Tumgik
pfilme · 9 months
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In der simplen Prämisse von "Leave the World Behind" steckt durchaus das Potenzial für ein suspenselastiges Kammerspiel um isolierte Fremde oder einen überhöhten Weltuntergangs-Thriller. Stattdessen wandelt der Film bei seinem Versuch, beides zu sein, bloß lustlos auf ausgetretenen Pfaden und kann auch von einer heiligen Trias aus Ali, Hawke und Roberts nicht gerettet werden. Formal fallen Regisseur Esmail zwar gelegentlich einige aufmerksamkeitsheischende Kamerafahrten und Kompositionen ein, allerdings stehen diese eher neben dem Material, als es zu unterstützen. So wird anfangs etwa effektiv eine Bedrohung im Ferienhaus selbst suggeriert, die inhaltlich jedoch nie zur Entfaltung kommt. Jedes Mysterium mündet in erstaunlich geradlinigen zweieinhalb Stunden in seine naheliegendste Auflösung und muss ständig wiederholt werden. Da helfen leider auch zahlreiche Parallelmontagen nur wenig, zumal, wenn fast immer mindestens eine der ineinander geschnittenen Szenen entweder langweilt oder bis ins Komische verzerrt wird, während der Soundtrack generisch-unheilvoll dröhnt.
Wenn er nicht gerade mit dem mühsamen Aufbau uneingelöster Spannung beschäftigt ist, unterstreicht der Film trotz interessanter Ansätze - etwa des wiederholten Motivs überforderter Erwachsener, die bei der Sorge um ihre Kinder versagen - verlässlich seine abgedroschensten Aspekte. So werden etwa Plattitüden über unsere Abhängigkeit von moderner Technik formuliert, die so auch aus einem Richard David Precht-Interview stammen könnten. Lediglich in einer Szene mit zu Geschützen mutierten, ferngesteuerten Teslas gelingt hierzu ein originelles Bild, das allerdings eher wegen seiner absurden Komik besticht, derer sich Esmail wenig bewusst zu sein scheint. Nie entfaltet der Film die nervenzerfetzende Wirkung seiner zahlreichen Vorgänger und versucht seinen Zuschauer*innen zudem abermals zu zeigen, dass die Menschen in Krisensituationen misstrauisch und gespalten sind (Rassismus! Paranoia! Individualismus!), sich aber manchmal auch zusammenraufen können. Anthropologie aus der misanthropischen Mottenkiste - "Aha!", schreien jene, die es ja schon immer gewusst haben. Dann doch lieber nochmal "Night of the Living Dead", der viele Jahre zuvor politisch schon so viel bissiger war. Erst mit dem allerletzten Bild weist "Leave the World Behind" in Richtung einer thematischen Resonanz, die ein anderer, wesentlich kompakterer Film hätte ausloten können. Selbst ein Seitenhieb auf Netflix darf nicht fehlen, der jedoch nicht verschleiern kann, dass der Film selbst in der Streaming-Suppe verkocht.
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pfilme · 2 years
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EO (2022)
Ganz ohne Anthropomorphismen geht's nicht. Fremdverstehen als Horizontverschmelzung hat ihre Grenze an unserer Imagination, Einfühlung bleibt gekettet an die Einfühlenden als Ausgangspunkt. Wenn ein Film uns also tierische Erfahrungswelten vermitteln will, wird er uns entgegenkommen müssen, und wo er das nicht tut, leistet das Publikum den Anthropomorphismus durch Projektion eben selbst. Nichtsdestotrotz schießt Skolimowskis EO (der Film) nicht selten übers Ziel hinaus: EO (der Esel) muss weinen, wenn er seiner Besitzerin entrissen wird, er träumt von der Freiheit, die er in galoppierenden Pferden erblickt, und er blökt erbost, wenn er Fische in Aquarien gefangen sieht. Es reicht Skolimowskis tierethischem Plädoyer nicht aus, dass ein leidendes Tier unsere Empathie ohnehin stets herausfordert, EO muss zugleich nachvollziehbarer Protagonist seiner eigenen kleinen Passionsgeschichte sein.
Klug ist demgegenüber die Entscheidung, den Film episodisch anzulegen, aber auf den narrativen Kitt zwischen den einzelnen Episoden zu verzichten: Wieder und wieder landen wir mit EO in Situationen, ohne das Wie und Warum zu kennen, und nähern uns so vielleicht tatsächlich der Unverständlichkeit menschlichen Treibens für das Eselchen an - und so auch der Ungerechtigkeit dessen, was ihm widerfährt. Denn von was in diesen Miniaturen ab einem gewissen Punkt mit zunehmender Verlässlichkeit erzählt wird, sind stets menschliches Versagen, Grausamkeiten und Barbarei. Das Zivilisationsbild, das Skolimowski zeichnet, könnte in seinem Pessimismus plumper nicht sein, und dafür ist dann auch jede konstruierte narrative Wendung recht. Hier ebenso wie beim Soundtrack wird auf den rhetorischen Vorschlaghammer gesetzt, wo etwa Bressons Zum Beispiel Balthasar, der für EO offensichtlich Pate stand, durch seine karge Stilisierung umso stärker und erhabener wirkte.
Am meisten überzeugt EO (der Film) folgerichtig dann, wenn weder Menschen zu sehen sind, noch gesprochen wird. Der gelegentlich freischwebenden Kamera, die Terrence Malicks Werkzeugkiste entsprungen sein könnte, ist ein ästhetischer Wert ebenso wenig abzusprechen, wie den in aggressives Rot getauchten, formal noch experimentelleren Sequenzen. Sehenswert ist der Film daher schließlich doch, schon allein für eine dieser Szenen, die gerade nicht die Perspektive des Esels ins Zentrum stellt, sondern eines vierbeinigen Roboters. Die Äquivalenz, die sich hier andeutet, hätte vielleicht zu einem interessanteren Film führen können. Letztlich ist aber auch gegen den einfachen, auch manipulativen, dafür formal innovativen Film, der EO geworden ist, nicht allzu viel einzuwenden. Wer will diesen Eselsaugen schon böse sein.
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pfilme · 2 years
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Election (2005)
Demokratie als Schein und als Mythos, den sich eine Gemeinschaft über sich selbst erzählt, die eigentlich vom Egoismus weniger “großer Männer” gelenkt wird. Hinter verschlossenen Türen regiert bereits die Barbarei, aber wehe dem, der altehrwürdige Traditionen auch öffentlich mit Füßen tritt. Alles Ständische und Stehende verdampft: Wo sich solche Gemeinschaften vielleicht früher mal durch gemeinsame Ziele und Ideale definiert haben mögen, gibt es nun höchstens noch befristete Bündnisse zwecks Profitmaximierung - die ökonomische annektiert schließlich auch die politische Sphäre.
