehren. Das war mein Wunsch.
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Der eigentlich seit Jahren ersehnte Umstand, wegen schulpflichtiger Kinder nicht mehr in den Sommerferien wegfahren zu müssen, kollidierte gerade mit meiner unermesslichen Sehnsucht nach Reisen, lebendig fühlen und einem Tapetenwechsel. Mein Freund konnte sich beruflich noch eine Woche Urlaub vor dem Beginn der Sommerferien genehmigen, die wir segelnd in Holland verbrachten. Das war schön, aber deutlich zu kurz. Der eigentliche Urlaub Anfang Oktober – so weit entfernt. Die Erschöpfung – oder wie auch immer man den Zustand im und nach dem Lockdown bezeichnen mag – war immer noch zu groß. Die Folgen meines Pfeifferschen Drüsenfiebers, das mich wochenlang richtig platt gemacht hat, waren immer noch spürbar. Ich musste raus!
Mein langjähriger Freund Adrian, der sich im letzten Jahr ein neues Hobby zugelegt hat und VW-Busse um- und ausbaut und ganze Sommer damit unterwegs ist, fragte mich beiläufig bei einem Bier, ob ich nicht Lust hätte, mitzukommen. Der Gedanke hat mich sofort elektrisiert und nicht mehr losgelassen.
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Ich stellte mir vor, wieder unterwegs zu sein, mehr draußen als drinnen, morgens nicht zu wissen, wo wir abends sein werden. Das routinehafte Vorhersehbare in meinem Leben auszutauschen gegen das einfache Leben, nicht viel zu brauchen, weil das Andere, die Welt, die Eindrücke in Fülle vorhanden waren. Und dennoch dabei zu arbeiten.
Denn für richtig freimachen war keine Zeit. Eine Sommerpause gab es in diesem Jahr nicht. Ein passender Zeitraum fand sich recht unkompliziert. Adrian war mit seinen Kindern schon unterwegs in Polen, Slowenien, Kroatien – das konnte ich in den sozialen Netzwerken verfolgen. Das steigerte nur meine Ungeduld und Vorfreude, aber auch meine Aufregung. Wie würde es funktionieren? Komme ich überhaupt zum Arbeiten? Habe ich genug Zeit, Ruhe, Motivation und Netz? Haben meine Reisebegleiter ausreichend Verständnis und Geduld für meine Termine und wenn ich mich nicht an den allgemeinen Aufgaben beteiligen kann?
Schlafen ist bei mir ein Thema seit meine Kinder auf der Welt sind. Früher konnte ich schlafen wie ein Baby. Dieser Zustand hat sich nie wieder eingestellt. Also ging ich auf die Suche nach einer Ausstattung, die klein, bequem und komfortabel genug war, um gut zu schlafen und die ausreichend Flexibilität bot, auch damit arbeiten zu können. Eine aufblasbare Matratze mit glatter Oberfläche, ein Deckenschlafsack, der nicht raschelt und aus Baumwolle besteht, kühlt und selbst bei kühlen Sommernächten ausreichend wärmt, zwei Kissen mit Memory-Foam und die beste Anschaffung: mein aufblasbares Kniekissen als Laptoptisch haben sich bewährt.
An einem Donnerstagnachmittag stieg ich nach sechzehn Monaten das erste Mal wieder in ein Flugzeug. Mein erstes Mal seit Beginn der Pandemie und der erste Flug vom neuen Willy Brandt Flughafen. Ich bin seit geraumer Zeit durchgeimpft und so dankbar dafür. Schenkt es mir doch wieder etwas Bewegungsfreiheit, ohne die permanente Sorge, sich anzustecken und ernsthaft zu erkranken.
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Der Landeanflug auf Barcelona, der Blick aufs glitzernde Meer und die beginnenden Berge dahinter, die kleinen Fincas und der große Seat-Parkplatz – alles kam mir so wertvoll und besonders schön vor. Ich platzte fast vor Sehnsucht nach Leben.
