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#wolfgang schreyer
korrektheiten · 3 months
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Wer Namen schwärzt, hat etwas zu verbergen
PI schreibt: »Von WOLFGANG HÜBNER | Die von Paul Schreyer vom Onlinemagazin Multipolar erfolgreich für eine Veröffentlichung herausgeklagten Corona-Protokolle machen Schlagzeilen. Denn viele Namen in den Protokollen wurden geschwärzt. Laut Corona-Profiteur Karl Lauterbach deshalb, um die betreffenden Personen vor „Hass und Hetze“ der Querdenker und Schwurbler zu schützen. Ist halt ein echter Menschenfreund, der SPD-Minister. Doch wer […] http://dlvr.it/T4dWjd «
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byneddiedingo · 2 years
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People on Sunday (Robert Siodmak, Edgar G. Ulmer, 1929)
Cast: Erwin Splettstößer, Brigitte Borchert, Wolfgang von Waltershausen, Christl Ehlers, Annie Schreyer. Screenplay: Billy Wilder, based on reporting by Curt Siodmak. Cinematography: Eugen Schüfftan. 
Only a strict formalist could watch the celebrated docufiction People on Sunday (aka Menschen am Sonntag) solely for its artful blend of storytelling and preservation of the way things were. But for the rest of us, there's no way to watch Berliners enjoying themselves on a Sunday in 1929 without thinking about it as a picture of the calm before the storm -- more especially because the young filmmakers who created it were soon to be caught up in the storm. Within a few years, directors Robert Siodmak and Edgar G. Ulmer, screenwriter Billy Wilder,  cinematographer Eugen Schüfftan, and even his camera assistant, Fred Zinnemann, would be driven out of Germany and eventually into Hollywood by the rise of Nazism. No work of art, after all, exists ahistorically. And People on Sunday is a work of art, a charming, slightly saucy glimpse at people being themselves. The five people the film concentrates on are non-actors: a taxi driver, a wine salesman, a salesperson in a record store, a woman who makes her living as an extra in movies, and a model. They're all marvelously un-self-conscious about playing fictionalized versions of themselves, as are the hundreds of Berliners that surround them on the screen.
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memestarsblog · 2 years
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Diana Zur Löwen Geschätztes Vermögen
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Diana Zur Löwen Geschätztes Vermögen Diana zur Löwen wurde in Butzbach, einer Stadt in Hessen, geboren. Im Jahr 2019 schloss sie ihr Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln mit einer Bachelorarbeit zum Thema "Erfolgskriterien für Product Placement auf YouTube" ab. Sie absolvierte eine von der Industrie- und Handelskammer akkreditierte Projektmanagement-Ausbildung sowie ein Projektstudium im Nachhaltigkeitsmanagement in Cambridge. 2018 gründete sie zusammen mit einem jungen Programmierer und Eventplaner die Codesign Factory, eine Beratungsfirma, die sich auf Social-Media-Themen für mittelständische Unternehmen spezialisiert hat. Zurzeit ist sie Geschäftsführerin. Sie und Aya Jaff haben das Unternehmen nach einer kurzen Zeitspanne - weniger als ein Jahr - wieder verlassen.
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Diana Zur Löwen Geschätztes Vermögen Im Alter von 14 Jahren begann sie zu bloggen, und mit 16 begann sie, Online-Filme zu drehen. Auf ihrem YouTube-Kanal wurde Zur Löwen zunächst durch ihre Beiträge über Mode bekannt, in denen sie Fundstücke aus Secondhand-Läden präsentierte. Ab etwa 2019 haben die Kanäle von Zur Löwen ein neues Profil. Sie führt nun häufig Interviews mit Politikern, wie Philipp Amthor und Jean-Claude Juncker, und erklärt häufig das politische Thema, das behandelt wird. Gemeinsam mit der bayerischen Sozialministerin Kerstin Schreyer setzte sie sich dafür ein, dass junge Menschen eine Ausbildung als Beruf ergreifen. Nach eigenem Bekunden hat die "Fridays for Future"-Bewegung einen Einfluss auf die Veränderung ihrer Programme gehabt. Auch die Umweltkatastrophe wird in ihren Beiträgen thematisiert. Außerdem diskutiert sie über politische Themen in Europa, Geldangelegenheiten und sexualisierte Gewalt. Sie moderierte eine Podiumsdiskussion mit vier Frauen, darunter Franziska Giffey, Bundesfrauenministerin, und Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin von HateAid, am 15. Oktober 2020 im Rahmen des "Aktionstages gegen digitale Gewalt" der Initiative "Stärker als Gewalt" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
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Diana Zur Löwen Geschätztes Vermögen Diana zur Löwen ist laut Medienberichten eine der bedeutendsten und erfolgreichsten Influencerinnen in Deutschland. Auf ihrer Instagram-Seite wird sie als "Star mit Sex-, Flirt- und Partytipps" bezeichnet. Das ist nur deshalb erlaubt, weil sie mehr als 500.000 Abonnenten hat. Seit 2018 wird sie auch immer wieder gegrillt und gefragt, ob sie sich politisieren wolle. Der Ideologieexperte Wolfgang M. Schmitt hält zur Löwen für einen jener Influencer, die sich als "pseudopolitisch" ausgeben, aber "dezidiert nicht journalistisch arbeiten", sondern "lediglich ihre gefilterte 'Persönlichkeit' mit Lifestyle-Politik " und "im Glanz des Ruhms Politikerinterviews anprangern". In einem Videointerview, das zur Löwen im März 2020 auf Instagram postete, machte der Afrika-Korrespondent des Handelsblatts Wolfgang Drechsler unwidersprochene Bemerkungen über "den Afrikaner", die auf Twitter für Empörung sorgten. Nach den Reaktionen auf Twitter, wo ihr auch Rassismus vorgeworfen wurde, zog sie das Video zurück. Daraufhin wurde sie beschimpft und war Gegenstand eines Shitstorms. In einem Videointerview, das sie 2021 für Today gab, sprach sie über einen "Briefkasten voller Hass-Mails" und über Hass im Internet. In diesem Zusammenhang räumte sie ein, dass sie einen Fehler begangen hatte und sich um Wiedergutmachung bemühte.
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People on Sunday (Robert Siodmak, Edgar G. Ulmer, Curt Siodmak & Fred Zinnemann, 1930)
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mycstilleblog · 3 years
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"Falsche Pandemien" von Wolfgang Wodarg - Rezension
“Falsche Pandemien” von Wolfgang Wodarg – Rezension
Kürzlich erst rezensierte ich an dieser Stelle (hier) erst das „Schwarzbuch Corona“ von Jens Berger. Darin ging es um „Zwischenbilanz der vermeidbaren Schäden und tolerierten Opfer“. Ein wichtiges Buch. Auf die „Kollateralschäden“ nimmt auch der Autor des heute zu besprechenden Buches Bezug: „Das derzeitige Elend und der tödliche Hunger in den armen Ländern des Südens hat nichts mit Viren zu tun.…
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letterboxd-loggd · 4 years
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People on Sunday (Menschen am Sonntag) (1930) Edgar G. Ulmer, Fred Zinnemann, Curt Siodmak, Robert Siodmak and Rochus Gliese
June 1st 2020
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david558me · 4 years
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junkielee · 7 years
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[Last Film I Watched] People on Sunday (1930)
[Last Film I Watched] People on Sunday (1930)
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English Title: People on Sunday Original Title: Menschen am Sonntag Year: 1930 Country: Germany Language: Silent Genre: Comedy, Drama, Romance Directors: Robert Siodmak, Edgar G. Ulmer Screenplay: Billy Wilder based on a reportage by Curt Siodmak Music: Elena Kaets-Chernin, Otto Stenzeel Cinematography: Eugen Schüfftan Cast: Erwin Splettstößer Brigitte Borchert Wolfgang von Waltershausen Christl…
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desymbol · 6 years
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The Walk-in Camera Obscura at Fürstenfeld Regional Hospital / balloon architekten ZT-OG
The Walk-in Camera Obscura at Fürstenfeld Regional Hospital / balloon architekten ZT-OG
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© Schreyer David
Architects: balloon architekten ZT-OG
Location: Krankenhausgasse 1, 8280 Fürstenfeld, Austria
Lead Architects: Iris Rampula, Konrad Promitzer
Other Participants: gaft-Lichtdesign, Eugen Schöberl
Interior Designer: ARGE Morawetz – Zinganel, Wolfgang Wimmer
Clients: Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft KAGES, KIG Krankenanstalten Immobilien GmbH
Area: 41.0 m2
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korrektheiten · 3 years
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Paul Schreyers wichtiges Buch „Chronik einer angekündigten Krise“ Wie die „Pandemie-Maschine“ entstand und arbeitet
PI: Von WOLFGANG HÜBNER | Wer besser verstehen will, wie wir in die jetzige Situation mit Corona-Hysterie, staatlichen Zwangsmaßnahmen und Millionen bedrohten Existenzen geraten sind, ist gut beraten, Paul Schreyers bereits im vergangenen Jahr erschienenes Buch „Chronik einer angekündigten Krise“ zu lesen. Auf den rund 150 Seiten des akribisch recherchierten Buches entwickelt der Autor die lange […] http://dlvr.it/RsdkJW
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People on Sunday (Robert Siodmak, Edgar G. Ulmer, Curt Siodmak & Fred Zinnemann, 1930)
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prseiten · 7 years
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Otto, der Indianer mit der Brille, ein neuer Mann für Santo Domingo und ein Krimi aus dem Orient – Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
