Tumgik
#unverhofft
kilometermacher · 3 months
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Ein eher ungewollter Hunderter
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danielanoitz · 5 months
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Es passiert ganz unverhofft
Wir begegneten uns, immer wieder. Es war unvermeidlich, da wir zu tun hatten, an diesem Ort. Natürlich, Du oder ich hätten auch früher oder später dort hinkommen können, doch es ergab sich immer wieder, dass wir zur gleichen Zeit hinkamen. Nicht, dass wir es darauf angelegt hätten oder uns dezidiert verabredeten, es passierte einfach, aber ich weiß noch, ich begann irgendwann mich über dieses…
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logi1974 · 3 months
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Südengland 2024 - Tag 26
Ladies and Gentlemen!
Als erster Punkt stehen heute der Under Oak Archway und der The Tall Trees Trail auf der Agenda.
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Doch bevor es soweit ist und wir dort ankommen, werden wir unterwegs völlig unverhofft von einer Fohlengeburt aufgehalten.
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Damit hätten wir ja nun wirklich in unserem ganzen Leben niemals gerechnet, dass wir am späten Morgen Zeugen davon werden könnten.
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Und dann auch noch direkt neben der Straße. Toll!
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Eigentlich sieht der kleine Pimpf mehr wie ein Esel aus.
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Nach dieser Überraschung fahren wir weiter bis zum Blackwater car park. Der Rhinefield Ornamental Drive zieht sich doch ziemlich durch den dichten Wald.
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Der Parkplatz Blackwater Arboretum ist barrierefrei und verfügt auch über barrierefreie Toilettenanlagen. Zusätzlich zu einem Informationspunkt und Picknick Tischen sowie der obligatorischen Kaffeebude.
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Diese Walks führen an majestätischen Nadelbäumen vorbei. Blackwater hat einige der ältesten und auffälligsten Bäume im gesamten New Forest.
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Diese wurde 1859 von John E. Nelson, dem leitenden Gärtner des New Forest, gepflanzt, der auch für die Bepflanzung des Rhinefield Ornamental Drive verantwortlich war.
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An dem Rundweg finden sich geschnitzte Skulpturen, die die Samen der verschiedenen Baumarten darstellen.
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Nach dem Ausflug ins Grüne steht uns jetzt eine kleine Stärkung zu. Natürlich wieder einen Afternoon Tea. Dazu haben wir uns dieses Mal ein ganz besonderes Ambiente ausgesucht: das Rhinefield House.
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Das Rhinefield House liegt am Ende einer Zierallee aus riesigen Mammutbäumen, die von farbenfrohen Azaleen und Rhododendren gesäumt sind.
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Beeindruckender geht´s fast nicht. Versteckt im Wald, wenn man schon fast glaubt, hier kommt kein Hotel mehr, sieht man das Hinweisschild und ist tatsächlich am Ziel.
Das Haus steht auf einer Anhöhe auf einer Lichtung in Clumber Inclosure und die Gärten sind von den Plantagen und Heideflächen des New Forest umgeben.
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Vom Haus aus hat man einen Blick über die Gärten nach Süden, Westen und Osten, mit Fernblick auf die Heidelandschaft des New Forest. Die östliche Grenze des Geländes liegt an der Straße von Brockenhurst nach Rhinefield.
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Auf dem Gelände des heutigen Anwesens soll die englische Krone schon seit vielen hundert Jahren eine Jagdresidenz (die „Great Rhinefield Lodge“) unterhalten haben und sicherlich war Rhinefield im späten 18. Jahrhundert als Wildpark bekannt. 
In seiner heutigen Form wurde das Rhinefield House im Jahre 1877, im viktorianischen Stil mit gemischten Tudor-Elementen, von der Familie Walker errichtet.
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Durch Kohlengruben in Eastwood war die Familie zu einem beträchtlichen Vermögen gekommen. 
Das königliche Land, auf dem das Anwesen steht, verpachtete die Königin für 99 Jahre an die Familie Walker. Das Rhinefield House galt als Mitgift für die Tochter des Hauses, Romaine Walker-Munro.
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Rhinefield sollte den Status von Miss Mabel Walker widerspiegeln: Zum Zeitpunkt des Baus des Hauses galt sie als eine der reichsten Frauen Englands. 
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Nach ihrer Heirat mit Lieutenant Commander Munro unternahm das Paar eine „Grand Tour“ für die Flitterwochen und soll viele Architekturstile bewundert haben, die sie in Rhinefield House integriert haben.
Darunter eine Reihe französischer Innenräume im Louis-Stil und eine große Halle mit Hammerbalkendach und ein Raucherzimmer im maurischen Stil aus der Alhambra.
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Schon kurz nach Fertigstellung des Hauses ließen sie einen großen Englischen Garten im Viktorianischen Stil auf dem Anwesen anlegen.
Miss Walker beauftragte William Henry Romaine-Walker (1854–1940) mit dem Bau. Rhinefield war der erste Gartenauftrag von Romaine-Walker im hochviktorianischen Stil und ein Vorläufer eines von ihm in Great Fosters, Surrey, angelegten altenglischen Gartens.
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Nach dem Tod ihres Mannes, Lieutenant Commander Munro, lebte Mrs. Walker-Munro bis zu ihrem Tod im Jahr 1934 weiterhin in Rhinefield. 1951 wurde das Haus von der Familie Walker-Munro aus finanziellen Gründen verkauft.
Nachdem es über mehrere Jahre als Privatschule genutzt wurde verfielen die Gärten so stark, dass Anfang der 1980er Jahre nur noch Reste der Bepflanzung übrig waren und der größte Teil der Anlage nur durch eine Reihe von Erdwällen gekennzeichnet war.
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Ein abermaliger Verkauf stand an. Der neue Eigentümer: ein gewisser Sir Richard Branson fügte das Anwesen seiner Virgin Hotel Gruppe hinzu.
Nach der Entdeckung gut erhaltener Archivbelege für die Gärten wurden sie zwischen 1986 und 1990 unter Richard Branson umfassend restauriert. 
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Inzwischen gehört das Rhinefield House zur britischen Hotelgruppe Hand Picked Collection. Und die machen, nach unserem Dafürhalten, einen exzellenten Job.
Weite Teile des denkmalgeschützten Anwesens sind zwar barrierefrei zugänglich gemacht worden. Dennoch muss der Gast lange Wege zurücklegen - für gehbehinderte Menschen ein Albtraum.
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Wir werden in den Armada Room, das Main Restaurant, geführt. Benannt nach der Schnitzerei über dem opulenten Kamin.
Unsere zuständige Bedienung ist eine reizende Dame aus Rumänien, die sichtlich sehr stolz ist, hier arbeiten zu dürfen. Sie führt uns souverän durch die Menükarte des Afternoon Teas.
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Selbstverständlich gibt es eine Teeauswahl und die servierten Teesorten kommen tatsächlich auch als lose Blätter und nicht als Teebeutel. Dazu gibt es auch eine Teeuhr, für das optimale Ergebnis.
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Der Afternoon Tea wird hier als 3-Gang-Menü zelebriert, ähnlich, wie wir es aus dem alt-ehrwürdigen Mount Nelson in Kapstadt kennen.
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1ster Gang sind die klassischen Sandwiches, natürlich frisch zubereitet.
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Der 2te Gang wird warm serviert. Hier Gemüse in Ziegenkäse dazu kleine Pasteten gefüllt mit Ragout und Champignons. Super lecker!
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Und zum krönenden Abschluss natürlich noch die Etagere mit den süßen Schweinereien. Alles frisch! Die Scones noch warm, das Gebäck leicht und fluffig!
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Wunderbar! Dafür vergeben wir gerne die Note 1 und empfehlen dieses Haus sehr gerne weiter. 100 Zusatzpunkte gibt es noch von mir für die musikalische Begleitung: George Michael!
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Die Außenanlagen sind ebenfalls beeindruckend. Ein großer Teich mit Kois, hier und da ist ein Springbrunnen. Aus diesem Grund ist das Hotel als Austragungsort für Hochzeiten und Feierlichkeiten sehr beliebt geworden. 
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Auch bei unserem Besuch war eine Hochzeitsgesellschaft zugegen, weshalb wir nicht so fotografieren konnten, wie wir wollten.
Good Night!
Angie, Micha und Mister Bunnybear (Hasenbär)
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ambercrest · 2 months
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Die Sonne stand zur Mittagszeit hoch am Himmel und übergoss den weitläufigen Garten des Anwesens mit gleißendem Licht. Eric, der junge Hausherr, verharrte vor einem verfallenen Rosenstrauch, der trotz seines desolaten Zustands eine geheimnisvolle Faszination ausstrahlte. Träge summende Fliegen umkreisten ihn, die schillernden Körper funkelnd wie smaragdfarbene Diamanten.
„Der Rosenstrauch bleibt“, verkündete er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. Seine Forderung war so scharf wie die Klinge eines Dolches. Der Gärtner, ein eingeschüchterter Lehrling in abgetragener, verwaschen blauer Latzhose, erstarrte inmitten der Bewegung. Langsam ließ er die Schneidgiraffe sinken, mit der er soeben den Strauch hatte köpfen wollen. Stumm nickend zog er sich zurück, respektvoll der entschlossenen Geste seines Herrn folgend. Eric wartete, bis er ungestört war, bevor er ein zerknittertes Stück Pergament aus seiner Tasche hervor zog. Das Papier war alt und vergilbt, von Wachstropfen eines gebrochenen Siegels übersät und die Worte darauf mit einem Federkiel geschrieben. Mit bebenden Händen las er den Brief erneut:
"Euch sei gewarnt, dass die edle Königin der Pracht, immerdar treu im Sommer, erweckt durch den Kuss der holden Sonne und getränkt von der sorgenden Hand des Regens, in voller Blüte steht. Doch ihre satten Farben und der schmeichelnde Duft täuschen und locken in Verderben. Begierden, dunkler als der Hauch des Todes, furchtbar und ohne Erbarmen, toben wie Stürme um ihre funkelnde Krone. Keine Liebe dieser Welt vermochte es, sie zu retten. Verloren ist ihre Seele, und sie muss brennen, um befreit zu werden. Nur die reinigenden Flammen vermögen es, zu entfesseln, was im sterblichen Fleisch gefangen ward. Wehe dem, der sich ihr nähert, denn sein Schicksal wird ebenso grausam sein."
Der Brief war ohne Absender unter der doppelflügigen Eingangspforte hindurch geschoben worden, und hatte Eric seit Tagen keine Ruhe gelassen. Ein Gemälde im riesigen Speisesaal des Anwesens enthüllte unverhofft die Lösung des Rätsels: das Szenario einer Hinrichtung. Eine Frau, die samt ihrer wertvollsten Besitztümer auf einem Bett aus Rosen verbrannt wurde.
Der verrottete Rosenstrauch im abgelegenen Teil des Gartens hatte Eric schon immer Unbehagen bereitet. Nun schien der Grund dafür klar zu sein, ja, geradezu primitiv. Getrieben von einer unstillbaren Neugier, kniete er sich nieder. Schlanke, lange Finger wühlten durch faulige Erde, ein Gemisch aus Lehm und abgestorbenen Wurzeln. Bald ertastete er etwas Hartes, das eine glatte, weißliche Oberfläche aufwies. Er schaufelte die Stelle mit bloßer Hand frei, doch rutschte ab; eingedrungen in die leeren Augenhöhlen eines Totenkopfs. Schwerer atmend arbeitete Eric sich weiter voran, vollkommen unbeeindruckt von seinem Fund. Nach und nach legte er das Skelett frei, zusammen mit glitzernden Schätzen: goldene Ringe, silberne Ketten und sogar ein von bunten Kristallen besetztes Diadem. Der Schädel, der aus der Erde ragte, war mehr als nur ein Überbleibsel eines vergangenen Lebens. Die leeren Augenhöhlen schienen Eric mit einem furchterregenden, schmerzvollen Blick zu beobachten. Eine subtile Kälte breitete sich in der Luft aus; die Schätze besaßen nicht nur einen materiellen Wert, sondern trugen eine schwer fassbare Bedeutung. Es war, als ob sie durch ihre Schönheit eine trügerische Fassade aufrechterhielten, die das düstere Erbe ihrer Herkunft verbarg. Das Gefühl der Bedrohung verstärkte sich. Es war, als ob der Fund selbst ein raffiniertes Spiel ausübte, dessen Regeln weit über das Physische hinausgingen. Das Diadem – es war ein Symbol von Reichtum, von Macht und Verderben.
Eric begann zu realisieren, dass diese Entdeckung eine katastrophale Konsequenz für die Gegenwart bedeutete. Ein Geheimnis wardt gelüftet, doch zu welchem Preis? Und wer, verdammt, war der unbekannte Träger des Briefes, der seit geraumer Zeit mit der Geduld und dem Verstand des Ambercrest-Erben spielte?
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lalalaugenbrot · 9 months
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Pflaume-Zimt-Tee in der Nacht
Ein Schmetterlingseffekt-AU, in dem Adam und Leo sich eines Nachts nach vielen Jahren der Funkstille unverhofft wiedertreffen und einiges zu besprechen haben — und in dem der Spatenschlag nie passiert ist, weil... naja, jemand zuvor gekommen ist.
→ für @silverysnake, entstanden im Rahmen des Secret Spatort Promt Exchanges 2023 von @spatortprompts
→ zu finden auch auf ao3
@silverysnake: vielen, vielen Dank für diesen Prompt! Das hat mir wirklich extrem viel Spaß gemacht, mich in diese alternative Welt hineinzudenken. Und ich bin auch sehr froh, dass es mich so kurz vor Jahresende doch noch dazu „gezwungen“ hat, auch in dieser Spatort-Zwischenzeit noch etwas zu schreiben, danke also auch dafür! Ich hoffe, dir gefällts! <3 (ich packe deinen Prompt hier nochmal mit rein, ich hoffe das ist ok!)
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Prompt: Wie wäre es gewesen wenn Adam nicht weggelaufen wäre? War Roland vielleicht nicht so gewalttätig gegen seinen Sohn? Oder vielleicht doch und irgendetwas hat Adam trotzdem in Saarbrücken gehalten? Ist der Spatenschlag so passiert oder nicht? Und wenn wir hier schon alles über den Haufen werfen: wären Adam und Leo wirklich beide zur Polizei gegangen und hätte das ganze vielleicht ganz anders aussehen können?
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Pflaume-Zimt-Tee in der Nacht
Er schlägt den Kragen hoch, zieht die Mütze tief in die Stirn. Es ist eisig kalt und es regnet, einen kalten, dicktropfigen Dauerregen, der den Gehweg in eine kleine Seenlandschaft aus Pfützen verwandelt hat. Er macht einen großen Schritt, um einer der Pfützen auszuweichen, zieht den Autoschlüssel aus der Jackentasche und lässt sein Auto aufleuchten in der Nacht. Im Auto ist es kalt, fast noch ein bisschen kälter als draußen. Er streicht sich die regenfeuchten Haare aus der Stirn und lässt den Motor an. Die Adresse muss er nicht nochmal nachgucken. Danziger Ring 20, er kennt die Gegend.
