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#Perspektivismus
fabiansteinhauer · 2 years
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Warburgs Staatstafeln
1.
Warburgs Staatstafeln bieten die Gelegenheit, den Blick auf eine Bild- und Rechtswissenschaft zu werfen, die nicht vom Dogma der großen Trennung, nicht vom Dogma der Ausdifferenzierung und nicht vom Dogma des Eigenen und der Selbstreferenz, nicht vom Dogma der Unersetzlichkeit ausgeht. Sie ist nicht einmal in einem Begriff zusammenhaltbar. Vielleicht sind diese vier Dogmen ein Dogma. Vielleicht steht immer noch ein anderes Dogma über jenem Dogma, das einem aktuell als das höchste, allgemeinste, abstrakteste oder weiteste erscheint. Ein Dogma der Unersetzlichkeit, der Unaustauschbarkeit, der Nichtexternalisierbarkeit und der Nichtinternalisierbarkeit, der Unverwechselbarkeit? Wer weiß was Juristen und alle die, die was Recht wollen, letztlich antreibt, sich als sich und damit ihrer Eigenheiten zu verteidigen und in die Zonen von Behaglichkeiten und Unbehaglichkeiten, von Eigen- und Fremdheiten zu schlüpfen. Ich weiß es zumindest nicht.
2.
Solche Dogmen kommen vor, auch noch in den Wissenschaften vom Recht, die (wie es sich zivilisiert gehört) die "Nachbarwissenschaften", die "Offenheit" und die "Interdisziplinarität", die Tiefe der Kultur und die Komplexität der Gesellschaft mit den üblich höflichen Formeln loben und sich zu allem dem zuneigungsvoll bekennen, in den dann folgenden Sätzen aber mit einer Mischung aus Geiz und Askese dasjenige betreiben, was Bruno Latour die Reinigungsarbeit der Modernen nennt.
Man sollte nicht den Fehler gleichgiftiger Höflichkeit machen und behaupten, man selber wolle der Wissenschaft da ein Fensterchen öffnen, wo die Kollegen die Luft schon stickig verbraucht oder verpupt hätten. Der Blick auf eine Bild- und Rechtswissenschaft neben den genannten Dogmen ist weder ein Blick auf etwas Undogmatisches noch ist dieser Blick selbst undogmatisch. Was ist dann? Es ist und bleibt der Blick auf etwas Limitiertes, es ist und bleibt ein limitierter Blick. Man steigt nicht aus der Normativität aus, nichts aus der Technizität. Man ist und bleibt verstrickt in etwas, in dem Differenzen schon operationalisiert sind, die Operationalisierung von Differenz läuft schon routiniert, wenn man 'blickt'.
Der Blick auf Bild- und Rechtswissenschaft, den man durch Warburgs Staatstafeln entwickeln kann, der bietet nur die Gelegenheit einer Analyse und einer Kritik, mit der die Prädikate von Bild und Recht dissoziiert und neu verteilt werden. Was sonst schon in eingerichteten und ausgeübten Ketten und Reihen von Prädikaten aufgestellt ist und zum Beispiel über Subjekt, Objekt, Satz, Bild, Recht, Person, Gesellschaft, Handlung (und so weiter und so fort) bis zur Evidenz hin beeindruckt, kann eventuell verfremdet werden, eventuell kann eine 'Warburgsche Erfahrung' gemacht werden: die Erfahrung einer Entsprechung, die sich über verschlungene und diagonale Gleichungen aufbaut und die mit der Erfahrung verbandelt ist, dass man selbst anders, aber nicht total anders ist und dass im Detail alles anders, aber nicht total anders ist.
Warburg hält sich kurz im Kosmos der beiden Amerikas, nur kurz im Kosmos der indigenen Tänzer auf. Aus diesem Aufenthalt, der mit den berühmten, legendären Textschnippseln und Fotoreihen vom Schlangenritual in Verbindung steht, baut sich in Warburgs Werk nicht das auf, was man eine Lösung, einen Fortschritt nennen will. Er kommt 1896 nicht aus Amerika zurück und ist dann weiter; auch der Vortrag am Ende seiner Zeit in Kreuzlingen fungiert nur in einem mythologischen Sinne als Lösung der 'Kreuzlinger Frage', also der Lösung aus dem Asyls eines erkannt Geisteskranken und unerkannten Kreditberaters.
Aus dem Aufenthalt in den beiden Amerikas und bei den indigenen Tänzern nimmt Warburg nur was mit, das ist es schon. Das ist das 'entscheidende', dass er von diesem Aufenthalt etwas mitnimmt und durch diesen Aufenthalt weiter mitgenommen ist. Wäre er aus dem Kosmos der beiden Amerikas und der indigenen Tänzer zurückgekommen und hätte eine Lösung, einen Erkenntnissatz mitgebracht, dann würde ich diese Textschnippsel und diese Fotos ins Regal stellen.
