Vosh Norgimin Ornim
Orsimerisch: “Gerufender Orsimer.”
[Auszug aus dem Buch “Norgim Rohi-Ornim”, einer traditionellen Anthologie mehrerer Kurzgeschichten, Legenden und Weisheiten, die Jugendlichen Orsimer verschiedenste Konzepte, Bräuche und Ratschläge ihrer Kultur auf den Weg zum Erwachsenwerden mitgeben soll.]
“Es tut mir Leid, Gaturn, wirklich”, sagte Urbul, der oberste Medizinmann Orsiniums. Neben ihm stand Sargra, die Hohepriesterin Malacaths.
Gaturn knibbelte mit seinem Daumen an seinem rechten Hauer und seufzte dann. “Das kann doch nicht sein. Ich … ich wollte im Kampf fallen, nicht an meinem Herzen.”
“Du bist alt”, zischte Sargra und verog ihr Gesicht, realisierte, wie sie gerade klang. “Verzeih. Ich meine damit, du bist alt und hast genug gekämpft.”
Gaturn rümpfte die Nase. “Es gibt nicht genug.”
“Doch”, erwiederte Urbul. “Du hast mehr als zweihundert Winterfrauen und Männer getötet. Bist trotz gebrochenem Bein den Menschen-Mer aus Hochfels entgegengetreten und hast die Stadt verteidigt.”
Gaturn regte sich nicht.
“Wenn du uns schon nicht glaubst, dann eben deinem König, du abgestoßener Schisser”, sagte Sargra. Wieder begann sie zu gröhlen. “Er machte dich zum General. Du bist der Befehlshaber sämtlicher Orsimer-Streitkräfte. Begreif das doch.”
Eine Träne rann Gaturns Wange herunter und den beiden Orsimer vor ihm stockte der Atem. “Wie kann ein Herz einfach so … kaputt gehen?”
“Es ist alt und müde.”
“So wie ich?”
Der Mediziner nickte. Er war bei der Geburt von Urbul anwesend und sah ihn aufwachsen, es hätte wohl niemand besseres geben können, ihm die Nachricht seines eigenen Todes mitzuteilen.
“Was jetzt? Soll ich mich hinlegen und sterben?”
Sargra nahm einen Brief heraus und gab ihn seinem Patienten. “Wenn du das möchtest? Es ist klar, dass dein Herz aufhören wird zu schlagen, sobald du dich schlafen legst. Du hast nicht nur die Ehre, mehr Kämpfe ausgefochten zu haben, als jeder andere, sondern auch das Glück im Schlaf zu sterben.”
Gaturn nickte. “Ja, verstehe.”
“Der Brief”, begann Sargra. “Er ist von unserem Tempel unterzeichnet und erklärt jedem, dem du ihn gibst, was los ist.”
Mit vom Alter geschwächter, zittriger Hand, griff der Ork-Veteran nach dem Brief und steckte ihn in sein hellbraunes Wams, stand auf. “Ich werde mich dann jetzt von meinen Kameraden verabschieden.”
“Tu das, Gat. Es war mir eine Ehre”, sagte Urbul. “Wirklich.”
Mit noch immer zitternder Faust, trat Gaturn aus dem steinernen Gebäude im Zentrum Osrsiniums heraus und blickte in den von Wolken bedeckten, grauen Himmel über sich. Er schloss seine Augen und atmete tief durch, ließ den Wind sein Gesicht und seinen, zum Zopf gebundenen, grauen Bart umspielen und spürte die Existenz des Windes zum ersten Mal bewusst.
Während er so langsam entspannte, durchzog ein stechender Schmerz seine Brustmitte und breitete sich in seinem ganzen Körper aus, vor allem in seinem linken Arm. Mit einem Mal riss er die Augen auf und der Schmerz verschwand. Dicke Tropfen Schweiß rannen seine Stirn herrunter. Nach einigen Augenblicken wanderte sein Blick nach Westen. Die Felsenfeste erstreckte sich, wie jeden Tag, über die gesamte Stadt und weckte in Gaturn warme und wohlige Erinnerungen über geschlagenen Schlachten für sein Volk und für seinen besten Freund und König.
Er marschierte los, wollte ihn noch ein letztes Mal sehen.
