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James Joyce, with daughter Lucia, wife Nora, and Eugene Jolas, 1932
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Erika Mann and her brother (and collaborator) Klaus Mann in 1927
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Ivan Shagin, Mass Paratrooper Landing in Kyiv, part of the Large Kyiv Maneuvers training exercises, USSR, September 12â17, 1935
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Als Tim Berners-Lee die drei W vor dem Massachusetts Institute of Technology mit einer Taschenlampe in die Luft malt, ist das Image der digitalen Technologien noch weniger beschÀdigt als heute. (Bild: Sam Ogden / SPL / Keystone)
Das World Wide Web wird 30. Das digitale Netz dringt in alle Lebensbereiche vor â mit noch immer unabsehbaren Folgen
Ein Leben ohne digitale Infrastruktur ist heute unvorstellbar. Dreissig Jahre liegt die Erfindung dieser Technologie zurĂŒck, die uns nie geahnte Möglichkeiten erschlossen hat â im Guten wie im Schlechten.
Evgeny Morozov, 17.4.2019
Dreissig Jahre ist es her, dass Tim Berners-Lee das World Wide Web erfunden hat â und heute mag man versucht sein, sich in jene Zeit der Unschuld zurĂŒckzuwĂŒnschen. Eine Zeit ohne Cambridge Analytica, ohneEchtzeit-Videos von TerroranschlĂ€gen oder die allgegenwĂ€rtige Bedrohung durch Cyberattacken auf kritische Infrastrukturen. Tim Berners-Lee selbst hat in einem im Dezember 2018 veröffentlichten Manifest eingestanden, dass «trotz allem Guten, das wir erreicht haben, das Web zu einem Spaltpilz geworden ist, der Ungleichheit und Zwietracht fördert; dass es von mĂ€chtigen Akteuren dominiert wird, die es in den Dienst ihrer eigenen Agenda stellen».
Dieses Heimweh nach dem alten Web, wo die Browser langsam waren und die Websites kunstlos, wo noch die Spinner von Ebay im Rampenlicht standen und nicht die chic gekleideten BĂŒrohengste von Amazon, ist begreiflich. Und es wird noch stĂ€rker werden, je mehr die virtuelle DomĂ€ne, die einst von digitalen Handwerkern und Bastlern besiedelt war, zum Tummelplatz kapitalkrĂ€ftiger Staatsfonds und zum Zankapfel mit dem ZweihĂ€nder antretender Regierungen wird. (Als Beispiel wĂ€re der Streit zwischen Washington und Peking um die 5G-Technik zu nennen.)
Virtuell â das war einmal
Weitgehend unbemerkt ist das, was wir einst spielerisch Cyberspace nannten â etwas Immaterielles, Virtuelles und VergĂ€ngliches â, zum kapitalintensivsten Sektor der Wirtschaft geworden, gestĂŒtzt von handfesten Dingen wie riesigen Rechenzentren, Unterseekabeln und einer Sensor-Infrastruktur, die unsere StĂ€dte ĂŒberspannt. Im Jahr 2018 haben allein die vier Internet-Giganten Google, Facebook, Amazon und Microsoft mehr Kapital, nĂ€mlich 77,6 Milliarden Dollar, investiert als die vier grössten Ălfirmen: Bei Shell, Exxon, BP und Chevron belief sich die Summe auf 71,5 Milliarden.
Diese exorbitanten Summen dĂŒrften all jene, die das Internet noch immer fĂŒr irgendwie immateriell oder sogar virtuell halten, vom Gegenteil ĂŒberzeugen. Was kann materieller sein als ein Wirtschaftszweig, der mehr Geld als die Ălindustrie investiert, um all seine scheinbar kostenlosen Dienstleistungen auf unseren GerĂ€ten zu parkieren? Auch die Auswirkungen dieser Technologie auf die Umwelt â ein Gutteil jener Investitionen diente zum Aufbau energieintensiver Rechenzentren â dĂŒrften schwerlich zu unserer Vorstellung des «Virtuellen» passen.
In Anbetracht dieser fortschreitenden «Kolonisierung» des einst jungfrĂ€ulichen Cyberspace durch Grosskapital und politische MĂ€chte mag es durchaus entschuldbar sein, wenn wir uns wieder in die Zeit wĂŒnschen, da alles einfacher war. Weniger verzeihlich sind gewisse politische BemĂŒhungen, uns mittels einiger schlauer juristischer und technologischer Tricks in diese imaginĂ€re Vergangenheit zurĂŒckzubefördern.
Technokratische Heilslehre
Berners-Lees Manifest, ĂŒber das wegen des Jahrestags derzeit wieder diskutiert wird, ist ein gutes Beispiel fĂŒr diese technokratische Heilslehre. Sie geht davon aus, dass die Informatiker, die uns so sehr enttĂ€uscht haben â aber wie konnten sie anno 1989 das Facebook-Debakel voraussehen? â, auch diejenigen sind, die uns retten werden. Zu diesem Zweck haben Berners-Lee und die von ihm gegrĂŒndete World Wide Web Foundation die Einrichtung einer neuen Technologieplattform namens «Solid» vorgeschlagen: Sie soll â so heisst es im Manifest â «die Macht und Handlungskompetenz des Individuums auf dem Web wiederherstellen».
Die technischen Details von Berners-Lees Lösungsvorschlag sind vielfĂ€ltig und hier nicht relevant; es reicht, zu sagen, dass «Solid» den Nutzern die Möglichkeit verschaffen wĂŒrde, selbst zu entscheiden, was mit den Daten geschieht, die sie generieren, wer Zugriff darauf hat und so weiter. FĂŒr sich genommen ist das eine erfreuliche Entwicklung â angesichts eines Status quo, der den technisch am besten ausgerĂŒsteten Firmen quasi ein Monopol auf den Zugang zu Nutzerdaten verschafft. Auf diese Weise könnte vielleicht sogar ein weiteres Cambridge-Analytica-Debakel verhindert werden.
Das Problem bei Berners-Lees Ansatz liegt darin, dass er die Geschichte des World Wide Web auf genau jene Art missversteht, die bisher jedes politische BemĂŒhen, den Aufstieg der Tech-Giganten oder die Herausbildung zweier konkurrierender Technologie-Pole in China und den USA zu verhindern, weitgehend blockiert hat. Berners-Lee und seine Gefolgsleute bei der World Wide Web Foundation verpacken ihre technokratische Agenda ĂŒblicherweise in die erhabene Rede von einem neuen «Gesellschaftsvertrag» oder gar einer digitalen «Magna Carta». Aber in ihren Ăberlegungen steckt nichts, was auch nur annĂ€hernd so wirkungsmĂ€chtig wĂ€re wie diese Schriften, denn sie reduzieren die ganze Geschichte des Internets auf den Ăbergang von einer guten Technologie â der Erfindung des Ăbertragungsprotokolls HTTP â zu einer anderen guten Technologie â «Solid» â, wobei die vergangenen drei Jahrzehnte nicht mehr sind als ein Zwischenspiel.
Ein solches GeschichtsverstĂ€ndnis rekurriert auf die Vorstellung von einem jungfrĂ€ulichen, nur von wohlmeinenden Programmierern, Computerfreaks und interessierten Amateuren besiedelten Cyberspace; das Böse drang, von dieser Warte aus gesehen, erst mit den trampelnden Massen ein, die â gewiss von den Kapitalisten angefeuert â den guten alten virtuellen Lebensraum zu gentrifizieren begannen. Und hinter den Massen kamen die Regierungen â allen voran deren Geheim- und Ăberwachungsdienste.
Der Geburtsfehler
Allerdings war es genau umgekehrt. Die ersten Datennetzwerke wurden im Pentagon und an der Wall Street entwickelt und propagiert. Die Regierungen hatten von Anfang an ihre Hand im Spiel, wobei nicht nur die Geheimdienste involviert waren, sondern auch â jedenfalls in den USA â das Finanz- und das Handelsministerium: Sie sollten die weltweite Vormachtstellung der amerikanischen Computerindustrie sichern. Die Werbeindustrie sprang nicht erst nach der Jahrtausendwende auf den digitalen Zug auf, sondern schon in den frĂŒhen neunziger Jahren, als die ersten Browser installiert wurden.
So war der monumentale Euphemismus, der das World Wide Web letztlich ist, schon bei der Geburt hĂŒben von Regierungsinteressen und drĂŒben von jenen der Wirtschaft bedrĂ€ngt; es war damals allerdings noch zu klein, um massive Kapitalinvestitionen zu rechtfertigen. Das hat sich inzwischen geĂ€ndert â deshalb steckt auch Saudiarabien seine Gelder lieber in Startups wie Uber als in traditionellere Wirtschaftszweige.
Die Vorstellung, dass die Nutzer in den glĂŒcklichen neunziger Jahren eine gewisse Macht hatten, die nun «wiederhergestellt» werden soll, ist pure Illusion: Da verwechselt man lediglich den dannzumal vorherrschenden Mangel an Interesse von Wirtschaft und Politik â der denjenigen ein bescheidenes Mass von Autonomie gewĂ€hrte, die solches begehrten â mit einer genuinen und in der Verfassung festgeschriebenen Ordnung, die unverĂ€usserliche Rechte und Freiheiten garantiert, ungeachtet der Kosten, die der Wirtschaft oder der Politik daraus erwachsen. Eine solche Ordnung ist nie geschaffen worden: Die «Freiheit» der Nutzer verdankte sich lediglich der Tatsache, dass Kontrolle und Kommerz im Internet damals erst im Anfangsstadium waren.
Eine Politik fĂŒrs Digitale
Eine wirkliche ErmĂ€chtigung der Nutzer erfordert viel mehr als nur ein weiteres cleveres Programm fĂŒr den Umgang mit Nutzerdaten; denn eine solche Massnahme stĂŒnde fĂŒr genau jenen technokratischen Interventionismus, der weltweit den Zorn der Populisten befeuert. Es gibt keine digitale ErmĂ€chtigung ohne politische ErmĂ€chtigung â und die ist nur zu haben, wenn wir uns das World Wide Web nicht mehr als Medium oder Tool denken, sondern als TrĂ€ger von Infrastrukturen, dank denen wir besser leben, arbeiten und kooperieren können.
ZunĂ€chst brauchen wir eine Politik fĂŒr diese Infrastrukturen, die auch Aspekte wie deren politische Ăkonomie, die BesitzverhĂ€ltnisse und die Verteilung der Risiken zwischen diversen öffentlichen und privaten Akteuren einbegreift. Erst dann können wir uns der profaneren Aufgabe zuwenden, die richtigen Mechanismen und Plattformen zu finden, um alle Bestandteile in eine gemeinsame Struktur einzubinden. Sonst könnte es geschehen, dass wir in zehn Jahren, wenn wir den 40. Geburtstag des World Wide Web feiern, dank dieser neuen Struktur zwar alle ermĂ€chtigt sind â dass die Macht ĂŒber die Struktur aber in den HĂ€nden von Mark Zuckerberg, Xi Jinping oder Mohammed bin Salman liegt.
Evgeny Morozov ist Autor und Blogger. Er beschĂ€ftigt sich seit Jahren mit neuen Technologien und Medien, die er im Kontext von Ăkonomie und Politik kritisch reflektiert. Aus dem Englischen von as.
Evgeny Morozov: Das Internet war nie ein Garten Eden
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Franz Grillparzer, Lithographie von Joseph Kriehuber, 1841
Weltmeister im Davonlaufen
Der vergessene Klassiker: Franz Grillparzer zum 200. Geburtstag Wenig gelesen, kaum noch gespielt â und doch: ein kritischer Wegbereiter der Moderne
Von Rolf Michaelis
Aus der ZEIT Nr. 03/1991 11. Januar 1991
So heftig hat selten ein Mensch Nein zum Ja gesagt. Da ist er nun, im Sommer des Jahres 1826, in der Postkutsche unterwegs von Wien nach Weimar, wo er "den alten Dichterkönig sehen" will, "zu dessen Untertanen ich einmal gehörte". Und was schreit der von Schlaflosigkeit und "starker Diarrhöe" gepeinigte Mann in das Tagebuch, das er in der Enge des rumpelnden Wagens auf den Knien hÀlt: "Ich will wieder nach Hause."
Nach Hause? Aber von dem Zuhaus in Wien ist er doch davongelaufen. Der mit 35 Jahren noch junge, sich steinalt fĂŒhlende Erfolgs-Autor sieht sich in der Heimat nicht geliebt. Zwar ist sein 1823 von der Metternichschen Zensur verbotenes, hochpatriotisches Trauerspiel "König Ottokars GlĂŒck und Ende" 1825 zur UrauffĂŒhrung freigegeben worden â einfach so, weil es der Kaiserin, die das Jamben-Drama auf dem Krankenlager las, nicht miĂfallen hat aber es ist nach fĂŒnfzehn Vorstellungen abgesetzt worden, weil im Vielvölkerstaat der Habsburger die Tschechen ihren Nationalhelden Ottokar geschmĂ€ht wĂ€hnten.
Auch politisch fĂŒhlt sich der menschenscheue AufklĂ€rer mit wachsenden reaktionĂ€ren Neigungen verfolgt. Ganze acht Wochen ist er zu dem gehobenen KĂŒnstlerstammtisch im Gasthaus "Haidvogel" gepilgert, der sich â mit der Lust von BiedermĂ€nnern an allem Verrufenen â "Ludlamshöhle" nennt: Schon hat die Geheimpolizei die SpieĂbĂŒrger-Höhle als vermeintliches Demokraten-Nest ausgerĂ€uchert.
Und, ach, auch der Frauen anbetende, Frauen fĂŒrchtende Einsiedler fĂŒhlt sich aus der Heimatstadt Wien vertrieben. In einem ihm lĂ€ngst unerklĂ€rlichen Leichtsinn hat er sich in die Augen der jungen Katharina Fröhlich, seiner "Katti", verguckt und mit der Besitzerin dieser Kopfjuwelen verlobt: "Abends, wenns dĂ€mmert noch, / Steig ich vier Treppen hoch, / Poch ans Tor, / Streckt sich ein HĂ€lslein vor, / Wangen rund, / Purpurmund, / NĂ€chtiges Haar, / Stirne klar, / Drunter mein Augenpaar!"
Daffinger, Moritz: Marie Daffinger, née Smolk von Smolenitz, the ArtistŽs Wife, Inv. No. 4254
Immer die Augen. Denn nun ist ihm, dem weiberfeindlichen Weiberfreund, in der Ballgasse ein fĂŒnfzehnjĂ€hriges Wiener MĂ€del in die Augen gefallen, Marie Smolk von Smolenitz â und schon ertrinkt er, durch Kattis Augen schauend, im Augen-See der vergötterten Marie. Fast scheut man sich, die vier Reime zu zitieren, die dieser vor sich selber diskrete Anbeter am nĂ€chtlichen Schreibtisch gekritzelt hat, um schwarz auf weiĂ ein GlĂŒck festzuhalten, das er im Leben zu ergreifen nie das Herz gehabt hĂ€tte: "Und diese Siegeraugen / Hab ich besiegt gesehn, / Hoch ĂŒber sich geschlagen / Feucht um Erbarmung flehn."