Sind Sie schon einmal einem Indianer mit einer Brille begegnet? Das kommt nicht so oft vor. Im ersten der fünf Deals der Woche, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 10.11.17 – Freitag, 17.11.17) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind, jedoch kommt ein solcher Indianer mit Brille vor. Und er heißt auch noch Otto. Und Otto alias Häuptling Adlerauge kommt auf einmal in Schwierigkeiten. Schwierigkeiten, ungeahnte Schwierigkeiten, so könnte auch ein Stichwort für die anderen vier Sonderangebote lauten. So muss sich der Kennedy-Anhänger und neue US-Botschafter in Santo Domingo, Henry Walter Mitchell, erst noch in seinem Gastland zurechtfinden. Der Hampelmann und fröhliche Tänzer Friedolin sieht, dass sich die beiden Jungen Tim und Wim in eine falsche Richtung entwickeln und kann zumindest anfangs scheinbar nichts dagegen tun. In der ägyptischen Wüste kämpft Karawanenführer Ahmed mit einer Spezialtruppe zur Bekämpfung des Rauschgiftschmuggels. Und ein DDR-Botschafter muss sich in seinem Heimatland plötzlich mit unglaublichen Vorwürfen auseinandersetzen, die seine Tochter erhebt. Kann das wirklich so stimmen, was Claudia da behauptet? Will man sie wirklich fertigmachen? Ein noch immer aktuelles Buch über Anmaßung, Opportunismus, gar Feigheit und deren Mechanismen. Erstmals 1982 erschien im Kinderbuchverlag Berlin „Der Brillenindianer“ von Hildegard und Siegfried Schumacher: Otto alias Häuptling Adlerauge ist mit seinen Eltern in eine andere Stadt gezogen. Dort, in dem Wald hinter dem Neubaugebiet, findet er auf einem seiner Streifzüge eine geheime Burg, die drei größere Jungen sich errichtet haben. Ihr Häuptling Branco nimmt Otto in die Bande auf. Warum Bande, fragt sich Otto, dann sind sie ja gar keine Indianer. Tatsächlich zwingen sie Otto zu Dingen, die nichts mit seiner Indianerehre zu tun haben. Als er auch noch in einen Kaufhallendiebstahl verwickelt und seine Brille gestohlen wird, sucht er die Unterstützung seiner Eltern. Doch ganz allein mit seiner Freundin Antje will er die drei Großen zur Rede stellen. Hier zur Einstimmung das ganz kurze 1. Kapitel und ein längeres Stück des 2. Kapitels: „1. Kapitel Hast du jemals einen Indianer mit Brille gesehen? Du kennst doch Indianerfilme noch und noch, und was sahst du da? Geritten wurde, geschossen, geschlichen, geschwommen, Friedenspfeife rauchte man, grillte ganze Bären am Spieß, Tomahawks wirbelten durch die Luft, scharfäugig spähten Indianer nach dem Feind aus, oder sie blickten voller Verachtung vom Marterpfahl auf ihre Gegner. Eine Brille aber, nein, eine Brille trug niemand! Es hatte auch keiner Sommersprossen. Niemand lag einfach so auf der Wiese und träumte in die Wolken. Und hast du auch nur einen gesehen, der am Fluss saß und rein zum Spaß die Beine ins Wasser baumeln ließ? Unmöglich — sagst du, und du kennst dich mit diesen Filmindianern aus —, da kommen weder Wolkenträumer noch Beinebaumler vor, und eine Brille — sagst du —, wie sieht denn das aus: Federkrone, Adlerblick und ’ne Brille davor! Außerdem gibt es von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf der Prärie keinen Optiker, das weiß doch jeder, und jedermann weiß auch, Indianer haben fortwährend kühn und unheimlich aktiv zu sein. Aktiv ist unser Indianer. Er rennt — nein, er hüpft gerade die Treppe hinunter, und obwohl gar nicht Frühling, sondern herrlich heiße Sommerzeit ist, pfeift er „Alle Vögel sind schon da“. Mal wirft er das linke, mal das rechte Bein beim Hüpfen vor. Das ist kein echter Indianer! Er sieht nur so aus. Aber dich kann er nicht täuschen, schon darum nicht, weil er eine Brille trägt und, statt zu schleichen oder sich sonst nach weit und breit bekannter Indianerart fortzubewegen, vergnügt vor sich hin pfeifend Stufe für Stufe abwärts hopst. In einem Neubau dazu! Nein, und hätte er sich sieben Häuptlingsfederkronen auf den Kopf gestülpt, dich täuscht er nicht! Der nachgemachte Indianer ist Otto aus dem fünften Stock. 2. Kapitel Gestern war Otto eingezogen im Neubaublock am Stadtrand von Eichberge. Natürlich nicht allein, sondern mit seinen Eltern und Elle, der kleinen Schwester. Das heißt, Elle war einstweilen bei Onkel Udo und Tante Gitta in Drosseldorf. Kleine Kinder stören beim Umzug. Otto sollte auch dort bleiben. Er hatte abgelehnt und seine Armmuskeln spielen lassen, der Vater musste sie abfühlen, und dann hatte er beschlossen: Gut, weil Onkel Udo der Ernte wegen beim Umzug ausfällt, machst du mit. Ein bisschen hilft es doch. Ein bisschen! Darüber konnte Otto nur lachen. Er hatte sich nicht geschont, war treppauf, treppab gelaufen, hatte keuchend Kisten und Kasten geschleppt, an die zehn Liter Schweiß verloren und zum Ausgleich mindestens zehn Brausen getrunken. Todmüde war Otto abends ins Bett gefallen. Auch am Morgen blieb noch viel zu räumen und einzurichten. Trotzdem hatte die Mutter ihm beim Frühstück zugeredet: „Guck dich draußen um, geh spielen, Junge!“ Zuerst wollte Otto das weit von sich weisen. Wie gesagt, er war ja kein kleines Kind wie Elle, aber nach kurzem Überlegen gelangte er zu der Einsicht, dass man Eltern nicht durch zu große Hilfsbereitschaft verwöhnen dürfte. Also hatte er sich dem Willen der Mutter gefügt und war in seiner Indianeruniform samt Pfeil und Bogen und Kriegsbeil frohgemut abgezogen. Die Sonne schien, wie es sich in den großen Ferien gehört, die Eltern hatten ihre Beschäftigung, und Otto fühlte sich frei, so frei wie ein Adler in den Lüften. Was kann der Mensch mehr verlangen! Otto hatte seine Indianeruniform bisher nur in Drosseldorf getragen. Dort hatte er eine Menge Freunde, und der Wald begann gleich hinter der Wiese, die an den großen Garten grenzte. Es war nur ein Katzensprung ins freie Indianerleben mit den Drosseldorfer Rothäuten. Während der Schulzeit war an solch ein Leben nicht zu denken gewesen. Otto hatte vor dem Umzug auch in der Stadt gewohnt. Links lauter hohe Häuser, Typ 1900, rechts dasselbe, unten Geschäft an Geschäft und vor der Nase der Busbahnhof. Dort passten Indianer wie er und seine Stammesbrüder aus Drosseldorf nicht hin. Schade, dass die Freunde so weit weg wohnten, denn hier in Eichberge lag der Wald genau wie bei Onkel Udo und Tante Gitta hinterm Haus, sogar noch dichter. Vom Balkon im fünften Stock hatte Otto direkt in die Baumkronen gucken können. Endlich im Grünen! Die Mutter freute sich, doch der Vater hatte gesagt, dass in den nächsten Jahren abgeholzt und weitergebaut werden sollte. Vorläufig fehlte jedes Anzeichen dafür, weder Planierraupen noch Turmdrehkran und Zementsilo. Jahre — eine Ewigkeit. Vor der Haustür lag kein Indianerland. Überall machten sich Sandberge breit. Bis zur festen Straße füllte man sich die Schuhe voll. Otto fand, die Gegend vorm Haus sah nach halbhohen Ostseedünen aus, nur das Meer war nicht da. An seiner Stelle reihte sich Neubau an Neubau, und wo ihre Balkons die erste Sommerbleiche hinter sich hatten, durchquerten rechteckig angelegte Plattenwege und abkürzende Trampelpfade die Rasenflächen. Dahinter die große Kaufhalle und der Komplex mit Sparkasse, Friseur und Restaurant. Zivilisation also und uninteressant.“ Unter dem Titel „Der Resident“ erschien erstmals 1973 beim Mitteldeutschen Verlag Halle-Leipzig der 2. Band der Dominikanischen Tragödie von Wolfgang Schreyer: Santo Domingo, 1962: nur drei der Trujillo-Attentäter haben den Untergang des barbarischen Regimes erlebt. Sie schicken sich an, auch den alten Familien die Macht zu entreißen - kühn, um dem Land zu dienen, oder selbstsüchtig, skrupellos. Da kommt auf die karibische Insel der neue US-Botschafter, ein Amateurdiplomat und Mann John F. Kennedys. Im Geiste der „Allianz für den Fortschritt" will er den Streit schlichten, die Dominikaner Demokratie lehren. Industriegigant und Bananenrepublik - zwei Welten prallen aufeinander, beide vital, doch zerrissen und defekt. Washington sucht die Entwicklung zu steuern, elegant und energisch ein südliches Schaufenster zu errichten, das die kubanische Herausforderung überstrahlt. Wird dem Botschafter dies glücken? Trotz privater Sorgen ist er ein Mann von bedeutender Schlagkraft, Redlichkeit und Frische. Gewinnt er diesen Mehrfrontenkrieg - den Kampf gegen die revolutionäre Stimmung, gegen das Komplott der Superreichen und seine internen Feinde? Das Buch zeigt Menschen mit ihren Hoffnungen und Begierden, der uralten Jagd nach Glück, Reichtum, Liebe, Karriere, Befriedigungen jeder Art ... Eingepfercht in Machtmechanismen und das Geflecht persönlicher Verstrickung. Die Ereignisse zeichnet es nach Dokumenten und der Erinnerung von Augenzeugen; ohne eine Spur von Schwarzweiß. Von den tropischen Schauplätzen führt der Roman bis in den obersten Stock des State Departements und in das Weiße Haus. Seine Kraft liegt in der Verknüpfung politischer Abläufe mit dem Schicksal der Handelnden, ihrem seelischen Mikrokosmos, umbrandet vom Strom der Zeit. Das packt wie die Dramatik des abenteuerlichen, hier so kühl und wahrhaftig erzählten Geschehens. Gleich zu Beginn begegnen wir dem neuen amerikanischen Botschafter auf der Fahrt zur Übergabe seines Beglaubigungsschreibens: „Erstes Kapitel 1 Als Henry W. Mitchell an jenem sonnigen Märzmorgen in den Wagen stieg, einen schwarzsilbernen Cadillac mit pompösen Heckflossen, war es schon recht warm. Wohl hatten die Zeitungen gewarnt: Achtung, Kälte, Nachttemperatur um 14 Grad! Aber solche Zahlen bedeuteten in Santo Domingo stets Celsiusgrade über Null. Er musste sich eben daran gewöhnen, die Presse gewissenhaft zu lesen, ganz anders als zu Hause in den Staaten; und zwar in jeder Hinsicht. An so vieles musste er sich jetzt gewöhnen! Hier begann ja ein neues Leben. Der diplomatische Dienst verlangte Selbstzucht, kühlen Realismus. Aber was für ein Genuss, Einfluss zu haben, als Staatsmann zu handeln und den Wirkungen nachzuspüren. Für einen Mann wie ihn, den Schreibtischarbeiter – scheinbar dazu bestimmt, im Hintergrund zu bleiben –, war dies vielleicht das Höchste. Mitchell war 44, sah aber jünger aus durch das volle wellige Haar oder seine impulsive, verbindliche Art zu reden. Er hatte noch nie im Staatsdienst gestanden. Zeit seines Lebens war er Publizist gewesen, ein liberaler Intellektueller. Ungezählte Berichte und Magazingeschichten hatte er verfasst, dazu Bücher über den Strafvollzug, die Rassenfrage und den Bürgerrechtskampf; viermal war ihm der Benjamin-Franklin-Preis für den besten Artikel des Jahres verliehen worden. Er war Adlai Stevenson und John F. Kennedy in den Wahlkampf gefolgt. Und nun, dreizehn Monate nach Kennedys Amtsantritt, ging er als Botschafter in ein Land, das er von zwei Reisen her ein wenig kannte... Es war Freitag, der 9. März 1962. Die Vereidigung in Washington lag eine Woche zurück, seine Ankunft hier fünf Tage. Und doch war schon so viel geschehen, was seine Erwartungen enttäuscht oder auf bizarre Art übertroffen hatte. Zu seiner Linken saß ein schlanker, brünetter Mann, der Chef des dominikanischen Protokolls. Der war mit sechs Regierungswagen in der Calle Leopoldo Navarro vorgefahren, um ihn und zehn seiner Gehilfen von der Residenz abzuholen. Wagen ohne Regierungsnummer, geschützt durch Sicherheitsbeamte. Sie mieden den kürzesten Weg zwischen der Botschaft und dem Nationalpalast, huschten ohne Eskorte durch das Lugo-Viertel. Denn am Vortag hatten Aufrührer mehrere Autos der Botschaft und auch des Konsulats zerstört, sogar Mitchells eigenen Wagen. Die Kolonne glitt hastig vorbei an weißen Gartenmauern, an den Barockfassaden der Villen. Polizisten verschafften ihr überall freie Fahrt – mit winzigen Gebärden, die daheim eher das Gegenteil bedeutet hätten: die Handfläche zum Fahrer ausgestreckt, die Finger gekrümmt, als ob sie einen Apfel hielten, das hieß weiterfahren. Passanten blieben stehen, starrten den Limousinen nach. Das war die neue Freiheit, libertad nueva; zu Trujillos Zeiten hätte niemand es gewagt, Staatspersonen anzustarren, da hielt man den Kopf gesenkt. Und überall, auf Mauern, Bordsteinen und Bäumen, die Parolen der Parteien. Auch das war libertad: Trujillo hatte nur eine Partei gekannt – seine eigene. In Mitchells Brusttasche steckte das Beglaubigungsschreiben. Ein bedeutsames, doch schwerlich ganz ernstzunehmendes Dokument. Er hatte, gedrängt von Caroline, schon im Flugzeug die Durchschrift gelesen, beeindruckt und belustigt. Ein Hauch des 18. Jahrhunderts entstieg dem formelhaften Brief. Er trug Präsident Kennedys Unterschrift und sprach dessen Überzeugung aus, dass Henry Walter Mitchell fähig sein würde, sowohl die Interessen der Vereinigten Staaten als auch die der Dominikanischen Republik zu wahren. „Hoffentlich hat er recht“, hatte Mitchell zu Caroline gesagt... Und während man schon den Palasthügel hinauffuhr, fiel ihm ein, wie der siebenjährige Steve seine Ernennung aufgefasst hatte: „Du wirst Botschafter? O Daddy! Da reitest du auf einem Pferd und überbringst wichtige Briefe...