Tumgik
#boilerroomscam
iq85 · 4 years
Text
Warum so viele Boiler Room-Broker Peter, Jack oder John heißen und häufig auch noch Doktoren sind
Wer häufig mit Boiler Rooms zu tun hat, stellt schnell fest, dass die meisten telefonischen Mitarbeiter eingängige westliche Namen tragen: alle heißen Peter, John und Jack oder ähnlich bekannt.
Die Namen entsprechen dem westlichen Durchschnitt, und Boiler Room-Mitarbeiter sind weltweit dazu angehalten, am Telefon ausschließlich solche Namen zu tragen.
Als Grund wird gesagt, dass man dadurch die Mitarbeiter erstens vor wütenden Kunden schützen will, falls eine Investition einmal schiefgeht. Zweitens wird dadurch die Ermittlungsarbeit von den Behörden erschwert, sodass man schnell unerkannt von der Bildfläche verschwinden kann.
Tatsächlich gibt es aber noch einen dritten Grund, der die Verwendung von westlichen Tarnnamen unverzichtbar macht: die meisten Menschen haben Vorurteile und trauen einem Peter, John oder Jack eher den sorgfältigen Umgang mit ihrem Kapital zu als einem Wladimir oder Üzgür.
Der fremde Name an sich wäre zum Aufbau eines Kundenverhältnis hinderlich, und daher umgeht man die Schwierigkeit, indem man westlich klingende Namen verwendet.
youtube
Aber die Namenswahl unterscheidet nicht nur zwischen östlich und westlich klingende Namen, sondern auch innerhalb der westlichen Sprachfamilie: christliche Namen sind besser als unchristliche, Markus, Johannes und Daniel werden den Thors vorgezogen. Unter christlichen Namen wiederum sind protestantische Namen beliebter als katholische, denn Protestanten gelten als hart arbeitend und ehrlich.
Eine letzte Unterscheidung findet noch unter katholischen Namen statt: es darf kein irischer Name sein, denn der meiste Boiler Room-Betrug findet im englischsprachigen Raum statt, und wird Geschäfte mit Paddies, Seáns und Liams zu machen unterbewusst als gefährlich wahrgenommen, weil die irischen Einwanderer jahrhundertelang als arme Unruhestifter galten, die untereinander Absprachen machen - der Ire als der geborene Betrüger.
vimeo
Viele Vorurteile sind noch immer bekannt. Warum sollten also Boiler Rooms das Risiko eingehen?
Kommen wir damit zur zweiten Frage: warum sind sie alle Doktoren?
Dem Doktortitel an sich wird von vielen Kunden ein Wert zugedacht: ein Doktor steht erstens über einem, zweitens hat man viel Zeit investiert, damit man den Titel tragen kann – er wurde sich quasi verdient. Wer einen Doktortitel trägt, dem wird Intelligenz unterstellt, gleichzeitig werden Doktoren sinnbildlich als Mediziner begriffen, für die der hippokratische Eid gilt: Egal was sie tun, niemals dem Wohl des Patienten zu schaden. All das manifestiert sich im Doktor-Begriff. Und selbst wenn sich der muttersprachliche Fake-Doktor in der Kundenkommunikation am laufenden Band grammatikalisch verspricht, wird darüber hinweggesehen, denn der Herr Doktor ist mit Sicherheit zu beschäftigt, um auf solche Kleinigkeiten wie Rechtschreibung Wert zu legen.
Dahinter steht der Dr. Fox-Effekt, der besagt, dass Menschen gegenüber Titel und Status obrigkeitshörig sind. Sie lassen sich davon beeindrucken, und achten dadurch weniger auf Widersprüche, die das schöne Bild vermiesen: “Der Herr Doktor wird schon wissen, wovon er spricht.”
So läuft es sowohl in der medizinischen Allgemeinpraxis als auch im Boiler Room.
Wenn Sie mehr über Boiler Rooms erfahren wollen, können Sie diesen Artikel lesen. Und sofern Sie am Dr. Fox-Effekt interessiert sind, empfehle ich Ihnen diesen Artikel.
Tumblr media
0 notes
iq85 · 4 years
Text
Boiler Rooms: Eine Einführung in den Anlegerinvestmentbetrug
Ich schreibe derzeit ein Buch. Es handelt von Betrug, und ich muss dem Leser darüber erzählen, weil das Thema interessant ist.