Warburg nimmt etwas mit aus den beiden Amerikas. Man könnte einwenden, er sei doch gar nicht in den beiden Amerikas gewesen, nur in einem davon, nur im Norden. Das geht aber an den beiden Amerikas vorbei, denn die kommen in und auf beiden Seiten beiderseits vor. Und es ginge an Warburgs Theorie und Praxis der Polarität und des Pendelns vorbei: auch im Norden ist Warburg einer, der sich im Kippen und in der Spannung zum Süden befindet, solange er im Norden ist, davon redet und schreibt er ...dauernd. Er ist immer einer, der sich im Umschlag befindet. Was er mitnimmt und wovon er mitgenommen ist, das hat mit dem zu tun, was Eduardo Viveiros de Castro den Perspektivismus und den Multinaturalismus im indigenen Amerika nennt, und das ist eine Erscheinung beider Amerikas. Und es hat mit den beiden Amerikas zu tun, von denen sich audfringlich die Frage stellt, wie affin sie sich zu den beiden Roms sich verhalten, wie nah und wie fern sie denen stehen.
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nunc2020 · 4 years
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HANS BELTING Zu einer Ikonologie der Kulturen. Die Perspektive
Der Perspektivismus der Moderne, der mit dem Namen Friedrich Nietzsches verbunden ist, entstand als Kritik an dem Alleinvertretungsrecht der Perspektive mit ihrem Standort für eine gültige Weltsicht oder Weltansicht. Sie weist einen solchen Standort zurück und postuliert beliebig viele Positionen, die sich alle voneinander unterscheiden und sich gegenseitig relativieren. Bereits Blaise Pascal hat sein Bedauern darüber ausgedrückt, dass sich ein perspektivischer Standort nicht auf Wahrheit übertragen lässt.»gemälde, denen man sich zu weit nähert oder von denen man sich zu weit entfernt, verlieren ihre Wirkung. Nur an einem Punkt kann man den richtigen Standort einnehmen. An allen anderen Standorten ist man zu weit weg, zu nahe, zu hoch oder zu niedrig. Die Perspektive weist uns den Blickpunkt in der Kunst der Malerei zu. Aber wer übernimmt das in der Wahrheit und in der Moral?«11 Nietzsche aber hielt jeden Standort für willkürlich.»[...] es ist eine hoffnungslose Neugierde, wissen zu wollen, was es noch für andere Arten Intellekt und Perspektive geben könnte, wir sind heute zumindest ferne von der lächerlichen Unbescheidenheit, von dieser Ecke aus zu dekretiren, dass man nur von dieser Ecke aus Perspektive haben dürfe.« Die Opposition gegen den Monoperspektivismus fand eine starke Resonanz in der Kunst, die erst im Widerspruch gegen den perspektivischen Konsum der Alltagskultur zu sich selbst fand und die Perspektive wie ein überflüssiges Gepäck abwarf. Die Künstler revoltierten in der gleichen Zeit, als die Naturwissenschaftler das physikalische Weltbild umstürzten, gegen den perspektivischen Realismus. Paradoxerweise hatte man in anderen Teilen der Welt die Perspektive als Signum der Moderne zur gleichen Zeit eingeführt, als sich die moderne Kunst davon verabschiedete. In der Gegenwart kommt es zu einem freien Spiel mit perspektivischen Klischees, die sich offen als Fiktion gebärden. Dafür ist der Filmemacher Peter Greenaway, der einmal als Maler begann, ein nahe liegendes Beispiel. Im Thema der Perspektive zeichnet sich das Profil zweier Kulturen ab, die einmal eine gemeinsame Theorie besaßen. Es ist ein Mythos, dass die Renaissance die geometrische Perspektive von Grund auf»erfunden«habe. Vielmehr war sie seit dem Mittelalter durch jene Theorie eingeführt, für welche die lateinischen Gelehrten den Begriff der perspectiva verwendeten. Aber diese war aus einer anderen Kultur importiert, denn sie stammte aus der arabischen Welt.
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blog-aventin-de · 4 years
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Die falsche Richtung
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Falsche Richtung - Fabel Franz Kafka - Perspektive Relativität & Leben
Falsche Richtung - Fabel Franz Kafka - Perspektive Relativität & Leben
"Ach", sagte die Maus, "die Welt wird enger jeden Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte. So lief ich weiter und war glücklich, als ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah." "Aber diese langen Mauern eilten so schnell aufeinander zu, dass ich jetzt schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht ein Falle, in die ich laufe." "Du musst nur die Laufrichtung ändern", sagte die Katze und fraß sie. Lehre: Alles nur eine Sache der Perspektive Perspektivismus Die falsche Richtung - Franz Kafka - Fabel Read the full article
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jajsemvelmiprohumor · 4 years
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Jelikož jsem velmi, souhlasil jsem s rozhovorem pro humorné husitské duo Pastoral Brothers. Šel jsem tam s tím, abych jim řekl, že jejich pastorální scénky jsou jen povrchním přelíznutím hluboké ryzí spirituality, že by youtube měli přenechat mým přenosům ze Salvátora a že by jim bylo lépe na instagramu s ostatními dětmi. Jaké ale bylo překvapení, když se z této mé dobře míněné výtky vyklubal velmi příjemný monolog přerušovaný prakticky jen souhlasným protestantským kýváním. Opravdu musím říci, že takhle sympaticky a jasně jsem hovořil naposledy kolem roku 2003. Pokud mohu doporučit, pusťte si rozhovor na dvojnásobnou rychlost a pouze v případě, že budete chtít něčemu skutečně rozumět nebo když řeknu "Piťha", zpomalte na jeden a půl násobek mé běžné deklamace. Za rozhovor bych si dal objektivních devět hvězdiček z deseti, jednu si strhávám za naivně vyjádřený perspektivismus, což je obyčejný relativismus hledisek, ale zní to lépe. Říkám totiž, že náboženství lze srovnávat jedině tehdy, smíme-li hovořit z nad-náboženské perspektivy a navíc s dokonalou znalostí obou církevních systémů. To je stejně absurdní jako tvrdit, že nemůžeme porovnat Albert a Penny Market, dokud nemáme k dispozici dokonalý výčet jejich sortimentu, cen a klientely. Mohu ale přece správně tvrdit, že v Albertu sice mají lepší oplatky než v Penny, ale v Penny nikdy neupalovali čarodějnice a nezneužívali ministranty, jestli mi rozumíte. Perspektivismus neznamená, že supermarkety nemůžeme bez vyšší perspektivy srovnávat; znamená jen to, že je bez této vyšší perspektivy nemůžeme srovnávat úplně. To je však pouze drobnost, rozhovor je výborný, určitě si mne pusťte a až na jednom místě řeknu "Vašek Havel", tak nezapomeňte smeknout.