Und dann stand ich draußen, in der spanischen Hitze. Der blaue metallicfarbene VW Bus glitzerte in der Sonne. Adrian, Fritschi und Reisehund Tomte begrüßten mich herzlich. Jetzt ging es los. Mein Sommer Experiment – Mobiles Arbeiten & Reisen durch Spanien und Frankreich.
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Wir hatten fürs soft-opening ein Hotel in Barcelona gebucht. Direkt an der Rambla. Ankommen, lecker essen gehen, nochmal gut schlafen, stabiles Hotel-WiFi und duschen, bevor wir morgen in die Wildnis fahren. Leider ist Barcelona in diesem Sommer wirklich sehr laut, heiß und stickig, teilweise waren die Gerüche unerträglich, so dass wir sehr schnell am nächsten Morgen, nach einem recht kurzen Abstecher an den vollen Stadtstrand Barcelonetta, Richtung Westen und Pyrenäen fuhren.
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Ich hatte meinen aufblasbaren Reisetisch dabei und in den nächsten Stunden versank ich auf dem Beifahrersitz im Rhythmus des surrenden Motors in meinen Gedanken, schrieb ein Team-Entwicklungskonzept, stellte Onboarding-Unterlagen für eine neue Mitarbeiterin zusammen, beantwortete Mails oder telefonierte über Teams.
Den Blick immer mal wieder in die Ferne gerichtet, flogen mir die Ideen förmlich zu. Als würde die Bewegung den Fluss der Gedanken unterstützen.
Das hat ja schon mal gut funktioniert.
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Den ersten Abend verbrachten wir am Ufer eines riesigen und unglaublich türkisen Stausees. In der Abendsonne noch ein paar Mails beantworten, mit Blick in die wunderschöne Kulisse, während die Sitzecke aufgebaut und das Abendessen vorbereitet wurde, empfand ich als wunderbares Geschenk. Von diesen Momenten gab es auf der Reise noch viele. Ein paar Tage verbrachten wir in Biscarrosse, direkt am Atlantik. Dort gab es einen wunderbaren Strand mit großen kräftigen Wellen, einen riesigen Campingplatz mit einer Poolanlage, sämtlichen Sportangeboten, die das Herz begehrt – und vor allem stabiles Netz. In dieser Zeit konnte ich gut arbeiten, mir die Phasen flexibel einteilen, mittags eine Runde im Pool baden, nachmittags an den Strand, abends gemeinsam grillen, kochen oder essen gehen.
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Es war eine Zeit voller Leichtigkeit und Lebendigkeit. Es brauchte nicht viel, um entspannt durch den Tag zu gehen. Auf dieser Reise war es wieder spürbar, wie wenig wir eigentlich wirklich brauchen. Was zählt, waren Verbindung, Aufmerksamkeit und Loslassen. Wir fühlten uns den Menschen überall verbunden in dem Gefühl von Lebenshunger.
Ich verzichte zugunsten der Länge des Beitrags auf eine ausführliche Beschreibung unserer weiteren Reise. Wer mehr über unsere Route und unsere Erlebnisse erfahren möchte, kann das auf Instagram https://www.instagram.com/jane_kunstpiratin/ nachlesen.
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Wie erfolgreich war nun aber mein Experiment?
Um es vorweg zu nehmen, da ich im Vorfeld, währenddessen und auch danach häufig gefragt wurde: es hat funktioniert. Für mich. Zu den Fragen, die ich mir im Vorfeld stellte, gehört die Überlegung, wie ich selbst meine Erfahrungen bewerten soll, wann mein Experiment gelungen ist und wann nicht.
Ich habe viel nachgedacht, mich ausgetauscht und stelle meine Beobachtungen und den momentanen Stand meiner Gedanken hier zur Verfügung. Gleichzeitig bin ich mir sicher, dass es nur eine Momentaufnahme sein kann und dass Stück für Stück neue Erfahrungen, Tipps und Erlebnisse dazu kommen werden. Also nagelt mich nicht fest.
Mehr Energie Was ich an mir beobachten konnte und was mich am meisten überrascht hat, war, dass ich viel mehr Energie hatte.
