Seit wann bist du schwanger?
Gestern ist es passiert.
Ich dachte, dieser Tag wird nie kommen, aber er kam doch. Ganz unerwartet:
Eine Frau ist für mich aufgestanden. In der Straßenbahn.
Ich war ganz überrumpelt und überfordert, sagte „Nein, Nein, alles gut“, aber am Ende saß ich doch auf dem Platz. Ich hatte das Gefühl, alle starrten mich an und ich wollte einfach nur aussteigen. Ich hatte meinen Wintermantel an, durch den man meinen Bauch eigentlich gar nicht sieht. Dachte ich zumindest. Aber ein Platz zum sitzen tat mir doch sehr gut. Stehen ist momentan echt die Hölle.
Aber so ist das jetzt. Eine Schwangerschaft beginnt ab dem Tag, an dem der Bauch den restlichen Körper eingenommen hat. Wo es keine Möglichkeit gibt, ihn mit weiter Kleidung zu bedecken oder als Blähbauch zu tarnen.
„Seit wann bist du Schwanger?“, fragte mich mein Nachhilfeschüler ganz verwirrt und musterte mich von oben bis unten. „Seit 7 Monaten“, antwortete ich etwas beschämt.
Ich habe das Gefühl, ich bin eines Morgens aufgewacht und hatte einen riesigen Bauch. Auf einmal konnte ich die Tritte meines Babys nicht nur fühlen, sondern, als Beulen auf meinem Bauch, sehen. Wer denkt, dass nur Hosen zu eng werden, hat noch nie versucht ein hübsches Top über einen Babybauch zu quetschen.
Auf dem Bauch schlafen kann ich schon lange nicht mehr, aber was ist das eigentlich für ein beschissenes Gefühl, in der Nacht aufzuwachen, um sich von einer auf die andere Seite zu wuchten?! Und das wird ja in der nächsten Zeit nicht besser.
Ich stehe nur noch mit einem Stöhnen auf und muss mich zum Schuhe anziehen hinsetzen.
Kurz gesagt: Ich bin jetzt so eine richtige Schwangere.
So kann ich mir also nicht mehr aussuchen, wem ich von meinem Glück erzähle, sondern trage es direkt vor mir.
Ich durfte etliche Gespräche mit besorgten Menschen führen, die eigentlich alle immer wie folgt ablaufen:
„Wie alt bist du denn?“
„19“
„Puh… aber das war nicht geplant, oder?“
„nein“
„Aber du bist mit dem Vater noch zusammen?!“
„Ja. Wir wohnen auch gemeinsam“ (Extrapunkt, zur Beruhigung)
„Gott sei Dank. Aber deine Eltern? " Unterstützen die euch?“
„Ja. Die Eltern von meinem Freund wohnen hier auch in der Nähe.“
„Das ist gut! Man kriegt das ja sonst nicht hin.“
„Ja“
„Aber wie machst du das dann mit deiner Ausbildung? Du musst ja schon was studieren. Man darf sich als Frau nicht abhängig machen“
„Ich will dieses Jahr anfangen, wenn es klappt“
„Oh je. Aber was ist dann mit dem Kind? Das braucht ja seine Mutter“
„Mein Freund ist ja auch noch da und kann sich dann etwas Zeit nehmen. Zusammen kriegen wir das schon hin“
leicht kritischer Blick -
Meistens kriege ich das Gespräch dann beendet. Und mein Gegenüber ist beruhigt, weil er das Gefühl bekommen hat, ich bin kein Sozialfall (Zum Glück bin ich nicht eine dieser Teenie-Mütter, die bei RTL mitspielen könnten).
Ich finde diese Art von Gespräch total bescheuert, weil es einem auch schlecht in einer Schwangerschaft gehen könnte, wenn man ganz viel Geld und jede Sicherung der Welt hat. Aber naja, die meinen es ja alle nur gut.
Eine weitere spannende Beobachtung ist, wie Männer sich in meiner Gegenwart verhalten. Dabei geht es vor allem um jene, mit denen ich vorher nicht viel zu tun hatte. Viele haben auf einmal Respekt. Ich werde nicht mehr dumm angemacht oder vollgelabert. Sie sind höflich, halten sich zurück und tun alles, damit es mir gut geht.
Mir werden Türen aufgehalten, Getränke gebracht und Taschen getragen.
Plötzlich scheint es, ich habe alles Recht der Welt, abweisend zu sein oder mich einem ungewollten Gespräch zu entziehen.
Also Mädels, wenn ihr nervig angemacht werdet, sagt einfach, ihr seid schwanger. Das hilft sogar noch mehr, als der alte „Ich habe einen Freund.“- Trick.
Nun ja. Jetzt habt ihr ein kleines Update von eurer schwangeren Freundin.
Abgesehen von den super nervigen standart Fragen („Hast du schon Angst vor der Geburt“, „Hast du irgendwelche cravings“, „Habt ihr schon einen Namen“, …), macht es mir eigentlich wirklich Spaß über meine Schwangerschaft zu sprechen oder Fragen zu beantworten. Also ihr müsst nicht so tun, als würde mein Bauch nicht in euren eindrücken, wenn wir uns umarmen. Solange ihr ihn nicht ungefragt betätschelt, freue ich mich auch über freudige Bemerkungen.
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Grundentwurf für eine kontra-Aristotelische Ethik.