Tos ist nicht der erste Mafiafilm mit der Einsicht, dass es keine Ganovenehre gibt, wie er dies und mehr jedoch herausarbeitet, ohne je den Genrerahmen eines suspensevollen Gangsterthrillers verlassen zu müssen, ist eine Klasse für sich (und gleicht hinsichtlich dieser Kombination aus Satire und formaler Geschliffenheit seinem Breaking News aus dem vorherigen Jahr). Im Grunde ist Election ein Actionfilm, nur, dass die Action hier in eine dynamische Reihe von Transaktionen, Verhandlungen und Erpressungen aufgelöst wird, während die physische Gewalt meist stumpf und nicht gerade cool daherkommt.
Der Blick der Zuschauer*innen ist dabei stets ein Stück distanziert, kaum eine der immerhin zahlreichen Figuren wird zu so etwas wie einem Charakter entfaltet. Stattdessen bleiben sie gänzlich auf ihr Handeln und ihre Funktion in einem verworrenen Machtgeflecht reduziert, perfekte ökonomische Subjekte, angetrieben von einem diffusen Eigeninteresse und sonst wenig. Da kann es schon mal passieren, dass derjenige, den man gerade noch leidenschaftslos verprügelt hat, im nächsten Augenblick zum Verbündeten wird, weil die Obrigkeit neue Allianzen geschmiedet hat. In diesem Umgang mit seinen Figuren und in seiner Erzählweise überhaupt ist der Film letztlich von derselben gnadenlos effizienten Logik angetrieben wie die Welt, von der erzählt, ist wirtschaftliches Modellkino.
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pfilme · 2 years
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Rouge (1987)
Zu Anfang Bilder wie bei Sirk, wie bei Fassbinder, cineastischer Exzess als Form der überhöhten Emotionen von Melodrama: bunte Fenster tauchen die Räume in ihr farbiges Licht, überall Kleider und Tapeten mit intrikaten Mustern, dazwischen schweift die Kamera ruhelos umher oder sucht im Gegenteil streng komponierte Anordnungen, und immer wieder findet sie Spiegel, die diese nochmal verdoppeln. Dann der harte Sprung in die Gegenwart, die Farben entweichen. Das Gesehene entpuppt sich als Erinnerung einer Geisterfrau, die auf der Suche nach ihrem Geliebten ein modernes Pärchen heimsucht. Ihr Zuhörer stellt fest, wie sehr ihre leidenschaftliche Geschichte ihn an kantonesische Filme erinnere: Nostalgie und Kino (und früher die chinesische Oper), verwandt in den Sehnsüchten, um die sie kreisen, Gefühle, die die Zeit überdauern, Verbundenheit bis in den Tod.
Soziologie der Liebe: Leicht enttäuscht stellen die modernen Liebenden fest, dass sie heute nicht mehr füreinander sterben würden. Das Leben ist zu kostbar geworden. In der Vergangenheit zerschellen derweil die Anderen an den gesellschaftlichen Konventionen und sehen nur Suizid als Ausweg. Der Abbau von Hierarchien und Ritualen, er scheint mit verringerter Intensität der Gefühle bezahlt zu werden. Melodrama – ein Genre für andere Zeiten? So einfach macht es sich der Film nicht, er wollte eigentlich gar nicht so dringend sterben (er hatte die Mittel für ein anderes Leben) und sie hat ihm eigentlich gar nicht so sehr vertraut. Und die Gegenwart ist so schrankenlos dann auch wieder nicht - es ist immer noch nicht leicht, eine Frau zu sein. Ohnehin, wie an der Stadt Hong Kong, deren radikaler Wandel hier wie beiläufig nachvollzogen wird, sind auch an der Liebe die Umstände der Zeit letztlich nicht spurlos vorbeigegangen, die Wirklichkeit löst romantische Ideale eben nur selten ein. Ein Wiedersehen gibt es, aber es fällt anders aus als gedacht, und kann auch nur, wo sonst, am Filmset stattfinden.
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pfilme · 2 years
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Nomad (1982)
Mit seinem Interesse an Jugendkultur, einem Klima sexueller Befreiung und der Ablehnung einer einengenden Gesellschaft trägt Nomad, ein früher Vertreter der Hong Kong New Wave, viele der typischen Zeichen filmischer Erneuerungsbewegungen. Die Erzählstruktur des Films selbst ist anfangs nomadisch: ruhelos und diskontinuierlich spielt er sich ab als eine lose Folge urbaner Begegnungen, romantischer Gesten und sommerlicher Eskapaden. Durch den Verzicht auf ein narratives Telos lässt er sich ganz von der unerschöpflichen Lust seiner vier Hauptfiguren leiten, schwankt mit ihnen von einem emotionalen Extrem ins andere, und durch ihre Augen (und Tams Kamera) sieht die Welt für einige Zeit wunderschön aus.
Die Kultur von Hong Kongs Jugend ist, gleich ihrer Träume von der Flucht ins Ausland, dezidiert global; Bowie und Beethoven werden ebenso begierig aufgenommen wie Kabuki und japanische Drogen. So schickt etwa Pong, um ungestört mit seiner Freundin schlafen zu können, Mutter und Schwester für einen englischsprachigen Film ins Kino, den diese nicht mal verstehen können. Die erhoffte Zweisamkeit findet jedoch ihr jähes Ende, als plötzlich sein Großvater mit einem Dutzend Männer die Wohnung betritt, um Mahjong zu spielen. Was sich hier als Komödie abspielt, wiederholt sich in der zweiten Hälfte des Films als Tragödie. Der Versuch, sich einen utopischen Rückzugsort fernab der Zivilisation aufzubauen, erweist sich als Trugschluss; ein Satz wie „Wir sind die Gesellschaft“ ist in einer globalisierten Welt ohne Außen nichts weiter als jugendliche Naivität. Die Mühlen der Geschichte holen jeden ein und zermalmen verlässlich, wer ihnen entgehen will.