https://youtu.be/E3caHbIjaYY
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phers · 6 years
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Perspektivismus
Leben, Lust und Leid
Die Sonne leuchtet immer gleich
In einem Teil der Erde brennt
Im andern Teil es schneit
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kathrina-talmi · 6 years
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Über Natur
Im Herbst erscheint eine neue Publikation von mir im AutorenVerlag Matern: “Über Natur” (https://www.autorenverlag-matern.de/index.php/buecher/philosophie.html). Vorab sind bereits die Einleitung als auch die ersten beiden Abschnitte (Kapitel) des Essays veröffentlicht worden. Ich nutze diesen Ort, um alle Bestandteile gemeinsam vorzustellen.
Einleitung:
Es gibt kaum ein Wort der deutschen Umgangssprache, das missverständlicher gebildet ist als die Lautreihe ‚Natur‘. Nicht soziale Konvention, sondern der verfügbare Wissensstand könnte genutzt werden, um ein relevantes Wort ‚Natur‘ zu bilden. Dies ist gesellschaftlich nicht der Fall. Indem kulturelle, mithin primär eine menschlich soziale Tradition in den Vordergrund rückt, wird ein möglicher Einfluss von veränderlichen Wissensständen minimiert. Der staatlich und sozial als normativ geltende Duden, der seinerseits bloß ein Sammlesurium der gesellschaftlichen Schriftsprache ist, verhindert sachbezogene Neubildungen in gesellschaftlicher Breite, verschiebt relevante Diskussionen in Expertengremien aus Wissenschaftlern, in diesem Fall aus Naturwissenschaftlern mit ihren Expertensprachen, erschwert eine rudimentäre Bildungsmöglichkeit der Bevölkerung im Erlernen von Sprache. Resultat ist die sozial vorherrschende Umgangssprache und ihre sachliche Unrelevanz. Ich fasse dies als ‚gesellschaftliche Esoterik‘.
Kaum ein Wissensgebiet hat seit dem 20. Jhd. solche rasanten Veränderungen erleben lassen wie die Naturwissenschaften. Seit den 20er Jahren - im Zuge von physikalischen, speziell quantenmechanischen Experimenten -, gibt es keine Naturgesetze mehr, sondern lediglich Naturwahrscheinlichkeiten, die auf statistischen Annahmen beruhen. Diese sind relativ, z.B. im Fall der Gravitation, die nicht nur auf dem Mond der Erde anders ausfällt als auf der Erde, wie Videos leicht demonstrieren können, sondern auch auf dem Mars. Solche Veränderungen lassen sich sogar auf der Erde erleben: während eines Parabelflugs; auch von solchen Flügen gibt es Aufzeichnungen. Die Gravitation ist keine absolute Kraft, sondern ein relativer Wert, in Abhängigkeit von den jeweiligen Bedingungen.
Statistische Wahrscheinlichkeiten von eventuell erwartbaren / voraussagbaren Vorgängen bzw. Ereignissen stehen nicht nur in Relation zu jenen, die unabhängig von menschlichen Einflüssen geschehen - die jeweilige Gravitation lässt sich bislang von Menschen nicht verändern -, sondern auch zu menschlichen Verhaltenweisen. In der Soziologie und in der Wirtschaftswissenschaft gelten ebenfalls statistische Wahrscheinlichkeiten, keine absoluten Gesetze. Die Sicherheit von Voraussagen ist im Zusammenhang mit Menschen zwar geringer, aufgrund der jeweiligen menschlichen Wahlmöglichkeiten, dennoch bietet jeder kausale Erklärungsansatz für menschliches Verhalten eine mögliche (stastistische) Determination. Menschen sind methodisch lediglich eine der tierischen Arten, von denen sich Menschen umgangssprachlich abgegrenzt sehen.
