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Neapel Backstage
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Neapel
Bezaubernd, betörend, überfordernd
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Stadt der Commedia dell'arte – Der listige Diener Pulcinella
Wie sollte man sich Neapel, der Stadt der Überforderung anders entziehen, als sich ihr zu überlassen. Die Gassen der Vielgeliebten gleichen den Armen einer Frau, die einen umfängt, und mit Haut und Haaren verspeist. Neapel ist anstrengend, erbarmungslos und überfordernd, unmäßig, gnadenlos und stets auf der Überholspur. Wohin man auch blickt, immer begegnet man dem alles überragenden Sehnsuchtsort und der permanenten Bedrohung, dem Vesuv. Nirgendwo anders lebt es sich so nahe an der Katastrophe wie hier. Noch schläft der graue Riese, aber niemand vermag zu sagen, wie lange noch. Er könnte jederzeit erwachen. Der Vesuv ist der am besten kontrollierte Schläfer unter den Vulkanen weltweit. Es ist noch nicht lange her, dass die Phlegräischen Felder, ein Gebiet von etwa zweihundert Quadratkilometer rund um die Vororte Neapels ins Visier der Vulkanologen kamen. Es tat sich was unter der Erde, und die Welt blickte gebannt an den Golf und rund um die Riesenstadt, während die Einwohner lebten so wie bisher - als sei nichts geschehen. 
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Neapel ist schmutzig
Neapel lebt von seinen Kontrasten. Ignoranz und Opportunismus, Kreativität und Unternehmertum, Chaos und die Sehnsucht nach Ordnung – während das anderswo Gegensätze sind, machen gerade sie in Summe das quirlige, bestens unorganisierte Leben in der putzmunteren Stadt aus, deren Überlebensstrategie die Sucht nach Leben ist. Bühne frei also, der Alltag ist bestens inszenierte Commedia dell‘arte: stets überraschend und immer spontan. Alleine die Größe und Dimension des Bühnenbildes steht in keinem Verhältnis zur Enge der Piazettas und Hinterhöfe. Vielleicht ist es ja auch gerade der Gegensatz zwischen den verwahrlosten Gassen und den schicken Kolonaden, dem pittoresken Schrecken der mafiosen Vierteln und dem betörend großstädtischen Lungomare, den Garküchen in Pignasecca oder entlang der Spaccanapoli (der die Stadt durchschneidenden Flaniermeile), und den mondänen Speisetempeln rund um die Galeria Umberto I. 
Glauben und Aberglauben pochen in den Adern der Stadt. Es ist der Puls des Südens, der stets am Überkochen ist. Die Häuser schmiegen sich aneinander, an den Straßenecken quillt der Unrat aus den brüchigen Poren der Fassaden, die Wäschestücke werden quer über die Straßen von Fenster zu Fenster gezogen, und die blau-weißen Fahnen und Wimpel des vergötterten Fußballklubs schaukeln lustig im Wind. 
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... fußballverrückt ...
Fußball - Neapel ist Endspiel. Täglich. Die Stadt ist in den Augenblick verliebt und fußballverrückt wie kaum eine andere italienische Stadt. Und das will was heißen. Der Verein SSC Napoli ist eng mit dem argentinischen Weltmeisterspieler Diego Maradona verbunden, der hier von 1984 bis 1991 aktiv war. Aus dieser Zeit resultieren die ersten beiden der drei Meistertitel des Klubs, sowie der Gewinn des UEFA-Pokals. Seit dem Tod des Fußballgottes im Jahre 2020 trägt die Spielstätte des Vereins den Namen „Stadio Diego Armando Maradona“. An Heimspieltagen gleicht die Stadt einem Hexenkessel, an „fußball-freien“ Tagen ist mindestens so viel los. Neapel hat ein  riesiges hellblau-weißes Herz, das einem Fußball-Laberl gleicht.
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Fußballgott
Stufen - Rund zweihundert Treppen winden sich hügelauf und hügelab. Geschäftig wie die Ameisen laufen die Neapolitaner hinauf und hinunter, bepackt wie die Maultiere, ausgelassen schnatternd, an jeder Ecke einen Vino Rosso oder einen Espresso kippend, ein Pläuschchen hier und da und weiter geht’s, immer den höchsten Punkt im Visier, immer zu Späßen aufgelegt, über Wetter und Lotto lamentierend, schimpfend und stöhnend, zankend und scherzend.  
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Stadt der schönen Gassen und der Stufen
Häuser - Kaum wo habe ich so verschiedenartige Stadtbilder serviert bekommen, wie in der Stadt am Rande des Vulkans. Jugendstil, Bauhaus, Klassizistisch oder Renaissance. Ob verfallen oder herausgeputzt, markig oder ruinös – sogar die Stadtarchitektur spielt verrückt und turnt an der Grenze von geschmacklos bis grandios – und gar die Hinterhöfe! 
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Neapels vielfältige Architektur
Kunst - Neapel ist ein einziges Kunstwerk. Das beginnt und endet … in der U-Bahn: „Duomo“ oder „Piazza Dante“, „Cavour“, „Toledo“ oder „Garibaldi“. Von achtzehn U-Bahnhöfen sind immerhin elf ausgewiesene Museen. Aussteigen, bewundern, Rolltreppe rauf, Rolltreppe runter und – weiterfahren. Mit dem Preis eines Tickets kann man einen Tag lang moderne Kunst bewundern: mehr als zweihundert Kunstwerke von insgesamt hundert zeitgenössischen Künstlern stehen im Angebot. Günstiger ist Kunst und Architektur nirgendwo zu bewundern. Die Station „Toledo“ wurde vom spanischen Architekten und Designer Oscar Tusquets gestaltet - der staunende Passagier findet sich am tiefblauen Meeresgrund wieder. In der Station „Dante“ gibt es neben einem dreißig Meter langen Mosaik des italienischen Malers Nicola de Maria, eine ebenso monumentale Arte Povera Arbeit „Gefesselte Schuhe“, in der Station „Universita“ eine knallbunte Rockabilly-Zuckerlwelt… 
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Die Stadt der Kunst, zB in den U-Bahnstationen.
Piazza Plebescito - Früher war’s ein Parkplatz, in den 1990ern besann man sich seiner Geschichte und schuf, ganz in der Nähe zum Castel Nuovo einen der großzügigsten und spektakulärsten Plätze der Welt - der ein geheimnisvolles Spiel bereit hält: Man verbinde sich die Augen und versuche von der Mitte des Platzes aus in gerader Linie zwischen den beiden Reiterstauen auf den monumentalen Marmor-Säulengang der „Chiesa San Francesco di Paola“ zuzugehen. Nicht wundern, das ansteigende Straßenniveau verhindert jeden diesbezüglichen Versuch: Man endet dort, wo man nicht hinwollte: Genau auf der anderen Seite, vor dem „Palazzo Reale“.
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Piazza Plebiscito
Altäre - Nur in Rom gibt es mehr Kirchen als zu Füßen des Vesuvs. Religion, wohin man blickt. Vielleicht auch weil es ständig etwas zu erbitten gilt: Schutz und das Bewahren vor der nächsten Katastrophe. Das letzte große Beben ist ja erst achtzig Jahre her. Altäre gibt es in Neapel an jeder Straßenecke, nicht nur die für den argentinischen Fußballgott. Auch der sehr reale Gott des Kleinen Mannes will angebetet werden. Daneben auch noch der der Automobile …
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Stadt der Altäre ...
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... und Prozessionen.
Untere Stadt - Im Tuffgestein, tief unterhalb der Stadt, verbirgt sich eine andere Welt - die der neapolitanischen Unterwelt, und die hat ausnahmsweise nichts mit der Mafia zu tun, eher schon mit dem weitverzweigten Tunnel- und Hohlraumsystem des antiken Neapels. Unzählige Einstiege in die andere Welt der Stadt führen in das weit verzweigte Netz des Untergrunds. Etwa zwei Drittel der Altstadt sind unterhöhlt. Die Reise führt durch Tunneladern und ausgetrockneten Kanälen, vorbei an Brunnenschächten und Zisternen. Unter der Kirche San Lorenzo Maggiore ist ein Einstieg. Als Platzängstler wähle ich dieses Tunnelsystem, es ist komfortabel, einigermaßen geräumig, dennoch eindrucksvoll genug. Die Unterwelt führt in die verschiedensten sozialen Bereiche der Stadtgeschichte: Straßen, Häuser, Wohnungen, Kreuzgänge und Marktplätze. Man wandelt auf Jahrtausende alten Pfaden kreuz und quer durch die Antike.
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Die untere Stadt
Essen - Pizza Margerita – Spagetti Frutta di Mare – Süßspeise Taralli – Blätterteig Vesuv – Cuopo fritto auf der Piazza Pignasecca (frittierte Calamari, Kroketten, Sardinen)
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Pizza Margerita - Pasta Frutta die Mare - Süßspeise Taralli - Blätterteig Vesuv
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Chaos. Leben. Überleben
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Im Anflug auf Neapel
Neapel – Das pure Leben
Anlässlich des 100. Geburtstages des US-Schauspielers Marlon Brando am 3. April 2024, der als „Don Vito Corleone“ in Francis Ford Coppolas, dreifach mit dem Oscar ausgezeichneten Meisterwerk „The Godfather“ (Der Pate) eine seiner Lebensrollen verkörperte, möchte ich von einer lebendigsten Hauptstädte Europas berichten, die alles andere, nur keine Hauptstadt ist – obwohl, so sicher bin ich mir da gar nicht. Denn in Sachen Lebensfreude, Herzlichkeit und Genuss läuft sie der etwas mehr als zweihundert Kilometer entfernt gelegenen ewigen Stadt Rom zweifellos den Rang ab. Neapel ist Italien, und Italien ist Neapel. 
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Piazza Pignasecca
Ohne Chaos, kein Leben. Seit Jahrhunderten bringen Philosophen die beiden Begriffe in Kongruenz, vielleicht auch nur, um die Unzulänglichkeit menschlichen Strebens in ein beschönigendes Licht zu setzen. Die Begriffsverwandtschaft freilich ist in dieser Stadt mehr als offensichtlich, und kaum dass der Reisende seine ersten, zaghaften Schritte in jene vor Lust und Leidenschaft überbordende Stadt setzt, die seit je her als Synonym südländischer Lebensfreude gilt, ist und bleibt man von ihr gefangen. Und wenn erst die abendlich-goldenen Sonnenstrahlen den Lungomare vor dem Castell Uovo in ein brodelndes, vibrierendes Ganzes verwandeln - längstens dann gleicht er einem, über die schroffen Abhänge des nahegelegenen Vesuvs sich ergießenden Magmastrom. Dann kocht das Temperament des Neapolitaners hoch und eine Urgewalt an Sinnlichkeit erfasst die Stadt zwischen Via Toledo, Via Chiaia und der Spaccanapoli, die wie pulsierende Lebenslinien die Straßen der Innenstadt durchschneiden.