Der Schlaf hängt ihm noch in den Gliedern, die Muskeln sind schwer und träge, als sträubten sie sich mit aller Kraft gegen diese ungeheuerliche Störung der Nachtruhe. Raus aus dem warmen Bett, hinein in die kalte Nacht. Sein Handy stand nur auf Vibrieren, steht es immer, aber er hat es trotzdem gehört. Viele Dämonen seiner Kindheit ist er losgeworden mit der Zeit, aber nicht den Fluchtinstinkt, das Allzeit-bereit-Sein. Und ein bisschen ist es ihm sogar recht gewesen heute Nacht. Sein Bett ist nicht mehr dasselbe, seit Stefan nicht mehr da ist. Er findet es leer und sinnlos jetzt, kann seiner Wärme nichts mehr abgewinnen. Also nicht, dass er nicht selbst Schluss gemacht hätte, es ist schon okay so, besser so. Aber ans Alleinsein, daran muss er sich erst wieder gewöhnen. An die Stille. An die Leere. An die Einsamkeit. Die scheiß Einsamkeit. Manchmal, wenn er abends im Bett liegt, fühlen sich die Wände seines Schlafzimmers so eng an, als hinge die Einsamkeit auch in ihnen, wie ein Schimmel, der sich unter der Tapete ausgebreitet hat. Als wollten sie näher kommen, ihn ersticken, ihn erdrücken, ihn begraben unter der Einsamkeit. Dann lieber hier. Nur er, der Regen, die Scheibenwischer und die nachtleeren Straßen. Und ein Ziel.
Es ist ein unscheinbares, durchschnittliches Mehrparteienhaus, grau — so wie alle Häuser in der Nacht. Doch man sieht gleich, dass hier etwas anders ist, selbst wenn man die Autos, die am Gehweg vor dem Haus parken, noch nicht bemerkt hat. Denn die Fenster — in den anderen Häusern dunkel zu dieser nachtschlafenden Zeit — sind hell erleuchtet hier. Nicht alle, aber ungewöhnlich viele, vor allem oben im dritten Stock. Und dann die Autos. Man bemerkt es nicht sofort, weil das Blaulicht ausgeschaltet ist, aber es sind fast alles Polizeifahrzeuge. Ein Streifenwagen, ein Polizei-Bulli, ein weißer Bulli, zwei dunkle Kombis — Zivilfahrzeuge vermutlich — und daneben, wie um die ganze Szenerie ganz und gar unmissverständlich zu machen, ein Leichenwagen. Er hält auf der gegenüberliegenden Straßenseite, kurz vor der Einfahrt zum Garagenhof, weil er sich nicht sicher ist, ob es okay gewesen wäre, sich einfach zur Polizei zu stellen. Er zieht den Schlüssel ab, schaltet das Licht aus und stößt die Tür auf. Bloß gar nicht erst zögern. Er hastet durch den Regen, rüber zur Nummer 20.
Die Haustür steht offen, der Flur ist hell erleuchtet. Er hat keine Ahnung, was ihn oben erwarten wird, man hat ihm nichts gesagt. Gedämpfte Stimmen dringen hinab, irgendetwas schweres wird über den Boden geschoben. Er war noch nie an einem Tatort. Also na ja, bis auf… Er schiebt den Gedanken weg, steigt stattdessen noch etwas zügiger die Treppe rauf, die ganz nass und rutschig ist von den vielen Schuhen, die hier heute Nacht schon auf und ab gelaufen sind und den Regen reingeschleppt haben.
Vor der Wohnungstür steht ein uniformierter Polizist und mustert ihn mit undeutbarem Blick. Neben ihm auf dem gesamten Treppenabsatz verteilt zahllose Taschen, Koffer, Beutel voller Utensilien, Gerätschaften.
Er kramt seinen Dienstausweis aus der Jackentasche und hält ihn dem Beamten hin. »Sie hatten angerufen?«
Der Gesichtsausdruck des Beamten verändert sich, wird mit einem Mal kollegial. Er bückt sich, zieht aus einem der Koffer etwas plastikverpacktes hervor, reicht es ihm wortlos, wendet sich in Richtung Wohnungstür und ruft: »Der Kollege vom Jugendamt ist da!«
In dem Beutel stecken ein weißer Schutzoverall und zwei blaue Schuhüberzieher. Das bedeutet dann wohl, dass er das anziehen soll. Er ist gerade beim zweiten Überzieher angekommen, als eine ebenfalls schutzoverallte Frau in der Tür erscheint.
»Heinrich, Kripo Saarbrücken«, sagt sie und streckt ihm die Hand entgegen. »Danke, dass sie so schnell kommen konnten. Der Kleine ist im Kinderzimmer und schläft.« Sie presst kurz die Lippen aufeinander, legt den Kopf ein wenig schief. »Zum Glück«, setzt sie dann hinzu.
Sie ist noch jung, ungefähr in seinem Alter, denkt er und sieht mindestens genau so müde aus, wie er sich fühlt. Er folgt ihr hinein in den Wohnungsflur. Die Einrichtung ist etwas spartanisch, aber ordentlich — er kennt da auch anderes. Sie gehen am Wohnzimmer vorbei, in dem er bei einem schnellen Blick mindestens noch vier bis fünf weitere Overalls erspäht, drei von ihnen stehen über irgendetwas — oder irgendjemanden — gebeugt, versperren die Sicht darauf. Besser so vielleicht. Auf den Rückseiten ihrer Overalls steht, so wie auf dem der Kommissarin und anders als auf seinem, ‚Polizei‘ und bescheuerterweise lässt das sein Herz schneller schlagen. Absurd. Saarbrücken ist zwar nicht gerade als Kriminalitätshochburg bekannt, aber so idyllisch, dass es nur einen einzigen Kriminalkommissar bei der Mordkommission gäbe, ist es dann auch nicht.
»Hier drin«, sagt Kommissarin Heinrich leise. Sie stehen vor einer dunklen Holztür am Ende des Flures. Auf ihr kleben bunte Buchstaben, die den Namen ‚Matteo‘ bilden.
»Wir konnten keine Angehörigen ermitteln«, sagt Kommissarin Heinrich.
Er nickt. »Kann ich ein paar Sachen von ihm mitnehmen?«
»Klar«, sagt sie. »Geben Sie mir nur Bescheid, was. Und er soll bitte nicht gewaschen werden. Wir würden ihn morgen gerne noch kriminaltechnisch untersuchen lassen.«
Im Zimmer ist es dunkel. Im Schein des vom Flur hereinfallenden Lichts findet er den Schalter zu einer kleinen Lampe, die auf der Kommode steht. Sie taucht den Raum in ein schummriges, warmes Licht. Matteo liegt im Bett und schläft tatsächlich tief und fest. Er selbst wäre bei dem ganzen Kuddelmuddel draußen auf dem Flur ja schon zehnmal aufgewacht, denkt er bei sich. Aber er ist eben auch er.
Er findet eine kleine Tragetasche, packt ein paar Klamotten aus der Kommode hinein, ein Bilderbuch, das er auf dem Boden findet, einen Stoffhasen, der neben Matteo im Bett liegt und einen kleinen Plastikdino, der neben ihm auf dem Nachttisch steht. Dann zieht er sich vorsichtig die Kapuze vom Kopf und geht vor dem Bett in die Hocke. Falls Matteo jetzt aufwacht, sollte der fremde Mann, den er dann zwangsläufig sehen wird, zumindest nicht auch noch völlig weiß-vermummt sein. Er schlägt die Decke zurück und hebt ihn dann behutsam aus dem Bett. Matteo seufzt ein wenig und lässt ein tiefes Atmen hören, aber als er ihn auf den Arm nimmt und gegen seine Schulter legt, lässt Matteo seinen Kopf in seine Halsbeuge sinken und schläft weiter. Er schultert den Beutel mit Matteos paar Habseligkeiten und geht leise zurück in den Flur. Die Kommissarin ist verschwunden, also geht er in Richtung Wohnzimmer, nimmt auf dem Weg noch Matteos Jacke von der Garderobe und bleibt dann in der Wohnzimmertür stehen. Dort stehen immer noch vier Leute, den Rücken ihm zugewandt.
»Frau Heinrich?«, fragt er.
Sie dreht sich um und er hält ihr die Jacke und den Beutel mit Matteos Sachen hin. »Sie hatten gesagt, ich soll Ihnen noch —«, beginnt er, doch er kommt nicht weiter.
»Adam?!«, fragt eine Stimme. Eine Stimme, die er unter Tausenden erkennen würde.
Das Herz rutscht ihm in die Hose. Also doch. Er hätte das mit dem Germanistikstudium durchziehen sollen damals, denkt er. Oder er hätte gehen sollen — damals, später, irgendwann, nur raus aus dieser Stadt, so wie er es immer gewollt hat. Wer weiß, was dann geworden wäre, was aus ihm geworden wäre, wo er jetzt wäre… In jedem Fall wäre er jetzt ganz sicher nicht ausgerechnet hier.
»Leo?!«, erwidert er, weil was soll er auch sonst sagen. Er kann ja nichts anderes tun, als so zu tun, als ob die Möglichkeit, Leo hier heute zu treffen nicht das erste gewesen wäre, an das er gedacht hat, als er zum Tatort eines Tötungsdelikts gerufen wurde. Aber es fühlt sich eh an, als würde jemand anderes das sagen. Dieser erwachsene Mann vom Jugendamt nämlich, der hier im Türrahmen steht mit einem frisch verwaisten Kind auf dem Arm und der einen Plan hat, für das Kind, für sich, der sein Leben auf erstaunliche Weise im Griff hat, mehr oder weniger zumindest. Und er selbst steht nur unsichtbar daneben, wie ein verschreckter 25-jähriger, dessen Leben ungelebt an ihm vorbeizieht und der nie wieder den Mut hatte, den er ein einziges Mal nur in seinem Leben aufgebracht hat.
»Was machst du denn hier?«, hört er Leo fragen. Auch er steckt in einem weißen Overall — natürlich —, aber Adam erkennt ihn trotzdem sofort. Kein Schutzoverall dieser Welt könnte verhindern, dass er dieses Gesicht erkennt — und wenn es noch so überrumpelt aussieht.
Adam deutet mit dem Kopf in Richtung des schlafenden Matteo an seiner Schulter. »Ich bin beim Allgemeinen Sozialen Dienst«, sagt er leise. »Jugendamt.«
Leo hebt die Augenbrauen. »Seit wann denn das?«
»Im Januar vier Jahre«.
»Oh...«, sagt Leo. Ob nur dazu, dass Adam beim Jugendamt arbeitet oder doch auch ein wenig dazu, dass sie ganz offensichtlich seit mindestens vier Jahren nicht mehr miteinander gesprochen haben, weiß Adam nicht, aber er kann es sich schon denken.
Die anderen Polizisten inklusive Kommissarin Heinrich haben sich wieder dem etwas, das da hinter dem Sofa liegt, zugewandt. Leo indes macht ein paar Schritte auf ihn zu — er steht immer noch in der Tür, weil er nicht weiß, ob er hinein darf ins Wohnzimmer und ob er das überhaupt wollen würde.
»Wir haben uns...«, setzt Leo an.
»Lange nicht gesehen«, vervollständigt Adam seinen Satz, obwohl das natürlich maßlos untertrieben ist. Sie haben sich wirklich seit einer Ewigkeit nicht gesehen. Seit vor Leos Hochzeit nicht. Und die muss mittlerweile schon über sechs Jahre her sein. Alles, was er seitdem über Leo weiß, weiß er von sozialen Medien, von WhatsApp-Statussen oder von seiner Mutter, die manchmal Leos Mutter bei Aldi trifft.
Leo nickt. »Ja«, sagt er nur.
Einen Moment lang sehen sie sich etwas ratlos an. Wie zwei ehemals beste Freunde eben, die sich seit Jahren nicht gesehen haben und das aus dem einzigen Grund, dass sie sich vom Leben irgendwie haben auseinander treiben lassen.
»Was macht ihr jetzt mit ihm?«, fragt Leo schließlich und sieht Matteo an.
»Bereitschaftspflege«, sagt Adam. »Also das heißt, sobald wir jemanden gefunden haben. Meine Kollegin telefoniert gerade rum.«
Leo nickt. Sieht Matteo einen Moment lang an. »Oh Mann«, sagt er. »Und bis dahin? Fährst du mit ihm erstmal ins Jugendamt?«
Adam schüttelt den Kopf. »Ich glaub, ich setz mich mit ihm einfach ins Auto und warte. Sie findet bestimmt bald wen.«
»Oh, ihr...«, beginnt Leo. »Du kannst auch... warte mal.« Er dreht sich zu seinen Kollegen um. »Ich bin mal kurz unten, ja?«, sagt er und bedeutet dann Adam, mit ihm zu kommen.
Vor der Wohnungstür streift Leo sich mit einer geübten Bewegung Handschuhe, Overall und Schuhüberzieher ab. Darunter trägt er dunkle Jeans, ein graues T-Shirt und eine dunkelblaue Stoffjacke.
»So«, sagt er, nachdem er die Schutzkleidung in einen bereitstehenden Müllsack gestopft hat, richtet sich auf und lächelt Adam etwas schief an. »Komm. Du kannst deinen unten ausziehen.«
Adam folgt Leo die Treppe hinunter und denkt dabei, wie sehr Leo immer noch genauso redet und genauso aussieht wie früher, wie immer schon. Nur noch etwas kantiger ist er jetzt, bärtiger, erwachsener — an den Schläfen ist er sogar schon ein wenig grau geworden. Aber seine kurzen braunen Haare sehen immer noch genauso weich und fluffig aus wie früher, seine Augen sind immer noch sanft und ozeanfarben und wie immer ein bisschen sorgenvoll, auf seiner Nase sitzen noch immer diese kleinen Sommersprossen, die ihm so unendlich vertraut sind. Und vor allem sieht er immer noch gut aus. So unendlich, unfassbar gut. Adam schüttelt innerlich den Kopf, schüttelt die Gedanken ab. Absurd, denkt er, nach sechs Jahren, ach was, nach fünfzehn.
Unten angekommen spannt Leo den großen Regenschirm auf, der neben der Tür lehnt, hält ihn über sie drei und führt sie zu einem der Bullis.
»Du kannst dich mit ihm hier reinsetzen«, sagt er, während er die große Schiebetür aufzieht. »Ist vielleicht ein bisschen gemütlicher. Unser mobiler Arbeitsplatz, wenn wir unterwegs schonmal den Grundsachverhalt anlegen wollen, Sachstandsanfragen stellen, Bildmaterial sichten oder sowas. Oder einfach kurz Pause machen.«
Er lässt Adam mit Matteo zuerst einsteigen, klappt dann den Regenschirm zusammen, steigt ebenfalls ein und zieht die Tür hinter ihnen wieder zu.
Drinnen ist wirklich ein kleiner Arbeitsplatz. Ein Klapptisch, auf dem ein Laptop und ein paar leere Tassen stehen, um ihn herum vier Sitze, eine winzige Küchenzeile, endlos viele Schubladen und Schränke und ganz hinten eine Sitzbank. Ein bisschen wie in einem Wohnmobil, nur irgendwie sachlicher, behördlicher, zweckoptimierter.
