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#Multinaturalismus
fabiansteinhauer · 2 years
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Warburgs Staatstafeln
1.
Warburgs Staatstafeln bieten die Gelegenheit, den Blick auf eine Bild- und Rechtswissenschaft zu werfen, die nicht vom Dogma der großen Trennung, nicht vom Dogma der Ausdifferenzierung und nicht vom Dogma des Eigenen und der Selbstreferenz, nicht vom Dogma der Unersetzlichkeit ausgeht. Sie ist nicht einmal in einem Begriff zusammenhaltbar. Vielleicht sind diese vier Dogmen ein Dogma. Vielleicht steht immer noch ein anderes Dogma über jenem Dogma, das einem aktuell als das höchste, allgemeinste, abstrakteste oder weiteste erscheint. Ein Dogma der Unersetzlichkeit, der Unaustauschbarkeit, der Nichtexternalisierbarkeit und der Nichtinternalisierbarkeit, der Unverwechselbarkeit? Wer weiß was Juristen und alle die, die was Recht wollen, letztlich antreibt, sich als sich und damit ihrer Eigenheiten zu verteidigen und in die Zonen von Behaglichkeiten und Unbehaglichkeiten, von Eigen- und Fremdheiten zu schlüpfen. Ich weiß es zumindest nicht.
2.
Solche Dogmen kommen vor, auch noch in den Wissenschaften vom Recht, die (wie es sich zivilisiert gehört) die "Nachbarwissenschaften", die "Offenheit" und die "Interdisziplinarität", die Tiefe der Kultur und die Komplexität der Gesellschaft mit den üblich höflichen Formeln loben und sich zu allem dem zuneigungsvoll bekennen, in den dann folgenden Sätzen aber mit einer Mischung aus Geiz und Askese dasjenige betreiben, was Bruno Latour die Reinigungsarbeit der Modernen nennt.
Man sollte nicht den Fehler gleichgiftiger Höflichkeit machen und behaupten, man selber wolle der Wissenschaft da ein Fensterchen öffnen, wo die Kollegen die Luft schon stickig verbraucht oder verpupt hätten. Der Blick auf eine Bild- und Rechtswissenschaft neben den genannten Dogmen ist weder ein Blick auf etwas Undogmatisches noch ist dieser Blick selbst undogmatisch. Was ist dann? Es ist und bleibt der Blick auf etwas Limitiertes, es ist und bleibt ein limitierter Blick. Man steigt nicht aus der Normativität aus, nichts aus der Technizität. Man ist und bleibt verstrickt in etwas, in dem Differenzen schon operationalisiert sind, die Operationalisierung von Differenz läuft schon routiniert, wenn man 'blickt'.
Der Blick auf Bild- und Rechtswissenschaft, den man durch Warburgs Staatstafeln entwickeln kann, der bietet nur die Gelegenheit einer Analyse und einer Kritik, mit der die Prädikate von Bild und Recht dissoziiert und neu verteilt werden. Was sonst schon in eingerichteten und ausgeübten Ketten und Reihen von Prädikaten aufgestellt ist und zum Beispiel über Subjekt, Objekt, Satz, Bild, Recht, Person, Gesellschaft, Handlung (und so weiter und so fort) bis zur Evidenz hin beeindruckt, kann eventuell verfremdet werden, eventuell kann eine 'Warburgsche Erfahrung' gemacht werden: die Erfahrung einer Entsprechung, die sich über verschlungene und diagonale Gleichungen aufbaut und die mit der Erfahrung verbandelt ist, dass man selbst anders, aber nicht total anders ist und dass im Detail alles anders, aber nicht total anders ist.
Warburg hält sich kurz im Kosmos der beiden Amerikas, nur kurz im Kosmos der indigenen Tänzer auf. Aus diesem Aufenthalt, der mit den berühmten, legendären Textschnippseln und Fotoreihen vom Schlangenritual in Verbindung steht, baut sich in Warburgs Werk nicht das auf, was man eine Lösung, einen Fortschritt nennen will. Er kommt 1896 nicht aus Amerika zurück und ist dann weiter; auch der Vortrag am Ende seiner Zeit in Kreuzlingen fungiert nur in einem mythologischen Sinne als Lösung der 'Kreuzlinger Frage', also der Lösung aus dem Asyls eines erkannt Geisteskranken und unerkannten Kreditberaters.
Aus dem Aufenthalt in den beiden Amerikas und bei den indigenen Tänzern nimmt Warburg nur was mit, das ist es schon. Das ist das 'entscheidende', dass er von diesem Aufenthalt etwas mitnimmt und durch diesen Aufenthalt weiter mitgenommen ist. Wäre er aus dem Kosmos der beiden Amerikas und der indigenen Tänzer zurückgekommen und hätte eine Lösung, einen Erkenntnissatz mitgebracht, dann würde ich diese Textschnippsel und diese Fotos ins Regal stellen.
Warburg nimmt etwas mit aus den beiden Amerikas. Man könnte einwenden, er sei doch gar nicht in den beiden Amerikas gewesen, nur in einem davon, nur im Norden. Das geht aber an den beiden Amerikas vorbei, denn die kommen in und auf beiden Seiten beiderseits vor. Und es ginge an Warburgs Theorie und Praxis der Polarität und des Pendelns vorbei: auch im Norden ist Warburg einer, der sich im Kippen und in der Spannung zum Süden befindet, solange er im Norden ist, davon redet und schreibt er ...dauernd. Er ist immer einer, der sich im Umschlag befindet. Was er mitnimmt und wovon er mitgenommen ist, das hat mit dem zu tun, was Eduardo Viveiros de Castro den Perspektivismus und den Multinaturalismus im indigenen Amerika nennt, und das ist eine Erscheinung beider Amerikas. Und es hat mit den beiden Amerikas zu tun, von denen sich audfringlich die Frage stellt, wie affin sie sich zu den beiden Roms sich verhalten, wie nah und wie fern sie denen stehen.
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