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The Dead of the Foxhunter
Es war Spätsommer und bald würde der Herbst kommen. Der alte Jäger saß in seinem mit Schaffell bezogenen alten Sessel und sinnierte vor sich hin. Der Sessel stand vor der Terrassentür und er konnte mit seinem Gehstock die Tür aufstoßen, wenn er die Luft im Zimmer nicht mehr ertragen konnte. An diesem Gehstock, den er seit etwa einem Jahr hatte, war am oberen Ende eine Fahrradklingel angebracht. Hiermit konnte er einen seiner zwei Diener beordern, die dann all das für ihn taten, was er nicht mehr selbst tun konnte.
Das Gehen fiel im schon seit Jahren zunehmend schwerer. Dieses Jahr würde es das erste Jahr sein, dass er nicht mehr mit auf die Jagd nach den Böcken gehen konnte. Schon seit Jahren war er nicht mehr in der Lage auf sein Pferd zu steigen, die Fuchsjagden, die er so liebte, sie waren für immer für ihn vorbei. Im ersten Jahr, als er merkte das das Reiten auf der Flur nicht mehr gefahrlos für ihn sein würde, da war er noch mit dem Pferdewagen zur Strecke gefahren und hatte mit den anderen nach der Jagd die Strecke geblasen. Doch das Horn, es war mittlerweile nur noch ein Stück Blech für ihn. Seine Lunge hatte nur noch wenig Kraft und der Arzt meinte er müsse jetzt besonders auf sich aufpassen. Er hatte damals nichts dazu erwidert. Ein Leben ohne Jagd, das war für ihn nicht vorstellbar.
Hier im Lakeland Distrikt mit seinen sanften Hügeln, den sattgrünen Wiesen, die wie überall im Norden Englands die mit Steinwällen umzäunt waren, hier gehörte die Jagd zum Leben. Töte niemals etwas, was du auch nicht essen würdest. Das hatte sein Vater ihm, als er noch ein kleiner Junge war, gesagt. Er hatte sich sein Leben lang darangehalten. Er brauchte das Geld, das er mit dem Verkauf von Wildbret verdiente, nicht. Sein Vater hatte ihm ein stattliches Vermögen hinterlassen und ohnehin gab er das Fleisch den Menschen auf seinen Ländereien gerne. Die wenigen Bauern hatte[3] n ihre Not, mit dem was sie hatten, auszukommen. So versorgte er sie mit Hirsch, Reh und Kaninchen. Nur den Fuchs, den alten Räuber, den jagte er aus der reinen Lust am Jagen. Er war schlau und der alte Jäger hat ihn[4] oft tagelang alleine nachgestellt. Manchmal gewann der Fuchs und manchmal der Jäger. Für ihn war es wichtig, dass das Gleichgewicht immer wieder hergestellt wurde. Die Treibjagden auf den Fuchs, wie sie in England seit Jahrhunderten üblich sind, sie widerten ihn an. Das was du jagst, das muss auch eine Chance haben davonzukommen, das war stets seine Devise gewesen.
Der Wind rüttelte an den Fensterläden und der alte Jäger merkte, obwohl es draußen noch warm war, wie die Kälte an seinen Beinen hochzog. Er konnte spüren, wie die Kälte seine Brust erreichte und ihm das Gefühl überfiel, die Luft würde ihm gleich wegbleiben. In diesem Moment dachte er: Dann lass es vorbei sein, hol mich, wer immer du bist, Gott oder Teufel oder wer weiß sonst was. Aber diesen Gefallen wurde ihm nicht getan. Nach etlichen Hustenanfällen kam er wieder etwas zu Kräften und seine Diener – sie waren fast schon Freunde – sie umsorgten ihn und so ließ der Tod weiter auf sich warten.