Aber zuerst muss ich eine Einschränkung machen: Ich schreibe das Buch nicht wirklich – ich übersetze es. Es wurde von Franciscus Roest, einem niederländischen Staatsanwalt, auf Englisch geschrieben. Ich bearbeite das Buch und mache den Sachverhalt leichter verständlich, indem ich unter anderem Fallstudien hinzufüge und Fakten erkläre.
Es soll dazu dienen, deutschsprachige Ermittler und Staatsanwälte zu schulen. Denn das Problem muss zuerst begriffen werden, bevor es gelöst werden kann; und Frans Roest ist dabei wahrscheinlich weltweit der Fachmann überhaupt.
Tumblr media
Das Buch handelt wie gesagt von Betrug, nämlich um eine ganz niederträchtige Unterart: Boiler Rooms.
Boiler Rooms sind Finanzdienstleistungs-Callcenter, die Leute anrufen und ihnen das Blaue vom Himmel versprechen oder sie bedrohen, damit man über diese sein Geld verliert. Angeboten werden am liebsten Penny Stocks, von denen man kaum etwas gehört hat, deren Kurs aber angeblich definitiv vor dem Aufstieg steht. Diese Art von Aktien sind allgemein auch als "Pink Sheets" oder "OTC Pink" bekannt und - sofern sie überhaupt vorhanden sind -, hoch spekulativ, denn sie werden nicht staatlich reguliert. Und das nutzen die Boiler Rooms aus.
Diese ziehen sie die Kunden bis weit über die Unterhose aus, nämlich so weit hinunter, bis die "Broker" dem „Kunden“ Tipps geben, wie diese sich Geld von der Bank leihen oder die Oma anpumpen können. Das Haus verkaufen und die Kinder verpfänden ist ebenfalls in Ordnung: Boiler Rooms werden „Boiler Rooms“ genannt, denn dort wird das Fleisch von den Knochen der Kunden abgekocht.
Diese Behauptung ist nicht übertrieben: Die außerhalb von Großbritannien (und Fachleuten) weitgehend unbekannte Finanzdienstwebsite thisismoney.co.uk
Tumblr media
zitiert dazu den Betrugsexperten der Britischen Finanzaufsichtsbehörde, Tony Hetherington:
„ein Geld. Wollen Sie mir sagen, dass Sie, wenn es Ihnen wirklich gefiele, was ich zu sagen habe, nicht 5.000 bis 10.000 Pfund finden könnten, um in diese Gelegenheit zu investieren?«“,1
antwortet darauf der Telefonverkäufer, und man ist baff.
Damals, im Jahr 2008, wurde der britischen Zeitung Financial Mail von Peter und Lynne Munnion das Trainingsskript eines spanischen Boiler Rooms zugespielt.
Tumblr media
Das Ehepaar hatte bei dem Boiler Room in Barcelona das Jobtraining absolviert, weil die beiden - so wie viele Briten -, von einem Leben unter der Sonne träumten und deshalb ihre Jobs als Putzfrau und Taxifahrer zuhause in Gosport aufgaben, um in Spanien ihr Glück zu versuchen. Doch während der Schulung wurde den beiden bewusst, dass es in dieser Firma nur ums Kunden beklauen geht, und deshalb nahmen sie ihr Trainingsskript mit und flogen damit zurück nach England. Tony Hetherington prüfte für die FCA das Skript und dabei war ihm der oben genannte Kommentar entschlüpft.2
Um auf die schlechteste Website der Welt zu kommen, muss ich den Leser noch einen Schritt tiefer in die Boiler Room-Unterwelt führen: Ich befinde mich derzeit in einem Abschnitt, in dem der organisatorische Aufbau des Boiler Rooms beschrieben wird. D.h. was für Leute da am Telefon sind und wie sie die Kunden ködern und ausschlachten. Hierbei gibt es ein 5-Phasen-Modell, d.h. fünf verschiedene Personen (-gruppen) sind daran beteiligt, den Anrufer Stück für Stück abzuziehen.