“ Nun, im Prinzip hatte Steve schon recht gehabt. Frank A. King stieg als erster aus, wie stets. Obwohl innerhalb der vier Meter hohen Palastumfriedung nichts mehr zu befürchten war, sah er sich rasch um; eine tief sitzende Gewohnheit. Der Schutz des Botschaftspersonals oblag ihm auch dann, wenn ganz andere dafür verantwortlich waren. Die Auffahrt glühte, flirrende Luft, grelle Reflexe – drei Jahre in diesem Land hatten ihn gegen die Hitze nicht unempfindlicher gemacht. Außerhalb klimatisierter Räume litt er wie am ersten Tag. Sein weißer Leinenanzug, frisch gestärkt, lag ihm wie eine Rüstung aus Sperrholz an. Er wünschte das Ende der Zeremonie herbei; dreißig Minuten sollte sie dauern. In Washington lag die Norm für Antrittsbesuche bei weniger als zehn Minuten. Dort trugen die Botschafter und auch der Präsident ihre Reden nicht vor, sondern tauschten nur die vorbereiteten Texte aus, was die Sache abkürzte. Hier aber hörte man sich gern reden.“ Erstmals 2003 hatte Holda Schiller beim Scheffler-Verlag Herdecke ihr Buch „Pechvogel Glückspilz“ herausgebracht: Drei märchenhafte Geschichten sind in dem E-Book vereint, die sowohl für Kinder als auch für erwachsene Märchenliebhaber ein reizvolles Lesevergnügen bieten. Die Geschichte „Pechvogel Glückspilz“ ist eine Art osteuropäische Version von „Hans im Glück“, sie könnte unter dem Motto stehen: Wo eine Tür sich schließt, tut sich eine andere auf - sei es von Menschen- oder Engelhand. Die Däumlingsgeschichte ist neu in dieser Art, wo Tim und Wim zu Däumlingen schrumpfen, dann aber durch Friedolins Zauberkraft und nach Erfüllen bestimmter Aufgaben wieder normale Größe erreichen. In „Stromerin Leila“ gerät Leila mit der Pflicht in Konflikt, sie reißt aus, geht ‚in die Welt' und kehrt nach allerlei Abenteuern wieder zurück. Die Geschichten von Holda Schiller sind spannende, schwungvolle, mit viel Fantasie und feinem Humor erzählte kleine Werke. Und so fängt die Geschichte von Tim und Wim und Zauberer Friedolin an. Aber ist er überhaupt ein Zauberer? „In einer Stadt in Deutschland, das man rühmte, es habe die fleißigsten Bürger der Welt, lebten zwei Jungen, Tim und Wim, der eine gelb-, der andere schwarzhaarig, beide etwas über fünf Jahre alt, die sich oft schrecklich langweilten, denn weder die Eltern noch die Großmutter, die mit in der Familie lebte, hatten Zeit, sich ihnen zu widmen. Der Vater musste sich tagtäglich umfassend informieren, er war Journalist, die Mutter musste sich qualifizieren, sie war Sprachmittlerin, und die Großmutter war Lehrerin und hatte ständig etwas zu korrigieren. Alle drei hatten sie die Kinder wohl ein Jahr und länger nicht mehr richtig gesehen, da ihre Gedanken stets nur bei den Pflichten weilten, und sie sich selten die Zeit nahmen, auch einmal von der Arbeit aufzuschauen. Gern hätten die Kinder wenigstens eine Katze zum Spielen gehabt, doch die bekamen sie nicht, weil der Vater Tiere in der Wohnung auf den Tod nicht ausstehen konnte. Eines Tages kam der Vater von einer Dienstreise zurück und rief Tim und Wim zu sich. Er strahlte vor Freude und Erfolgstolz, denn er brachte ihnen ein Spielzeug mit, das er auf dem Flohmarkt erstanden hatte. Es war eine lustige Figur, ein aus Pappe angefertigter Hampelmann, den der Vater als fröhlichen Tänzer vorstellte, der bunt bemalt war, mit farbigen Schnüren versehen und einen dunkelblauen Spitzhut trug, an dem goldene Sterne funkelten. Die großen Augen, das eine grün, das andere rot, sahen ein wenig verschwommen aus, so, als lägen sie hinter Tränenschleiern, was den Erwachsenen, vor allem aber den Kindern, sehr zu Herzen ging. Tim und Wim, obgleich sie erst ein wenig misstrauisch und zurückhaltend gewesen waren, gewannen den sonderbaren Tänzer sofort lieb und spielten gern mit ihm. Wenn sie an seinen Schnüren zogen, tanzte der Hampelmann überaus anmutig, und es leuchtete das grüne Auge wie Sterne leuchten und füllte die Stube mit grünlichem Schein, der Erwachsene und Kinder bezauberte. Er tanzte so gut und gefällig, dass alle glaubten, es könne sich kein Ballettstar in der Tanzkunst mit ihm messen, und dass es auf Erden Ähnliches nicht gebe. Tim und Wim freuten sich erst einmal sehr. Sie gaben dem Hampelmann den Namen Friedolin, hängten ihn im Kinderzimmer an die Wand und ließen ihn von morgens bis abends tanzen. Mal zog der eine, dann der andere an den Schnüren, und der Hampelmann bewegte seine Glieder von Mal zu Mal immer noch leichter und anscheinend auch immer noch graziöser. Das gab den Kindern zunächst viel Spaß. Doch wie das so ist, es dauerte nicht lange, und sie kannten die Anmut seiner Bewegungen, die Kühnheit seiner Sprünge, jede Regung seines Gesichts, und sie verloren das Interesse an dem lustigen Spiel. Sie beachteten Friedolin immer weniger, bis sie ihn ganz vergaßen. Es half auch nicht, dass er Tim und Wim immer wieder zuflüsterte: Zieht doch an meinen Schnüren, ich tanze so gern! Manchmal fügte er hinzu: Tanzen ist mein Liebstes, aber zaubern kann ich auch. Darüber lachten Tim und Wim, das glaubten sie Friedolin nicht. Als er sie dann wieder einmal daran erinnerte, dass er zaubern könne, spotteten sie: „Na, dann zaubere doch, du drolliger Prahlhans! Wir sind schon mächtig gespannt darauf. Am Ende hängt das Zimmer voller Pappnasen, wie du eine bist.“ Solche Reden betrübten Friedolin. Da aber die Kinder ihm am Anfang so sehr zugetan gewesen waren, blieb er ihnen gewogen, auch wenn sie sich nicht mehr um ihn kümmerten und ihm immer ungezogener begegneten. Er hing an der Wand und schien vor sich hinzudösen. Doch in Wahrheit war er wach. Es grämte ihn, dass die Kinder mit der Zeit zu missraten drohten, dass sie sich mehr und mehr als nichtsnutzig erwiesen, dass sie ihn hänselten oder gar versuchten, ihn zu beschädigen. Und das war nicht einmal seine größte Sorge. Es geschah nämlich etwas mit den Kindern, das weder sie selbst noch die Erwachsenen wahrnahmen: Tim und Wim wuchsen nicht wie andere Kinder und wurden größer mit dem Alter, sondern umgekehrt, sie schrumpften, sprossen nicht in die Höhe und wurden größer, sondern in die Tiefe und wurden kleiner. Das bedrückte Friedolin, denn er kannte die Ursachen und die Folgen dieser Art zu wachsen und dachte ständig darüber nach, sinnierte, wie er das Geschehen den Eltern verständlich machen sollte, damit sie der entsetzlichen Entwicklung Einhalt geböten.“ Schon 1960 brachte Heiner Rank unter dem Pseudonym Heiner Heindorf im damaligen Verlag Kultur und Fortschritt Berlin seine Kriminalerzählung aus dem Orient „Der grüne Stern“ heraus – als 2. Augustheft im 11. Jahrgang der Kleinen Jugendreihe: Achmed führt seine Karawane sicher auf Schleichwegen durch die ägyptische Wüste. Sie müssen sich vor den Streifen des ägyptischen Frontier-Corps hüten, einer Spezialtruppe zur Bekämpfung des Rauschgiftschmuggels. Beinahe wären sie in der Wüste eingekreist worden, aber ihr Gewährsmann beim Frontier-Corps kann sie rechtzeitig warnen. Die Karawane verliert einige Männer und ein mit Rauschgift vollgepacktes Kamel, der Rest der Ladung kann abgeliefert werden. Doch ihr Gewährsmann liegt verwundet im Kairoer Militärkrankenhaus. Er ist rauschgiftsüchtig und wird sicher alles tun, um das benötigte Opium zu bekommen. Achmeds Hintermänner wollen auf keinen Fall ihren Gewährsmann verlieren. Sie ahnen nicht, dass Ihnen das Frontier-Corps schon dicht auf den Fersen sitzt. Eine spannende Jagd beginnt. Folgen wir Ahmed und seinen Leuten auf ihren gefährlichen Wegen durch die Wüste … „1. Kapitel Es ist Nacht. Kamele klettern in langer Reihe einen steinigen Pfad hinauf. Fast lautlos, wie große dunkle Schatten gleiten sie dahin, nur das leise Klirren des Zaumzeugs und das Knarren der ledernen Gepäckgurte dringt durch die Stille. An der Spitze der Karawane reitet Achmed. Etwa vierzigjährig ist er, groß und hager. Die schwarzen Augen im braunen Gesicht blicken kalt. Um den Mund spielt ein dünnes, verächtliches Lächeln. Am blauschwarzen Himmel glitzern unnatürlich hell die Sterne. Der Weg, der sich zwischen Felsbrocken hindurchwindet, liegt in tiefem Dunkel. Doch Achmed findet ihn mit Sicherheit. Er kennt das felsige Hochplateau zwischen dem Roten Meer und dem Niltal so genau wie die verwinkelten Gässchen seines Heimatdorfes. Und je dunkler die Nacht, um so lieber ist es ihm und seiner Truppe. Denn nicht zum ersten Mal sind sie auf diesen wenig bekannten Schleichwegen unterwegs, und oft schon hingen Leben, Erfolg und gute Belohnung nur von der tiefen Dunkelheit der Nacht, von Achmeds zuverlässiger Ortskenntnis und seinem hervorragenden Orientierungssinn ab. Scharfäugig mustert er die Felsen, deren schwarze Silhouette sich deutlich gegen den sternenübersäten Himmel abzeichnet. Seine Nasenflügel blähen sich — sogar den Geruch der Luft und der kümmerlichen, halbverdorrten Sträucher, die einigen weit verstreuten Schafherden karge Nahrung geben, scheint er zu prüfen und für die Bestimmung seines Standortes auszunutzen. Dann nickt er vor sich hin, und das verächtliche Lächeln wird für einen Augenblick selbstzufrieden .Er weiß jetzt, dass sie nur noch knappe fünfzig Kilometer von ihrem Reiseziel entfernt sind. Am Golf von Akaba, an der Ostküste der Halbinsel Sinai, hat Achmed die Karawane übernommen und sie auf verschlungenen Wegen quer durch das felsige Hochland der Halbinsel zur Küste des Golfes von Suez geführt. Dort wurden sie bereits von Booten erwartet. In einer stürmischen Nacht wagten sie den Sprung von Asien nach Afrika. Die kleinen, wendigen Boote brauchten nur ein paar Stunden, den sechzig Kilometer breiten Golf zu überqueren. Doch erst dann, am Ufer des afrikanischen Festlandes, begann der schwierigste Teil des Unternehmens. Es galt, in höchster Eile die Spuren zu verwischen, welche die dreißig Männer und die neunzig Kamele bei der Landung im weichen Ufersand hinterlassen hatten. Bevor die berittene Streife des ägyptischen Frontierkorps (ägyptische Spezialtruppe zur Bekämpfung des Rauschgiftschmuggels) in Sicht kam, mussten sie hinter der ersten Bergkette des Festlandes verschwunden sein. Aber selbst nach vielen Stunden, wenn das Wasser und der schneidende Küstenwind für ein gewöhnliches Auge die Spuren völlig eingeebnet haben, können die tüchtigen, aus Oberägypten stammenden Kamelreiter des Frontierkorps an einer kleinen Vertiefung, an der unnatürlichen Lage einer winzigen Muschel, an einem Stückchen Seetang, das von einem Kamelhuf über den Bereich der an den Strand rollenden Wogen hinausgetragen wurde, erkennen, dass hier eine Schmugglerkarawane gelandet ist. Auch die Spuren von Achmeds Kamelen sind ihren geübten Blicken nicht entgangen. Sofort setzte ein gewaltiges, sich über Hunderte von Quadratkilometern erstreckendes Kesseltreiben gegen die Schmuggler ein. Aber Achmed konnte seinen Verfolgern ein Schnippchen nach dem anderen schlagen und schüttelte sie schließlich ab. In der glühenden Hitze des Tages pflegte die Karawane, gut versteckt vor möglicherweise auftauchenden Suchflugzeugen, zu rasten. Erst in den kühlen Abendstunden ergänzte sie aus geheim gehaltenen Brunnen ihren Wasservorrat und zog dann bei Nacht weiter! Zweihundert Kilometer hatte sie auf diese Weise von der Küste aus zurückgelegt.