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pfilme · 2 years
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Memoria (2021)
Film als lebendiges Bewusstsein, in dem Träume, Natur, Geschichte und Jenseitiges Teil derselben Realität werden. Weerasethakul variiert seinen Cemetery of Splendour, betont aber vielleicht noch stärker als dort die metaphysischen Aspekte seines Kinos, das in seinen langsamen Atemzügen Unaussprechliches erahnen lässt. Über seinen schwülen Naturbildern und zwielichtigen urbanen Schauplätzen scheint stets schon eine Geisterwelt zu schimmern - oder sind es doch nur Radiofrequenzen? Wieder und wieder insistiert er so lange auf seinen ahnungsvollen Einstellungen, bis sie mehr zu zeigen scheinen, als man sieht. Wer sich auf diesen gemächlichen Rhythmus, das beständige Vermischen des Profanen und des Fantastischen einlässt und bereit ist, seiner undurchdringlichen Logik zu folgen, bekommt vielleicht eine Ahnung von den beängstigenden wie anziehenden, allumfassenden Vernetzungen, die Weerasethakul weniger prätentiös behauptet, als dass er sie spürbar macht. In einem Meer aus Eindeutigkeit sind seine Filme befreiend enigmatische Inseln, die Zuschauer*innen aktivieren, ohne sie zu bedrängen.
Das Entscheidende Medium ist dabei, die Prämisse verrät es bereits, der Ton, als bloßes Geräusch ebenso wie als Musik. Unsichtbar, alles überdeckend einerseits, als Echo noch über Jahre vernehmbares, alles verbindendes Element andererseits. Aber eben auch ganz praktisch betrachtet: Wie er im Tonstudio entsteht, als Musik zum Ausdruck wird, uns verknüpft und berührt - oder uns anruft. Daher ist Memoria auch nicht einfach "nur" ein Film über das Schürfen nach tieferen Schichten der Erde, sondern auch über das Greifen nach dem nächsten Menschen, die Suche nach einer Berührung, in der wir beginnen, den Anderen zu verstehen. Und darüber, dass in dieser Berührung vielleicht der Schmerz der Geschichte, wie er sich in alles einschreibt, begriffen und geteilt werden kann.
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pfilme · 3 years
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The French Dispatch (2021)
Unter den heute erfolgreichen Regisseur*innen dürfte Wes Anderson wohl derjenige sein, der am ehesten anhand seiner formalästhetischen Konstanten wiedererkannt wird. Wer dafür seine Filme guckt (und das wäre nicht der schlechteste Grund), wird von “The French Dispatch” abermals nicht enttäuscht werden: Der Film strotz erneut vor zentralperspektivischen, symmetrischen Kompositionen, zweidimensionalen Kamerafahrten und sorgsam arrangierten Details. Umso überraschender, dass Anderson über weite Strecken auf Farbe verzichtet, zählen doch seine monochromen Pastellbilder zu ebendieser Liste an Wiedererkennungsmerkmalen. Man wittert plumpe Nostalgie, gerade in einem Film, der sich eines so leicht romantisierten Sixties-Frankreichs als Schauplatz bedient. Interessant wird diese formale Entscheidung jedoch gerade dadurch, dass sie gebrochen wird: An entscheidenden Punkten ergießt sich plötzlich doch Farbe über das Bild und ist ebenso schnell wieder verschwunden. Es handelt sich um Bilder von Malerei, von Musik, von Poesie und schließlich um einen ganzen Cartoon. Gegenüber der Historizität des Stoffes, die neben der Schwarz-Weiß-Ästhetik dadurch verstärkt wird, dass wir hier Reportagen aus einem Magazin sehen, das schon gar nicht mehr existiert, betont “The French Dispatch” so die Zeitlosigkeit von Kunst, Genuss und Kreativität. Und das ist doch nun mal echte Romantisierung.
Ins Schwanken gerät der Film immer dann, wenn er darauf stößt, dass das Frankreich der Sechziger Jahre nicht nur eine Fundgrube für minutiös durchgetaktete Kurzgeschichten und aufwändige Sets ist, sondern auch eine politische Wirklichkeit hatte. Andersons visueller Stil, der alles der präzisen Bewegung und Komposition unterordnet, um die Welt in ein pastellfarbenes Puppenhaus umzuformen, ist entgegen seiner Kritiker*innen der Ernsthaftigkeit per se nicht unfähig - seine häufigen abrupten Ausbrüche an Sentimentalität zeugen auch hier wieder von einem Interesse an seinen Figuren, das über deren Reduktion auf eine Ansammlung von charmanten Spleens weit hinausschießt, allein für diese Momente wäre der Film schon sehenswert. Gesellschaftliche Zustände wiederum verkommen dabei zum bloßen Hintergrundrauschen von Figurendrama und pittoresker Ästhetik - da wird dann Polizeigewalt schon mal ohne weiter nachzufragen zur überzeichneten Pointe aufgeblasen. Insbesondere die 68er Studierendenrevolten fallen dieser Vereinnahmung zum Opfer. Wo etwa noch Godards “Die Chinesin” dem studentischen Tatendrang zwar mit einigem Sarkasmus und Bedauern, aber letztlich doch auf Augenhöhe begegnete, tauchen politische Forderungen bei Anderson gar nicht erst auf - es kann sich für ihn scheinbar nur um das Werk triebgesteuerter Kinder und ungeformter Poeten handeln. Jugendlicher Idealismus ja, aber nur noch als Vibe, bei dem es um nichts geht. Dass Anderson sich gerade für diese Charaktere sogar einmal dazu hinreißen lässt, zur destabilisierten Handkamera zu greifen, ist dann auch nicht als plötzlicher Einbruch der außerfilmischen Realität in die luftleere Anderson-Welt zu deuten, sondern als Zugeständnis wenigstens an die junge Liebe.
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pfilme · 3 years
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Titane (2021)
Während “Raw” zwar durchaus transgressive Bilder und ein provokatives Thema beinhaltete, im Kern jedoch von einer grundsoliden Metapher zusammengehalten wurde, genehmigt sich Ducournaus “Titane” mehr Ambivalenzen und Überdeterminierungen, lässt sich schwieriger festlegen - und türmt zugleich bereits in der ersten halben Stunde mehr Perversion und Gewalt aufeinander, als es ihr Vorgänger über die ganze Laufzeit schaffte. Dabei scheint sie ihre heftigen Genreeffekte irgendwo an der Schnittstelle zwischen New French Extremity und David Cronenberg nie allzu ernst zu nehmen, sodass ihr ein schwieriger Spagat zwischen viszeralem Ekel und schwarzem Humor gelingt. Vor allem anderen ist “Titane” daher ein Film fürs Kino, fürs gemeinschaftliche Zusammenzucken und kathartische Auflachen.