Angenommen, Sie sehen im Internet eine Investmentanzeige und geben dort zum Erhalt von Informationen Ihren Namen, Email und Telefonnummer ein. Dann ist nicht unwahrscheinlich, dass Ihre Daten früher oder später in die Hände der Boiler Rooms gelangen. Dasselbe geschieht, wenn Sie Telefonnummern bei Gewinnspielen oder bei sonst etwas hinterlassen haben, was darauf hindeutet, dass sie an Glück glauben und Geld brauchen oder umgekehrt. Und dann passiert folgendes:
Der erste Anrufer ist der „Qualifizierer“. Dieser leitet mit ihnen das Erstgespräch und prüft, ob Sie als Kunde gewonnen werden können oder nicht. Hierbei geht er kulturspezifisch vor. Skandinavier, beispielsweise, sind in der Regel ältere Personen und suchen häufig nur jemanden zu reden, sodass man sie durch freundschaftliche Anteilnahme zur Investition bewegen kann. Briten und Ozeanier dagegen glauben, dass sie die Größten sind, sodass man deren Heimatland loben und ihr Ego hochpushen muss, um den Verkauf zu forcieren. Der von Jacob Keselman angeführte ukrainische Boiler Room Milton Group schreibt dazu in seinen Trainingsunterlagen:
"Die einzige Möglichkeit, mit solchen Menschen umzugehen, besteht darin, nicht mit ihnen zu streiten, egal in welche Richtung es geht. Stattdessen muss man ihnen das Gefühl geben, dass sie intelligent sind. [...] Sprechen Sie später mit ihnen darüber, wie wichtig der Finanzmarkt durch große Länder wie Australien, Großbritannien und Neuseeland geworden ist."3
Qualifizierer ist eigentlich der härteste Job, den dieser siebt die Kunden aus. Sind Sie beispielsweise eine junge Frau, werden Sie ausgefiltert, denn diese neigen dazu, betrogen zu werden persönlich zu nehmen und nichts unversucht zu lassen, damit die Täter erwischt werden. Und Möglichkeiten gibt es viele: Junge Frau = schöne Frau = kennt Männer die ihr imponieren wollen = möglicherweise Staatsanwalt oder Berufskiller. Betrogene Männer dagegen schweigen häufig aus Scham.
Sofern der "Qualifizierer" seinen Job richtig macht und Sie nicht ausgesiebt werden, erhalten Sie schon kurz darauf den zweiten Anruf, vom „Verifizierer“. Dieser soll bestätigen, dass sich der „Qualifizierer“ nicht geirrt hat und schließt mit Ihnen das erste Geschäft ab, sofern der Qualifizierer das nicht bereits direkt getan hat. Denn interessiert ist im Zweifel jeder...
youtube
Vor allem vor dem Alter machen die Täter keinen Halt. Der 87-jährige Weltkriegsveteran Ray Turner wurde um 75.000 Pfund betrogen:
„Ich wurde zuerst durch ihre E-Mails und dann durch ihre Telefongespräche reingezogen“, sagte er. „Sie bekamen fast alles. Sie waren skrupellos.“4
Der 75-jährige Schwede Östen Morian verlor nicht nur seine ganzen Ersparnisse, sondern verschuldete sich auf Anraten der Betrüger zusätzlich: "Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich warte nur noch aufs Sterben."5
youtube
Ein bayerischer Unternehmer, der zweihundert Mitarbeiter beschäftigt, verlor fast drei Millionen Euro, ein anderer Deutscher wurde vom Wiener Boiler Room Handelfx Anfang 2020 um eine Million Euro betrogen: 
"Sein Pech, dass er vier Jahre zuvor mal Glück gehabt und mit Bitcoins aus 50000 Euro 230000 gemacht hatte. 360 Prozent Gewinn! Warum sollte das nicht noch einmal klappen?"6
youtube
Boiler Room Betrug betrifft daher nicht nur Unerfahrene, sondern kann jeden treffen. Tatsächlich mehrere Male. Und, was wichtiger ist: Es handelt sich nicht um ein öffentliches, sondern um ein persönliches Problem, was bedeutet: Die Regierungen können nicht viel tun, um Sie vor Täter zu schützen, denn die grenzüberschreitende Strafverfolgung ist schwierig und teuer: Die Betrugsmannschaften des philippinischen Boiler Room-Königs Amador Apungan Pastrana operierten 2002 aus neun Ländern als unabhängige Active Service Units und haben dabei insgesamt 6 Milliarden US-Dollar eingenommen.7 Und im Jahr 2020 versucht der ukrainische Boiler Room der Milton Group dasselbe zu tun.8 Am 4. Januar 2017 veröffentlichte die New York Times einen Artikel mit der Überschrift: "Die Betrugskultur in Indien nimmt zu und zielt auf die USA". Darin berichtete ein leitender Kriminalkommissar des Betrugsdezernat in Thane (Indien) davon, dass bei einer Razzia in einem siebenstöckigen Call-Center alle 700 Personen, die im Gebäude arbeiteten, festgenommen und verhört wurden. Am nächsten Tag wurden 630 Angestellte freigelassen, und ihre 70 Vorgesetzten und Manager in Haft behalten.