“ Drei Jahrzehnte und einen gesellschaftlichen Wandel in seinem Heimatland später veröffentlichte http://edition-digital.de/Neutsch/ erstmals im Mitteldeutschen Verlag Halle (Saale) sein nach wie vor aktuelles und mutiges Buch „Claus und Claudia. Nach neueren Dokumenten“: Claus Salzbach, Diplomat der DDR im auswärtigen Dienst, erhält in Paris die erschütternde Nachricht, dass seine Tochter Claudia eine tiefe Nervenkrise durchlebt. Sofort kehrt er in die Heimat zurück, doch womit er dann hier konfrontiert wird, erscheint ihm zunächst unglaubhaft: An der medizinischen Fachschule, an der Claudia studiert, werden Erziehungsmethoden praktiziert, die von erstarrtem Denken und Herzlosigkeit der Lehrkräfte zeugen, bis zu Verdächtigungen und Drangsalierungen gegenüber den Schülerinnen reichen und gegen die seine Tochter sich vergebens gewehrt hat. Salzbach, wie weiland Michael Kohlhaas, beginnt um die Gerechtigkeit in der Beurteilung junger Menschen zu kämpfen, doch auch er stößt auf Anmaßung, Opportunismus, gar Feigheit. Als er schließlich Verbündete findet und die unhaltbaren Zustände an der Fachschule untersucht werden - welche Chancen hat da noch Claudia, ihre Krise zu überwinden? Wie schon vorher in seinen literarischen Arbeiten zielt Erik Neutsch mutig und kritisch auf wesentliche moralische Fragen der DDR-Gesellschaft, wobei er den Leser auffordert, darüber mitzubefinden. Wir treffen Claudia und ihren Vater während ihrer ersten Begegnung nach langer Zeit und nach einem erschütternden Ereignis. Auf Wunsch des Autors wurde nicht auf neue Rechtschreibung umgestellt. „2. Kapitel Er ging mit Claudia durch den Park. Der Altweibersommer spann seine Fäden, und hier und dort färbte sich das Laub der hohen Birken und Buchen bereits gelb, rot und samtig braun. Auf dem See schwammen schwarze Schwäne. Claudia aber, merkte er, wandelte im Augenblick neben ihm her wie geistesabwesend. Sie gewahrte das alles nicht, das Feuer im Blattwerk von Bäumen und Büschen, die Schwäne, auch den strahlend blauen Himmel nicht. Sie klammerte sich an seinen Arm und wiederholte des öfteren, mit zittriger und doch tonloser Stimme, die Sätze: „Ach, Vati, Vati, weißt du... Wie gut, daß du gekommen bist. Sie wollen mich fertigmachen ...“ So hatte er sie nicht in Erinnerung, sie, wie er stets geglaubt hatte, mit der fröhlichen, unbefangenen Art, sich dem Leben zu stellen, vergleichbar in dieser Hinsicht, diesem Charakterzug nur noch mit ihrer Mutter. Martina, dachte er mit einem Mal, das Bild seiner Frau vor Augen, als er seine Tochter prüfend von der Seite betrachtete, warum mußtest du von mir gehen, mich allein lassen, jetzt, wo ich deine Hilfe vielleicht am meisten gebrauchen könnte. Sie war hübsch. Das hatte er jedesmal mit einem gewissen väterlichen Stolz konstatiert, wenn er Claudia ins Gesicht sah. Ihr dichtes und dunkles Haar fiel bis auf die Schultern. Ihre schön geschnittenen Züge in dem Oval, die Lippen, die Stirn, die klaren Augen - auch das erinnerte ihn an Martina. Doch sobald sie ihn jetzt anschaute, sprach aus ihrem Blick, ihren graugrün umrahmten Pupillen längst nicht mehr jene unschuldsvolle, fast schon naive Offenheit von einst, sondern eher eine tiefe, verzweifelte Traurigkeit. Was bloß konnte er dagegen tun? Nein, sie war es nicht mehr. Claudia, das Ebenbild ihrer Mutter. Blaß wirkte sie jetzt, ihre Schlankheit zerbrechlich. Es überkam ihn, sie fest in die Arme zu nehmen, an seine Brust zu pressen und sie seine Wärme spüren zu lassen – wie früher als Kind. Am schwersten wohl fiel ihm, sich damit abfinden zu müssen, daß sie nun selbst eine Frau war mit ihren zweiundzwanzig Jahren und einem bitteren Leben schon hinter sich. Nervenzusammenbruch - so lautete die Diagnose. Deshalb war sie in die Klinik für Neurologie der Universität in W. eingeliefert worden. Claus Salzbach hatte vor einer Stunde erst mit dem Arzt gesprochen, der sie behandelte. „Wie gut, daß Sie sich haben frei machen können ...“ Worte, wie er sie ähnlich nun auch von Claudia hörte. „Ihre Tochter ist ein sehr bewußt lebender Mensch. Um so rätselhafter erscheint es mir, warum sie zu den Tabletten griff. Nein, nein, nur ein angedrohter Suizid war es nicht, eher freilich ein Versuch im Affekt. Als künftige Hebamme aber wußte sie um die Folgen. Danken Sie daher Gott oder wem sonst, daß ihre Großeltern sofort die Schnelle medizinische Hilfe alarmierten. Wir pumpten ihr den Magen aus. Aber damit ist ja nicht ihr Konflikt, den sie unbestreitbar mit sich herumschleppt, aus dem Blut. Herr Salzbach ... Wenn ich Sie bitten darf ... Nach Ihrem Spaziergang im Park. Melden Sie sich noch einmal bei mir. Vielleicht erhalten wir dadurch tiefere Aufschlüsse. Prüfungsangst? Die Enttäuschung, in zwei Fächern letztens nur mit einer Vier bestanden zu haben? Das allein kann es doch wohl nicht sein. Nicht bei einer solch intelligenten jungen Frau ...“ Fast auf den Tag genau zwölf Monate hatte er sie nicht mehr gesehen. Denn nur einmal im Jahr wurde ihm Urlaub gewährt, den er dann stets dazu nutzte, nach Haus zu reisen, in die Republik. In Vietnam und Ägypten hatten sie Claudia noch ständig bei sich gehabt. Sobald jedoch die Kinder von Diplomaten das vierzehnte Lebensjahr erreicht hatten, so wollten es die unerbittlichen Vorschriften, war es ihnen für gewisse Länder nicht mehr gestattet, ihre Eltern dorthin zu begleiten. Claudia hatte eine Internatsschule besucht, in der sie aber unter der Trennung von Mutter und Vater so sehr litt, daß sie in ihr nicht leben konnte. Martinas Eltern nahmen sich ihrer an. Sie zog zu ihnen, und auch jetzt, nach ihrer Scheidung und trotz eigener Wohnung, quartierte sie sich oft bei ihnen ein, zumal sie fortan ihren Sohn betreuten, um ihr das Praktikum mit dem unregelmäßigen Schichtdienst zu erleichtern. Vor fünf Jahren zum letzten Mal hatten er und seine Frau wenigstens noch mit ihr, da sie erst siebzehn war, somit nicht volljährig, den Urlaub gemeinsam in Frankreich verbringen dürfen. Er entsann sich deutlich. In Honfleur am Kanal, in dem kleinen Restaurant in der unmittelbaren Nähe der uralten Holzkirche, beim Essen der Fruits de la mer und beim Wein, da hatte sie ihnen gestanden, daß sie verliebt sei und bald heiraten möchte. „Sie wollen mich fertigmachen ...“, sagte sie jetzt. Mit dieser Behauptung verband sie zugleich unglaubliche Geschichten, Erlebnisse jedenfalls, die Claus nicht für möglich hielt, zumindest für übertrieben ihrerseits. Frau Baumholder, erzählte sie, die Leiterin der Abteilung Hebammenausbildung an der Medizinischen Fachschule, die der Universität in W. angeschlossen ist, Parteimitglied obendrein wie sie, habe es besonders auf sie abgesehen, betrachte jede Regung, jede Äußerung von ihr wie unter der Lupe und scheine nur auf einen Fehler von ihr zu warten. „Vati, ich hab Angst vor ihr. Nachts schrecke ich aus dem Schlaf, weil sie mich bis in meine Träume verfolgt.“ Ob es Claus Salzbach, dem Diplomaten in schwieriger persönlicher Mission, seine Tochter zu retten und die Hintergründe ihrer Vorwürfe aufzuklären? Angeblich soll es im Chinesischen das gleiche Zeichen für die Begriffe Krise und Chance geben. Und Tochter Claudia befindet sich in einer tiefen Krise, als ihr Vater sie in der Klinik besucht. Aber ist diese Krise für sie auch wirklich eine Chance? Auch wenn Claus Salzbach, nach Auskunft des Autors nach allem selbst nicht mehr bereit gewesen sei, Auskunft zu geben, so habe doch ein Bündel von zahlreichen Dokumenten, Aktennotizen und Protokollen genügend Einblick gewährt, um die Geschichte zu rekonstruieren. Eine außerordentlich lesenswerte Rekonstruktion – über einen Mann, mit dem eines Tages der heilige Zorn durchging „…und zwar von solcher Gewalt, daß er mit einem Schlag alle ihm auferlegten Konventionen mißachtete und zum Selbsthelfer wurde. Unerklärlich blieb lange, warum es ausgerechnet ihn, die Bedächtigkeit in Person, zu einem solchen Ausbruch der Gefühle hatte treiben können, und so soll auch hier nach den Gründen gefragt werden, wie es dazu kam.“ Es wäre sehr schade, ließe man sich die Chance entgehen, die Antworten auf diese Frage zu erfahren. Weitere Informationen und Angaben finden Sie unter http://www.prseiten.de/pressefach/edition-digital/news/3862 sowie http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/. Über EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr: EDITION digital wurde 1994 gegründet und gibt neben E-Books Bücher über Mecklenburg-Vorpommern und von Autoren aus dem Bundesland heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen. Firmenkontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr Godern Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/ Pressekontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Gisela Pekrul Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://www.edition-digital.de
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prseiten · 7 years
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Der Teufel als Mädchen, ein seltsames Abkommen mit Gott und was will Lopez? – Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
Wundersam und spannend, berührend und beklemmend – nur unzureichend lassen sich mit diesen vier Adjektiven die fünf Deals der Woche beschreiben, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 20.10. 17 – Freitag, 03.11.17) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind. Dennoch sind sie alle fünf jeweils auf ihre Art lesenswert: wundersam und spannend, berührend und beklemmend. Manche von ihnen kann man mit Vergnügen und mit einem Lächeln genießen, manche zwingen den Leser wegen ihres Spannungsgehaltes zum Weiterlesen (und er erfährt zugleich noch viel Wissenswertes aus der Weltgeschichte), manches zwingt zum Innehalten und zum Nachdenken über das Leben und über den Sinn des Lebens und darüber, wie es geschehen konnte, was Menschen anderen Menschen antun konnten – und vielleicht heute noch antun. Was ist eigentlich normal? Und was ist verrückt? Aber lesen Sie selbst. Das aktuelle Angebot reicht von wundersam und spannend bis berührend und beklemmend. „Wundersame Geschichten“ erzählt Heinz-Jürgen Zierke in seinem erstmals 1998 im Hinstorff Verlag Rostock erschienenen Buch „Spuk auf Spyker“: „Schritte, tapp tapp, tapp tapp. Nicht laut, aber deutlich vernehmbar, vierfüßig, wenn er sich nicht täuschte, und ganz in der Nähe, vielleicht hinter der Bohlenwand. Ein unverständliches Wispern begann, mal dumpf, mal glucksend, dann stöhnend, als würgte der Teufel seine Großmutter, und löste sich in einem verhaltenen Schrei!