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#Huchen-Zucht
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Huchen-Pepi
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Mensch und Fisch
Der Fisch im Fischer’schen Weingut Josef Fischer
„Das sagenumwobene Donauweibchen wird bis zu eineinhalb Meter groß, wiegt im Schnitt fünfundvierzig Kilo und ist großmütterlicherseits eine Huche.“ Der Mann muss es wissen. Er selbst ist geborener Winzer. Melk befindet sich in Rufweite, Krems in Spucknähe und die Rieden Frauenweingärten, Kirnberg und Steiger umringen die Terrasse oberhalb der Donau, auf der wir gerade sitzen und den Tag einen guten sein lassen. 
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Huchen-Pepi
In Rossatz, am Südufer der Donau, wo die Lehm- und Schotterböden nährstoffreich und die Weine dementsprechend fruchtig sind, wo die Rebstöcke alt, die Hänge sonnig und die Knospen schön am Blatt stehen, reift seit alters her die nach Holunderblüten, Quitte und Marille schmeckende Muskatellertraube, der elegante, in Richtung Apfel/Mango tendierende, fruchtbetonte Grüner Veltliner, oder die von Hand verlesene Rieslingtraube, die einen Gout von Weingartenpfirsich, Ananas und Limette über den Gaumen legt. Die Qualität der Rossatzer Rieden ist der Gradmesser heimischer Weinkultur und das Weingut Fischer gilt Strom auf, Strom ab als einer der renommiertesten Betriebe. 
Wäre dies alleine schon Grund genug, dem Rebenmeister einen Besuch abzustatten, sichert doch auch huchnotpeinlicher Ruf der Gegend um Rossatz eine bis über die Landesgrenzen reichende Aufmerksamkeit. Des Reisenden Instinkt reagiert reflexartig. Das Schreibzeug gepackt, die Rote gestartet, und ab ging’s in die Weingegend, die so nah am Wasser gebaut ist.
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Der Huchling
Da sitze ich nun also, mir gegenüber der Huchen-Pepi, der schrullige Weinhauer, der längst schon keiner mehr ist, weil die junge Generation Hof und Abhof übernommen hat, und er schwadroniert von Angeln und Fangen, von Züchten und Schlüpfen, kein Wort aber vom Lesen und Keltern. Josef Fischer hat immer schon anderes im Sinn als die Traube - den Fisch. „Mein Opa war an allem schuld. Wie er jung war, hat das Huchenfischen in der Donau ang’fangen. Er war der Ruderer, und das ist beim Boot-Angeln eine Kunst. Die Ludern haben ja an Bewegungsmelder ein’baut, sie nehmen die kleinste Bewegung im Wasser wahr. Man muss sich sehr vorsichtig annähern. Z’erst sieht man an „Sprengel“ an der Wasseroberfläche, eine Art Kreisverkehr. Unterhalb des Sprudels liegt meist a Stein, dahinter a Loch. Und dort steht er dann, der „Hucho hucho“.“ „So heißt er?“ „Auf Latein. Wir sagen Huchen. Oder Donaulachs. Aber nimmer lang, weil er praktisch ausg’storben ist. Er hat sich den schlimmsten Feind ausg’sucht, den Mensch. In der Donau is der Dicke praktisch ausg’storben. Die Leut‘ ham die Fisch‘ ab‘gschöpft wie’s Wossa, und heute, wo die Donau wesentlich wärmer geworden ist, haben die Welse die Donauweiberln verdrängt.“ Flussbegradigungen, Kraftwerke, Wasserverschmutzung. Der Fisch erreicht seinen Laichplatz im Oberlauf kaum mehr, er kann die Wehrmauern flussaufwärts nicht überwinden. Herr Fischer leert sein Glas: „Die Huchen waren praktisch nur mehr auf den Tellern von die Wirt. Aber is des a Leben?“ Sagt‘s und holt ein neues pitschkaltes Boutelletscherl.
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Der Teich
Dass dem nicht so bleibt, wie es ist, dafür sorgt der Pepi höchstpersönlich. „Ende  der 70er war’s, da hab i ma an Huchen von Melk oben g’holt und mei‘ Ulli hat Sauerstoff in‘ Kübel eineg’wachelt, dass er was zum Atmen hat. Dann ham ma ihm a Wasser ‘baut. So hat’s ang’fangen. A bissl a Trottl musst scho sein.“ Wir halten fest. Wenn es Menschen wie den Huchen-Pepi nicht gäbe, wäre der prächtige Huch bereits ausgestorben – es gäbe ihn einfach nicht mehr. Weder in der Pfanne, noch im Wasser. „Kommen’s mit!“, sagt der Pepi und verschwindet hinter ein paar riesigen Bottichen. 