Leo schaltet eine kleine Leselampe über dem Tisch an, öffnet dann einen der Schränke und zieht eine Wolldecke hervor. »Willst du ihn da hinlegen?«, fragt er leise und deutet auf die Sitzbank.
Adam nickt und legt Matteo vorsichtig ab, schiebt ihm den Plüschhasen als Kopfkissen unter den Kopf und deckt ihn zu.
»Willst du einen Tee?«, fragt Leo und ist schon dabei, Wasser in einen Wasserkocher zu füllen.
Eigentlich mag Adam keinen Tee, mochte er noch nie, aber er will auch nicht, dass Leo wieder geht und wenn er noch Tee macht, dann bleibt er zumindest noch ein bisschen.
»Gerne«, sagt er also, während er nun ebenfalls beginnt, sich aus seinem Overall zu befreien. Er knüddelt ihn zusammen mit den Schuhüberziehern unter einen der Sitze. Dann setzt er sich und zieht sein Handy aus der Jackentasche. Seine Kollegin hat noch nicht angerufen. Er steckt es wieder ein und beobachtet Leo, wie er zwei saubere Tassen aus einem der Schränke holt, die benutzten vom Tisch räumt, auch den Laptop in einer Schublade verschwinden lässt, dann einen anderen Schrank öffnet, darin stöbert.
»Was für Tee willst du? Schwarz, grün, Kräuter...?« Er kramt noch ein wenig im Schrank, zieht von ganz hinten noch eine Schachtel hervor, liest. »...Pflaume-Zimt?« Er dreht sich um, sieht Adam fragend an.
Kurz will er ‚schwarz‘ sagen, weil er seinen Kaffee so immer trinkt und sich das auch für Tee irgendwie richtig anfühlt, aber irgendwie hört er sich dann doch etwas anderes sagen. »Pflaume-Zimt«, sagt er. Vielleicht passt das einfach besser zu dem allen hier. Dem Wasserkocher, der leise rauscht und gluckert, dem Regen, der gleichmäßig aufs Dach des Wagens prasselt, den Regentropfen, die draußen in der dunklen Nacht vom Fenster abperlen.
»Ja, warum eigentlich nicht«, meint Leo und nimmt gleich zwei Beutel aus dem Karton und hängt je einen in die beiden Tassen. Der Wasserkocher rauscht noch einen Augenblick, dann klickt er und ist fertig. Leo gießt das sprudelnd heiße Wasser in die beiden Tassen, bringt sie rüber zum Tisch und setzt sich auf den Platz gegenüber von Adam. Adam schmiegt seine kalten Hände an die warme Tasse. Der süßlich-würzige Geruch des Tees zieht ihm in die Nase und irgendwie ist er tatsächlich froh, diesen Tee ausgesucht zu haben.
»Was ist passiert da oben?«, fragt er — extra leise diesmal, nur für den Fall, dass Matteo am Ende doch irgendwas hört.
»Wissen wir noch nicht so genau«, sagt Leo. »Vom Festnetzanschluss wurde ein Notruf abgesetzt, bei dem aber niemand was gesagt hat. Möglicherweise Suizid. Vielleicht aber auch nicht.«
»Scheiße«, sagt Adam.
Leo nickt.
Adam dreht sich zu Matteo um. Der schläft immer noch friedlich. Aber irgendwann, vielleicht gleich, vielleicht später in der Nacht, vielleicht auch erst am Morgen, da wird er aufwachen und alles wird anders sein, für immer. Und sein altes Leben wird er vergessen mit der Zeit, keine Erinnerung wird ihm bleiben, außer vielleicht hier und da ein vages Gefühl, das er nicht einordnen kann, ein Schmerz, eine Angst, eine Wut, für die er keine Erklärung hat.
»Die arme Maus«, sagt er leise und streckt einen Arm aus, um ihm sanft über den Rücken zu streichen.
»Habt ihr sowas oft?«, fragt Leo.
Adam wendet sich wieder zu ihm um. »Naja, nicht unbedingt so«. Er deutet nach oben in Richtung der Wohnung. »Aber Kinder ohne Eltern, klar.«
Leo zieht am Band seines Teebeutels, schwenkt ihn ein wenig durch seine Tasse. Nimmt vorsichtig einen ersten Schluck. »Miriam und ich lassen uns scheiden«, sagt er dann.
Es ist ein wenig unvermittelt und Adam fragt sich, ob er jetzt durch die elternlosen Kinder darauf gekommen ist. Er sieht ihn prüfend an, aber Leo hält seinen Blick in seinen Tee gesenkt.
»Tut mir leid«, sagt Adam und spielt dann ebenfalls mit seinem Teebeutel, weil er nicht weiß, was er weiter sagen soll.
»Ich dachte echt, uns passiert das nicht«, sagt Leo.
Adam sieht ihn mit gerunzelter Stirn an und legt den Kopf schief. Weil als ob das nicht jedem passieren könnte. Selbst einem Leo Hölzer.
Aber Leo schüttelt den Kopf, wie aus Ärger über sich selbst. »Meine Kinder müssen jetzt jede Woche umziehen.«
»Und wie finden die das?«
Leo seufzt. »Seltsamerweise cool. Also dass sie zwei Kinderzimmer haben und so.«
Adam lächelt. »Ja, das hör ich oft.«
»Ich weiß nicht«, sagt Leo. »Ich hab mir immer gewünscht, dass meine Eltern wieder zusammenkommen.«
»Habt ihr viel gestritten?«
Leo wiegt den Kopf. »Ja«, sagt er dann und klingt ein wenig schuldbewusst. »Schon.«
»Also«, sagt Adam und hebt die Schultern.
Leo nickt nachdenklich. »Hast du welche?«, fragt er dann.
»Kinder?«, fragt Adam und für einen Moment erscheint ihm der Gedanke vollkommen absurd. Woher sollte er schon Kinder bekommen? Aber dann lächelt er und nimmt noch einen Schluck von seinem Tee. »Dreiundzwanzig«, sagt er dann.
»Was?!«
Adam nickt und unterdrückt nur mit Mühe ein Lachen. »Ich hab dreiundzwanzig Amtsvormundschaften. Also momentan. Das wechselt aber auch. Insgesamt hatte ich schon etwas über hundert, glaub ich.«
Leo sieht ihn verwundert an. »Dreiundzwanzig? Und die betreust du alle gleichzeitig?«
»Ja«, sagt Adam. »Also naja. Die sind natürlich alle in Pflegefamilien oder noch bei ihren Eltern oder Großeltern, in Wohnprojekten oder im Heim. Ich kümmer mich nur darum, dass es ihnen da gut geht, bekomme Bescheid, schaue ab und zu mal vorbei, kümmer mich um Sachen, je nachdem, was grad so los ist. Eine ist gerade zur Klassensprecherin gewählt worden.« Er lächelt ein wenig verlegen, als er bemerkt, dass er wirklich ein bisschen wie ein stolzer Vater klingt. »Aber es ist am Ende auch einfach viel... Sachbearbeitung«, fährt er schnell fort. »Berichte, Anträge, Berichte, Formulare, Berichte. Ach ja, und Berichte.«
Leo lacht. »Kenn ich irgendwoher.« Seine Wangen sind ganz rund vom Lachen und um seine Augen herum sind diese kleinen Lachfältchen entstanden, die Adam noch immer so gut kennt. Er muss lächeln und nestelt am Saum seines Jackenärmels — nur um eine Entschuldigung zu haben, den Blick zu senken. Leo sieht so schön aus, dass es ihn regelrecht verlegen macht.
»Und bei dir?«, fragt er dann, als das blödsinnige Grinsen wieder ein wenig aus seinem Gesicht gewichen ist, er es wieder wagt, den Blick zu heben. »Wie ist das so? Mordkommission? Immer noch on fire?«
Leo lacht. Hebt die Schultern, fast ein wenig entschuldigend. »Ja«, sagt er. »Eigentlich schon irgendwie.«
Seit Adam Leo kennt, das heißt seit sie dreizehn sind, wollte Leo immer schon nur zur Polizei. Und auch damals schon zur Kripo, zur Mordkommission. Selbst später noch, nach allem. Als wäre er irgendwie dazu geboren worden oder so.
»Ist das nicht ein bisschen krass?«, fragt Adam. »Sowas«, er deutet nochmal nach oben, »jeden Tag?«
Leo wiegt den Kopf. »Jeden Tag ist es ja nicht. Da ermitteln wir jetzt erstmal dran. Dass wir tatsächlich live an einem Tatort sind, das kommt gar nicht so oft vor. Die ganzen gewöhnlichen, alltäglichen Sachen macht ja der Dauerdienst.« Er hält einen Moment inne. »Nur, naja«, beginnt er dann. »Letztes Jahr hab ich im Dienst einen angeschossen. Das war...« Er hebt die Hände, wie um irgendetwas abstraktes zu verdeutlichen. »Wir wollten auf Grund neuer Indizien einen Verdächtigen nochmal überprüfen… aber als wir in seine Werkstatt gekommen sind, hatte er plötzlich eine Waffe in der Hand. Hat einfach auf meinen Kollegen geschossen. Der Schuss ging in die Wand, aber trotzdem. Da musste ich natürlich schießen. Ich hab auf seinen Waffenarm gezielt, aber beim ersten Mal verfehlt und ihn in die Milz getroffen. Das hätte echt übel ausgehen können.«
»Aber ist es nicht?«
Leo schüttelt den Kopf. »Nein, zum Glück nicht. Aber es gibt dann natürlich trotzdem Ermittlungen, ewige Verhöre, Gespräche. Das war… das war alles schon ein bisschen scheiße.« Er macht eine Pause. »Aber sonst. Ich mag das einfach. Ermitteln, Rätsel lösen.« Er hebt die Schultern. »Naja, außer das mit den Angehörigen«, wendet er dann doch noch ein. »Das kann ich auch nicht immer so gut. Das ist manchmal ein bisschen schwierig, wenn die…« Er presst die Lippen aufeinander, sieht Adam etwas unsicher an. »Aber das weißt du ja selbst irgendwie.«
Adam sieht ihn lang an, stößt dann etwas Luft durch die Nase. Hebt die Augenbrauen. »Ja, könnte man wohl so sagen.«
Für einen Moment sagt keiner von beiden mehr etwas, Leo schiebt nur seine Teetasse von der einen Hand in die andere, während der Regen immer noch unaufhörlich aufs Autodach trommelt. Irgendwann nimmt Leo eine der benutzten Tassen aus der Spüle, legt seinen tropfenden Teebeutel hinein. Adam tut es ihm gleich, nimmt dann noch einen Schluck vom immer noch dampfenden Tee.
»Tut mir leid, dass ich mich nie mehr gemeldet hab«, sagt Leo irgendwann in das Schweigen hinein. »Es war einfach so... Ich wollte immer. Aber dann war Miri direkt schwanger und... irgendwas war immer.«
Adam hebt die Schultern. »Schon okay«, sagt er leise. »Hätte mich ja auch nochmal melden können.« Er dreht die Teetasse in seinen Händen, sieht den Regentropfen dabei zu, wie sie lange Schlieren an der Scheibe ziehen. »Tut mir leid, dass ich nicht da war«, sagt er. »Auf der Hochzeit mein ich. Und auf dem Junggesellenabschied.«
Leo sagt nicht gleich etwas. Erst nach einer Pause dann: »Ja... das... Ich hätte dich gerne dabei gehabt.«
Adam nickt. »Sorry.« Er macht eine Pause, sucht nach Worten, die zwar erklären, aber dennoch vage bleiben, die Wahrheit ein bisschen kaschieren. »Ich war irgendwie...«, beginnt er. »Es ging mir nicht so gut, glaub ich. Ich glaub, ich wollte einfach nicht unter so vielen Menschen sein.«
Vielleicht stimmt das sogar ein bisschen. Aber die ganze Wahrheit ist es natürlich nicht. Die ganze Wahrheit wäre wohl, dass er Leo ganz einfach nicht beim Heiraten zusehen wollte. Und dass er vielleicht auch eh nicht mehr so ganz das Gefühl gehabt hat, als würde er noch so richtig dazu gehören zu Leos Leben. Auf dem Junggesellenabschied hätte er niemanden gekannt und auf der Hochzeit nur Leos Familie. Er ist eh fast ein bisschen überrascht gewesen damals, dass er überhaupt eingeladen gewesen ist, so wenig hatten sie da schon nur noch miteinander zu tun.
Er hat sich immer gefragt, wann das alles eigentlich angefangen hat. Also das mit ihnen. Oder eher, wann es aufgehört hat. Dabei kennt er die Antwort natürlich, will sie nur manchmal immer noch nicht wahrhaben. Nur ob es nun das eine oder ob es das andere Ereignis an jenem Tag gewesen ist, das weiß er wirklich nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Wahrscheinlich, denkt er oft, war es die Kombination, die ungeheuerliche Gleichzeitigkeit von beidem. Ganz früher, ganz am Anfang, da hat er tatsächlich geglaubt, es wäre eine Strafe. Dass es doch falsch gewesen ist, dass deswegen... dass es ein Racheakt war. Von Gott, den Göttern, dem Schicksal, dem Universum. Wie auch immer. Dass es seine Schuld gewesen ist irgendwie. Und das, obwohl es doch eigentlich alles gewesen ist, was er sich immer gewünscht hat. Aber es hat sich alles falsch angefühlt. Das, was sich richtig hätte anfühlen sollen, was befreiend hätte sein sollen, hat sich einfach nur falsch angefühlt. Weil man ja auch nicht einfach erleichtert aufatmen und sein Leben weiterleben kann. Weil stattdessen die Kriminalpolizei kommt und alles auf den Kopf stellt. Weil einen in der Schule alle komisch angucken. Weil die Nachbarn reden und plötzlich mit Kuchen vorbeikommen in der Hoffnung vielleicht irgendein Detail zu erfahren, das sie noch nicht aus den Medien oder der Nachbarschaftsflüsterpost kennen. Er hat ihn immer ein wenig dafür gehasst, dass er mit so einem großen Brimborium aus der Welt geschieden ist, anstatt einfach, wie andere Väter, auf irgendeine gewöhnliche Weise zu krepieren. Autounfall, Herzinfarkt, Krebs. Sowas. Am schlimmsten war es, als die Kripo den Fall nach zwei Jahren ergebnisloser Ermittlungen — also genau dann, als die Nachbarn und die Zeitungen und das Fernsehen den Fall gerade fast ein bisschen vergessen hatten — mit zu Aktenzeichen XY genommen hat. Natürlich haben sie sie gefragt, ihn und seine Mutter, ob das okay ist. Aber was soll man sagen? Nein, wir möchten nicht, dass der Mörder gefunden wird, bitte lassen Sie uns in Frieden? Er hat die Sendung nie angesehen, aber er weiß auch so, dass sie ihn da als liebevollen Familienvater dargestellt haben. Und dass irgendein Laienschauspieler auch ihn selbst gespielt hat. Den traurigen, verwaisten Sohn. Und vor allem weiß er, dass danach regelmäßig Autos mit auswärtigen Kennzeichen im Schritttempo an ihrem Haus vorbeigefahren sind, dass Gruppen Schaulustiger durch den Wald getrampelt sind und mit ihren Digitalkameras Fotos von ihrem Grundstück gemacht haben.