Ausgeschlafen Meist war ich vor dem Wecker wach und war ausgeschlafen. Das kenne ich vom Segeln. Mehr draußen sein heißt für mich, ich brauche weniger Schlaf als in der Stadt. Eigentlich bin ich ne überzeugte Eule. Unterwegs verschob sich mein Biorhythmus Richtung Lerche und war vermutlich auch gesünder.
Pausen Durch die Möglichkeit, zwischendurch aktive und ausreichend Pausen zu machen, zu schwimmen, zu spazieren, einfach in der Natur zu sein, gab es keine Momente der Erschöpfung, wie ich sie an manchen Tagen zuhause oder im Büro durchaus kenne. Besonders nach vielen Stunden Videocalls am Stück, hybriden Veranstaltungen oder wenn Tage insgesamt zu lang sind.
Mehr Bewegung Ich nutzte alle Varianten, die der Bus und meine Umgebung mir boten, um zu arbeiten – im Sitzen, Liegen, Stehen. Ich blieb nie lange an einem Ort sitzen. Und ich hatte in der gesamten Zeit keine Rückenschmerzen. Wenige Veränderungen haben offenbar schon eine große Wirkung gezeigt.
Selbstfürsorge & Zeit ist relativ Je besser es mir geht, umso effizienter arbeite ich. Und darum geht es ja in dem New Work Gedanken. Es geht nicht um Zeit, sondern dass die Arbeit getan, die Aufgaben gelöst, die Herausforderungen angegangen werden.
Hier gibt's noch ein paar meiner Erfahrungen als Tipps und Take-aways - unsortiert und ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
BLEIB FLEXIBEL Mit Flexibilität gestaltet sich das Arbeiten und/auf Reisen machbar. Auf Reisen geht 9 to 5 eher, wenn man ein paar Tage an einem Ort ist. Vielleicht ist es punktuell gar nicht notwendig. Wer im Auto unterwegs arbeiten kann, ist klar im Vorteil. Einige Menschen können das Lesen und Arbeiten beim Fahren nicht gut haben. Manchmal hilft es, auszuprobieren, woran es liegt, immer mal wieder den Blick auf den Horizont richten wie beim Segeln und ausreichend zu trinken und zu essen. Wenn es nicht funktioniert, kannst du die Zeit nutzen und vielleicht Podcasts hören oder nachdenken. Da entstehen manchmal auch überraschende Dinge.
ORGANISIERE DICH GUT Damit meine ich, dass du immer einen guten Überblick über deine Aufgaben und Termine hast und organisieren kannst, welche Umgebung du jeweils brauchst. Es gibt Termine, wo es um sensible Daten geht, wie bspw. Coachings. Da ist es hilfreich, einen kleinen geschützten Raum zu haben, damit niemand mithören kann.
LERNE DICH SELBST GUT KENNEN Wenn du selbst weißt, was gut für dich ist, wo du gut denken, dich konzentrieren und arbeiten kannst, ist schon viel gewonnen.
VERTRAUE DIR Versuche die Zeit zu nutzen, den Druck zu Hause zu lassen. Vertraue deiner Intuition, vertraue dir, dass du die richtigen Entscheidungen treffen wirst. Vertraue, dass sich die Dinge fügen.
FOLGE DEM FLOW Es gibt Tätigkeiten, da brauche ich Ruhe, ein gutes Karma des Ortes. Dann fließt es. Horch in dich, welche Aufgaben zu welcher Tageszeit und zu welchem Energielevel am Besten passen.
WECHSEL DEINE HALTUNG Damit meine ich die Körperhaltung. Im Büro und vielleicht sogar im Homeoffice gibt es inzwischen eine verbreitete Sensibilität für eine ergonomische Arbeitsumgebung. Im mobilen Office bist du selbst verantwortlich, dafür zu sorgen, dass du dir keine Haltungsschäden und Verspannungen zuziehst. Meine eigene Erfahrung ist, dass viel Bewegung und häufige Wechsel der Arbeitsposition und Körperhaltungen helfen, Blockierungen vorzubeugen.