Wenn nun an jene inzwischen fast 6 Jahre zurückliegende Veröffentlichung erinnert und angeknüpft werden soll, welche unter dem Namen der “Phänomenologie der aristotelischen Ethik” unter dem Pseudonym “Hermeneutic Earthquake” hier auf Tumblr erschienen ist, so fällt auf, dass diese im schlechten Sinne ortlose, zeitlose, traditionslose und geschichtslose Schrift, die eine Re-Aktualisierung der aristotelischen Ethik als einer der Ethik der Selbstverwirklichung versuchte, sich als ein Werk erwiesen hat, welches völlig blind, unabsichtlich daher eher künstlerisch-unphilosophisch den Zeitgeist der frühen 2010er Jahre und die Millenial-Mentalität ins Schwarze getroffen hatte, vor dem eigentlichen Einbruch des neuen Rechtsradikalismus. Sie hatte in einer darstellenden und zugleich kritischen Weise veranschaulicht, was die gemeinübliche Denkweise, den Common Sense unserer Zeit tatsächlich ausmacht und wie er philosophisch und begrifflich zu durchdringen sei: der Common Sense, der darin Bestand, das individuelle narzisstische Streben nach einem sinnvollen, erfüllten, einem Begriff angemessenen Leben in den Mittelpunkt zu rücken. Diese auf das Individuum und seine Erfüllung fixierte Ethik wurde in Anschluss an Aristoteles als eine analysiert, welche nur durch eine Kollektivierung oder Politisierung, oder auch der Entwicklung ihres politischen Korrelats aus ihrem schlechtem Schwebezustand ausbrechen konnte, eine Politisierung, die aber durch ihre auf das menschliche Glück und die Verwirklichung abzielenden Wurzeln nur auf eine unterdrückerische und organizistische Form von Politik hinauslaufen konnte, auf unterschiedlich vollkommene Abbilder des Philosophenstaates, der Herrschaft der Ideen über das Gemeinwesen. Es war schon damals klar, dass es eine Art inverses Negativum dieser Ethik geben müsste, nur fehlten mir damals die bildungsmäßigen und zeitlichen Ressourcen, um die Ausführung dieses Projekts auch wirklich zu stemmen. Dieses Negativum, die “Kontra-Aristotelik” war der eigentliche neue Raum des Denkens, den Hegel und Günther gegen das überwältigende Insgesamt der an Selbstverwirklichung interessierten Tradition eröffnet hatten, dasjenige dunkle Feld, was ich eigentlich zu begreifen versuchte. Es war innerhalb des angestrebten Vorhabens der Moment, wo die deskriptive, rezeptive Zeitdiagnose über das im Keim unterdrückerische Streben nach Selbstverwirklichung, die ich in meiner bisher erschienen Ethik darstellte, in eine Zeitkritik und Kritik der Selbstverwirklichung umschlagen sollte. Ich hatte damals also nur eine verurteilende und unzufriedene Zeitdiagnose, keine echte Zeitkritik liefern können.
Nun sehe ich viel klarer, und vielleicht klar genug, um dieses Projekt auch tatsächlich bald zu wuchten. Wahrscheinlich werde ich gegen Ende des Jahres, vielleicht auch gegen erst gegen Januar, die Bildungsgüter in Gestalt von Exzerpten versammelt haben, um diese schwere Aufgabe wirklich anzugehen. Viele bisher entwickelten Momente der alten, zeitdiagnostischen Ethik sind aus meiner jetzigen Perspektive zu überarbeiten, anzupassen, in ihrer Stoßrichtung neu zu justieren, und es gilt endlich den zweiten, kritischen Teil zu schreiben. Bis hierhin möchte ich aber nicht darauf verzichten, doch zumindest einige Eindrücke aus den bisherigen Lektüren hinzuzufügen. Als wesentliche weitere neue philosophische Lektüre-Sphären, welche ich erschlossen habe, rechne ich: 1. Levinas, Derrida, überhaupt die intensive Lektüre von Husserl und Heidegger. In Levinas Denken sehe ich vor allem ein Gebiet, auf welchem ich eine nähere Ausführung kontraaristotelischen Denkens aufbauen möchte, bei Derrida viele wichtige Impulse und Hinweise, wie ich dieses Denken konkreter fassen könnte, und wo wiederum dessen Blindheiten und Grenzen zu verorten seien 2. Zudem der Marxismus und die kritische Theorie, auch hier sehe ich in jedem Fall entscheidende Impulse, um die politische Seite der Zeitkritik zu entwickeln, 3. Eine intensive Freud-Lektüre, durch die ich meine Kenntnisse um das Problem der Intersubjektivität vertiefen konnte.
Was ist nun zu tun? Es ist hier rudimentär vorzuzeichnen, wo die Reise hingehen könnte. “Kontraaristotelik” dreht sich um das Verhältnis zum Anderen, ein Moment, welches in der Ethik der Selbstverwirklichung und der Politik im Ausgang der Ideen nicht eingeholt werden konnte. Der Andere tritt in unterschiedlichen Manifestationen auf, zunächst natürlich als sinnliches und empfindendes Wesen, dann als freies und entscheidendes Wesen, schließlich als denkendes Wesen. 1. Die empfindsame Leiblichkeit des Anderen will man befreien oder unterdrücken, auch 2. seine Überzeugungen und die Kraft, sich solche zu bilden, dann gibt es 3. zuletzt das Feld der am Anderen orientierten Politik, wo die dinghaften Begriffe kritisiert und zerstört werden, die im Ich ihren Ursprung haben und im aristotelischen System der Politik nur in Staaten und andere zentralisierte und unveränderliche Gebilde münden können. Alle drei Sphären sind die Invertierung der bekannten aristotelischen Grundformen des mit dem Selbst beschäftigten Aktionsformen, die sich um den 1. sinnlich genießbaren Körper, 2. das Sprechen und Handeln und dann den 3. Intellekt und die Selbstverwirklichung und Politik drehen. Diese drei Sphären, die ursprünglich auf die platonische Scheidung in Einzelding und Idee zurückgehen, gibt es also bei beiden Gebieten. Es ist davon auszugehen, dass die entsprechenden Lebensformen und Lebenswiesen der alten Ethik in der neuen Ethik eine gewisse Wiederkehr finden.