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In den Gassen
Dazwischen jede Menge Gassen und Gässchen, Piazzas und Piazettas, auf denen Kinder spielen, Großmütter vor den Häusern hocken, Vespa-Fahrer hupen, Fußballfans Schlachtengesänge grölen, und Verkehrspolizisten mit ihren Trillerpfeifen den Verkehr zu regeln versuchen. Dann verwandeln sich Gehsteige in Schanigärten, die Kellner hasten pizzabeladen von drinnen nach draußen, von Tisch zu Tisch, Millionen von Jugendlichen nagen einander auf Parkbänken und in Hauseingängen ihre pubertären Gesichter ab, während die Touristen endlose Schlangen vor den Eisdielen bilden, alte Männer säckeweise Muscheln, Gamberetti und anderes Meeresgetier von den Fisch-Ständen nach Hause schleppen, indes die Mamas Wäscheleinen quer über die Gassen ziehen und die Väter die Losstände plündern, um sich ihren Wettverlust gleich darauf in der nächsten Bar schön zu saufen.
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Il Cornicello
Napoli for ever! Wer das Leben trinken, dem Tod ein Schnippchen und das Glück lauthals begrüßen will, muss in genau diese Stadt reisen. Und wenn auch nur für ein paar Tage. Die aber, versprochen, haben es in sich! 
Castel Sant‘ Elmo - Von hier aus hat man den besten Überblick über Meer, Vesuv und die unendliche Stadt. Wer’s bequem machen will, der fährt mit der „Funiculare“, der Zahnradbahn, bergaufwärts, hinunter geht es dann über gefühlt tausende Stufen zurück ins Getümmel des Häusermeeres.
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Castel Sant' Elmo
Über die Via Toledo zum Piazza Dante und zur Piazza Pignasecca – Die überfüllte quirlige Straße führt zu zwei der hübschesten Hotspots urbanen Lebens: Lokale, Shops und jede Menge Märkte.
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Capella San Severo
Capella San Severo - Wer ein einzigartiges Kunstwerk innerhalb einer betörend schönen Museums-Kapelle erleben will, der muss hier hin: In der Mitte des Raumes ist das Kunstwerk Giuseppe Sanmartinos „Der verhüllte Jesus“ aufgebaut. Staunen und Wundern!
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Der verhüllte Jesus von Giuseppe Sanmartinos
Via San Gregorio Armeno - Wer Wahnsinn pur erleben will, dem sei das schmale Gässchen anempfohlen: Hier findet man den personifizierten Weihnachtsrausch: Figuren, Puppen, Krippen - chinesisches Fließband und neapolitanisch Handgemachtes. Die satirischen Krippenfiguren huldigen Politikern, Promis, Päpsten und Fußballstars aus aller Welt. 
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Weihnachten im Sommer und dazu Promis, Promis, Promis als Krippeninventar ...
Monastero di Santa Chiara - Eine Insel der Ruhe ist der zauberhafte Kreuzgang des Klosters Santa Chiara. Ein Farbenmeer strahlender Majolika-Kunst, ein gepflegter, südländischer Garten, und zwischendurch huschen Mönche über die Wege: Neapel bietet auch Muße und Ruhe.
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Monasterio die Santa Chiara, Majolika und Mönchleins und die Muße der Stadt
Galleria Umberto I - Gleich gegenüber dem ältesten und glänzendsten Theater Italiens, dem „Teatro San Carlo“, befindet sich die mondäne und wohl spektakulärste Shopping-Mall Neapels, die „Galleria Umberto I“. 
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Galleria Umberto I
Castell dell‘ Ovo - Vor dem Lungomare, der prächtigen Flaniermeile Neapels, erhebt sich eine sagenumwobene Tuffstein-Burg, ein wahrer Eye-Catcher, besonders in der blauen Stunde der orangeroten Abendsonnenstrahlen. Das Gebäude sieht aus wie ein Film-Set: Unwirklich, monströs, absichtsvoll. Das Kastell wurde ursprünglich als Überbau einer Kirche errichtet, die auf den Überresten einer Villa des Lukull thronte. Am Verrücktesten aber ist, was sich tief unterhalb befand: Das Ei des Vergil! Es lag in einer Karaffe, die tief im Verlies der Burg in einem kleinen Käfig von der Decke baumelte. Solange das Ei ganz blieb, so die Legende, blieb auch die Stadt unversehrt. Die Neapolitaner glaubten daran, bis heute -  warum auch nicht wir, die hunderttausend Touristen, die abends über den Ufer-Highway spazieren und ihr ‚unversehrtes‘ Leben genießen.
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Castel dell'Ovo
Il Duomo - Auch im prächtigen Dom zu Neapel tut sich Wunderbares: Dreimal pro Jahr wird das Blut des verehrungswürdigen Märtyrers und Stadtheiligen, das in einer silbernen Ampulle im Safe der Kirche lagert, hervorgeholt und zum Hochaltar von „San Gennaro“ getragen. Der Kardinal hält jenes wundertätige Behältnis hoch und vor den staunenden Augen der Gläubigen verflüssigt sich das gestockte Blut des Heiligen. Wenn das geschieht, hat die Stadt nichts zu befürchten. Das Gegenteil könnte verheerend sein: Ein Ausbruch des Vesuvs, ein Krieg, ein Erdbeben. Also geht ein befreiendes Raunen durch die Stadt und die Neapolitaner sind beruhigt - bis zum nächsten Stichtag.
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Il Duomo
Dass das „Blutwunder von St. Gennaro“ längst wissenschaftlich er- und geklärt ist, tut der Gutgläubigkeit des Volkes keinen Abbruch. Hier will man an Wunder erfüllt sehen, ob Eier, Blut oder die kleine, geschwungene Paprikaschote „Cornicello“, die gegen den „bösen Blick“ schützt – im Angesicht des Vesuvs, des ewig drohenden Symbols von Verderben und Untergangs, braucht man Übernatürliches. Und wenn es nichts nützt, schaden tut es gewiss nicht…  
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Das Blutwunder
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Schotti backstage - Reisen will wohl vorbereitet sein
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Abflug
Hier das Video vom Studio 2
Vom Packen und Planen einer Reise
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Koffer und Tagesrucksack
Eine Reise ins Unbekannte, kreuz und quer durch rätselhafte, phantastische, neue Welten, will wohl vorbereitet sein. Wie gerne lasse ich die Beschwernis des Alltags hinter mir und blicke nach vorne, zu Unbekanntem. Genau hier beginnt für mich das Abenteuer. Nur mit dem Nötigsten aufzubrechen, kann befreiend sein. 
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Das Wichtigste ...
Vierundzwanzig Jahre dauerte die Weltreise Marco Polos, über die Seidenstraße bis nach China, und wieder zurück nach Venedig. Meine Reisen dauern nur ein paar Wochen lang. Und doch kommen sie mir wie kleine Ewigkeiten vor. Waren die Karawanen der ersten Orient-Fahrer bepackt mit Tausch- und Handelswaren, trage ich nicht mehr als einen Rucksack am Rücken, eine Kamera in der Hand und eine große Portion Courage im Herzen. 
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Kleider sind nicht wichtig
Ballast abzuwerfen und nur mit dem Nötigsten zu reisen, ist beglückend. Das Abenteuer, auch das der Beschränkung, kann beginnen. Handy, Kreditkarte, Pass, ID, Impfpass, ein paar Medikamente, Zahnbürste, feste Paar Schuhe, vielleicht eine zweite Hose, ein T-Shirt und – das Ticket für den Rückflug. Die wichtigsten Requisiten meiner Reisen aber sind Block und Bleistift. Mit ihnen halte ich meine Beutezüge fest: Die Begegnungen mit Menschen und ihrer Kultur.
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Das Gepäck ist immer dabei
Alles, was ich mit mir trage, muss in einem handlichen Rucksack Platz finden. Am besten, er hat Rollen, so kann ich ihn auf endlosen Straßen großer Städte bequem hinter mir herziehen – dazu noch einen Tagesrucksack für den täglichen Gebrauch. Handgepäck mit sich zu führen hat auch den Vorteil, dass ich es auf den langen Transkontinentalflügen in den Passagierraum mitnehmen kann, um es im Gepäckfach oberhalb meines Platzes zu verstauen. So muss ich mich am Zielort nach dem Verlassen des Flugzeugs nicht an den Kofferrollbändern anstellen und kann das Flughafengebäude meist als erster verlassen.
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Ich setze auf Inhalte
Es hat aber auch noch einen anderen Vorteil: Ich gehe sicher, dass auch mein Gepäck „sicher“ reist. Auf den großen Umsteigflughäfen dieser Welt wird meist eingechecktes Gepäck von einer Maschine in die andere umgeladen. Kein Mensch kann sagen, was zu diesem Zeitpunkt mit dem Koffer passiert. Wie leicht könnte bei dieser Gelegenheit Gefahren- oder Schmuggelgut in eines der Fächer gepackt werden. Am Zielflughafen dann könnte es so manch böse Überraschung geben. Wie beweist man, nicht selbst z. B. ein kleines Säckchen mit weißem Pulver im Gepäck verstaut zu haben. Auf Drogenschmuggel stehen in den meisten asiatischen Destinationen drakonische Strafen – tragische Beispiele gibt es genug.
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Ein Reisebuch entsteht
Ein Gutteil der Faszination des Reisens ist der Tatsache geschuldet, dass ich alleine unterwegs bin. So bin ich mir und dem Zufall meiner Begegnungen konfrontiert. Spontanes, Zufälliges, Unerwartetes ist genau das, was ich suche. Es macht meine Reiseberichte spontaner und farbiger. Die Anstrengung, dass kein Tag dem anderen gleicht, erhöht das risikoreiche „Spiel“. Es ist spannend sich einer Welt zu stellen, mit nichts anderem im Gepäck, als sich selbst. So erobert man Neuland und erlebt es mit all seinen Sinnen.
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Man ist und bleibt doch Einzelkämpfer
Auf Reisen beginne ich meist den Dialog mit mir selbst. Schreiben als Überlebenskunst. Ich schreibe, also bin ich. Der Erfolg des Wanderers beginnt damit, sich ein Ziel zu setzen. 
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schottisreisetagebuch · 2 months
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Und jetzt, da ich Euch mit Lanzarote vielleicht "Gusto" auf die Kanarischen Inseln gemacht habe, versuche ich Euch mit Julian Kutos kanarische Bananen Kroketten - sozusagen als kulinarisches Argument - das Stückchen Spanien vor der afrikanischen Küste näher zu bringen.