Die Kripo hat auch sie befragt damals, klar. Schließlich hatten sie ihn gefunden. Leo und er. Auf dem Rückweg vom Baumhaus waren sie, sind den Trampelpfad zurück zum Haus entlang gestolpert. Vielleicht wären sie noch länger im Baumhaus geblieben an dem Tag, vielleicht wäre dann alles anders gewesen. Aber es ist schon viel zu spät gewesen, er ist ja mit seinem Vater zum Trainieren verabredet gewesen. Also sind sie runter, zusammen bis zur Weggabelung, da wo es rechts zu Adam ging und links durch den Wald zum Schrebergarten von Leos Opa und von da aus über den Schleichweg runter zur Hauptstraße, zu den Bahnschienen, hinter denen die Hölzers gewohnt haben. Aber dann lag er da. Lag einfach so da. Leo hat ihn zuerst gesehen, weil er voran gegangen ist auf dem schmalen Weg. Hat nichts gesagt, hat nicht geschrien, wie es die Leute in Filmen immer tun, ist nur wie angewurzelt stehen geblieben, ein paar Sekunden lang vielleicht, bis er sich umgedreht hat zu Adam und ihn angesehen hat mit diesem Blick, den er niemals wieder vergessen wird. Mit diesen großen ungläubigen Augen. Und dann haben Sie beide sich nur stumm angesehen — und haben die Welt nicht mehr verstanden.
Er weiß nicht mehr genau, was danach passiert ist. Wie und wann sie zurück zum Haus gekommen sind. Die Minuten, Stunden, Tage danach sind zu einer seltsamen Einheit verschwommen. Sicher ist nur, dass irgendwie die Polizei gekommen ist und auch der Notarzt noch sogar. Obwohl es ja ganz eindeutig gewesen ist, dass er nicht mehr gelebt hat. ‚Mit dem Leben nicht vereinbare Verletzung‘ nennt man sowas wohl, hat er später mal erfahren.
Er weiß nicht, wie oft sie sie befragt haben, kann es nicht zählen, so viele Male waren es. Ob sie denn wirklich ganz sicher überhaupt gar nichts gesehen, gehört, bemerkt haben? Wann genau sie zum Baumhaus hin sind, wann zurück und was sie denn da oben überhaupt gemacht haben? Einmal ist die Polizei sogar mit ihnen rauf ins Baumhaus, nur um zu sehen, zu hören, was man hier oben mitbekommt, wenn wenige dutzend Meter entfernt ein Kampf stattfindet. Haben es mit und ohne Kopfhörer probiert, weil Adam und Leo wirklich nicht mehr wussten, ob und wann genau sie Musik gehört haben — jeder mit einem Stöpsel der Kopfhörer zu Leos MP3-Player im Ohr, so wie sie es immer gemacht haben. Aber nein, sie haben nichts gehört, hatten sie wirklich nicht. Da haben sie ihnen schon die Wahrheit gesagt. Nur bei zwei anderen Sachen, da haben sie die Wahrheit ein wenig angepasst, ein paar Dinge aus ihr weggelassen. Das familiäre Zusammenleben, wie das war, hat die Polizei von Adam und seiner Mutter wissen wollen und kurioserweise haben sie beide sich da nicht mal absprechen müssen. Haben instinktiv beide fast haargenau dieselbe Aussage gemacht. Klar, die väterliche Erziehung war streng, ein wenig konservativ vielleicht und ab und zu, wie will man es anders erwarten in einer Familie mit einem Teenager mitten in der Pubertät, klar, da gab es auch schonmal Streit. ‚Streit‘ — eine beliebte Umschreibung für lebensbedrohliche Kindeswohlgefährdung, wie er mittlerweile weiß. Er weiß nicht, ob die Polizei sie wirklich jemals verdächtigt hat — ihn, seine Mutter, Leo. Als Verdächtige haben sie sie nie befragt. Aber wenn sie es gesagt hätten, ihnen die ganze Wahrheit gesagt hätten, dann hätten sie sie ganz sicher verdächtigt, irgendwie dahinter zu stecken. Einen Tyrannenmord begangen zu haben. Und außerdem, was hätte es zur Sache getan, ihnen von all dem zu erzählen — von den Schlägen, den Tritten, den sadistischen Trainingseinheiten, dem Essensentzug, dem Schrank, jetzt, wo es vorbei war. Es hatte und hat nichts mit dem Mord zu tun, so seltsam ihm selbst das auch immer vorgekommen ist. Und irgendwann, da sind die Ermittlungen ja dann sowieso in eine völlig andere Richtung gegangen. Als sie das mit den Banküberfällen herausgefunden haben nämlich, da war dann eh fast nur noch die Rede von Onkel Boris, von Milieu und von Rache.
Und die andere Sache — naja. Das haben sie ihnen natürlich auch nicht erzählt, Leo und er. Von diesem einen kurzen, letzten Moment oben im Baumhaus. Haben es niemandem erzählt, niemals, nicht mal sich selbst genau genommen. Weil sie nie wieder darüber geredet haben. Nicht in den seltsamen ersten Tagen und Wochen, nicht als so halbwegs wieder Normalität eingekehrt war, nicht später, nicht irgendwann, nie. Und er hat nie ganz gewusst, was es war, das sie auseinander getrieben hat. Ob es das war, ob es der Mord war oder ob es das Schweigen war. In jedem Fall ist es nie mehr wie früher gewesen. Sie haben sich noch gesehen am Anfang, klar. Aber am Anfang war da immer der Tod, war da immer die Kripo, war da immer die Berichterstattung. Ganz am Anfang durfte Leo nicht mal mehr alleine raus, ganz besonders nicht mit oder zu Adam, geschweige denn in den Wald, ganz egal in welchen. Weil es ja sein konnte, dass da ein irrer Killer unterwegs war, im schlimmsten Fall sogar einer, der es spezifisch auf die Schürks abgesehen hatte. Also haben sie sich eine Zeitlang immer nur noch in der Schule oder bei Leo zuhause gesehen, was eigentlich auch gar nicht das Problem gewesen wäre — aber es ist einfach nicht mehr dasselbe gewesen. Als ob sie plötzlich nicht mehr wussten, was sie früher — vorher — gemacht haben. Worüber sie geredet haben, worüber gelacht. Irgendwann haben sie sich nur noch in der Schule gesehen, aber auch da immer weniger. Leo hat neue Freunde gefunden mit der Zeit, oder naja: überhaupt Freunde. Hat immer mehr mit den Leuten aus dem Chemie-LK und der Erste-Hilfe-AG gemacht, während Adam mit den anderen einsamen und traurigen Sonderlingen im Philosophiekurs bei Frau Dr. Dürrfeld saß. Und dann — dann war da irgendwann natürlich Julia. Und Adam endgültig abgemeldet.
Und dann ist alles irgendwie so weitergelaufen, an ihm vorbei gezogen... Abi gemacht, auf dem Abiball gedacht, ob sie sich überhaupt noch sehen jetzt. Sich dann doch noch gesehen ab und zu. Aber selten, sehr selten. Noch auf Geburtstage eingeladen gewesen, aber nicht mehr die Hauptperson gewesen, niemanden mehr gekannt irgendwann, irgendwann eine Ausrede gefunden, warum er nicht kommt, irgendwann keine Einladung mehr bekommen. Angefangen zu studieren, Germanistik und Philosophie, studiert und studiert, immer weniger hingegangen irgendwann, sich ein halbes Jahr lang eingeigelt, dann fast doch gegangen, also weg, weg aus Saarbrücken. Das war in dem Jahr, als er über Facebook erfahren hat, dass Leo sich verlobt hat. Mit irgendeiner Miriam, die er nicht mal kannte. Eine Einladung zur Hochzeit bekommen, dann auch zum Junggesellenabschied, mittels Einladung in eine Facebookgruppe mit lauter fremden Namen. Nicht hingegangen, zu beidem nicht, stattdessen wieder ausgeigelt, nicht um zu gehen, nein, aber sich exmatrikuliert und stattdessen einen Therapieplatz gesucht, Taxischein gemacht, ein halbes Jahr Taxi gefahren, Therapieplatz gefunden, das mit dem Taxifahren wieder sein gelassen und ein duales Studium bei der Stadt angefangen. Sozialpädagogik. Das beides, Studium und Therapie durchgezogen, dann beim Jugendamt genommen worden, seitdem da. Seit letztem Jahr ist er verbeamtet, als Inspektor, was ein absurder Titel ist, weil es klingt, als ob er irgendein Geheimagent wäre oder so. Aber er hat sein Leben im Griff, irgendwie. Es ist okay, irgendwie. Der Fall ist selbst in den Hobbyermittlerforen auf die hinteren Seiten gerutscht, er verdient gutes Geld, ist unkündbar bis zum Ruhestand, hatte zwei mehr oder weniger ernsthafte und noch ein paar mehr nicht so ernsthafte Beziehungen. Stefan hat er sogar seiner Mutter vorgestellt und die beiden haben beim gemeinsamen Abendessen über Yoga und Pilates geredet, wovon er keine Ahnung hat. Und doch — irgendwo ist da immer Leo gewesen. Sein bester Freund. Sein eigentlich bester Freund. Der nur irgendwie nicht mehr da gewesen ist. Außer ab und zu im Whatsapp-Status. Oder auf Insta. Mit Baby, Kleinkind, dann wieder Baby, Vorschulkind, Kleinkind. In den grünen Stories, die für die engen Freunde. Er hat sich immer gefragt, was das, ob das was bedeutet. Wen Leo noch alles in seiner Enge-Freunde-Liste hat, ob es ein Versehen gewesen ist oder ob er ihn wirklich noch als das angesehen hat.
Der Regen hat ein wenig nachgelassen, ist noch da zwar, aber sein Prasseln ist sanfter geworden, fast als könnte er bald ganz aufhören. Leo hat die Stirn in Falten gelegt und blickt gedankenverloren in seine Teetasse. Ob er sich auch erinnert? Ob er auch manchmal an ihn gedacht hat? Ob er ihn vermisst hat, so sehr wie er ihn vermisst hat?
»Weißt du, ob noch jemand ermittelt?«, hört er sich fragen. Er weiß nicht, warum. Eigentlich will er das gar nicht wissen. Aber vielleicht will er sie insgeheim irgendwie weiter dorthin manövrieren, in diese Zeit, zu diesem Tag.
Leo blickt auf. Schüttelt den Kopf. »Nee, glaub nicht. Und ich dürfte ja eh nicht.«
Adam schüttelt schnell den Kopf. »Nein, ich meinte auch nicht... ich dachte nur.«
»Nee«, sagt Leo nochmal. Nimmt einen großen Schluck Tee, schweigt für einen langen Moment. Schaut irgendwo ins Nichts vor sich, in seinen Augen jetzt ganz deutlich dieser sorgenvolle Blick. »Das war alles ganz schön krass«, sagt er schließlich.
Adam nickt. »Ja«, sagt er fast tonlos.
»Manchmal denk ich...«, fährt Leo fort. »...manchmal denk ich, ich hab das damals alles gar nicht richtig verstanden. Oder überhaupt mitbekommen. Also irgendwie natürlich schon. Aber irgendwie auch überhaupt nicht.«
»Ja«, sagt Adam. »Ich auch nicht.«
Sie sehen sich an, ein bisschen ratlos, als wüssten sie beide nicht, was sie sagen sollen. Adam presst die Lippen aufeinander, löst seinen Blick von Leos Augen, sieht irgendwo neben ihm an die amtsstubengraue Schrankwand. Weiß nicht, ob er es sagen soll, ob er es sagen sollte. Aber will es sagen, muss es sagen. Er sieht ihn wieder an, hält den Blick diesmal. »Ich hab dich vermisst«, sagt er dann.
Leo öffnet den Mund, schließt ihn wieder, sieht ihn nur an.
»Auch damals schon«, setzt Adam hinzu. »Danach. Als wir noch in der Schule waren.«
»Ich...«, setzt Leo an, aber sagt dann nichts, presst nur die Lippen aufeinander.
Adam schiebt einen Fingernagel über die Kunststofftischplatte. »Du warst auf einmal irgendwie... nicht mehr da«, sagt er so leise, dass er fast nicht glaubt, dass Leo es überhaupt hören kann.
Doch Leo atmet tief durch, setzt dann nocheinmal an. »Ich dachte... ich wusste nicht, ob du mich noch brauchst.« Seine Stimme klingt ganz klein und dünn.
Adam sieht auf. »Natürlich hab ich dich gebraucht.«
»Aber...«, beginnt Leo, sucht nach Worten. »Ich wusste einfach nicht mehr, wie ich dir helfen sollte. Es war alles so... komisch. So scheiße komisch.«
»Helfen?«, fragt Adam. »Ich... ich hab einfach nur dich gebraucht. Dass du da bist. Dass du mein Freund bist. Dass du... ich weiß nicht... mit mir schweigst. Mich erträgst...«
Leo guckt ihn an und vielleicht ist es nur das dämmrige Licht und die späte Nacht, aber fast könnte Adam schwören, dass da Tränen in Leos Augen sind.
»Es war so...«, setzt Adam erneut an. Und wenn er eben noch vorwurfsvoll geklungen hat, dann klingt er jetzt schon wieder entschuldigend. Weil er es doch auch alles nicht weiß. »Es hätte alles so gut sein können«, sagt er. »Aber es war nicht gut.«
»Ich weiß«, sagt Leo leise.
»Ich wusste nicht, ob ich traurig sein soll oder erleichtert oder wütend oder...« Er hebt hilflos die Schultern. »Und irgendwie war ich alles auf einmal.«
Leo sieht ihn an, mit verkniffenem Gesicht und diesmal ist Adam sich sicher, dass da Tränen in seinen Augen sind.
»Es tut mir leid«, sagt Leo tonlos und streckt dann eine Hand aus, langsam über den Tisch, auf Adams Seite, da wo sein linker Arm flach auf dem Tisch aufgestützt liegt und legt seine Fingerspitzen vorsichtig an den Ärmel von Adams Jacke.
Ein Moment lang betrachtet Adam nur Leos Fingerspitzen, die sich sanft in den steifen Stoff seiner Jacke drücken.
»Ich dachte irgendwie immer...«, setzt er an. »Ich dachte, du bist vielleicht irgendwie sauer auf mich.«
»Sauer?!«, fragt Leo.
Adam legt den Kopf schief, sieht ihn bittend an. Leo wird ja wohl wissen warum.
Leo schüttelt energisch den Kopf. »Ich war doch nicht sauer auf dich. warum... nein. Ich dachte einfach... ich dachte irgendwie, du wolltest mich nicht mehr.«
Adam sieht ihn an. »Ich konnte nicht Leo... ich war so... so überfordert. Ich konnte nicht.«
»Ich weiß«, sagt Leo. »Ich weiß. Es tut mir Leid. Ich hätte dir Zeit geben müssen. Ich hätte... Es war alles… Ich wünschte, es wäre alles anders gewesen.«
Er spricht nicht weiter, starrt nur aus dem Fenster in die dunkle Nacht. Er hat seine Hand zurückgezogen, hält jetzt damit die Teetasse umklammert.