Moritz Michael Daffinger: Ritratto di Marie Daffinger 1828
Da hockt er nun auf rumorendem GedĂ€rm, in der stickigen Luft der Post-Chaise. TrĂ€umt sich zurĂŒck in "die SĂŒĂigkeit der NĂ€he bei Marien". Schaudert â trotz des "Fröhlich"-Namens â vor der lebenslang verlobten, nie geheirateten "Katti" ("... hĂ€lt mich von der Heirat ab ... daĂ man sich voreinander waschen soll..."). Kaut zĂ€hneknirschend am eigenen Namen: "Grillparzer. Der verfluchte Name hat mich immer geĂ€rgert. Derlei Namen kommen nicht auf die Nachwelt." Und denkt mit höhnischem Grinsen an das Pseudonym, das er sich, dem "Halb-Genie F.", gegeben hat: "FixlmĂŒllner".
So ein Versager â im Dichten, im politischen Leben, im Lieben â sollte es wagen dĂŒrfen, vor den "Dichterkönig" in Weimar zu treten? Hören wir den Seufzer der Erleichterung, mit der ein mehr seelisch als körperlich Versehrter ins Reisetagebuch krakelt: "Habe mir mit dem Barbiermesser den Zeigefinger der rechten Hand halb gespalten, muĂ daher mit der Schreiberei fĂŒr einige Zeit aussetzen. Laus Deo" (Gott sei Lob und Dank).
Lob und Dank. Mit kaputter Poetenpfote kann man auch als FixlmĂŒllner/Grillparzer dem Dichter mit dem wie ein Echo Gottes klingenden Namen Goethe seine Aufwartung machen. Lob und Dank: Der da "als steifer Minister, mit einem Stern auf der Brust" unter den GĂ€sten wandelt und "seinen GĂ€sten den Tee gesegnet", den muĂ ein österreichischer Dichter nicht lĂ€nger als "das Ideal meiner Jugend" verehren.
Heim also nach Wien, das sich weniger wie Katti als wie Marie buchstabiert. Schon sind die Pferde vor dem Hotel "Elephanten" angeschirrt â da ĂŒberbringt Goethes Diener ein Billett mit der Einladung zum Mittagessen im Haus am Frauenplan. Als dort der siebenundsiebzigjĂ€hrige Hausherr den Provinzler aus der Weltstadt Wien "an der Hand faĂt, ins EĂzimmer fĂŒhrt und mit einem herzlichen Drucke an seine Seite hinsetzt", bricht der junge Gast â und Dichter-Kollege â "in TrĂ€nen aus". Der genaue Beobachter sieht noch, durch verheulte Augen, "daĂ ich im Eifer des GesprĂ€ches ... Brot krĂŒmmelte und dadurch unschöne Brosamen erzeugte. Da tippte denn Goethe mit dem Finger auf jedes einzelne und legt sie auf ein regelmĂ€Ăiges HĂ€ufchen zusammen."
Der KrĂŒmel-Poet hat es Goethe so angetan, daĂ er ihn auf den Abend lĂ€dt, zu einem Gesprich unter vier Augen. Da kriegt es Grillparzer mit der Angst: "Ich fĂŒrchtete mich, mit Goethe einen ganzen Abend allein zu sein." Und lĂ€uft davon.
Immer ist er in Angst, mit jemandem, mit einer Jemandin, allein zu sein, gar einen ganzen Abend. Doch immer laufen diesem mĂŒrrischen Hagestolz mit dem bis ins Alter prĂ€chtigen Schopf die jungen, die jĂŒngsten MĂ€del nach. Um von all den Henrietten, Karolinen, Charlotten, Theresen nur sie noch zu erwĂ€hnen, Heloise Hoechner. Achtzehn Jahre alt ist sie, als sie den seit langem verehrten Dichter sieht. Wieder sind es die Augen, in die der gerade doppelt so alte, sich als Greis fĂŒhlende Dichter trĂ€umt â mit Versen, in deren Schlichtheit etwas von der ErschĂŒtterung nachzittert, die beide erlitten haben: "Wie schön sie war! Die brĂ€unlich blonden Flechten / Bedeckt vom Strohhut mit dem breiten Rand... / Das Auge, feurig kaum â denn Feuer drohte â / Nicht blau, nicht braun, fast fĂŒrcht ich, eher grau: / Und doch, hob sich der Wimper weiche Seide, / Und richtete der Stern sich heimatwĂ€rts, / In warmen Strahlen lĂ€chelnd wie die Freude, / In feuchtem Taue schwimmend wie der Schmerz."

Katharina Fröhlich, ND. Copy of a miniature by Moritz Daffinger. Image: ĂNB.
Schwer wird es dem Leser, sich an poetischer VerklĂ€rung dieser "Begegnung" (so der Titel des Gedichts) zu freuen, wenn man die Rufe vernimmt, mit denen die junge Frau auf hingehuschten Zettelchen um Hilfe, nein: nur um einen Augen-Blick des Wiedersehens fleht â am 7. Oktober 1834: "Es ist 6 Uhr kaum, und dennoch trieb mich, obgleich krank die Unruhe aus dem Bette... Ich benĂŒtze den Augenblick wo alles schlĂ€ft, um endlich, denn viele Briefe schrieb ich schon und vernichtete sie wieder, meinen GefĂŒhlen Worte zu geben. Sie lieĂen meine Zeilen, die treue Schilderung meiner quĂ€lenden Schmerzen, meines gekrĂ€nkten Herzens unbeantwortet... So bitte ich Sie mir Mittwoch um 11 Uhr einige Zeilen zu schicken, ich werde um diese Stunde in der KĂŒche sein, so daĂ nur ich Ihre Zeilen ĂŒbernehmen kann..." Und am 1. November 1834: "Ich verspreche, nie die Gelegenheit aufzusuchen Sie zu sehen auĂer es wĂ€re Ihr Wille..."
Da vergeht einem die Lust, noch einen Gedenkaufsatz â jetzt zum 200. Geburtstag â zu schreiben. Seit mehr als hundert Jahren diese allmĂ€hlich beĂ€ngstigenden Aufrufe: Man sollte, man mĂŒĂte doch, weshalb spielen die Theater ihn nicht, wieso wollen die Leute nichts wissen von Grillparzer ...
Herrgott, FixlmĂŒllner, sag doch was.
Grillparzer rĂ€uspert sich und sagt: "Nein!" Ungeheurer Augenblick: Der als Opportunist geschmĂ€hte Schriftsteller und Staatsbeamte im Finanzministerium hat sich â wie fast bei allem, was er öffentlich tut â gegen seinen Willen in die KĂŒnstlergesellschaft Die GrĂŒne Insel bequemt. Dort wird ihm zum 70. Geburtstag Lob gehudelt. Der Direktor des Burgtheaters, Heinrich Laube, fragt am SchluĂ seiner Laudatio: "Habâ ich die Wahrheit gesprochen?" Der Jubilar antwortet "sehr ernst und laut: âNein!â"
Dieses von dem ewigen MitlÀufer Grillparzer kaum zu erwartende "Nein!" wollen wir uns gut merken. Vielleicht ist er doch nicht der Ja-Sager, der gut österreichische Ja-aber-Sager, als den wir uns diesen widerspenstigen Dichter-Mann zurechtgemodelt haben?
Ja, immer lĂ€uft er davon, wenn es gĂ€lte dazubleiben. Da ist der "unentgeltliche Praktikant" der Hofbibliothek, der "Konzeptspraktikant" der Hofkammer, also der Finanzdeputation, 1832 aufgestiegen gar zum Direktor des Hofkammerarchivs â und was widerfĂ€hrt ihm gleich, oder, um es in der Sprache der Seelen-Forscher Sigmund Freud/Georg Groddeck zu sagen: was inszeniert das UnterbewuĂte dieses nur widerwillig in Akten stöbernden Beamten? Wie der BĂŒcherwurm auf dem GemĂ€lde seines Biedermeier-Zeitgenossen Carl Spitzweg steht der Herr Direktor in seinem Museum verstaubter Dokumente hoch auf der Leiter, da wird er "von der Schwere des beinahe 50 Pfund schweren ĂŒber meinem Kopfe stehenden Faszikels aus dem Gleichgewichte gebracht" und stĂŒrzt "von der obersten Sprosse der Leiter die ganze Höhe des Archivsaales, also doch mindestens 5 Klafter hoch herunter". Und bricht sich bei diesem "hochsymbolischen Akt", wie der kluge Biograph Heinz Politzer diesen Fall deutet, naturgemĂ€Ă, kein Knöchelchen.
Und dann ist es soweit. Wonach das Herz dieses Lehnstuhl-Hockers und gemĂ€chlichen Tafelspitz-Kauers lechzt â Aufruhr, Krach, Revolte: Jetzt ist sie da, die Revolution. Schon 1830 erhitzt sich das Blut dieses Quietisten bis zu dem Grad, "mich fĂŒr eine interessante Sache totschieĂen zu lassen". Als im MĂ€rz 1848 Arbeiter und Studenten auf dem Ballhausplatz zusammenströmen und nach Abschaffung der Zensur, nach Freiheit rufen, da hĂ€tte der liberale Dichter "jeden einzelnen kĂŒssen mögen". Als Soldaten "mit dem Bajonett auf die jungen Leute losgehen..., verlieĂ ich das Fenster". Wieder einmal lĂ€uft er davon.
Hat dieser bedĂ€chtige Feuerkopf nicht immer schon fĂŒr Freiheit gelodert? Ja, den scharfsinnigen Aufsatz gegen die Zensur hat er doch lieber, vorerst, im Schreibtisch verschlossen. Aber unter die "Denkschrift ĂŒber die gegenwĂ€rtigen ZustĂ€nde der Zensur in Ăsterreich" hat der Staatsbeamte im MĂ€rz 1845 tapfer sein Grillparzer gemalt. Als Metternich die Petition von 99 KĂŒnstlern und Gelehrten zurĂŒckweist und der Aufruf im "Ausland" veröffentlicht wird, erschrickt der Hofkammerarchivdirektor, vor allem weil sein Name, wie der eines RĂ€delsfĂŒhrers, an erster Stelle steht (die Vorunterzeichner, bĂ€nger noch als Grillparzer, hatten ihre Namen ausradiert).
Ăberhaupt: Wenn Demokratie zur Gleichmacherei wĂŒrde, wenn gar das Habsburger Reich zerfiele, will der dichtende Beamte die Hand dazu nicht geliehen haben. Also lĂ€uft er wieder einmal davon. Setzt sich hin und schreibt im Juni 1848 das berĂŒhmt-berĂŒchtigt gewordene Gedicht auf den "Feldmarschall Radetzky", der die AufstĂ€ndischen zusammenkartĂ€tscht, mit den Trompeten-Versen: "GlĂŒck auf, mein Feldherr, fĂŒhre den Streich! / ... In deinem Lager ist Ăsterreich."
NatĂŒrlich hat der Dichter es wieder einmal so nicht gemeint. Geknickt kehrt er von der Begegnung mit dem Feldmarschall in sein Austrags-StĂŒbchen bei Kathi Fröhlich und ihren Schwestern in die Spiegelgasse zurĂŒck und schluchzt ins Tagebuch: "Nach all dem Geschreibe, Gepreise und Gerede ĂŒber jenes, fĂŒr Ostreich wenigstens, historisch gewordene Gedicht, hatte ich mir den Marschall Radetzky wenigstens warm vorgestellt. Er hat mich auch wirklich umarmt, gekĂŒĂt, hat geweint, aber trotz dieses RĂŒhrungs-Beiwerks war die Mitte leer und kalt."
Man muĂ gar nicht an jene Schriftsteller der DDR denken, die unter der Zensur geĂ€chzt haben, den Staat, der sie zu Sklaven machte, aber doch nicht gern aufgelöst sehen wollten, um die ModernitĂ€t dieses reimenden Intellektuellen zu spĂŒren. Gerade in seinen WidersprĂŒchen spricht Grillparzer zu uns. Ein "Zerrissener" â nur nicht so komisch wie der Titelheld von Nestroys Posse mit Gesang aus dem Jahr 1844 (dessen Herzdame auch Kathi heiĂt).
Eines hat der oft als Klassizist und Weimar-Epigone gescholtene Poet vielen seiner Zeitgenossen voraus â und das weckt, bei allem Widerstreben, Interesse, ja Faszination: Grillparzer hat schon den modernen Blick, der die Katastrophe nicht von drauĂen erwartet, von andern, sondern von innen, von uns selber.
Welcher Schock könnte es sein, wenn Grillparzers spĂ€tes, groĂes Staatsdrama, "Ein Bruderzwist in Habsburg", endlich gespielt, ach was: gewagt wĂŒrde. Es ist ein Kaiser, der vor lauter Wissen zum Regieren schon nicht mehr taugliche Rudolf II., den Grillparzer seine Warnung verkĂŒnden lĂ€Ăt: "Ich sage Dir, nicht Scythen und Chazaren, / Die einst den Glanz getilgt der alten Welt, / Bedrohen unsre Zeit, nicht fremde Völker: / Aus eignem SchoĂ ringt los sich der Barbar."
Der vergessene Klassiker: Franz Grillparzer zum 200. Geburtstag Wenig gelesen, kaum noch gespielt â und doch: ein kritischer Wegbereiter der Moderne: Weltmeister im Davonlaufen | ZEIT ONLINE
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Einzug des marokkanischen Botschafters in Wien den 28. Februar 1783. Kolorierter Kupferstich von Hieronymus Loeschenkohl
Das Interesse an der OsmanischâTĂŒrkischen Sprache begann aus politischen GrĂŒnden bereits im 14. Jahrhundert. Maria Theresia lieĂ 1754 die Orientalische Akademie grĂŒnden, die zahlreiche Dolmetscher und Diplomaten ausbildete. Diplomatische Beziehungen zwischen den beiden Reichen gab es seit dem Frieden von Konstantinopel von 1547, wo Ungarn aufgeteilt worden war. Die von den Osmanen âBetsch Kraliâ (=König von Wien) genannten habsburgischen Monarchen wurden 1606 in den zwischenstaatlichen Beziehungen in den Rang des âTschesar- i Romaiâ (Kaiser des römischen Reiches) gehoben und wurden damit dem SuláčÄn ebenbĂŒrtig. Es begann die Zeit der GroĂbotschaften: Von Fall zu Fall von beiden Höfen gleichzeitig entsendet, von hochrangigen Persönlichkeiten angefĂŒhrt und so aufwendig wie möglich gestaltet, war ihre Hauptaufgabe die âAuffrischungâ der FriedensvertrĂ€ge.
Dabei sendeten einander die Herrscher wĂŒrdige und gleichwertige Geschenke und versuchten mit möglichst aufwendigen Gesandtschaften zu beeindrucken â so kam es auch zu den ersten Mehter-Auftritten in Wien. Daneben wurde natĂŒrlich auch das Gastland in jeder Hinsicht ausgekundschaftet. Auf dem Wiener Kongress 1814/15 handelte FĂŒrst Metternich mit den fĂŒhrenden Staaten in Europa eine Staatenordnung aus, welche die Versöhnung mit den Kriegsgegnern und das Gleichgewicht der GroĂmĂ€chte vorsah.
(Alla turka 2/2)
http://harmonie-der-herzen.at/habsburger-und-osmanen/
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Egon Schiele Â
1890-1918 Â
MaÌdchenkopf (Frau Sohn), 1918 Â
charcoal on paper 14 1/8 x 11 7/8 in. | 36 x 30 cm.
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Die Festung Marienberg hoch ĂŒber der Stadt WĂŒrzburg: Kleist traf am 9. September 1800 ein
Als Kleist in geheimer Mission nach WĂŒrzburg reiste
Von Elmar Krekeler Redakteur Feuilleton
Im September 1800 trifft ein gewisser Klingstedt in WĂŒrzburg ein. Heinrich von Kleist reist unter falschem Namen. Doch was hat ihn nach Franken getrieben? Ist er ein Spion und jagt ein giftiges GrĂŒn?
Am 9. September des Jahres 1800 checkten zwei höchst unterschiedliche Herren im âGasthaus zum FrĂ€nkischen Hofâ ein, dem besten Haus in der fĂŒrstbischöflichen Residenzstadt WĂŒrzburg. Die rĂŒstete sich gerade fĂŒr eine Belagerung durch napoleonische Truppen.
Die Herren nannten sich Bernhoff und Klingstedt. FĂŒr Letzteren, einen 22-JĂ€hrigen mit kaum zu bĂ€ndigendem schwarzem Haar und blauen Augen, angeblich Sohn eines jĂŒdisch-schwedischen KapitĂ€ns von der Insel RĂŒgen, sollte es die wichtigste Zeit seines Lebens werden. Schrieb er heim.
Sie kamen von Dresden her und hatten ursprĂŒnglich nach Wien gewollt. In Leipzig hatten sie sich an der UniversitĂ€t immatrikuliert, um mit den Studienpapieren weiterreisen zu können. Britische PĂ€sse beim Gesandten in Sachsen zu bekommen hatte nicht funktioniert. Wie so einiges nicht in den kommenden Wochen.
Wie wahrscheinlich so ziemlich jeder Plan in Klingstedts Leben, der so wenig Klingstedt hieĂ wie Bernhoff Bernhoff. Bernhoff war die Camouflage des Juristen Ludwig von Brockes. Der zehn Jahre jĂŒngere Klingstedt war 1777 in Frankfurt an der Oder als Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist zur Welt gekommen.
Der âAnkĂŒndigungsakrobatâ
Sechs Wochen blieben Brockes und Kleist in der Stadt. Nach einer Woche mussten sie â wahrscheinlich, weil ihnen das Geld ausging â umziehen, kamen unter beim Stadt-Chirurgus Joseph Werth. Was die AnhĂ€nger einer von einem halben Dutzend Theorien zu bestĂ€tigen scheint, die seit den in 80 Briefen Kleists scheinbar gut dokumentierten Wochen aufgestellt wurden ĂŒber den wahren Grund der WĂŒrzburg-Reise des abgebrochenen Soldaten, abgebrochenen Mathematikstudenten und gerade anbrechenden Schriftstellers Kleist.