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schottisreisetagebuch · 2 months
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Lanzarote 
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Lanzerote, Arrecife, -Eglesia San Ginés
Das Wunder des Lichts
César Manrique, der Inselarchitekt
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César Manrique, der Inselarchitekt
Ohne ihn läuft hier nichts. Sogar die Kunstwerke, die von Jesús Soto, Paco Curbelo oder José Saramago stammen, sind von César Manrique. In welcher seiner vielen Sprachen er sich auch ausdrückte, Malerei, Architektur, Bildhauerei, Poesie, Gartengestaltung oder Stadtplanung, der Wille, seine Heimat zu einer grandiosen Neuschöpfung aus Kunst und Natur zu formen, bestimmte das Leben des Inselarchitekten. Die „totale Kunst“ bestimmte seinen Anspruch, (äußere) Schönheit mit (innerer) Ruhe in Einklang zu bringen. Dass dabei sein Hang zu Society und Jetset nicht auf der Strecke blieb, lässt sich aus jedem seiner grandiosen Land-Art-Werke herauslesen. Wer war der Wunderknabe, und wie baute er Macht, Kunst und Einfluss auf? Der Devisenbringer ist aus Lanzarote ebenso wenig wegzudenken, wie Lava und Licht. Der vielseitig Begabte machte sich beides zu nutze. Ob in den abstrakten Gemälden, den omnipräsenten, farbenfrohen Skulpturen, die sich mit oder gegen den Wind drehen, und die Straßen ebenso prägen wie die aufsehenerregenden architektonischen Entwürfe – seine Arbeiten verherrlichen die Schönheit der Insel, ihre schroffe Aristokratie und ihre von Feuer und Vulkangestein geprägte Landschaft.
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Fondacion Manrique
César Manrique war Visionär, Diktator und Lebenskünstler, er war Andy Warhol, Fidel Castro und Gunther Sachs in einer Person. Ob Gärten, Museen, Villen, Restaurants, Aussichtswarten, Windspiele oder Landschaftsskulpturen, Manrique hat die Insel geprägt. Wer hat seinen Landsleuten schon den Farbton ihrer Häuser vorgeschrieben. Die Farben Weiß und das spezielle „Manrique-Grün“ gehören zum gesamtheitlichen Konzept. Und die Bewohner, sie ließen sich’s gefallen. Kaum ein Land wurde so nachhaltig von einem Künstler entworfen und geformt, wie Lanzarote, und – der Geniestreich ist gelungen. Es gibt wohl niemanden, der dem widerspricht. Da verwundert es auch nicht, dass sogar der Flughafen den Namen „César Manrique“ trägt. Kaum, dass der glitzernde Ferienvogel den Boden der Insel berührt, werden die Passagiere darauf hingewiesen, in wessen Hand sie sich befinden. Und wenn wir schon beim „Verkehr“ sind: Auf den Straßen fahren Autos, deren Lackierung eines der knallbunten Gemälde aus des Meisters Werkstatt zeigt… 
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Arrecife, Autor im Bild
Der Insel-Genius hat mehr erreicht, als je ein Künstler vor ihm. Blickt man auf die wild zerklüftete Küste bei El Golfo oder auf die pittoreske Mischung zwischen dem omnipräsenten schwarzen Lavagestein und dem teilweise aufgeschütteten weißen Sand der Strände – vermutet man sogar hier die Handschrift Manriques. Auch in Sachen Ökologie, Stadtarchitektur und Umweltpolitik stößt man auf seine Einflussnahme. Werbetafeln in- oder ausländischer Konzerne sucht man auf der Insel vergeblich - was einem gar nicht sofort auffällt – genau wie das gänzliche Fehlen von Touristen-Hochburgen oder anderen nicht mehr wieder gut zu machenden Bausünden. Der weitgreifende Kunstanspruch des Ausnahmekünstlers prägt Lanzarote ebenso wie die gewaltigen Vulkankegel. 
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Wundert es, dass sich der umtriebige Herr Architekt nicht nur Freunde gemacht hat? Seine Künstlerkollegen wurden von der Übermacht des Maestros erdrückt, und auch die  Immobiliensachverständigen formierten sich mit der Zeit gegen Manrique, stand der doch bei beinahe jedem zweitem Bauprojekt auf der Bremse – und die Inselregierung folgte ihm. Keinesfalls wollte er zulassen, dass seine geliebte Insel am Altar des Massentourismus geopfert wird. Die ästhetische und ökonomische Integrität Lanzarotes ging ihm über alles. Die mächtigen Geister die er dabei zu Hilfe rief, wurde er bald schon nicht mehr los und je kostbarer die Insel wurde, desto mehr boomte sie auf den internationalen Ferienbörsen. Je exklusiver, desto begehrter. Immer mehr Menschen wollten teilhaben an den Gossip-Geschichten der bunten Illustrierten über das Insel-Lotterleben des Meisters. Die Anzahl der Übernachtungen explodierte, sanfter Tourismus hin oder her. 
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Teguise, Plaza de la Constitución
Der Unfalltod Manriques am 25. September 1992 erschütterte die Insel nachhaltig, von den internationalen Klatschspalten ganz zu schweigen. Sogar das Ende war an Theatralik nicht zu überbieten: Mit seinem Jaguar raste der Inselkaiser auf eine Kreuzung zu, unmittelbar darauf wurde er von einem schweren Geländewagen „abgeschossen“. Schenkt man der Insel-Fama Glauben, schlug die Bau-Mafia zu. Sogar sein Tod bewirkte Erstaunliches: Seither gibt es auf Lanzarote keine Überlandkreuzungen mehr, sie wurden in Kreisverkehre umgewandelt, in deren Mitte zumeist große Mobiles aus des Märtyrers Hand stehen, die sich in die verschiedensten Windrichtungen drehen und wenden. Symbolträchtiger wurde wohl noch keinem Künstler gedacht.
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Villa LagOmar
Die Sehenswürdigkeiten der Insel-Mitte:
César Manrique Fondacion – Das erste Wohnhaus Manriques ist als Museum begehbar. Wer wissen will, was Geschmack bedeutet, muss dorthin.
Arrecive – Hafen und Hauptstadt. Weit mehr als nur Meer-Promenade, Castillo San Gabriel, Islote de Femina und Castillo de San José (inkl. Kunstmuseum)
Teguise – Zauberhafte, ehemalige Inselhauptstadt mit prächtigem Hauptplatz vor der „Iglesia de Nuestra Señora de Guadalupe“, in der eine Christusfigur mit Langhaarperücke schwebt und eine Büste des spanischen Literatur-Nobelpreisträgers steht („Durch seine Gedanken kann der Mensch die Wahrheit entdecken, die verborgen in der Welt umgeht“)
San Bartolomé – Besuchenswerte Stadt in der geografischen Mitte Lanzarotes. Vor dem Rathaus und der Pfarrkirche fühlt man sich um Jahrhunderte zurückversetzt.
Tao – hier und rundum in den Nachbarorten finden die populären Ringkämpfe der Giganten, den „Luchadores“ statt, z.B. in der Arena „Lucha Canaria“ statt. Keinesfalls versäumen!
Villa LagOmar in Nazaret - „Dr. Schiwago“ Omar Sharif kaufte die Traumvilla und verspielte sie noch am selben Abend beim Bridge. Nicht nachahmens- aber empfehlenswert.
El Jable, alttestamentarisch anmutende Sandwüste beim Örtchen Soo.
Die Wunderwelt der spektakulären Gesteinsformationen „Las Grietas“ in den Montana Blanco ist Lanzarotes Antwort auf den „Grand Canyon“ Arizonas.
Surf-Süchtige müssen zum Wind- und Wellenparadies „Caleta de Famara“.
Der „Playa de Matagorda“ ist die Touri-Einflugschneise: Düsenjets zum Anfassen!
El Jable, die Sandwüste – Las Grietas – Stratified City – Caleta de Famara:
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schottisreisetagebuch · 2 months
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Der Stand der Stände
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Zum scharfen René
Die Opferwurst
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Die Opferwurst
Ziemlich genau hundert Jahre ist es her, dass die fahrenden ‚Würstler‘ sesshaft wurden - genauer gesagt ‚standhaft‘. Längstens seit damals gehört der Wurststand zu Wien wie der Steffl zum Turm, der Riese zum Rad oder der G’mischte zum Satz. Nach dem ersten Weltkrieg hat man sich dazu entschlossen, Kriegsinvaliden zu neuer ökonomischer Chance zu verhelfen - Lizenzen für Trafiken und Wurstverkäufer wurden vergeben. Recht so. Der alte Herr Kaiser hat seinem Volk ein Blutbad zugemutet, nun ließ man erste zaghafte Tropfen auf noch glühend heißen Steine fallen. Während sich die Menschen daran machten, die ‚Roaring Twenties‘ gebührend abzufeiern, versank die Welt in der nächsten Katastrophe. Tschick und Würscht galten immer schon als Nahrung des kleinen Mannes und da die Depression Lust und Laster förderte, boomten Restaurants, Gaststuben und Heurigen. Und erst die Stehhütten! Für kleines Geld wurde hier jedermann satt und alleine blieb man auch nicht lange. Im Gegenteil, so manch ein Hofrat fand hier seine lustige Witwe. Die Zeiten haben sich bis heute nicht geändert, immer noch drängen Drahrer und Nachteulen, Hurenbäudln und Asphaltblüten an die Nirosta-Theken der Stadt - indes in den Wurstkesseln Kraut und Rüben schmoren, neben Frankfurtern blubbern Debreziner, Burenwürste und Waldviertler. Dazu Senf, Gurkerl, Beuschlreißer oder Oaschpfeifferl, wie hierzulande der gemeine Pfefferon genannt wird. „Scharf oder Öl?“, lautet denn auch die Gewissensfrage des Herrn Standlers und der Stadtschwärmer hat Farbe zu bekennen. Ich selbst gehöre mehr der Scharf- und Buckel-Fraktion an, so viel Privatimes sei verraten.
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Der Herr der Würste
Jede Stadt frönt ihrem Laster: Der Hamburger beißt ins Fischbrötchen, der Südosasiate in die Pho, der Berliner in die (rot-weiße) Currywurst, der Osman in den Döner, der Sirtaki in den Gyros, der Belgier in Muschel und Fritten und, hier schließt sich der Kreis, der New Yorker in den Hamburger - ganz zu schweigen von den Wienern und Frankfurtern, die sich gegenseitig auffressen. Eine südländische Variation des frankophilen Würstels ist eine lange schon eingemeindete Spezialität aus dem südlichen Europa - die zugewanderte ‚Burenhaut‘. Gemeint ist die gemeine ‚Klobasse‘, auch ‚Klobassi‘ genannt. Die gibt’s im Rohzustand zwar im Supermarkt, aber ich kenne keinen, der sie sich in den eigenen vier Wänden schmort. Nur am Stand schmeckt ‚Klobasse‘ nach ‚Burenhäudl‘. Für Etymologen: Die Sprache Wiens ist zwar blumig, aber so bunt nun auch wieder nicht, denn die Begriffe ‚Klosett‘ und ‚Häusl‘ haben nichts, aber auch gar nichts mit ähnlich Klingendem zu schaffen.  
Der gerne am ‚Stand‘ verwendete Satz: „Oida, reib uma a Eitrige mit an G‘schissenen, an Glasaug, a Krokodü und an Bugl, dazu a 16-er-Blech!‘ heißt auf Hochdeutsch: ‚Lieber Herr, reichen Sie mir ‘ne Kochwurst mit Süßsenf, Perlzwiebel, Essiggurke, ‘n Seitenteil Brot, dazu ‘ne Dose Helles!‘ Nichts trennt so sehr wie die gemeinsame Sprache. Allerdings, der Gegenbesuch jenseits des Weißwurst-Äquators würde ebenso desaströs ausfallen. Da aber der echte Wiener zur Heimattreue neigt, ist für ihn meist in Stammersdorf Endstation.