Natürlich gibt es über die Stellung der Menschen auch wissenschaftlich Streit. Besonders einige Archäologen und Anthropologen betonen einen Unterschied zu anderen Tieren: Menschen würden nicht nur irgendwas als Werkzeug nutzen, sondern fertigen auch Werkzeuge an. Diese Ansicht ist verhaltensbiologisch allerdings veraltet, wie z.B. ein Blick auf Krähen zeigen kann. Verantwortlich für die Kreativität unter Tieren ist die relative Hirngröße zur Körpergröße. Bei einer Reihe von Tieren fällt die relative Hirngröße überdimensional aus. Wissenschaftlich ist eine soziale Herrschaft des Menschen nicht zu retten, auch wenn es immer mal wieder Journalisten gibt, die eine alte, ehemals religiös motivierte Herrlichkeit der Menschen feiern.
Die Erfindungsgabe von Menschen wäre ohne Annahmen darüber, wie Natur funktioniert, kaum gediehen. Die Statik von Gebäuden hätte niemals ermittelt werden können, die Eigenschaften von Materialen zur weiteren Verarbeitung wären unbekannt geblieben, über die Natur hinaus reichen lediglich religiöse oder metaphysische Spekulationen, nichts, was tatsächlich innovativ gewesen wäre. In dem Essay „Über Natur” kläre ich darüber auf, was Natur ist und was alles auf Annahmen über Natur beruht, über die unbelebte als auch belebte. Ein Balkon ist in diesem Zusammenhang nichts als ein Naturphänomen, weil dieser und seine Statik den Naturwahrscheinlichkeiten unterliegt, unabhängig davon, welche Bedeutungen bzw. Relevanzen ihm von menschlicher Seite aus zukommen mögen. Mein primärer Gegner ist die menschliche Einbildung.
1. Was ist eine naturwissenschaftliche Perspektive?
Perspektivismen sind u.a. als relativierende Erkenntnishaltungen von Philosophen des 19. Jhds. und von Ethnographen des 20. Jhds. berüchtigt. Sie reichen historisch jedoch viel weiter, sind z.B. auch bei Leibniz zu finden (vgl. König, G., 1989, S.362-375). Ohne mich historisch zu verlieren: Was könnte eine naturwissenschaftliche Perspektive sein? Bei den Worten ‚Perspektive‘ handelte es sich in jenen relativierenden Fällen um soziale Metaphern, die auf individuelle oder gruppenspezifische Sichtweisen zugeschnitten waren. Bei Metaphern ist jedoch Vorsicht geboten, wie Kai Pege im Kontext über Metaphern erläuterte (vgl. Pege, K., 2014, S.16-22.). Ob andere Perspektiven wissenschaftlich relevant sein können, ist mit der Wahl ‚naturwissenschaftliche Perspektive‘ nicht gesagt. Als soziale Metapher könnte ihr Bezug den gesamten Wissenschaftsbereich umfassen, in Abgrenzung vom alltäglichen Umgang und von Esoteriken. Zu betonen ist, dass die naturwissenschaftliche Herangehensweise unter Menschen keineswegs üblich ist. Die Methoden, Zeichen und die Sprache sind relativ vielen Menschen fremd, auch innerhalb der Wissenschaften. Im Zentrum der Naturwissenschaften stehen Fragen nach kausalen Abläufen von Ereignissen, nach relevanten Einflussgrößen, die dabei helfen können, nicht nur vergangene Ereignisse besser zu verstehen als bislang, sondern auch zukünftige. Die aktuell betriebene Klimaforschung ist ein typisches und durch die Medien bekanntes Beispiel solcher Hinwendungen, auch wenn über die konkrete Arbeit, über detaillierte Fragestellungen und Probleme innerhalb der Klimaforschung, öffentlich wenig zu erfahren ist. Allgemein lässt sich zunächst formulieren, dass es aus naturwissenschaftlicher Perspektive relevant ist, etwas über die konkreten Bedingungen zu erfahren, unter denen etwas Spezielles geschieht. Kausalität zu erforschen, ließe sich als das Auffinden von Bedingungen eingrenzen, die ein bestimmbares Ereignis entstehen lassen können. Fragen nach kausalen Wirkungen reichen jedoch nicht aus. Die Parameter der Bedingungen müssen prüfbar sein, und sei es durch wiederholte Messungen. Es würde keineswegs ausreichen, eine Meinung oder einen Glauben zu vertreten, wie es z.B. in den Perspektivismen des 19. und 20. Jhds., im Journalismus oder in einer Religion üblich sein kann, oder in einem belletristischen Essay. Außer einer Relation zur Empirie ist jedoch noch etwas erforderlich, das sich nur in der relevanten Sprache und in der Mathematik findet, etwas, das zu einem zweiten Kriterium taugt: Logik. Weil es um zwei unterscheidbare Kriterien ginge, wäre es fatal, das Wort ‚Wahrheit‘ zu einem Sammelbegriff werden zu lassen, eventuell ähnlich einem Müllsack. In diesem Kontext wäre es angemessener, auf die Vokabel ‚Wahrheit‘ zu verzichten und konkret zu werden (vgl. ders., 2016, S.9-19). In Frage stünde die abstrakte und eineindeutige Abbildungsfunktion eines wissenschaftlichen Modells, das sich im Vergleich ermitteln und durch einen Vergleich prüfen ließe (vgl. ders., 2015, S.7-27) und die logische Vereinbarkeit des sprachlichen und des mathematischen Materials. Die gegeben Erläuterung der naturwissenschaftlichen Perspektive reicht allerdings philosophisch nicht aus. Außerhalb stände die Frage nach geeigneter, nach sachlich angemessener Sprache, die bezugsrelevant wäre. Diese Aufgabe lässt sich nicht auf die Erläuterung von naturwissenschaftlichen Modellen begrenzen. Historisch gibt es ein Wort, ‚Interpretation‘, Davidson hat sich z.B. damit philosophisch beschäftigt (vgl. Davidson, D., 1994). Ich möchte die Frage nach ‚Interpretation‘ in diesem Kontext jedoch nicht detaillierter stellen, lediglich darauf hinweisen, dass die Philosophie keine naturwissenschaftliche Perspektive und damit keine naturwissenschaftliche Forschung verfolgt. Ihr Material ist primär die Sprache, analytisch und erläuternd, vielleicht sogar analytisch differentiell, wie Pege dies im Kontext der Frage nach Angemessenheit vorgeschlagen hat (vgl. Pege, K., 2015 S.8). Um die naturwissenschaftliche Perspektive jedoch abzugrenzen, war es erforderlich, eine Alternative anzuführen.