1. Die Leiblichkeit des Anderen
Wie ist die Andersheit des Anderen zunächst zu denken? Die radikale Andersheit ist erst keine des objektivierbaren Anderen, der in seinen Bedürfnissen und Interessen durchschaubar ist, über den man Wohlwollen und Behütung üben kann, dann wäre man wider im Feld des aristotelisch-platonischen Politischen. Wenn sich der Andere nun doch auch als Leiblichkeit zeigt, so ist diese Leiblichkeit keine der gestalteten und begreiflichen Leiblichkeit, sondern einer, welche das Erkennbare überschreitet. Man kann sie nicht haben und nicht festhalten. Es ist eine sinnliche, körperlose Leiblichkeit, die zugleich immer frei ist und immer frei bleiben muss. Zugleich ist aber doch die Welt der Körper präsent: Also die des Sklaven und des Herren, der Polizei und der Zivilbevölkerung, der Gewalt und der Unterdrückung, der Arbeiter und Kapitalisten, des Genusses und der Knechtschaft, aber über die will man hinausstreben. Für Freud ist klar, dass alle Beziehung zum Anderen aber zunächst als eine destruktive, sadistische beginnt. Der Sadist will den Anderen in seiner Freiheit zerstören; er will ihn nicht nur zum Sklaven machen, ihn benützen oder genießen, sondern hinter diese Oberfläche greifen und das Innere des Anderen vernichten.
Was schließt aber diese Zerstörung der Freiheit ein? Es ist das Unglücklichmachen, ein Absterbenlassen und es ist ein Unfreimachen. Es ist das Überführen des Anderen, wenn er Glücklich sein will, zur äußersten Spannung des Leids, und es ist dann ein Zerstören dieser gespannten Subjektivität, dann wieder das Befriedigen des Anderen, bei gleichzeitiger Beraubung seiner Fähigkeiten. Das sadistische Leben entdeckt die Andersheit des Anderen, dieses Unbezügliche, Unverfügbare und will es zerstören. Dieses Andere ist aber stets ein leibliches Anderes, er will das kaputt machen, was der andere leiblich fühlt, erstrebt, indem er macht über seinen Körper gewinnt, und doch eigentlich die unkörperliche Leiblichkeit finden will. Das sadistische Fühlen hat einen relativ positiven Bezug zur Vorwelt der Körper, des Strebens nach Glück und Formvollendung, obwohl er zugleich in seinem Streben radikal darüber hinausgeht. Es fragt sich hier: Wo kommt dieses Streben her? Und wo führt es hin? Es ist vor allem gegen die Subjektivität des Anderen gerichtet. Es ist ein echter Hass; und ein echter Hass schlägt gern in einen erwiederten Hass um. Hier ist vielleicht an Sartres Bestimmung des Hasses anzuknüpfen, er bestünde darin, kein Objekt des Anderen sein zu wollen, also seine Freiheit zu hassen.
Für Freud ist bekanntlich das Perverse mit einer sie negierenden, verdrängenden Neurose verknüpft, und der Sadismus eine typische Form der Perversion. Dessen Neurose ist die des Zwangsneurotikers, der mit dem Helfersyndrom und dem Moralisten höchst verwandt ist. Hier wird der Andere zwanghaft verwirklicht, in seiner spezifischen Freiheit, sich leiblich zu erfüllen, will ihm Glück, Freiheit, Zufriedenheit, Selbstbestimmung geben. Er wird seine sadistischen Impulse in solche verwandeln, die die Leiblichkeit des Anderen begünstigen; daher ist der Zwangsneurotiker erstmals eusozial. Die Verwandtschaft von Zwangsneurose und Verliebtheit ist zu erwähnen, es wendet sich häufig alles gegen das Ich, um aber dafür dem Anderen alles zu geben, was zugleich desexualisiert wie auch liebevoll und fürsorglich ist. Es gibt ein latentes Erstreben des betroffenen Neurotikers, diese Freiheit die er dem anderen gibt, umgekehrt auch vom Anderen erwiedert zu bekommen. Es ist eine Art Liebe und Gegenliebe. Aber zumeist kann und wird der Andere auch nicht zurücklieben, sondern er wird die Liebe dem man ihn entgegenbringt, benützen - sei es zu seiner Selbsterhaltung, zu seinem Genuss oder irgendetwas anderes. Wenn auch das Helfen und die Moral über die Welt der Körper und der Herrschaft hinausweist, so tut es das nicht besonders effektiv, und allzu häufig wird der Liebende und der Moralist einfach ausgenützt.
Diese beiden Ur-Figuren des Bezugs zum Anderen sind wohl hier anzunehmen. Es fragt sich hier aber, wie die beiden anderen sind, welche damit zusammenhängen. Es wurde bei der Aristotelik eine Vierheit von Formen im Körperlichen entdeckt, Genussleben, Askese, Selbsterhaltung und Selbstzerstörung. Wie steht es nun hier? Es ist möglich, es ist davon auszugehen, dass hier auch 4 liegen, und dass sie an der Problematik des Dritten entspringen, oder vielleicht die besagten 2 Formen auch durch das Problem des Dritten modifiziert werden müssen, wie ja auch die Schwierigkeit bei der Aristotelik durch den Zweiten (Anderen) entsprungen ist. Wie kommt aber der Dritte hier ins Spiel?