Trotz dieser durchgängig verspielten Haltung gibt es da einen Umbruch im Erzählrhythmus des Films, der sich in ein durchaus sensibles, von Vincent Lindons verletzlich-neurotischer Schauspielleistung getragenes (Wahl-)Familiendrama verwandelt, welches in seinen Wendungen und psychologischen Tiefenflügen mindestens so normüberschreitend ist wie die blutigere erste Hälfte. Die Beziehung, die hier zwischen den Hauptfiguren entwickelt wird, schillert zwischen verschiedenen Arten der Liebe, väterlicher, romantischer und sexueller. In vergleichbarer Weise bedient “Titane” dabei den zentralen Topos jedes guten Body Horrors, wenn er die vermeintlich stabilen Grenzen des Körperlichen auflöst und den Körper so in seiner identitätsbildenden Funktion attackiert. Das gilt einerseits ganz unmittelbar angesichts der Häufigkeit des Eindringens von Objekten, die eher nicht zum Penetrieren verwendet werden sollten, in Öffnungen, die eher nicht penetriert werden sollten. Es gilt aber insbesondere für Alexia, die Unterscheidungen zwischen Männlichem und Weiblichem ebenso zunehmend unterläuft wie zwischen Mensch und Maschine, Organischem und Anorganischem. “Titane” steuert dabei auf ein eigenwillig zärtliches Gleichgewicht zu, das möglicherweise hinter solchen binären Zuschreibungen liegt und in dem es bedingungslose Akzeptanz gibt. Und das kann nur ein gleichermaßen ekliger und komischer, wie poetischer Prozess sein.
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pfilme · 3 years
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Speed Racer (2008)
Gerne würde man über ein großes Werk wie “Speed Racer“ schreiben, es sei seiner Zeit voraus gewesen, aber dazu müsste man unterschlagen, wie unverbraucht und befremdlich es noch immer wirkt, wie es sich vielleicht noch mehr als zur Zeit seines Erscheinens den Blockbuster- und eigentlich sämtlichen Sehgewohnheiten widersetzt. Während die überwältigende Mehrheit der Filme bis heute versucht, ihre Herkunft aus dem Computer zu verschleiern, stellt “Speed Racer“ sie ostentativ aus und wird so zum Experimentierfeld der Möglichkeiten digitalen Filmemachens. Fauvistisch, wie hier mit leuchtenden Farben gespielt wird, unübersehbar der Verzicht auf “Realismus“ als obersten Maßstab visueller Effekte. Die Oberflächen der Objekte in “Speed Racer“ sind konsequent glänzend und glatt, ohne deshalb steril zu wirken oder an Taktilität einzubüßen, gerade weil sie eine einheitliche Welt bilden, die womöglich einem lebendigen Cartoon so nahe kommt wie es nur geht. Auch nutzen die Wachowskis die digitale Technik, um mit ihrer Kamera unmögliche Sprünge und Fahrten zu vollführen, verschiedene Aufnahmen übereinanderzuschichten und ineinander übergehen zu lassen. So erproben sie eine Filmsprache, die nicht mehr den physischen Begrenzungen des Apparats unterworfen sein will und erreichen, durchaus in expressionistischer Tradition, eine vollkommene ästhetische Überformung der filmischen Welt. Gerade bei der Montage, womöglich derjenige Aspekt von Film, der am ehesten den Namen seiner “Grammatik“ verdient, wird dies offensichtlich: Wann immer es geht, werden Schnitte versteckt, nicht um raumzeitliche Einheit zu suggerieren, sondern um einen stetigen Fluss gerade disparater Zeit- und Handlungsebenen zu erzeugen und mehrere Bilder in derselben Einstellung zu kombinieren. Das bleibt keine Spielerei, sondern erzeugt einen dynamisierten filmischen Raum mit einem eigenen narrativen Sog – das erste Rennen ist neben einer Einführung in den Stil des Films auch ein elegantes Meisterstück klassischer, emotional involvierender Exposition.
Diese formale Innovationskraft steht zunächst im Dienst eines ziemlich einfachen Plots, was “Speed Racer“ von jenen, die ihn zum Kultfilm stilisieren wollen, den Ruf krasser Bilder mit einer schwachen Story eingebracht hat. Und in der Tat sind weder Schauspiel noch Drehbuch hier sonderlich subtil, was wiederum der Orientierung am Animevorbild geschuldet sein mag. Das war der zeitgenössischen Kritik, größtenteils Unwillens, an einen Film Gedanken zu verschwenden, der primär an Kinder vermarktet wurde, genug, ihn (bestenfalls) mit Begriffen wie “bonbonbuntes Pop-Spektakel“ abzufertigen. Die Tatsache, dass der Film keine Scham hat, sein Melodrama mit ebenso breitem Pinsel zu malen wie seine Bilder, und dass er die überhöhten Emotionen und einfachen Psychologien von Figuren mit Namen wie Speed, Mom und Pops Racer ernst nimmt, statt sie ironisch-distanziert auszustellen, was wohl Grund genug, ihn selbst nicht mehr ernst zu nehmen.
Wer derart allergisch auf emotionale Aufrichtigkeit reagiert, verstellt sich allerdings nicht nur den Blick auf die innovative visuelle Erzählkunst von “Speed Racer“, sondern auch auf einen zutiefst metacinematischen Text. In den Händen der Wachowskis wandelt sich die seichte antikapitalistische Mär von der liebevollen Arbeiterfamilie, die sich gegen ein korruptes, den Sport nicht ehrendes System durchsetzt, zum Manifest der Möglichkeit von Kunst innerhalb eines kunstfeindlich-kommerzialisierten Systems. Die Absichtserklärung der Schwestern, mit “Speed Racer“ ähnlich die etablierte Filmgrammatik durchkreuzen zu wollen wie einst der Kubismus in der Malerei, mag man anmaßend finden, aber sie trifft doch den Kern der Sache. Nicht umsonst ist im Grunde das erste, was wir zu sehen bekommen, ein von Speed gebasteltes Daumenkino, das sich zu einer Renn-Fantasie im kindlichen Zeichentrickstil auswächst, und das letzte Rennen beinhaltet eine Anspielung auf die Vorzeit des Kinos in Form der fotographischen Studien Eadweard Muybridges. Solche Referenzen verorten “Speed Racer“ einerseits in einer Tradition filmtechnischer Innovationen und positionieren ihn unbescheiden als den nächsten vergleichbaren Sprung. Andererseits setzt der Film so früh das Erträumen neuer Bilderwelten mit dem Geschwindigkeitsrausch des Autorennens in eins, sodass Speeds unbeirrbarer Glaube an die Würde des Rennsports mindestens ebenso sehr ein Bekenntnis zur Kunst wider die zynische Industrie ist.