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Scharf oder Öl
Mischt man sich im Laufe des schönsten und beschwingtesten aller Wiener Bälle, dem Opernball, zwischen heimische Wurstkessel, wird einem die Globalisierung erst recht bewusst, berichtet doch der Staatssender ‚live‘ und in Konferenzschaltung von der, am Allerwertesten des Opernhauses gelegenen Wurstbude. Kreti und Pleti drängt sich vor Ort und so manches Schlauchboot, das einmal ein Mund war, verkantet sich im Zipp des Kreditkartentascherls des nebenan stehenden Baulöwen. Das gibt‘s wirklich nur in Wien: Wurstbeißen garantiert Quoten.
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Der Seitenblickewurststand
Zu berichten aber ist von einem der originellsten aller Wiener Würschtler, dem ‚Scharfen René‘. Zwar hört er im Zivilleben auf den Namen Kachlir, doch mit dem kommt man im Gewerbe nicht weit. Es braucht ‚Branding‘. Also besann sich der  Mann seiner Wurzeln – und seines Namens. Rückblende. In den Siebzigern war’s, da Kachlir Sr., der Herr Papa, nach einem ‚unverhunzbaren‘ Vornamen für den Sohn suchte. Gesagt, getan und der Kleine wurde auf René getauft. Womit der Alte nicht gerechnet hatte: Ein paar Tage nachdem der Herr Sohn aus Mamis Wurstkessel schlüpfte, lief Folge Vierzehn des damaligen TV-Straßenfegers ‚Ein echter Wiener geht nicht unter‘. Just in dieser Episode stand auch die Taufe des Nachwuchses der Familie Sackbauer an. Der Kleine erhielt den Namen René, worauf Opa Mundl beschloss, den Wurm ab nun ‚Renne‘ zu rufen. Vater Kachlir war sauer. Soviel zum Thema ‚unverhunzbar‘.
Renne landete in der Gastronomie. Er wurde Koch im Hotel ‚Zur kleinen Brust‘, dem ‚Bristol‘, später dann im ‚Zürserhof‘, bevor er als Stewart auf der MS Europa anheuerte. Vom ‚Mundl‘ bis zum ‚Traumschiff‘, ein Katzensprung. Der nächste ergab sich, als 2005 der ‚Stand der Stände‘ im Zentrum der Stadt zum Verkauf angeboten wurde. Die Geografie könnte besser passen, denn schräg gegenüber wurde fünfzig Jahre zuvor im Schloss Belvedere Geschichte geschrieben. Es fehlte nicht viel, und die Herrn Figl, Molotow, Macmillan, Dulles und Pinay ließen sich nach getaner Unterschrift eine ‚Haße‘ schmecken. Renne jedenfalls zögerte nicht lange und unterschrieb ebenfalls. Seither wächst das Imperium. Unter dem prächtigen Namen ‚Zum scharfen René‘ schreibt Hr. Kachlir jr. Stadtgeschichte. Auch die Namen seiner Kunden können sich hören lassen: Von Weck bis Schubeck, von Niavarani bis Tim Mälzer, sie alle drängten schon um den Kessel. Der Würstlhaubenkoch versteht sich eben nicht nur aufs Brühen, sondern auch aufs ‚Klappern‘, er ist ein erstklassiger Vermarkter seiner selbst. 
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Im Reich der Burenhaut
Das Erfolgsrezept scheint einfach: „Wenn die Wurst glücklich ist, ist es auch der Kunde. Unabdingbar dafür ist natürlich qualitätsvolles Brät, verfeinert mit dem Besten vom Duroc-Schwein.“ Der Name steht für großes Tennis. „Und die Hülle?“, frage ich. Herr Kachlir redet sich warm: „Die hochwertigste Wursthaut ist der Dünndarm des Schafes, der ‚Saitling‘. Knacken muss es, wenn man in die Wurst beißt. Das ist das Wesentliche.“ Noch ein Geheimnis gefällig? In der Käsekrainer des Meisters wird das Beste heimischer Fromagerie verarbeitet: Der Zillertaler Bergkäse. Und dann raunt mir der fröhliche Wurstunternehmer sein Credo ins Ohr: „Im Kessel köchelt nicht Wasser, sondern Rindssuppe, nebst der Opferwurst.“ „Opferwurst?“, frage ich Ahnungsloser. „Eine Wurst, die ausschließlich dem Gout ‚geopfert‘ wird. Soll die Wurst nach Wurst schmecken, muss das auch die Flüssigkeit tun, in der sie brüht. Logisch, nicht?“ 
Und dazu macht der Scharfe René seinem Namen alle Ehre. Denn neben der Wurst am Tatzerl liegt das Beiwerk eigener Manufaktur: Chili-Saucen, von mild bis Hölle. Die Rohstoffe kommen aus der ganzen Welt. Aus der Karibik stammt der ‚Scotch Bonnet‘, der mit seinen hundertfünfzig bis dreihunderttausend Scoville, dem internationalen Schärfe-Gradmesser, zu den weltweit heißesten Geschmäckern zählt. Im Sortiment findet sich neben dem mexikanischen ‚Habanero Red Savannah‘ (fünfhunderttausend Scoville) als Krone der konsumierbaren Schärfe die nordindische ‚Bhut-Jolokia-Schote‘ mit über einer Million Scoville. Da allerdings brennt das Besteck.
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Der Ritterschlag
Zum Abschluss unseres Gespräches zwänge ich mich selbst in die Bude und mir ist, als wäre ich in eine Ritterrüstung verschweißt: In den Kesseln wabbeln, nebst der ‚Opferwurst‘, die fetten Köstlichkeiten, vor mir, feinsäuberlich beschriftet und in Griffnähe, warten die Chili-Saucen, die Ingredienzen der Hölle, rechts von mir der Brotwecken und die Senfmaschine, hinter mir hängen hunderte Promis an der Wand, linker hand steht der ‚Gedenk-Altar‘ des Renne-Vaters (auch er ist stets mit von der Partie), und, nicht zu vergessen, lacht mich Backe an Backe das Original, der Philosoph der Würste höchstpersönlich, an. „Wie wird man, was du bist?“, frage ich ein bisschen neidvoll. Und was antwortet der scharfe Herr Philosoph darauf? „Das Leben legt dir täglich zwei goldene Blätter zu Füßen. Du brauchst sie nur aufzuheben.“ 
Es ist elf. Der Rollbalken hebt sich, davor wartet eine Schlange Hungernder. Keine Sorge, liebe Freunde, euer ‚Flamoh‘ (wienerisch für: ‚Heißhunger‘) wird auch heute gestillt werden! Und wem es doch zu lange dauert, der begebe sich zum Billa ums Eck‘. Dort nämlich gibt’s den, vom ‚Falstaff‘-Magazin zum ‚Besten Würstler Wiens‘ ausgezeichneten René seit neuestem auch zum Mitnehmen. So etwas hat vor ihm noch keiner aus der Branche geschafft. Weil Wurscht in Wien keineswegs wurscht ist.
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Schärfe aus aller Welt
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schottisreisetagebuch · 3 months
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Von Herz zu Herz
Zum 700. Todestag von Marco Polo – Gefühl ist oft die verständlichere Sprache als Worte.
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Opa und Enkerl
Wie oft schon habe ich mich mit Menschen unterhalten, deren Sprache ich nicht gesprochen habe. Und doch habe ich sie verstanden. Auf Reisen ist das völlig normal. Menschen erzählen einander von ihren Welten. Mit Händen und Füßen. Mit Gesten, Mimik, Tonfall. Worte können lügen, Augen nicht. Lachen ist ansteckend. Es öffnet Türen, Welten.
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Das Lächeln in Südostasiens Straßen
Über das Verstehen
Die Sprachbarriere ist oft nur dann unüberwindlich, wenn man sich nicht verstehen will. Dann braucht es Übersetzer, Vermittler. Wortgebirge schichten sich auf. Kauderwelsch. Wie einfach aber ist es, versucht man einander zu begreifen. Blicke, gemeinsames Erleben, Emotion. Es ist wundersam, wie gut man sich unterhält, ohne Worte zu benutzen. Und es ist erstaunlich, was man dann doch versteht. Neben trennender Sprache besteht das Leben auch aus einender Fantasie.
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In Vietnam
Menschen begreifen einander besser, als uns Politiker oftmals einzureden versuchen. Das Lächeln der Fischer in Thorshavn auf den Färöer-Inseln, das Geschnatter junger Mönche am Ufer des Inle-Sees in Zentralburma, das der Marktfrauen im Alten Viertel von Hanoi, die Stille der Wüstenstadt Jaisalmer und das Tosen der Nordsee während der Überfahrt von Cuxhaven nach England – dies alles erzählt Geschichten, die nur der zu begreifen vermag, der zu hören versteht. Marco Polo hat es uns vorgemacht. Er ist dem Fremden zweifellos mit Verständnis begegnet. So hat er überlebt. Bis heute.
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schottisreisetagebuch · 3 months
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Schritt für Schritt
Zum 700. Todestag von Marco Polo – Eines der Hauptmerkmale richtigen Reisens ist wohl die Bedächtigkeit und die Courage, den Augenblick wahrzunehmen.
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Gelassenheit ist auch auf den Straßen Vietnams nötig
Die Begriffe „Gelassenheit“, „Mut“ und „Weisheit“ stehen in nahem Verwandtschaftsverhältnis. Man braucht Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die man nicht ändern kann. Man braucht Mut, Dinge zu ändern, die zu ändern sind. Und man braucht Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Über die Gelassenheit
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Straße in Vietnam
#Erst die Langsamkeit des Reisens ermöglicht das Verständnis für vermeintlich fremde Kulturen. Nie aber sind es die Hits oder Highlights, Must-sees und Must-haves, nach denen ich Ausschau halte. Mich interessiert Regionales.
Die jahrzehntelange Handelsfahrt Marco Polos hat dem Abenteuer eine neue Dimension beschert. Sie wirkt bis heute. Reisen bedeutet nicht in ein Flugzeug zu steigen, um es innerhalb weniger Stunden möglichst weit weg von zu Hause wieder zu verlassen. Reisen ist der Weg zu Ungewohntem, zu Neuem.
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Gelassenheitsübungen
Der Tourist unterscheidet sich vom Reisenden darin, dass der eine darunter leidet, dass nichts so ist, wie er es gewohnt ist, während der andere es als Glück empfindet, die Welt auf den Kopf zu stellen. Erst die Unbequemlichkeit verschwiegener Hotels, der Schmutz der Hinterhöfe, der Gestank von Müllhalden und die Enge überfüllter Züge Südostasiens haben mir die Welt nahegebracht. Ein ums andere Mal bin ich aufgeregt, erneut meinen Rucksack packen zu dürfen, um die Welt in all ihrer Vielfalt zu entdecken. Schritt für Schritt.