âDie Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen warâ: Heinrich von Kleist (1777-1811)
Das Ziel immerhin steht fest. Es war das, was Kleist, der âAnkĂŒndigungsakrobatâ (Hermann Kurzke), immer hatte, aber zeitlebens nie erreichte. Das GlĂŒck. Einen Platz zu finden, eine Existenz im Riss, der sich gerade in der Gesellschaft auftat und in dem Kleist herumrandalierte und zugrunde ging â dem zwischen bĂŒrgerlicher PflichterfĂŒllung und kĂŒnstlerischer Freiheit.
Sie wĂŒrden stolz sein ĂŒber das, was er da in WĂŒrzburg vorhabe, so es denn gelĂ€nge, schrieb er seiner Halbschwester Ulrike und seiner Verlobten Wilhelmine von Zenge. Möglich, dass er den Stadt-Chirurgus aufsuchte, um sich von einer Vorhautverengung zu befreien und Wilhelmine auch körperlich glĂŒcklich machen zu können. Möglich, dass er sich mittels Mesmerisierung von seinem Stottern befreien wollte. Möglich, dass er bei den Freimaurern Beziehungen knĂŒpfen wollte. Möglich, dass er mathematische Theorien zum GlĂŒcksspiel ausprobieren und durch WĂŒrfeln reich und unabhĂ€ngig werden wollte.
Giftiges GrĂŒn
Möglich, dass er sich in Berlin von Carl August von Struensee, dem preuĂischen Minister fĂŒr Akzise-, Zoll-, Kommerzial- und Fabrikwesen, als Industriespion fĂŒr PreuĂens Textilindustrie hatte anheuern lassen â um die Rezeptur fĂŒr das heute als Schweinfurter GrĂŒn bekannte PickelgrĂŒn zu stehlen, eine Farbe, die so giftig war, dass Maler (van Gogh zum Beispiel) Pickel bekamen, die aber PickelgrĂŒn hieĂ, weil sie vom WĂŒrzburger Chemieprofessor Johann Georg Pickel erfunden wurde.
Möglich, dass das alles zutrifft. Herr Klingstedt zeigt sich in den Briefen eben nicht nur als AnkĂŒndigungsakrobat, sondern als vollendeter Verschleierer seiner Selbst. Das Einzige, von dem man mit einiger Sicherheit konstatieren kann, dass es sich zwischen dem 9. September und dem 27. Oktober des Jahres 1800 in WĂŒrzburg ereignet hat, ist der Urknall des Schriftstellers Heinrich von Kleist.
Actionszenen der Weltliteratur: Heinrich von Kleist - WELT
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Picasso et Françoise Gilot, 1951© Robert Capa
Extrait 1 (p. 90-92)Â :
ïżŒÂ Picasso, dans ses saisons en enfer avec Olga et Dora, en est arrivĂ© un jour Ă ne plus vouloir peindre. Lâune lui dĂ©truisait ses journĂ©es avec son aigreur, ses demandes dâargent, sa plainte continue, son passĂ© de danseuse russe frustrĂ©e, sa maternitĂ© abusive ; lâautre, par ses pleurs et ses prĂ©tentions, lui mangeait carrĂ©ment la tĂȘte. « Les femmes ? Des machines Ă souffrir », jette une fois Picasso. Il aurait pu les Ă©viter, mais non, il voulait savoir, il a su. DâoĂč lâeffet de lumiĂšre violente arrachĂ©e Ă de faux trous noirs. De mĂȘme que les natures vraiment Ă©rotiques se manifestent par un halo bleutĂ© silencieux, les rĂ©prouvĂ©s et les rĂ©prouvĂ©es de ce monde sâannoncent par une enveloppe de faux noir. Câest du nĂ©gatif de photo, pas du noir [2].
On peut Ă©videmment Ă©viter le conflit, rester tranquillement, comme Matisse, dans du dĂ©coratif sensuel, se transformer soi-mĂȘme en femme attentive et maternelle, suivre sa propre fille imaginaire dans ses ondulations de couleurs, tout cela finira, idĂ©alisĂ©, en chapelle. Un des meilleurs livres dâAragon sâappelle Henri Matisse, roman, et câest, bien entendu, un acte de guerre contre Picasso quâon ne voit pas une minute en « fou dâElsa », cette derniĂšre nâayant rien Ă voir non plus avec lâOlympia. LâĂ©pisode Françoise Gilot en dit long sur cette rĂ©gion : elle fait de la mauvaise peinture « abstraite » (qui deviendra de plus en plus spiritualiste), Matisse lui fait des compliments pour embĂȘter Picasso, elle en vient Ă abandonner le Minotaure (quâelle croit fini) pour un jeune peinturlureur communiste, tout cela avec la bĂ©nĂ©diction du couple phare de lâamour stalinien. La contre-attaque du Minotaure, un moment dĂ©stabilisĂ©, ne se fait pas attendre. OĂč reprend-il pied ? Dans Le DĂ©jeuner sur lâherbe de Manet.
Voyons ce que dit Françoise Gilot. Sur Matisse (76 ans) : « GĂ©ant de la peinture, paisible et intense, il vit plongĂ© dans le travail. Un homme debout, calme, amoureux de la vie. » Sur Picasso (65 ans) : « Figure lĂ©gendaire, un caractĂšre de feu, radical, fantasque, joueur et orgueilleux » (autrement dit : invivable). Matisse a beaucoup dessinĂ© Elsa et Aragon, Picasso non. Lâassistante de Matisse a envoyĂ© nombre de ses tableaux Ă Moscou, pendant que Picasso, sous Franco, expĂ©diait clandestinement les siens Ă Barcelone. Ă peine Franco mort, le musĂ©e Picasso ouvre lĂ -bas (avec, notamment, la vertigineuse sĂ©rie des MĂ©nines, en hommage Ă VĂ©lasquez). Matisse, lui, pour finir, offre Ă son grand flirt Ă©thĂ©rĂ©, une religieuse, la chapelle de Vence, pour laquelle il compose mĂȘme des chasubles. Picasso en torero terroriste, Matisse en chanoine. On comprend la prĂ©fĂ©rence de Gilot, dĂ©jĂ mĂšre de deux enfants, pour le chanoine.Â ïżŒ
http://www.pileface.com/sollers/spip.php?article1264
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Ein âSchwarzes Heftâ: Links oben formuliert Heidegger einen âLeitspruch fĂŒr das Rektoratâ und hĂ€lt dann fest: âFĂŒhrerwille ist ein anderes als Geltungstriebâ
Anton M. Fischer macht aus Heidegger einen Kranken
Narzisstische Störung
Martin Heidegger war ein bedeutender Philosoph. DarĂŒber sind sich zwar nicht alle einig, die etwas von Philosophie verstehen, aber doch hinreichend viele. Dass er auch ein herausragend guter Mensch gewesen wĂ€re, ist wohl selten jemals behauptet worden. Nicht nur seine zeitweise pronazistische Einstellung gibt Grund, an der IntegritĂ€t seines Charakters zu zweifeln. Manche derer, die ihn fĂŒr einen grossen Geist halten, empfinden dieses Zusammentreffen von Philosoph und Mensch als Widerspruch oder als RĂ€tsel, wie weiland Heideggers berĂŒhmter SchĂŒler Hans Jonas â als das RĂ€tsel, «dass man ein Denker sein kann und dabei ein niedriger Mensch». Wer diesen Widerspruch nicht nur empfinden, sondern auch durchdenken will, braucht ausser einem Instrumentarium zur Diagnose von so etwas wie «menschlicher Niedrigkeit» auch einen Begriff von Philosophie, besser noch: von «bedeutender» oder «grosser» Philosophie.
Anton M. Fischer, der ein opulentes «Psychogramm» Martin Heideggers der Ăffentlichkeit ĂŒbergeben hat, verfĂŒgt ĂŒber die Psychoanalyse als diagnostisches Instrumentarium. Ein deutlicher Begriff dessen aber, was Philosophie ist und wozu sie gut wĂ€re, lĂ€sst sich nicht erkennen. Augenscheinlich fehlt auch ein Weiteres; das nĂ€mlich, dessen es bedĂŒrfte, um ĂŒberhaupt zu verstehen, wieso es rĂ€tselhaft sein soll, dass ein grosser Geist sich mit einer schwarzen Seele denselben Körper teilt: eine Theorie oder eine theoriefĂ€hige These oder wenigstens eine begrĂŒndete Vermutung ĂŒber das VerhĂ€ltnis von Philosophie und Psychologie.
Wer das Buch, seinem Volumen zum Trotz, aufschlĂ€gt, sollte also nicht zu viel erwarten. Auch in puncto Heideggers Psyche nicht. Zwar ist der Autor sehr diagnosefreudig, aber neues Licht auf Charakter und Lebensweg Heideggers fĂ€llt nicht. Die Fakten sind bekannt, neue fördert auch Fischer nicht zutage. Ihre psychoanalytische Deutung wirkt schematisch, die Sprache mutet bisweilen schabloniert an. Im Anschluss an die Darstellung des gescheiterten Vorhabens, eine geistliche Laufbahn einzuschlagen, heisst es etwa: «Die doppelte ZurĂŒckweisung durch die Kirche hat in Heideggers Seele wie eine Bombe eingeschlagen und eine ungeheure narzisstische KrĂ€nkung hinterlassen. (âŠ) Den Rest seines Lebens bleibt er in Alarmbereitschaft und fĂŒrchtet die Wiederholung. Die Heftigkeit seiner seelischen Reaktion ist nur unter der Annahme verstĂ€ndlich, dass sie ein frĂŒhes KrĂ€nkungstrauma wiederbelebt hat: den Verlust der ungeteilten Aufmerksamkeit der Mutter.»
Auch der kleine Martin musste seine Mutter offenbar mit anderen Geschwistern teilen; und der erwachsene Heidegger wollte lieber nicht gekrĂ€nkt werden. Ein Befund von ĂŒberwĂ€ltigender Belanglosigkeit. Aber die tiefenhermeneutische Psychografik kann auch anders, sie kann krĂ€ftig zulangen. Am Ende hat sie aus Heidegger einen falschen, verlogenen und unredlichen Menschen gemacht, einen Psychotiker, der von der Begierde getrieben werde, «an die Stelle Gottes zu treten». Sie attestiert ihrem Analysanden eine «massive narzisstische Störung mit Verschmelzungsphantasien und Wahnideen». Das biografische «Material», das ausgebreitet wird, rechtfertigt solch weitgehende Krankschreibung kaum. Wird die Diagnose aber nicht doch zumindest indirekt von den Spuren einer mutmasslich schweren Persönlichkeitsstörung gestĂŒtzt, die Fischer in Heideggers Schriften gesichert zu haben glaubt?
DarĂŒber liesse sich reden, wenn die Textinterpretationen irgendwelchen methodischen Standards genĂŒgten. Was aber soll man davon halten, wenn von der menschlichen Existenz, wie sie Heideggers «Sein und Zeit» entwirft, gesagt wird, sie sei eine «kĂŒhle, freud- und lieblose Angelegenheit»? Muss eine philosophische Theorie warm, freudenreich und liebevoll sein, um plausibel zu wirken? Und welchen philosophischen Stellenwert mag der Einwand haben, keiner Frau sei je der Gedanke gekommen, den Tod ins Zentrum der Existenzanalyse zu stellen? «Sein und Zeit», lesen wir, sei ein «StĂŒck MĂ€nnerphilosophie, um nicht zu sagen: Machophilosophie». Ăber das Niveau suggestiver MeinungsĂ€usserung kommt Fischer in diesem Zusammenhang selten hinaus. An philosophisch gewichteten Argumenten mangelt es aber auch dort, wo er etwas Nettes sagen möchte â wie beispielsweise, dass «Sein und Zeit» dennoch eine «FĂŒlle von Ansatzstellen» biete, «die kritisch weitergedacht werden können». Diejenigen Interpreten, die an Heidegger tatsĂ€chlich eigenstĂ€ndig und kritisch angeknĂŒpft haben, lĂ€sst Fischer links liegen. Stattdessen kĂŒhlt er sein MĂŒtchen an ausrangierten Heidegger-Adepten, die in der Gegenwartsphilosophie gar nicht mehr ernst genommen werden.
Einleitend zitiert der Autor Sigmund Freud, der in einem Brief an Arnold Zweig von der «biografischen Wahrheit» schrieb, sie sei «nicht zu haben, und wenn man sie hÀtte, wÀre sie nicht zu brauchen». Anton M. Fischer hÀtte auf Freud hören sollen. Das Buch ist gut achthundert Seiten dick, nicht minder enorm ist auch das MissverhÀltnis zwischen Aufwand und Ertrag.
von Uwe Justus Wenzel, 2.12.2008
http://www.nzz.ch/narzisstische-stoerung-1.1341519
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Franz Schubert mit Kaleidoskop, kollidierend mit Leopold Kupelwieser auf der Draisine. Karikatur von Leopold Kupelwieser, veröffentlicht im »Archiv des menschlichen Unsinns« Heft 16, vom 16. Juli 1818.
»Die Draisine oder Laufmaschine (so die auch vom Erfinder verwendete Bezeichnung) ist ein einspuriges, von Menschenkraft betriebenes Fahrzeug ohne Pedale, das als Urform des heutigen Fahrrads gilt. Sie wurde vom badischen Erfinder Karl Drais 1817 entwickelt und zum Patent angemeldet (badisches Privileg und französisches Brevet 1818). Die Entwicklung war beeinflusst durch Hungersnot, Futtermangel und Pferdesterben nach der Tambora-Eruption.« (zum Wikipedia-Artikel)
»Das Kaleidoskop war ursprĂŒnglich schon den alten Griechen bekannt, wurde jedoch erst 1816 vom schottischen Physiker David Brewster wiederentdeckt und 1817 als Patent angemeldet.« (zum Wikipedia-Artikel)
Die Redaktion der »Unsinnsgesellschaft« fĂŒgte der Karikatur hinzu:
»Wie gefĂ€hrlich die neue Erfindung der Rutschberge in Paris ist, beweist die neuste [sic] Zeitgeschichte aber auch die scheinbar unschĂ€dlichen Erfindungen des Kaleidoscops und der Draisine haben ihr GefĂ€hrliches wie uns das vorliegende Kupfer zeigt. Ein in das Anschauen des wunderlichen Farbenspiels im Kaleidoscop versunkener dicker Herr, welchen das dunkele Glas noch kurzsichtiger als gewöhnlich macht, wird von eienm hitzigen Draisinenritter, der ebenfalls das Auge nur auf seine Maschine gerichtet hat, zu Boden gefĂŒhrt. Ein warnendes Beispiel fĂŒr Andere. Bereits soll auch ein Polizeybefehl im Werke seyn, kraft dessen jedem Dalken [Dummkopf; R. S.] der Gebrauch beyder neuen Erfindungen als sehr gefĂ€hrlich, aufs strengste verboten wird. Die Redaction.«
(Rita Steblin, Die Unsinnsgesellschaft: Franz Schubert, Leopold Kupelwieser und ihr Freundeskreis, Wien u.a.: Böhlau 1998, 24f.)
 https://www.vereinakut.at/r%C3%BCckblick/2016/draisine-und-kaleidoskop/

Leopold Kupelwieserâs watercolor Neueste Erfindungen: Schubert als strenger Schullehrer mit Rohrstaberl und Kaleidoskop, Kupelwieser als Schulbube mit Draisine
a Ă:
Die bis dahin unbekannte Zeitung, das Archiv des menschlichen Unsinns, zeichnet ein lebendiges Bild von Schuberts Zirkel. Die Zeitung ist voll von Anspielungen auf politische Ereignisse sowie Parodien auf klassische Werke.
Die meisten seiner Freunde waren KĂŒnstler. Zur Unsinnsgesellschaft, deren fĂŒhrendes Mitglied Schubert war, gehörten auch August von Kloeber, Johann Nepomuk Hoechle, August Kopisch sowie Josef und Leopold Kupelwieser.
Dies geht aus dem Buch Die Unsinnsgesellschaft: Franz Schubert, Leopold Kupelwieser und ihr Freundeskreis von Rita Steblin (Wien: Böhlau, 1998) hervor, das alle 29 Ausgaben (1817â18) der Zeitung mit Biographien aller Mitglieder des Vereins vorstellt.
https://bibliolore.org/2014/06/24/schubert-and-the-nonsense-society/

Figure 1 Vivat es lebe Blasius Leks: Zur Unsinniadeâ5"â Gesang (Long Live Blasius Leks: For the 5th Song of Nonsense), 31 December 1817. Watercolor by Carl Friedrich Zimmermann (Aaron Bleistift). SCHUBERT: THE NONSENSE SOCIETY REVISITED

Figure 6 Feuergeister-Scene (Fire Spirit Scene), 18 April 1818. Watercolor by Franz Goldhann (Ultimus). SCHUBERT: THE NONSENSE SOCIETY REVISITE
https://www.academia.edu/92434313/Schubert_The_Nonsense_Society_Revisited

Zur Unsinniade 4. Gesang. Aquarell von Ernst Welker (31. Dezember 1817)

Zur Unsinniade 5. Gesang. Aquarell von Carl Friedrich Zimmermann alias Aaron Bleistift (31. Dezember 1817). Ganz in der Mitte mit Brille soll Franz Schubert abgebildet sein.