Damit ist es ein leichtes, sich ebenfalls in bequemem Zynismus zu wiegen und die Wachowskis als naiv abzustrafen, würde nicht “Speed Racer“ letztlich zugleich den Beleg dazu liefern, dass es doch immer wieder zu Wundern kommt, bei denen absurde Budgets nicht in die Reproduktion von Altbekanntem gesteckt, sondern zum Aufstoßen genuin neuer filmischer Möglichkeiten verwendet werden – eine Woche vor diesem Film startete übrigens “Iron Man“ in den Kinos. Insbesondere das letzte Rennen weist die Wachowskis als große Utopistinnen aus: Sie steigern ihre Mittel bis hin zu Abstraktion, einem Rausch von Farben mit dem Ziel der ekstatischen Selbstüberschreitung des Protagonisten ebenso wie des Publikums. So wie Speed hier durch bloße Geschwindigkeit die filmische Realität selbst um sich herum biegt, glauben die Wachowskis an die Veränderung der Wirklichkeit qua ästhetischer Revolution. Mit einem Wort, “Speed Racer“ ist letztlich ein Plädoyer und eine Versicherung für – so viel Pathos muss sein – den Glauben ans Kino.
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pfilme · 3 years
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Black Widow (2021)
Man mag sich fragen, wieso ein Film im Jahr 2021 einen abgehalfterten Sowjet-Propaganda-Superhelden, der sich Karl Marx auf die Finger tätowiert hat, als Witzfigur braucht, während auf der anderen Seite des großen Teichs Captain America mit neuem Anstrich immer noch als Symbol von allem, was recht ist, gelten darf. Oder sich wundern, mit welcher Selbstverständlichkeit hier die USA als freiheitlicher Sehnsuchtsort die Figurenpsychologie prägt, weil es dort Baseball, Familie und “American Pie” gibt (den Song, nicht den Pie), wie hier also in einem schließlich von europäischen Standorten dominierten Film amerikanische kulturelle Hegemonie zelebriert wird. The End of History, etcetera, etcetera. Aber dazu müsste man dem Film mehr Kohärenz und Interesse an diesen ollen Kalter-Kriegs-Kamellen unterstellen, als er selbst beansprucht. Vordergründig geht es ihm natürlich eher um die Formulierung ein paar seicht-feministischer Thesen: dass Frauen jetzt endlich dieselben langweiligen Rollen ausfüllen (und dieselben langweiligen Filme drehen) dürfen wie ihre männlichen Kollegen, und dass, immerhin, Mädchenhandel schlecht ist und der freie Wille nicht gebrochen werden darf von den bösen Russen. Girl Power, etcetera, etcetera.
Dementsprechend wird auch der male gaze wenigstens oberflächlich gemieden: Black Widows Outfits sind gemütlicher, ihre Kampfanzüge funktionaler als sie es vor über zehn Jahren gewesen sein mögen, nie taxiert Cate Shortlands Kamera lüstern ihren latexüberzogenen Körper - womit freilich zugleich auch das letzte bisschen Sex aus dem notorisch lustbefreiten Marvel-Universum ausgetrieben wäre. Nichtsdestotrotz ist es angemessen, diese Bemühungen positiv hervorzuheben bei einem Film, bei dem ästhetisch sonst so wenig zu holen ist: farblich regiert das altbekannte öde Marvel-Grau, das höchstens mal von ein paar pflichtbewusst-sowjetischen Rottönen durchbrochen wird; keine Actionszene, die umhin käme, trotz der beachtlichen Mittel Disneys jede einzelne Bewegung durch Schnitte zu fragmentieren; selbst die visuellen Effekte sehen zum Teil erschreckend billig aus - fast, als wäre dieser Film eher fürs Streaming produziert worden. All das wäre vielleicht noch zu verschmerzen, wenn die schleppenden Dialoge dazwischen mit ihren abgewetzt-gefühlsheuchlerischen Konflikten weniger stümperhaft wären. Dass thematisch und erzählerisch vom Disney-Konzern keine Durchbrüche zu erwarten sind, versteht sich mittlerweile wohl von selbst. Dass die erfolgreichsten Filme der Welt aber auch handwerklich nur mit einem “Passt schon” durchgewunken zu werden scheinen, weil die Zuschauer für Marvel-Film Nr. 24 ebenso garantiert sind wie für die nächste Folge “Loki”, ist dann doch nichts weniger als eine künstlerische Bankrotterklärung.
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pfilme · 3 years
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Manhunter (1986)
Vor “Das Schweigen der Lämmer” war “Manhunter”, eine scheinbare Blaupause nicht nur für viele Hannibal Lecter- und andere Serienkiller-Filme der nachfolgenden Jahrzehnte, sondern mit seiner akribischen Aufbereitung polizeilicher Ermittlungsarbeit und ihrer Technologien sicherlich auch für die Flut an Krimi-Nachmittagsfernsehen à la “CSI”, die nicht zuletzt auch Hauptdarsteller William Petersen verschlucken sollte. Dabei ist Michael Mann diesen Nachfolgern freilich ästhetisch schon durch seine Kameraarbeit überlegen. Wurde dieser Formwillen seinerzeit noch mit dem ausgetretenen Argument des “style over substance” abgetan, offenbart solche Kritik heute eine Unterschätzung sowohl des Stils als auch der Substanz. Manns Perspektiven, Kompositionen und unnatürliche, intensive Farbgebung sind nicht bloß selbstzweckhafte Ornamente, sondern in ihren besten Momenten als Entäußerungen der beschädigten Innerlichkeit seiner Figuren zu verstehen. In durchaus expressionistischer Tradition ist die ganze Welt des Films überformt von der getriebenen, neuralgischen Subjektivität des Ermittlers Will Graham - die Montage des finalen Shootouts treibt dies mit Jump Cuts und wechselnder Bildrate auf die Spitze. Darin ist der Film Grahams eigener empathischer Methode angemessen, die ihm um den Preis der psychischen Angleichung Einfühlung in die von ihm gesuchten Killer ermöglicht.
In der Darstellung dieser notwendigen Verwandtschaft der Psychopathen mit dem Ermittler, der sie verstehen will, nimmt “Manhunter” auch das zentrale Motiv der späteren “Hannibal”-Serie (und unzähliger ähnlicher Filme) vorweg. Gerade in den wenigen Szenen mit Lecter selbst hebt Mann dieses symmetrische Verhältnis von Jäger und Gejagtem hervor. Dementsprechend bringt er auch einige Sympathie für seinen Killer, Francis Dolarhyde, auf, ohne diesen je durch überdeutliche Psychologisierung seines Schreckens zu berauben oder seine Taten zu relativieren. Zugleich wendet das Identifikationspotenzial mit Dolarhyde den Film ins Selbstreflexive, denn seine Lust am Morden beruht wesentlich auf einer Logik des Sehens und Gesehen-Werdens. Diese erstreckt sich schließlich auch darauf, ebenso obsessiv Aufnahmen seiner Opfer und Taten anzusehen wie Graham bei seinen Ermittlungen - oder wir als Zuschauende. Einzig das blinde letzte Opfer Dolarhydes scheint von dieser gewaltvollen Ordnung der Skopophilie ausgenommen.
