deirfttog
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DER SCHREIBENDE SCHREIBER
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Liedermacher und Kurzgeschichtenschreiber.
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deirfttog · 3 years ago
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Der Hai im Freibad
Ich glaube es ist irgendwann Anfang der 2000er. Sommer. Die Sonne brennt. Grashälme ragen zwischen meinen Zehen, und um meinem Fuß herum, raus. Sie kitzeln die Unterseite meiner Füße, wenn ich mich bewege. Doch ich bewege mich nicht oft. Ich bin lieber auf meinem bunten Trockentuch. Irgendwas von Disney ist draufgedruckt. Das Freibad sieht aus wie ein Krater. So viele Hügel, so viele Menschen. So viele bunte Decken, Badeanzüge, Sommerlatschen.. Würde jeden Instagram Filter sprengen. Und dieser.. Lärm. Geschnatter! Ein Komet an Geräuschen. Zwischendrin kleine, längliche, absolut häßliche, Gebäude von denen Frittenduft strömt.
Was hält mich hier? Ich kann ja nichtmals schwimmen. Von hier kommste auch nur mit einem Bis weg. Einem Bus voll mit nassen, halbnackten Menschen, die fröhlich in ihre Leberwurstbrote beissen. Also bleibe ich.
Von hier oben beobachte ich wie sich eins der Becken langsam blutrot färbt. Menschen trampeln den Hügel hoch, mir entgegen.
"Das ist eine Stampede!"
Ich bin fassungslos und starr. Im jetzt roten Becken kreist eine dunkle Flosse umher. Sie wird immer breiter. Und ein Hai steigt ihr empor. Einige Meter neben der Flosse bildet sich unter dem Wasser eine Kugel. Auch sie steigt auf. Ein.. Junge?
Auf dem Hai sitzt ein Junge, unversehrt. Besser noch: lachend, ja fast strahlend.
Das Freibad ist leer. Nur ich, auf dem Hügel, der Hai und der Junge. Und der Kopf vom Hai ist stets unter Wasser. Doch der Junge starrt mich an, wir, starren uns an.
Angst? Nicht vor dieser Erinnerung.
Als ich klein war spielten mein Vater und ich im Wasser immer ein Spiel. Wir nannten es "Der weisse Hai".
Dabei saß ich auf seinem Rücken und er tauchte mit mir immer ab und auf, auf und ab. Da ich nicht schwimmen konnte war das so auch meine einzige Berührung mit tieferem Wasser. Mein Vater war ein recht kleiner, dünner Mensch. Was es einem Kind einfach, und super bequem, auf seinem Rücken macht. Ich erinnere mich an die brennende Sonne, das Wasser, und das Gefühl des Abtauchens. Da war so eine Kraft hinter, die von seinem Körper und den Bewegungen ausging, die es machten, dass es sich so wahnsinnig echt anfühlte. Und gut. Ich erinnere mich an die Wölbungen an seinen Schultern, und wie sich meine Hände da irgendwie dran festhielten. An die vielen Sommersprossen auf seinem Rücken, ans Zeichen, wenn wir untertauchten. Diese kurzen Momente unter Wasser waren spährisch. Der Lärm war getilgt. Als wäre ich tatsächlich auf einem Hai und als wären tatsächlich alle panisch davongelaufen. Zumindest für einen kleinen Moment.
Mein "Happy Place".
Das ist jetzt über 20 Jahre her und ich erinnere mich an vieles - jedoch nicht an sein Gesicht damals. Denn ein Hai ist stetig mit seinem Gesicht unter Wasser. Doch heisst das in weiteren 20 Jahren werde ich mich garnicht mehr an sein Gesicht erinnern können?
Vor jetzt fast einem halben Jahr ist mein Vater gestorben. Die letzte Interaktion, die ich mit seinem noch lebenden Körper hatte, war im Krankenhaus, und er lag im künstlichen Koma. Und davor die Letzte? Verschwommen.
Ich hatte eine Woche darauf meinen Bruder am Telefon. "Er ist am sterben." Und im Hintergrund meine Mutter weinend, schreiend, nahe des Zusammenbruchs.
Es waren wenige Stunden mit dem Auto, und es ist auch nicht so lange her, aber ich weiss nicht mehr was mir genau durch den Kopf ging.
Hat mich jedoch etwas beruhigt zu wissen ich kann noch reden, er es noch hören und, dass er noch atmet.
Doch ich kam zu spät.
Mit den vorherigen Gedanken im Kopf hatte ich das Zimmer betreten wurde dann jedoch von der Realität erwürgt.
Ich ging zu Boden.
Mir blieb jetzt noch Zeit mit seinem Körper zu reden und spätestens seit dann wusste ich auch wie ein leerer Körper aussieht und wie kalt sich leere Haut anfühlt.
Ich küsste ihm zum Abschied auf die Stirn und verließ das Zimmer irgendwann wieder.
Das Gesicht, der Körper, vom Hai war nicht mehr versteckt unter dem Wasser. Nein. Er war klar sichtbar dort liegend für alle. Und doch stieg er nie wirklich aus seinem Wasser empor. Ich schwimme immernoch im Becken herum und ringe mit Erinnerungen und Ängsten. Ich habe bis heute nicht gelernt zu schwimmen. Und so zogen sie mich runter. Der Junge starrt mich ab und zu immernoch an aber solange ich ihm den Blick erwiedere, tief in unseren Augen unsere Kämpfe ausgefochten werden, und ich ihm nicht den Rücken kehre, wird alles gut.
Habt keine Angst vor Euren Haien.
"Happy Father's Day".
Auch an die, ohne.
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