CHECK DEINE AUSRÜSTUNG Je nachdem, wie du reist, brauchst du unterschiedliches Equipment. Was du vermutlich immer brauchen wirst, ist Strom. Ich hatte das Glück, dass wir eine supertolle riesige Powerbank dabei hatten, die sowohl beim Fahren als auch vor Ort aufgeladen werden kann. Wenn du nicht im Auto unterwegs bist, ist eine Powerbank und eine Verlängerung immer hilfreich. Im Auto sogar eine Kabeltrommel.
MOBILE DATEN VERSUS HOTSPOT? Wofür du dich entscheidest, hängt von der Art, Dauer und Region deiner Reise ab. Meine Beobachtung war, dass z.B. in Frankreich das Telekom- Netz eine breitere und bessere Abdeckung hatte. Daher kann es sinnvoll sein, wenn du mit mehreren Personen unterwegs bist, verschiedene Anbieter zu wählen, um euch gegenseitig Hotspots zu gewähren.
VERSORG DICH MIT VIEL DATENVOLUMEN Wie viel Gigabyte du brauchst, hängt natürlich von der Art deiner Arbeit ab. Wenn du nur hin und wieder Mails verschickst und an Exceltabellen arbeitest, brauchst du deutlich weniger Datenvolumen, als wenn du ständig in Videokonferenzen bist oder in den sozialen Netzwerken und Content hochlädst oder große Datenmengen versendest.
PLANE SICHERHEIT Auf Reisen sind die persönlichen Dokumente und technischen Geräte potenziell gefährdet. Wer Sorge hat, Opfer eines Diebstahls zu werden, kann überlegen, welche Möglichkeiten es für die jeweilige Form des Reisens gibt, auch wenn es leider keine absolute Sicherheit geben wird. Zum Beispiel gibt es Koffer, die man im Auto anschließen kann.
MUT ZUR LÜCKE Der Tipp gilt am Ende immer. Bleib entspannt, auch wenn die Dinge mal nicht so laufen, wie geplant.
Die größte Challenge auf dieser Reise war für mich neben der Aufregung im Vorfeld, den klassischen Arbeitstag und das schlechte Gewissen aus meinem Kopf zu bekommen. Das schlechte Gewissen, ob ich mir diese Zeit und das Format erlauben darf? Ist es fair, den Kolleg*innen und Kund*innen gegenüber? Welches Bild und welche Wirkung gibt es? Ich weiß natürlich nicht umfassend, was mein Umfeld über meinen Ausflug denkt, aber das Feedback, dass ich bekommen habe, war ausschließlich positiv, verbunden mit vielen Fragen zu Erfahrungen und praktischen Tipps sowie geteilten Wünschen nach ähnlichen Auszeiten.
Ich habe immer wieder darüber nachgedacht, wie stark diese klassische Prägung der alten Arbeitswelt bei mir wirkt und wie viel Energie es braucht, um das aus dem Kopf zu bekommen. Was ich aber an mir selbst beobachtet habe ist, wie viel schneller und besser ich arbeiten kann, also denken, konzeptionieren, beraten, kreativ sein kann, wenn es mir selbst gut geht. Es macht also wirklich Sinn, in erster Linie darauf zu achten, gut bei sich selbst zu sein und für sich selbst zu sorgen.
Solltest du eine Idee haben, den Wunsch etwas auszuprobieren, möchte ich dich ermutigen – mach es. Beginn eher früher als später. Du kannst planen und dir Settings vorstellen. Vieles erlebst du erst in der Praxis. Für mich geht es inzwischen auch nicht mehr um Perfektion, sondern um Leben leben. Echt, einfach, überraschend und bezaubernd schön.
Bleib munter und lebendig, wo auch immer du gerade bist.
Deine Jana.
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guteideen · 3 years
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Wie viel Experimente erlauben wir uns und was können wir uns vom Segeln abschauen?
Warum ist es so wichtig, zu experimentieren, erproben, Thesen zu prüfen, in der Praxis die Theorie zu testen und warum lohnt es, sich dafür Zeit zu nehmen?
Keine Sorge, dies wird kein Urlaubsbericht und soll auch nicht neidisch machen. Es gibt dafür auch keinen Grund. Das Leben an Bord ist meist weniger komfortabel, als sich viele Nichtsegler*innen das so vorstellen. Ich möchte einfach von meinen Erfahrungen berichten und auf welche schönen und hilfreichen Erkenntnisse ich dabei gestoßen bin. Vielleicht inspiriert es euch, nochmal anders auf euer Leben, Arbeiten und eure Routinen zu schauen.
