#Schematismus der Pathosformel
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Warburgs Staatstafeln
1.
Statt die Lektüre der beiden 'letzten Tafeln' aus dem Mnemosyne-Atlas 'ikonographisch', also mit den Bildern beginnen zu lassen, kann man die Lektüre auch büro- und studiokratisch, also mit den Routinen der Kanzleikultur beginnen lassen. Diese Routinen haben etwas Technisches, aber gehen sie in Technik auf? Sie treiben etwas, aber gehen sie in Trieben oder im Treiben auf? Graphisch sind diese Routinen vielleicht immer, zumindest ist 'nichts als Graphik' von ihnen überliefert.
Man kann bei denjenigen Graphismen beginnen, die unterhalb einer Schwelle des Ikonischen oder Imaginalen schon dabei kooperieren, Rom zu assoziieren und assoziieren zu lassen und dabei dasjenige zu tun, was Warburg Distanzschaffen, ein Trennen und Verknüpfen nennt. Man kann bei der "Mimik" und dem "Gerät", den (choreo-)Graphien des diplomatischen Protokolls und dem Schreibzeug beginnen., Man kann bei den Tafeln und Tabellen, bei den chronographischen und vagen Linien der römischen Verwaltung beginnen.
2.
Von 'Warburgs Staatstafeln' zu sprechen, macht dann Sinn, wenn man den Namen Warburgs hier als Teil der K.B.W., also als Name einer Firma, eines Geschäftes oder selbst einer Assoziation begreift. Daran ist Aby Moritz Warburg beteiligt, durchaus auch in führender Stellung, mit seinem ganzen pedantischem und diktatorischem Trieb, vor allem auch seiner Stellung als "Bürger schlechthin" (Schüttpelz). Aber er ist auch nur beteiligt, neben ihm gehört zu Warburg eben auch der Apparat, und das ist ein Apparat, der Personen, Dinge und 'Aktionen', darunter auch eingerichtete Routinen umfasst. Die K.B.W. selber ist 1929, als die Tafeln entstehen keine juristische Person, sie ist nur der Teil einer juristischen Person und natürliche Personen sind nur ein Teil von ihr. Mit dem Warburg in KBW kann nicht allein Aby Moritz gemeint sein, denn das Bankhaus Warburg ist ebenfalls beteiligt und so trägt die Institution nicht das Kürzel KBAMW, die Kürzel für Aby Moritz findet man da nicht. Die Rolle von Gertrude Bing kann auch nicht unterschätzt werden; insbesondere Tafel 78 ist ohne ihr Protokoll nicht denkbar. Sie war die einzige, die es in den zwei Tagen, an denen die Lateranverträge unterzeichnet und gefeiert wurden, in den Petersdom schaffte und dort ausführliche Beobachtungen zum Protokoll notierte, während Aby Moritz Warburg (im Regen?) draußen vor dem Tor bleiben musste. In manchen Nächten habe ich schon die Vorstellung entwickelt, dass eigentlich sie die Tafel 78 so sortiert hat, wie man sie von den Fotos und der neuen Rekonstruktion her kennt. Das ist vielleicht eine gewagte These, aber so gewagt ist sie in Bezug auf die herausragende Rolle, die Bing bei der Erstellung der Protokolle spielt, nun auch wieder nicht.