Literatur
Davidson, D., 1994, Wahrheit und Interpretation, Frankfurt. König, G., 1989, Perspektive, Perspektivismus, perspektivisch, in: Joachim Ritter u.a., Hg., Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 7, Darmstadt, S.362-375. Pege, K., 2014, Analytische Philosophie?, in: ders., Hg., 2014, Analytische Philosophie?, eBook, Duisburg, S.9-49. Pege, K., 2015, Eine Theorie des selektiven Bezugs, eBook, Duisburg. Pege, K., 2016, Was sind philosophische Essays?, in: Talmi, K., Hg., 2016, Im Wettbewerb, eBook, Duisburg, S.9-19.
2. In Teufels Küche
Doch auch menschliche Sprache könnte, methodisch ähnlich wie das Erdklima, kausal erforscht werden. Irgendwann ist Sprache während der menschlichen Evolution entstanden, unter eventuell präzisierbaren Bedingungen. Und sie wird sich vermutlich in Zukunft weiterentwickeln, in welche Richtung auch immer. Das Forschungsproblem ist: die fragliche Zeitspanne der Entstehung liegt sehr weit zurück; Aufzeichnungsmöglichkeiten waren vermutlich noch nicht entwickelt. Sich auf philosophische Auseinandersetzungen über relativ aktuelle Sprache und auf ihre Interpretation zu konzentrieren, reicht keineswegs aus, um sie den Naturwissenschaften zu entziehen.
Im ersten Kapitel wurde, außer der gestellten Frage nach Perspektiven, allgemein über Wissenschaften gesprochen, anhand von Kriterien. In diesem Kontext fehlt noch eine Präzisierung: Sprache kann Bezugsrelevanz haben und sich aufgrund einer erfolgten Prüfung auf etwas beziehen. Erforderlich für eine Bezugsrelevanz ist ein relevanter Kontext, aus dem lesbar wird, über was gesprochen wird. Zeichen hingegen, auch abstrakte, z.B. die eines wissenschaftlichen Modells, lassen keine Bezüge zu, aber einen Vergleich, insbesondere mit Messdaten, die aus der Wirklichkeit gewonnen werden können (vgl. Pege, K., 2015, S.7-27). Bezug und Vergleich unterscheiden sich, und gemeinsam mit einer wissenschaftlich erforderlichen logischen Vereinbarkeit lassen sich bereits drei Kriterien angeben, die relevant sind.
Meine Aussonderung der Philosophie aus den Naturwissenschaften hat etwas mit der Tradition universitärer Fächer zu tun, weniger mit der Sache. Cassirer (1874-1945) hatte z.B. eine Differenzierung in Natur- und Kulturwissenschaften vorgenommen (vgl. Cassirer, E., 1994, S.56-86), der ein grobes Missverständnis der Natur zugrunde liegt: „Eigenschafts=Konstanz und Gesetzes=Konstanz sind die beiden wesentlichen Züge der physikalischen Welt.“ (Vgl. ebd., S.74.) Diese Sichtweise, die aus dem 19. Jhd. stammt, war freilich schon damals (1942) veraltet. (Vgl. Freedman, W.L., 1993, mit dem historischen Hinweis auf E.P. Hubble 1929). Die physikalische Wirklichkeit ist, wie die gesamte Natur, dynamisch. Auch die physikalische Wirklichkeit ist entstanden und unterlag dabei sich ändernden Bedingungen. Mehr über das junge Universum zu erfahren, ist inzwischen ein Bestandteil der physikalisch kosmologischen Forschung (vgl. z.B. Aravena, M., u.a., 2016, S.1-27). Cassirers Vokabular ist vermutlich durch Unkenntnis geprägt, das aus einer alten Umgangswirklichkeit zu kommen scheint, die seiner Ansicht nach „radikal entseelt“ wurde (vgl. Cassirer, E., 1994, S.75). Mit Wissenschaft hat dies nichts zu tun, mit Erlebnistraditionen allerdings schon.