“ Unheimlich, gespenstisch, Schauder erregend, aber nicht ohne Humor und Ironie geht es zu in diesen wundersamen Geschichten. Pommern und die Uckermark haben da allerhand zu bieten: Ein Teufel macht in der Gestalt eines hübschen Mädchens dem starken Geschlecht ganz schön zu schaffen, Ferdinand lässt sich von einem Männchen mit einem großen Hut helfen, eine Frau ohne Kopf erscheint und ein uralter, steingrauer Wels, dem Merkwürdiges widerfährt, taucht auf. Aber nicht nur in der Vergangenheit spukt es, auch die Gegenwart ist nicht frei von makabren Ereignissen, lässt uns Heinz-Jürgen Zierke wissen. Eine Äbtissin macht einem Dienstreisenden Angst, auf Schloß Spyker stören dunkle Gestalten eine Schulung, und schließlich geht es um viel Geld, einen Besenbinder und - um Spucke in einer Spuk- und Spuckgeschichte an einem nicht näher bezeichneten Ort. Manche Stadt und manches Dorf allerdings finden deutliche Erwähnung. Und so kann der geneigte Leser überprüfen, ob dergleichen Un-Heimlichkeiten auch heute noch stattfinden in: Stralsund, Tribsees, Voigdehagen, Rom, Lübz, Parchim, Abtshagen, Gornow, Wildenbruch, Jamund, Torgelow, Saal, Damgarten, Putgarten, Sagard, Arkona, Jatznick, Kölzow, Stolzenburg, Pasewalk, Greifenberg, Prenzlau, Woldegk, Neubrandenburg, Fürstenwerder, Ueckermünde und auf Schloß Spyker. Hören wir zum Einstieg hinein in die Geschichte, in welcher der Teufel selbst als Mädchen auftritt und sich der Besitzer eines Gütchens ein bisschen anders verhält als man denkt. Und diese Geschichte beginnt so: „Nicht weit von Stralsund, in südliche Richtung geschaut, lag ein Gütchen, das nicht eben sehr groß war, aber seinem Besitzer ein sorgenfreies Leben gestattete, wenn auch kein solches, wie es in seinen Kreisen üblich war. Der Herr gab weder Bälle noch rauschende Feste; er trank auch nicht, spielte nicht und wettete nicht auf Pferde, ja, nicht einmal im Lotto. Dafür plagte ihn eine andere Leidenschaft, für die er freilich kaum Geld aufwendete: Er stieg den jungen Mädchen nach, die er mit feurigen Augen und sanften Worten leicht zu gewinnen wusste. Wie gesagt, diese Leidenschaft kostete ihn wenig, da er sie nicht an Damen oder solche, die sich dafür ausgaben, verschwendete. Er suchte sein Vergnügen lieber bei prallen Bauerndirnen. Da er aber mit den Jahren die Mädchen seines Hofes und die des nahen Dörfchens nur allzu gut kannte, dachte er eines Tages daran, sich in der Umgebung umzuschauen. Mädchen sind ja wie Unkraut, sie wachsen immer wieder nach. Pflückt man eine Blüte, sprießt schon die nächste Knospe. Er befahl also seinem Leibknecht Franik, das Coupé im Schatten der uralten Eiche bereitzustellen. Franik - ein seltsamer Name für unsere Gegend. Der Herr hatte ihn aus der Kaschubei mitgebracht, wie er sagte. Er war einige Zeit in der fernen Stadt Bütow in Garnison gewesen, bevor er seines angegriffenen Herzens wegen den Abschied nehmen durfte. Franik - seinen Burschen, der ihn unermüdlich mit geübtem Blick auf die Schönheiten der Landschaft aufmerksam gemacht hatte, löste er beim Regiment aus und behielt ihn als Knecht. Franik bürstete die Polster der Kutsche, denn sein Herr bekam vom Staub leicht das Niesen, spannte an und fuhr vor. Der Junker stieg ein und prahlte: „Das erste Weib, das uns über den Weg läuft, ziehe ich mir in den Wagen.“ Sprach’s, lehnte sich genüsslich zurück und nickte ein. Sie waren kaum eine Viertelstunde gefahren, als ihnen eine Frau entgegenkam. Die Jüngste war sie wohl nicht mehr. Herbe Falten kerbten das Gesicht, und ein grünes Kopftuch versteckte die grauen Fäden in dem aschblonden Haar. Sie zog am Strick eine braunbunte Ziege hinter sich her, mit der sie zum Bock wollte. Franik weckte den Schlafenden: „Herr, die erste Frau.“ Der Angesprochene schreckte hoch, rieb sich die Augen, sah die Alte, schlug beide Hände vors Gesicht und schrie: „Pfui, die alte Hexe! Gib den Pferden die Peitsche, Franik!“ „Frau ist Frau, Herr.“ „Für dich vielleicht. Hast selber keine Zähne und magst am Gepökelten lutschen. Ich aber will Frischfleisch, Frischfleisch.“ Wieder lehnte er sich zurück. Sein Wunsch erfüllte sich. Ein junges Weib mit flatternden Haaren, geröteten runden Augen und prallen Lippen kam den Weg entlang. Ihr Atem ging schwer; sie hatte eine gehörige Last zu schleppen, die ihres eigenen Körpers. „Herr, eine Frau! Frischfleisch, Frischfleisch, und gleich die doppelte Portion. Da lohnt sich das Kauen.“ Wieder schreckte der Junker hoch, steckte den Kopf aus dem Fenster und zog ihn gleich wieder ein. „Keine Frau. Ein Mehlsack, Franik, ein Mehlsack. Lass die Zossen laufen!“ „Frau ist Frau“, gab Franik zurück und knallte mit der Peitsche. „Wenn ich mir die in die Kutsche ziehe, bricht mir das Achsholz.“ Sie zuckelten weiter über den ausgefahrenen Landweg. Die geteerten Achsen ächzten; die rindslederne Federung hielt den Kutschkasten mühsam im Gleichgewicht. Vom nahen Kiefernwald wehte ein strenger Harzgeruch herüber. Da trat hinter einem Gebüsch aus wuchernden Rotdornsträuchern, das die Biegung des Weges verdeckte, ein wunderhübsches Mädchen hervor, rank und schlank wie eine Erle, biegsam wie eine Haselrute, die Augen leuchteten wie glimmende Kienspäne, die Haut war glatt wie Buchenrinde. Diesmal brauchte Franik seinen Herrn nicht zu wecken. Der riss beim Anblick des Mädchens die Augen weit auf, das Wasser lief ihm im Munde zusammen; er schnalzte mit der Zunge und leckte sich die Lippen. „Halt an, Franik! Die ziehe ich mir auf den Schoß und fahre mit ihr in die Jagdhütte.“ Er öffnete den Schlag weit. Franik, dieser nüchterne Kerl, verspürte ein brenzliches Kitzeln in den Nüstern. Er konnte gerade noch rufen: „Dat Gesicht is söt, awer de Föt, de Föt!“, da setzte die hübsche Fremde auch schon den Fuß auf das Trittbrett, wobei sie den Rock etwas anheben musste. So sah auch der Herr den gespalteten Huf. Hastig schloss er den Schlag und klemmte dem Teufel den linken Mittelfinger ein. „Zum Teufel mit dem Teufel!“, rief er schreckensbleich. „Fahr zu, Franik, fahr zu! Wende auf dem Rübenacker und dann nach Hause, an der Voigdehagenschen Kirche vorbei! Ich hab genug von dem Weibsvolk!“´ Aber ob ihm das wirklich geholfen hat, das erfahren wir erst beim Weiterlesen dieser ebenso wundersamen wie hübschen Geschichte. Ganz ohne Teufel geht es in dem erstmals 1982 im Kinderbuchverlag Berlin veröffentlichten Buch „Früh und spät“ von Jutta Schlott zu. Allerhand Schwierigkeiten gibt es allerdings auch hier: Nach dem Umzug in die Neubauwohnung in einer anderen Stadt können sich die drei Söhne, vor allem der 10-jährige Olaf, nicht daran gewöhnen, dass Vater und Mutter jetzt in zeitlich unterschiedlicher Schichtarbeit tätig sind. Olaf und Sven haben häusliche Pflichten zu erfüllen, die sie jedoch oft vernachlässigen. Voll Wehmut denkt Olaf manchmal an die Heimatstadt zurück, wo er die Oma besuchen konnte und einen Freund hat. Mit schlechten Zensuren in der Schule und Zigarettendiebstahl in der Kaufhalle bereitet er besonders seiner Mutter, die gerade ihren Meister macht und stark belastet ist, zusätzliche Probleme. Das auch im Rückblick sehr interessante Buch beginnt an einem Donnerstag und mit einem Versäumnis: „Es war März, Mitte März, aber der Winter war zurückgekommen. Zwei Tage lang fielen dicke, feuchte Flocken; jetzt lag der Schnee in grauen Häufchen schmuddelig und pappig an den Straßenrändern. Auf den Fahrbahnen und Wegen war er, kaum hingeweht, gleich zertaut oder zertreten worden. Es nieselte, und der Junge stellte sich in den ersten Eingang des Häuserblocks oberhalb der Böschung. Es war halb fünf oder kurz danach, er hätte es gewusst, ohne zur Säule mit der Digitaluhr zu sehen, denn die Möwen und Krähen hatten schon in großen Schwärmen krächzend und kreischend den allabendlichen Flug zu ihren Schlafplätzen begonnen. Stets flogen sie zur gleichen Zeit in die gleiche Richtung. Man hätte Uhr und Kompass nach ihnen stellen können. Der Junge hatte noch nie so viele Möwen gesehen wie in dieser Stadt. In Borna gab es überhaupt keine. Zu den Füßen des Jungen, an der Haltestelle, kamen in schnellem Wechsel aus beiden Richtungen die Straßenbahnen an. Die meisten Leute liefen, ohne nach links und rechts zu sehen, die gewohnten Wege. An diesem diesigen, nebligen Spätnachmittag schienen sie alle in Grau gekleidet. Manchmal leuchtete das Tuch einer Frau oder der Anorak eines Kindes farbig auf. Der Junge hatte keine Sorge, die Mutter nicht zu erkennen. Sie trug Schal und Käppi in einem kräftigen Orange, aber sicherer noch erkannte er ihren Gang. Die Mutter ging aufrecht, in schnellen, schwingenden Schritten. Meist hielt sie den Kopf erhoben, ihr Haar fiel wellig bis weit über die Schultern. Wenn die Mutter lief, sah es nicht aus, als überbrücke sie die Entfernung von einem Ort zum andern, sondern als sei das Gehen selbst ein Vergnügen. Er beschloss, noch zehn Bahnen abzuwarten, wenn sie dann nicht dabei war, würde sie vor dem Abend nicht kommen, und es hatte keinen Sinn, dort weiterzustehen. Die Abstände zwischen der Ankunft der Straßenbahnen wurden länger. Der Junge stampfte kräftig mit den Füßen auf, um sich die Beine zu wärmen. Die achte. Die neunte. Die zehnte. Eine noch, dachte er. Auch mit der elften kam die Mutter nicht. Er stülpte sich die Kapuze über und ging langsam um den Block herum, auf die Kaufhalle zu, deren blaue Leuchtschrift schon eingeschaltet war. Vielleicht traf er die Lehrlinge, um diese Zeit kamen sie oft. Den ganzen Weg zurück rannte er im Laufschritt, stürzte die Treppen hoch, immer zwei, drei Stufen auf einmal. Er versuchte gleichmäßig zu atmen und drückte zaghaft auf den Klingelknopf. Die Tür wurde von innen aufgerissen. Die Mutter stand vor ihm, sie war wütend, das sah er gleich. Sie hatte ein Geschirrtuch über die Schulter geworfen. „’n Abend“, versuchte er zu grüßen. „Weißt du, wie spät es ist?“, herrschte die Mutter ihn an. Er sah auf ihre Hausschuhe und antwortete nicht. „Olaf, ich habe dich etwas gefragt!“ Die Stimme der Mutter wurde energischer. „Sieben“, quetschte er heraus. „Es ist jetzt genau zehn Minuten nach sieben! Und wann solltest du zu Hause sein?“ „Um vier.“ Die Mutter, die ihn, nach vorn gebeugt, angesehen hatte, richtete sich auf. „Na fein, dass du dich erinnerst“, sagte sie spöttisch. „Und was solltest du dann?“ Olaf ließ den Kopf noch tiefer sinken. Er spürte unterm Kinn den Reißverschluss vom Anorak. Warum quälte sie ihn mit solchen Fragen. Sie wusste doch alles. „Ich sollte Guschi abholen“, antwortete er leise. Die Mutter stieß mit dem Fuß die Tür zum Wohnzimmer zu, in dem das Radio spielte. „Ihr sollt nicht immer Guschi zu ihm sagen!“ Als hätte er darauf gewartet, öffnete Gustav vorsichtig die Kinderzimmertür und steckte seinen Kopf heraus. „Mami ...“, fing er an. „Du bleibst da!“ Die Mutter drehte ihn mit einer Hand an der Schulter um und schob den Kleinen zurück. „Du erklärst mir jetzt, warum du Guschi - äh, Gustav - nicht abgeholt hast“, sagte sie ein bisschen weniger streng. „Vergessen“, murmelte Olaf. „Vergessen! Vergessen!“ Die Mutter wurde wieder wütend. „Was würdest du sagen, wenn ich mal ,vergesse‘, nach Hause zu kommen! Oder ich ,vergesse‘ mal, euch zu essen zu machen ...“ Der Türgong läutete in den letzten Satz der Mutter. Sie ging zur Tür. Es war Sven.