Tumgik
#rajko eichkamp
unstimmigeharmonie · 6 years
Text
Wie kann die momentane Krise politisch von einer Linken genutzt werden?
Die ganz einfache, und wie alle einfachen Antworten, utopisch klingende Antwort: Zu nutzen wäre die Krise von einer sozialistischen, säkularen und pro-westlichen Partei.
Das wäre das, was ich mir in meinem Leben noch zu sehen erhoffe. In gewisser Weise eine innere Einkehr. Eine Erinnerung dessen, was im 19. Jahrhundert progressive Kräfte in der Gesellschaft ausgemacht hat. Ich hoffe, dass wir dies für das 21. Jahrhundert reformulieren können. Das sollte gar nicht schwer sein. Dass sich das Paktieren mit dem Islamismus völlig ausschließt, liegt auf der Hand, wenn man auch nur ein bisschen human eingestellt ist. Dass die Ausschließung weiter Teile der Gesellschaft von den Möglichkeiten, die sie objektiv bietet, ein intolerabler Fakt ist, sollte ebenso auf der Hand liegen. Und dass das Zerschlagen von Zivilität und bürgerlicher Gesellschaft nur dann statthaft ist, wenn man eine bessere Alternative dazu zu bieten hat, eigentlich auch. Weil die bürgerliche Gesellschaft – auch nach Marx – die Basis für den Verein freier Menschen ist. Hierzu zählen: der Gewaltverzicht in der Öffentlichkeit und die Gleichstellung aller. Also eine gewisse Kombination von Freiheit und Sicherheit. Letztendlich wäre die klassenlose Gesellschaft die verantwortungsvolle Freiheit in absoluter Sicherheit. Das ist eine sehr konservativ anmaßende Sicht der Dinge, die sich aber für mich erschließt.
Sie sprachen von der Reformulierung der Perspektive des 19. Jahrhunderts. Was wäre aus Ihrer Sicht nötig, diese Perspektive wiederzugewinnen?
Ich hoffe auf ein kollektives Aha-Erlebnis der Linken. Die Loyalität darf nicht mehr auf diesen postmodernen Kapitalismus und seinen subsidiären Sozialstaat ausgerichtet werden. Sie muss sich wieder an denen orientieren, die dabei den Kürzeren ziehen, und das ist die Mehrheit der Gesellschaft. Man muss wieder dazu übergehen, die tatsächlichen Bedürfnisse – die einen anschreien – zu sehen, ernst zu nehmen und versuchen, an diesen Bedürfnissen orientierte politische Initiativen zu entwickeln. [...]
Wie müsste diese Partei beschaffen sein, um diese Allgemeinheit der Bedürfnisse adressieren und dann auch als kollektiv-gesellschaftliche Kraft wirksam werden zu können?
Sie müsste zum einen die Bindung zum postmodernen Milieu aufgeben. Zum anderen müsste eine solche Partei versuchen, in einem internen Prozess den ganzen Ballast einer missglückten linken Geschichte der letzten 100 Jahre abzuwerfen. Das heißt ganz konkret, dass Verschwörungsdenken, Russophilie, Islamgesundbeterei, Wissenschaftsfeindlichkeit, Vernunftfeindlichkeit und antiwestliches Denken aufgegeben werden müssen, zugunsten einer klaren Perspektive eines besseren Lebens für ganz viele. Das ist nicht sehr utopisch und hat auch keinen weltrevolutionären Glamour. Von der Überzeugung, dass irgendwie zumindest die trikontinentalen Massen hinter einem stünden, muss man sich lösen. Das ist eine harte Arbeit, die ich vorschlage, aber eine, die völlig unverzichtbar ist – gerade, wenn man diese ganzen irrsinnigen Wege vermeiden will, die die Linke beschritten hat, weil sie so unzufrieden war mit dem westlichen Proletariat, dem mehr Lohn und billige Wohnungen lieber waren als die bolschewistische Revolution – was man ihm im Nachhinein in keiner Weise verdenken kann. Man muss zu einem ganz neuen Realismus und zu einer bedürfnis- und vernunftorientierten Politik gelangen. Eine, die nicht die letzte Schlacht ausruft, sondern die nächste.
Was müsste an diesem 100-jährigem Ballast aus Scheitern und Tradition durchgearbeitet werden? Welche geschichtlichen Trümmer müssen abgetragen werden, bevor man diese Perspektive wiedererlangen könnte?
Das kann ich Ihnen in einer einfachen Formel beantworten: Der Gedanke, dass eine Revolutionierung ohne Zivilisierung möglich ist, muss aus den Köpfen raus. Zivilisierung ist die Voraussetzung für jede Revolution, die ihren Namen verdient. Das würde das Auskehren sämtlicher Vorstellungen bedeuten, wie rückständige, archaische und primitive Verhältnisse besonders zur Revolution beitrügen – Marx hatte ja selber schon mit diesem Unfug begonnen, mit dem russischen Dorf beispielsweise. Man sollte zwar kapitalismusfeindlich sein, aber deswegen nicht auf kapitalfremde Lebens- und Ideologieformen rekurrieren. Das würde vor allen Dingen die Rücknahme der Losung bedeuten: „Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker der Welt vereinigt euch!“ Der letzte Passus ist ersatzlos zu streichen, denn die Völker dürfen auf keinen Fall Subjekte sein und die Tatsache, dass sie möglicherweise unterdrückt werden, qualifiziert sie noch nicht zu Vorboten des Sozialismus – ganz im Gegenteil. Was tatsächlich eine Losung wäre: möglichst zivile Verhältnisse für alle auf dieser Welt. Das ist die Voraussetzung für jede Revolution. Wenn man diese Formel zugrunde legt, ist klar, dass der Antiimperialismus in Bausch und Bogen auf den Misthaufen der Geschichte gehört. Man muss auch von der Vorstellung abrücken, dass voraufklärerische Denkformen für uns in irgendeiner Form vertretbar und deren Vertreter für uns Ansprechpartner sind. Kulturrelativismus, Antiimperialismus und das Eindringen irrationaler Ideologie in die Linke, im Zuge des Strukturalismus und Poststrukturalismus – das muss weg.
- Interview von Platypus mit Rajko Eichkamp (Redaktion Bahamas)
15 notes · View notes