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schottisreisetagebuch · 3 months
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Die Sinnlichkeit des Reisens
Zum 700. Todestag von Marco Polo – Unter Reisen verstehe ich das Aufspüren unbekannter Plätze, versunkener Landschaften, vergessener Bräuche und – die Suche nach Menschen und ihren Geschichten.
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National Kandawgyi Botanical Garden
Das übermütige Lachen burmesischer Frauen, die Zufälligkeit eines Dialoges inmitten brennender Menschenleiber auf den Scheiterhaufen am Ufer des Ganges, die Rufe der Halbwüchsigen am Nachtmarkt von Hanoi, das ferne Grollen eines aufziehenden Unwetters inmitten der Nordsee – Geschichten, die nur der versteht, der zu sehen und zu hören vermag.
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Pyin U Lwin, Shan market
Über das Erzählen von Geschichten
So leidenschaftlich ich mein bisheriges Leben auf der Bühne verbracht habe, so gewissenhaft trachte ich heute den Worten des deutschen Philosophen Martin Buber zu genügen: „Das Alter ist ein herrlich‘ Ding, wenn man nicht vergessen hat, was Anfangen heißt.“
Nie habe ich mich mit etwas anderem beschäftigt, als Geschichten zu erzählen. Ausgedachte Geschichten, fantastische Geschichten. Nun sind sie real. Marco Polo hat im fernen China am Hofe des Kublai Khan gelebt. Lange. So unterschiedlich meine Reisen auch waren, meine Neugier auf fremde Länder und meine Freude über Unerwartetes bleibt doch immer die gleiche.
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Mandalay, Shan Volk
Ich möchte ein Land verstehen können, begreifen, im wahrsten Sinne des Wortes. Das Wesentlichste aber ist und bleibt die Begegnung mit Menschen. Ich möchte essen, was man isst, lachen, worüber man lacht, und staunen, worüber man staunt. So erfahre ich Leben und entdecke Geschichten.
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schottisreisetagebuch · 3 months
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Wie immer war mein Besuch in Willkommen Österreich mehr als amüsant, deshalb bin ich auch immer gerne bei Grissemann und Steermann zu Gast. Oben könnt Ihr "meinen Block" ansehen. Wenn Ihr die ganze Sendung sehen möchtet, dann bitte einfach hier draufklicken.
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schottisreisetagebuch · 3 months
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Die Kraft des Fremden
Zum 700. Todestag von Marco Polo – Heutzutage können wir uns mit Menschen aller Länder mittels der Nabelschnur Internet unterhalten.
10. Jänner 2024, 7.00 Uhr
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Rangoon, abseits der Hauptstraße
Wir geben uns als Weltbürger, werden aber zu Kleinhäuslern, wenn sich Menschen aus anderen Welten bei uns niederlassen. Dank der Globalisierung reisen wir wie Nomaden, dennoch bestehen wir auf unsere Grenzen. Touristen sind willkommen, man verdient an ihnen. Menschen vom Boot will man rasch wieder loswerden. Am besten man baut Zäune. Wo? Weit weg. Wie hoch? Bis über den Verstand. Selbst intelligente Menschen verfangen sich oft im Maschendraht ihrer Vorurteile.
Über Respekt
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Bubenmönche in Hispaw
Reisen überwindet Barrieren. Fantasie und Neugier bauen Brücken. Was übrigens auch Bildung und Kunst tun. Kunst kann durch Vermittlung von Kulturen Räume schaffen, die angstfrei sind. Herz und Emotion ist oft die verständlichere Sprache als Worte. Eine Vision. Aber Visionen sind dazu da, um den Verstand aus der Deckung zu locken. Respekt und Anerkennung könnten es möglich machen, den Schritt zu wagen, um einander mit unseren Welten vertraut zu machen.
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Im Tempel von Jaipur
Die Abenteuer des Marco Polo haben es uns vorgemacht – zu einer Zeit, in der die Fremde tatsächlich noch fremd war. Heute dauert ein Flug von Venedig nach Peking nicht mehr als zehn Stunden. Fremd sein bedeutet längst nicht mehr, fremd zu bleiben. Die Welt wäre eine andere, respektierten wir Gesetze, Sitten und Bräuche des Gastlandes. Könnten wir doch mit dem Herzen denken.
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schottisreisetagebuch · 4 months
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DIENSTAG, 9.1.2024, MICHAEL SCHOTTENBERG
Das Große im Kleinen
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Reisebeginn
Zum gestrigen 700. Todestag von Marco Polo – Auf Reisen verwandeln sich meine Gedanken zu winzig kleinen surrealen Zeichen, die keiner außer mir zu entziffern vermag.
Gedanken für den Tag 9.1.2024 zum Nachhören (bis 8.1.2025)
Eine Unmenge davon kritzle ich auf leere Tagebuchseiten. Dies ist zu meiner Leidenschaft geworden. Zu berichten von scheinbar Unbedeutendem kann spannend sein, setzen sich doch all die funkelnden Mosaiksteine, der Flügelschlag eines Schmetterlings oder die Flüchtigkeit eines Gedankens zu einem Gesamtbild zusammen.
Über das Anhalten von Zeit
Ich begegne einem fremden Land als studierte ich ein Gemälde, als reiste ich in einem Fesselballon über ein Land voller Mystizismen und Geheimnissen. Neugierig blicke ich hinter Verborgenes, nichts anderes im Sinn, als all die unscheinbaren Bruchstücke wie einen Schatz zu hüten, aus dessen Vielfalt sich eine wunderbare Welt des neuen Seins zusammensetzt.
Lässt sich Reisen nicht auch als „Erkennen des Augenblicks“ beschreiben? Verweile, Wanderer, und betrachte: Die Schönheit einer Landschaft, die Harmonie des goldenen, architektonischen Schnittes Jahrhunderte alter Baukunst, das Zusammenspiel von Farbe und Licht, die Fröhlichkeit und die Lebenslust der Menschen?
Und suchte Marco Polo das Erfahren neuer Welten, so begnüge ich mich mit jenem Abenteuer, das es lohnt, alle Mühen in Kauf zu nehmen: Die Rückkehr zu mir selbst. Womit ich zu guter Letzt am Beginn meiner Reise angelangt bin.
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schottisreisetagebuch · 4 months
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Von der Entdeckung der Welt
Zum heutigen 700. Todestag von Marco Polo – Vierundzwanzig Jahre dauerte die Weltreise Marco Polos, über die Seidenstraße bis nach China, und wieder zurück nach Venedig.
Meine Reisen dauern nur ein paar Wochen lang. Und doch kommen sie mir wie kleine Ewigkeiten vor. Waren die Karawanen der ersten Orient-Fahrer bepackt mit Tausch- und Handelswaren, trage ich nicht mehr als einen Rucksack am Rücken, eine Kamera in der Hand und eine große Portion Courage im Herzen.
Ballast – Über das wenige Wichtige
Michael Schottenberg ist Schauspieler, Regisseur und Reiseschriftsteller
Ballast abzuwerfen und nur mit dem Nötigsten zu reisen, ist befreiend. Das Abenteuer, auch das der Beschränkung, kann beginnen. Die wichtigsten Requisiten meiner Reisen sind Block und Bleistift. Mit ihnen halte ich meine Beutezüge fest: Die Begegnungen mit Menschen und ihrer Kultur.
Ein Gutteil der Faszination des Reisens ist der Tatsache geschuldet, dass ich alleine unterwegs bin. Die Anstrengung, dass kein Tag dem anderen gleicht, erhöht das risikoreiche Spiel. Es ist spannend, sich einer Welt zu stellen, mit nichts anderem im Gepäck, als sich selbst. So erobere ich Neuland, mit all seinen Sinnen. Und kamen die tapferen Asien-Reisenden um Signore Polo beladen mit Gold, Teppichen, Seide und Porzellan zurück, trage ich meine Erlebnisse im Herzen.
Vielleicht bin ich ja auch nur deshalb ein Leben lang unterwegs, um jenen jungen Kerl wiederzufinden, der ich einmal war – oder den, der ich immer sein wollte. Getroffen habe ich beide. Ein ums andere Mal.
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schottisreisetagebuch · 4 months
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Von Kirchen, Klöstern, Kathedralen
Bulgarien zum Niederknien
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Alexander Nevski Kathedrale
Das Kloster Rila
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Das Rila Kloster
Inmitten von Braunbären, Blaubeeren, Raubvögeln und Wölfen, im wirtlichen Wald in der Gegend um Rila, heutzutage zwei Autostunden von Sofia entfernt, vor tausend Jahren abseits der Welt, lebte einst der Eremit und Mönch Ivan Rilski. Bewundert und befeindet von den Menschen umliegender Gehöfte, fristete er ein karges Leben, das hauptsächlich aus Gesprächen mit Gott bestand, später aus dem Heilen Kranker.
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Die Magie der christlichen Kirchenkunst
Bald schon sprach sich die Kunde seiner heilsbringenden Konsultationen herum. Kranke wurden gesund, Siechende fanden zum Leben zurück. Aus anfänglicher Ablehnung wurde Bewunderung, Anbetung. Auch Majestäten fanden den Weg in den Wald. Das heilsbringende Mönchlein wurde landesweit bekannt. Legenden sprechen sich schnell herum und werden zur Wahrheit – so man dran glaubt. Und das taten die Bewohner rund um Rila. Die Kunde sprach sich kreuz und quer im Karpatenlande herum. I, Laufe der Jahrhunderte geriet die Klause zum geistlichen, kulturellen Zentrum des bulgarischen Balkans.
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In anderen Welten
Weder die Osmanen, noch die Griechen, schon gar nicht die Nationalsozialisten oder Kommunisten konnten das im Wald versteckte Kloster dem Erdboden gleichmachen, obwohl sie allesamt nicht unbeträchtliches Interesse daran hatten. Das Corpus delicti übertauchte Brand und Brandschatzung. Nicht mal die Kreuzfahrer der Neuzeit, die Touristenmassen, können dem prachtvollen Kulturschatz an den Kragen. Allerdings – die Besatzung des geschichtsträchtigen Klosters, einstmals rund vierhundert Pax, schrumpfte im Laufe der Zeit dramatisch. Heute leben nur mehr sieben Aufrechte hinter den immer noch frommen Mauern. Sogar das Umfunktionieren der Mönchszellen zu preisbrecherischem Airbnb-Angebot schmälert die christlich-orthodoxe Bedeutung der Klosteranlage nicht. Wer frei von weltlicher Begehrlichkeit ist, der werfe den ersten Stein. Auf jenen Frommen freilich wartet man hier schon seit langem vergebens.