Johann Carl Smirsch alias Nina Wutzerl. Watercolor by Johann Nepomuk Hoechle (Kratzeratti Klanwinzi).
Unsinnsgesellschaft
Die Unsinnsgesellschaft war eine KĂŒnstler-BrĂŒderschaft in Wien, die sich von April 1817 bis Ende 1818 regelmĂ€Ăig traf. Ihr gehörten unter anderem bedeutende KĂŒnstler der Biedermeierzeit an wie August von Kloeber, Johann Nepomuk Hoechle, August Kopisch, Josef und Leopold Kupelwieser sowie Franz Schubert.
Alle 25â30 Mitglieder waren MĂ€nner, mit Ausnahme von Therese Fellner, der Besitzerin des Gasthauses, in welchem sie sich trafen. Zwei von ihnen hatten innerhalb der Unsinnsgesellschaft Frauennamen, wie Johann Carl Smirsch, der dafĂŒr bekannt war, dass er Frauenkleider und Pfauenfedern trug.
AktivitÀten der Unsinnsgesellschaft
Die Mitglieder trafen sich einmal wöchentlich, jeweils Donnerstags, im Gasthaus âZum rothen Hahnâ an der LandstraĂer HauptstraĂe 40 in Wien.[6]
Archiv des menschlichen Unsinns
Das handschriftliche, wöchentlich gestaltete Vereins-Heft Archiv des menschlichen Unsinns â ein langweiliges Unterhaltungsblatt fĂŒr Wahnwitzige enthielt unterschiedliche Texte, AufsĂ€tze, kurze TheaterstĂŒcke und Illustrationen (beispielsweise Aquarelle). Weil viele Mitglieder malerisch begabt waren, sind die entstandenen Bilder ein wichtiger Teil der gesamten kĂŒnstlerischen Produktion. Sie travestieren unter anderem auch die akademische Malerei der Zeit. Die Illustrationen zweier aufwendig gestalteter Feste geben Einblick in die ausgelassene junge KĂŒnstlergemeinschaft. 29 Hefte (von 86) sind erhalten.
Die Texte enthalten zahlreiche Anspielungen auf aktuelle Tagesgeschehnisse, politische Ereignisse, Klassiker-Parodien sowie ein komisches Epyllion in elegischen Distichen (Die Unsinniade von Joseph Kupelwieser). Sie spotten mittels teils derben Witzen, doppeldeutigen Wortspielen und Metaphern, aber auch Komödien, sarkastischen Texten und absurden TheaterstĂŒcken ĂŒber die privaten Angelegenheiten des Vereines, und Themen wie aktuelle Ereignisse, neue Entdeckungen, Kunst, Literatur und das alltĂ€gliche Leben.
Format und Gliederung
Die Hefte â alle im gleichen Format mit einem Bild versehen â wurden im Kreis herumgereicht. Sie beginnen jeweils mit einem witzigen Motto, wie beispielsweise:
âNehmt die BĂŒrsten in die Hand, laĂt uns tapfer wichsen!â
â Spitznabels Nudelino: 2. Jahrgang, Heft Nr. 20, 28. Mai 1818
Unsinniaden
Zwei groĂe Feste, sogenannte Unsinniaden, wurden im ersten Jahr geplant und in Privatwohnungen gefeiert: Silvester 1817 wurde bei Peter Senft (âEphraim Spitznabelâ) begangen und das erste Stiftungsfest des Vereins am 18. April 1818 bei Gottfried Beyer (âder neue Quartiermeisterâ). Beide wohnten im Haus des CafĂ© Wallner auf der LandstraĂer HauptstraĂe 32.
(âŠ)
https://de.wikipedia.org/wiki/Unsinnsgesellschaft
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Der lang andauernde Antagonismus zwischen den deutschen GroĂmĂ€chten Ăsterreich und PreuĂen entlud sich 1866 im Deutschen Krieg. Bei KöniggrĂ€tz in Böhmen kam es zur Entscheidungsschlacht. Das berĂŒhmte Schlachten-GemĂ€lde von Georg Bleibtreu ist jetzt im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen
Diese gigantische Schlacht schuf Deutschland
03.07.2016, Berthold Seewald
Am 3. Juli 1866 trafen die Armeen Ăsterreichs und PreuĂens bei KöniggrĂ€tz in Böhmen aufeinander. Ein Gewaltmarsch entschied die Riesenschlacht, die Europa und die Welt von Grund auf verĂ€nderte.
Bis gegen drei Uhr nachmittags am 3. Juli 1866 war fĂŒr den österreichischen Obersten Carl von Slawecki die Welt noch in Ordnung. Mit seinem Regiment deckte er das Dorf Chlum, das auf einer Anhöhe ĂŒber der Ebene lag, auf der die groĂe Schlacht zwischen der preuĂischen und der österreichischen Armee tobte. Da wurde Slawecki gemeldet, Soldaten mit Pickelhauben auf dem Kopf seien im Anmarsch. âIhr seht Gespenster!â, lachte der Oberst. âDas sind Sachsen.â Was bewies, dass er weder irgendeine Vorstellung von der Aufstellung seiner Armee noch von der AusrĂŒstung ihrer VerbĂŒndeten besaĂ. Das sollte sich rĂ€chen. Wenige Minuten spĂ€ter wurden Slawecki und seine MĂ€nner Opfer des preuĂischen ZĂŒndnadelgewehrs.
Die Frage nach der Zukunft Deutschlands
Der Sturm der preuĂischen Garde auf die Höhe von Chlum gehört zu den entscheidenden Aktionen vor der böhmischen Festung KöniggrĂ€tz (heute Hradec KrĂĄlovĂ©). In dieser gröĂten Schlacht, die bis dahin zwischen den Armeen zweier GroĂmĂ€chte in Europa geschlagen wurde â rund 440.000 Soldaten standen sich auf wenigen Quadratkilometern gegenĂŒber â, wurde die Frage nach der Zukunft Deutschlands entschieden. Sie wĂŒrde kleindeutsch unter preuĂischer FĂŒhrung sein, wĂ€hrend Ăsterreich sich mit der prekĂ€ren Rolle eines antiquierten Vielvölkerstaats abfinden musste.
Innerhalb von 14 Stunden wurde zwischen dem Dorf Sadowa und KöniggrĂ€tz Weltgeschichte geschrieben. Wie es dazu kam und was die GrĂŒnde fĂŒr den fĂŒr viele Beobachter doch sehr ĂŒberraschenden preuĂischen Sieg waren â diese Fragen haben zum 150. Jahrestag neben einer ganzen Reihe von Buchautoren auch das Deutsche Historische Museum in Berlin gereizt, mit der SonderprĂ€sentation âFokus KöniggrĂ€tzâ Antworten zu geben: PreuĂen war, was Heeresorganisation, MilitĂ€rtechnik und Politik anging, ĂŒberlegen.
OTTO VON BISMARCK (1815-1898) - STATIONEN

Otto von Bismarck posiert kurz nach seiner Entlassung durch den jungen Kaiser Wilhelm II. im MĂ€rz 1890 auf seinem Pferd im Park von Friedrichsruh.

Obwohl Spross eines alten Junker-Geschlechts, wurde Bismarck nicht Berufsoffizier. Als 1836 dieses GemÀlde entstand, hatte er sein Jurastudium eben abgeschlossen und arbeitete alsReferendar in Aachen.
Als junger Landadeliger galt Bismarck als groĂes Talent des konservativen Junkertums. 1848 begegnete er erstmals König Friedrich Wilhelm IV., aber sein Wunsch, bald Minister zu werden, erfĂŒllte sich nicht.
Stattdessen wurde er 1851 zum preuĂischen Gesandten beim Bundestag in Frankfurt am Main ernannt. Diese Funktion war damals der begehrteste Posten fĂŒr PreuĂens Diplomaten â und derQuereinsteiger Bismarck bekam ihn.

Als König Wilhelm I. im Streit mit dem Parlament 1862 nicht mehr weiter wusste, holte er den inzwischen zum Botschafter in St. Petersburg und Paris beförderten Bismarck zurĂŒck nach Berlin und machte ihn zum preuĂischen MinisterprĂ€sidenten.

Als das Abgeordnetenhaus sich den Etatforderungen der Regierung verweigerte, entwickelte Bismarck die âLĂŒckentheorieâ: Um das Staatsleben nicht stillstehen zu lassen, habe der Monarch das Recht, in diesem Fall ohne Etat zu regieren.

Als GlĂŒcksfall fĂŒr den weithin unbeliebten Regierungschef erwies sich ein Attentat im Mai 1866. Obwohl leicht verletzt, rang Bismarck den jungen AttentĂ€ter Ferdinand Cohen-Blind eigenhĂ€ndig nieder.

Kurz darauf entschied er mit dem Sieg ĂŒber Ăsterreich bei KöniggrĂ€tz die Machtfrage in Deutschland.

Geschickt provozierte Bismarck 1870 Napoleon III. zur KriegserklĂ€rung an PreuĂen. Nach wenigen Wochen musste der französische Kaiser kapitulieren.
Der Sieg im Deutsch-Französischen Krieg ermöglichte die GrĂŒndung des kleindeutschen Nationalstaats, der zur Hegemonialmacht in Europa aufstieg. Bismarck wurde zum âSchmied des Reichesâ und zum âEisernen Kanzlerâ.
Fortan dominierte er als Reichskanzler und preuĂischer MinisterprĂ€sident die deutsche und europĂ€ische Politik fast nach Belieben. Die Satirezeitschrift âPunchâ karikierte ihn 1874 als âBarbier von Berlinâ.
Sein Einfluss auf die deutsche Politik war im Wortsinne ĂŒberwĂ€ltigend, was der Zeichner dieser Karikatur von 1878 im âKladderadatschâ auf seine Weise festhielt.
Gleichzeitig bewÀhrte er sich als Krisenmanager in internationalen Konflikten. Auf dem Berliner Kongress von 1878 versuchte Bismarck, die Streitfragen auf dem Balkan zukunftstauglich zu regeln.
Nach mehr als zwei Jahrzehnten als Regierungschef war Bismarck Mitte der 80er-Jahre aber zunehmend weniger in der Lage, auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren.

Der junge Kaiser Wilhelm II., hier bei seinem Antrittsbesuch in Friedrichsruh im Sachsenwald, nahm den alten Kanzler noch hin, doch der erste ernsthafte Konflikt âŠ

⊠fĂŒhrte im MĂ€rz 1890 zu seiner Entlassung. Unter dem Titel âDer Lotse verlĂ€sst das Schiffâ wurde diese âPunchâ-Karikatur weltweit bekannt.

Verbittert zog sich der ehemalige Reichskanzler auf sein Schloss nach Friedrichsruh zurĂŒck und schrieb an seinen Memoiren, die erst nach seinem Tode erscheinen sollten. Der dritte Band kam sogar erst 1919 heraus, er enthielt massive Kritik an Wilhelm II.
Am 30. Juli 1898 starb Otto von Bismarck mit 83 Jahren. Diese Zeichnung zeigt ein idealisiertes Bild des Totenbettes â schonungslos ehrliche Fotos, die ein frĂŒher âPaparazzoâ von dem eben Verstorbenen aufgenommen hatte, sorgten seinerzeit fĂŒr einen Skandal.

In der Erinnerung blieb Bismarck als rationaler Politiker, der zwar gewiss kein Demokrat war, sich aber vernĂŒnftigen Reformen nicht verschloss. JĂŒngere Forschungen stellen jedoch seinen Machtsinn heraus. Neben Napoleon I. gilt er als maĂgeblicher Politiker des 19. Jahrhundertsl.
Politisch, weil der preuĂische MinisterprĂ€sident Otto von Bismarck ein klares Ziel vor Augen hatte und den machiavellistischen Willen, es mit allen Mitteln zu erreichen: PreuĂen sollte die Vormacht in einem deutschen Nationalstaat werden, um damit die Machtstellung der altpreuĂischen Eliten im BĂŒndnis mit dem national gesinnten BĂŒrgertum zu erhalten. Nur schnell musste dieser Krieg ein Ergebnis bringen, bevor die europĂ€ische Hegemonialmacht Frankreich zum Eingreifen bereit war.
Technisch verfĂŒgte PreuĂen ĂŒber ein ausgebautes Eisenbahnnetz, das den Transport groĂer Truppenkontingente in kurzer Zeit ermöglichte. Und seine Truppen nutzten mit dem ZĂŒndnadelgewehr einen Hinterlader, der eine mehr als doppelt so hohe Schussfolge erlaubte als die österreichischen Vorderlader. Das Heer rekrutierte sich nach dem Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht, die fĂŒr ein solides MaĂ an VerstĂ€ndnis fĂŒr taktische Vorgaben sorgte. Zudem verfĂŒgte es mit dem Generalstab ĂŒber ein FĂŒhrungsinstrument, das selbst komplizierte Manöver groĂer TruppenverbĂ€nde zu koordinieren verstand. Und mit seinem Chef, Helmuth von Moltke, hatte einer der fĂ€higsten Strategen der Zeit die FĂŒhrung inne.

Mit drei getrennten Armeen rĂŒckten die PreuĂen in Böhmen ein
Moltke lieĂ drei Armeen, 220.000 Soldaten in achteinhalb Korps, zwischen Elbe und schlesischem Sudetenland aufziehen. Da er nicht damit rechnete, dass sein GegenĂŒber, der österreichische Feldzeugmeister Ludwig Benedek, sein etwa gleich groĂes Heer Ă€hnlich schnell zum Angriff bereit haben wĂŒrde, wĂ€hlte der PreuĂe eine riskante Strategie. Statt sich in einer ebenso riesigen wie unflexiblen Kolonne zu bewegen, sollten seine Truppen getrennt marschieren, um den Feind schlieĂlich vereint auf dem Schlachtfeld schlagen zu können.
Das barg die Gefahr, dass Benedek die preuĂischen Armeen einzeln wĂŒrde schlagen können, bevor die anderen zur UnterstĂŒtzung heran sein wĂŒrden. Andererseits bot sich womöglich die Chance, die Ăsterreicher im entscheidenden Moment von verschiedenen Seiten einzuschlieĂen.

Prinz Friedrich Karl von PreuĂen, ein Neffe Wilhelms I., fĂŒhrte die Erste Armee
Schnelle VorstöĂe der PreuĂen im Westen schalteten Ăsterreichs VerbĂŒndete Hannover und Bayern aus. Zwar konnte die preuĂische Elbarmee Dresden besetzen, die sĂ€chsische Armee aber entkam und vereinte sich mit Benedeks Truppen, die vom mĂ€hrischen OlmĂŒtz aus nach Norden marschierten. Hier beging der österreichische Feldherr, der nach eigenem DafĂŒrhalten âkein Freund komplizierter Kombinationenâ war, seinen ersten groĂen Fehler. Statt sich mit aller Macht gegen die preuĂische Zweite Armee unter dem Befehl des Kronprinzen Friedrich Wilhelm (des spĂ€teren Kaisers Friedrich III.) zu wenden, verzettelte er sich auch in KĂ€mpfen gegen die Korps der Ersten Armee des Prinzen Friedrich Karl. Dazwischen aber lagen mehrere TagesmĂ€rsche.
WĂ€hrend Friedrich Karl langsam aus dem Raum Görlitz vorrĂŒckte, hatte der Kronprinz das Problem, seine Truppen auf PĂ€ssen ĂŒber das Riesengebirge bringen zu mĂŒssen. Da diese sich in den engen TĂ€lern kaum entfalten konnten, hĂ€tte bei umsichtiger FĂŒhrung Ăsterreichs die Chance bestanden, die PreuĂen zu blockieren und zurĂŒckzudrĂ€ngen. Das gelang auch in einem Fall, die drei anderen Korps der Zweiten Armee aber erreichten nach kurzen KĂ€mpfen Böhmen, wĂ€hrend die österreichischen Sicherungstruppen sich zurĂŒckzogen.

WĂ€hrend Erste und Elbarmee die Aufmerksamkeit der Ăsterreicher auf sich lenken sollten, sollte die Zweite Armee ihnen in die rechte Flanke fallen
Vor der alten Festung KöniggrĂ€tz, die Elbe im RĂŒcken, bezogen Ăsterreicher und Sachsen daraufhin eine Verteidigungsposition. Die Stellungen wurden befestigt; Benedeks hervorragende Artillerie, die der preuĂischen deutlich ĂŒberlegen war, schoss sich ein. Friedrich Karl, an dessen rechtem FlĂŒgel inzwischen die Elbarmee aufmarschiert war, ging davon aus, es nur mit einem Teil der österreichischen Truppen zu tun zu haben, und plante den Angriff fĂŒr den 3. Juli.
Genau das erhoffte Benedek. Er wollte die zunĂ€chst nur 130.000 PreuĂen sich im Angriff verschleiĂen lassen und dann mit seinen Reserven erdrĂŒcken. Moltke aber, der erst spĂ€t ĂŒber die PlĂ€ne seines Generals informiert wurde, erkannte die Falle. Umgehend befahl er dem Kronprinzen, mit allen verfĂŒgbaren Truppen in EilmĂ€rschen von der oberen Elbe nach KöniggrĂ€tz zu marschieren. Sieg oder Niederlage hingen von seinem rechtzeitigen Eintreffen ab.
KAISER FRIEDRICH III. â STATIONEN

Als âewiger Kronprinzâ ist Friedrich Wilhelm (1831-1888) in die Geschichte eingegangen. Am Ende lieĂ ihm der Kehlkopfkrebs nur 99 Tage, um als Kaiser zu regieren. Wegen seiner liberalen Gesinnung und persönlichen AutoritĂ€t ranken sich um Friedrich III. seit jeher Spekulationen, was gewesen wĂ€re, wenn er lĂ€nger gelebt hĂ€tte. Das StandportrĂ€t Anton von Werners entstand ein Jahr nach dem Tod des Kaisers.