Der Dritte ist bei einer dyadischen Beziehung nie ein Problem, das liegt in ihrem Begriff. Bei Sadismus und seiner Aufhebung wäre in einem dyadischen Verhältnis sofort deutlich, wie man weiter fortfahren muss. Nun ist aber meistens, fast immer ein Dritter da. Dieser Dritte muss als Problem beseitigt werden, damit das Verhältnis vollendet ist, es muss wieder auf ein Ich-Du-Verhältnis zurückgebracht werden, der Dritte muss also in das Ich oder in das Du eingefügt werden. Es gäbe folglich zwei Modi, einmal das Verhältnis zum Du, bei welchem der Dritte noch da ist und folglich alles konfus, elementar, ungerichtet ist, und dann das Verhältnis zum Du, wo das durch das Hervorbringen einer eindeutigen Dyade das Problem des Dritten behoben ist oder auf die Aufhebung geht. Die Konfusion ist das, worin alles beginnt.
Die einzig sinnvolle Form der Re-Arrangierung des konfusen Verhältnisses ist: Dass alle mit einander im Widerspruch stehenden Anderen zu Einem anderen werden, zu einem Alle, dem das Ich gegenübergestellt ist. Diese Grundidee müsste man dann aber bei beiden Formen des Bezugs zum Anderen durchspielen. Das ist nun beim zwangsneurotischen, helfenden Bezug zum Anderen deutlich einfacher, zumindest dem Anschein nach, zu konstruieren:
Alle werden befreit. Das, was ihren Widerspruch erwirkt und was dann zerstört werden kann, ist das Ich, und alle damit eng zusammenhängende unvermeidlich Kollateralschaden nehmende Strukturen und Personen, die zum Wohl des Ganzen zerstört werden müssen. Diese Momente sind eine kostbare Seltenheit, sie sind aber auch zwingend eine Situation, in dem viel Täuschug liegen kann, somit der mögliche Schaden groß ist. Es ist eine Nicht-Parteinahme, weil man für alle kämpft, das Allgemeine also, zugleich aber doch etwas bekämpft. Eigentlich dürfte aber jeder Kampf, bei dem gegen die Unfreiheit einer Bevölkerung bekämpft wird, also zu deren eigener Befreiung genau diesen Charakter haben. Diese abstrakte Bestimmung verweist auf die Beseitung der Form überhaupt, was aber natürlich in der besonderen Bestimmung der Sinnlichkeit nur bedeuten kann, dass man sich der Körperlichkeit entledigen will. Die Parteinahme für alle kann nur dann erfolgreich sein, wenn man die Anfangsbedingungen zerstört, welche die gegenseitige Liebe unterbinden, d.i. die Körperlichkeit, womit natürlich auch gerade das System von Genuss und Unterdrückung gemeint ist. Insofern ist klar, dass die Befreiung aller nur damit einhergehen kann, dass auch sehr viel zerstört werden muss, das nämlich, was ihre unterdrückerische Vereinheitlichung hervorbringt und verhindert, dass sich alle in eine sich liebende und achtende Pluralität von Anderen auflösen können. Das Ziel ist ein Machtvakuum, in der es keine Unterdrückung, sondern nur widersprüchliches Nebeneinander von Individuen gibt, die diesen Widerspruch nicht tilgen wollen. Diese Figur findet sich etwa in Benjamins Vorstellung des Aufstands der Unterdrückten durch reine Gewalt, sowie bei Adorno in der Figur des antifaschistischen Widerstandskämpfers, der beschließt, zum Wohle aller Hitler zu erschießen, ganz egal was das für das eigene Leben und das der eigenen Familie bedeuten mag.
Umgekehrt wäre dann der Hass in eine Dyade zu überführen. Alle werden hier unfrei gemacht, oder aber, die Anderen als Anderen werden aufgehoben. Diese Aufhebung ist auch gegen die Welt der Körper gerichtet, gegen das System der Herrschaft und der Unterdrückung. Diese schlechte Welt wird aber nun dadurch aufgelöst, dass man eine allgemeine Fusion der verschiedenen Subjekte anstrebt, alles sollen sich zu einer Einheit hin verschmelzen, in der Subjekt und Objekt aufgehoben sind. Das Streben nach Verschmelzung ist eine Art und Weise, den Widerspruch mit der Subjektivität anderer aufzulösen. Es kann gut sein, dass bei näherer Betrachtung dieses Bestreben näher an der Liebe zu liegen scheint, als am Hass. Man könnte sagen, dass Denker wie Klages, Bergson und viele andere Lebensphilosophen, welche die Einheit mit der Natur widerherstellen wollen, ein solches Interesse haben. Es ist eigentlich durchweg Regressiv.
Es ist zu beobachten, dass eigentlich beide dyadischen Formen des Bezugs zum Anderen, das Befreien und Verschmelzen, eine negativen Bezug zur Welt der Körper haben, in der die Herrschaft und die Unterdrückung stattfinden, überhaupt alle Staatlichkeit. Beide erscheinen somit als “links” im Sinne davon, dass sie die Herrschaft, also das System der Hierarchie von Oben und Unten, Körper und Geist, Herr und Sklave, Souverän und Untertan zerstören wollen. Sie tragen auch beide eindeutig die Züge beider Urfaktoren an sich. Die Verschmelzung ist eine Art von bestimmte Liebe und bestimmter Hass, es ist ein Hass auf die Trennung und Vereinzelung, und eine Liebe den qualitativen und formgebenden Merkmalen, die den Widerspruch hervorbringen. Umgekehrt ist aber auch die Befreiung ein Akt, der Hass enthält, nämlich gegen die strukturellen Merkmale der den Widerspruch hervorbringenden Momente, d.i. gegen die formgebenden Merkmale. Sadismus und Zwangsneurose können nicht aus der Welt der Körper und der Herrschaft ausbrechen, auch wenn sie beide darüber hinausstreben wollen. Wahrscheinlich ließe sich sagen, dass es Levinas und auch Rosenzweig nicht über das zwangsneurotische Moment schafft, das erfolgt dann erst bei poltischen und nicht mehr bloß moralisch-religiösen Fortdenkern dieser Gedanken, etwa Benjamin und Adorno. Damit wären die 4 Grundpositionen der leiblichen Welt umrisshaft beschrieben:
1.1 Sadistisches, orientierungsloses Streben, den Anderen unfrei zu machen, dass sich in Widersprüche verwickelt.
1.2 Zwangsneurotisches, orientierungsloses Streben, den anderen frei zu machen und zu helfen (Levinas, Rosenzweig).
1.3 Streben nach Fusion mit dem dyadischen Anderen, der Zerstörung der Materie, durch die die Körperwelt zerstört wird (Klages).
1.4. Streben nach Emanzipation des dyadischen Anderen, der Zerstörung der Form, durch die die Körperwelt zerstört wird (Benjamin, Adorno).
2. Die Entscheidungskraft und das Sprechen des Anderen
Hier spielt dann der Gedankenkreis des mittleren Levinas die entscheidende Rolle. Wahrscheinlich ist der “Übergang” in diese Sphäre dadurch zu leisten, dass eien Welt ohne körperliche Gewalt, wie sie durch eine erfolgreiche staatlich-ökonomische Emanzipation möglich wäre, noch die Meinungen als Sphäre der Herrschaft übrig bleiben. Der Andere erscheint hier vor allem im Zusammenhang mit seiner Stimme und seinen Bestrebungen, die sich nach Meinungen und Überzeugungen richten. Es ist notwendig, diese Art von Verhältnis zum Anderen von der plumpen Hörigkeit und Trotzigkeit streng zu unterscheiden, die in Rücksicht auf das Entscheidungsvermögen zu konstatieren ist; es geht hier nicht darum, dass das Selbst an Meinungen hängt, unfrei ist, sondern der Andere. Auch hier ist wohl anzunehmen, dass die Grundformen der Subjektivität, die im Zusammenhang mit der Leiblichkeit aufgetreten sind, zusammenkommen. Es ist also anzunehmen, dass wir hier folgende Figuren finden:
2.1 Streben, die Meinung des Anderen zu zerstören oder ihn gegen seine eigene Überzeugung verstoßen zu lassen
2.2 Streben, dass der andere seiner eigenen Überzeugung entsprechen könne
2.3 Streben danach, dass der Unterschied zwischen den Meinungen verschwinde, alle ein Denken haben.
2.4 Streben nach der Pluralität der Meinungen, bzw. des eigenständigen Urteilens eines jeden.
Hier ist wahrscheinlich anzunehmen, dass besonders 2.4 der Grundidee des geistigen Liberalismus entspricht. Entgegengesetzt ist diese Bestrebung vor allem der Idee einer autoritären Kirche, d.i. einer Unterordnung der Vielen Menschen unter einen Glauben und einer Meinung. Die Selbstständigkeit des Urteilens ist das Ziel. Hier wäre vielleicht die Reformation als eine vergleichbare Idee zu nennen.
Diese beiden Ebenen - die des Sprechens und die der Leiblichkeit des Anderen - sind wohlmöglich höchst verwoben. Eine echte Emanzipation muss natürlich beide Ebenen umfassen.
3. Geisteswissenschaft und Dialektik
Es ist nun anzunehmen, dass die ganze Sphäre der Untersuchung der Subjektivität des Anderen auch die Wurzel für das ist, was man eine Geisteswissenschaft nennen könnte. Geisteswissenschaft bedeutet: Es geht um die Hebung der Subjektivität. Mit Günther sagen wir: Die Subjektivität ist Reflexion, sie ist Abbild des Seins; aber wie wird diese Subjektivität nun greifbar, wenn doch alle Wissenschaft Seiendes beschreibt? Hierin liegt zwingend eine Paradoxie; es kann aber nicht angehen, ihr einfach auszuweichen, vielmehr gilt es ihr auf eine angemessene Weise zu begegnen.
Wichtig ist dabei eine klare Bezugnahme, Abgrenzung, Würdigung dessen, was man üblicherweise oder klassischerweise unter Geisteswissenschaft verstanden hat. Diese war ursprünglich höchst verwandt, nahe an der Lebensphilosophie, welche einen unmittelbaren Bezug zum eigenen unmittelbar erlebten, qualitativ gefüllten Leben annahm und auf diesen zurückverwies. Dieses ursprüngliche Sichverstehen im eigenen Leben ist nun höchst mysteriös, irgendwie nicht einholbar, weder experimentell überprüfbar, noch eigentlich symbolisierbar oder mitteilbar. Das eigene Leben, dieser Strom der Zeit, war aber irgendwie da, und irgendwie war es möglich, sich darauf indirekt zu beziehen, in einem Verweisen. Das Verweisen geht auf die eigene Subjektivität und in Analogie dazu auf andere Subjektivität, die als ähnlich fühlend angenommen wird, sie setzt zugleich einen Unterschied und Bezug zwischen dieser konkreten Lebenswelt des Ich, des Anderen und der formellen Möglichkeit der Lebenswelt überhaupt. Das Verweisen auf die Lebenswelt überhaupt ist das, was man formale Anzeige nennen könnte - alle frühere, hermeneutische Geisteswissenschaft bewegt sich wahrscheinlich in diesem Gewässer, das Heidegger entdeckte. Die so verstandene hermeneutische Geisteswissenschaft mag neue Phänomene umreißen können, die sonst nicht in der klassischen Wissenschaft aufgehen, ist aber immer auch romantisch, wehmütig, weil sie nämlich nur das verlorene Leben hinter der Verdinglichung zeigen und setzen kann, das verlassene und zerstörte Paradies; oder aber eine ganz formalisierte und entleerte Variante davon, welche sich schnell zum Apriori erheben dünkt, wie es etwa bei Heideggers Begriff des Daseins passiert.
