Von Innen
1.
Bilder instituieren. Peter Goodrich schreibt, sogar im Singular und so, als ob sie alle zusammen ein großes Objekt, nicht nur groß geschriebenes Objekt seien: 'DAS BILD' fange das Kind (ein), ES regiere den Erwachsenen. Klingt nach King, Stephen King und King Image.
Goodrichs noble, Bilder ehrende Übertreibung trifft den Umstand, dass Bild und Recht gleich ursprünglich sind, mindestens in den Rechtsordnungen, die sich lange nach ihrem Ursprung monotheistisch verstrickt haben und in denen man darum über Rücksprünge sich vorstellen kann, dass das Recht eine Referenz hätte und diese Referenz monumental wäre. Goodrichs noble (und dazu noch fancy) Übertreibung trifft aber nicht den Umstand, dass dasjenige, was ein Bild ist, eventuell, so legt es zumindest Aby Warburg nahe, in den Sternen steht, dort wandert und pendelt, auf- und abgeht, sich polar, polarisiert und polarisierend bewegt, manchmal sogar meteorologisch, also schwer berechenbar. Da kommt das Bild monumental vor, aber auch winzig. Und manchmal kommt es nicht vor. Bilder instituieren: sie werden auch instituiert, schon weil sie Objekte sind, die bestritten werden.
Wenn Bilder instituieren, kann man sie für Institutionen halten und man kann glauben, dass die institutionelle Macht darin liege, vorgegeben zu sein. Man kann darum glauben, man müsse sich auf diese Macht, sie aber nicht auf einen einlassen. Das kann man alles glauben, das geht. Dafür gibt es nämlich Techniken, sich und alles mögliche an Referenzen zu religieren und diese Referenzen zu monumentalisieren. Passiert ja auch dauernd, dauert behaupten Leute nicht nur Großartiges, auch Unverzichtbares. Aber:
Wir können auch anders (Detlev Buck). Es gibt auch andere Techniken. Wenn Bilder instituieren, wenn sie Institutionen sind, dann auch, weil sie (er-)warten lassen. Sie lassen auch dann (er-)warten, wenn sie nicht gegeben, nicht vorgegeben sind, sondern wenn sie (einem) bloß vorschweben, wenn sie meterologische Vorgänge sind, an denen man sich orientiert, ohne auf die Stabilität eines Monumentes setzen zu können.
2.
Der Imagefilm des Bundesverfassungsgerichts setzt freilich auf die Institution als Monument, als Vorgabe, als Stabilisierung und Berechenbarkeit von Verhaltenserwartungen, das muss er wohl, zumindest nach Ansicht der Auftraggeber, die entscheiden das schließlich und nehmen das Werk ab.
Fraglich ist, ob in solche Filme Soundteppiche einziehen müssen, die immer, immer, immer stupide zwischen nervig verdrehten dramatischen Steigerungsphasen und angeblichen Entspannungsphasen wechseln. Nach herrschender Ansicht braucht ein solcher nerviger Soundteppich zumindest wiederum keine Rechtsgrundlage, nach herrschender Ansicht gelten hier die Prinzipien vom Vorbehalt und vom Vorrang des Gesetzes nicht. Hier gilt allenfalls amerikanische Dokumentarfilmfliessbandlogik. Tam-Tam-Ta-Ta-Ta-Tam, Ta-ta-tam-tam - und dann nervig sanftes Hintergrundgeplätschel, dann eventuell wieder von vorne. Auch Arte kauft manchmal solche Filme, you can't unhear it, man kann, wenn so ein Teppich ausgerollt ist, nur aus- oder umschalten.
3.
Das Video folgt dem Muster der Sendung mit der Maus: Hier geht es rein, da geht es raus. Das ist einleuchtend gemacht und der Umstand, dass man heute, nur weil es Drohnen gibt, auch Drohnen einsetzt, wenn man filmt, angeblich auch, um bewegten Film noch ein bisschen bewegter zu machen (und dabei mit seinen berechneten Kurven dasjenige aus dem Film eher vertreibt, was enargeia oder aber vivid heißt), das sei dem Film verziehen.