»Was hättest du gemacht, wenn mein Vater nicht ermordet worden wäre?«, fragt Adam.
»Dann hätte ich ihn umgebracht«, sagt Leo, ohne seinen Blick vom Fenster zu lösen.
Adam lacht unwillkürlich auf, aber Leo sieht ihn nur an und Adam fragt sich, ob Leo das womöglich ernst gemeint hat. »Ich meinte im Bezug auf uns«, sagt er dann aber.
»Keine Ahnung«, sagt Leo und seufzt. »Ich weiß es nicht. Wie soll ich das wissen.«
Adams Handy vibriert. Einen Moment lang versucht er, es zu ignorieren, aber es nützt ja nichts. Er zieht es aus der Tasche, sieht Leo entschuldigend an und geht ran.
Es ist seine Kollegin. Sie hat eine Pflegefamilie. Eine ganz nette, er kennt sie, ein etwas älteres Ehepaar mit drei erwachsenen Kindern und einem Kind in Langzeitpflege. Er hat schonmal zwei Kinder da untergebracht. Sie sagt ihm trotzdem nochmal die Adresse und er gibt ihr die Daten von Matteo durch, schildert grob die Umstände. Sie müssen das alles noch in einen Bericht packen bis morgen.
»Und?«, fragt Leo, als Adam aufgelegt hat.
»Riegelsberg«, sagt er.
Leo nickt.
Sie schweigen einen Moment. Adam wendet das Handy in seiner Hand, würde gerne noch etwas sagen, aber weiß nicht, was.
»Kriegst du dann noch mit, was mit ihm wird?«
Adam nickt, erleichtert über die Frage. »Ja, klar.«
»Sag mir mal Bescheid«, sagt Leo. Seine Augen sind wieder klar, er wirkt gesammelt, fast, als wäre nie etwas gewesen.
»Klar«, sagt Adam. »Mach ich.«
Leo kramt etwas aus seiner Innentasche. Eine Visitenkarte. Adam nimmt sie, liest und lächelt. Landespolizeipräsidium Saarland, Kriminalhauptkommissar Leo Hölzer, LPP 213, Erste Mordkommission.
Dann zieht er seinerseits eine Visitenkarte aus seiner Innentasche und gibt sie Leo, lässt ihn einen Moment lang lesen und sagt dann: »Ich hab immer noch meine alte Handynummer übrigens.«
Leo sieht auf und verdreht die Augen. »Ja, ich auch«, sagt er und dann müssen sie beide lachen.
Es hat tatsächlich aufgehört zu regen. Nur der Gehweg ist noch nass, der Rasen vor dem Haus eine einzige große Pfütze. Er streicht Leo über die Schulter zum Abschied, aber nur, weil in den Arm nehmen ja schlecht geht mit Matteo auf dem Arm. Leo verspricht, dass er ihn anruft. Dass sie sich mal wieder treffen. Dass Adam mal seine Kinder kennenlernt. Er dreht sich noch ein letztes Mal um und winkt. Dann öffnet er die hintere Autotür — auf der Seite, wo er für den Fall immer einen Kindersitz stehen hat. Vorsichtig setzt er Matteo hinein, schnallt ihn an, schiebt ihm das Plüschschaf unter den Arm und legt ihm dann die Jacke über, schließlich ist er immer noch nur im Schlafanzug.
Doch er hat gerade die Tür geschlossen, will rumgehen auf die Fahrerseite, als er seinen Namen hört. Es ist Leo. Er dreht sich um. Leo steht da auf der anderen Straßenseite zwischen dem Bulli und dem Leichenwagen und sieht zu ihm rüber.
»Warte!«, sagt er, während er einfach da steht, sich nicht rührt. Wie als wäre er unschlüssig. Wie als wüsste er selbst nicht, worauf. Sieht sich dann um, als ob er prüfen wollte, ob ihn irgendjemand beobachtet. Kommt dann rüber, langsam erst und immer schneller dann. Bis er vor ihm steht und ihn ansieht mit einem ganz sonderbaren Blick. Aber noch bevor Adam sich wundern kann, bevor er sich fragen kann, was das jetzt soll, bevor er irgendwas begreift, da küsst Leo ihn. Küsst ihn, etwas zögerlich erst, aber viel bestimmter dann, legt seine Hände an Adams Gesicht, ist warm und weich und an der Oberlippe ein bisschen kratzig. Schmeckt nach Pflaume-Zimt.
So plötzlich, wie es angefangen hat, so plötzlich hört es auch wieder auf. Nur einen kurzen Moment lang hält Leo Adams Gesicht noch in den Händen. Dann lässt er ihn los, sieht ihn nur an.
»Das hätte ich gemacht«, sagt er. »Ich hätte dich zurückgeküsst.«
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ich-bin-der-baer · 2 years
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Random German Vocabulary (84)
das Blutgefäß (pl. die Blutgefäße) -- blood vessel der Gegenpol -- polar opposite; antithesis das Natron -- bicarbonate of soda die Sprühflasche -- spray bottle
johlen -- to hoot; to yell sich (etwas) verkneifen -- to refrain from (something); to stifle (something) (etwas) vermurksen -- to mess (something) up sich winden -- to twist; to squirm
atmungsaktiv -- breathable [fabric] senkrecht -- vertical unverhofft -- unexpected verträglich -- good-natured; agreeable
ätherisches Öl -- essential oil mit einem Affentempo -- at breakneck speed klirrende Kälte -- bitter cold idealer Nährboden -- ideal breeding ground
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liedpoesierebscher · 11 months
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halbwegs
zurecht gezupft
bin wieder nur zur Hälfte
funktions/
tauglich
Ist es sinnvoll
in so einem Zustand
sich kritischen Blicken
auszusetzen?
Unvollkommenheit
ungeniert aushalten
damit fände er sich
langsam wieder
sagte ein gescheiterter
Leidensgenosse und
legte den Arm
um mich
unverhofft
ganz allmählich
fühlte ich mich
vollkommen
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dragodina · 11 months
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Da starre ich für nen Moment einfach mal so vor mir her, kommt mir unverhofft wieder der viel zu ungerechte und zu frühe Abschied von Julia Grosz in den Kopf, springt zum nahenden Abschied von Karin Gorniak um ...
Und was macht mein Kopf daraus?
"Oh wait, hab ne Idee! Was, wenn Grosz umsiedelt, gerne natürlich für und mit Tine, ne neue Abteilung gründet oder leitet und Gorniak abwirbt und mit in ihr Team holt? Nice one, oder? To be continued ..."
Ich ahne schlimmes ... manchmal hasse ich meinen Kopf, den Traitor. Der hört da jetzt doch nicht einfach auf ... 🙈
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lightningxdagger · 3 months
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Manchmal lernt man unverhofft jemanden besonders kennen, der das Leben des anderen komplett auf dem Kopf stellt, die Dinge in einen anderen Licht sehen lässt die so vor was anderes bedeutet haben und du hast mein Leben auf denn Kopf gestellt. Du bist meine Gravitation, mein Anker in Schweren Stürmen, mein Schatten an warmen Tagen. Du bist mein Zuhause, mein Herz und meine Seele. Ich werde dich lieben in deinen Guten und Schlechten Tagen so wie deine Dämonen und deine Engel. Ich bete, dass meine Tage an deiner Seite lang sein werden. Möge deine Hand in meiner liegen, bei Sonne und bei Nacht, bei Regen und Sonnenschein @xwingleader
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shadowrvler · 25 days
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WRITING / PAST
Obgleich draußen die Sonne schien und die ersten zarten Knospen zum Leben erweckte, knisterte im Inneren der kleinen Holzhütte ein Feuer im Kamin. Es war das einzige Geräusch, welches in jenem Moment an seine Ohren drang, abgesehen von seinem eigenen, leisen Atem. Er genoss die Stille. Normalerweise wuselte der alte Mann durch die Hütte, als wäre er ständig auf der Suche nach etwas. In Wahrheit jedoch war er einfach nur ein höchst unruhiger Geselle. Außer in seinen Lehren. Kaum jemand konnte behaupten, einen solch geduldigen Mentor zu haben wie Lucien. Dass er eben jene Geduld am heutigen Tage wieder auf die Probe stellen würde, ahnte der Junge in diesem Augenblick noch nicht.
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Sein Blick war aus dem Fenster gerichtet. In der Ferne unten im Tal, wo einst eine malerische Landschaft die Herzen der Menschen hatte erblühen lassen, ragte nun eine Ruine aus den verkohlten Überresten der Häuser und des Waldes empor. Niemand kümmerte sich darum. Niemand kam diesem Ort überhaupt nahe genug, um Veränderung zu bringen. Stattdessen erzählte man sich Gruselgeschichten darüber, wie man noch heute die Schreie der Menschen hören konnte, welche vor Jahrzehnten die Luft zerrissen hatten, als das Feuer über die Stadt hereingebrochen war. Einige behauptete sogar, es sei ein Schattendrache gewesen, der das Schicksal jener kleinen Stadt besiegelt hatte. Lucien hatte daran seine Zweifel. Nicht viele Drachen waren bösartiger Natur gewesen. Nur jene mit schwachem Geiste, die sich dem falschen Herrn unterworfen hatten. Man konnte sie wohl an einer Hand abzählen.
Es war jedoch nicht das Schicksal dieser Menschen, die den Jungen davon abhielten, seinen Blick von dem Grab im Tal abzuwenden. Es war sein eigenes. Die Tatsache, dass auch die Menschen hier friedlich das Fest des Lichts gefeiert hatten, als das Elend so unverhofft über sie hereinbrach. Es war, als wären jene Festlichkeiten verflucht. Dabei hatte er sie doch so sehr geliebt.
Das Fest des Lichts kündigte den Frühling an. Die wärmere Jahreszeit, welche nicht nur die lange Dunkelheit der Nacht, sondern auch jene in den Gemütern der Menschen vertreiben sollte. Überall im Land sehnte man sich den ganzen Winter über danach, die Straßen zu schmücken, wie es Tradition war, kaum dass die Tage länger wurden. Mit großer Vorfreude erwartete man in den Städten Händler und Schauspieler aus allen Ecken des Reiches. Dementsprechend groß war die Hilfsbereitschaft, sobald es an der Zeit war, die Stände und Bühnen vorzubereiten.
Lucien und seine Familie zogen ebenfalls jedes Jahr von ihrem kleinen Dorf in die nächste große Stadt. Jedes Mal, ohne auch nur eine einzige Ausnahme, war der Junge überwältigt gewesen von den gigantischen Mauern, welche die Einwohner und die große Burg schützte und ihnen die Möglichkeit gewährte, trotz der dunklen Zeiten zu gedeihen. Ein friedliches, beinahe unbeschwertes Leben zu führen. Er hatte sich tragen lassen von der Sorglosigkeit und Offenherzigkeit der Städter. Das Überleben auf dem Land war schwierig. Mehr als nur ein Mal hatte man ihre Felder und Vorräte ausgeraubt. Mehr als nur ein Mal war sein Vater dem Tode durch die Klinge eines Diebes nur knapp entkommen. Wenn er davon gezeichnet war, ließ er es sich allerdings nichts anmerken. Lucien hatte seinen Vater als frohen Mann in Erinnerung. Einen Mann, der zwar hart für seine Familie arbeitete, für Frau und Kind alles riskierte, dem man aber dennoch das Lachen nicht nehmen konnte. Niemand hätte eine solch liebevolle Frau wie seine Mutter eher verdient.
Die Festlichkeiten zum Frühlingsbeginn waren die wenigen Tage im Jahr, an welchen er viel Zeit mit beiden verbrachte. Sonst hatte er kaum etwas von seinem Vater. Dementsprechend hatte es für den Jungen nichts Schöneres gegeben, als auf dessen Schulter zu sitzen, während er sich das Schauspiel einer Gruppe vorne auf der Bühne ansah. Oder während sie durch die Reihen von Marktständen geschlendert waren. Öfters einmal war sein Kopf dabei an den seines Vaters gesunken, während Lucien vor Erschöpfung die Augen zufielen. Er war stets in den Armen seiner Mutter wieder aufgewacht.
Der Frühling hatte für Lucien stets bedeutet, seinen Eltern so nahe zu sein, wie es ihm selten vergönnt war. Einen Ort zu sehen, der so wunderschön und aufregend war, dass er noch Wochen später davon träumte. So wie die Blüten war auch sein Herz aufgegangen und hatte den Trübsinn der vergangenen Monate vertrieben.
Heute jedoch war es so ganz und gar anders um ihn bestimmt. Das letzte Fest des Lichts war im Lichte der tödlichen Flammen geendet, die ihm alles genommen hatten, was er einst geliebt hatte. Er wusste folglich nur zu gut, wie sich die Hinterbliebenen der Tragödie im Tal fühlen mussten. Mit dem Unterschied, dass er heute noch genau wusste, wer daran die Schuld trug. Nicht, dass es irgendeine Rolle spielte. Nicht heute. Heute war es der Frühlingsbeginn, den er verachtete. Den Hauch warmer, wohlduftender Luft, der ihn heute Morgen aus dem Schlaf geholt und ihn aus dem Bett gezwungen hatte, da er das Fenster in Erinnerung an jenen schicksalshaften Tag lieber wieder geschlossen wusste. Nichts an jenen Tagen brachte ihm noch Freude. Die Aufregung in seinem jungen Herzen war überschattet von der schmerzhaften Erinnerung an seinen Eltern und den letzten Tagen, die er mit ihnen verbracht hatte. Wenn nicht einmal mehr die Farben und Düfte des Frühlings ihm Freude bringen konnten, was wäre dann noch dazu in der Lage?
Er rümpfte die Nase, als der erste Schmetterling des Jahres am Fenster vorbeiflog. Wie kitschig. Als wäre das Leben ein Märchen. Schlimmer noch wäre es gewesen, wenn ein kleines Mädchen mit blondem Haar und in weißem Kleid erschienen wäre, welches die Blumen von der Wiese pflückte. Zu seinem Glück wurde Lucien jedoch davon verschont. Er war noch viel zu jung um zu begreifen, dass er Abscheu und Wut nutzte, um mit seinem Kummer umzugehen. Diesen zu übertünchen. Niemals sollte er begreifen, dass es sich um einen kläglichen Versuch handelte, der zum Scheitern verurteilt war.
Mit einem stummen Seufzen rutschte der Junge von der Fensterbank hinunter. Auch wenn er alleine war, tapste er auf leisen Sohlen hinunter zum Lebenswerk seines Meisters. Ein aufwendig verziertes Pult trug das dicke Buch, an welchem Kyrell arbeitete, seitdem er selbst als Lehrling vor über einem Jahrhundert begonnen hatte. Er war einer der letzten Magier dieser Welt. Einer der mächtigsten Männer und doch lebte er in einer Holzhütte am Waldrand. Versteckte sich und sein Wissen vor der Welt. Lucien würde niemals verstehen, weshalb sein Meister diesen Weg für sich gewählt hatte, wenn er doch dort draußen für das Gute kämpfen könnte. Vielleicht war er einfach ein Feigling. Ein kluger Feigling, der etwas von seinem Handwerk verstand, aber immer noch ein Feigling.