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Der prächtige Säulengang
Kirche der Sieben Heiligen
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Kirche der sieben Heiligen
Eine ganz andere Geschichte erzählt das Gotteshaus der Sieben Heiligen, nahe dem Slaveykov-Platzes, Ecke Graf-Ignatiev-/Ecke Ivan-Shishman-Straße. Die schöne Kirche ist zwei Männern geweiht, deren Wiege in Thessaloniki stand und die ihr Leben der christlichen Missionierung slawischer Völker weihten, im neunten Jahrhundert kein leichtes Unterfangen. Die beiden Brüder Konstantin und Michael machten Karriere: Sie wurden zu verehrungswürdigen „Slawenaposteln“ und Heiligen – und entwickelten ganz nebenbei die glagolitische Sprache und die kyrillische Schrift. Man hat ihnen ein würdiges Angedenken gewidmet. Das Denkmal der beiden Pioniere in Sachen Christentum und Buchstaben, Kyrill und Method, hat einen würdigen Platz. Es steht vor der imposanten Nationalbibliothek. So wachen die Beiden für alle Zeiten über Millionen von Büchern. So soll es sein.
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Kyrill und Method
Basilika Sveta Sophia
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Basilika Sveta Sophia
Vor dem roten Backsteinbau einer der ältesten Kirchen Osteuropas, steht ein erstaunliches Monument. So ehrwürdig alt das Gotteshaus auch ist, es datiert bis in frühchristliche Zeit zurück, so jung ist das Standbild von Zar Samuil, seines Zeichens einer der letzten Könige des 1. bulgarischen Reiches – wurde es doch erst im Jahre 2014, hier, auf geweihter Erde errichtet. Der unerschrockene Krieger Samuil bestritt unzählige Gefechte gegen das damals übermächtige Byzanz, die Metropole Ostroms. Vierzig lange Jahre währte die kriegerische Auseinandersetzung um Macht und Einfluss. Der tapfere Zar gewann und verlor. Die entscheidende Schlacht fand im Südwesten Bulgariens, an der Grenze zu Griechenland statt. Fünfzehntausend seiner Krieger wurden gefangen genommen und ihres Augenlichtes beraubt. Als Geblendete kehrten sie zu ihrem geschlagenen König zurück. Beim Anblick der Blinden soll Samuil einen Schlaganfall erlitten haben, an dessen Folge er starb. 
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Die Augen des Zar Samuil
Der Künstler, der seine Statue schuf, hat dem bronzenen Zar ein Augenpaar verpasst, das in der Dunkelheit leuchtet. Manche Sofioter empfinden dies als Kitsch, andere als Kunst. Gewiss ist eines: Hätte Samuil zu Lebzeiten einen solch scharfsichtigen Durchblick gehabt wie sein erkaltetes Ebenbild, seinen Soldaten wäre einiges erspart geblieben.
Der lächelnde Christus
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Der lächelnde Christus
Am Hügel der Schönen, Reichen und Korrupten, im Stadtteil Boyana am Fuße des Vitosha Gebirges steht ein äußerlich unscheinbares Gotteshaus, das es, im wahrsten Sinne des Wortes, in sich hat. Die vielfach erweiterte Kirchebeherbergt die wohl schönsten Fresken, die ich jemals zu Gesicht bekam. Inmitten eines exotischen Gartens steht die Trouvaille. Das Außergewöhnliche ist, dass die hier dargestellten Herrscher und Heiligen keineswegs idealisiert, sondern naturgetreu dargestellt sind. Selbst Jesus Christus trägt die Züge eines anmutigen Teenagers. Ich hätte nicht gedacht, dass ich Gottes Sohn je so ansichtig werde. Seine Gestalt ist schlank, in der Linken hält er eine Schriftrolle, die Rechte greift sich ans Herz, der etwas weltfremde Blick ist fragend, zweifelnd – beinahe lächelnd. Allein des Ausdruckes auf dem Antlitz des Allergnädigsten wegen hat sich der Ausflug gelohnt.
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Boyana Kirche
Im Angesicht dessen vergesse ich jegliche frömmelnde Überlieferung, jedes gutgemeinte, allzu konservative Dogma. Hier ist ein Mensch abgebildet, wohl ahnend, welches Los ihm beschieden ist. Natürlich herrscht in dem winzigen Innenraum strengstes Foto-Verbot, das raunt mir mein (hier unerlässlicher) Guide ins Ohr. Ich nicke. Er fragt, ob er sonst noch etwas für mich tun könne. Ich nicke abermals, positioniere ihn mit beiden Händen so, dass sein massiger Körper die neugierigen Blicke des Kustos verdeckt, sodass ich blindwütig alles abfotografiere, dass mir gerade vor die Linse kommt. Einmaliges darf sich nicht der Begehr meiner Leserschaft entziehen, schon gar nicht der Anblick seiner Heiligkeit, Gott aller Christen, Juden und Protestanten, der Herr allen Lebens. Dann packe ich meine Siebensachen zusammen, verabschiede mich freundlich vom Museumswärter, puffe meinem Führer freundschaftlich in die Hüfte und verlasse schlechten Gewissens den heiligen Ort. Draußen im Garten überprüfe ich das Ergebnis meiner Raubkunst. Was ich sehe, treibt mir die Tränen der Rührung in die Augen. Ein etwa 17-Jähriger blickt mich an: fragend, zweifelnd – beinahe lächelnd.
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Die bemalte Kirche
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schottisreisetagebuch · 5 months
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Liebe und Tod in Indien
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Ein Grabmal der Liebe
Von Agra nach Varanasi
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Stopp
Indien ist ein Land, dessen Schönheit auf der Straße liegt. Die Menschen, die Bahnhöfe, die Krähen in den Parks, die überfüllten Züge, die Kuhherden in den schmalen Gassen, das permanente Hupen der Mopeds und Tuk-Tuks, der Duft von Somosa und Biryani an den Imbissständen, die wilde Jagd der Affenherden über die
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Auf der Straße in Agra
Blechdächer, die Ruhe, die man im Schatten eines Banyan-Baumes inmitten eines Tempels findet, der Singsang der Pilger, die schrillen Fahrradglocken der Dabbawalas, das Kreischen der Besucher eines Bollywood-Kinos, die monotonen »Chai«-Rufe der Teeverkäufer in einem Zug der Indian Railways, das Bellen wilder Hunde, die nächtens die Städte beherrschen, der Geruch nach Patschuli und Weihrauch – das alles versäumt man, wenn man nicht Züge, Busse und Tuk-Tuks benutzt, die Städte nicht zu Fuß erobert und sich nicht der Hitze und dem Staub der Straßen aussetzt, wenn man nicht in billigen, kleinen Hotels absteigt und, das vor allem, wenn man nicht den Kontakt zu Menschen sucht. 
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Ewige Schönheit
Agra
Die Sonne geht über einem der vollkommensten Gebäude der Welt auf. RabindranathTagore hat über den Taj gesagt, er sei eine »Träne im Antlitz der Ewigkeit«. Schönere Worte kann man nicht finden. Die frühe Morgenstunde beließ dem Grabmal seine Würde. Nebelschwaden lagen über dem Fluss. Die eben noch hellgrauen Mauern verfärbten sich in Orange-rot, in Beige, in strahlendes Weiß. Hoch über den Minaretten flogen Schwärme von Dohlen in den Himmel hinauf, umkreisten in weitem Bogen die riesige Kuppel und ließen sich auf den Rasenstücken nieder.
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In der Klasse einer Grundschule in Agra
Trotz seiner gewaltigen Größe ist das Mausoleum von ewiger Schönheit. Shah Jahan ließ es für die Liebe seines Lebens, Arjumand Banu Begum, errichten. Sie starb kurz nach der Geburt des vierzehnten gemeinsamen Kindes. Der Shah war von ihrem Tod so erschüttert, dass er beschloss, ein Grabmal errichten zu lassen, wie es die Welt nie zuvor gesehen hatte und das der Vollkommenheit ihrer Liebe entsprechen sollte. Die Arbeiten dauerten fast zwanzig Jahre. Spezialisten aus ganz Asien wurden herbeigeholt, der Marmor kam aus Rajasthan, die Edelsteine aus Persien, China, Afghanistan und Tibet. Als Jahans Sohn die Macht übernahm, ließ dieser seinen Vater gefangen setzen und im Fort, dem Sitz der Mogul-Herrscher, für den Rest seines Lebens hinter Palastmauern verschwinden. Vom Verlies aus konnte Jahan zur Ruhestätte seiner Geliebten sehen. Den letzten Blick auf den Taj warf er aus dem vergitterten Fenster des Musamman Burj, eines extra für ihn erbauten Aussichtsturms. Hier nahm er endgültig Abschied von der Liebe seines Lebens. Jahan wurde an der Seite seiner Frau bestattet. Seither sind die beiden für immer vereint, in der schönsten Grabkammer der Welt. 
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Sonnenuntergang über Agra
Varanasi
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Varanasi, die Stadt des Todes
Dunstglocke wird sich den ganzen Tag über nicht lichten. Der Rauch der Flammen umfängt die Stadt. Mit wackeligen Beinen betrete ich das Nordufer des Ganges. Zu Fuß nähere ich mich dem Manikarnika Ghat. Von Weitem schieße ich ein Foto. Was vom Boot aus erlaubt war, ist hier tabu. Ein Mann stürzt auf mich zu. Sein Zugriff fühlt sich rau an und kalt. Ich bin viel zu erschrocken, um mich zu wehren. Er zerrt mich zu den Scheiterhaufen und übergibt mich einem Weißgewandeten.
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Rauch steht über den Straßen
Der Mann stellt sich als Leiter von drei Ashrams vor, in denen die Sterbenden auf ihre Erlösung warten. Ich bin in den Fängen des Todes. Die Häuser gleichen hohen, von Karies befallenen Stockzähnen; die vom Ruß der Flammen geschwärzten Fassaden und die Fenster, leere Augenhöhlen eines Totenschädels, entstammen der apokalyptischen Kopfwelt eines Alfred Kubin. Hier liegen die Ärmsten der Armen. Aus den Häusern höre ich Klageschreie. Zwei- bis dreihundert Euro kostet das kostbare Sandelholz im Schnitt. Oben, neben den in den Himmel ragenden Hausmauern, stehen Waagen, die das Gewicht der Sterbenden bestimmen, um die entsprechende Menge an Brennmaterial
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Das Tor zum Nirwana
vorzubereiten. Nur wenige können sich das leisten. Deshalb gibt es Menschen, die für Donationen zuständig sind. Ich ahne Schlimmes, aber ich bin schon viel zu weit vorgedrungen, meine Neugier versperrt mir den Rückweg. Der Mann führt mich an den brennenden Holzstößen vorbei. Ich merke, wie der Boden unter mir nachgibt. Kein Wunder, zwischen den Feuerstellen liegt knöcheltief der Dreck: verwelkte Blumen, Ausscheidungen, Asche. Ich bin wie gelähmt. Dazu ist es mörderisch heiß. In was für eine Welt bin ich geraten?