Ăblicherweise fand die Trauung des Kronprinzen in PreuĂen statt. FĂŒr die Hochzeit mit der Tochter von Queen Victoria aber mussten sich die Hohenzollern 1858 nach London begeben. Die Arithmetik der Macht wollte es so.

Es war eine Liebesbeziehung, die Friedrich und Viktoria (1840-1901) zusammengefĂŒhrt hatte.

Trotz der liberalen und anglophilen AtmosphĂ€re seines Elternhauses nahm die Entwicklung des Ă€ltesten Sohns des Kronprinzenpaares bald eine andere Richtung â Friedrich und Wilhelm im Schottenrock. ( Kronprinz Friedrich Wilhelm mit seinem Ă€ltesten Sohn Wilhelm auf Schloss Balmoral, 1863)

Vier Generationen Hohenzollern. Zwischen seinem Vater Wilhelm I. (1797-1888; sitzend) und seinem Sohn Wilhelm (1858-1941) wurde Friedrich geradezu zerrieben. Das Baby ist der letzte Kronprinz Friedrich Wilhelm.

In den sogenannten Einigungskriegen machte sich Friedrich als Feldherr einen Namen. Nachdem er 1866 mit einem Gewaltmarsch mit der 2. Armee rechtzeitig das Schlachtfeld von KöniggrÀtz erreicht hatte, verlieh ihm sein Vater den Orden Pour le Mérite. (Pour-le-merite-Koeniggraetz-Georg-Koch)

Kronprinz Friedrich mit seinem Stab vor dem Hauptquartier in Versailles im deutsch-französischen Krieg 1870/71.

Auch im Kriegsrat geriet der Kronprinz wiederholt mit MinisterprÀsident Otto von Bismarck aneinander.

Nach der ReichsgrĂŒndung fristete Friedrich ein Leben im Wartestand. âDer Kronprinz auf dem Hofballâ 1878 nannte Anton von Werner die Skizze.

Nach nur 99-tĂ€giger Herrschaft starb Friedrich III. im Juni 1888 in Potsdam. Die Kaiserin-Witwe Viktoria und ihre drei jĂŒngsten Töchter am Sarg in der Friedenskirche.
Bis zum Mittag des 3. Juli schien Benedeks Rechnung aufzugehen. Es kam sogar noch besser. Ohne Not hatte Friedrich Karl mehreren Divisionen den Befehl gegeben, in den Swiepwald vor dem Zentrum der österreichischen Front in Stellung zu gehen. Dort waren die Truppen heftigem GeschĂŒtzfeuer ausgesetzt, ohne dass sie eine Chance gehabt hĂ€tten, gegen die waffenstarrenden Höhen vorzugehen.
Allerdings wollten sich nun einige von Benedeks UnterfĂŒhrern den erhofften Schlachtenruhm sichern und missachteten dessen Befehle, in ihren Positionen zu verharren, bis sie den Befehl zum Gegenangriff erhielten. Sie rĂŒckten in den Siepwald ein und entblöĂten damit die rechte Flanke der Ăsterreicher nach Norden. Von dort aber drĂ€ngten die Divisionen des Kronprinzen in GewaltmĂ€rschen zum Schlachtfeld.

In aller Ruhe wÀhlte Moltke eine Zigarre, als Bismarck ihm sein Etui anbot
Gegen Mittag machten sich bei den PreuĂen erste Auflösungserscheinungen bemerkbar. König Wilhelm I. erging sich in trĂŒben Erinnerungen an Jena und Auerstedt, wo Napoleon 60 Jahre zuvor die Armee des friderizianischen PreuĂen vernichtet hatte. Sein MinisterprĂ€sident Bismarck fĂŒhlte sich wie ein Spieler, der Millionen gesetzt hatte, die er nicht besaĂ. Nur Moltke behielt die Nerven. Als Bismarck ihm eine Zigarre anbot, traf er mit provozierender Ruhe seine Wahl, was jener als gutes Omen nahm.
Jetzt wĂ€re der richtige Zeitpunkt fĂŒr Benedeks Angriffsbefehl gewesen. Aber der Mann, der als ProtegĂ© des Feldmarschalls Radetzky aufgestiegen war, zögerte. Im Gegensatz zum Kommandeur der ersten preuĂischen Gardedivision. Der erkannte die exponierte Lage von Chlum und begann, gegen seine Befehle, sofort mit dem Sturmangriff. Um 15 Uhr war die Höhe in der Hand der kampfstĂ€rksten preuĂischen Truppen und die Schlacht gewendet.
Wie es Moltke vorhergesehen hatte, entschied das Eingreifen des Kronprinzen die Schlacht. Obwohl Benedek endlich sein Zaudern abwarf und zĂŒgig seine Reserven, die er zum Gegenangriff zurĂŒckgehalten hatte, gegen die Garde in Chlum fĂŒhrte und so ĂŒberlegen die österreichische Kavallerie die preuĂische zurĂŒckdrĂ€ngte und damit die StraĂe nach KöniggrĂ€tz offen hielt. Als am folgenden Tag ein österreichischer General im preuĂischen Hauptquartier erschien, um ĂŒber einen Waffenstillstand zu verhandeln, konnte er auf die Frage nach dem Zustand seiner Armee nur antworten: âMein Kaiser hat keine Armee mehr, sie ist so gut wie vernichtet.â
Obwohl die österreichischen und sĂ€chsischen Verluste mit 8000 Toten und etwa 10.000 Verwundeten (gegenĂŒber 2000 gefallenen PreuĂen) â gemessen an den Schlachten der napoleonischen Zeit â geradezu gering waren, verfĂŒgte Benedek ĂŒber kaum eine intakte Einheit mehr. Im Rausch des Sieges trĂ€umten Wilhelm und seine GenerĂ€le bereits von einer Siegesparade in Wien. Aber der Mann, der den unpopulĂ€ren Bruderkrieg angezettelt hatte, war anderer Meinung. Im Gegensatz zu nachfolgenden Reichskanzlern beharrte Bismarck auf dem Primat der Politik und StaatsrĂ€son: Er setzte einen frĂŒhen und vor allem maĂvollen Frieden durch, der Ăsterreich das Gesicht wahren lieĂ und Frankreich die Chance nahm, den eigennĂŒtzigen Makler zu spielen. PreuĂen grĂŒndete noch nicht einen Nationalstaat, sondern belieĂ es beim Norddeutschen Bund bis zur Mainlinie.
Gleichwohl stimmte das Urteil, das der Londoner âSpectatorâ formulierte: âDreiĂig Dynastien sind hinweggespĂŒlt, das Schicksal von zwanzig Millionen zivilisierter Menschen ist fĂŒr immer betroffen, das politische Gesicht der Welt hat sich verĂ€ndert ⊠PreuĂen (hat sich) auf den ersten Platz der GroĂmacht Europas geschwungen.â
Dass dieses Ergebnis von KöniggrĂ€tz 1914 und 1939 verspielt wurde, lag nicht zuletzt an der Schlacht selbst. Denn der kurze Feldzug und die geplante EinschlieĂung, die eindeutige Entscheidung â das alles hat die preuĂisch-deutschen MilitĂ€rs in ihrer Ăberzeugung von der eigenen Feldherrnkunst noch einmal bestĂ€rkt. Und sollte sie doch einmal versagen, wĂŒrde schon in letzter Minute ein Kronprinz auftauchen, der die Lage bereinigte. Der Traum von der schnellen Entscheidungsschlacht, die das Nachdenken ĂŒber lange AbnĂŒtzungskriege obsolet machte, wurde zu einem fatalen Dogma, das zum Schlieffenplan des Ersten und zu den Blitzkriegen des Zweiten WeltkriegsfĂŒhrte.
https://www.welt.de/geschichte/article156742070/Diese-gigantische-Schlacht-schuf-Deutschland.html
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Robert Motherwell, James Joyce, 1979. Acrylic varnish and conté crayon on paper, 28.9 x 35.6 cms. Bernard Jacobson Gallery.
James Joyce Manuscripts In Red Crayon for Ulysses and Finnegans Wake
His eyesight fading, James Joyce was forced to write in color
By Paul Sorene onJune 27, 2018
James Joyce (2 February 1882 â 13 January 1941) wrote Finnegans Wake âlying on his stomach in bed, with a large blue pencil, clad in a white coat, and composed most of Finnegans Wake with crayon pieces on cardboard,â says Maria Popova. âThe large crayons⊠helped him see what he was writing, and the white coat helped reflect more light onto the page at night.â
The obituary of the writer who recognised the importance of keeping a notebook appeared thus in the NYTimes:
While living in Zurich Joyce began to suffer from severe ocular illness and eventually underwent at least ten operations on his eyes. For years he was almost totally blind and much of his later writing was done with red crayon on huge white sheets of paper.
Joyceâs use of red crayons introduces a neat link to Samuel Butler, who in the 1890s decided to translate the Greek text of the Odyssey into English prose âfor the use of those who cannot read the originalâ. He used red crayon âto mark phrases and passages that crop up in the original Greek versions of both the Odyssey and the Iliad â evidence, as far as Butler was concerned, that the poems had different authors. â Butlerâs Odyssey is said to be one of only two translations James Joyce used in writing Ulysses.
 âJoyce used a different colored crayon each time he went through a notebook incorporating notes into his draft,â adds Derek Attridge in a review of The Finnegans Wake Notebooks at Buffalo. These color-coded crayon illustrations were âa scrupulousness which has never been satisfactorily explainedâ.
And itâs all steeped in deep meaning, of course, Unless the writer was a great marketeer and spinning myth? As he said: âIâve put in so many enigmas and puzzles that it will keep the professors busy for centuries arguing over what I meant â and thatâs the only way of insuring oneâs immortality.â
 âJoyce used a different colored crayon each time he went through a notebook incorporating notes into his draft,â adds Derek Attridge in a review of The Finnegans Wake Notebooks at Buffalo. These color-coded crayon illustrations were âa scrupulousness which has never been satisfactorily explainedâ.
And itâs all steeped in deep meaning, of course, Unless the writer was a great marketeer and spinning myth? As he said: âIâve put in so many enigmas and puzzles that it will keep the professors busy for centuries arguing over what I meant â and thatâs the only way of insuring oneâs immortality.â
By Paul Sorene on June 27, 2018
https://flashbak.com/james-joyce-manuscripts-in-red-crayon-for-ulysses-and-finnegans-wake-402843/
James Joyce, notebook for Ulysses

James Joyce â Words, 1917 Ulysses Notebook

Rhetoric- James Joyce

a Ă:
James Joyce Manuskripte in rotem Buntstift fĂŒr Ulysses und Finnegans Wake
Sein Augenlicht schwand, James Joyce war gezwungen, in Farbe zu schreiben
James Joyce (2. Februar 1882 â 13. Januar 1941) schrieb Finnegans Wake âauf dem Bauch liegend im Bett, mit einem groĂen blauen Bleistift, in einen weiĂen Kittel gekleidet, und den gröĂten Teil von Finnegans Wake aus BuntstiftstĂŒcken auf Pappe komponiertâ, sagt Maria Popova. âDie groĂen Buntstifte⊠half ihm zu sehen, was er schrieb, und der weiĂe Kittel half dabei, nachts mehr Licht auf die Seite zu reflektieren.â
Der Nachruf auf den Schriftsteller, der die Bedeutung des FĂŒhrens eines Notizbuchs erkannte, erschien folgendermaĂen in der NYTimes:
WĂ€hrend er in ZĂŒrich lebte, litt Joyce an einer schweren Augenerkrankung und musste sich schlieĂlich mindestens zehn Operationen an den Augen unterziehen. Jahrelang war er fast völlig blind und ein GroĂteil seiner spĂ€teren Texte schrieb er mit rotem Buntstift auf riesigen weiĂen PapierblĂ€ttern.
Joyces Verwendung von roten Buntstiften stellt eine nette Verbindung zu Samuel Butler her, der in den 1890er Jahren beschloss, den griechischen Text der Odyssee in englische Prosa zu ĂŒbersetzen, âfĂŒr den Gebrauch derer, die das Original nicht lesen könnenâ. Er benutzte roten Buntstift, âum SĂ€tze und Passagen zu markieren, die in den griechischen Originalfassungen sowohl der Odyssee als auch der Ilias auftauchen â ein Beweis dafĂŒr, dass die Gedichte unterschiedliche Autoren hatten.â Butlers Odyssee soll eine von nur zwei Ăbersetzungen sein, die James Joyce beim Schreiben von Ulysses verwendete.

Butlers Ăbersetzung der Odyssee â mit roten Buntstiften (Via)
âJoyce benutzte jedes Mal, wenn er ein Notizbuch durchging, einen andersfarbigen Buntstift und baute Notizen in seinen Entwurf einâ, fĂŒgt Derek Attridge in einer Rezension von The Finnegans Wake Notebooks in Buffalo hinzu. Diese farbcodierten Buntstiftillustrationen seien âeine Gewissenhaftigkeit, die nie zufriedenstellend erklĂ€rt worden istâ.
Und natĂŒrlich ist das alles von tiefer Bedeutung durchdrungen. Es sei denn, der Autor war ein groĂer Vermarkter und spinnt einen Mythos? Er sagte: âIch habe so viele RĂ€tsel und RĂ€tsel eingebaut, dass die Professoren jahrhundertelang damit beschĂ€ftigt sein werden, darĂŒber zu streiten, was ich gemeint habe â und das ist der einzige Weg, die eigene Unsterblichkeit zu sichern.â
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âWie man einen Krieg vermeiden kannâ: Georg Elser (1903-1945)
Die Bombe explodierte pĂŒnktlich â 13 Minuten zu spĂ€t
Um den Krieg zu verhindern, wagte der Schreiner Georg Elser 1939 den Tyrannenmord. Eine Bombe im MĂŒnchner BĂŒrgerbrĂ€ukeller sollte Hitler am 8. November töten. Aber der Diktator redete gegen seine Art einfach zu kurz. Veröffentlicht amÂ
04.11.2019 , Sven Felix Kellerhoff
Millionen Deutsche waren Mitglieder der NSDAP oder gleichgeschalteter Organisationen. Doch es gab auch Menschen, die gegen die braune Diktatur Widerstand leisteten. Oft unter Einsatz ihres Lebens.
Technisch gesehen lief am 8. November 1939 alles perfekt: Der ZeitzĂŒnder brachte die Bombe, die in einer SĂ€ule des MĂŒnchner BĂŒrgerbrĂ€ukellers versteckt war, genau um 21.20 Uhr zum Detonieren. Sieben Menschen, die in unmittelbarer NĂ€he standen, starben sofort, zerfetzt vom Explosionsdruck des Dynamits oder erschlagen von TrĂŒmmern. Ein achter Mann erlag spĂ€ter seinen Verletzungen. Weitere 63 wurden verwundet, davon 16 schwer.
Und doch misslang der Anschlag. Denn das Ziel der Bombe, Adolf Hitler, hatte seine Ansprache zur Erinnerung an seinen gescheiterten Putsch genau hier im Jahr 1923 zu frĂŒh beendet. Gewöhnlich sprach der âFĂŒhrerâ der NSDAP gern anderthalb Stunden oder lĂ€nger und legte den Aufstieg seiner âBewegungâ in immer leicht variierter Form dar.
Im BĂŒrgerbrĂ€ukeller proklamiert der Demagoge Adolf Hitler eine neue Regierung und ruft zum Marsch nach Berlin auf. Mehrere tausend Gefolgsleute schlieĂen sich an. Die Polizei stoppt die Putschisten.
Diesmal verkniff er sich das, schimpfte stattdessen eine knappe Stunde auf Deutschlands Hauptkriegsgegner GroĂbritannien und beendete seine Rede mit einem dreifachen âSieg Heil!â um 21.05 Uhr. Zwei Minuten spĂ€ter stieg er vor dem BĂŒrgerbrĂ€ukeller in seinen Wagen und lieĂ sich zum Bahnhof fahren, wo seine Sonderwagen an den regulĂ€ren Schnellzug nach Berlin angehĂ€ngt worden waren.
Georg Elser, ein 35-jĂ€hriger Schreinergeselle aus dem schwĂ€bischen Königsbronn, hatte in monatelanger Arbeit die Bombe konstruiert und in der SĂ€ule versteckt, vor der Hitlers Rednerpult stand. Denn er hatte ein Jahr zuvor erkannt, dass Hitler Deutschland und Europa in einen verheerenden Krieg stĂŒrzen wollte. Elser glaubte (wahrscheinlich zu Recht), dass dieser Krieg vermieden werden könnte, wenn der eroberungssĂŒchtige Diktator rechtzeitig beseitigt werden wĂŒrde.
Doch damit ein Tyrannenmord gelingen kann, bedarf es nicht nur eines ĂŒberzeugten und hartnĂ€ckigen AttentĂ€ters. Er muss zudem ĂŒber die notwendigen Mittel fĂŒr einen Anschlag verfĂŒgen und eine Gelegenheit bekommen.
Die âHöllenmaschineâ (so Elser selbst in seiner Vernehmung bei der Gestapo) konstruierte er aus gekauften Bauteilen; den Sprengstoff hatte er in einem Steinbruch entwendet. Das notwendige Tatwerkzeug hatte er also. Er wusste auch, bei welcher Gelegenheit er Hitler umbringen wollte: Am höchsten âFeiertagâ der NS-Bewegung, eben am Abend eines 8. Novembers, an dem alljĂ€hrlich Hitler selbst vor âAlten KĂ€mpfernâ der NSDAP eine Huldigungsrede ĂŒber seine âBewegungâ hielt. Gut 1500 Zuhörer, darunter fast die gesamte NS-FĂŒhrung, folgten den AusfĂŒhrungen ihres âFĂŒhrersâ.