Die Geisteswissenschaft, ihr zugehöriges Moment der Lebensphilosophie kann nur das zeigen, wohin die Fusion führen würde, oder aus welchem Urgefühl heraus das verdinglichende Leben der bewussten Herrschaft erwachsen ist. Sie ist somit mit dem Trieb zur Fusion eng verwandt; oder aber die hermeneutische Geistessiwssenschaft ist diejenige Weise der Anzeige, durch welche das Ziel der Fusion deutlich wird. Die so verstandene Geisteswissenschaft hat aber noch eine andere wichtige Aufgabe. Indem sie das Urgefühl aufweist, aus dem die dinghafte Welt hervorgeht, so zeigt sie den Ursprung der verdinglichenden Natur-Wissenschaften auf. Sie hat also noch eine besondere Beziehung zur Welt der anderen, metaphysischen Wissenschaft nach dem Vorbild des Identitätsprizips, also die komplizierte Welt der Biologie, Psychologie, Sozialwissenschaften, usw, die in unterschiedlicher Form objektivieren, bestimmen, unterteilen, quantiativ und kausal einzuschätzen. Die Geisteswissenschaft zeigt auf, dass sie alle nur aufgrund des fließenden und strömenden Lebensgefühls möglich sind, also auf einer qualitativen Urform, die aller Verdinglichung vorausgeht. Sie kritisiert diese Wissenschaften. Man könnte dem noch hinzufügen, dass die empirischen Naturwissenschaften auf dem gefüllten, vollen und qualitativen Leben beruhen, während die korrelative Mathematik auf dem entleeren und formalen Leben beruht, der Zeitlichkeit, welche Heidegger aufgewiesen hat. Alle diese Kritiken, diese Aufweisungen des Urgefühls sind aber auf die (intelligible) Vergangenheit bezogen, es sind alles Dinge, die verloren sind. Geisteswissenschaft kann in diesem Modus nur das Vergangene zeigen und es romantisieren. Wahrscheinlich würde Badiou behaupten, das Denken der Geisteswissenschaft wäre durch seine Überanwendung nicht verdinglichbarer, qualitativer und synästhetischer Momente ein Obskurantismus.
Bei Benjamin sehen wir in der Kritik und Auseinandersetzung mit der Lebensphilosophie in Gestalt von Bergson, Klages, eine klare Abgrenzung dieses Modells, ohne aber zugleich seine Erkenntniskraft zu leugnen. Für Benjamin ist wie auch für Proust dieses Lebensgefühl, dass die hermeutische Geistesswissenschaft beschreibt, irgendwie da und zugleich nicht mehr einholbar, verloren, Index der vergangenen Zeiten vor der Rationalisierung. Diese Versperrtheit des qualitativen Lebens nimmt Proust aber zum Anfang, sich auf die Suche dieser verlorenen Zeit zu machen - eine wie wir jetzt sehen durchweg regressive, auf Fusion ausgehende Unternehmung. Benjmain stell sich selbst, zusammen mit Baudeliere, auf die Seite derjenigen, welche diese Erfahrung für unwiederuflich verloren erachten, sie werden getrieben vom Spleen, dem Trübsinn als dem eigentlich modernen, verbitterten Gefühl. Die Qualitäten, die Aura, die festen Formen sind unweigerlich verloren! In dieses Gefühl der für immer verlorenen Zeit muss man sich vertiefen, um einen Ausweg aus der Romantik zu suchen.
Der regressiv gewendeten Geisteswissenschaft ist nun etwas anderes entgegenzusetzen, und das wäre eine progressive und materialistische Geisteswissenschaft. Eine solche Bestrebung würde versuchen, aus den gegebenen und gewesenen Formen auszusteigen, also auf das Naturwissenschaftlich-Dinghafte und Geisteswissenschaftlich-Qualitative aufweisbare. Das Mittel um eine solche Unternehmung zu vollziehen, ist die Dialektik. Die Dialektik weist auf, was die Widersprüche oder das Negative der gegebenen Formation des Dinglichen ist, ohne das Künftige daran zu spezifizieren oder in die Lobpreisung des Vergangenen zurückzufallen. Das Moment, an welchem sich diese Operation zeigen müsste, wären eigentlich alle Naturwissenschaften und die Lebenswissenschaften im Besonderen; an all diesen Formen müsste man eine dialektische Aufhebung vollziehen können, welche nicht regressiv ist. Die dialektische Geisteswissenschaft ist nach dem Vorbild von Günther zu entwerfen, als ein Denken, welches auf transzendente Subjekte gerichtet ist, die also in keinerlei Nähe zum eigenen Erleben stehen. Umso wichtiger scheint in diesem Zusammenhang zu sein, wie zusammen mit diesen als Fremd angesehen Subjekten die Wissenschaft konstituiert wird. Wahrscheinlich ließe sich die Psychoanalyse und der historische Materialismus als eine Wissenschaft ansehen, welche versucht, auf diese Subjekte einen Zugriff zu erlangen. Eine klare Abgrenzung zu den Qualitäten der Geisteswissenschaften ist hier eminent wichtig.
4. Die Politik in Bezug auf den Anderen. Progressive und Regressive Politik.
Die Politik, welche aus dem Verhältnis zum Anderen erwächst, müsste im Zusammenhang mit dem Beschriebenen erdacht werden. Es muss Politik geben, welche ich auf die Befreiung des Anderen richtet, dann auch auf jene, die ihn unfrei machen will und auf Regression aus ist.