Viele Boiler Room-Beschäftigte betreiben Betrug als normale Arbeit und erhalten ein normales Gehalt, aber höhere Bonuszahlungen als üblich. Pawan Poojary und Jayesh Dubey, zwei indische Boiler Room-Trainees, die der New York Times die Informationen zugespielt haben, berichteten über ihre Kollegen, die es sich leisten können, von ihren Betrugsprovisionen ein teures Fahrrad zu kaufen. Der Rest geht nach oben, zu den Bossen.
Tumblr media
Im indischen Ahmedabad wurden fünf Callcenter aufgespürt, die verschiedene Betrugsmethoden angewendet hatten. Sie hatten mehrere hundert Millionen Dollar Umsatz gemacht und mehr als 15.000 Mitarbeiter beschäftigt.9
Und wir sprechen nicht nur von einheimischen Tätern: Gegenwärtig sind Hunderttausende verzweifelter Rucksackreisende, Touristen und Expats aus Ost und West auf der ganzen Welt gestrandet, die in schwierigen Zeiten für ihren Lebensunterhalt sorgen müssen. Und diese Menschen sprechen perfekt Englisch, Niederländisch, Schwedisch usw. und können oder wollen aus COVID19-Gründen nicht nach Hause gehen: Verzweifelte Zeiten führen zu verzweifelten Maßnahmen - für Boiler Rooms der perfekte Rekrutierungspool.10Daher ist das Problem größer, als Sie wahrscheinlich gedacht haben: Da draußen existiert eine Industrie, die auf Sie wartet und nur ein einziges Interesse hat: Ihre Taschen auf schäbige Art komplett zu entleeren.
'Wären Sie ein gewöhnlicher Bürger, der eine Betrugsanzeige auf der örtlichen Polizeistation macht, würden Sie wahrscheinlich feststellen, dass Sie nicht viel Resonanz erhalten würden - Sie müssten schon Glück haben, wenn es eine Ermittlung gibt'.11
In der Zwischenzeit hat sich an der Gültigkeit der Aussage wenig geändert, aber die Zahl der betrügerischen Boiler Room-Fälle ist explodiert: Die Wahrscheinlichkeit eines betrügerischen Investitionsanrufs ist stark angestiegen,12
Tumblr media
und jetzt ist dank Coronavirus - genau wie in früheren Boiler Room-Betrugshochphasen (1987, 2008) -, eine handfeste Wirtschaftskrise hinzugekommen, die eine allgemeine Verunsicherung hervorruft und viele dazu veranlasst, nach neuen Investitionen zu suchen, wobei man von Neuem erfahrungsgemäß wenig Ahnung hat - das heißt, die Boiler Rooms können den Champagner kalt stellen und auf die Zukunft anstoßen.
Am 20.06.2020 veröffentlichte Deutschlands bessere Boulevardzeitung "Focus" eine Spezialausgabe ihrer Serie "René will Rendite", die ein Videointerview mit Hans A. Bernecker enthielt. Dieser gibt seit sechzig Jahren einen "Börsenbrief" heraus, der sich bei einfachen deutschen Anlegern großer Beliebtheit erfreut.
"Kompetenz und Erfahrung liegen kurzfristig schief, aber langfristig richtig", lautet Berneckers Wahlspruch, und das ist richtig: zum Schluss hatte er immer Recht gehabt. Problem an Berneckers Prognosen war immer nur, dass sie entweder zu früh oder zu spät, selten aber zum richtigen Zeitpunkt kamen. Er trug lange Zeit "Kontraindikator" als Spitznamen, was bedeutet, dass man zur Anlagesicherheit besser das Gegenteil des von ihm Vorgeschlagenen macht. Seine "New Economy"-Kritiker hatten Anfang 2000 das Image ausgeschlachtet, aber damals lag Bernecker mit seiner Einschätzung richtig, und das hat ihn in den Augen der deutschen Masse zum "Grandseigneur der Anlageberatung" gemacht. Denn sein Stern stieg in dem Umfang auf, wie der "Dotcom-Blase" die Luft ausging. So gesehen hatte der Spekulant mit seiner "Dotcom-Spekulation" Glück gehabt.13
"Grandseigneur" klingt konservativ.