Der MĂŒnchner BĂŒrgerbrĂ€ukeller galt als Stammlokal der NSDAP
Allerdings gab es keinerlei Aussicht fĂŒr Elser, der vor 1933 dem kommunistischen âRoten FrontkĂ€mpferbundâ angehört und mutmaĂlich KPD gewĂ€hlt hatte, eine Einladung zu diesem NSDAP-Fest zu bekommen. Also musste er auf eine Automatik setzen â mit einer Uhr als mehrere Tage laufendem ZeitzĂŒnder.
Im Jahr zuvor hatte die Feier um 19.30 Uhr begonnen, und Hitler hatte von kurz nach 20 Uhr bis kurz vor 22 Uhr geredet. Daran orientierte sich Elser. In rund 30 NĂ€chten, in denen er sich im groĂen Saal des BĂŒrgerbrĂ€ukellers einschlieĂen lieĂ, höhlte er die SĂ€ule aus und baute die Bombe ein.
Dann, in der Nacht vom 5. auf den 6. November 1939, stellte er den Wecker seiner Konstruktion auf den 8. November 1939 um 21.20 Uhr ein. Zu dieser Zeit wollte er selbst bereits in der sicheren Schweiz sein.

Der BĂŒrgerbrĂ€ukeller nach der Detonation
Doch der gut konzipierte Plan misslang, weil Hitler wesentlich kĂŒrzer sprach als gewöhnlich, nur 56 Minuten â von 20.09 bis 21.05 Uhr. Dann verlieĂ er den BĂŒrgerbrĂ€ukeller, um den Zug zu nehmen. Denn der geplante RĂŒckflug fiel wegen Nebels aus. Zu diesem Zeitpunkt saĂ Elser selbst schon auf der deutschen Zollstation in Konstanz in Arrest â er war gegen 20.45 Uhr von zwei Grenzbeamten festgenommen worden, als er versuchte, die gesperrte Grenze an einer unĂŒbersichtlichen Stelle zu ĂŒberwinden.
Relativ schnell kamen die Zöllner nach der Nachricht ĂŒber die Detonation in MĂŒnchen darauf, dass vor ihnen der AttentĂ€ter sitzen könnte. Sie ĂŒberstellten ihn an die Gestapo in MĂŒnchen, wo Elser wie auch spĂ€ter in Berlin gefoltert wurde. Das 203-seitige Verhörprotokoll galt ein Vierteljahrhundert als verschollen, bis 1969 ein zufĂ€llig gefundener Durchschlag veröffentlicht wurde.

Die Bombe hĂ€tte Weltgeschichte schreiben können: AufrĂ€umarbeiten im BĂŒrgerbrĂ€ukeller
âIch stellte Betrachtungen an, wie man einen Krieg vermeiden kannâ, sagte Elser demnach: âHierzu wurde ich von niemandem angeregt, auch wurde ich von niemandem in diesem Sinne beeinflusst.â Und er fĂŒgte hinzu: âDer Gedanke der Beseitigung der FĂŒhrung lieĂ mich damals nicht mehr zur Ruhe kommen.â Als Motiv gab er an: âIch wollte durch meine Tat ein noch gröĂeres BlutvergieĂen verhindern.â Also ein Tyrannenmord, um Krieg zu vermeiden.
DafĂŒr kam Elsers Anschlag zu spĂ€t: Als seine Bombe detonierte, befand sich Europa bereits seit zehn Wochen wieder im Krieg. Hitler hatte die Wehrmacht Polen ĂŒberfallen lassen.
Nachdem er seinen Pakt mit Stalin geschlossen hat, gibt Hitler den Befehl zum Ăberfall auf Polen. Daraufhin erklĂ€ren GroĂbritannien und Frankreich dem Deutschen Reich den Krieg.
Dennoch: Wenn der Diktator im BĂŒrgerbrĂ€ukeller getötet worden wĂ€re, hĂ€tte es gute Aussichten gegeben, dass aus dem Polen-Feldzug kein Weltkrieg geworden wĂ€re. Auch der Massenmord an Millionen Juden aus ganz Europa hĂ€tte wohl kaum stattgefunden.
Doch Elser scheiterte am 8. November 1939 tragisch und wurde nach fĂŒnfeinhalb Jahren als âSondergefangenerâ Hitlers kurz vor Kriegsende im KZ Dachau ermordet. Seine Tat illustriert das Dilemma jedes Tyrannenmörders.
https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article254221872/Attentat-auf-Hitler-Die-Bombe-explodierte-puenktlich-doch-13-Minuten-zu-spaet.html
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Scherzhaftes Selbstbildnis Grillparzers. Zeichnung. Wien, StÀdtische Sammlungen. Bildarchiv der österreichischen Nationalbibliothek.
Nach jenem ersten Abschiedsbrief lesen wir in seinen Aufzeichnungen von Zeit zu Zeit, daĂ er mit Kathi endgĂŒltig gebrochen habe. Dann schreibt er ihr wieder, dann zanken sie wieder, entzweien sich aufs neue und kommen aufs neue nicht zusammen. »Wir glĂŒhten, aber ach wir schmolzen nicht!«, steht als Epitaph ĂŒber dem unschuldigen Grab dieser Liebe. Doch ist ein zunehmendes Erkalten an den SchluĂformeln seiner beilĂ€ufigen Mitteilungen deutlich feststellbar. »Mit GruĂ und KuĂ« unterzeichnet er sich in den ersten Jahren, dann verflĂŒchtigt sich das trauliche Du, und GruĂ und KuĂ verwandeln sich in ein wenig ermutigendes »Auf Wiedersehen!«, dann kommen die GrĂŒĂe an den Vater und den Schwager, dann erspart er sich auch diese und sagt nur noch »Adieu«. Und schlieĂlich, nach fĂŒnfzehnjĂ€hriger Bekanntschaft, sagt er nicht einmal mehr Adieu. Aber auch in der BlĂŒtezeit ihrer Liebe, die er ihr in Gedichten bezeugt hat, zeichnet er »Grillparzer«. Nie Dein, nie Ihr, nie Franz. Er nennt, was ihn davon abhĂ€lt, »Schamhaftigkeit der Empfindung«, die ihn abhalte, seinen inneren Menschen nackt zu zeigen. In Wahrheit war es wohl auch eine weniger sympathische Angst, sich dem MĂ€dchen gegenĂŒber zu verpflichten. Er vermied krampfhaft, auch nur den Schein einer innigeren Verbindung zwischen ihnen aufkommen zu lassen.
Dieser quĂ€lende Zustand, nicht Fleisch, nicht Fisch, erhĂ€lt sich durch Jahre als eine Art BĂŒchsenliebe, die eine richtige Mahlzeit verspricht, ohne je eine zu werden. DaĂ die menschliche Beziehung zwischen ihnen, beiderseits auf höchster Achtung und gröĂter Bewunderung beruhend, von solcher TrĂŒbsal unangefochten blieb, geht aus dem Brief hervor, den er, nach fĂŒnfjĂ€hriger Bekanntschaft, von Koburg an sie richtete, um ĂŒber das wahrscheinlich bedeutendste und heiligste seiner Erlebnisse, den Besuch bei Goethe, Nachricht zu geben. An keine andere, weder an Charlotte, noch an das »RĂ€tsel« Marie hat er damals geschrieben. Er nannte die viel zu Schöne ein RĂ€tsel, obwohl sie alles andere eher war. Aber das gehört auf ein anderes Blatt, vielleicht auf dasjenige, auf das er ein Jahr spĂ€ter, als er Marie den Abschied gab, die langstieligen Verse schrieb:
Denn wie du jetzt bemĂŒhst dich, halb vergebens, Zu malen dir dies Band als schwere Last, Es bleibt denn doch die Krone deines Lebens, FĂŒr alle Zeit das Beste was du hast.
Wie ganz anders klingt sein Nachruf â Nachruf bei Lebzeiten â fĂŒr Kathi:
GefĂŒhl, das sich in HerzenswĂ€rme sonnte, Verstand, wenngleich von GĂŒte ĂŒberragt; Ans MĂ€rchen grenzt, was sie fĂŒr andre konnte, An Heil'genschein, was sie sich selbst versagt.