Im Teich liegen zwei prächtige Exemplare. Herr und Frau Huch – vorsorglich getrennt, der größere würde den kleineren kannibalisieren. „Des Fangen is gar net einfach. Es geht schon beim „Werfen“ (Anm.: der Rute) los. Die Strudel im Wossa, die Fressgewohnheit vom Fisch‘, sein „Einstand“ (Anm.: Standplatz), ollas muasst kennen.“ Unterhalb eines schmalen Holzsteges grundelt der Fisch dahin, der was eine Fischin ist. „Des is die Frau“, sagt der Pepi und stuppst sie sanft mit einer Rute. Ein riesiges, urzeitliches Tier bewegt sich aus dem Schlamm hervor und starrt mich an. Der fliehende Schädel, das harte, knochige Maul, die gewaltige Größe – der Fisch erscheint wie ein Wesen aus einer anderen Zeit, entworfen vom Vater der Aliens, Hans Rudolf Giger. Nichts und niemand ist vor dem Monster sicher: Forellen, Äschen, Wasserratten, Mäuse, alles was sich bewegt und kleiner ist als er selbst, steht am Menüplan. „Neben dem Menschen gibt’s no wen, der auf ihn steht - der Otter. Neulich hat mir einer den Teich ausg’ramt, so schnell hab i gar net schauen können. Als erstes frisst er die Augen, dann sieht der Fisch nix und schwimmt wie wild umananda. Nach zehn Minuten is er müd, weil Kondition hat er net, und der Otter verbeißt den Rest.“ In welch apokalyptischer Welt bin ich gelandet? In der Natur?
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Der Brutkasten
Wir gehen hinüber zu den Tanks. In ihnen wimmelt es vor Leben. „Es geht scho damit los, dass der Laich nur an einem bestimmten Tag fruchtbar is. Den musst erwischen, sonst lauft nix. Du holst die Alte aus’n Wossa, betäubst es für a paar Minuten mit an Nelkenöl, legst es auf‘n Bock, und strafst die Eier ab. Dann leerst des Sperma vom Burli dazu, und dann... Bis zu fünftausend Laich‘ san net lang danach im Becken. Nach an Monat schlüpfen‘s und werden g’füttert. Wenn’s g’wachsen san, sortier ma‘s nach Größe in die anderen Bottiche rein, weil die Größeren würden die Klaneren auffressen. Net umsonst san‘s Raubfisch‘.“ 
Ein Jahr später sind die lieben Kleinen bereits bis zu zwanzig Zentimeter gewachsen und tummeln sich lustig in der Strömung herum. „Im Rundbecken bring i a ganz a schöne Bewegung z’samm. Des brauchen’s zum Überleben.“
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Pepi-Tanks
Der Huchen-Pepi steht am Beckenrand und beobachtet seine Schützlinge. Dann löst er sich und geht hinüber zum Teich. Die Urmutter grundelt längst wieder unterhalb des Steges, und verbirgt sich hinter einem riesigen Stein, der über einer Vertiefung liegt. Drüben, jenseits der Böschung, im anderen Teichabschnitt, gleitet der Herr Papa durchs flache Wasser und sucht nach Essbaren. Drüben, in den Tanks heißt es bald Abschied nehmen, denn kaum dass die lieben Kleinen zu Teenagern werden, fährt der Huchen-Pepi in Richtung Mur oder Enns oder sonst einem Fluss und überantwortet sie dem eiskalten Gewässer. Die Pflegemami hat einmal mehr das Ihrige dazu beigetragen, ein paar der schönsten heimischen Flussfische in Vater Noahs Boot zu packen, das ihnen die Überfahrt in eine hoffnungsreiche Zukunft garantiert.   
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Huchen Kinderstube
Trotz des noch jungen Jahres liegt eine angenehm wärmende Decke über den Hängen, die hinunter reichen bis ans Ufer des träge dahinfließenden Stromes. An den Rebstöcken zeigen sich erste, scheue Triebe, und die riesigen Weidenbüsche, die das sandige Ufer säumen, schicken rechtzeitig vor der Osterzeit flauschige Kätzchen über ihre Zweige.  
Ich sitze längst wieder oben auf der Terrasse und überblicke die Endlichkeit überschaubaren Seins. Einen tiefen Schluck später ist die Welt noch um ein gutes Stück annehmbarer und ich entschließe mich zur Rückfahrt. Heute habe ich einiges übers Leben gelernt. Eigentlich übers Überleben. Von Fischen wusste ich nichts, jetzt um eine Träne mehr und ich denke, was ich oft schon dachte, immer aber aufzuschreiben vergaß: Der Fisch lebt im Wasser, also sieht man nicht, ob er weint. Diese hier hätten wohl keinen Grund dafür. Dem Huchen-Pepi sei Dank.
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Fischwasser
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