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Beim Segeln komme ich früher oder später – wenn die Segel gesetzt und optimiert sind, der Wind mit voller Kraft das Schiff vorantreibt, sich ein gleichmäßiger Rhythmus eingestellt hat und die Wellen am Schiff vorbeiplätschern – an einen Punkt, an dem die Gedanken vorbeiziehen wie Wolken und an Themen vorbeikommen, die es sonst nicht so in mein Bewusstsein schaffen. Vermutlich hängt es eng zusammen mit den Erfahrungen, die ich von morgens bis abends auf dem Boot mache.
Ständig ist alles wieder neu, am Morgen weiß ich oft nicht, wie der Tag verläuft, wie der Wind tatsächlich weht, welche Herausforderungen auf mich warten, wo und wann wir ankommen und wie oft ich aus meiner Komfortzone geworfen werde.
EINES ABER IST SICHER: NICHTS IST SICHER. Eine der wichtigsten Tugenden an Bord dafür ist Gelassenheit. Und nicht aufgeben. Etwas was wir als Kinder bis zur Perfektion beherrschen, wenn wir laufen lernen, und es im Laufe unseres Lebens wieder verlernen.
Mein sonstiger Alltag in Berlin bietet inzwischen, seit die Kinder groß sind, ein gewisses Maß an Flexibilität. Aber einige Routinen bestimmen dennoch mein Leben – mehr als mir beim genauen Hinschauen lieb ist. Meine Wohnung, mein Büro befinden sich immer am selben Ort. Die Wege zu den Supermärkten, Freund*innen, zu Ärzt*innen oder ins Restaurant sind oft dieselben. Ich komme so gut wie nie auf die Idee, daran etwas zu ändern. Das Wetter tangiert mich in der Stadt eher wenig, ich nehme das Fahrrad, den Roller oder im Zweifel einen Schirm. Wenn es hart auf hart kommt, bleibe ich im Homeoffice. Wenn es zu heiß wird, flüchte ich aus der Stadt an den See oder in einen der Gärten, z.B. bei meinen Eltern. Dadurch wirkt für mich das Leben in den heimischen Gefilden viel vorhersehbarer, flacher, die Ausschläge nach oben oder unten sind weniger spürbar. Wenn ich Dinge ausprobiere, ist das oft kulinarisch. Aber wenn ich mir Raum für Experimente schaffen möchte – gerade in beruflichen Kontexten – muss ich das sehr bewusst tun. Es passiert meist nicht einfach. Die Routine ist wie klebriges Gas, das sich immer wieder ausbreitet aus einer unerschöpflichen Quelle heraus. Ein gewisses Maß bietet uns möglicherweise Stabilität und Sicherheit, weil wir sonst ständig außer Puste wären. Wer weiß es schon. Aber mein Gefühl ist, dass regelmäßiges Lüften hilft, Routinen zu durchbrechen. Die Dinge hinterfragen, nichts einfach so stehen lassen, weil die Macht der Gewohnheit so stark ist. Ungläubig sein, damit immer wieder neue Ebenen zutage treten – gemeinsam experimentieren. Segeln hilft übrigens beim Lüften auf allen Ebenen.
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Warum ist experimentieren so wichtig?
Die Pandemie hat es gezeigt, aber auch die anderen großen Fragen unserer Zeit wie die Auswirkungen des Klimawandels, die Verschiebung der globalen Machtverhältnisse im Kleinen wie Großen – wir leben stärker denn je in einer Zeit der Unsicherheit und Ungewissheit. Wir erleben immer häufiger Situationen, die weder plan- noch kalkulierbar sind. Wir verlieren die Kontrolle, die wir vorher nur scheinbar hatten und sehen die Risiken bedrohlich näherkommen. Wenn wir dann versuchen, dem Gefühl des Kontrollverlustes mit alten Bordmitteln entgegenzuwirken, laufen wir ins Leere. Unsere bekannten und scheinbar bewährten Tools wie Planung, Steuerung und Kontrolle funktionieren nicht mehr. Was aber funktioniert stattdessen?