Katharina Fröhlich, Aquarell von Anton HÀhnisch. 1838. Wien, StÀdtische Sammlungen.
Franz Grillparzer
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Marie Piquot. Farbzeichnung. Wien, StÀdtische Sammlungen.
Ein Erlebnis
(5. Mai 1822)
Gestern begegnete mir einer der sonderbarsten VorfĂ€lle in meinem Leben. Frau von P., deren Tochter, die ich gekannt, vor einiger Zeit gestorben ist, lĂ€Ăt mich bitten, sie zu besuchen. Beinahe ein volles Jahr vor dem Tode ihrer Tochter war ich aus ihrem Hause weggeblieben, teils weil ich in dem dort herrschenden Ton etwas Gesuchtes zu bemerken glaubte, teils weil ich fĂŒrchtete, es könnte durch Zeit, Gewohnheit und Gerede der Leute ein nĂ€heres VerhĂ€ltnis zwischen mir und der Tochter vom Hause, einem ĂŒbrigens höchst geistreichen, gebildeten, guten MĂ€dchen, entstehen, das, wenn auch nicht gerade schön, doch besonders durch ihren ĂŒber allen Ausdruck schönen Wuchs auch Ă€uĂerliche VorzĂŒge genug besaĂ, um eine solche Furcht nicht unbegrĂŒndet zu machen. Zu alldem gesellte sich noch meine alte Menschen- oder vielmehr Gesellschaftsscheu, und kurz, ich blieb weg. Nach einigen nur schwachen und bald ganz aufgegebenen Versuchen, mich wieder in ihren Kreis zu ziehen, stellte sich auch die P.sche Familie darĂŒber zufrieden und ich hatte alle Ursache, zu glauben, daĂ sie mutatis mutandis ebensowenig mehr an mich dĂ€chten als ich an sie. Verflossenen Winter hörte ich plötzlich, Marie P. sei schwer krank. Sie war mit ihrem Bruder bei meinem Onkel S. (Sonnleithner) auf dem Balle gewesen, hatte stark getanzt, wĂ€hrend ihr Bruder, der sich unwohl fĂŒhlte, ĂŒbermĂ€Ăig Tee trank, um sich von dem starken Grimmen, das ihn plagte, zu befreien, dadurch aber nur das Ăbel stĂ€rker machte und vor SchluĂ des Balles mit seiner Schwester nach Hause fahren muĂte. Zu Hause angekommen, nimmt der Schmerz zu; das MĂ€dchen in ihrer GutmĂŒtigkeit will niemand wecken, lĂ€uft selbst, noch vom Tanzen erhitzt, in die KĂŒche, macht Tee, wĂ€rmt TĂŒcher, besorgt den Bruder. Des anderen Morgens findet man sie in heftigem Fieber, sie hat sich erkĂ€ltet und ist nun selbst sehr krank. Die Krankheit nimmt zu, greift besonders auf die Nerven, weicht aber doch endlich der vereinten BemĂŒhung geschickter Ărzte und das MĂ€dchen naht der Genesung.
Beinahe erst in diesem Zeitraum erfahre ich etwas ĂŒber die ganze Sache. Im Zweifel, ob ich hingehen soll oder nicht, entscheidet sich meine TrĂ€gheit wie gewöhnlich fĂŒr das letztere und ich ging nicht. Kurz darauf höre ich, das MĂ€dchen sei von neuem in die Krankheit zurĂŒckgefallen, die nun ganz einen nervösen Charakter angenommen habe, und als ich eben bei meiner Tante bin, fragt mich diese, wie um etwas ganz Bekanntes, du weiĂt ja doch, daĂ Marie P. gestorben ist? Ich war heftig erschĂŒttert; obgleich mehr ĂŒber das Unerwartete als ĂŒber die Sache selbst, obschon ich das MĂ€dchen wahrhaft geschĂ€tzt hatte und ihren Umgang gewiĂ gesucht haben wĂŒrde, wenn ich ĂŒberhaupt Umgang suchte und der etwas gezierte Ton ihrer Verwandten nicht ein unangenehmes Licht auf sie selbst geworfen hĂ€tte. In ein paar Tagen darauf war das LeichenbegĂ€ngnis. Ich ging an der Stefanskirche vorĂŒber, als man eben die Anstalten dazu machte, und ward innerlich ergrimmt ĂŒber mich, daĂ mich der traurige Fall so gleichgĂŒltig lasse. Ich nahm es als neuerlichen Beweis einer seit einiger Zeit nur zu deutlich empfundenen allmĂ€hlichen VerhĂ€rtung des Herzens, die mich zuletzt noch zu einem Ideen-Egoisten machen wird, wie es Egoisten des Vorteils gibt. Wie gesagt, ich Ă€rgerte mich ĂŒber meine GefĂŒhllosigkeit und ging in die Kirche, um mich auf die Probe zu stellen, wie weit das ginge. Der Leichenzug kam, die Bahre, mit der Jungfrauenkrone geziert, hinterher der alte grĂ€mliche Bediente, der mir oft, wenn ich neben dem MĂ€dchen saĂ, die Teller gewechselt, sonst barsch, fast grob, jetzt in TrĂ€nen zerflieĂend, fast wankend bei all seiner derben Beleibtheit. Alle Anwesenden weinten ĂŒber das »brave, schöne FrĂ€ulein, das so wohl ausgesehen und so frĂŒh hat sterben mĂŒssen«. Da kam mir denn doch eine Art RĂŒhrung an, aber mehr eine allgemeine, auf die HinfĂ€lligkeit des ganzen Menschengeschlechts gehende; nur wenn ich mir in der Phantasie das MĂ€dchen im Sarge liegend, mit geschlossenen Augen, mit gefalteten HĂ€nden, ausmalte, mischte sich ein persönliches Bedauern mit ein, das aber bald wieder verschwand.
Ich habe diese Verstocktheit, diese GefĂŒhllosigkeit zu Zeiten, wenn mich fremdartige Ideen beschĂ€ftigen, oft mit innerlichem Grauen an mir bemerkt. Kurz, das MĂ€dchen ward eingesegnet, ich lehnte wĂ€hrend der GrabgesĂ€nge, in Dumpfheit versunken, an der Wand und ging ebenso wieder nach Hause. Am vorhergehenden Tage des Morgens hatte ich Vater und Bruder der Verstorbenen bei einem Spaziergang begegnet, ich wollte sie nicht ansprechen und grĂŒĂte nur im VorĂŒbergehen. Der Bruder sah zur Erde. Der Vater aber warf mir einen halb trostlosen, halb grimmigen Blick zu.
Die Sache war fĂŒr mich abgetan, ich dachte auf nichts weiter. Nur eins muĂ ich erwĂ€hnen, so lĂ€cherlich es klingen mag. Von Jugend auf war ich nicht frei von Gespensterfurcht, die aber von Zeit zu Zeit bei einzelnen AnlĂ€ssen bis zum Törichten sich vermehrte. Zum Beispiel, als ich die »Ahnfrau« schrieb; nicht bei meines Vaters, wohl aber sehr bei meiner Mutter Tode. Seit einer lĂ€ngeren Zeit war ich frei davon geblieben. Nach diesem BegrĂ€bnis kehrte sie auf einmal sehr heftig wieder. Alle Abende glaubte ich, Marie P. mĂŒsse mir erscheinen und â sonderbar genug â mĂŒsse mir VorwĂŒrfe machen, da ich mit Ursache an ihrem Tode sei; sie habe mich heimlich geliebt. Zu letzterer Vermutung hatte ich um so weniger einen Grund, da mir das MĂ€dchen nie ein Zeichen von tieferer Neigung gegeben hatte und selbst wenn wir beisammen waren, sie sich immer mehr um meine Arbeiten als um mich zu interessieren schien. Genug, so war's. Auch diese Abendmahnungen gingen vorĂŒber, und ich dachte nicht mehr an die Sache.
Vorgestern, beinahe sechs Wochen nach dem Todesfalle, kömmt der junge P. zu mir; in TrÀnen ausbrechend, bittet er mich im Namen seiner Mutter, sie nÀchsten Tages zu besuchen. Er ging bald und sagte nichts NÀheres. Ich dachte: Sie wollen dem MÀdchen einen Grabstein setzen und verlangen von mir eine Inschrift. Manchmal kam mir der Gedanke, sie habe mir ein Andenken, einen Ring oder dergleichen, hinterlassen, wie man wohl Bekannten zu geben pflegt, immer aber verwarf ich diese Idee wieder als Eingebung der Eitelkeit.
Des anderen Tages gehe ich hin. Die Mutter, in Trauer gekleidet, empfĂ€ngt mich feierlich, ohne TrĂ€nen. Sie fĂŒhrt mich in ein entferntes Zimmer, schlieĂt die TĂŒr ab, setzt sich aufs Ruhebett, winkt mir, neben ihr Platz zu nehmen. Es geschieht. Nun zieht sie aus ihrem Arbeitsbeutel ein geschriebenes Heft heraus, es ist das Testament ihrer Tochter. Darin blĂ€tternd und den gehörigen Artikel aufsuchend, sagt sie: »Es war der Wunsch meiner Tochter, daĂ Sie als Andenken Ihr (mein) eigenes PortrĂ€t annehmen möchten, das sie selbst heimlich gezeichnet und sehr wert gehalten hat.« »DaĂ es doch lieber Ihrer Tochter eigenes wĂ€re!« rief ich aus. »Ja?« versetzt die Frau: »Auch das bestimmt Ihnen meine Tochter, wenn Sie es selbst begehren wĂŒrden.« Und nun bricht sie in TrĂ€nen aus und kann nicht lĂ€nger mehr zurĂŒckhalten. Sie erzĂ€hlt alles. Das MĂ€dchen hatte zu mir eine heftige Neigung gefaĂt, dieselbe aber mit so ungeheurer Selbstbeherrschung verborgen, daĂ weder ich noch ihre Eltern etwas davon bemerkten, erst das Testament gab darĂŒber AufschluĂ. Wohl war den Eltern ein gewisses Interesse fĂŒr mich nicht verborgen geblieben, das sie aber, wie ich und jedermann, auf meine poetischen Arbeiten bezogen. Auch schien in der letzten Zeit ein Kummer an ihr zu nagen, aber man ahndete die Ursache nicht.
Das Testament machte alles klar. Mein Wegbleiben aus dem Hause ihrer Eltern hatte einen tiefen Eindruck gemacht. Sie suchte den Grund dazu in meinem bald darauf bekannt gewordenen VerhĂ€ltnis mit Katty F. (Fröhlich) und schwieg gegen jedermann. Sogar an den BemĂŒhungen ihrer Eltern, mich wieder fĂŒr ihr Haus zu gewinnen, nahm sie keinen Anteil. Um so weniger konnten jene die Ursache des TrĂŒbsinns erfahren, der sie nunmehr befiel, und die sie in körperlichen ZustĂ€nden suchten. Bald darauf hatte das MĂ€dchen einen Traum (welchen, habe ich noch nicht erfahren), der ihr ihren baldigen Tod ankĂŒndigte. Sie sagte niemandem etwas davon, setzte sich aber hin und schrieb auf zwei Bogen ihr Testament; in dem sie auch ihre tiefe Neigung mit den bestimmtesten ZĂŒgen ausdrĂŒckte. So verlebte sie den Sommer still und ruhig. Bei Anfang des Herbstes wiederholte sich ihr der vorige todverkĂŒndende Traum, und nun erzĂ€hlte sie ihn ihren Eltern, indem sie ihre Ăberzeugung aussprach, daĂ sie gewiĂ sehr bald werde sterben mĂŒssen. Aber noch kein Wort ĂŒber ihre Leidenschaft. Die Eltern suchen sie von dem Albernen ihrer Besorgnis zu ĂŒberzeugen, Ărzte verlachen die Furcht der scheinbar vor Gesundheit Strotzenden. Im Winter erkrankt sie, wie oben erwĂ€hnt ist, wird besser, schlimmer, stirbt. Kurz vor ihrem Tod verlieĂ sie jene frĂŒher auf ihr gelastete Melancholie; sie ward heiter, fröhlich, gesprĂ€chig und erklĂ€rte, daĂ sie nie glĂŒcklicher gewesen sei. Aber auch hier kein Wort von ihrer Neigung. So starb sie. Bis ans Ende ihrer Sinne mĂ€chtig, geduldig wie immer. Das erzĂ€hlte mir nun die alte Mutter; klagte mich bald an, umarmte mich dann wieder, nannte mich Sohn. Die Tochter hatte in ihrem letzten Willen die Eltern gebeten, daĂ sie fĂŒr mich sorgen, mich in ihr Haus nehmen, Verwandtenstelle an mir vertreten sollten. Das alles ward mir angeboten â und ich? Kalt, zerstreut, hörte ich das alles an, schlug aus, lehnte ab, spielte ein wenig Komödie, ward aber keiner TrĂ€ne Meister und war froh, als ich wieder gehen konnte. Angegriffen hat es mich wohl, aber weil ich sonst die Frau etwas geziert und outriert in ihren Empfindungen gekannt habe, so konnte ich doch eines unangenehmen GefĂŒhls nicht los werden, obgleich bittere TrĂ€nen die Wahrheit ihrer Reden nur zu sehr bekundeten. â
VerstĂ€ndige MĂ€nner haben es nie fĂŒr schlechthin unmöglich gehalten, daĂ Abgeschiedene nach ihrem Tode den RĂŒckgebliebenen erscheinen könnten. Ich habe an dem Gegenteil wohl nie im Ernst gezweifelt, halte es aber jetzt fĂŒr apodiktisch unmöglich. Denn wĂ€re es möglich, Marie P. wĂŒrde mir gewiĂ erschienen sein.
*
Die Ă€rztliche Diagnose liegt ziemlich klar zutage und lĂ€Ăt sich auch vom Laien mit einiger Sicherheit vermuten. Marie Piquot starb an Tuberkulose, wie Charlotte Paumgartten an Kindbettfieber gestorben war. Das war zeitĂŒblich. Junge Frauen starben im Wochenbett, junge MĂ€dchen an der Schwindsucht, die Todesursache war in beiden FĂ€llen ein Bazillus. Ăbrigens hieĂ die Tuberkulose nicht umsonst die »Wiener Krankheit«: Sie war das Skelett im Hause jener nur scheinbar so sanften und wohlgenĂ€hrten Epoche nach den Napoleonischen Kriegen und war es zumal in Wien, wo in gesteigerter Lebenslust noch etwas mehr gelacht, getanzt und geliebelt wurde als in anderen groĂen StĂ€dten.
Die seelische Diagnose, wenn man es so nennen will, steht, zumindest soweit das junge MĂ€dchen in Frage kommt, nicht minder eindeutig fest. Marie Piquot, ein heiratsfĂ€higes, schönes MĂ€dchen aus allerbestem Haus â der Vater Gesandter eines deutschen Duodezstaates am Wiener Hofe â lernt bei Frau von Sonnleithner den jungen Dichter kennen, den trotz seiner Jugend ein blendendes Ruhmeslicht umstrahlt. Er hat die im Burgtheater mit so groĂem Erfolg aufgefĂŒhrte »Sappho« geschrieben; er ist SekretĂ€r des Finanzministers, Grafen Stadion, hat eine Italienreise im Gefolge der Kaiserin gemacht und ist festangestellter Theaterdichter der kaiserlichen HofbĂŒhne mit einem Jahresgehalt von 2000 Gulden. Derartige Dinge bleiben kein Geheimnis in Wien, die Zahl geht von Mund zu Mund. Mag sie immerhin nach oben abgerundet sein und in Wirklichkeit, wie andere Quellen angeben, nur 1200 Gulden ausgemacht haben, es ist genug, um einen bescheidenen Hausstand zu grĂŒnden. Und warum sollte eine wohlhabende Gesandtentochter nicht bescheiden heiraten, wenn sie in einen jungen Mann verliebt ist? Marie Piquot verliebt sich also. Das ist unter so gĂŒnstigen Voraussetzungen schneller getan als gesagt.
Die Eltern benehmen sich genau so, wie sich verstĂ€ndnisvolle Eltern, die eine heiratsfĂ€hige Tochter haben, in einem solchen Falle zu benehmen pflegen. Sie laden den vielversprechenden Neffen ihrer Freundin, der Frau von Sonnleithner, in ihr Haus, er nimmt die Einladung an und scheint nicht abgeneigt, auf einen gesellschaftlichen Verkehr mit jener ZurĂŒckhaltung einzugehen, die seiner hochgradigen BerĂŒhmtheit entspricht. Er kommt wiederholt und manchmal bleibt er sogar ĂŒbers Nachtmahl. Dann setzt man ihn neben die Haustochter, die ihr GlĂŒck hinter einer ernsten Miene verbirgt.
Marie Piquot ist kein GĂ€nschen; sie weiĂ, was sie wert ist und daĂ sie nicht die erste beste ist. Sie ist nicht gerade schön, aber sie besitzt eine, wie er sich zwar nicht ihr gegenĂŒber, aber in seinem Tagebuch ausdrĂŒckt, Â»ĂŒber alle Beschreibung schöne Gestalt«, was bei nĂ€herer Bekanntschaft vielleicht noch mehr ist als vollkommen regelmĂ€Ăige GesichtszĂŒge. Sie hat Geist, Bildung, ja sogar, als Zeichnerin, eine Spur von Talent. Ist das nicht genug, um einen Mann zu fesseln? Nicht einen Mann wie Grillparzer, ist sie klug genug, sich in hypochondrischen Augenblicken einzugestehen. Und sie grĂŒbelt, was sonst sie ihm noch bieten könnte. Dann fĂ€llt ihr etwas ein, was ganz zu ihrem bescheidenen, hingebungsvollen, schwesterlichen Wesen paĂt: Bewunderung. Das ist es, was er braucht. Und von nun an, wenn er bei Tisch neben ihr sitzt, redet sie immer nur von seinen »poetischen Arbeiten«, von der »Ahnfrau« und der »Sappho«, die sie kennt, und von der »Medea«-Trilogie, auf die jetzt alle warten. Der alte Diener, wĂ€hrend er die Teller wechselt, hört es mit VerdruĂ, Grillparzer mit VergnĂŒgen. GlĂŒcklich darĂŒber, einem so verstĂ€ndnisvollen Wesen begegnet zu sein, ĂŒbersieht er völlig, daĂ Marie in ihn verliebt ist. Nun, wenigstens braucht er sich keine VorwĂŒrfe zu machen, wenn er nach einiger Zeit seine Besuche einstellt; angeblich, weil der Ton des Hauses ihm zu geziert ist, in Wirklichkeit, weil er beim Bankier GeymĂŒller Kathi Fröhlich kennengelernt hat.
Auch das bleibt kein Geheimnis in der Wiener Gesellschaft, und das Gesandtentöchterlein weiĂ bald genug, woran es ist. Er kommt nicht mehr, er wird nie mehr kommen, aus. Marie Piquot benimmt sich heldenmĂŒtig. Mit keinem Wort verrĂ€t sie ihr Geheimnis, sieht blĂŒhend aus und tut, als ob nichts geschehen wĂ€re. Sie geht sogar mit ihrem Bruder tanzen zu den Sonnleithners, wo sie dem Dichter der »Sappho« möglicherweise noch einmal begegnen kann. Ihr »schöner Wuchs«, den das Ballkleid zur Geltung bringt, ihr »geistreiches GesprĂ€ch« â sie weiĂ, daĂ er es gerĂŒhmt hat â, wer weiĂ, alles ist möglich. Aber er kommt nicht. Was liegt daran? Sie tanzt wilder als es ihre Art ist, so daĂ es allgemein auffĂ€llt. Dann zu Hause, wĂ€hrend sie mit tief entblöĂten Schultern in der kalten KĂŒche steht, denkt sie wohl: Um so besser, wenn ich mich erkĂ€lte, dann muĂ er mich besuchen; gesellschaftliche Art erfordert es. Aber sie wird krank, sterbenskrank, dann wieder gesund, und er »lĂ€Ăt sich nicht anschauen«, wie sie in Wien so sinnfĂ€llig sagen. Nie mehr. Nie wieder. Da sagt sie mit Sappho: »O laĂ mich sinken, warum hĂ€ltst du mich?«; macht ihr Testament; zeichnet sein PortrĂ€t; denkt ans Sterben bei Tag und trĂ€umt davon bei Nacht. Der Rest ist von Schubert. »Der Tod und das MĂ€dchen« heiĂt das allgemein beliebte, rĂŒhrende MusikstĂŒck. Die Schwestern Fröhlich, es sind ihrer vier alles in allem, singen es, wenn sie beim Bankier und in anderen ersten HĂ€usern eingeladen werden. Auch Kathi singt ein biĂchen. Man sagt, sie werde zum Theater gehen.