Die Befreiung des Anderen zu erwirken, das ist die emanzipative Politik im strikten Sinn des Wortes. Sie richtet sich negativ gegen bestimmte Begriffe im Ich oder der bestehenden staatlichen Struktur, und positiv auf die unterworfenen Anderen, die dem unterworfen sind. Somit setzt diese Art der Politik die Kenntnis der falschen Begriffe voraus, kennt meist nicht eine bestimmte, freie Zukunft, wohl aber eine zu fliehenden Vergangenheit. Alle emanzipative Politik bedient sich ob wissentlich oder nicht der Dialektik. Sie überführt z.B. die Erfahrung des eigenen Lebens, auf welche die Biologie aufbaut und die wehmütig herbeigesehnt wird, und die dinghaften Kategorien des Biologischen, mit denen eine falsche Politik gelenkt wird, in eine dialektische Aufhebung. Und so auch mit den übrigen Kategorien. Es gibt bei der dialektischen Politik normalerweise kein bestimmtes positives Ziel, das man erreichen will, sondern nur Kritik des Gegenwärtigen und Vergangenen; ganz besonders wenn man sich Adorno und Benjamin anschaut - Marx, Badiou kennen “positive” Synthesen als Zielpunkte emanzipativer Politik und setzen sie als zwingend voraus. Es kann sein, dass die progressive oder emanzipative Politik auch eine Abgrenzung zur Regressiven braucht, um sich überhaupt orientieren zu können. Die progressive Politik ist darauf aus, ein Ereignis in politischer Hinsicht zu sollizitieren. Sie hat keine konkreten Inhalte, keine lebbaren Qualitäten, sondern greift auf etwas Uneinholbares vor.
Dem steht die Politik entgegen, welche ein verlorenes Lebensgefühl wieder herbeiführen will. Eine solche Politik bedient sich der Geisteswissenschaft und ihrer qualitativen und hermeneutischen Begriffe, um die dinghaften Begriffe und die damit ermöglichte organische Struktur des Staates zu zerstören. Die regressive Politik ist typisch für den manifesten Faschismus, der die Zeit zurückdrehen will, der sich obskurer und unwissenschaftlicher Gefühle bedient, ohne zugleich direkt religiös zu sein. Sie bringt ein Gegen-Ereignis hervor und will die dinghafte Welt und ihre wissenschaftlich klaren Begriffe, übrhaupt die Rationalisierung der Lebenswelt zerstören. Auch wenn es natürlich richtig ist, dass es unmöglich ist, die Zeit zurückzudrehen, lehrt die Geschichte leider das Gegenteil: Die Geschichte kennt tatsächlich Rückschläge, Verkehrungen der Aufklärung in Mythologie - und zwar nicht wenige. Das Frauenbild der 50er Jahre war ein Rückfall hinter das der 20er, der gegenwärtige Nationalismus, Autoritarismus und Protektionismus Bruch mit dem wenigen, was die neoliberale Phase noch gut gemacht hatte. Sie scheitern aber darin, keine echte Vergangenheit hervorzubringen, sondern eine künstliche, schlechtere, Verdrehtere, Sinnlosere.
Progression und Regression verweisen natürlich auf eine evolutionistische, vielleicht sogar lineare Geschichtsvorstellung. Man könnte behaupten, dass es in beiden Formen der Politik einen Bezug zur Geschichte im Sinne einer dialektischen, die Form des Politischen betreffende Veränderung gibt, eine politische Bestrebung, welche schon in den etwas primitiveren Varianten angelegt ist, welche die körperliche Welt zerstören wollen. Es ist deutlich, dass die Idee einer Entwicklung in der Geschichte, die Forderung der Befolgung ihrer Logik auch dafür sorgen kann, dass man in die hegelianischen und marxistischen Ideen hineingerät, dass die Künftigen ein Eroberungsrecht gegen die Früheren haben, dass z.B. gegen autoritäre Regime ein Recht zur Eroberung besteht, wenn man diesen dann den Liberalismus bringt, oder auch gegen die kapitalistischen Länder, wenn man dann den Sozialismus bringt - die Logik von Napoleon und Lenin. Diese Kosequenz muss aber nicht unbedingt problematisch sein. Sie zeigt aber auf, dass diese Formen der Politik potenziell durchaus ein echtes und reales Korrelat haben können. Das Machtvakuum zu erzeugen kann auch ein gradueller Prozess sein oder als ein solcher interpretiert werden.
5. Die zwei Politiken der Aristotelik und die 2 Politiken der Kontra-Aristotelik
Wenn man nun die beiden gehobenen Politik-Formen der Kontra-Aristotelik nimmt und sie mit den beiden Politik-Formen der Aristotelik vergleicht, so kommt man auf eine neue Vierheit der Politik, die man locker auch mit den Familienfiguren von Vater, Söhne, Mutter, Töchter verbinden könnte. Das Wesentliche ist hierbei aber nicht ein familiär-politischer Mystizismus, sondern die gegenwärtigen Orientierungspunkte des politischen Handelns zu bestimmen, die sich durch bestimmte Negationsformen aus dem Gegebenen ergeben.
1. Elitäre, organische Politik - bei Aristoteles, Platon. Sie sucht die Selbstverwirklichung und Vervollkommung des Ganzen durch naturwissenschaftliche Begriffe des guten menschlichen Lebens zu erwirken. Der Zielpunkt ist der Philosophen-Staat oder auch schlechtere Zerrbilder von ihm, die Verwirklung aller Tugenden und vor allem des Glücks der Betrachtung. Es ist die Politik des Urvaters, oder auch des schlechten, narzisstischen Vaters, der seine Kinder beneidet, unterdrückt oder nach seinen Vorstellungen formen will. Saturn als Paradebeispiel.