Wenn wir das Experimentieren transparent „erlauben“, ihm einen offiziellen Stellenwert und eine Wichtigkeit geben, entsteht eine mutige Unternehmenskultur, die auf Erneuerung und Lebendigkeit basiert.
Es entwickelt sich eine Kultur, die ermöglicht, Lernen als Teil des Auftrags zu leben und gleichzeitig Risiken einzugehen.
Beim Segeln passiert ständig irgendetwas Unvorhergesehenes. Es sind meist nicht die größeren Katastrophen, wie ein Mastbruch, Wassereinbruch oder ein kaputtes Ruder. Auch die kleineren Unfälle oder Malheure stellen einen ordentlich auf die Probe. Ich selbst habe im Laufe der Zeit schon eine kochende (weil defekte) Starter-Batterie erlebt (inklusive giftiger Dämpfe und besonders ungünstig beim Ankern in Buchten, wenn der Wind zum Ablegen aus der falschen Richtung kommt), kaputte Seeventile, verstopfte Toiletten, von allein verschlossene Kabinentüren, weil der Schließmechanismus durch den Wellengang ausgelöst wurde und diverse defekte Kleinteile mit großer Wirkung.
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Und dann beginnt der Spaß des Ausprobierens. Und das ist vielleicht auch ein Teil des Zaubers. Dass ich auf eine Art und Weise gefordert bin, die im Alltag wenig vorkommt und anders kreativ werden muss. Weil es einen direkten praktischen und sichtbaren Sinn macht. Den Fragen nachzugehen: Was genau funktioniert nicht? Wo konkret liegt der Fehler? Wie schwerwiegend ist die Beeinträchtigung? Was haben wir an Bord dabei, um uns selbst zu helfen?
Das Ausprobieren und Experimentieren sowie eine systematische Herangehensweise für das Finden von zukunftsfähigen Lösungen, ist unser individueller und zugleich kollektiver Lernprozess, der zu vermehrten Erkenntnissen und Einsichten führt, selbst dann, wenn die Ergebnisse nicht immer zu konkreten und verwertbaren Lösungen für ein Problem führen. Die kollektive Erkenntnis ist, dass nur auf diese Weise Fortschritt möglich ist.
„Nicht alles, was ausprobiert wird, funktioniert auch. Aber all das, was funktioniert, wurde ausprobiert.“
Experimentieren – vor allem im Team – verbindet und schweißt zusammen. Oft entstehen Erfindungen in Teamarbeit. Die gegenseitige Inspiration und Ermutigung, das Feedback, die kollektiven Erfahrungen und ein gemeinsames Ziel sind übrigens auch perfekte Zutaten für eine zeitgemäße Teamentwicklung.
Wie können wir Experimente fördern?
Wir können als Führung oder auch im Team oder in unserem Umfeld ermutigen, nicht aufzugeben, auch wenn ein (Business) Case oder eine Aufgabenstellung nicht immer klar ist. Mut braucht es auch, weil Experimente auch scheitern können.
Wir können Rückendeckung geben, gerade wenn nicht immer verwertbare Ergebnisse entstehen und somit ein Risiko besteht.
Wir können ein Thema oder Projekt höher priorisieren und Zeit und Ressourcen bereitstellen um Raum und Muße für die Konzipierung und Umsetzung von Experimenten zu fördern.
Für Klarheit sorgen, heißt, die Grundlagen schaffen, da alles Experimentelle nicht nur klar definiert, sondern auch auf konkrete Fragestellungen ausgerichtet werden muss. Nur so werden Resultate erzielt, die zielführend und zukunftsfähig sein können.
Bei der Teamauswahl verschiedene Charaktere, Herangehensweisen, Denkweisen und unterschiedliches Know-how berücksichtigen, damit mutige Experimente entworfen und durchgeführt werden.
Für Wissenschaftler*innen und Forscher*innen ist experimentieren meist die Basis ihrer Arbeit. Dem Experimentieren liegt aber ein Zauber für alle inne.