Der Soundteppich sei nicht verziehen. Wäre er ein Text, gehörte er deswegen lebenslänglich aufgehängt. Über die Anspruchslosigkeit des Filmes wäre zu streiten, aber nur wo Kläger sind, da sind Richter. Man muss ja nicht gleich auschließlich Frederik Wisemann oder Thomas Heise mit der Herstellung eines solchen Filmes beauftragen, aber auch einmal machen könnte man es, das wollte ich sehen.
4.
Der Film folgt den Akten, das ist ein einfacher und immer wieder guter Gedanke. Er folgt den Paralegals, die die Akten durch die Architektur schieben, Vismannleser und Latourleser dürften den Film lieben. Dann gibt es sogar die Szene, in der Astrid Wallrabenstein die Akte eine black-box nennt, das ist kulturtechnisch präzise gedacht: Sie, also die Akte, ist eine Einfaltung, eine Involvierung heterogener und homogener Elemente, die Handlungen und Kommunikation über alghoritmische Zeichen laufen lässt und beide deswegen auch zu Operationen, zu solchen Ausführungen von Routinen und Verfahren macht, für die der Begriff der Handlung zumindest als Metapher passen würde.
Gleich im Anschluss an die Bermerkung zu den Akten setzt Yvonne Ott der Bemerkung noch etwas auf, wenn sie gerade vor dem Glas, dem Material der Transparenz, davon spricht, dass man nicht hinter die Fassade des Gerichtes schauen könne. Sie spricht bei allem Glas im Rücken von Fassade, was technisch und historisch zwar nicht korrekt, eine schiefe Metapher oder, noch wahrscheinlicher, eine Katachrese ist. Stimmen tut es aber. Dann fliegt sogar eine Drohne am geöffneten Fenster vorbei und man sieht durch das offene Fenster auf die Sitzecke, wo Ott eben noch was von Unsichtbarkeit und Undurchdringlichkeit der Fassade erzählt hat. Ob Yvonne Ott die Bilder von Jacobus Vrel über die Unerbittlichkeit und Beschissenheit der Gläser und Fenster kennt? Dann ein an David Lean und Stanley Kubrick geschulter Schnitt: Jemand giesst Wasser in ein Glas, daneben wieder die Akte, i love it.
Susanne Baer, die ich wegen der folgenden und einer anderen Szene (nämlich der Bekleidungsszene in Zeitlupe) als Initiatorin für den Film vermute, zeigt sich im Dämmerlicht. Je aurora desto voran, oder aber: Arbeiten bis in die Nacht, so würde ich mich auch inszenieren, danach kommen wieder Passagen, die man am Anfang schon mal sah, wo der Film Muster aus dem Musikvideo von Ahas Take on me imitiert.
Prompt legt der Soundteppich auch den Schalter wieder um, dann darf Peter Müller politische Talk inklusive Metaphern raushauen und behaupten, es mache Spass oder Freude (ich habe mir das nicht genau gemerkt) an dem Kitt zu arbeiten, der diese Gesellschaft zusammenhalte (das habe ich mir genau gemerkt). Er schiebt seine Augenbrauen dabei, wie ein ernsthaft höheres Wesen, nach unten, wie ein strenger Richter. Der Pygmalion, den er hier gibt oder der er ist, sagt, er würde den Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält, modellieren. Er soll mal versuchen, Kitt zu modellieren. Das ist ein Klebe- und Dichtungsmittel, das hält keine Form, aber versuchen kann man es ja. Wenn es ihm um Modelle geht, dann würde ich ihm eher Knete, Play-Doh, Ton, Speckstein, Holz, Marmor oder (auf der Höhe der Zeit) einen 3-D-Drucker empfehlen.
So sind sie auch, Richter, kennste einen, kennste einen (Mangold), jeder erfindet andere schöne und freudige Bilder. Schön an der Szene ist auch, wie er nach dem Satz über das Modellieren die eben noch ernsthaft nach unten gezogen Augenbrauen jetzt, als wäre er nun ein tieferes Wesen oder uns ganz nahe, sanft nach oben zieht, die Stimme ebenfalls sanfter, dazu noch heller und milder wird und er sagt, diesen Spaß habe er freilich alles auf der Basis der Verfassung, auf der Basis des Grundgesetzes, also auf mindestens zwei Basen.