Von "Warburgs Staatstafeln" zu sprechen, macht auch dann nur Sinn, wenn man vorher noch einmal sagt, was man eigentlich mit einer Staatstafel meint. Der Begriff ist ja besetzt. Er stammt aus den Schriften von Leibniz und bezieht sich auf seine Entwürfe und Vorschläge zur Einrichtung und Modernisierung offizieller, amtlicher Wissensapparate, d.h. vor allem Archive, Bibliotheken und deren Hilfsmittel. Es ist in gewisser Hinsicht unhistorisch, Tafel 78 und Tafel 79 als Staatstafeln zu bezeichnen, trifft aber auch Aby Warburgs Interesse an historischen Asynchronien, ihren (Wieder-)Kehren und Abschichtungen. Schon Leibniz ist da wichtig, weil er an einer Kehre in der Geschichte der Zensur schreibt. Vor allem aber habe ich den Begriff gewählt, um an eine Literatur anzuschließen, die in den letzten Jahren zu juridischen Kulturtechniken wichtige Impulse gegeben hat. Das betrifft die Arbeiten von Bernhard Siegert, der vor allem in zwei Texten auf Leibniz' Staatstafeln einging, und es betrifft die Arbeiten von Cornelia Vismann, die mit ihren Texten zur Verwaltung entscheidende Impulse gegeben hat. Es gibt hier eine Reihe von Gründen, dieser Forschung Referenz zu erweisen. Sie alle würden ein eigenes Buch füllen. Kurz gesagt: Da ist zum einen das Interesse an einem Material, das man als 'Mindermaterial einer modernen Rechtswissenschaft' begreifen kann und das insoweit eher zum Bodensatz der Gründe als zu jenen Gründe gehört, auf denen die modernen Rechtswissenschaft aufsitzt. Zum anderen ist das ein Interesse daran, die Inkommensurabilitäten des Rechts nicht allein auf der Außenseite des Rechts zu beschreiben und gleichzeitig auch nicht davon auszugehen, dass es jenseits des Rechts nichts mehr vom Recht gäbe. Eine Forschung jenseits der Thesen zur Ausdifferenzierung des Rechts, eine Forschung jenseits des Dogmas großer Trennung und eine Forschung, die nicht daran interessiert ist, ein epistemisches Monopol der Rechtswissenschaft mit immer neuen Thesen zur Vorsprünglichkeit der westlichen Rechtsordnung zu sichern ist der Ansatz, der den Warburgschen Fragestellungen am besten entspricht. Vestings Medientheorie ist in ihrer kurzatmigen Kritik an dem, was in Weimar versucht wurde vielleicht irritierend,überrascht aber nicht im Hinblick auf die Apologie des Westens, die ihn und den übrigen Ladeurismus umtreibt. Für Warburgs Welt ist das nicht hilfreich. Ob jetzt Weimar oder Warburg: beides kommt auch dem Interesse entgegen, Dinge vergleichen zu können, die in anderen Ansätzen sonst strikt auseinandergehalten werden, ohne gleich in einer Kritik des Juridismus von der Verschmelzung der Welt oder einem Ende der Limitierungen zu träumen. In dem, was mich interessiert sind das zum Beispiel Vergleiche zwischen dem rhetorischen decorum einserseits und den Tabellen der römischen Verwaltung anderseits. Beides misst, skaliert, schichtet und mustert, beides polarisiert und adressiert. Die Frage ist wie und welche Bedeutung das dann für Assoziationen wie Rom, den Staat oder die Kirche hat. Gegenüber den doch arg dichten oder abgekürzten Verweisen von Pierre Legendre auf die ungelöste Verknüpfung von Dogmatik und decorum verspreche ich mir schlicht mehr Details und weniger Großgeschichte. Auch Daniel Damlers bisherige Forschungen zu Recht und Bild setzen in dieser Hinsicht zu spät an. Aby Moritz bildet bei seinen Texten zum Laokoon und zur Bildgeschichte der Körperschaften und Personen einen stillen Teilhaber. Damler setzt sich mit Warburgs Schülern explizit auseinander, nicht mit Warburg. Und dass Damler bei Bild, Person und Körper beginnt, ist auch ein 'später Einsatz', wenn man unterstellt dass allen dreien vagere Linien und Verleibungen auch über Körper, Personen und hinaus vorausgehen.
#Aby Warburg#Schematismus der Pathosformel#Fragmente zur Ausdruckskunde#Zensur ist Datensammlung#decorum ist protokoll#tabelle
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