Ein Jahr bevor »Freund Hein«, der Tod mit der Fiedel, wie ihn die mittelalterlichen deutschen Meister darstellen, die schöngewachsene Marie zum letzten Tanz abholt, hat der dreiĂigjĂ€hrige Grillparzer die nicht ganz so schön gewachsene, aber im ĂŒbrigen bildschöne einundzwanzigjĂ€hrige Katharina Fröhlich kennengelernt und sich sogleich in sie verliebt. Wenige Wochen bevor Marie sich ihre Todeskrankheit holte, hat er ein Gedicht veröffentlicht, das dies bezeugt. »Als sie zuhörend am Klaviere saĂ« heiĂt es und beginnt mit dem Vers: »Still saĂ sie da, die Lieblichste von allen.«
Den ersten Eindruck, den ihm dieses nun wieder andere MĂ€dchen machte, hat er in einem Brief an seinen Jugend- und Busenfreund AltmĂŒtter fĂŒr die Nachwelt festgehalten. »⊠die im roten Kleid mit dem geringelten, schwarzbraunen Haar. Jene â mit den Augen hĂ€tte ich fast gesagt; denn es war, als hĂ€tte niemand Augen als sie, und als wĂ€re sie selbst nur da in ihren Augen, so blitzten die dunkelbraunen BĂ€lle, scharf fassend, leicht beweglich, alles bemerkend, jede Bewegung, jedes Wort eintrĂ€chtig begleitend.« Dann schildert er ihre Lebhaftigkeit, ihren spitzbĂŒbischen Humor und rĂŒhmt die »Ungebundenheit des MĂ€dchens mit den schönen Augen«.
Ungebundenheit? Es sah nur so aus in dem von heiterer Wohlhabenheit beschwingten Salon des Herrn von GeymĂŒller. Die vier Schwestern Fröhlich, alle vier zwischen zwanzig und dreiĂig, lebten in kleinbĂŒrgerlichen VerhĂ€ltnissen. Der Vater, der diesen kleinen MĂ€dchenharem in die Welt gesetzt hatte, war seines Zeichens Ausschwefler von WeinfĂ€ssern. Wenn die erblĂŒhten Töchter mit ihren Noten in einem gastfreien Hause zur musikalischen Bewirtung einer vornehmen Gesellschaft eingeladen waren, blieb der Schwefler mit seiner ebenso bĂŒrgerlichen EhehĂ€lfte vorsichtig zu Hause. Warum auch nicht? Die vier MĂ€dchen waren alt genug, um allein und unbehĂŒtet auf einander acht zu geben, was sie denn auch taten, von ihren Tonleitern und ihrem guten Ruf beschĂŒtzt. Drei von ihnen sangen, eine, Betty, bei der die Lieblichkeit manchmal ein biĂchen ins Verschrobene ĂŒberging, malte auĂerdem BlumenstĂŒcke, und die vierte, Kathi, die nicht abgeneigt schien, zum Theater zu gehen und die es auch getan hĂ€tte, wenn es ihr Grillparzer nicht »verboten« hĂ€tte, trug vorlĂ€ufig wenigstens mit ihren Augen und ihrer schalkhaften Laune etwas zur allgemeinen Unterhaltung bei. Ein Hauch von Boheme, aber mit Lavendelduft gemischt, umwitterte das vierblĂ€ttrige Kleeblatt dieser resoluten KunstjĂŒngerinnen, die bei aller Bescheidenheit ihres unbesorgten Auftretens keinen Zweifel aufkommen lassen, daĂ sie keine SingsangmĂ€dchen sind. Abgesehen von der Musik, haben sie nicht viel gelernt und ihre Liebesbriefe sind vermutlich unorthographisch. Aber ihre Kunstbegeisterung steht auĂer Frage. Der Schubert kommt zu ihnen und bald auch der Grillparzer.
Hier haben wir die Beziehung, wie sie sich beim ersten Blicke anspinnt. Wir schreiben 1821, »Medea« ist abgeschlossen, »Der Bann« geschrieben, die »Tragische Muse« blutenden Herzens entlassen. Grillparzers nĂ€chstes StĂŒck wird ein verhĂ€ltnismĂ€Ăig heiteres MĂ€rchenspiel »Der Traum ein Leben« sein. Das VerhĂ€ltnis zu Charlotte, die er nie vergessen wird, ist in einen unerfreulichen Zustand ĂŒbergegangen, in dem Gewissensskrupel alles andere ĂŒberwiegen. AuĂerdem erwartet sie ja schon wieder ein Kind. Und in diesem Augenblick begegnet ihm, als hĂ€tte sie ihm ein lieber Schutzgeist zugefĂŒhrt, dieses reizende MĂ€dchengeschöpf, das mit seiner gescheitelten Frisur, den baumelnden Korkzieherlocken und den schalkhaft Ă€ugelnden Augen nichts weniger als eine tragische Muse, vielmehr die verkörperte Munterkeit ist. Der Gegensatz ist erfrischend.
Grillparzer erfrischt sich. Anstatt einer Einladung seines Vorgesetzten, des Grafen Stadion, auf sein mĂ€hrisches SchloĂ Folge zu leisten, nimmt der SekretĂ€r des Finanzministeriums Franz Grillparzer den Sommer ĂŒber eine Wohnung in Hietzing, dem zugleich lĂ€ndlichsten und höfischesten der Wiener Vororte, um in dieser lieblichen Umgebung, unweit des Lustschlosses Schönbrunn, in dessen Park zur selben Zeit auch Beethoven spazieren geht, PlĂ€ne auszuarbeiten, die nicht ausschlieĂlich literarischer Natur sind. Er hat vor Jahren, als Hofmeister des jungen Grafen Seilern auf dem Lande lebend, reiten gelernt und macht jetzt von dieser Fertigkeit Gebrauch, um seinem MĂ€dchen zu gefallen, wenn er, von Hietzing zu ihr nach Döbling hinĂŒbertrabend, sie in der Sommerwohnung der Familie Fröhlich besucht, nicht anders, als fĂŒnfzig Jahre vorher der StraĂburger Student Goethe seine Friederike auf dem Pfarrhof in Sesenheim besuchte. Freilich, Grillparzer ist kein Student mehr, er ist ein kaiserlicher Beamter, und wenn ihn der Minister Graf Stadion zu sich aufs SchloĂ lĂ€dt, so geschieht es, bei aller Wohlgeneigtheit, die er dem Dichter entgegenbringt, zum Teil auch, weil er sommerĂŒber einen SekretĂ€r benötigt. Der Dichter der »Medea« weiĂ das natĂŒrlich, setzt sich aber genieĂerisch darĂŒber hinweg und entscheidet sich fĂŒr Hietzing. Der schulmeisterliche Laube zieht daraus den SchluĂ, daĂ er ein nachlĂ€ssiger Beamter war und die VernachlĂ€ssigung in der Beförderung, ĂŒber die zu klagen er nicht mĂŒde wird, seiner eigenen LĂ€ssigkeit zuzuschreiben hatte. Mag sein, daĂ Laube recht hat und daĂ Grillparzer der Dichter, der er war, wichtiger war als der Konzeptspraktikant. Sicher ist jedenfalls, daĂ seine DienstesnachlĂ€ssigkeit in dem in Betracht kommenden Zeitabschnitt klar beweist, wie wichtig ihm in diesem Sommer, in dem Marie ihre bösen TrĂ€ume hatte, seine Besuche in Döbling waren. Das unmittelbar benachbarte Grinzing ist eine berĂŒhmte Weingegend, das Yoshiwara von Wien, und es paĂt zu dem Bilde, das wir uns um diese Zeit von Grillparzer machen mĂŒssen, daĂ er hin und wieder wohl auch vor einer der zahlreichen Buschenschenken abstieg und ein paar GlĂ€ser jungen Weines hinunterstĂŒrzte, bevor er zu seiner angebeteten Kathi auf den Berg hinaufritt. Einmal kam er wohl in angeheitertem Zustand bei ihr an und fing zu streiten an, weil er sie und ihre Stube nicht so spiegelblank aufgerĂ€umt fand, wie er sich's im Salon GeymĂŒller getrĂ€umt hatte, oder, weil sie schon wieder von ihren TheaterplĂ€nen sprach, wovon er kurioser Weise nichts hören wollte. Heftige Worte fielen, Kathi weinte. Um diese Zeit waren sie schon so gut wie verlobt. Aber eben nur »so gut wie«; die Hochzeit lieĂ auf sich warten. Sie lieĂ fĂŒnfzig Jahre lang warten und erfolgte nie.
Was ging vor zwischen diesen beiden jungen Menschen, die doch offensichtlich Hals ĂŒber Kopf in einander verliebt waren? Was war der Grund einer fortschreitenden Entzweiung? Die ungelöste Frage beschĂ€ftigte die Zeitgenossen; sie beschĂ€ftigt, drei Vierteljahrhunderte nach Grillparzers Tod, noch immer die Nachwelt. Es gibt keine Antwort, nur Antworten.
Die nĂ€chsten, die dieses »VerhĂ€ltnis«, wie Grillparzer in seinem Erinnerungsblatt sagt, obwohl es kein VerhĂ€ltnis im heutigen Verstande war, anging, waren natĂŒrlich Kathis Eltern, der Weinschwefler und seine EhehĂ€lfte, die mit KopfschĂŒtteln viel Zeit verbracht haben mögen. Aber wenn man arm ist und abhĂ€ngig von vier schönen Töchtern, von denen schlieĂlich nur eine heiraten wird, lernt man die schweigsame Kunst, die Dinge gehen zu lassen, wie sie eben gehen. Die Schwestern Kathis verhielten sich nicht ganz so schweigsam und eine von ihnen, Betty mit Namen, die in MĂ€nnerstiefeln einherstapfte und eine richtige MegĂ€re war â ĂŒbrigens war sie die einzige, die heiratete, was zu denken gibt â, wurde in spĂ€teren Jahren laut genug und machte dem Schwager, der kein Schwager werden wollte, die Hölle gehörig heiĂ. Das tat freilich, auf eine mehr mĂ€dchenhafte Art, bei aller Lieblichkeit auch Kathi selbst. Sie war ebenso rechthaberisch wie ihr Liebhaber und hatte zwischen ihren Korkzieherlocken eine etwas enge, eigensinnige Stirn, die es kategorisch ablehnte, sich in die Lage eines anderen hineinzudenken, was ein Dramatiker naturgemÀà am wenigsten versteht, denn darin, gerade darin, besteht seine gröĂte Kunst. Allerdings war es fĂŒr sie ein besonderes KunststĂŒck, sich der Lebenshaltung eines Mannes anzupassen, der, autokratisch erzogen wie alle Ăsterreicher, mit einer durch seine Armut nur verschĂ€rften Unerbittlichkeit die höchsten Anforderungen stellte, weil â er sie stellen durfte.
Aber der wahre Grund ihres liebevollen ZerwĂŒrfnisses, das wie die Liebe mit den Jahren zunahm, lag tiefer. Er ist aufzuspĂŒren in der kategorischen Zweiteilung zwischen sinnlicher und seelischer Liebe, zu der der Student Grillparzer in seinem Jugendtagebuche sich ein fĂŒr allemal entschlossen hatte. Das UnglĂŒck war nur, daĂ er im gegebenen Falle die beiden Kategorien: die körperliche Liebe, bei der man auch die Busenhaftigkeit des geliebten Wesens in Betracht zieht, und die spirituelle Liebe, die sich solche abschweifende Blicke und Gedanken nicht gestattet, zwar nicht verwechselte, aber, was schlimmer ist, nachher verwechseln wollte. Bei der armen Marie war es, seinerseits, eine spirituelle Liebe, die sich in Hochachtung auslebt, von Anfang an, obwohl er immerhin ihren Â»ĂŒber alle Beschreibung schönen Wuchs« bemerkte, ein ZugestĂ€ndnis an die irdische Schwachheit der Mannsnatur; bei Kathi war es von Anfang an die andere Kategorie. Es war eine Liebe auf den ersten Blick, was eine Seelenliebe ihrer Natur nach unmöglich sein kann; denn die Seele lernt man, wie den Charakter, erst schrittweise kennen, das Leibliche leuchtet dem entzĂŒckten Auge unmittelbar auf dem kĂŒrzesten Wege ein. DaĂ dies im Salon GeymĂŒller der Fall war, geht ebenso aus Grillparzers brieflicher Beschreibung â »die mit den Augen« â hervor wie aus dem Stammbuchvers, den er der sogleich Geliebten im ersten Anlauf widmete:
Zwar ird'scher Werke Meister Webt lebenlang am StĂŒck: FĂŒr Herzen und fĂŒr Geister Regiert der Augenblick.
Ăber diesen Augenblick, der zugleich sehend und blind macht, weil in ihm der Trieb ĂŒber das Urteil siegt, hat Goethe sich in seinen »Venezianischen Epigrammen« mit heidnischer Unbefangenheit ausgesprochen. »In den heroischen Zeiten« lautet der Vers:
⊠In den heroischen Zeiten Folgte Begierde dem Blick, folgte Genuà der Begier.
Aber das war es eben. Die Biedermeierzeit war keine heroische Zeit, am wenigsten im bĂŒrgerlich gesitteten Wien, und Grillparzer hatte nach seinen Erfahrungen im Hause Paumgartten um so weniger Lust, in das einwandfreie Familienleben der Fröhlich heidnisch einzubrechen. Anderseits war er nicht weniger abgeneigt, seine Junggesellenfreiheit, die ihm, wahrscheinlich mit Recht, eine wesentliche Voraussetzung seiner dichterischen Freiheit schien, aufzugeben und dafĂŒr Haushaltsorgen einzutauschen, die sich angesichts des schwesternreichen, von einem erwerbslosen Elternpaar behĂŒteten Hauses gar nicht berechnen lieĂen. Infolgedessen versuchte er, die von Haus aus triebhafte Beziehung in eine Art Charakterbeziehung, gemildert durch Liebreiz, umzudichten, was sich die Natur auf die Dauer nicht gefallen lĂ€Ăt, und wobei sich die Liebe, selbst wenn sie die Probe besteht, naturgemÀà in Zank verwandelt. Er selbst war viel zu weise â weise auch schon in jĂŒngsten Jahren â um diesen Zusammenhang nicht zu erkennen. An allem wĂ€re nur »sein grillenhaft beobachteter Vorsatz, das MĂ€dchen nicht zu genieĂen«, schuld, notiert er einmal, nach dem soundsovielten Bruch, in seinem Tagebuch. Und ein andermal, noch grillenhafter und noch deutlicher, weil bereits in Versform, die ihm immer die letzte Wahrheit abringt: »Wir glĂŒhten, aber ach wir schmolzen nicht!« Das wurde zur Tragödie seines Lebens, einer Tragödie in Fortsetzungen. Der erste Teil hieĂ Charlotte, der zweite, von dem MĂ€dchen aus gesehen, Marie Piquot, der dritte heiĂt Kathi Fröhlich, der freilich mehr ein quĂ€lendes Schauspiel zu nennen wĂ€re als ein richtiges Trauerspiel. Dann folgt, wie im griechischen Theater, als AbschluĂ ein verhĂ€ltnismĂ€Ăig heiteres Satyrspiel, dessen vergnĂŒgte Heldin die unsagbar schöne Maria Katharina Smolk von Smolenitz war. Sie heiratete spĂ€ter den Wiener Maler Daffinger, der sie malte und prĂŒgelte. Er malte auch Grillparzer in etwas verniedlichter Form und sichtlich ohne eine Ahnung von ihm zu haben, was man dem stutzerhaften Bildchen ansieht. Immerhin, wenn man es mit anderen, unfreundlicheren Bildnissen aus seinen jungen Tagen vergleicht, lĂ€Ăt sich ungefĂ€hr ermitteln, wie der Held so vieler MĂ€dchentrĂ€ume aussah. Grillparzer war auch in seiner Jugend, bevor die Unmutfalten in seinem Gesicht deutlicher hervortraten, nicht eben hĂŒbsch. Er hatte ein langes Kinn, einen breitgezogenen Mund mit etwas vorhĂ€ngender Unterlippe und eine etwas knollige Nase. Nur die hoheitsvoll ĂŒber dem spitzen Gesicht thronende Stirn war schön und sein blauer Blick gewinnend. Die schreibselige Karoline Pichler, deren heiratsfĂ€hige Tochter ĂŒbrigens auch in ihn verliebt war, widmet ihm in ihren DenkwĂŒrdigkeiten einen ihrer sich regenwurmartig verschlĂ€ngelnden SĂ€tze, in dem sie die »blauen Augen, die ĂŒber die blassen ZĂŒge den Ausdruck von Geistestiefe und GĂŒte verbreiteten«, besonders hervorhebt. Die »Einfachheit und Herzlichkeit seines Benehmens«, sagt sie, hĂ€tte ihm in ihrem Hause, das damals maĂgebend war, »unser aller Achtung und Zuneigung gewonnen«. Ăbrigens konnte er, davon abgesehen, in Gesellschaft auch ausgesprochen amĂŒsant sein, wenn er es nicht vorzog, unausstehlich zu sein.
So geht er, ein Hagestolz auf Abwegen, durch die Wiener Gesellschaft seiner Tage und von der einen zur anderen. DaĂ er bei keiner glĂŒcklich wurde, ist seine einzige Entschuldigung; daĂ er, ein unheilbarer Schönheitsnarr, sich so leicht an gesteigerte weibliche Reize verlor und doch nie verlor, hat etwas Versöhnliches; daĂ ihn ein SchuldgefĂŒhl quĂ€lte, wann immer er vor seinen Gewissensspiegel trat, spricht fĂŒr seine sittliche IntegritĂ€t. Eine Art ErbsĂŒnde waltet durch seine Schriften und lĂ€Ăt sich aus der Aufeinanderfolge seiner Dramen deutlich herauslesen. Don Fedrigo in »Blanka von Kastilien« liebt die Frau seines Bruders; der RĂ€uber Jaromir rettet sich aus seinen Schandtaten in die Liebe zu einem MĂ€dchen, von dem sich spĂ€ter herausstellt, daĂ es seine leibliche Schwester ist; der von Sappho erwĂ€hlte Liebesgenosse verlĂ€Ăt seine Inselkönigin um einer schönen Sklavin willen, und Jason, in »Medea«, verfĂŒhrt ein dunkelhaariges BarbarenmĂ€dchen, um sich zehn Jahre spĂ€ter mit einer blonden Griechin zu trösten. Die Reihe und der Schuldnachweis lassen sich fortsetzen bis zu seinem wahrscheinlich letzten StĂŒck, der »JĂŒdin von Toledo«, wo wir in dem vom Tod entstellten Bilde Rahels noch einmal die ZĂŒge der spielerischen Marie Daffinger erkennen werden. Immer wieder ist die Frau das verklĂ€rte Opfer in seinen StĂŒcken, die vielfach ja auch Frauennamen schon in ihren Titelaufschriften tragen oder, leicht durchschaubar, verbergen. Diese Voreingenommenheit mag ihn im Leben zu einem so gefĂ€hrlichen Liebhaber gemacht haben, obwohl er nichts weniger als ein Troubadour war. Er selbst, der ein groĂer Menschenkenner war, weil er sich selber kannte, und ein groĂer Charakteristiker, weil ein groĂer Charakter, sagt einmal, höchst aufschluĂreich, daĂ in ihm zwei völlig abgesonderte Wesen lebten: »ein Dichter von der ĂŒbergreifendsten, ja sich ĂŒberstĂŒrzenden Phantasie und ein Verstandesmensch der kĂ€ltesten und zĂ€hesten Art«. Dies zweite Wesen beweist er oft zum Erschrecken. Als ihn die Familie Piquot um eine Grabschrift fĂŒr die arme Marie anging, setzte er ihr nach reiflicher Ăberlegung auf den Stein: »Jung ging sie aus der Welt; zwar ohne GenuĂ, dafĂŒr aber auch ohne Reue.« Herzlos? Es ist nur ein echt österreichisches Understatement, das die Wahrheit lieber verschluckt als ausschreit. Die Wahrheit war, daĂ der groĂe Trauerspieldichter sich auch den Schmerz nicht nahekommen lieĂ, weil er nur allzu gut wuĂte, wie leicht er ihm erlag. Er selbst nannte es entschuldigend seine »Schamhaftigkeit der Empfindung«. Man könnte es auch Einfachheit nennen, der alles Schwelgerische, auch das in GefĂŒhlen Schwelgende, innerlich widerstrebt. Eine sehr österreichische Eigenschaft, die ihn einem brĂŒllenden Deutschtum entfremdete, aber dem zurĂŒckhaltend sich selbst beherrschenden Angelsachsen, nach den gemachten Erfahrungen, nur um so nĂ€her verbinden mĂŒĂte.
Franz Grillparzer
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