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Die Todesstadt
Natürlich ist das alles ganz selbstverständlich und nichts anderes als das Leben selbst, nur eben auf eine radikale Art. Darauf sind wir Westler nicht vorbereitet. Eine Kuh drückt mich nahe an eines der Feuer, ich weiche aus und stoße mit einem Wäscher zusammen, der einen nackten Mann aus dem Fluss zerrt. Die Toten werden auf einem Gestell aus Bambusstangen herangeschafft. Ausschließlich männliche Anverwandte nehmen an der Zeremonie teil, Frauen sind nicht zugelassen. Mit Stroh entzündet der Erstgeborene den Holzstoß, die Flamme holt er sich aus einer Mauernische oberhalb des Ghats.
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Die Verbrennung
Seit Jahrhunderten wird hier die Ewige Feuer gehütet. Fünfmal muss der Tote umrundet werden, sinnbildlich für die Elemente Feuer, Wasser, Erde, Luft und Seele. Die Flammen lodern, jetzt übernimmt das Personal. Die Angehörigen betrachten das Spektakel aus angemessener Entfernung. Der Verstorbene wird in nicht mehr als drei Stunden zu Asche verbrannt sein. Das muss er auch, der nächste Klient wartet schon. Am nächsten Tag füllen die Verwandten die Asche in einen Krug und überantworten sie dem Ganges. Das Paradies steht offen. Die grausame Selbstverständlichkeit der Zeremonie beeindruckt mich. Das Unvermeidliche hat zu geschehen. Die Sonne steht vermutlich schon hoch oben am Himmel. Über den Häusern dicke Rauchwolken. Heute bin ich zu Gast auf der anderen Seite der indischen Hemisphäre. Wenn man all das Schöne erleben möchte, muss man auch das Gegenteil ertragen. Incredible India.
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Der Erleuchtete
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schottisreisetagebuch · 5 months
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Der andere Raum
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Der andere Raum
Der Trauerredner Carl Achleitner, Maurer Friedhof, Friedensstraße 16, 1230 Wien
Also fahre ich hinaus nach Mauer, wo man im Sommer gerne ein Gläschen trinkt oder zwei und inmitten der hochgezogenen Weinreben der Buschenschenken hockt - dort wo die gute Laune zu Hause ist und das schnelle Vergessen. Heute aber, heute habe ich anderes vor. Friedensstraße heißt mein Ziel. Was für eine trostspendende Adresse für ein ummauertes Stück Land, in dem die Verstorbenen aus dem Süden Wiens ihre letzte Ruhe finden. Der Sechziger fährt von der Kennedy-Brücke geradewegs zum Totenort. Die vielbefahrene Brücke trug schon so manchen Namen, ihren aktuellen erhielt sie zum Angedenken an jenen jungen, charismatischen Präsidenten Amerikas, die Lichtgestalt der frühen Neunzehnsechziger Jahre, der in Wien die sowjetische ‚Kanonenkugel‘ Nikita Chruschtschow zu entschärfen versuchte. Im ‚Kalten Krieg‘ war das heiße Kuba zum Epizentrum des Gefahrenherdes geworden.
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Der Trauerredner
Am Samstag, den 23. November 1963, zwanzig Stunden nachdem in Dallas drei Schüsse fielen, hielt mein Vater an einem kalten Wintermorgen vor der Stadtbahnstation Schönbrunn, nicht weit entfernt von der damals noch ‚Hietzinger Brücke‘ benannten Wienfluss-Traverse. Der Bub sprang aus dem Wagen und griff nach der Zeitung, die an diesem Tag als Sonderausgabe verteilt wurde. Der Express titelte ‚Funkbildbericht – Kennedy ermordet!‘ Die Nachrichtenkanäle krochen damals noch im Schneckentempo dahin. 
Die Straßenbahn schaukelt mich in Richtung Rodaun. Heute ist es ähnlich kalt wie damals, als der Elfjährige mit der Zeitung in der Hand zu seinen entsetzten Eltern ins Auto hüpfte, während der Vater aufs Gas stieg und die Mutter mit leiser Stimme die Neuigkeiten vorlas, die die Welt in Richtung Abgrund führten. 
An der Friedensstraße verlasse ich die Bim und schlendere an jener Mauer entlang, die das Reich der Toten von dem der Lebenden trennt. Raben schnarren ihr ewig gleiches Lied und aus den umliegenden Baumwipfeln klingen die Antworten ihrer Artgenossen wie düstere Rufe aus dem Jenseits. Die Äste sind heute gut besetzt, als hätten sie über Nacht dunkle Schwingen bekommen. Ich durchstreife einen Gang in der ‚Sechsten Abteilung‘. Ein Hilfsarbeiter ist gerade damit beschäftigt einen Haufen Lehm neben einem offenen Grab abzusichern. Er legt die Schaufel zur Seite, zündet sich eine Zigarette an und starrt hinunter in die akkurat ausgehobene Grube. 
„Wie tief?“, frage ich. „Geht so“, sagt er. Früher hat er das mit der Hand geschaufelt, heute macht die Arbeit ein Bagger. Der Mann scheint meine Gedanken zu erraten. „A klana.“ Er deutet missmutig auf das Fahrzeug, das mich mit seinen amphibienartigen Auslegern an einen Wasserläufer erinnert. „Wieviel?“, frage ich und blicke ins Grab hinunter. „Vier. Und a paar Urnen.“ Hier ist Platz für eine ganze Familie. Ich schieße ein paar Fotos von der Totengräbermaschine und wende mich dann wieder der Grube zu. „Anverwandter?“, fragt er. „Nein“, sage ich. Die Antwort schmeckt ihm nicht. Orte wie diesen besucht man nicht ohne Grund. Ich möge mich gefälligst ‚schleichen‘ und anderswo meine Fragen stellen, meint er unwirsch und wuchtet ein paar Querbalken neben das Grab, das Absenkgestell braucht Halt. Ich ‚schleiche‘ mich also, um meine Fragen anderswo zu stellen. Weiter vorne bleibe ich stehen und blicke zurück. Er fuchtelt mit der Schaufel. „Verschwind‘!“, ruft er. Und das tue ich jetzt auch. 
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Der letzte Weg
Vor der Aufbahrungshalle hält ein Wagen. Blank polierte Schuhe setzen auf dem Kiesweg auf, in ihnen steckt ein ernst drein blickender Mann, der Star unter den Trauerrednern der Stadt. Die Autotür klackt sanft ins Schloss, lässig kommt der ‚fesche Zapfen‘, wie man hierzulande sagt, näher. Sein Gesicht erinnert an einen Filmstar. Carl Achleitner ist tatsächlich ausgebildeter Schauspieler, seit neuestem hat er auch mit der Schriftstellerei begonnen. Für seinen Erstling hat der Mann, der vornehmlich mit dem Tod beschäftigt ist, einen überraschend lebendigen Titel gewählt: ‚Das Geheimnis eines guten Lebens‘. Ich habe mir das Buch im Vorfeld besorgt, der Text hat mir Einblick in eine Welt gewährt, die mir fremd war, die, der professionellen Trauer. „Weshalb sollte der Tod nicht auch eine heitere Seite haben?“, sagt Herr Achleitner und sieht mich stirnrunzelnd an. 
Es ist neun Uhr morgens und wir sitzen in einem kleinen, notdürftig geheizten Raum neben der ‚Aufbahrung‘, indes sich die Trauergemeinde drüben nach und nach versammelt. „Von der Bühne zum Sarg, das verdanke ich meiner Frau.“ Der Satz könnte aus einem der coolen 007-Drehbücher stammen. „Wir hatten uns bei den ‚Letzten Tagen der Menschheit‘ kennengelernt.“ Er senkt seine Stimme und ich denke, er könnte wunderbar Daniel Craig synchronisieren oder umgekehrt. Auch der junge Roger Moore wäre seine Stimmbandweite. Carl, wir sind bereits per Du, kaut die Worte bedächtig, er ist es gewohnt vor Publikum zu stehen. Über zweieinhalbtausend Trauerreden hat er schon gehalten, flüstert er mir zu und das bedeutet, dass er in seinen neun Dienstjahren täglich zumindest eineinhalbmal gesprochen hat. Beeindruckend. So viel Text können die Herren James-Bond-Darsteller in dieser Zeit nie und nimmer gesprochen haben. „Hochzeitsreden waren auch dabei?“, frage ich. „Nein. Zu traurig“, sagt er und blickt mich an, als wäre er der Clown Grock. Oder ist es doch Pierce Brosnans Nespresso-Gesicht? Ich lächle für den Fall, dass es scherzhaft gemeint war, und dann erzählt er, weshalb er macht, was er macht. „Ich möchte den Hinterbliebenen eine möglichst angenehme Erinnerung an ihren großen Tag schenken.“ Klingt leichter als es ist, denke ich. „Die Verstorbenen verlassen uns ja nicht, sie befinden sich nur einem anderen Raum. Mit Sicherheit aber sind sie um uns herum. Und das bleiben sie auch. Für immer.“ 
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Der Maurer Friedhof
Die Stimmen draußen werden lauter. „Sind Sie nervös?“, frage ich. ���Das bin ich immer“, sagt er, „Ich habe ja keinen festgelegten Text wie die Kollegen vor der Kamera. Ich schreibe ja jede Zeile selbst, also trage ich auch die Verantwortung. Versprecher sind verboten und die Namen müssen stimmen. Für kurze Zeit bilde ich mit den Hinterbliebenen eine Übereinkunft: Ich spreche das aus, wozu sie auf Grund ihres Schmerzes nicht in der Lage sind. Für die Momente der Trauer gehöre ich zur Familie. Ich vermittle zwischen ihnen und dem Verstorbenen. In der Regel bereitet sich der Sterbende ja auf seine Reise vor und erlebt den Abschied als Erlösung. Für ihn ist Trauer keine Kategorie. Im Gegensatz zu seiner Familie. Also versuche ich Leichtigkeit in die schwere Stunde seines Abschiedes zu bringen.“ „Ist es ein Abschied?“, frage ich. „Der Tod meint es gut mit dem Neuankömmling, vermutlich empfindet er ihn als eine Art Erlösung“, sagt er und erhebt sich. Ich frage, ob er gläubig ist. „Nein“, sagt er, „das einzige woran ich glaube, ist das Gute im Menschen. Wenn ich erreiche, dass die Trauernden nach der Verabschiedung mit erhobenem Kopf ins Leben hinaustreten, habe ich es richtig gemacht. Wie oft sagten mir Freunde, ich möchte meinen Job möglichst lustig gestalten, wenn es bei ihnen soweit ist. Daran denke ich, ohne es auf die leichte Schulter zu nehmen.“ Welche Verabschiedung er sich selbst wünscht? „Und tschüss!“, sagt er und blickt auf die Uhr. Bevor Herr Achleitner den Raum verlässt, wirft er noch einen Blick in den kleinen Wandspiegel, atmet tief ein, zwinkert sich selbst zu und sagt kaum hörbar: „Und tschüss.“ 
Drüben ist der Saal ‚bereit‘. Die kleine Trauergemeinde sitzt auf ein paar wenigen Stühlen und blickt scheu auf den, mit Kerzen umstellten Sarg. Verabschiedungen fühlen sich kühl an. Niemand weiß wohin mit sich, die Nähe des Todes macht befangen. Manche der Trauernden halten einander an den Händen. Der Trauerredner nickt dem ‚Herrichter‘ zu, so wird der Zeremonienmeister des Todes genannt, und der drückt auf einen Knopf. Musik. An den Sarg sind zwei Kränze gelehnt. Auf einer der beiden Schleifen steht: ‚Unvergessen und beweint. Gattin‘. Schlichter kann man‘s nicht ausdrücken. 