“ Auch von einer Kindheit, allerdings zu anderen Zeiten, ist anfangs in dem Buch „Gerda, das Nuschtchen. Drei Erzählungen zwischen Königsberg und Tangermünde“ von Elisabeth Schulz-Semrau die Rede, das erstmals 2007 gedruckt erschienen war. Und darin kommen merkwürdigerweise auch Straßenbahnen vor, auch wenn sie vielleicht nicht so oft fahren wie in dem Buch zuvor: Die todkranke Mutter der dreizehnjährigen Gerda bittet die Gnädige, bei der sie zusätzlich zu ihrer Arbeit an der Wäscherolle beim Hausputz hilft, sich um ihre Tochter zu kümmern. Als die Frau drei Tage später stirbt, wird die (fast) fensterlose Speisekammer als Schlafraum für das Mädchen hergerichtet, das ein Jahr später die Schule verlässt und die entlassene Dienstmagd ersetzt. Gerda hält auch auf der Flucht aus Königsberg ihren Herrschaften die Treue und trägt in der schweren Nachkriegszeit mit ihrer Hände Arbeit in der neuen Heimat Tangermünde ganz wesentlich zur Ernährung bei. Ganz allmählich und sehr zaghaft entwickelt sich bei Gerda etwas Selbstbewusstsein, die nun die Frau nicht mehr Gnädige nennt. Und so fängt das Buch an: „Karalautschi Das lang gestreckte Zimmer der Großmutter war so etwas wie die Erdachse meiner ersten Jahre. Hier verbrachte ich die wenigen heilen Stunden meiner Kindheit. In meinem Elternhaus in Karalautschi, Tragheimer Kirchenstraße siebzehn, waren meine Tage von Ängsten durchwoben. Angst vor dem alten strengen Mann, meinem Vater, vor den plötzlichen Launen meiner schönen, umschwärmten Mutter, Angst vor der Schule, vor dem Alleinsein, vor dem Zusammensein. Angst war irgendwie das Vorzeichen all meiner Handlungen. Dagegen hatte ich ein seltsames Abkommen mit Gott geschlossen. Auf meinem Schulweg, der natürlich immer mit irgendetwas, das ich vergessen, nicht ordentlich oder gar nicht erledigt hatte, beschwert war, kam ich an der Konditorei Kaiser vorbei. Ich verweilte kurz vor den gefüllten Schaufenstern und begann mit meinem Ablasshandel. Also, lieber Gott, heute bekommst du zehn Stück Bienenstich, zehn Sahnerollen, fünfzehn Streuselschnecken, zehn Marzipanschnittchen, zwanzig Windbeutel, fünfzig Baiser mit Schlagsahne (das aß ich selbst am liebsten), davon ... und davon ... Danach folgten Bestellungen aus dem Milchladen und aus der Fleischerei. Manchmal reicherte ich die Lebensmittelladung rasch noch ein wenig an, es konnte ja sein, der Gott war nicht zufrieden, würde mir also auch nicht genügend zur Seite stehen, wenn mich das Leben am Wickel hatte. Er musste wohl nach meiner Vorstellung unheimlich essen können, dieser Gott, schließlich war er allmächtig. Und darum reichte es auch völlig, ihm all die Dinge nur zu wünschen. Wie sie ohne Komplikationen und ohne Lebensmittelkarten aus den Geschäften zu ihm gelangten, war mein Problem schon nicht mehr. Die Geborgenheit im Zimmer meiner Großmutter, aber auch das begriff ich zu spät fast, kam vor allem von der Persönlichkeit meiner Tante Ella her. Bei Tante Ella gab es das beste Essen der Welt. Hühnerfleisch oder dünne Brotscheiben, deren Rinden abgeschnitten waren, mit duftender Butter und köstlicher Wurst. Ihre vier jüngeren Brüder, Landwirte alle, kamen aus dem Masurischen nie nach Karalautschi, ohne bei Tante Ella Station zu machen. Was Essen betraf, war ich von meinen Eltern nicht verwöhnt. Und natürlich versuchte meine Mutter auch hier ihren berühmten Blick, der, wenn Leute fragten, möchtest du noch etwas, mich sofort antworten ließ: Danke, ich bin satt. Denn es gehörte sich nicht, mehr als ein Häppchen von einer Speise zu sich zu nehmen. Lass bloß das Kind essen, sagte meine Großmutter drohend, das e zum ä hin, also äßen. Würdig, in schwarze Kleider mit Puffärmeln, Spitzenjabots oder Samteinsätzen kleidete Tante Ella ihre Mutter. Nie sah ich ein helles Kleidungsstück an ihr. Einmal hängte man ihr ein goldenes Kreuz um den Hals, und es nahm sich wie eine schwere Last an dem dünnen Frauchen aus. Aber vielleicht kam der Eindruck vielmehr von dem Mann, der dieses Mutterkreuz überbrachte. Er steckte prall in einer goldfarbenen Uniform und strahlte gegenüber der Verletzlichkeit der Greisin eine erdrückend gewalttätige Gesundheit oder Männlichkeit aus, die das ganze Zimmer einzunehmen schien. Tante Ella riss, sofort nachdem er weg war, die Fenster weit auf, und der Orden wurde ins Kästchen zurückgelegt, blieb allerdings an diesem Tag für alle sichtbar auf der Nähmaschine liegen. Überhaupt die Nähmaschine. Man konnte sie einklappen. Versenkbar, sagte Tante Ella, eine Singer. Für mich ein wichtiges Möbel in Großmutters Zimmer. Für meine Tante sollte sie ungleich wichtiger werden. Sie würde damit für sich und zwei andere kranke Menschen in schwerster Zeit Leben ernähren. Meist, wenn ich zu Besuch kam, war auf der Nähmaschine eine Überraschung für mich aufgebaut. Zum Geburtstag aber fand ich in jedem Jahr, neben meinen neu eingekleideten Puppen und selbst gebackenem Kuchen, etwas, wozu meine Mutter selten Zeit verschwendete, mein Allerschönstes: Gezuckerte Erdbeeren, frisch gepflückt, aus Tante Ellas Garten. Und - Heiligabend, nach dem Mittagessen. Schwarzsauer hatte es gegeben; meine Mutter musste wie üblich tadeln, ich äße mit langen Zähnen. Ich kämpfte wirklich mit den schwärzlich geronnenen Blutflocken um den grauen, runzligen Gänseflügel, der mir zugeteilt worden war. Die Tatsache dieses Tages ließ es mich schaffen. Sie bekämen es fertig, mich sogar heute vor der grässlichen Suppe bis zum Abend sitzen zu lassen. So stand unserm Aufbruch nichts mehr im Wege. Edith, Martha, Gerda oder wen wir gerade hatten, durften an diesem Tag Angehörige besuchen, wir, die Eltern und ich, gingen zur Großmutter. Und da die Zeit durch meine Sampelei, wie meine Mutter feststellte, ziemlich vorgerückt war, wurde zu meiner Erleichterung beschlossen, wenigstens eine Tour zu fahren. Wir gingen auf unserer Straßenseite an den vier Häusern bis zur Tragheimer Kirche entlang, überquerten die Fahrbahn zur Hohenzollernstraße hin, gingen den sanft gebogenen Straßenschlauch hoch bis zum Steindamm, bogen rechter Hand um die Ecke, um dort auf eine der beiden möglichen Straßenbahnen zu warten.“ Wir wechseln noch einmal Zeit und Ort – und zwar gründlich. Erstmals 1969 brachte Wolfgang Schreyer beim Verlag Das Neue Berlin seinen Abenteuerroman „Der gelbe Hai“ heraus: Miami, November 1963. Nach dem Mord an Präsident Kennedy gerät ein cubanischer Funker aus dem Kreis der Verdächtigen in die Hand eines mächtigen Apparates und kann nicht mehr zurück. Tausend Meilen südostwärts von Florida sinkt er am Fallschirm auf ein fremdes Land herab und muss sich nun als Mensch und Kämpfer bewähren. Inmitten öder Berge, auf windgepeitschten Hochebenen, in zerklüfteten Tälern und Höhlen, vor einem einsamen Berghotel begegnet er aufrechten und listigen Männern, erfahrenen und romantischen Guerilleros, Revolutionären und einem schweigsamen Mädchen, das dem geliebten Mann gefolgt ist. Und immer umgibt ihn und seine Zufallsgefährten ein erbarmungsloser Feind - mit dem er täglich spricht. Seine Funksprüche beginnen: „Gelber Hai ruft...“ Dies ist die tragische Geschichte eines Aufstandes in der Dominikanischen Republik - ein Roman, auf Tatsachen gegründet, der ein Höchstmaß an Ehrlichkeit und Realistik bietet. Schreyers Thema sind revolutionäre Führungsfragen. Die Zerrissenheit der Rebellen steht für das buntscheckige Gefüge der oppositionellen Bewegung in Lateinamerika. Schreyer zeigt ihren schwierigen, manchmal verzweifelten Kampf. In diesem abenteuerlichen Roman - seinem dritten aus dem karibischen Raum nach PRELUDIO 11 und DER GRÜNE PAPST - gibt er dem Helden selbst das Wort. Durch ihn erleben wir alle inneren und äußeren Nöte der Guerilleros, die quälende Auseinandersetzung um den besten Weg und die befreiende Tat. Darin liegt ein wesentlicher Reiz der Geschichte. Sie lässt den Leser nicht los und ist bei härtester Spannung doch stets von Menschlichkeit durchdrungen. Gleich von der ersten Zeile an sind die Leser mitten im Geschehen. Und der Autor erweist sich wieder einmal als Meister spannenden Schreibens: „ERSTES KAPITEL 1 Abends kam Sprühregen auf, die beleuchteten Palmen vor dem Hotel „Commodore“ tropften im Wind. Irgendwo auf dem Weg durch die Stadt hatte sich ein Schatten an mich gehängt. Ich spürte ihn zum ersten Mal beim Überqueren der Patton Avenue, fünfzig Schritte vor meinem Stammlokal. Nicht, dass ich ihn gesehen hätte; die City war viel zu belebt. Wer immer es sein mochte, er schwamm im großen Strom hinter mir her. Als ich die Stufen zum „El Chico“ hinabstieg, glaubte ich es wieder zu fühlen... Aber warum? Ich tat ja nichts, hatte nichts in Aussicht – seit einem Dreivierteljahr lungerte ich in Miami herum. Sie hatten uns auf Eis gelegt, das war mein Kummer, darüber wollte ich nachher mit Lopez sprechen. Also warum? Ich grübelte noch vor der Theke, wo man für neunzig Cents ein Sandwich mit Schinken und Käse, Muschelsuppe und Kaffee bekommt, meistens auch ein Doughnut. Die Warteschlangen sind entsprechend lang. Der Raum war wie immer laut und voll – ein Treffpunkt meiner Landsleute. Anscheinend redete alles von dem Mord an Kennedy. Aus dem Attentat von Dallas wurde allmählich ein amerikanischer Alptraum. Eben sagte der Fernsehsprecher, Johnson habe durch Verfügung Nr. 11 130 sieben prominente Bürger unter dem Vorsitz des Obersten Richters Warren beauftragt, Hergang und Hintergrund des Anschlags zu klären. Ich nickte Bekannten zu und beobachtete die Schwingtür. Doch es erschien kein fremdes Gesicht. Eine Zeitlang hörte ich auf, mir Sorgen zu machen, blieb aber auf der Hut. Die allgemeine Nervosität hatte mich angesteckt. Eine Woche nach dem Attentat zog der Fall noch immer neue Kreise. Ich begann zu fürchten, sie könnten auch uns hier erreichen. Bis zum Sonntagvormittag waren die meisten bereit gewesen, in Lee Oswald einen Verrückten zu sehen, dem es durch Zufall gelungen war, seine Wahnidee in die Tat umzusetzen. Doch als man im Fernsehen den untersetzten Mann ins Bild stürzen und schießen sah, als Oswald unter Jack Rubys Kugel zusammenbrach, da regten sich Zweifel. Seitdem schien es mehr und mehr, als habe der Präsidentenmörder nicht allein gehandelt, als sei er bloß das einzig sichtbare Glied einer Kette von Verschwörern. Widerspruchsvolle Gerüchte kamen auf: Hinter Oswald stünden lateinamerikanische Anarchisten oder texanische Ölmillionäre, cubanische Revolutionäre oder Antikommunisten, Fidel Castro oder Lyndon B. Johnson. Unser spanischsprachiges Emigrantenblatt war instinktlos genug, die Wahrsagerin Jeane Dixon zu zitieren: „Castro glaubte, Kennedy und Chruschtschow wollten ihn stürzen...“ Ich sah von der Suppe auf und merkte, dass der Teint des Nachrichtensprechers sich gründlich färbte, sein Mund lief blau an wie der einer Wasserleiche. Das lag nicht an den Lügen, die er verbreitete, sondern an Mängeln des Farbfernsehens. Der Kellner korrigierte die Einstellung, er tat das immer im Vorübergehen, die Wasserleiche blühte rosig auf und sagte: „... vermutet, dass John F. Kennedys Tod in New Orleans geplant worden sei, und zwar von Antikommunisten, rechtsradikalen Amerikanern und Cubanern als Antwort auf die fehlgeschlagene Invasion in der Schweinebucht und die spätere Weigerung des US-Präsidenten, ähnliche Aktionen zu genehmigen.“ Dieser Satz hätte mich nicht stören müssen, doch soviel war klar: er zog die amtliche Aufmerksamkeit auf uns. Wir standen geradezu im Rampenlicht, nicht jeder konnte das vertragen. Würde das FBI nun die cubanische Kolonie überprüfen, besonders diejenigen, die irgendwann einmal Waffen besessen und an Aktionen teilgenommen hatten? Der Personenkreis war nicht so groß, wie es auf den ersten Blick scheinen mochte. Neunzigtausend Emigranten lebten in Florida, sechstausend davon hatten der Invasionsarmee angehört, aber nur ein paar hundert waren an den Unternehmungen dieses Jahres beteiligt. Uns Burschen von den Kommandos würden sie sich ansehen wollen. Ich schob den Teller weg – plötzlich schwitzte ich; nicht von der Suppe. Auf dem Tablett lag ein Zettel, eben war er noch nicht da gewesen, wer hatte ihn unter den Teller geschoben? Ich las einen einzigen Satz und fühlte einen Schock. Dringend an Tony: Erwarte Dich im Garten – Lopez. Die Mitteilung war ungewöhnlich nach Inhalt und Form. Ich wusste nicht einmal, ob es Lopez' Schrift war; er hatte mich niemals schriftlich benachrichtigt und auch nicht durch Vermittlung Dritter. Und weshalb wählte er für unseren Treff einen so auffälligen Ort? Er verkehrte kaum im „Garten“, ebenso wenig passte es zu mir. Er hatte mich heute bei sich erwartet, war sein Quartier nicht mehr sicher?