Lucien blätterte durch die dicht beschriebenen Seiten. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war leer, fast gelangweilt, als würde er nicht nach einem ganz bestimmten Zauber suchen, der sein Problem mit dem Frühling lösen konnte. Der Frühling konnte ihn nicht bedrücken, wenn es gar keinen Frühling gab, nicht wahr? Immerwährender Winter. Der Junge dachte, das wäre die Lösung für seine Probleme. Die Heilung für seinen Kummer. Er wusste, dass sein Meister einen Spruch dafür gefunden und niedergeschrieben hatte... Nur wo?
„Weißt du..." Er erschrak, als er hinter sich die vertraute Stimme seines Lehrers vernahm. Sofort ließ er von dem Buch ab, welches er ohne dessen Beisein eigentlich überhaupt nicht hätte anfassen dürfen. Lucien stolperte ein paar Schritte zurück, obwohl er sehr wohl wusste, dass von Kyrell keine Gefahr ausging. Nein, der Magier schien ganz und gar entspannt zu sein. Er legte den Sack mit frischem Gemüse auf die Bank neben der Türe und löste seinen Mantel, um diesen aufzuhängen. Dabei fuhr er fort: „Es ist eine Unart, die eigenen Probleme zu lösen, indem du andere ins Verderben stürzt."
„Ins Verderben stürze?", wiederholte der Junge Kyrells Worte ganz ungläubig. Er begriff nicht, was er ihm damit sagen wollte. Dabei überraschte es ihn ganz und gar nicht, dass sein Meister genau zu wissen schien, was er im Begriff gewesen war zu tun. Es war nicht das erste Mal. Vermutlich war es nicht einmal ein Zufall, dass er gerade jetzt von seinem Ausflug zurückgekehrt war. Lucien nahm eine verteidigende Haltung ein, auch wenn er nicht wirklich wusste, was er erwidern konnte.
„Ich erinnere mich, es ist schon eine Weile her...", setzte Kyrell an, um ihm seine Worte zu erklären. Dabei trat er an das Pult, strich über die offenen Seiten. „Du hast mir damals erzählt, wie deine Eltern umgekommen sind. Du hast mir vom Fest des Lichts erzählt. Wie sehr du dieses geliebt hast. Wie viel Freude du daran hattest und wie viel glücklicher du warst, wann immer der Frühling dem kalten Winter Einhalt gebot."
Lucien nickte, noch immer nicht ganz sicher, was sein Meister von ihm hören wollte. Auch er erinnerte sich daran. Natürlich. Er hatte den ganzen Tag schon an nichts anderes gedacht. Kyrell schloss das Buch, versiegelte es mit einem Zauber, dem sein Lehrling noch nicht mächtig war. Sein Blick wanderte gleich darauf zu Lucien. Prüfend, als suchte er etwas bestimmtes in dem Antlitz des Jungen. Etwas, das seine leisen Sorgen bestätigte. „Der Winter ist eine dunkle Zeit. Nicht nur, da die Nächte länger anhalten. Das wissen wir beide. Es ist der Frühling, der den Menschen Hoffnung schenkt. Neuen Mut. Der sie stets daran erinnert, dass nach Dunkelheit und Kälte, irgendwann auch wieder Licht und Wärme folgt. Wenn du ihnen das nimmst, Lucien, dann begibst du dich auf einen düsteren Pfad. Du wirst die dunklen Mächte dieser Welt ermuntern. Und so dankbar, wie sie dir dafür sein werden, werden sie einen Weg in dein Herz finden. Einen Weg, den du ihnen selbst geebnet hast." Während er sprach, trat Kyrell auf seinen Lehrling zu. Schon seit er ihn kannte, sorgte er sich um dessen Schicksal. Er sah, dass Dunkelheit und Licht um seinen Verstand rangen. Seine Absichten waren edel, doch seine Methoden gefährlich, egozentrisch. Doch er war noch ein Junge. Noch bestand Hoffnung für ihn. So also schenkte er ihm ein Lächeln, legte ihm beide Hände an die Schultern. „Die Menschen brauchen den Frühling und das, wofür er steht. Ebenso wie du. Irgendwann wirst auch du dich wieder daran entsinnen. Das weiß ich."
Lucien musste dem Drang widerstehen, ein erneutes Mal seine Nase zu rümpfen. Stattdessen verließ ein leises Seufzen seine Lippen und er wandte seinen Blick von seinem Meister ab. Er hatte schon lange die Hoffnung darauf aufgegeben, von ihm verstanden zu werden... Doch wer sonst sollte ihm Magie lehren? Heute noch war er auf ihn angewiesen. Irgendwann jedoch... Irgendwann würde sich das ändern.
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danielanoitz · 2 years
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Die Reise nach Montpellier (2)
Die Reise nach Montpellier (2)
„Was ist passiert? Wie bist Du nach Montpellier gekommen?“, fragte Diana, als Kendra endlich mit ihr telefonierte. „Mit dem Auto“, antwortete diese lapidar. „Was heißt mit dem Auto?“, zeigte sich Diana überrascht. „Ich habe ja ein Auto“, meinte Kendra. „Ja, aber keinen Führerschein, also wie bist Du dahingekommen und warum“, insistierte ihre Mutter. „Eine Freundin ist gefahren und nun ja, wir…
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except4bunnies · 2 years
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🎄 Advent, Advent mit Julia Grosz & Thorsten Falke 🎄
Julia Grosz und Thorsten Falke, platonisches Tatort-Traumpaar in Hamburg und Umgebung, sind im Vorweihnachtsstress: Auch im Advent ruhen sich die Schurken nicht aus, schießt Amor Pfeile durch die Gegend, gibt es dicke Kater, die Betreuung verlangen. 24 Kalendergeschichten, in denen, natürlich, auch Tine Geissler, Ela Erol, Judith Reetz und Co. die Glocken zum Klingen bringen.
🚪 Türchen 1: Anders als gedacht von @caromitpunkt
Passend zum Datum bekommen Julia und Falke von ihrer Chefin ebenfalls Adventskalender. Falke ist begeistert - Julia hingegen muss noch etwas überlegen, wie sie dazu steht.
🚪 Türchen 2: Für die Katz von @except4bunnies
„Allergisch gegen Katzenhaare bist du nicht, oder?“
Elliot, Thorsten Falkes rot-weißer Kater, wohnt vorübergehend bei Julia Grosz. Elliot liebt Julia aus tiefstem Katzenherzen – und ist fest entschlossen, auch ihr doch etwas zögerliches Menschenherz zu erobern. Ob es ihm gelingen kann, während er ihr Sofa vollfusselt? @missdemeanoure ganz lieben Dank für dein Song-Prompt. Hier steckt ein bisschen Rosenstolz drin.
🚪 Türchen 3: Jedes Jahr, wenn Weihnachten ist von @caromitpunkt
Was schenkt man jemandem, der wenig Wert auf Materielles legt? Eine Frage, die viele sich jedes Jahr wieder stellen. Auch Falke und Tine, die sich treffen, um zusammen bei der Frage über potenzielle Weihnachtsgeschenke für Julia zu verzweifeln.
🚪 Türchen 4: Wiedersehen im Schnee von @except4bunnies
„Wen muss ich umbringen?“
„Niemanden mehr.“
Julia Grosz und Ela Erol treffen sich unverhofft wieder. Spielt nach „Alles was Sie sagen“ (Julia geht’s, danke der Nachfrage, wieder hervorragend) und vor „Schattenleben“.
🚪 Türchen 5: Für immer von @caromitpunkt für @captmatti
Für Julia war das Konzept der Ehe schon immer etwas veraltet und kein Gedanke, an den sie besonders viel Zeit verschwendet hätte. Tine findet das alles dagegen sehr romantisch und träumt heimlich von einer feierlichen Hochzeit mit ihrer langjährigen Partnerin.
🚪 Türchen 6: Morgen kommt der Nikolaus von @caromitpunkt
Eigentlich wollte Julia heute Abend mit Tine etwas essen gehen, vielleicht später auch noch auf einen Kaffee mit in ihre Wohnung kommen. Tines Pläne haben sich spontan jedoch etwas geändert - für sie aber kein Grund, Julia nicht auf eine nächtliche Fahrt durch Hamburg mitzunehmen.
🚪 Türchen 7: Santa Pauli von @except4bunnies
„Wir sind kein Paar.“
„Das tut mir jetzt aber leid für Sie.“
Julia Grosz und Thorsten Falke trinken Likör auf dem etwas anderen Weihnachtsmarkt an der Reeperbahn. Unter anderem.
🚪 Türchen 8: Küssen verboten von @except4bunnies
„Katia und ihr blöder Lippenstift.“
„Gibt’s da etwas, das ich wissen sollte?“
Julia Grosz sitzt in der Mistelzweig-Falle.
🚪 Türchen 9: Weiße Auszeit von @caromitpunkt
„Ein paar Tage Urlaub, mitten unter der Woche, nur wir zwei. Was sagst du?“
Julia und Tine gönnen sich eine winterliche Auszeit im Harz. Falke und sein Sohn ebenfalls.
🚪 Türchen 10: O Tannenbaum von @except4bunnies für @dragodina
„Muss ich backen?“
„Auf keinen Fall!“
Tine Geissler hat versprochen, sich in der Vorweihnachtszeit um das elterliche Café zu kümmern. Das geht nur schlecht, wenn man sich aufs Glatteis und die Nase legt. Wie gut, dass Tine vor wenigen Monaten eine gewisse Julia Grosz kennengelernt hat …
🚪 Türchen 11: Nicht ohne mich von @caromitpunkt
Die Autobahnpolizei wichtelt, wie jedes Jahr. Was kein Problem wäre, wenn Tine nicht ausgerechnet für eine Kollegin ein Geschenk bräuchte, die ein Auge auf sie geworfen hat.
🚪Türchen 12: Stille Nacht von @except4bunnies
Ich hab Sie schließlich hierher nach Hamburg geschleppt, dann können Sie jetzt auch mal ein Bier mit mir trinken.“
„Sie haben mich nicht geschleppt und ich mag kein Bier.“
Julia Grosz „feiert“ Weihnachten – in fünf verschiedenen Jahren und auf höchst unterschiedliche Art und Weise.
🚪Türchen 13: Unverhofft kommt oft von @caromitpunkt
Alternatives Coffee-Shop-AU: Falke will Glühwein. Julia will einen Kaffee. Tine hilft bei einem Glühweinstand aus. Und hat keinen Kaffee.
🚪Türchen 14: Hand in Hand von @except4bunnies
„Möchtest du meinen Pinguin haben?“
Julia Grosz, Tine Geissler und ein typisches Hamburger Winterdate.
🚪Türchen 15: The Soundtrack Of Our Lives von @except4bunnies
„Du weiß also noch, was das ist.“
„Falke, ich bin jünger als du, aber trotzdem alt.“
Auch Julia Grosz und Thorsten Falke zelebrieren die obligatorische Weihnachtsfeier im Büro – und am Ende hat Falke da noch was für Julia.
🚪Türchen 16: Endlich ein Grund zur Panik von @caromitpunkt
„Du müsstest bis morgen auf Fiete aufpassen.“
Tine hat einer Kollegin versprochen, auf ihren schwarzen Schäferhund aufzupassen. Julia ist skeptisch und wenig begeistert.
🚪Türchen 17: Fußball ist immer noch wichtig von @caromitpunkt
Tine lädt Julia zu einem etwas anderen Date ein. Fußball hat Julia bisher nie sonderlich interessiert, aber vielleicht, nur vielleicht, ist es an diesem einen Abend mal in Ordnung.
🚪Türchen 18: Schöne Bescherung von @except4bunnies
„Die ruft sicher nicht an.“
„Ich habe ihr die Adresse vom Attacke aufgeschrieben.“
Julia Grosz, Thorsten Falke und ein weihnachtlicher Einbruch am Hamburger Hafen.
🚪Türchen 19: Was bringt der Dezember von @caromitpunkt
„Moin, Verkehrskontrolle. Führerschein und Papiere, bitte.“
Julia gerät auf der Autobahn in eine Verkehrskontrolle - mit einer etwas zu eifrigen Polizistin.
🚪Türchen 20: Männergrippe von @except4bunnies
„Hab mir was eingefangen.“
„Hört sich nach Männergrippe an. Viel Lärm um nichts.“
Thorsten Falke ist krank. Also wirklich. Schade nur, dass ihm das keiner glaubt.
🚪Türchen 21: Last Christmas von @dragodina
Weihnachtsfeier bei den Hamburger Polizeidienststellen.
Es liegt etwas in der Luft.
Wenn da nicht Erinnerungen wären.
An letztes Weihnachten.
Und eins, das viele Jahre zurückliegt.
🚪Türchen 22: Irgendwas bleibt von @caromitpunkt
Tine und Julia verbringen ihren ersten Heiligabend zusammen.
🚪Türchen 23: Another Year Has Gone By von @dragodina
"Hallo? Hast du dich mal angesehen? Kann ich was dafür, wenn da aus dem Nichts eine unglaublich attraktive, selbstbewusste, gescheite und absolut wunderbare, großgewachsene Blondine mit mysteriösen, kastanienbraunen Augen vor mir steht?" “Du hast mich halt vom ersten Augenblick an fasziniert. Also so richtig. So, dass es mir den Boden unter den Füßen weggerissen hat.""Du mich doch auch …" Wenn die Faszination füreinander genauso groß ist, wie die für den seltenen Schnee in Hamburg. So majestätisch, so edel, so anmutig. Und Julia begreift, dass Tine nicht die Einzige war, die im Moment der ersten Begegnung von Amors Pfeil getroffen wurde ...
🚪Türchen 24: If you wanna be my lover von @except4bunnies
„Sie macht mir Angst. Also … die in der Mitte.“
„Scary Spice ist aber eigentlich die ganz rechts.
Julia Grosz und Tine Geissler stranden an Heiligabend in Tines altem Kinderzimmer.
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lalalenii · 1 year
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Fic Roundup: Interludes - Interpretierte Stories aus Rocky Beach
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Eine Freundschaft, die unzerstörbar, unüberwindbar scheint, zerbricht. Zwanzig Jahre vergehen und so sehr sie versuchen zu entkommen, werden Justus, Peter und Bob immer wieder mit den Trümmern ihrer Vergangenheit konfrontiert.
Basierend auf "Rocky Beach eine Interpretation" von Christopher Tauber und Hannah Wenzel
Full Series | Playlist
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Eine Interaktion | 1.4k | Justus (& Bob)
Das Auto in Rocky Beach zu sehen, überraschte ihn nicht mehr. Oft genug sah er es in einer Seitenstraße, unweit seines Ladens. Und oft genug lag Bob Andrews darin, um seinen Rausch auszuschlafen.
Eine Interferenz | 1.6k | Peter (& Kelly)
Seine Heimat hat Peter längst hinter sich gelassen. Ein Neustart, neu anfangen, ohne die alte Last. Jahre vergehen. Sein Leben ist, wie es sein sollte: er hat einen guten Job, eine Frau, die er liebt. Doch immer wieder greift die Vergangenheit nach ihm, hält ihn eisern im Griff.