Heutzutage entspräche dem das breite Spektrum Politik von der linken Identitätspolitik, über verschiedene Varianten des autoritäreren Zentrismus, wie er in Frankreich oder Deutschland anzutreffen ist, bis hin zum autoritären Rechtspopulismus in den USA, Ungarn, Russland; auch China dürfte so einzurodnen sein. Es ist also auch das Spektrum von repräsentativer Demokratie bis zur autoritären Diktatur hier zu finden, vom Globalismus bis hin zum Multipolarismus oder Nationalismus. Ziel ist die Stasis oder Modifikation des politschen Körpers, der nur als Staat gedacht werden kann, durch das Erhalten und Verwandeln der Gesetze, Ideale und Prinzipien, die ihn bestimmen. Diese Form der Politik will die Selbstverwirklichung über das Individuum hinaus, im Staat als dem erweiterten Selbst des politisch denkenden und tätigen Menschen erreichen. Gemeinsame Abgrenzungsfolie ist der Liberalismus, sowie die nun genannten politischen Formen.
2. Egalitäre, demokratische Politik - bei Rousseau, Babeuf, Frühsozialisten, teilweise Badiou; anhand mathematischer Begriffe wird eine Selbstbestimmung der vielen Individuen in der Gemeinschaft erwirkt. Es ist die Politik der Söhne, der Brüderhorde, die den Urvater töten und alle Herrschaft kollektivisieren. Oder eben des guten Vaters, der die Kinder nicht unterdrückt, behütet, sondern ein Auskommen der Gleichheit und des innerfamiliären Konsenses finden will.
Die Diktatur des Proletariats bei Marx, Badiou und Ähnlichen ist eine bestimmte bloß instrumentelle Phase egalitär-demokratischer Politik, welch darauf hinführen soll, den Staat überhaupt abzuschaffen, d.i. ein Ziel in Richtung 4 zu erreichen.
Heutzutage ließen sich unterschiedliche Formen der Forderung eines globalen oder auch nur nationalen durchweg demokratischen Gemeinswesens im Angesicht der Klimakrise als Versuch ansehen, diese Form zu verwirklichen. Das Problem hierbei ist, dass in einer solchen sozialistischen Demokratie das Individuum als Wähler und Begünstigter vorausgesetzt werden muss, das aber intrinsisch Produkt der schlechten kapitalistischen Welt und ihres Personenbegriffs ist. Man transformiert also nur die bestehende Ideologie des Individuums von einer inegalitär-hypostasierten-organischen Form in eine egalitäre, ohne dass die Struktur als solche verändert worden wäre.
3. Regressive, verschmelzende Politik - bei Klages, Lebensphilosophie überhaupt, beim Faschismus. Das Ziel ist der Rückfall hinter die bestehende Form der Verdinglichung, hin zum fließenden Leben um eine größere soziale Dichte und Kohäsion, eine geringere Pluralität zu erwirken. Es ist die Politik der Ur-Mutter, oder auch der schlechten Mutter, welche ihre Kinder als Teil von sich ansieht und sie wieder in sich hineinziehen will. Sie will den Vater oder die Herrschaft der Söhne brechen, indem sie die Welt der getrennten Verhältisse und der Organisation auflöst. Gaia, welche gegen die Herrschaft der Titanen, dann der Olympier aufsteht.
Wahrscheinlich sind die schlimmsten unter den Rechtspopulisten, Verschwörungstheoretikern, dummen Hippies und Aussteigern Anhänger dieses Politik-Typus. Sie wollen den Staat, die technische Welt, die Moderne im Ganzen verendlichen oder gleich zerstören. Alexander Dugin wäre hier zu nennen.
4. Progressive, emanzipative Politik - bei Benjamin, Adorno, auch teilweise Marx und Badiou. Das Ziel ist die Zerstörung der bestehenden Form des Staates, der Entfesselung der in ihm unterdrückten Pluralität und die Hervorbringung eines Machtvakuums, in dem sich diese Pluralität widerspruchsvoll entfalten kann. Es ist die Politik der Töchter, welche ihren Vater oder auch die Brüder vernichten wollen und keine andere, alternative Herrschaft installieren, welche das Vakuum füllt, sondern die Leere als diese belassen.
Heutzutage entspräche dies dem Versuch, aus den gegebenen Formen des politischen Lebens auszubrechen und eine neue zu suchen, welche den Kapitalismus und auch seine immanent mit ihm gegebenen Begriffe des Menschlichen hinter sich lässt; also eine vollständige Negation alles Gegenwärtigen und Gegebenen.
2 und 4 bilden wahrscheinlich die “linkeren” Formen der Politik, wobei besonders 3 den gefährlichen, falschen Anschein linker Politik hat, weil sie auch gegen die Herrschaft und die Organisation gerichtet ist; umgekehrt 2 zwar Gleichheit bringt, aber zugleich die Unfreiheit bringt. Nur 4 kann echte Befreiung bringen. Marx und Badiou sind wahrscheinlich dadurch charakterisierbar, dass sie eine Kombination von 2 und 4 anstreben, d.i. entweder eine Zerstörung der bestehenden Verhältnisse, welche dann in einer fernen, unbgreiflichen Gleichheit mündet (wie in Marx’ Frühwerk von 1844), oder umgekehrt das Bestreben, eine Gleichheit herzustellen, welche dann der Ansatzpunkt ist, um auch diese Struktur langfristig zu zerstören (wie es etwa der Dualismus von Diktatur des Proletariats und Kommunismus darstellt).
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