Teufels Küche hatte sich mir durch die möglicherweise mangelhafte Berücksichtigung von Logik aufgetan, indem ich zunächst der traditionellen Ordnung der Disziplinen folgte und die Philosophie durch Verweis auf ihr primäres Material, die Sprache aussperrte. Es wird Zeit, konkret zu erörtern, was denn Natur tatsächlich ist.
Literatur
Aravena, M., u.a., 2016, THE ALMA SPECTROSCOPIC SURVEY IN THE HUBBLE ULTRA DEEP FIELD: SEARCH FOR [Cii] LINE AND DUST EMISSION IN 6 < Z < 8 GALAXIES, arXiv.org (https://arxiv.org/abs/1607.06772), S.1-27. Cassirer, E., 1994, Dritte Studie: Naturbegriff und Kulturbegriff, in: Zur Logik der Kulturwissenschaften, Darmstadt, S.56-86. Freedman, W.L., 1993, Die Expansionsgerschwindigkeit des Universums, in: Spektrum der Wissenschaft (https://www.spektrum.de/magazin/die-expansionsgeschwindigkeit-des-universums/820581). Pege, K., 2015, Eine Theorie des selektiven Bezugs, eBook, Duisburg.
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perspektivismus · 7 years
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Perspektivismus
Perspektivismus und Perspektivität bezeichnen philosophische Lehren, die besagen, das die Wirklichkeit von Standpunkt und Eigenschaften des betrachtendem Individuum abhängig ist. Das menschliche Denken, Erkennen und Handeln ist endlich, da es vielfältigen Einschränkungen unterliegt, die aus den Bedingungen von Zeit und Raum, individuellen Veranlagungen, Umgebung und Situation resultieren.
Quelle: Wikipedia.
Denkt nach bevor ihr urteilt.
Just gonna leave this here.
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zitiertes · 9 years
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Während die Wissenssoziologie, welche den Unterschied von richtigem und falschem Bewußtsein aufweicht, sich gebärdet, als wäre sie Fortschritt im Sinn von wissenschaftlicher Objektivität, ist sie durch jene Aufweichung hinter den bei Marx durchaus objektiv verstandenen Begriff von Wissenschaft zurückgefallen. Nur durch Brimborium und Neologismen wie Perspektivismus, nicht durch sachhaltige Bestimmungen kann der totale Ideologiebegriff vom weltanschaulich-phrasenhaften Vulgärrelativismus sich distanzieren.
Theodor W. Adorno, Die Logik der Sozialwissenschaften, in: Theodor W. Adorno et al., Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, Neuwied / Berlin: Luchterhand, 1972, S. 137.
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fabiansteinhauer · 2 years
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Diplomatie und Diplomatik
1.
Das sog. Kollisionsrecht ist ein Teil des internationalen Rechts und der Rechtsvergleichung. Unter diesem Begriff werden die rechtlichen Normen zusammengefasst, anhand derer bestimmt wird, welche konkurrierenden Rechtsnormen oder welche konkurrierenden Rechtsordnungen auf einen bestimmten konkreten Tatbestand anzuwenden sind. Vater kommt aus Spanien, Mutter aus Holland, man heiratet in England, bekommt Kinder in Rußland und stürzt mit dem Flugzeug über Korea ab: Welches Erbrecht gilt jetzt, wenn eine Tochter inzwischen in Schweden lebt und eine andere in Brasilien? In der Diplomatie und der Diplomatik und damit in den juridischen Kulturtechniken, die den 'paralegalen' Bereich der Kanzleien oder dasjenige bilden, konkurrieren nicht nur Sätze und Gesetze, da rivalisieren auch Perspektiven und verkehren Raum und Zeit.
Sheila Jasanoff hat diesen paralegalen Bereich unter dem Begriff science of the bar beschrieben. Der Titel ihres Buches leitet sich von der 'bar' ab, der Sperre oder Gerichtschranke, vor der die Anwälte, Klienten, Mandanten und Zeugen stehen und über die hinweg sie zu den Richtern sprechen und ihre Schreiben überreichen. Das ist heute ein Tisch oder eine Tafel, sie unterscheidet Räume und steht auch für die Unterscheidung zwischen Fakten und Normen, auch für ein Operationsfeld, dessen Austauschmanöver u.a. so gefasst wird: 'da mihi facta, dabo tibi ius' oder wie der Russe sagt: дай мне факты даю тебе иус.