An der Felsenfeste angekommen, öffneten ihm die Wachen sofort die Tore. Er war einer der wenigen Orks gewesen, die keinen Termin beim König brauchten, um ihn zu sehen.
Im Zentrum des Palastes waren die vier Langtische, welche die Seiten der Halle abgrenzten, zu einer großen Tafel angerichtet und dutzende Orks aßen und tranken, an der Spitze der Tafel war der König, der den angekommenen Gaturn erblickte.
“Ah!”, gröhlte er. “Da ist ja der alte Ziegenstreichler! Gaturn, beweg deinen runzeligen Arsch gefälligst zu mir, alter Freund.”
Gaturns Mundwinkel hoben sich und er trat zu seinem König.
“Bartul, verschwinde. Mach dem General platz, du verlauster Affe”, befahl der König, wie es nur ein Ork konnte.
Bartul grummelte und rutschte an der Sitzbank zur Seite, bot Gaturn so einen Platz an der Seite des Königs, welchen er auch nutze.
“Los, Gat. Ich erzählte den Leuten gerade von deiner … Winter-Kinder-Plage. Komm, erzähl die Geschichte.”
Gaturn grinste und seufzte. “Alles klar. Also: Orsinium war im Aufbau und die WInterkinder stahlen uns unsere Vorräte. Pures Gift für die kleinen Klans. Ich und eine Truppe der zähsten Orks marschierten in die Berge, trennten uns. Wir schlachteten einen Winter-Mann nach dem anderen ab.”
“Und dann ging er in die Höhle!”, unterbrach ihn der König. “Und was fand er da?”
“Winter …. Frauen?”, fragte Bartul grinsend. “Hast du sie zur Ruhe … gebettet, alter Mann?”
Gaturn lachte auf. “Es waren Winter-Kinder. Die ehrenlosen Nord ließen die Kinder einfach in den Höhlen, und da wir die Eltern ausrotteten, waren die Kinder alleine.”
Kurog lachte ebenfalls auf. “Ein normaler Ork hätte den Kindern einen schnellen Tod bescherrt, doch nicht Gaturn. Er … ach, erzähl du es, mein Freund. Das ist dann noch witziger!”
Mit einem lockeren Griff in den Wams, nahm Gaturn den Brief der Hohepriesterin heraus und schob ihn dem König und Freund zu. Er las den Brief, während Gaturn die Geschichte weiter erzählte:
“Ich meldete mich in der Armee ab, nahm meine verbliebenen Urlaubstage und brachte die Kinder, zu Fuß, nach Hochfels in ein Waisenheim.”
“Wer macht sich denn so viel Arbeit, für … Nord?!”, fragte Bartul lachend.
Der König räusperte sich und legte den Brief beiseite. “Gaturn spielte auch eine wichtige Rolle beim Untergang der Winterkinder”, sagte er. “Er koordinierte die Streitkräfte so, dass Ich ungesehen in die Festung kam. Weißt du, Gaturn?” Der König erhob sich und ging zum Thron, nahm einen Zweihänder im Stile der Barbaren heraus.
Die Anwesenden wussten alle, welche Waffe das war. Die Klinge von Frostherz, dem letzten Anführer der Winterkinder, den der König mit eigener Hand erschlug.
“Ich möchte, dass du dieses Schwert bekommst.” der König verbugte sich und überreichte Gaturn das Schwert mit beiden Händen, wie ein Knappe, der seinem Lehnsherren die für ihn bestimmte Waffe überreichte.
Gaturn nahm das Schwert, hob es unter großer Anstrengung hoch und blickte es im Licht der Fackeln und Kerzen an. “Eine gute Grabbeilage”, sagte er.
Der König umarmte ihn, legte Stirn an Stirn und Stoßzahn an Stoßzahn. Sie blickten sich an und in den Augen brannten die Erinnerungen der unzähligen Schlachten, die die beiden Orks zusammen bestritten.
Ein Ork ist ehrenhaft, wenn er im Kampf fällt. Ein Ork, der jeden Kampf gewinnt und im von ihm geschaffenen Frieden stirbt, ist so viel mehr: Er ist ein Orsimer, der sich den Platz in der Ascheschmiede wahrhaftig verdient hat. Eine Ehre, welches das Ziel jedes Orsimers sein sollte.
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