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pfilme · 4 years
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Glück aus dem Blickwinkel des Mannes (1965)
Agnès Vardas “Le Bonheur”, in Deutschland unter dem treffenden, wenn auch arg eindeutigen Titel “Glück aus dem Blickwinkel des Mannes” veröffentlicht, ist in der Tat die ungebrochene Darstellung einer (heterosexuellen) männlichen Glücksfantasie, die nicht durch Konsequenzen oder Konflikte belastet wird. Die überbordend-farbenfrohe Schönheit der Bilder und die extreme Unterwürfigkeit aller Frauenfiguren um den Protagonisten herum entlarven ganz ohne kommentierende Außenperspektive die Falschheit dieses Traums eines Mannes, der genug Liebe für Frau und Liebhaberin zu haben meint und glaubt, nur weil er sich damit glücklich fühle, müssten es alle um ihn herum auch. Das Glück aus dem Blickwinkel des Mannes, zeigt uns Varda, ist nicht jenes aus den Kalendersprüchen, das größer wird, wenn man es teilt, sondern eine gänzlich solipsistische Angelegenheit. Liebe bedeutet für ihn nicht mehr die Begegnung mit dem Anderen, sondern nur die Selbstbestätigung, wie romantisch, potent, aufgeschlossen und fürsorglich er doch ist. Der schockierende Suizid der betrogenen Ehefrau im Zentrum des Films, für ihn die ersehnte Gelegenheit, auch seine zweite Liebe gänzlich auszukosten, lässt uns keine Zweifel am Egoismus und den für die Frauen fatalen Folgen des Glücks der Männer.
Agnès Vardas “Le Bonheur”, in Deutschland unter dem allzu tendenziösen Titel “Glück aus dem Blickwinkel des Mannes” veröffentlicht, ist die distanzlose Darstellung einer Glücksutopie abseits herkömmlicher Moralvorstellungen. In paradiesisch schönen Bildern, die an impressionistische Malerei gemahnen, und durchaus dem Geist der Sechziger Jahre folgend, erzählt Varda von einer Welt, in der man in der Tat genug Liebe für zwei haben kann und es keine Scham gibt, solchen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Der tragische Unfall im Zentrum des Films und der Ersatz der Frau durch die Liebhaberin bestätigen nur, dass diese Gefühle in der Tat authentisch waren und dass die Liebe des Mannes für beide Frauen gleichwertig ist. Ergänzt wird diese Vision des erfüllten Lebens durch ein harmonisches Familien-Ideal mit Kindererziehung in freier Natur, Familienfesten und gesichertem Lebensunterhalt. Allen vorschnellen Einwänden, feministischen wie konservativen gleichermaßen, hält Varda provokant die schlichte Tatsache des Glücks ihrer Figuren entgegen, dem nicht einmal der Tod etwas anhaben kann.
Agnès Vardas “Le Bonheur” ist eine beißende, hintersinnige Kritik an kleinbürgerlichen Glücksvorstellungen. Die überbordend-farbenfrohe Schönheit der Bilder entlarvt ganz ohne kommentierende Außenperspektive die Borniertheit einer Klasse, die fröhlich ihre blühenden Gärten pflegt, während sich knapp hinter dem Gartenzaun schon riesenhafte Betonklötze auftürmen. Der vermeintliche Ausbruch in die Polyamorie hat als Fluchtpunkt nur den Austausch der Gattin durch die Liebhaberin, um diese zur perfekten Doppelgängerin ihrer Vorgängerin zu machen und ebenfalls dem spießigen Familien-Idyll mit absurd gehorsamen Kinderchen, Dorffesten und Picknicken im Grünen einzuverleiben. In der bürgerlichen Glücksutopie sind die Frauen austauschbar, solange sie alles mit einem reizenden Lächeln quittieren, und ihre Wahl beschränkt sich auf die patriarchalen Rollen von Ehefrau und Mätresse. Die Ideologie ist dabei so totalitär geworden, dass sie nicht einmal mehr selbst an ihrem Glück zweifeln. Durch den Mangel an reflexiver Distanz spiegelt der Film diese hermetische Struktur. Damit setzt er sich dem Vorwurf aus, selbst ein Stück Ideologie zu sein, stellt aber zugleich dieses kitschige Abziehbild von Glück als jene Diktatur der Heiterkeit dar, die es ist. Nur in Form von Werbe- und Filmeinschüben deutet er gelegentlich die kulturelle Verfertigung dieses Glücksbildes an, während der Tod der Frau seine inhärente Grausamkeit ausstellt. Es ist eines für Menschen, die vor lauter Glück vom Denken nichts mehr wissen wollen.
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pfilme · 4 years
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I’m Thinking of Ending Things (2020)
Wenn es auch eine klassische Twist-Auflösung gibt, die das Geschehene irgendwie fein-säuberlich einzuordnen erlaubt, so wäre es doch vorschnell und bequem, den Film mit seinen zahllosen raumzeitlichen, identitären und diegetischen Sprüngen darauf zu reduzieren und ihn so gerade seiner in alle Richtungen sprießenden Fülle und seiner Flüchtigkeit zu berauben. Dafür insistiert Kaufman dann auch zu wenig auf dieser Auflösung, die sich für die nicht durch die Buchvorlage Eingeweihten nicht erschließen muss, wenngleich sich dadurch ein nettes, tragisches Psychogramm ergeben würde.
Auch thematisch ist “I’m Thinking of Ending Things” kaum festzunageln. Ein weiteres Kaufman’sches Drama über Vergänglichkeit, gescheiterte Beziehungen, verunmöglichte Kommunikation und das bittere Scheitern am Ausbruch aus der Einsamkeit? Filmisches Experimentieren mit dem Auseinanderfallen von Raum, Zeit und Identitäten? Oder doch nur eine schwarze Komödie über eine Beziehung, die eigentlich schon hätte vorbei sein sollen, und das Grauen, beim Besuch der Kindheitsorte des Freundes dessen ganzes widerliches Leben vor sich ausgebreitet zu sehen? Psychologischer Horror und abstrakte Meditation zugleich über den verzweifelten Versuch, Ordnung ins Chaos zu bringen (auch und gerade für die Zuschauenden), ein Selbst zu verorten zwischen unendlichen Einflüssen, überhaupt ein Selbst zu sein, wenn die Grenze zum Anderen durchlässig wird.