Die paralegalen, juridischen Kulturtechniken folgen zwar keiner juristischen Methode, sie stützen sich auch nicht auf Rechtsquellen. Sie bereiten aber das Wissen auf, das man in der Moderne nicht mehr zu den Normen, sondern zu den Fakten oder Tatsachen zählt. Und sie machen das mit Techniken, in deren Entwicklung auch Juristen und rechtliche Fragestellungen involviert waren und die dem Recht also doch verwandt sind. Das Dogma der großen Trennung verläuft in der Moderne auch auf der Spur, Normen und Fakten sowie juristische Methode und anderen Methoden nicht zu vermengen und Normativität da enden zu lassen, wo Kausalität beginnt. Noch in seiner Theorie der Normativität schreibt Christoph Möllers, dass Normativität da ende, wo Kausalität beginne. Zählen soll keine juristische Methode sein, Texte auslegen schon. Messen soll keine juristische Methode sein, Relationen schreiben schon. Wer's glaubt, wird selig und berät Wirecard unbesorgt.
Die juridischen Kulturtechniken und der paralegale Bereich operieren in jenem 'effektiven Bereich', in dem Kausalität und Zurechnung auch jenseits des Mythos noch verknüpft sind. Auch in den Wissenschaften, die man Naturwissenschaften nennt, werden Differenzen operationalisiert. Im Sinne der Kulturtechnikforschung sind darum auch Naturwissenschaften normativ. Das macht sie noch nicht politisch und ihre Akteure noch nicht zu Machthabern. Diejenigen, die eine Foucaultallergie haben müssen nicht gleich zusammenzucken. Die Regulierung der Zeit, die Bestimmung von Maßen, die Einrichtungen von Räumen und Zeiten ist dafür nur ein Beispiel für Vorgänge, zu denen in den Medienwissenschaften und der Kulturtechnikforschung geforscht und gelehrt wird, ohne die Vestingschen Sorgen um Verschmelzung und nicht einmal davon getrieben, sich auf der Höhe der Zeit zu halten, sondern eine Archäologie zu betreiben.
2.
In der Diplomatie entwickelt sich insofern ein besonderes Interesse an Instrumenten, Geräten und Medien, die anders operieren, als es das Gesetz und seine Sätze machen. Diese Objekte kann man Polobjekte nennen. Es sind Objekte, deren Kernproblem nicht in der Sicherung des Verhältnisses zwischen dem Signifikat und dem Signifikaten besteht. Die sind nicht dafür da, den Souverän oder ein souveränes Bewußtsein zu vergegenwärtigen oder den Menschen vor einem Abgrund abzuschirmen. Sie sind dafür da, etwas kehren, drehen und wenden zu können, sie sind nicht nur dem Perspektivismus verpflichtet, sondern auch dem Verkehr und den Austauschmanövern. Man soll ruhig raus auf das Meer und rein in entsicherte Gelegenheiten.
Es ist schon fraglich, ob man diese Polobjekte als Zeichen verstehen soll. Sie sind eher das, was Warburg ein Gerät nennt, was man mit Nietzsche vielleicht Schreibzeug nennen kann, mit Kittler gesprochen ist das ein Teil von 'Aufschreibesystemen", vielleicht sollte man sich das Wort System hier sogar sparen; es sind Aufschreibeapparate. Das Formular, die Formel, die Tabellen, der Sextant: Diese Objekte sind nicht nur der Aufmerksamkeit der Ikonoklasten entgangen. Ihnen zu lange und zu groß einen Streit um das Verhältnis zwischen Form und Inhalt zu widmen, wäre auch ineffizent, dafür sind diese Polobjekte zu hohl oder zu wendig. Sie liefern vielleicht Aussagen wie 'Es regnet' und 'Es regnet nicht', aber sie lügen deswegen nicht und sie sind deswegen nicht widersprüchlich, weil sie die Aussagen an zwei unterschiedlichen Stellen platzieren und ihr Wissen insoweit adressieren und polarisieren. Im Norden Regenzeit, im Süden Trockenheit, why not. Hier Tragödie, da Komödie, hier pastorale Landschaft, da Historie und Pathos. Jetzt hier zwei Uhr, dort drei Uhr, aber etwas weiter ist es fünf Uhr und dort sieben Uhr. Warum nicht? Draußen ist es kälter als abends, drei Schaafe kosten im April mehr als fünf Ziegen, aber nicht im Januar; in Tabellen können auch solche elliptischen, verkürzte oder 'schrägen' Vergleiche noch einen Sinn machen, auch wenn man dafür mit dem Finger ein paar mal hin und her fahren muss und die Übersicht so schnell wieder verlieren kann, wie man sie gewinnen kann. Polobjekte produzieren Aktenmaterial, das nicht unbedingt signiert werden muss, es muss aber laufend aktualisiert, umsortiert, umgestellt und umgeschrieben werden. Man muss mit Polobjekten jeden Tag machen, was Warburg 'Gestellschieberei' nennt.
3.