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Carl Achleitner, der Filmstar
Auftritt Sir Carl. Er schreitet den Mittelgang entlang, verneigt sich vor dem Toten, dann wendet er sich den Lebenden zu. Die Pause vor dem ersten Wort ist so entscheidend, wie jener Moment, da sich im Theater der Vorhang hebt. Sein Blick ruht auf den Hinterbliebenen und, man glaubt es kaum, er lächelt. Dann spricht er über den Verstorbenen, über seine Vorlieben, die Stärken, die Schwächen und es klingt, als wäre er seit langem mit ihm bekannt gewesen. Ein Freund, der keineswegs verstorben ist, einer, der mithört, mitlächelt. Die Angehörigen nicken mit den Köpfen. Die Gattin weint. Auch ich bin ergriffen. Herr Achleitner hat mit aller Selbstverständlichkeit, mit allem Respekt ausgesprochen, was alle denken. Der Verstorbene ist in einen anderen Raum gegangen. So simpel. So wahr. Andrea Bocelli singt ‚Time to say Goodby‘. 
Der Trauerredner mit dem Filmschauspielergesicht blickt die Hinterbliebenen an, sie blicken ihn an, er blickt zu mir, nach hinten in die letzte Reihe und - er lächelt. Oder bilde ich mir das nur ein? Dann verlässt er die Aufbahrungshalle. Jetzt weiß ich, woran mich sein Gang erinnert: An jene Filmszene, in der Sean Connery über das Rollfeld schreitet, direkt auf die Maschine mit der Aufschrift ‚United States‘ zu, die Gangway hinauf schlenzt, um gleich darauf in einen weißen Lederstuhl zu sinken.  Triebwerke heulen auf, James Bond lächelt in die Kamera. Hinter ihm steht - Goldfinger. Jetzt erst löse ich mich von meinem Platz und blicke nach draußen. Die Limo rollt auf das große Tor zu und biegt in die Friedensstraße ein. 
Reihe sechs. Ein letztes Mal einmal gehe ich am offenen Grab vorbei. Noch ist es leer, der Raum nebenan aber ist schon bezogen. Der Totengräber steht da und hält seine Schaufel in der Hand wie ein Paddel, als wäre er der Fährmann, der den Reisenden über den Fluss Styx ins Reich der Unterwelt übersetzt hätte. Feindselig blickt er mich an. Ich sage: „Ich gehe jetzt.“ „Wiederschau‘n“, brummt er mit heiserer Stimme. Aus seinem Mund hört es sich an wie eine Drohung. 
Es ist bitterkalt. Die Krähen rufen ihr Lied von Baum zu Baum. Eine Glocke weist den Trauernden den Weg zum Grab. Schlussklappe. Drehschluss.  
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schottisreisetagebuch · 5 months
Text
Die Wiege Siams
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Wat Pho
Bangkok backstage
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Wat Pho
Die Welt Buddhas
Der Wat Pho ist Thailands ältester und größter Tempel – ihm einen Besuch abzustatten gehört zum Pflichtprogramm der ersten Besichtigungstage. Den Begriff „Wat“ mit „Kloster“ zu übersetzen greift zu kurz, und ist auch falsch. In jeder thailändischen Stadt fungiert ein Wat als Zentrum buddhistischen Lebens. In Bangkok stehen ganze 400 Stück herum. Finanzieren tun es alle. Arme, reiche, bedürftige, begüterte – vereint der Wat doch Grundschule, Spital, Gemeinschaftsräume, Altenheim, Versammlungszentrum und Unterkunft für Mönche und Adepten. Oft gibt es auch medizinische Anwendungen, wie Massage oder soziale, wie die Behandlung von Drogensüchtigen oder gar Sterbebegleitung. Der von einer Mauer umgebene Tempelbezirk beherbergt verschiedene Gebäude. Mittelpunkt der Anlage ist meist ein mächtiger Baum. Buddha selbst soll unter einem Bodhi-Baum meditiert haben.
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Wat Pho
Ergebnis ist die von ihm entwickelte und gepredigte Lehre. Buddhismus ist keine Religion, es ist Philosophie. Zentrales Element ist die Meditation, aus der Wissen und Erfahrung weitergegeben wird. Die Lehre begründet sich aus umfassenden philosophischen Gedanken und Geboten bezüglich Lebensführung. Kein Gott steht dafür zur Verfügung, vielmehr ein Lehrer. Der Wat Pho ist wohl einer der prächtigsten Tempel seiner Art. Gegenüber dem benachbarten „Großen Palast“ herrscht im Gebäudekomplex eine gelöste, ja heitere Stimmung. Mit der Bekleidungsvorschrift nimmt man es nicht so genau wie nebenan, außer, dass man beim Eintritt ins Innere der Tempel die Schuhe ablegen muss. Man soll sich dem großen Denker eher nur bloßhappert nähern, ihm jedoch keineswegs die Fußsohlen zuwenden – die nämlich gelten als unrein, was sie meistens auch sind. Rund um das Allerheiligste herrscht viel Verkehr. In der Anlage leben heute rund 300 Mönche – eine hoch angesehene Kaste. Viele männliche Halbwüchsige treten nur für eine Weile in die Ordensgemeinschaft ein, bringt dies doch ihren Familien, insbesondere den Müttern Glück und Segen. Ihre Aufgaben sind meist untergeordnet. Die Profis unter den Safrangelben sind für Höheres zuständig. Der tägliche Segen, die buddhistischen Riten und nicht selten die Funktion des angesehenen Schullehrers.
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Wat Pho
Genau gegenüber des Wat Pho, jenseits des träge dahinfließenden, die Stadt in zwei Hälften teilenden, Chao Praya, befindet sich der nicht minder prächtige Wat Arun. Namenspatronin ist eine Inderin: Aruna, die Göttin der Morgenröte. Ein Missverständnis, zeigt der 67 Meter hohe Prang (Turm) doch erst bei Sonnenuntergang seine volle Pracht. Die aus Porzellanscherben bestehende Mosaikverkleidung funkelt den Gläubigen so pittoresk entgegen, dass diese bestärkt, die Ungläubigen aber dadurch erst recht erleuchtet werden. Der Wat Arun aber hat noch eine andere Funktion zu erfüllen – und die ist profaner Natur. Sein Konterfei zu besitzen hat eine höchst beruhigende Wirkung auf das gemeine Volk. Ziert es doch die hiesige 10-Baht-Münze.
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Wat Arun
Unterwegs in Bangkok
Bewegt man sich durch Bangkoks Straßen, ist man gut beraten, sich eines der unzähligen Tuk Tuks zu bedienen, besonders wenn man morgens, mittags oder abends unterwegs ist – vor allem aber dazwischen. Bangkoks Verkehrsadern sind immer verstopft. Keine einzige Tageszeit, die keinen Verkehrsinfarkt aufweist. Die kleinen, wendigen, neonbeleuchteten Dreiräder bewegen sich kreuz und quer mit und gegen die Spur der Limousinen, SUVs oder Busse. Mit dem Leben sollte man aber sicherheitshalber Schluss gemacht haben, steht man doch alle irdischen Ängste aus. Aber: Ans Ziel ist noch jeder gekommen – fragt sich nur wie. Spaß beiseite, Tuk Tuks sind nun man die schnellsten Gefährte durch die Verkehrsschneisen des Mollochs. Natürlich gibt es Hochbahn und U-Bahn – beides probiert, perfekt organisiert – aber Spaß machen die Pistenflöhe allemal am meisten. Am besten man überlässt sich in Bangkok der Quadratur des Kreises, denn der Rushhour-Gigant hält prächtige Oasen bereit: Parks und Grünflächen, die in ihrer Pracht und Muße keinen Vergleich mit japanischen Zen-Gärten, mitteleuropäischen Palmenhäusern oder gar der sensationellen, Singapore vorgelagerten Sentosa-Insel zu scheuen braucht. Ob Lumphini – Siam – Queens – oder Kings Royal Park, vom prachtvollen Dusit Park ganz zu schweigen. Ein Fitnesserlebnis höchst individueller Art sei hier nicht verschwiegen. Radeln in Bangkoks grüner Lunge Bang Kachao. Es handelt sich um eine künstliche Insel in einer Biegung des Chao Praya-Flusses. Die einfachste Art dorthin zu kommen ist per Boot. An drei Piers wird die Überfahrt angeboten, ich habe die in Klong Toei genommen. Per Metro, ein paar Stationen mit dem Bus, schon steht man vor einer netten Oma, die einem für 20 Baht (50 Cent) eine Longtail-Fahrt in Richtung anderes Ufer verkauft. Drüben angekommen mietet man für ebenso wenig Geld ein Rad und strampelt los. Gemüse- und Reisfelder, Obstplantagen und ein märchenhafter Park mit See, Birdwatch-Türmen nebst garantierter Waran-Begegnung in freier Wildbahn inklusive. Dazu noch der Besuch eines pittoresken Wochenendmarktes. Bangkok-Abenteuer pur jenseits touristischer Trampelpfade.
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Wat Arun - Das Lächeln Thailands
Sünde und Pfründe
Reist man nach Thailand der Sünde wegen, ist man gut bedient. Wahrscheinlich nirgends auf der Welt bekommt man für kleines Geld mehr geboten als hier. Besonders in Bangkok. Hier lauert hinter jeder Massage das „Happy End“, hinter jeder Anmache, hinter jedem Cocktail – in einschlägigen Bezirken. Daher: Obacht, Fremder, wohin du dich bewegst. Vor allem aber: Hände weg von guten Tipps. Anquatsche pur. Die Girls sind zumeist Boys, das Bier ist warm und die Salons Gerümpel. Schauen erlaubt, vom Naschen wird abgeraten. Was Pattaya außerhalb der Metropole ist Patpong innerhalb der Stadtgrenze. Einst gehörten die zwei sündigen Gassen einem Chinesen. Ob man´s glaubt oder nicht. Die thailändische Reeperbahn war in Privatbesitz – und der Nabel des Rotlichtviertels. Go-Go-Bars, GIs-Schuppen und Hostessen-Etablissements.
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Bang Kachao
Dazwischen Massage, Massage, Massage. Empfohlen wird der Besuch der feuchten Meile in den Vormittagsstunden. Fahle Gesichter ohne Puder und Flitter, Hanfschwaden und ruinöse Bierkneipen zeigen ihre wahre Fassade, und die ist triste wie Praterbuden im November. Kaum zu glauben, dass hier jede Nacht der Rubel rollt. Aber ein Blick hinter die schalen Kulissen von Glanz und Glamour lohnt allemal, wenn auch nur zur Abschreckung.
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