Jedenfalls ein Film voller Echos, Spiegelungen, Gleichzeitigkeiten und Zitate. Es geht also vielleicht auch um Unoriginalität und Kopie, um die Unmöglichkeit, als Künstler wie als Person nicht beeinflusst zu sein. Insofern auch ein Film über künstlerische Egos (ebenfalls kein neues Terrain für Kaufman) und die Angst vor der Mittelmäßigkeit. Der Prolog will uns weismachen, dass vielleicht nur die eigenen Gedanken authentisch sind. Aber wenn "I’m Thinking of Ending Things” eine Art Bewusstseinsstrom ist, dann gibt es eigentlich nichts Schlimmeres, als mit solch unruhigen, faserigen Gedanken allein zu sein.
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pfilme · 4 years
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Blackhat (2015)
Wer Michael Manns Flop mit Häme überziehen will, hat es nicht gerade schwer: Erzählerisch stolpert der Film von einem Klischee ins Nächste, die holzschnittartige Charakterisierung der Figuren und entsprechendes Schauspiel lassen statt auf Mann’sche Eleganz nur auf mittelmäßige Drehbuchautoren schließen, die auch Spannung nur bedingt aufbauen können, und die Dialoge bestehen weitestgehend aus Nonsens in Nullen und Einsen. Man gewinnt bisweilen den Eindruck, der Cyberthriller sei ein Genre, dessen Ikonographie sich trotz seiner vermeintlichen Aktualität in den 90er- und frühen 2000er-Jahren bereits erschöpft habe. Daher könnte “Blackhat” heute leicht an B-Movies aus der Grabbelkiste erinnern, wären da nicht Manns unverkennbar virtuose Kameraführung, sein Gespür für Licht und die eigenwillige Schönheit des digitalen Bildes.
Was Manns Versuch, sein Kino der einsamen Großstadtcowboys ins 21. Jahrhundert zu transportieren, darüber hinaus dennoch sehenswert macht, ist die kontraintuitive Betonung der Materialität seines virtuellen Thrillers. Zurecht kann man einwenden, dass ihm eine adäquate Darstellung der eigentlichen Unsichtbarkeit des Wesentlichen, der Daten und der totalen Vernetzung, misslingt, wenn er hierfür nur lange Sequenzen von Lichtchen findet, die auf Mikroebene an Leitungen entlangflirren. Er ist aber ebenso interessiert an Bildschirmen und Codes wie am Einstecken von USB-Sticks, an Speichern, die erstmal entwendet und transportiert werden müssen, und dem Tippen auf Tastaturen. Entsprechend physisch müssen auch die Actionszenen, brutal die Einwirkung von Kugeln auf Körper sein. Die Schüsse donnern immer noch so unverwechselbar raumerfüllend wie in “Heat” und selbst vor Sex wird nicht zurückgeschreckt. Diese Tendenz spitzt sich in der zweiten Hälfte des Films zu, in der sich Hemsworth in die Riege der auf sich gestellten Helden Manns einreiht und seine über den Rest des Films gesichtslosen Gegner mit überlegener Physis und hausgemachten Gadgets überwältigt. Mann kann das Digitale scheinbar nur verkörpert denken. Darin ist sein Actionkino anachronistisch, reibt sich mit seinem körperlosen Gegenstand, bereichert diesen aber ebenso um eine Perspektive, die letztlich auch eine tief romantische ist: Die Wiederentdeckung des Physischen im Film geht mit dem Befreiungsversuch seines Liebespaars einher.
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pfilme · 4 years
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Erbarmungslos (1993)
Wer heute über Eastwoods archetypischen Spätwestern spricht, spricht vermutlich zuerst über Genre-Dekonstruktion. Schließlich arbeitet “Erbarmungslos” sich anhand der Figur eines Groschenroman-Autors nicht gerade subtil an verklärten Vorstellungen des “Wilden Westens” und seiner Protagonisten ab. Damit einhergehend - womit er durchaus über die ihm in diesem Ansatz verwandten Italowestern hinausgeht - bricht er vor allem mit den Männlichkeitsmythen des Genres sowie dessen Verhältnis zur Gewalt. Seine Helden sind alte, schwächelnde Kopfgeldjäger, die ihr Geschäft längst nicht mehr so eiskalt ausüben können, wie man ihnen nachsagt, und die dem Töten, das sie nur noch mit Alkohol bewältigen, nichts Glorreiches mehr abgewinnen können. Und doch produziert ihre Stilisierung zu Legenden Nachahmer, die, unmittelbar mit der Realität der Gewalt konfrontiert, gleichfalls traumatisiert werden und mit etwas Glück noch den Ausstieg schaffen. Wem dieser nicht rechtzeitig gelingt, der partizipiert unaufhaltsam an jener tödlichen Eskalationsspirale der Gewalt, die der Film nachzeichnet. 
Innerhalb eines solchen desillusionierten Weltbildes sind denn auch eindeutige Gut/Böse-Unterscheidungen, wie sie den klassischen Western noch auszeichnen mochten, nicht länger haltbar und werden aufgelöst ins trübe Grau moralischer Ambivalenzen. Indem “Erbarmungslos” sie zugleich in ihrem politischen Gehalt begreift, ist er jedoch auch ein Film über das Erstarken des staatlichen Gewaltmonopols im kolonialisierten Amerika. Unverkennbar ist dabei Eastwoods republikanische Skepsis gegenüber Gene Hackmans Sheriff, der Waffen verbietet und dabei selbst als ehemaliger Revolverheld mit eiserner Hand Ordnung durchsetzt; nicht zuletzt verknüpft der Film in ihm auch Gesetz und Rassismus. Nie jedoch kippt diese Skepsis in die Zelebrierung des Individuums, das, zur Gerechtigkeit durch den Colt gedrängt, tut, was es tun muss. Wenn sich am Ende noch ein letztes Mal das durch den einsamen Wolf ausgeführte, brutale Gesetz des Wilden Westens gegen die legalisierte Gewalt durchsetzt, während hinter dem erbarmungslosen Rächer deutlich die amerikanische Flagge im Regen wedelt, scheint der Film die vermeintlichen Kontrahenten bis zur Identität aneinanderzurücken: der Staat als institutionelle Verlängerung gewalttätiger Willkür, aber auch der wütend mordende Revolverheld, der gleich einer archaischen Urgewalt über die Ungerechten hereinbricht, als Prototyp amerikanischen Selbstverständnisses.