“ Den heutigen Newsletter beschließt ein Buch, das sich einem der dunkelsten Kapitel der deutschen Medizingeschichte widmet - an einem konkreten Beispiel aus Schwerin. Aber es geht um weit mehr. 2003 veröffentlichte Helga Schubert im Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main „Die Welt da drinnen. Eine deutsche Nervenklinik und der Wahn vom ‚unwerten Leben‘“: Diesem Buch liegen die Akten von 179 Patienten der Schweriner Nervenklinik zugrunde, die 1941 als „lebensunwert“ ermordet wurden. Ihre Akten blieben auch nach dem Ende der Nazizeit unter Verschluss - im Ministerium für Staatssicherheit der DDR -, bis sie nach der Wende 1990 ins Berliner Bundesarchiv gelangten, wo Helga Schubert sie ausgewertet hat. Ihr Buch - keine historische Studie im engeren Sinn, sondern ein bewegendes und einzigartiges Stück Literatur - folgt minutiös den Schicksalen einzelner Opfer vor und nach ihrer Einlieferung in die Klinik, aber auch den Werdegängen der Ärzte - die sich dem Tötungsauftrag verschrieben oder sich ihm widersetzten. Zugleich sucht dieses Buch auch nach der Anbindung an eine Gegenwart, in der Debatten um Sterbehilfe, Hirntod und pränatale Gendiagnostik immer breiteren Raum einnehmen. Sein Ziel: Die offene Gesellschaft mit allen Mitteln - auch dem der belasteten Erinnerung - offen zu halten und das „Verrückte“ in und um uns als Teil unseres Lebens zu akzeptieren. „Wie viel einzelne Schicksale getöteter Geisteskranker könntet ihr in einem Buch aushalten, habe ich ein paar Leute gefragt. Fünf, hat Katja geantwortet. Höchstens zehn, antwortete Hannes. Zwölf, sagte die Literaturredakteurin einer Zweiwochenzeitschrift, und dann möglichst in einem Rhythmus angeordnet mit den Geschichten der Täter. Ob ich so etwas lesen, mir so etwas antun werde, weiß ich noch nicht, war die Antwort einer Lehrerin.“ Hier ein Ausschnitt aus diesem bewegenden Buch: „Perlkönigin und Nattergallen - Der Haken über dem u Alwine, die Perlkönigin, erlitt am 24. Februar 1940 einen Ohnmachtsanfall. Bei einer Körpertemperatur von 38° fieberte sie. Der herbeigerufene diensthabende Psychiater vermutete eine Influenza. Er unterzeichnete diese Eintragung in ihrer Krankenakte aber nicht mit seinem Namen. Bis auf eine einzige Ausnahme in all den 178 anderen Krankenakten aus der Heil-und Pflegeanstalt auf dem Schweriner Sachsenberg, die ich gelesen hatte, tat das auch keiner seiner Kollegen. Aber ich erkannte diesen Arzt trotzdem wieder. Denn er machte als Einziger seine Eintragungen in lateinischen Buchstaben und setzte dabei einen Haken über das u. Da gehörte der Haken aber nicht hin. Denn der u-Haken gehört zur alten Sütterlinschrift. (Wir, in der ersten Schulklasse gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, sechs Jahre nach diesem Ohnmachtsanfall, erlernten noch ein paar Wochen lang diese Schrift.) Er wollte vielleicht modern sein und hing doch an dem früh Erlernten, dachte ich: So machte er auch einen Haken über dem u der Influenza. So konnte ich diesen Arzt mit dem überflüssigen u-Haken in den Krankenakten von seinen Kollegen unterscheiden, aber nur, wenn ein Wort mit u im Satz vorkam. Ein zweiter Arzt dagegen unterschied sich deutlich von seinen anderen Kollegen, und ich freute mich schon, wenn ich seine Schrift beim Umblättern der Aktenseite entdeckte, denn er verfasste seine Bemerkungen in winzigen Sütterlin-Arabesken mit dünner Feder, wie in einer Geheimschrift. Nie machte er einen Klecks, und jedes Mal lohnte es sich, seine Grafiken genau zu entziffern: Es waren oft menschenfreundliche Entdeckungen in der fremden Welt seiner ihm anvertrauten verwirrten Patienten. Seine Girlandenzeilen taten mir gut, denn er versuchte, das ihm Unverständliche zu beschreiben und seine Patienten als Schwerkranke zu sehen. Nie las ich bei ihm von Unbrauchbaren, blöde Glotzenden oder Keifenden. Ein dritter Arzt schrieb in unauffälliger Sütterlinschrift, in jede Akte nur ein paar Wörter, Jahr für Jahr, nur die notwendigsten Mitteilungen: Zerreißt. Schlägt. Ruhiger. Verlegt in Einzelzelle. Hyoscin (er gab bei diesem Medikament die genaue Dosis an). Er machte ebenfalls einen u-Haken, aber der gehörte ja auch zur Sütterlinschrift. Ein vierter Arzt schrieb ähnlich wie der erste in lateinischen Buchstaben, machte aber keinen u-Haken. Er hatte sich als Einziger ganz auf die neue Schrift eingestellt. Auch als es um Leben und Tod ging, als man nämlich in der Berliner Euthanasie-Zentrale über die Meldebögen schon Bescheid bekommen hatte, dass ein bestimmter Patient nicht mehr arbeiten konnte oder eine Patientin apathisch im Bett lag, und die anderen Ärzte mit u-Haken, Girlanden und sachlichen Kurzwörtern noch etwas Gutes von den bald womöglich als lebensunwert Herausgesuchten berichteten, also von der Hilfsbereitschaft eines schizophrenen Patienten, von seinen militärischen Grüßen, seiner Freundlichkeit und Zuverlässigkeit, oder zumindest von seiner Insichgekehrtheit, dann schrieb dieser vierte Arzt ohne u-Haken: Zu nichts zu gebrauchen, unbrauchbar. Seine Schrift fand ich in roter Tinte neben Jahrzehnte alten Eintragungen früherer Ärzte. Deren damalige Aufzeichnungen konnten für die Entscheidung zur Tötung wichtig sein: Denn wenn schon die Mutter Selbstmord in der Anstalt verübt hatte, sah dann nicht die Depression der Tochter, die jetzt auf der Station lag, nach einer ererbten Geisteskrankheit aus? Erblich? schrieb darum dieser vierte Arzt in roter Tintenschrift in die Anamnese von vor 20 Jahren, die, verfasst in ordentlicher Sütterlinschrift, am Anfang der Akte eingeheftet war. Denn um das Erbliche und die familiäre Belastung und den gesunden Volkskörper ging es diesem Arzt wohl, ohne u-Haken bei den Wörtern „Belastung“ und „gesunden“. Alwines Fieber stieg zwei Tage später auf 39,1°. Der Arzt mit dem u-Haken hatte mit der Diagnose einer Influenza Recht behalten. Nur mit der Jahreszahl in der Akte irrte er sich: Er trug seine Bemerkung noch unter dem Jahr 1939 ein. Vermutlich hatte er übersehen, dass seine Eintragung vom 24. Februar die erste über diese Patientin im Jahre 1940 war, dass also noch kein Arzt vor ihm etwas Mitteilenswertes an ihr gefunden hatte. Erst bei der nächsten Eintragung, der zweiten und letzten über sie in diesem Jahr, steht in einer ähnlichen Schrift die richtige Jahreszahl: 1940. „5.8.: Sehr verschroben, wird als Hoheit angeredet, brachte einen toten Vogel aus dem Garten, wollte ihn gebraten haben. Schwer beeinflussbar, leicht erregbar.“ Die u's in „aus“ und „beeinflussbar“ standen nackt, ohne u-Haken vor mir. Als ich in der Krankenakte Alwines las, dass sie einen toten Vogel aus dem Garten der Anstalt hereingebracht hatte und ihn gebraten haben wollte, fast genau ein Jahr vor ihrem eigenen Tod, war mir unheimlich: Es war ja schon August 1940, bald begann das zweite Kriegsjahr. War sie so hungrig? Hielt sie den Vogel für eine Delikatesse? War es ein archaisches Symbol? Das Herz eines Vogels essen statt das Herz eines Menschen? Vermutlich hatte sie den Vogel schon tot gefunden, denn wenn sie ihn erst getötet hätte, wäre darüber in der Akte berichtet worden.“ Es fällt nicht leicht, diesen letzten Text des aktuellen Newsletters zu lesen und darüber nachzudenken, was den Menschen damals geschehen ist, über die Helga Schubert in „Die Welt da drinnen“ schreibt – und wie viel diese mit der Welt draußen zu tun hatte. Wie die anderen vier Bücher auch lädt es jedoch dazu ein, sich dem darin Berichteten auszusetzen und sich je nach dessen Charakter damit auseinanderzusetzen – beklemmend und berührend, spannend und wundersam. Weitere Informationen und Angaben finden Sie unter http://www.prseiten.de/pressefach/edition-digital/news/3856 sowie http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/. Über EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr: EDITION digital wurde 1994 gegründet und gibt neben E-Books Bücher über Mecklenburg-Vorpommern und von Autoren aus dem Bundesland heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen. Pressekontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Gisela Pekrul Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://www.edition-digital.de
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prseiten · 7 years
Text
Ein Pistolenknall im Konzert, keine Liebe für Miriam und ein besonderes Hochzeitsgeschenk – Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
Wolfgang Schreyer, der im nächsten Monat 90 Jahre alt wird, schreibt immer spannend und meist mit sehr sorgfältig recherchierten politischen Hintergründen. Das gilt auch für seine beiden unter dem Titel „Die Entführung“ veröffentlichten Erzählungen – der erste der fünf Deals der Woche, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 13.10. 17 – Freitag, 20.10.17) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind. Und für das Recht, Politik in literarische Werke einbringen zu dürfen, dafür hat Wolfgang Schreyer einen berühmten französischen Schriftstellerkollegen als Beistand finden können – mit einer starken Formulierung. Apropos stark. Gibt es überhaupt ein stärkeres Thema als die Liebe? Sie, also die Liebe, kommt auch in zwei anderen der aktuellen Deals vor. So nach Darstellung des Autors in allerdings untypischer Form in den vier Liebesgeschichten von Egon Richter, aber auch in dem Vermeer-Roman von Ingrid Möller. Und der beginnt gleich mit einer Hochzeit. Und für einen der geladenen Gäste ergibt sich daraus eine nicht ganz einfach zu lösende Aufgabe. Und worum geht es in den anderen beiden der insgesamt fünf aktuellen Deals der Woche? Um Schmuggel und den Kampf dagegen und um die Erlebnisse von „Raumlotsen“ weit in der Zukunft. Und wie es sich zeigt, haben die auch weit weg von der Erde höchst irdische Probleme zu lösen … „Die Entführung“ – erstmals 1979 erschienen unter diesem Titel zwei Erzählungen von Wolfgang Schreyer beim Mitteldeutschen Verlag Halle/Saale: Lateinamerika, 1966: Eine Handvoll Studenten, junge Männer und Mädchen aus meist gutbürgerlichem Haus, führt seit Jahren Krieg gegen das Militärregime in Uruguay. Legendäre Guerilleros leiten todesmutig Aktionen der Gruppe, gestützt auf Rat und Tat der kleinen kommunistischen Partei ihres Landes, aber auch notfalls auf eigene Faust handelnd. Eine konfliktreiche Episode der erbitterten Klassenkämpfe in Lateinamerika, wie sie sich auch in Nicaragua zugetragen haben könnte. Lissabon, Herbst 1975: Die portugiesische Revolution, von den Rechtskräften gebremst, verliert ihren Schwung. Dennoch gibt der Brunnen bauende Ingenieur nicht auf, geht es ihm doch um den Traum seines Lebens: Er will den Bauern im vertrocknenden Alentejo Wasser bringen, doch sie können das nicht bezahlen. Er wird daraufhin von seiner vermögenden Frau verlassen. Die Söhne stehen zu ihm, die Tochter will vermitteln, doch als sein Schwager verbittert aus Angola heimkehrt, ein vitaler Revanchist, geht der Riss durch die ganze