Holbeins berühmtes und vielkommentiertes Bild der beiden Diplomaten zeigt im Zentrum des Bildes, in der mittleren von drei Spalten drei Zeilen mit Polobjekten: Einmal ganz oben auf der Tafel und auf der Höhe der Zeit sieht man meines Erachtens das 'aktuell benötigte und zeitgenössische Gerät', auf einem unteren Gestell des Tisches sieht man nicht aktuelles, nicht zeitgenössisches Gerät (eine Regula in einem Buch!) und ein drittes mal noch weiter unten, diesmal aber so, dass es nicht in dem konzipierten Bildraum aufliegt, sondern nur auf der Tafel, die die Malerei selber ist. Der anamorphotisch verzeerte Schädel, durch Verzerrung eine vage Linie, liegt nicht in dem Raum auf, indem die beiden Diplomaten stehen. Er ist dem Bild aufgemalt. Es gibt bei Plinius die fast witzige Formulierung eines imago picta, des angemalten Bildes. Man schliesst daraus, dass das imago, von dem Plinius spricht, selber keine Zeichnung und Malerei ist (es ist dort eine Maske, die angeblich durch mechanischen Abdruck entsteht). Formeln aus dem römischen Recht sprechen von tabula picta, gemeint ist in dem Fall die angemalte (Holz-)Tafel. Hier bei Holbein haben wir beides: Er malt seinem Bild etwas auf, er malt das gemalte Bild an und verwandelt es so noch einmal (zurück) in eine Tafel, die anders ist als der Tisch, aber auch anders als das Bild des Raumes und seiner Gedandten. Holbein macht die Bildflächemit der vagen Linie insgesamt zu einem Polobjekt.
Polobjekte operieren mit dem Zeichen und seinem 'Grund', also den Bild- oder Schreibgründen. Das macht Holbein hier auch. Es richtet mit Mitteln der Zentralperspektive einen Raum, einen Blick und eine Betrachterposition ein, mit Mitteln der Anamorphose richtet er aber eine zweite Position ein. Der Betrachter sollte vor dem Bild hin und her gehen. Er soll sich auf der geometrischen Fixierung der Zentralperspektive lösen und an einen Punkt begeben, an dem der Schädel sich zusammenzieht und unverzerrt sichtbar wird. Von diesem Punkt aus ist dann der zentralperspektivisch organisierte Raum verzerrt. Und der soll wieder zurückkehren, er soll hin und her gehen, er soll vor dem Bild herumstreifen oder aber (wie Johannes Geil noch sagen würde) vor dem Bild 'fagieren'. In den Kehrmanövern tauscht man eine Verzerrung gegen die andere. Das Vage des Bildes liegt auch hier nicht im Ungefähren oder Unbestimmten, es liegt in der Präzision der Manöver oder Kehren.
3.
Man hat die Diplomatie und die Diplomatik oft auf Techniken des Faltens bezogen; man sollte sie weiter auch auf weitere 'vage Techniken' beziehen, wie etwa das Biegen und Beugen, das Klappen und Kehren, den Verkehr und den Verzehr, das Bekehren und Begehren. Das heißt aber auch, dass jenseits der juristischen Methode historisch ein Bereich juridischer Techniken existiert, die ebenfalls Differenzen operationalisieren, nur eben mit anderen Mitteln, Dingen, Geräten und Medien, als es jene Juristen tun, die juristische Methode als Auslegungsmethode an den Medien der Sprache, der Schrift und des Buches entwickeln. Es reicht schon nicht, juristische Techniken als Scheidekünste zu beschreiben, weil Juristen nicht nur unterscheiden, entscheiden oder aber Gesetze verabschieden; sie schichten und skalieren, messen und mustern auch. Noch mehr gilt das für die juridischen Kulturtechniken.
Es heißt zweitens, dass der Computer in einer Hinsicht kein neues Medium ist, nämlich in Bezug auf sein Kalkül, das (wie man immer wieder bei Siegert nachlesen kann) mit vergleichbaren Techniken operiert. Neben den Bedingungen des Netzwerkes oder der Plattform sind die Bedingungen des Kalküls Bsonderheiten des Computers und gleichzeitig etwas, was ihn nicht besonders macht. Es heißt drittens, dass das Juridische nicht hinreichend beschrieben ist, wenn man es nur in der Tradition der Moralphilosophie beschreibt oder aber wenn man sogar (wie Loick das macht) das Juridische mit Bedingungen des bürgerlichen Rechts im Nationalstaat und seiner Systemphilosophie in eins setzt.
4.
Georges de Selve, in Holbeins Bild rechts, wurde übrigens nach der Mission, die ihn 1533 nach London und dann noch am 11. April (nach Vorgabe der Computisten war das nicht nur Karfreitag, sondern auch wirklich der 11. April 1533) auf dieses Bild von Holbein brachte, apostolischer Protonotar.
Er wurde einer der Vorgänger derjenigen Figur, die auf Warburgs Staatstafeln in Spalte 1, Zeile 2 und 3 auftaucht: Francesco Borgongini Duca, dem die Aufgaben zukam, das Treffen und die Schreiben vorzubereiten (zum Beispiel Uhrzeit und Datum festzulegen und zu prüfen) und dann während des Abschlusses der Lateranverträge vor den Schreibakt der Signaturen noch einmal vorzulesen. Warburg protokolliert das Protokoll pedantisch genau, schon weil es ihm auf den Tafel um etwas geht, was ich Effektivität nennen würde, dass bei Warburg aber mit seiner Vorstellung von Polarität auch die Welt der Berechenbarkeit und eines mathematisierbaren Kalküls und die Welt der Warburgschen Erregung, des Pathos umfasst. Noch eine Figur wie der Protonotar verbindet beides, darum sitzt auch Warburgs Bildwissenschaft mit am Tisch.
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