Dementsprechend ambivalent bleibt daher auch das Verhältnis zum amerikanischen Mythos des Westerns. Bis in die Bilder hinein reicht diese Zweispältigkeit, in denen von Dunkelheit dominierte Aufnahmen immer wieder auch durchbrochen werden von der erhabenen Weite amerikanischer Landschaften. Eastwoods Cowboys, was immer auch die Figuren seiner Filmographie mit meint, sind Auslaufmodelle, auf die er nicht verklärend, letztlich aber auch nicht gänzlich frei von Wehmut blickt. Sie alle kommen nicht los von der Gewalt, sehnen sich aber eigentlich nach Ruhestand und Eigenheim. Zumindest einem von ihnen wird dies gelingen, umrahmt von einem zum Sterben schönen Sonnenuntergang in einem Epilog, der bei aller Dekonstruktion dann doch keine Fragen mehr offen lässt.
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pfilme · 4 years
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Über die Unendlichkeit (2019)
Ein Kellner verliert sich in Gedanken beim Wein Einschenken und besudelt den ganzen Tisch. Ein Paar lässt Fotos von ihrem Baby machen. Ein irritierter Mann findet seine Verabredung in einem Lokal nicht. Erneut reiht Roy Andersson farblose Alltagsszenen als Plansequenzen aneinander, die in ihrer Kombination aus minimaler Bewegung, statischer Kamera und penibler Komposition an tableaux vivants gemahnen. Damit sorgt er nicht nur für die eigenwillige Komik seiner Filme, sondern doppelt eine Welt, in der alles einer strengen Ordnung zu folgen hat. Immer wieder hören die Menschen hier plötzlich auf, zu funktionieren und fallen für einen kurzen Moment aus dieser Ordnung heraus - sei es, weil sie eine existenzielle Panikattacke im Bus haben, weil sie glauben, von ihrer Frau betrogen worden zu sein und darauf nur mit Gewalt zu reagieren wissen, oder weil sie sich spontan zu einer öffentlichen Tanzeinlage hinreißen lassen. Es regt sich noch etwas in diesen zu wortkargen Wachsfiguren erstarrten Gestalten, das sich gegen die Rigidität ihrer Umgebung sträubt, in der schon die kleinste unkontrollierte Geste transgressiv ist.
Trotz der Zeitlosigkeit von Anderssons Universum handelt es sich hierbei unverkennbar um moderne Menschen. Der Tod Gottes ist für sie Normalzustand geworden und jemand, der hier plötzlich davon zu reden beginnt, wie wunderbar doch alles sei, erntet nur noch Irritation und Ignoranz. Das einfachste wie treffendste Bild für diesen Typus findet der Film wohl in seiner Schlussszene: Ein Mann, dessen Auto irgendwo im Nirgendwo stehengeblieben ist und der nicht mehr weiterkommt - äußerste Banalität und überschwänglicher Symbolismus zugleich. Gerade, dass “Über die Unendlichkeit” dazu anregt, über diese Menschen zu schmunzeln, macht vielleicht seine humanistische Qualität aus.  
Denn Anderssons Blick auf seine albernen Menschlein ist weder herablassend noch indifferent. Zwischen die Alltagsminiaturen mischen sich immer wieder Szenen von Tod und Krieg, die von Grausamkeiten erzählen, welche sich nicht mehr durch schwarzen Humor verarbeiten lassen. Gerade das unkommentierte Nebeneinander von kleinsten und größten Katastrophen lässt einen kritischen Impetus erkennen, in befremdenden Bildern gegen menschliche Entfremdung anzukämpfen, und in der makellos-kalten Fassade die Wurzel des Leidens auszumachen. “Über die Unendlichkeit” blickt auf die Welt wie das ikonische Liebespaar, das über ein zerstörtes Köln fliegt: mit stiller Traurigkeit, aber eben auch - mit Liebe.
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pfilme · 4 years
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Tenet (2020)
Nach dem Kriegsfilm versucht Nolan nun also dem Agententhriller seine elaborierten Plotkonstruktionen überzustülpen. Geradezu ostentativ wird sich an Genrekonventionen angelehnt, inklusive einem internationalen Einsatz nach dem anderen und überzeichnetem russischen Fiesling (sowie ermüdendem Liebesgeplänkel in der Mitte des Films). Dabei lässt Nolan jedoch jegliche Spielfreude mit solcherlei Stereotypen weitestgehend vermissen, vielmehr sollen sie wohl als schnell identifizierbare Orientierungspunkte innerhalb seiner haarsträubend komplizierten Erzählung dienen. Auch sonst regiert erwartungsgemäß typisch Nolansche Kälte, Gefühle und Charakterentwicklungen etwa muss man entgegen dieser vermeintlichen Blockbuster-Klischees mit der Lupe suchen - nicht umsonst heißt der Protagonist "Protagonist". Woran prinzipiell nichts auszusetzen wäre, wenn diese Priorisierung eines mühevoll nachzuvollziehendem Plots, der sich zudem permanent vergeblich selbst erklären muss, nicht in einem Film münden würde, der oft wie eine anspruchsvolle Matheaufgabe wirkt, die Befriedigung für ihre Lösung verspricht, aber wenig darüber hinaus, der eher dazu anregt, ihn zu "knacken" als nachzudenken.
Vielleicht sollte man dem trotzen und die lahmen Diskussionen darum, ob denn nun alles aufgeht oder nicht und wie, einfach ignorieren. Am schönsten ist "Tenet" vielleicht dann, wenn man von dem überwältigenden Getümmel an Plot zurück tritt und ihn rein als cineastisches Experiment betrachtet, das Spannungsverhältnis zwischen filmischer Zeit und erzählter Zeit bis zum Maximum auszureizen und für die Gleichzeitigkeit von Zukunft und Gegenwart - gelegentlich auch virtuose - Darstellungsmöglichkeiten zu finden. Und das, bei aller Verkopftheit dieses Gedankenexperiments, paradoxerweise bei Betonung der Materialität des Gesehenen, also, glaubt man den Interviews, bei einem Maximum an practical effects. Wenn man ihn also als einen Film ernst nimmt, in dem das “Wie” wesentlich wichtiger ist als das “Was” (wofür ja wiederum die Einfachheit der Figuren und Geschehnisse abseits ihrer zeitlichen Abfolge auch sprechen würde). Dann ist das ganze Drumherum - betäubende Materialschlachten eingeschlossen - nur noch der notwendige Rahmen, um eine Entwicklung, die mit "Memento" begann, immer weiter zu treiben, so weit es nur geht. Wiederholt kommen Tenets Pappfiguren schließlich darauf zu sprechen, dass es für ihre Missionen ein nicht-lineares Denken brauche, und in Analogie dazu verlangt uns "Tenet" tatsächlich ein nicht-lineares Sehen ab. Darin ist er zumindest genuin cineastisch.
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