In der folgenden Nacht schlief er schlecht. Er wachte mehrfach auf, zündete die Petroleumlampe, die neben ihm auf dem Nachttisch stand, an und starrte zur Decke. Immer öfter hatte er das Gefühl die Dunkelheit um ihn herum nicht mehr ertragen zu können. Er horchte in die Nacht. Das Fenster stand immer offen, im Sommer wie im Winter. Der alte Jäger versuchte zu hören, welche Tiere draußen unterwegs waren. Seine Augenkraft verließ ihn zunehmend, aber sein Gehör war immer noch geschärft. Ein Rascheln in den Laubhaufen, er wusste genau, ob das Geräusch von einem Igel oder von einer Maus herrührte. Selbst das schnelle Flirren der Luft, das von einer Fledermaus oder von einer Eule entstammen konnte, er konnte es hören und deuten. Sie sind alle da draußen, dachte er. Sie jagen, weil sie jagen müssen. Wer nicht auf die Jagd geht, der stirbt. Der Tod als Teil des Lebens, für ihn eine Selbstverständlichkeit.
Wenn er im Bett lag, konnte er auf der gegenüberliegenden Seite die Uhr beobachten. Die Uhr hatte ein Pendel und ein Zifferblatt mit römischen Zahlen darauf. Neben dem runden Glas, das das Zifferblatt abdeckte, waren darunter noch zwei Glasfenster. Durch diese konnte er sehen, wie das Pendel hin und her schlug. Eine Bewegung eine Sekunde. Er hörte das leise Klacken nur, wenn er sich darauf konzentrierte. Nur wenn es nicht schlug, weil die Diener vergessen hatten es aufzuziehen, dann fehlte ihm das Klacken. Manchmal, wenn er so wie heute nicht schlafen konnte, dann beobachtete er das Pendel und ihm wurde bewusst, dass mit jedem Schlag sein Leben kürzer wurde. Unaufhörlich, ohne Erbarmen, kroch die Zeit dahin und fraß ihn innerlich auf. Dann konnte er sich oft stundenlang nicht der verrinnenden Zeit entziehen. Er sah auf das Zifferblatt. Drei Uhr war es. In ihm kamen die Gedanken hoch, die Gedanken, die immer öfter zu ihm kamen und die er nicht mehr loswerden würde. Heute, so dachte er, heute ist ein guter Tag.
Er griff nach der Glocke, die neben ihm auf dem Nachttisch stand und läutete. Er wartete, denn seine Diener waren es nicht gewohnt von ihm nachts geweckt zu werden. Nach einigen Minuten kam einer von ihnen herein. Sir, sagte er fragend.
Jack, sagte der alte Jäger, hol Tom her, ihr müsst mir heute einen Gefallen tun. Jack sah ihn verwundert an, ging jedoch ohne eine Frage zu stellen in das Schlafzimmer von Tom. Sie kamen nach einigen Minuten wieder.
Ihr müsst mir heute Nacht einen Gefallen tun, sagte der alte Jäger, diesmal zu beiden. Sie schauten ihn mit fragenden Augen an. Sie kannten seine kauzige und manchmal schroffe Art, dennoch arbeiteten sie gerne für ihn. Er hat sie stets ordentlich behandelt. Es ging ihnen beide besser als manch andern, der für seine Herrschaften im Distrikt arbeiten musste. Der alte Jäger hatte sie immer mit Respekt behandelt. Jeder hat seine Stellung im Leben, hatte der alte Jäger gesagt. Jeder Mensch hat ein Anrecht auf eine ordentliche Behandlung.
Der alte Jäger sah sie an. Das worum ich euch nun bitte, sagte er mit leiser Stimme, das tut bitte, ohne mich zu fragen, warum ihr es tun sollt. Tom und Jack standen vor ihm, regungslos aber mit fragender Miene.
Ich kann kaum noch gehen, sagte der Jäger. In zwei Stunden geht die Sonne auf. Ich möchte, dass ihr mich in diesem Sessel an die Lichtung bringt. Tom und Jack wussten, um welche Lichtung es sich handelte. Dort war ihr Herr viele Male im Jahr auf Ansitz. Manchmal kehrte er mit einigen Hasen oder auch Dachsen zurück. Ein andermal hatte er ein Reh geschossen. Immer waren es Tiere, die entweder schwach oder alt waren. Oft fragten sie sich, warum er nicht, wie andere Jäger auf Trophäen aus war. Der alte Jäger hatte ihnen erklärt, dass es sich eher als Wolfsersatz sehen würde. Sie hatten das nicht ganz verstanden, trauten sich aber nicht ihn weiter auszufragen.