Eine Interdependenz | 3.1k | Bob (& Jeffrey)
Bob kehrt nur selten nach Rocky Beach zurück. Los Angeles hat alles was er braucht. Als er für eine Beerdigung schließlich wieder in der Stadt seiner Kindheit landet, sieht er die Chance für eine Begegnung mit einem alten Freund. Doch der Freund der ihn empfängt ist nicht der, den er erwartet hat.
Eine Interaktion | 3.9k | Bob (& Henry)
Ist nur 'ne Phase, ist nur 'ne Nase – Bob hat einen richtigen Grund zu feiern. Mit seiner Idee für eine Crime-Serie konnte er einen großen Sender überzeugen. In Hollywood hat er jetzt mehr als einen Fuß in der Tür. Bei der Party seines neuen Arbeitgebers läuft sein Abend jedoch – wieder einmal – aus dem Ruder. Unverhofft steht ihm aber ein alter Bekannter zur Seite.
Eine Interpolation | 5.5k | Bob & Justus & Peter
Seit der Explosion auf dem Schrottplatz sind einige Wochen vergangen und Justus, Peter und Bob werden von ihrem Alltag, ihren eigenen allzu unterschiedlichen Leben eingeholt. Um ihre neu gewonnene Verbindung aufrecht zu erhalten, forciert Bob ein weiteres Treffen. Doch außerhalb eines Falles, ohne Ermittlungen, die ihnen den Deckmantel des Teams, das sie einst waren verleihen, stellt sich schnell heraus, das nichts mehr so ist wie früher. Zwanzig Jahre gehen eben nicht spurlos vorbei.
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narbenherz · 9 months
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Auszüge aus dem Tagebuch des Tadeusz Broz'; 1708-1731; Gdańsk
16. April 1708
Nun sind es schon drei Wochen, seit unsere kleine Ewa das Zeitliche gesegnet hat. Die Stille und Leere im Haus sind unerträglich. Doch was mich am meisten beunruhigt, das ist der Zustand meiner lieben Radomila. Der Verlust scheint sie noch stärker mitzunehmen als mich. Ich vermag mir ihr Leid gar nicht vorzustellen und vielleicht ist es auch gut, dass mich die Trauer nicht derart lähmt. Ihre Apathie ist nicht zu ertragen. Nicht einmal ein Aufenthalt an der Ostsee konnte ihre Laune heben, dabei waren Ewa und sie mal verrückt nach diesem Anblick gewesen.
Ich weiß nicht, wie ich ihr helfen soll. Ob ich ihr überhaupt helfen kann. So Gott will, wird sie von dieser Trauer genesen.
04. Mai 1708
Ein sonderbarer Tag, anders kann ich es nicht beschreiben. Ich bekam unverhofft Besuch. Offensichtlich eilt mir der Ruf meiner alchemistischen Forschung voraus. Dabei habe ich diese schon vor Jahren eingestellt. Doch ein junger Herr, er stellte sich mir als Dryden Johnstone vor, muss während seines Studiums meine Abhandlungen in die Finger bekommen haben. Ich kann kaum glauben, dass meine Arbeiten es auf den Stundenplan der großen alchemistischen Akademien geschafft haben. Johnstone entpuppte sich als großer Bewunderer ebenjener. Als die Nachricht um den Tod Ewas die Runde machte, kam er nicht umhin, mich aufzusuchen - was ihm offensichtlich unangenehm war. Zugegeben, er hat sich nicht den besten Zeitpunkt ausgewählt, um mit mir Bekanntschaft zu machen, aber in diesen Zeiten ist es eine willkommene Ablenkung. Stundenlang haben wir uns über die Alchemie unterhalten und er unterbreitete das Angebot, mit ihm zusammen meine Forschungen wieder aufzunehmen. Mir gefällt sein Enthusiasmus - frisch aus der Ausbildung. Seine Begeisterung und sein Tatendrang erinnern mich an mich selbst, als ich in diesem jungen Alter war. Ich kann gar nicht sagen, wann ich diese erfrischende und aufregende Vernarrtheit in die Alchemie verloren habe. Johnstones Anerkennung, ja ich möchte fast sagen schiere Bewunderung, schmeichelt mir sehr. Dennoch habe ich um Bedenkzeit gebeten zwecks des Angebots. Im Moment ist mir nicht wohl dabei.
30. Mai 1708
Zu meiner großen Freude hat Johnstone Wort gehalten und ist zu unseren weiteren Unterredung erschienen. Sein Eifer ist ungebrochen, weshalb es mir umso mehr Freude bereitet hat, ihm zuzusagen. Wir werden mein Theorem neu aufgreifen und, so Gott will, vollenden. Johnstone ist ein kluger Mann und hat sein Studium erst frisch beendet - durch ihn können wir die aktuellsten Errungenschaften der Alchemie für uns nutzen, während ich meinen langen Erfahrungsschatz mit einbringen kann. Seit Ewas Tod habe ich mich nicht mehr so leicht gefühlt. Und nun bin ich voller Tatendrang und Zuversicht, dass wir es schaffen können. Für Ewa. Für Radomila. Für ein neues Zeitalter der Alchemie. Und natürlich auch für mich, sollte ich mein kleines Mädchen wirklich bald wieder im Arm halten können.
02. Juli 1708
Meine Liebe zur Alchemie ist neu entfacht. Mir ist, als wäre ich wieder Student. Ich habe vergessen, wie viel Lebensenergie einem eine Leidenschaft gibt und wir machen stetig Fortschritte. Die Formeln nehmen Gestalt an.
26. Februar 1711
Es ist vollbracht. Mir fehlen die Worte. All die Jahre schien es mir unmöglich, diese Formel zu vollenden. Die Lösung zu einer der größten alchemistischen Fragen, die es je gab. Wir haben die Welt revolutioniert. Nicht nur die der Alchemie. Die Naturgesetze wurden neu definiert. Es ist, als würde ich in das Antlitz Gottes blicken, ihm ebenbürtig sein. Und doch danke ich Gott, dass er uns diese Fähigkeiten mitgegeben hat. Ich werde ihm ewig dankbar sein, dass er ausgerechnet uns dazu befähigt hat. Dass er uns auserwählt hat. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass er mir die Chance gab, Ewa zurückzuholen. Ich werde sie hüten, wie meinen eigenen Augapfel.
11. Mai 1711
Etwas liegt im Argen. Erst glaubten wir, sie bräuchte nur ein wenig Eingewöhnung, aber ihr Zustand verbessert sich nicht. Sie ist immer noch so blass und schmächtig, wie am Anfang. Egal, wie sehr wir uns auch bemühen, das deftige Essen zeigt keine Wirkung. Wenn es nur dabei geblieben wäre ... Heute hatte sie einen Anfall. Uns ist es unerklärlich, was ihr fehlt. Es müssen ungeheure Schmerzen gewesen sein, doch sie hat den Zwischenfall gut überstanden. Radomila und ich beten für ihr Wohlergehen.
07. Januar 1712
Ewas Zustand verschlechtert sich zunehmend. Die Anfälle treten immer öfter auf und es bereitet mir so viel Leid, sie so zu sehen. Inzwischen haben wir schon mehrere Ärzte nach Rat gefragt, doch niemand kann uns helfen. Allem Anschein nach hat es mit dem Herzen zu tun.
03. September 1712
Da die Anfälle nicht abreißen, habe ich mich wieder in die Forschungsunterlagen geflüchtet. Ich kann nicht ausschließen, dass Johnstone und ich einen Fehler gemacht haben. Also überprüfe ich unsere Mitschriften. Im besten Fall kann ich den Fehler beheben. Inzwischen werde ich Johnstone einen Brief schreiben. Vier Augen sehen mehr als zwei.
19. November 1712
Meine Welt liegt in Trümmern. Ewa ging vor einer Woche von uns. Zum zweiten Mal. Die Ärzte haben sie postmortem untersucht - sie erzählten mir von einem völlig vernarbten Herz. Für Radomila war der erneute Verlust so unerträglich, dass sie ihr folgte. Ich kann den Schmerz nicht mehr ertragen. Und diese Schuldgefühle. Ich habe sie beide auf dem Gewissen. Wären ich und meine Eitelkeit nicht gewesen, hätte ich wenigstens noch Radomila an meiner Seite. Wir hätten diesen Schicksalsschlag gemeinsam überwinden können. Stattdessen war ich geblendet von meinem Können. Und von Johnstone ... Von ihm fehlt seit unserem Erfolg jede Spur. Wobei ich schon längst nicht mehr von Erfolg sprechen würde. Ich habe den Tod herausgefordert und Gott beleidigt. Sie haben mich auf meinen Platz verwiesen mit der schlimmsten Strafe, die einem Vater und Ehemann ereilen kann.
08. Dezember 1712
Ich habe Johnstone ausfindig machen können und ihn zur Rede gestellt. Kurz nach dem Verlust von Ewa und Radomila, habe ich mehrere Ungereimtheiten in den Formeln gefunden, die Johnstone und ich aufgestellt haben. Da ich sie zu Papier gebracht habe, konnte ich mich grob erinnern. Immer öfter entdeckte ich Symbole, die ich dort sicherlich nie platziert hatte. Sie ergaben keinen Sinn in Bezug auf meine Forschung. Erst glaubte ich, es wäre mein Verschulden. Dass meine Euphorie meine Genauigkeit beeinträchtigt hat. Doch die Unstimmigkeiten nahmen gewisse Muster an. Die falschen Symbole waren nicht zufällig dort gelandet. Es handelte sich eindeutig um Manipulation. Johnstone stritt meine Vermutung nicht ab. Im Gegenteil. Er schien stolz darauf zu sein. Von dem einst demütigen Studenten war nichts mehr übrig. Wenn ich ehrlich bin, war es, als würde ich in die hässliche Fratze des Teufels blicken. Zu allem Überfluss habe ich diesem Teufel auch noch eine Seele verkauft - nicht einmal meine eigene.
27. Dezember 1712
Ich habe von einem Kind gehört, ein paar Dörfer weiter, das Ewas rätselhafte Krankheit ebenfalls erleidet. Ich komme nicht umhin zu glauben, dass es kein Zufall ist. Also ging ich los, um der Familie einen Besuch abzustatten, mit Verweis darauf, was Ewa passiert war. Sie ließen mich zu ihrem Jungen. Er war erst einen Monat alt - sein Geburtsdatum entspricht dem Todestag Ewas.
Meine liebe Ewa, ich denke, ich habe dich gefunden. Welch ein Glück, dass deine ungebundene Seele nicht weit kam. So habe ich die Möglichkeit, dich bald zu mir zu holen.
15. Juni 1714
Es ist nun das dritte Mal, dass Ewa starb, wenn auch in Gestalt des kleinen Milosz. Ich ertrage das nicht mehr.
13. August 1714
Ich habe das neue Heim Ewas gefunden. Dieses Mal dauerte es noch länger, als das letzte Mal. Sie hat sich noch weiter von mir entfernt. Morgen werde ich meine Reise nach Berlin antreten. Dort ist sie jetzt. Diesmal unter dem Namen Martha. Ich kann es kaum erwarten, sie wieder bei mir zu haben. Ich bete dafür, dass uns diesmal mehr Zeit bleibt.
16. Oktober 1730
Ich weiß nicht, wie oft ich Ewa noch zu mir holen kann. Der Wechsel ihrer Wiedergeburten wird immer unberechenbarer und die Reisen verlangen mir viel ab. Ganz zu schweigen von den Recherchen, sie überhaupt ausfindig zu machen. Wären sie mir nur nicht auf die Schliche gekommen. In Gdańsk wird es allmählich ungemütlich für mich. Die Leute reden von Dingen, die sie nicht verstehen und doch kann ich es ihnen nicht verübeln. Es wird Zeit, unterzutauchen. Die Gerüchte haben inzwischen sogar schon alle Großen der Alchemie erreicht. Sie haben mir mein Opus Magnum und Minor bereits aberkannt und ich hörte davon, dass meine Lehren auf die schwarze Liste kommen. Die ersten Akademien und Bibliotheken verbrennen meine Werke. Ich werde mir etwas überlegen müssen, um wenigstens eine Abschrift für spätere Zeiten aufzubewahren. Für den Fall, dass jemand wirklich willens ist zu erfahren, was sich hier wirklich zutrug.
31. März 1731
Meine liebe Ewa,
dies ist, wie mir scheint, das Ende. Jedenfalls für mich. Ich wurde zum Tode verurteilt. Das Urteil überrascht mich nicht - ich könnte die Wahrheit niemandem begreiflich machen, der kein Alchemist ist. Ich vermute, selbst der Großteil der Alchemisten würde mir nicht glauben.
Es tut mir leid, was ich dir angetan habe. Ich hätte nicht versuchen dürfen, diese gottgewollte Grenze zu überschreiten. Doch glaube mir, ich tat es nicht, um dir zu schaden oder mich zu profilieren. Wenn überhaupt, dann tat ich es für Radomila, deine liebe Mutter. Sie war so unglücklich ohne dich und es bricht mir das Herz, dass ich euer Wiedersehen im Jenseits vereitelt habe.
Von nun an bist du auf dich allein gestellt. Glaube mir, wenn ich sage, dass ich jeden Tag versucht habe, meinen Fehler zu berichtigen und ich bedaure es, dass mir nun keine Zeit mehr bleibt und dass ich dich in dieser Welt zurücklassen muss. Ich hoffe, dass wir uns eines Tages auf der anderen Seite wiedersehen.
Dein dich liebender Vater,
Tadeusz Broz
#lp
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Tag 26 Le Havre 2. Teil
Pünktlich 14:15 Uhr starteten wir Richtung Etretat. Da der Weg durch Le Havre führte, bekamen wir unverhofft doch noch eine kleine Stadtrundfahrt mit dem Bus und Erklärungen zu den Sehenswürdigkeiten 😁.
Je mehr wir Richtung Kreidefelsen fuhren, desto schlechter wurde das Wetter. Unsere Reiseleiterin erzählte uns, dass es zur Zeit ungewöhnlich kalt in der Normandie ist, so kalt war es nicht mal im Winter. Normalerweise ist jetzt gerade der Übergang vom Frühling in den Sommer 🤔. Nicht schlimm, wir kommen ja von der Küste und sind Wind und schlechtes Wetter gewöhnt 😅. Außerdem hatten wir so viel Glück auf unserer Reise, da macht jetzt ein Regennachmittag auch nichts. Wahrscheinlich, weil wir so entspannt waren oder warum auch immer, kaum wanderten wir so knapp 10 Minuten im Regen bei einem ordentlichen Stürmchen, klarte mit einem Mal der Himmel auf, die Sonne schien und hielt tapfer 2 Stunden bis zum Ende der Wanderung durch. Auf den letzten Metern zum Bus, begann es wieder zu regnen. Was für ein riesengroßes Glück 🍀👍. So hatten wir auch auf unserem letzten Ausflug der Reise so wundervolle Erlebnisse und sind mega beeindruckt von den im Gegensatz zu unseren an der Ostsee doch komplett anderen Kreidefelsen.