Wer experimentiert, stößt auf Sackgassen, Irrtümer und Fehleinschätzungen, manchmal auf gordische Knoten, komplexes Material und praktische Hindernisse. Aber wenn am Ende eine Lösung gefunden, das Problem behoben wurde oder wie auf den Fotos zu sehen – das Gennaker (Mischung aus Genua, also großes Vorsegel und Spinnaker, sehr großes, dünnes, leichtes Segel einsetzbar bei wenig Wind) steht und aus 2kn plötzlich 4kn Wind macht, ist das ein Gefühl der Freude und inneren Sättigung, das man für kein Geld der Welt kaufen kann und dass uns stärkt für die nächsten Widernisse.
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Experimente, die erfolgreich sein müssen, deren Ausgang sicher ist, sind keine Experimente. Sie fungieren ungeniert unter dem Label, verhindern aber die Suche nach tatsächlichen Wegen und Lösungen. Unternehmen, die unter falschen Labeln agieren, riskieren, dass die Menschen krank werden.
Zu einem zukunftsorientierten Mindset gehört also das Experiment, ja die moderne Strategie ist das Experiment, lese ich bei Anja Förster & Peter Kreuz in „Vergeude keine Krise“. Man kann von Facebook halten was man will. Dass Facebook erfolgreich ist, kann man nicht bestreiten.
„Facebook-Chef Mark Zuckerberg sagt dazu: „der wahre Kern unseres Erfolgs liegt in diesem System des permanenten Testens... Zu jedem Zeitpunkt gibt es nicht nur eine Version von Facebook. Wahrscheinlich sind es 10000!“. ... „Ein für uns besonders charakteristischer Bereich ist das Scheitern. Wir sind der beste Ort auf der Welt um zu scheitern (wir haben viel Übung) Scheitern und Erfindungen sind unzertrennliche Zwillinge.“
„Der Wunsch nach Experimenten, die garantiert gelingen, ist ebenso paradox wie der Wunsch in den Himmel zu kommen ohne vorher sterben zu müssen.“
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Ein Experiment aus meiner sehr frühen Kindheit ist eines mit der Oberflächenspannung des Wassers. Wenn man ein Streichholz oder eine Büroklammer vorsichtig auf die Wasseroberfläche legt, schwimmt es. Wenn man dann einen Tropfen Spülmittel ins Wasser gibt, wird die Oberflächenspannung des Wasers zerstört und der Gegenstand geht unter. Ich kann heute noch die Faszination spüren, die es ausgelöst hat …
Schiffe können übrigens auch untergehen, wenn die Oberflächenspannung beeinflusst wird oder wenn durch aufsteigendes unterseeisches Methan als Gasbläschen, die wie Sprudelwasser wirken, die Dichte geringer wird als die des umgebenen Wassers und den Auftrieb verhindern. Das erste Mal las ich von einem solchen Blow-Out in Frank Schätzungs „Der Schwarm“, wie das Phänomen in der Wissenschaft genannt wird. Aber das hindert tausende Schiffe nicht daran, die Weltmeere zu durchpflügen.
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Seid mutig und experimentiert… Wie so oft sind Zuversicht, ein ordentliches Stück Hoffnung – und letztlich eine gute selbsterfüllende Prophezeiung nie verkehrt.
„Wenn wir unsere Wahrnehmung, unser Denken über die Welt verändern, verändern wir unsere Welt.“ schreibt das Zukunftsinstitut in ihrem Newsletter. Das gilt fürs Segeln ebenso wie fürs Experimentieren.
Wir haben übrigens auch experimentiert und pünktlich zum 20. Geburtstag der ideenmanufaktur einen Podcast gestartet. Ich werde nun zusammen mit meinem Freund und Beraterkollegen Frank Breyer und hin und wieder einem Gast in regelmäßig unregelmäßigen Abständen einen Podcast aufnehmen rund um Liebe, Macht und Freiheit.
In diesem Sinne wünsche ich viel Spaß beim Ausprobieren. Leinen los fürs Experiment und immer ne handbreit Wasser unterm Kiel.
Eure Jana
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