Der alte Jäger wog nicht mehr viel und die beiden Diener nahmen ihn, mitsamt dem Sessel und trugen ihn vom Landgut nördlich hinweg zur Lichtung. Sie durchquerten einen alten Buchenwald. Zum Glück schien der Mond, aber sie hatten zur Sicherheit noch eine Petroleumlampe mitgenommen. Sie dachten die ganze Zeit darüber nach, warum sie den alten Jäger dorthin bringen sollten. Ihr Herr sagte die aber fortwährend kein Wort, aber er war wach, hellwach und seine kleinen Augen suchten. Oft hielt er den Blick nach oben zu den grünen Baumwipfeln, doch in der Dunkelheit waren noch keine Vögel unterwegs. Eine Eule querte ihren Weg und der alte Jäger hielt den Atem an.
Sie brachten ihn, ohne ihn einmal absetzen zu müssen, an die Lichtung. Der Mond schien auf das Feld und der alte Jäger sah, wie der Tau auf den Gräsern hing. Wie ein Schleier dachte er, wie ein Hochzeitsschleier. Die Natur als Braut. Sie vermählt sich jeden Tag aufs Neue mit uns. Ihm gefiel dieser Gedanke und fast hätte er sie seinen Dienern anvertraut. Der Platz, an dem er nun saß, war etwas erhöht, so dass er alles überblicken konnte.
Sir, sagte einer der Diener, wir haben ihre Büchse vergessen. Der alte Jäger sah ihn an und sagte: Die brauche ich heute nicht. Bitte lasst mich jetzt alleine. Wenn die Sonne eine Handbreit über dem Horizont aufgegangen ist, dann holt ihr mich wieder. Er bat beide zu sich. Er nahm ihre Hände und schaute sie an. Mit nicht ganz fester Stimme sagte er: Danke. Sie sahen ihn an, dann sich gegenseitig. Sir? fragten sie. Geht jetzt, sagte der alte Jäger, jetzt in seinem herrischen Ton. Verschwindet endlich.
Er horchte in die Nacht, hörte seine Diener durch das Dickicht gehen, sie flüsterten leise. Nach und nach konnte er ihre Stimmen nicht mehr hören, auch ihre Schritte, die über getrocknete Äste gingen, waren nicht mehr vernehmbar. Nun war er allein. Allein mit sich. Doch er fühlte sich überhaupt nicht so. Hier draußen, hier war er zu Hause. Er zog die Luft ganz langsam durch seine Nase. Der Duft von frischer Erde, vermodertem Holz und nassem Gras vermischte sich zum Duft, das sein Leben war.
Noch einmal, so dachte er, noch einmal alles in mich aufnehmen. Er schaute auf die Lichtung und sah das der Tau langsam abnahm, die Sonne ließ ihre ersten Strahlen am Horizont erahnen. Nur langsam wurde es heller. Ein goldener Strich am Horizont ließ die Welt in eine Farbe tauchen, die er so mochte. All das, so sprach er zu sich selbst, all das kann man nur einmal am Tag erleben, doch viele Menschen sehen es nie in ihrem Leben.
Er schaute nach oben. Über ihn hatte eine alte Buche ihre Äste wie einen Baldachin gespannt. Er kannte diese Stelle seit seiner Kindheit. Schon mit seinem Vater hatte er hier Stunden verbracht. Nun kam es ihm vor, dass auch die alte Buche mit ihm gealtert schien. Einige ihrer Äste waren kahl und dürr. Wie meine Beine sagte er und lachte etwas. Auch war das Blätterdach nicht mehr so dicht wie es mal war. Wir haben alle unsere Zeit hier, mein Freund, sagte er zu dem Baum.
