ferencz-1
ferencz-1
Stories
1 post
Student - Therefore a lot of time and even more thoughts - Take a look
Don't wanna be here? Send us removal request.
ferencz-1 · 5 years ago
Text
Telefonbuch
„Bis nächste Woche!“ - sagte Dietmar. Glücklicherweise, dachte ich. Die wöchentlichen Meetings waren zu einem fadenscheinigen Zurschaustellen von Wissen über die Rosenkriege, Realpolitik und einigen Studienkamelen verkommen. Studienkamele eher weniger, der Dr. Dietmar erzählt lieber Habitulationskamelen. ER darf sogar Noten geben!
Richtige Lust, gar Ambitionen mit einem Hochtrabenden Projekt und neuester Forschung eine revolutionäre Idee zu verwirklichen, schien seit dem 2. Treffen in Vergessenheit geraten.
Nun ja, es musste ja weiter gehen. Also lief ich den selben Weg wie jede Woche nach Hause. Manchmal, wenn ich ganz verrückt drauf war, gab es einen Döner. Heute war ich nicht verrückt.
Ich ging, da sich meine Kopfhörer vor einigen Tagen (wie jeder meiner Kopfhörer) in sich selbst verhangen und schließlich selbstzerstört hatten, still daher.  Eine Gruppe von Schulkindern diskutierte über dies und das. Immer das selbe, unbedeutend aus meiner heutigen Sicht. Aber weiß Gott was mich in diesem Alter alles beschäftigt hatte.
Zwei Jungs auf Mountainbikes. „SpitzenBH“, sagte der eine. Der Andere lachte. „SpitzenBH im Angebot“, „SpitzenBH gratis!“. Sie stieben davon.
Wie gerne wäre ich nochmal so unbedarft, dachte ich. SpitzenBH. Warum finde ich das nicht mehr lustig?
Als ich in der 6.Klasse war, sind wir in irgendein Dorf in Sachsen-Anhalt gefahren. Damals wollte ich noch wagemutig einen BH für meine Freundin in irgendeinem Tante-Emma-Dessous-Laden kaufen. Im Unwissen darüber, welche Größe meine Freundin den überhaupt trug, rückblickend sicherlich A-. Antwortete ich aber schließlich mit einem sicheren: „B oder C, Jungs habt ihr ne Idee?“. Die Verkäuferin wirkte dabei entgegen meiner Erwartung eher genervt. Freute sie sich nicht zahlende Kundschaft zu bedienen?! Nun ja das ich nur 5€ hatte und der BH 20 kostete, stellte mein Weltbild was Damenunterbekleidung anging dann doch etwas auf den Kopf.
Immerhin war ich mittlerweile zu Hause. Schlüssel rein,Tasche weg, Kaffeemaschine an, Handy raus, Kippe. Wie schön ist doch die Technik. Und weiß Gott wie schön sind Kippe und Kaffee. Til sagte immer KKP- also Kaffee-Kippen-Pause, bevor wir aus der Bibliothek staben. Ein Guter, wenn auch nicht genialer Einfall, bedenkt man, dass die Wörter vorgegeben sind. Lustig dennoch.
Also SpitzenBH‘s raus. Witze über die Süchte die meinen Zerfall beschleunigen rein. Ist das was Altern bedeutet? Oder der Haarausfall? Bin mir unsicher was von beiden nun eher trifft, sicher weiß ich aber welche der Optionen mir mehr auf die Nerven geht.
Til kam aus seinem Zimmer. Es war ein schönes Ritual geworden, dass der der nach Hause kam zumeist von seinen Abenteuern bei Kippe und Kaffee berichtete. Der andere – zugegebenermaßen war es meisten ich – dann relativ schnell das Thema wechselte.
Als Til also gerade auf meine weltbewegende Frage „Hast du schon von Dem und Dem gehört?“ mit einem kurzen Vortrag seiner Sichtweise antwortete, fiel mein Blick auf den Baum vor dem Haus. Eine Linde, in meiner Vorstellung uralt. Die Vögel saßen dieses Jahr schon früh drauf, die ersten Frühblüher waren auch schon da. Im Februar?