Tumblr media
Tatsächlich ist Bernecker aber das Gegenteil, denn er glaubt an die Aktie wie der Verdurstende an einen Schluck Wasser und zieht sie anderen Finanzprodukten vor: "Zertifikate sind genial für die Banken, aber teuer für den Kunden", lautet sein Mantra dazu.14
Im Videointerview sagte Bernecker, dass am 23.03.2020 an den Aktienmärkten weltweit ein Spekulationsboom begonnen habe, bei dem augenblicklich unprofessionelle Kleinanleger reich werden, während die Profis sich zurückhalten. Das "Focus"-Interview trug dementsprechend auch die Überschrift "Börsen-Experte Bernecker: "Gerade werden die Dummies an den Börsen reich."
Tumblr media
Bernecker sagt in seinem Interview weiter, dass man jetzt investieren und dem Trend folgen müsste. Die sich zurückhaltenden Profis lägen falsch, weil diese erstens der alten Regel "steigt der Kleinanleger ein, dann verkaufe", zweitens den Konjunktur- und Crash-Propheten der Chefvolkswirte folgen würden, die wirklichkeitsfremde Schreibtischtäter sind. "Die Börse lebt von Zuversicht und nicht von Angst", sagt er weiter, und erwähnt zuvor noch den Rückenwind, den die Börsen augenblicklich durch die Geldflut der Notenbankpressen erhielten. "Ich halte ihn für etwas zu stark und viel zu viel." Trotzdem rät er zum Kauf in der Sturmzeit, während sich professionelle Anleger weiter zurückhalten. In Fischersprache gesprochen würde das bedeuten, dass hochmoderne Fischerboote aufgrund des stürmischen Wetters im Hafen blieben, während Bernecker Hobbyangler mit ihren Ruderbooten zum Fischen in der tobenden See motiviert. Für boiler room-Crews klingt so etwas wie Musik in den Ohren.
Aber zurück zum 5-Phasen-Modell. Bislang habe ich nur 2 vorgestellt, den "Qualifier" und den "Verifier".
Der „Abkühler“ ist Ihr dritter Gesprächspartner. Dieser ist ein erfahrener Händler und sorgt dafür, dass Sie sich beruhigen, sobald bei Ihrer Investition etwas schiefzugehen beginnt, beispielsweise dass Kurse fallen oder Sie Geld ausbezahlt haben wollen. Beides sind Chancen und führen häufig dazu, dass Sie jetzt noch mehr investieren.
Falls der „Abkühler“ Sie nicht in den Griff kriegt, ruft als viertes der „Lader“ bei Ihnen an und gibt Ihnen scheinbar stichhaltige Erklärungen dafür, warum der Kurs sinkt (beispielsweise eine schlechte Bananenernte, Militärputsch im Zuliefererland oder, augenblicklich der Hit: Coronavirus). Durch ihn erhalten Sie die Gewissheit über den unvermeidlichen Wertanstieg. Und weil im Augenblick die Preise alle niedrig sind, müssen und werden Sie jetzt deshalb unbedingt nochmals ordentlich nachordern.
Der fünfte und letzte Anrufer ist der „Slopper“. Dieser kommt irgendwann in der Zukunft ins Spiel und soll die letzten Teigreste vom Schüsselrand kratzen, nachdem Sie bereits vollkommen abgezockt wurden, sich aber in der Zwischenzeit etwas erholen konnten. Der Slopper wird Ihr Retter sein, der Ihnen das gestohlene Geld wiederbringt,sei es durch einen vermeintlichen Käufer ihrer wertlosen Anteile oder neue Investitionen oder indem er bei der Finanzaufsichtsbehörde arbeitet, wobei er in allen Fällen von Ihnen vorab wieder Geld kassiert und danach abtaucht. Die Geschichten sind unterschiedlich und richten sich jeweils danach, was bei Ihnen am besten wirkt. Wichtig ist nur, dass Sie nochmals Geld ausgeben. Denn, wie gesagt: Nur Pflanzen und Tiere haben kein Geld.