Plötzlich sah er vom rechten Waldrand her drei Rehe auf die Lichtung treten. Doch obwohl er diesen Anblick schon so oft gesehen hatte, diesmal schlug sein Herz noch schneller. Es war das Herz eines Jägers das sein Blut durch die Adern jagte. Er öffnete leicht den Mund damit sein Atem nicht hörbar war. Die Rehe gingen in einen Abstand von etwa 10 Meter hintereinander. Der alte Jäger rührte sich nicht. Mit einem Mal fühlte er kein Alter mehr in sich. Er erinnerte sich an die jungen Jahre, als er in der Morgendämmerung auf sie gewartet hatte. Es ist jedes Mal so. Der Moment, in dem das Wild ins Blickfeld eintaucht, ist wie der Moment und die Anspannung der aller ersten Jagd. Immer. Oft hatte er gar nicht gejagt, so wie heute, ging oft ohne Büchse raus. Nur den Revolver hatte er dabei. Einmal hatte er eine unliebsame Begegnung mit einer Wildschweinbache gehabt. Damals hatte er den Revolver nicht dabei und sein Hund hatte die Begegnung nicht überlebt.
Der alte Jäger zog die Decke über seine Schultern. Es fröstelte ihn leicht. Die Rehe ästen jetzt friedlich im Morgengrauen, immer wieder schauten sie auf und oft glaubte er, dass sie ihn längst gesehen hätten und irgendwie wussten, dass er seine Büchse nicht dabeihatte. Ihr seid gar nicht so dumm, wie manche Leute glauben, murmelte er.
Die ersten Vögel fingen an ihr Lied zu singen und die Sonne erhellte mehr und mehr die Umgebung. Er liebte diesen Übergang von der Nacht in den Tag. Wenn etwas Neues anbricht, dann muss vorher etwas Altes sterben, dachte er. Er fühlte ein kleines Stechen in seiner Lunge und die Schmerzen, die jeden Tag da waren. An diesem Morgen waren sie noch stärker. Er schaute in den Himmel. Ein Falke kreiste über die Lichtung und suchte nach Beute. So mancher wird den Tag nicht überleben, sage er zu sich.
Lange saß er da und er beobachtete nur den beginnenden Tag. Nichts woran er sonst dachte. Alles war gut, alles ist im Hier und Jetzt. Es ist immer nur der Augenblick, der zählt. Die Gegenwart ist so klein, dass wir sie meist verpassen und in der Vergangenheit denken. Er fühlte, wie sein Atem langsamer wurde. Die Schmerzen in der Brust waren nur noch leicht fühlbar. Er merkte, dass er seine linke Hand nicht mehr bewegen konnte.
Er saß da und hörte ein kleines leises Geräusch neben sich. Er traute sich kaum den Kopf zu bewegen und aus den Augenwinkeln sah er eines der jungen Rehe. Es stand seitlich etwa fünf Meter von ihm entfernt. Unmöglich das es mich nicht in der Witterung hat, dachte der alte Jäger, der Wind steht doch auf ihn. Er sah, wie das Reh langsam näherkam. Hin und wieder nahm es ein Büschel Gras, fraß es und schaute sich um. Dann nach einigen Minuten, oder waren es schon Stunden, der alte Jäger hatte kein Gefühl mehr für Zeit, kam es immer näher.
Er merkte, wie sein Herz langsamer schlug und eine eisige Kälte stieg von seinen Füßen hinauf, über die Beine, seinen Bauch und dann umklammerte die Kälte sein Herz. Eine kalte Faust, die sich mehr und mehr zusammenzog. Er atmete langsam und ruhig. Er fühlte keine Angst, er wusste, dass die Zeit gekommen war. Das Reh, wie ein Zeichen für die Versöhnung mit der Natur, schuldlos und ohne Angst, kam ganz nah. Er fühlte noch, wie die weiche Nase an seine Hand stupste.
Dann, ganz langsam, schwand alles Leben aus ihm.
Ein Schwarm Vögel stieg aus den Bäumen, das Reh erschrak sich und stob in großen Sätzen davon.
Der alte Jäger saß in seinem alten, mit Schaffell bezogenen Sessel, an der Lichtung und hatte seinen Frieden gefunden.
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