Wenn meine Oma noch lebte, würde sie sicherlich mannigfaltige Wege finden sich hierüber aufzuregen. Mein Opa würde brummen und schließlich auf die EM dieses Jahr verweisen.  Wobei selbst er mittlerweile den Ernst der Lage hätte erahnen können. Es gab nun mal selten solche Winter. Hatte der Baum mal so einen Winter erlebt?
Es gab selten so viele Berichte von Katastrophen überall auf der Welt. Hier eine Überschwemmung, da ein Vulkanausbruch, Seuchen und schließlich die Waldbrände. Aber der Globus drehte sich eben weiter, und Kaffee und Kippe schmeckt. Während wir also über die Grünen Politiker im Bundestag, kommende Kanzler und Trump diskutierten. Ging die Erde unter, nur wir wussten es. Aber wir dachten nicht daran. Nicht um uns zu schützen vor negativen Gedanken. Nein, wir wollten nicht weiter darüber reden. Es war allumfassend, aber da die anderen sich ja schon darum kümmerten, warum sollten wir noch einen Gedanken daran verschwenden.
Til hatte seinen Vortrag beendet, wie so oft habe ich nicht zugehört. Seltsam, wir sind so verschieden. Ich liebe ihn dennoch, so stark wie einen besten Freund. Nur ohne beste Freunde zu sein. Eine WG ist etwas tolles. Also um die Kippe noch zu überleben, bevor ich mich in mein Zimmer begab. „Was hast du heute noch schönes vor?“ - es war Montag und er hatte Chor. Ich wusste das, aber nach 1 ½ Jahren Mitbewohnerschaft ist es schon mal wie in einer langen Beziehung. Man muss sich den Scheiß spannend halten. Sex hilft dabei, war hier aber keine Option.
Sind vielleicht deswegen meine Beziehungen gescheitert? Langeweile, habe ich nichts mehr zu erzählen. Lebte ich vielleicht zu wenig. Bei anderen klappt es ja auch. Wobei über so etwas solle man nicht nachdenken. Negative Energien und so weiter. Also ab in mein Zimmer, Xbox an und gucken was der Tag so bringt. Ich wusste was der Tag so bringt. Kiffen und Zocken. Trotz stupider Regelmäßigkeit sollte man sich dennoch ein paar Freuden erlauben. Das High war eine davon. Mein erster richtiger Joint war relativ spät. Mein erster Joint alleine war noch später, aber die Begeisterung hielt an. War das der Grund für meine Probleme. Keine Ahnung dachte ich mir und sorgte lieber schnell für Ablenkung. Ein Zug und der Kopf ist frei. Das ich dabei halb sabbernd auf meiner Couch lag, für Stunden, war mir bewusst, änderte aber nichts. Kiffen, Zocken und Süßigkeiten. Wenn das Leben unendlich wäre könnte ich damit meine Jahrhunderte überleben.
Das Leben endet aber, und man hat Ziele und Pläne. Und die anderen haben Ziele und haben Meinungen über deine Ziele und deine Pläne. Es ergab für mich nie wirklich Sinn, warum der eine erfolgreich, der andere gescheitert und der Dritte egal ist. Es ist doch alles egal. Wir leben und wir sterben. Was wir dazwischen machen, solle aber bitte möglichst alle befriedigen. Das hieß Studium, guter Job und Familie. Der Fortbestand unserer Art, in einer industrialisierten Welt auf sein Minimum gebrochen, erreiche viel dann bist du viel. Mein Vater sagte immer:“ Über die Größe eines Mannes werden die Geschichtsbücher entscheiden!“. Kluger Satz, dachte ich mir, aus dem Mund eines Vertreters für Telefonbuchwerbung. Nun ja sind halt auch Bücher.
1 note · View note