So einen Film könnte ich stundenlang schauen, das ist wie TikTok und Youtube in einem, also ungefähr Kitt, der eine Zeit zusammenhält, die aus den Fugen ist oder so. Leider dauert der Film nur etwas weniger als eine Viertelstunde. Wenigstens kommt nach Müller Maidowski, der seine Nüchternheit bewahrt und nicht ins Satirische abdriftet. Am Ende darf natürlich auch der Wichtigste noch einmal versichern, dass an diesem Gericht alles mit rechten Dingen zugeht. Die werden bestimmt der Ausdifferenzierung, dem Dogma der großen Trennung vollumfänglich gerecht, das denke ich auch.
5.
Das decorum stellt sich immer ein, nicht nur wenn die Leute sprechen, wie sie sprechen oder aber wenn sie sich stellen, wie sie sich stellen. Das decorum stellt sich auch deswegen immer ein, weil decorum nichts ist, was vorgegeben ist. Decorum ist institutionell dasjenige, was vorschwebt, und technisch betrachtet ein Vorgang der Musterung und Zensur. Ist von decorum die Rede, klappt eine Beobachtung in zwei Kanäle auf, die man dann zum Beispiel nach Inhalt oder Stil, Was und Wie oder Innerlichkeit und Äußerlichkeit unterscheidet, aber wohl auch anders unterscheiden könnte. Hauptsache, die Beobachtung wird verdoppelt, das ist ein kulturtechnische Witz dessen, was in römischen Institutionen unter dem Begriff decorum expliziert wird. Decorum operiert, funktioniert auch stumm und implizit, dann kann man sich darunter etwas vorstellen, was sowohl mit Augendienerei als auch mit 'doppelte Kontingenz' zu tun hat, man agiert und kommuniziert dann so, also ob man wahrgenommen werde, man nimmt wahr, als ob man wahrgenommen werde und beobachtet sich so, als ob man selbst beobachtet werde. Man kann dabei, wohl in kleinen, alltäglichen Portionen und nur solange es stumm und implizit läuft, in Verfemdung involviert sein, in einem russisch formalistischen Sinne, also als Verfahren, das von Viktor Shklovsky Kunst genannt wird. Man fällt dann eher in Rollen als dass man sich in sie begibt. Das decorum stellt sich zwar immer ein, aber immer kann auch was schief gehen, und das kann wiederum das beste sein, was einem passieren konnte.
Übersetzt man decorum mit Benimm oder Benehmen (in den Übersetzung von Lawrence Sternes Tristam Shandy gibt es die Übersetzung), sollte man den deutschen Begriff als einen Verfahrensbegriff lesen. Dann übersetzt der Begriff nicht nur Kulturtechniken der Musterung und der Zensur, sondern auch des Protokolls. Obschon auch das Zensieren und das Mustern eine Technik ist, die soviel Aktion wie Reaktion, soviel Rezeption wie Produktion, soviel Passion wie Distanzschaffen verlangt, ist beim Begriff des Protokolls diese Zweiseitigkeit wohl am deutlichsten, weil der Begriff sowohl für Aufzeichnung als auch für ein (diplomatisches) Bewegungs- und Transferregime verwendet wird. Das decorum ist nicht einfach beweglich, es ist eher bewegt und bewegend. Dabei sind das Befolgen von Regeln, der Rückgriff auf Referenzen, die Imitation von Vorbildern nur die Hälfte der Wahrheit. Man kann auf das decorum 'neurotisch' fixiert sein und so gerade am Tisch sitzen, wie es notwendig sein soll gerade am Tisch zu sitzen und unmöglich sein soll, das nicht zu tun. Aber dann handelt es sich um das Benehmen eines Neurotikers und nicht einer Person, die gerade am Tisch sitzt. Dann nimm man die Neurose wahr, nicht die Tischgesellschaft. Man muss das Benehmen schon gehen lassen.
0 notes