Tumblr media
Fußnoten
1 Eigene Übersetzung. Der Originaltext lautet: „Pleading poverty will be no help: 'Only plants and animals don't have money. Are you telling me that if you really loved what I have to say you couldn't find £5,000 to £10,000 to invest in this opportunity?“ (Fluendy 2008).
2 Vgl. Fluendy 2008
3 Eigene Übersetzung. Der Originaltext lautet: "The only way to Handle [sic!] such people is not to argue with them on whatever direction they take and make them feel that they are intelligent, [...]. Later talk to them about how important the financial market has become because of great countries like Australia, UK and New Zealand" (OCCRP 2020).
4 Eigene Übersetzung. Der Originaltext lautet: „I was sucked in first by their emails and then by their phone calls“, he said. „They got almost everything. They were ruthless“ (BBC News 2011).
5 Eigene Übersetzung. Der Originaltext lautet: "'I don't know what I can do,' he said. 'Wait to die only'" (OCCRP 2020).
6 Dahlkamp et al. 2020
7 Vgl. Crescini 2020
8 Vgl. OCCRP 2020
9 Vgl. Barry 2017
10 Vgl. Barnes 2017
11 Eigene Übersetzung. Der Originaltext lautet: 'If you were an ordinary member of public taking your complaint about a fraud along to your local police station, you would probably find that you would not get much response - you would have to be quite lucky to get it investigated' (vgl. Fluendy 2008).
12 Sofern man davon ausgeht, dass jeder Outbound Call Center-Mitarbeiter durchschnittlich sechzig Anrufe pro Arbeitstag macht, ist jeder elfte Call Center-Anruf betrügerisch (vgl. Pindrop 2020).
13 Vgl. Kirchner 2008: 1
14 Vgl. Kirchner 2008: 1f.
Literaturverzeichnis
Barnes, Paul (2017): ‘Stock market scams, shell companies, penny shares, boiler rooms and cold calling: U.K. Experience’, In: International Journal of Law, Crime and Justice, Vol. 48 (2017). Online verfügbar unter http://www.paulbarnes.org.uk/documents/IJLCJ_230%20(1).pdf, zuletzt geprüft am 17.06.2020.
Barry, Ellen (2017): India's Call-Center Talents Put to a Criminal Use: Swindling Americans. In: New York Times, 03.01.2017. Online verfügbar unter https://www.nytimes.com/2017/01/03/world/asia/india-call-centers-fraud-americans.html, zuletzt geprüft am 18.06.2020.
BBC News (2011): George Abrue's boiler room team convicted. In: BBC News, 22.06.2011. Online verfügbar unter https://www.bbc.com/news/uk-england-london-13880599, zuletzt geprüft am 19.06.2020.
Crescini, Dino (2008): Young Filipino is King of Boiler Room scam. News In: Philippine Tribune, 01.09.2008. Online verfügbar unter https://www.philippinesentinel.org/?p=105, zuletzt geprüft am 19.06.2020.
Dahlkamp, Jürgen; Latsch, Gunther; Schmitt, Jörg (2020): Traum-Renditen. Kriminalität. In: Der Spiegel, Nr. 21 (16.05.2020). S. 72-74.
Fluendy, Simon (2008): Script secrets of the boiler room. In: Thisismoney.co.uk, 14.09.2008. Online verfügbar unter https://www.thisismoney.co.uk/money/news/article-1641748/Script-secrets-of-the-boiler-room.html, zuletzt geprüft am 18.06.2020.
Kirchner, Christian (2008): Der Grandseigneur der Anlageberatung. Hans Bernecker. In: Handelsblatt, 06.08.2008. Online verfügbar unter https://www.handelsblatt.com/unternehmen/management/hans-bernecker-der-grandseigneur-der-anlageberatung/2999534.html, zuletzt geprüft am 21.06.2020.
OCCRP (2020): Trail of Broken Lives Leads to Kyiv Call Center. Organized Crime and Corruption Report Project, 02.03.2020. Online verfügbar unter https://www.occrp.org/en/fraud-factory/trail-of-broken-lives-leads-to-kyiv-call-center, zuletzt geprüft am 18.06.2020.
Pindrop (2020): 2020 Voice Intelligence and Security Report: Fraudsters increasingly target the Financial Industry. Pindrop Security. Online verfügbar unter https://www.pindrop.com/lp/white-papers/voice-intelligence-report-2020/, zuletzt geprüft am 19.06.2020.
Tumblr media
0 notes