Start der Wanderung mit Regen (auch wenn es nicht so aussieht 🤪)und Sturm, sieht aus wie zu Hause mit blühendem Raps im Hintergrund:
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Und da waren sie nun:
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Unten am „Strand“, alles voller Kieselsteine, deren Mitnahme mit strengen Strafen geahndet wird:
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Und wieder nach oben geklettert😅 Blick zurück:
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Und weiter geht’s Richtung Étretat mit spektakulären Ausblicken:
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Étretat in Sicht:
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Die Feuersteinbänder im Kreidefelsen sind hier waagerecht im Gegensatz zu unseren, die schräg verlaufen:
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Étretat ist ein Seebad mit ca. 1250 Einwohnern. Bis zur Rückfahrt des Busses hatten wir noch etwas Zeit, um über die Promenade und engen Straßen zu schlendern. Es gibt noch viele ursprüngliche Häuser, wo zu sehen ist, dass die Feuersteine als Baumaterial verwendet wurden.
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Auch ein gut erhaltenes Haus aus dem Mittelalter, dass noch heute als Hotel genutzt wird, haben wir entdeckt.
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Ansonsten gibt es natürlich jede Menge Restaurants, Cafés, Souvenirläden und Hotels. Erwähnenswert ist auf jeden Fall noch, dass viele Maler und Schriftsteller hier gewirkt haben, allein Claude Monet hat während seiner Aufenthalts hier mehr als 80 Gemälde geschaffen. Was wir auch nicht wussten, ein Teil der Handlung des Arsène-Lupin-Romans L’Aiguille creuse von Maurice Leblanc spielt in Étretat😅 Wir haben die Verfilmung genossen und werden uns das nächste Mal auch den Ort der Entstehung anschauen, die Hinweisschilder haben wir schon entdeckt 🤪
Gerade noch rechtzeitig um 18:30 Uhr gingen wir durch die Sicherheitskontrollen an Bord. Pünktlich 19:00 Uhr erklang ein letztes Mal „Sail away“.
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trauma-report · 5 months
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CHAPTER THREE: WAVES
  “Was hat sie gesagt?” wiederholte Jakow die Frage, auf die ihm bisher keiner eine Antwort gegeben hatte. Diesmal energischer, drängender und wenn er nicht gut darin gewesen wäre, Dinge zu überspielen, dann hätte man wohl auch Sorge aus seiner Stimme heraushören können. Tecuith hatte wie von Sinnen gewirkt, wie im Rausch, als sie gesprochen hatte und auch wenn der Russe nicht an Märchen und das Übernatürliche glaubte, spürte selbst er diese aufgekommene Bedrohlichkeit, die in ihrer Stimme mitgeschwungen hatte.  Meraz erhob sich wieder aus seiner hockenden Position vor der Ältesten und wandte seinen Blick nun ebenfalls dem Soldaten zu, der unverhofft im Zentrum der Aufmerksamkeit stand. Sich die Brille auf der Nase zurechtschiebend, sah er kurz selbst hinab zu der Steintafel, die er in den Händen hielt und die aussah, als hätte man sie aus irgendeiner Tempelwand herausgebrochen.  “Sie hat in einem Maya-Dialekt gesprochen, ich habe nicht alles verstanden, aber es klang, als würde sie von einer Ankunft sprechen. Irgendetwas mit einem Dämon und jemandem, der die Schöpfung in Frage stellt. Ein weißer Jaguar, der einen silbernen Schein in einen goldenen Ring verwandeln und damit Leben bringen wird”, übersetzte Meraz für ihn auf Englisch. Pacho, der inzwischen an Tecuith’s Seite getreten war, schien mit den Worten des Doktors jedoch nicht ganz so zufrieden zu sein. Und obwohl er es ihm wohl nicht schuldig gewesen wäre und lediglich der Schrecken, verbunden mit Irritation in seinen Augen für sich sprach, wiederholte er noch einmal, was die Älteste gesagt hatte. Nicht wie Meraz indirekt, sondern Wort für Wort. 
“Er ist da. Im Angesicht des Dämons. Er stellt die Schöpfung in Frage. Der weiße Jaguar wird den silbernen Schein in einen strahlenden, goldenen Ring verwandeln und damit das Ende einleiten", sagte er, während sein Blick klar auf Jakow lag, verunsichert und verwirrt. “Das hat sie gesagt. Kuxtal heißt Leben. Xuul bedeutet Ende oder Tod.” Nun klärte sich auch Pacho’s Blick wieder etwas mehr, als er zum Doktor blickte. “Wundert mich, dass gerade Sie den Unterschied nicht kennen.” 
Jakow glaubte nicht, den Doktor der Archäologie an ihrer Seite jemals so giftig dreinblicken gesehen zu haben, als er den Mann vor sich bedachte, der mit dieser Sprache offensichtlich aufgewachsen war. Doch die Sticheleien von zwei Männern, die zwar im gleichen Land lebten, aber im Grunde genommen doch unterschiedlichen Kulturen angehörten, kümmern den Russen gerade herzlich wenig.  “Mir scheißegal, was ihr über goldene Ringe und weiße Leoparden labert, ich verstehe trotzdem kein Wort”, keifte Jascha, dem der intellektuelle Schwanzvergleich gehörig auf die Nerven ging. Selbst mit Übersetzung sprach die Alte für ihn in Rätseln und er wusste nicht wesentlich mehr als vorher.  “Eine alte Prophezeihung”, antwortete ihm der Einheimische. “Eine Legende, die vom Ende und gleichzeitig Neuanfang der Welt handelt.”  “Und warum hat sie dabei gerade mich so vielsagend angestarrt?” harkte er weiter nach und nickte dabei in Richtung von Tecuith, die ganz und gar nicht mehr klar aussah. Mehr so, als ob ihre Prophezeihung einen meditativen Zustand in ihr wach gerufen hatte, durch den sie zwar wach wirkte, aber doch nicht da war. Ihr Blick fokussierte nach wie vor den vermummten Russen, dem die milchigen Augen immer unangenehmer wurden.  “Das weiß ich nicht”, gab Pacho zu, eine kurze Pause lassend, da er sich wohl tatsächlich keinen Reim darauf machen konnte, was in die Älteste gefahren war, die nun wieder leise auf Mayathan weiter murmelte. Der Einheimische beugte sich wieder zu ihr hinab, sprach leise und beruhigend auf sie ein. Meraz gab unterdessen ein resigniertes Seufzen von sich und fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger über den Nasenrücken, nachdem er seine Brille abgesetzt hatte.  “Ich glaube, wir sollten es später nochmal probieren”, sagte er und wandte sich bereits in Richtung der Tür, jedoch nicht, ohne den während der hellseherischen Worte fixierten Russen noch einmal argwöhnisch zu betrachten, bevor er gänzlich ging und die Soldaten ihm folgten. 
  Später am Tag sorgte eine simple Schüssel mit klarem Wasser für Abhilfe an diesem heißen, schwülen Tag. Jascha saß am Ufer des Flusses auf einem Steg, klatschte sich etwas von der kühlen Flüssigkeit in den Nacken und wrang seine Sturmhaube aus, die er nach einer gefühlten Ewigkeit endlich hatte absetzen dürfen. Einerseits wäre eine Abkühlung im Fluss auch keine schlechte Idee gewesen. Ah-Pathnar befand sich an einem ruhigen Seitenarm des Gewässers und hätte vermutlich zum Baden eingeladen, wenn man dem Dschungel denn getraut hätte. Er wollte lieber nicht so genau wissen, was alles in dem grünen Nass lauerte, von Kaimanen über Schnappschildkröten und Piranhas konnte ihn dort wohl alles erwarten. Der von der Strömung aufgewirbelte Sand versteckte alles, was darunter kreuchte und fleuchte und er war nicht bereit, auf die schmerzhafte Art  herauszufinden, was man hier alles entdecken konnte. Er war hier immerhin der Mann fürs Grobe und kein Steve Irwin. Doch das hielt ihn nicht davon ab, einen Kiesel aufzuheben, der wahrscheinlich aus Versehen vom steinigen Ufer aus auf den Steg getragen worden war, damit auszuholen und ihn vor sich in den Fluss zu werfen. So weit er konnte. Wie damals als Kind, wo man ganze Wettbewerbe daraus gemacht hatte, wer am weitesten werfen konnte. Das leise Aufplatschen des Steins weckte angenehme Kindheitserinnerungen an sonnige Tage, die man draußen in der Natur verbrachte und er folgte mit dem Blick den kleinen, sich ausbreitenden Wellen um die Einschlagstelle herum, bis sich diese mit den leichten Erhebungen, die der Fluss verursachte brachen und verschwanden. Und doch waren sie noch da, nicht mehr sichtbar für das menschliche Auge, dennoch vereint und unumstößlich vorhanden. Eine kleine Veränderung in der Natur, die er ausgelöst hatte und das nur durch eine simple, unbedachte Entscheidung. Was konnten dann erst größere Entschlüsse verursachen?  Wie auf Stichwort brach irgendwo im Dschungel hinter ihm das durchdringende Kreischen einer Kettensäge los. Unbewusst zuckte er dadurch zusammen, drehte sich um, auch wenn er die Quelle des Geräuschs im Dickicht des Urwalds nicht sehen konnte. Doch das bedeutete wohl, dass sie bereits angefangen hatten, sich eine Bresche durch den Wald zum Tempel hindurch zu schlagen und alles, was ihnen dabei im Weg stand, wurde dem Erdboden gleich gemacht.  Jakow hob den Blick, als er jemanden über den Steg auf sich zukommen sah. Wasja, dessen Miene besorgt wirkte – wenn man bei ihm denn jemals von Sorge sprechen konnte. Denn sonderlich viel Empathie schien der Medic nicht zu besitzen. Zumindest keine, die er offen zeigen würde. 
“Wir haben neue Befehle”, sagte er nun, nachdem der Mann mit dem kastanienbraunen Haar, das er normalerweise kurz hielt, ihm jetzt hingegen fast schon in die Stirn fiel, in hörbare Reichweite von seinem Kameraden getreten war. Jakow erhob sich, nachdem er sich noch einmal einen Schwung kalten Wassers ins Gesicht geklatscht hatte und schüttelte dann die Hände kurz aus, ehe er zu Wasja trat, der überraschenderweise stehen blieb, statt mit ihm weiter zu gehen. Der Medic legte ihm eine Hand auf die Brust, hinderte ihn daran einen weiteren Schritt zu gehen und blickte ihm eindringlich in die Augen. Jakow wollte ihn schon fragen, was das sollte, da zog er auch schon die silberne Kette unter seiner Kleidung hervor, die er immer trug und hielt sie seinem Gegenüber entgegen. Eine vertikale Linie, die durch drei Balken durchquert wurde, ein orthodoxes Kreuz.  “Nimm es”, sagte Wasja nur, zunächst ohne weitere Erklärung, während Jakow zögerte.  “Was soll ich damit?” fragte der, als wäre es völlig absurd, dass Wasja ihm einen seiner – ideologisch – wertvollsten Besitze andrehen wollte. Jakow wusste, dass der vielleicht sieben Jahre Ältere streng christlich-orthodox erzogen worden war. Wie es ein Gläubiger Gottes in den Reihen von Elitesoldaten und dem täglichen Grauen, das sich ihnen zeigte aushielt und wie er das mit seinem Glauben vereinbaren konnte, war ihm schon immer ein Rätsel gewesen. Er hatte ihm noch nie eine klare Aussage darauf gegeben, aber scheinbar befand er wohl, dass er nicht ohne Grund Medic in der Einheit war und zum Schutze von einzelnen Individuen Gott sicherlich auch mal ein Auge zudrückte.
“Ich glaube, du brauchst es dringender als ich.” Wasja schien ernst zu meinen, was er sagte, auch wenn es ihm unangenehm zu sein schien, sich genauer erklären zu wollen. Der Medic ließ sich nicht gerne in die Karten schauen, was seine Gefühle und vor allem seine Sorgen anging. Er gab immer alles, um seinen Kameraden zu helfen, doch er schien trotzdem eine gewisse Barriere mit den Jahren aufgebaut zu haben, um sich selber zu schützen. Denn er übte immerhin einen Job aus, bei dem man es manchmal nicht verhindern konnte, dass Menschen starben. Darauf musste man eingestellt sein.  “Wegen der verrückten Alten?” Jakow zog eine Augenbraue in die Höhe und blickte ihn zweifelnd an.  “Ja, wegen der verrückten Alten”, gab Wasja zu, auch wenn er ihm dabei plötzlich nicht mehr direkt in die Augen sah. “Was die da vor sich hingebrabbelt hat kann nichts Gutes bedeuten. Ich hab einfach ein schlechtes Gefühl.” 
Jakow erinnerte sich an das seltsame Gefühl, das ihn befangen hatte, kaum dass die alte Hexe ihn fixiert hatte. Ein wissendes Grauen, das ihm die Wirbelsäule hinauf gekrochen war und sich in seinem Kopf festgesetzt hatte. Doch in einem urigen, undurchdringbaren Wald, der von abergläubischen Menschen bewohnt wurde, fiel es einem leicht Gespenster zu sehen. Wenn man sie denn sehen wollte.  “Ammenmärchen”, murmelte Jakow nur kopfschüttelnd und reichte ihm das Kreuz wieder zurück. “Hast du zu lange in der Märchenstunde von Dr. Meraz gesessen? Du weißt, dass ich nicht an so ‘nen Scheiß glaube und noch weniger daran, dass mich irgendein Gott beschützen kann.”  Wasja blieb still stehen, machte keine Anstalten, die Kette wieder zurück zu nehmen, gab jedoch ein entnervtes Seufzen von sich. “Aber deine Eltern glauben an so ‘nen Scheiß. Wenn du es nicht wegen mir trägst, dann wenigstens für sie, Jascha.”
Jakow verdrehte die Augen, doch sein Kamerad meinte es todernst. Und noch ehe er den Anhänger wieder zurückgeben konnte, hatte er sich bereits umgedreht und ging voran, sodass ihm keine andere Wahl blieb, als sich die Kette um den Hals zu legen und unter seinem Combat Shirt verschwinden zu lassen. Manchmal hatte Jascha das Gefühl, dass Wasja ihn lesen konnte, wie ein offenes Buch und ihm schien das Detail nicht verborgen geblieben zu sein, dass Jakow ein gutes Verhältnis zu seinen beiden Eltern hatte und sie bedingungslos liebte. Er hätte wohl alles für sie getan und manchmal hatte er das Gefühl, dass sie die einzige Konstante in seinem Leben waren, die immer bleiben würde. Menschen, bei denen er sich fallen lassen konnte, selbst wenn er ihnen nicht alles erzählte. Er war jemand anderes, wenn er bei ihnen war. Hilfsbereit, zuvorkommend, freundlich. Er war der, den die Gesellschaft akzeptieren würde und musste sich rätselhafterweise dafür bei ihnen nicht einmal verbiegen, so wie er es vor dem Rest der Menschheit tun musste, wenn er nicht gerade im Einsatz war.  “Außerdem”, Jascha beeilte sich nun wieder zu Wasja aufzuholen. “Hast du schonmal ‘nen weißen Jaguar gesehen? Ich denke nicht. Diese Prophezeihung kann vorne und hinten nicht stimmen.”
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