Familie. Hier der Anfang der titelgebenden Erzählung „Die Entführung“, davor aber noch ein hochinteressanter Prolog, der wiederum mit einem spannenden Zitat eines berühmten französischen Schriftstellers beginnt: „Prolog Für Mélida Turcios Lima und Mario Tobias Politik in einem literarischen Werk ist wie ein Pistolenknall mitten in einem Konzert, sie wirkt roh und plump, und doch kann man ihr seine Aufmerksamkeit unmöglich versagen. Stendhal Jetzt will ich alles, was passiert ist, aufschreiben, und zwar ohne es zu glätten oder Wesentliches wegzulassen; sonst würde es wertlos. Ich schreibe in meiner Stenografie, die außer mir niemand lesen kann. Der Bursche, den mein Vater mir ans Bett gesetzt hat, damit er mich vor Mördern schützt, nimmt den Text immer mit, wenn er abgelöst wird. Er ist dem Oberst ganz ergeben, ich riskiere also den Verlust der Blätter nicht. Bisher hab ich über die Erfahrungen unseres Kampfes, über meine Haltung zur Partei – in den Meinungsverschiedenheiten der Leitung – Vertrauliches nie zu Papier gebracht. Dazu war keine Zeit, auch schien mir, es könnte schaden. (Aus Furcht, unserer Sache zu schaden, schaden wir unserer Sache.) Aber nun, bis zur Brust in Gips, bleibt mir nichts anderes übrig. Na ja, ihr werdet sehen, wie schön es ist, Theoretiker zu sein! Denken ist Leben, für mich jetzt Medizin; und die Analyse von Niederlagen kann genauso befriedigen wie die von Siegen. Freude am kritischen Denken, die weckte vor allem Professor Córdova in mir, unser Lehrer für Finanz- und Arbeitsrecht an der Universität San Carlos – obschon ein Liberaler, der sich manchmal abwegig äußert. So sagte er etwa, skurril vom Stoff abschweifend, keine einzige Ideologie sei fähig, die Bewegungsgesetze der Welt ganz zu erklären, stets bliebe da ein bedauerlicher Rest. Selbst wenn man, wie es ihm vorschwebe, fünf Prozent aller gesellschaftlichen Dinge mit Hilfe einer Rassentheorie, 30 Prozent mit der Lehre von Freud und 60 Prozent marxistisch deute, so seien noch immer unbekannte Faktoren am Werk, unerforschte und auch unberechenbare, wie irrationale Leidenschaften oder der historische Zufall! Dies verkündete er uns mit Emphase. Gern hätte Córdova, das gab er schon zu, sich ganz zum Marxismus bekannt. Doch es gelang uns beispielsweise nicht, ihn davon zu überzeugen, dass in unserem Land dereinst die Arbeiterklasse die führende Kraft sein werde. Vorhanden war sie ja, nur viel zu schwach, zu wenig klassenbewusst – das räumten wir ihm ein. Wir sollten, stieß er dann gleich nach, uns doch mal selbst ansehen, wie viel Proletarier seien wir denn? Einer auf zehn bestenfalls! Blanca, unser As in Theorie (wir nannten sie La Importante, die Wichtige) konterte im besten Jargon: „Der Kampf für den Sieg der Arbeiterklasse schließt nicht aus, dass zeitweilig auch andere revolutionär-demokratische Kräfte an der Spitze der Volksbewegung stehen, wie das auf Cuba gewesen ist, und dass es unter den Bedingungen der terroristischen Militärdiktatur eben bewaffneter Kampf sein muss!“ Dann grinste der kleine Hector Córdova sie an, sein Gesicht überzog sich mit hundert Querfältchen, und er fragte: „Wo ist sie denn, eure Volksbewegung? Warum gebt ihr nicht einfach zu, dass ihr an die Macht wollt, und zwar gewaltsam, ohne demokratische Legitimation?“ Auf den Professor komme ich noch zurück. Er hat uns ebenso geschafft wie El Caudillo oder, auf die weinerliche Tour, der jammervolle Don Fernando... Aber von nun an der Reihe nach. 1 Die Sache begann vor gut einem Jahr, im Mai 1965. Natürlich reicht meine Geschichte weiter zurück, doch ich will mich auf diese Aktion beschränken. Damals nämlich, im vorletzten Mai, spürte ich allmählich Veränderungen um mich; anfangs rein instinktiv. Es mehrten sich gewisse Situationen, wie man sie aus Gangsterfilmen kennt. Wenn etwa nachts gelegentlich das Telefon klingelt, wenn sich bei verschwiegenen Wanderungen am Zaun des Botanischen Gartens Silhouetten bewegen und, geht man auf sie zu, zu unglaubwürdigen Posen verliebter Pärchen erstarren, wenn gegenüber deinem Haus ein Typ so tut, als lese er Zeitung oder warte auf den Bus, in den er dann nicht steigt – da begreifst du, dass es Zeit wird, zu verschwinden. Es ging nicht mir allein nur so. „Beim ersten Mal kann's Zufall sein“, hatte Herbert gesagt – so heißt Luis Turcios Lima bei uns; „beim zweiten Mal vielleicht noch Pech. Beim dritten Mal ist es mit Sicherheit der Feind.“ Natürlich hing dieser kaum merkliche Wandel mit bestimmten Entwicklungen inner- und außerhalb des Landes zusammen. Soeben war der Armeeoberst Molina erschossen worden, derselbe Gangster, dem Herbert schon drei Jahre zuvor die Attrappe einer Bombe, an der eine Warnung hing, ins Auto geworfen hatte. Mein Vater, als Waffengefährte, regte sich sehr auf, doch ich wies ihm nach, dass Molina der ranghöchste Verbindungsmann zum nordamerikanischen Geheimdienst gewesen und für etliche Morde verantwortlich war. Dann richtete meine Gruppe in der Zone VI den Polizeichef Napoleon hin, nebst einem früheren Batista-Mann, der diesen Mafioso beraten hatte. Auf der Atlantik-Straße nahm Herbert eine ganze Kompanie gefangen, während die Armee ergebnislos nach ihm die Berge absuchte... Die Armee zeigte sich all dem überhaupt nicht gewachsen, wie mein Vater erbittert feststellte. Außerdem waren die Yankees gerade in Santo Domingo gelandet, um ein „zweites Cuba“ zu verhindern: die freie Welt war in Gefahr. Gleich ein paar Worte zu meinem Vater. Es fehlt mir da gar nicht an Mitgefühl. Sein Vater wiederum hatte es schon mit vierzig zum General gebracht, vor dem 44er Umsturz, als es bei uns den Rang noch gab. Der General Otto Valdés Frey (meine Urgroßmutter kam aus Deutschland) muss ein bewunderter und gehasster, jedenfalls ein dominanter Mann gewesen sein – das hat es dem Sohn nicht leicht gemacht. Vater ist ja empfindsam, eine künstlerische Natur, eigentlich wollte er malen, wurde aber Militär. Niemand fragte je nach seinen Bildern. Man kam eben nicht auf die Idee, er könne noch etwas anderes im Auge haben als die Karriere. Denn er war stets seriös, höchst korrekt und auch bei starker Gemütsbewegung beherrscht; in seiner Unbeholfenheit manchmal rührend. Kein Denker, eher ein fleißiger Merker mit einem Hang zur Akkuratesse, deutsches Erbgut wohl, in seinen Malutensilien, und nicht nur dort, herrscht mustergültige Ordnung. Heute ist er einer unserer zahlreichen Obristen – es müssen an die hundert sein, immer einer auf sechzig Mann – ohne viel Einfluss. Ein Dutzend von denen hat sich nämlich den Kuchen geteilt, de facto die Generalität. Die nimmt ihn nicht auf, das weiß er bestimmt; er kennt seine Grenzen. Er ist ein weicher, anpassungsfähiger Mensch, der um der Familie willen gern ein Herr geworden wär, ein großer Mann, aber nie herausgefunden hat, wie man das macht; zumal wenn alle drei, vier Jahre das Regime wechselt. Als Stellvertreter des Chefs der Rückwärtigen Dienste versteht er eine Menge von Logistik, hat das ganze Arsenal unter sich, kommt selber aber nicht mal an eine Bazooka heran, weil er bloß am Schreibtisch sitzt, über all den Bestands-, Verlust- und Beschaffungslisten. Ein paar der Granatwerfer, Maschinengewehre und M 3-Karabiner, die ihm als vermisst gemeldet wurden, gehören zu unserer Ausrüstung. Ich konnte jederzeit auffliegen, im Mai 65, die Gruppe als ganzes gefährden, da blieb mir nur, in den geschlossenen Untergrund zu gehen. Aber ich wollte das nicht schweigend tun, sondern es ihm wenigstens andeuten; mit meiner Schwester verband ihn wenig, im Grunde, als Gesprächspartner, hatte er nur mich. Und wider Erwarten begriff er sofort, ich sah's ihm an, sein Gefühl schien ihm seit langem gesagt zu haben, was ich wirklich trieb, wenn ich vorgab, ein Mädchen auszuführen oder übers Wochenende mit Kommilitonen zu feiern – weit draußen vor der Stadt, wo wir unsere Ausbildung bekommen und dann selber die Neuen ausgebildet hatten. Doch er zog es vor, seine Ahnungen zu verdrängen und mich misszuverstehen. Was denn, Marc, weg von der Uni – vorm Examen? Bitte, besorg mir einen Pass. Mein Gott, wohin willst du? Ich bleibe in der Stadt, vorläufig. Mach Schluss damit, Junge, gib es auf! Das kann ich nicht, Vater. Was ändert ihr? Du rennst ins Unglück, sie fassen dich! Nein – eben deshalb geh ich ja. Muss das sein? Das hat Folgen, auch für uns. Mehr als Oberst kannst du doch nicht werden. Und Mutter? Das darfst du ihr nicht Antunes ist Zeit für mich... Wenn du uns verlässt, dann komm niemals wieder! Das war sein letzter Satz gewesen, und ich wusste, es war ihm ernst. Erstmals 1979 konnte man in einem Buch des VEB Hinstorff Verlages Rostock „Vier untypische Liebesgeschichten für Männer“ von Egon Richter lesen. Der Titel des Buches hieß wie die erste Liebesgeschichte „Der Lügner und die Bombe“: Gemeinsam ist diesen vier sehr verschiedenen Geschichten, dass es um die Liebe geht – wie sie kommt und wie sie abhandenkommt. Spannend erzählt Egon Richter von den Konflikten im menschlichen Leben und davon, wie viel man investieren muss, damit die Liebe bleibt. Und wie viel Platz die Liebe im Leben braucht, damit sie nicht kaputtgeht zwischen Alltag und Anstrengungen für die Gesellschaft. Ein unerhörtes Ereignis passiert, als jemand eine Baugrube für ein Einfamilienhaus ausheben will. Warum ist ein kleiner Junge dabei? Und warum denkt er, dass die Leute ausgerechnet diesem Jungen nicht glauben würden, wenn er Hilfe holen soll, weil jemand mit einem Bagger in einer Baugrube eine Bombe festhält, damit sie nicht explodiert. Und da ist noch die Sache mit Ostafrika. Der Regisseur, der vorgibt, soviel von der Liebe zu verstehen, scheitert an die Liebe einer Frau, die ihn wirklich geliebt hat. Sie hat es ernst gemeint, viel ernster als er. Und während er denkt, es sei alles in Ordnung, schreibt sie eilig ein paar Zeilen auf den Kopfbogen der offiziellen Hotel-Post … Immer wieder ist das Werk, das wichtiger ist als alles andere. Wichtiger als das Zusammensein mit seiner Frau und mit seinen Kindern. Weiß er eigentlich noch etwas von ihnen? Noch vierzehn Tage, dann soll Schluss sein mit dieser ständigen Überforderung – gegen alle Signale seines Körpers. Da kommt die Havarie. Dreizehn Flugstunden entfernt liegt das ferne Land, in dem er vieles nicht versteht und sich zugleich an manches in seiner Heimat erinnert fühlt. In dem fernen Land, das ihm sehr fremd vorkommt, trifft er auch eine schöne Unbekannte und wagt einiges, aber ob es Liebe ist? „Der Lügner und die Bombe“, das sind – wie schon im Untertitel angekündigt – vier untypische Liebesgeschichten für Männer und ein Plädoyer für das richtige Maß zwischen Arbeit, Leben und Liebe und für Ehrlichkeit gegenüber dem anderen. Worin besteht er, der Sinn unseres Lebens? Egon Richter bietet Antworten auf diese Frage an, wie in der zweiten seiner vier Geschichten: „Die siebente Frau Über den Augen schmerzte sein Kopf. Immer diese Sauferei vorher, dachte er, aber er wusste, dass er das jedes Mal dachte. Er tat das, was er in solchen Fällen stets tat, er forschte in sich nach dem Bedürfnis, duschen zu gehen. Dieses Bedürfnis stellte sich nicht ein. Das kannte er. Er stieß entschlossen die Decke fort, schwenkte die Beine über den Matratzenrand und setzte die Füße auf den kratzenden Haargarnboden. Einen Moment betrachtete er die von ihm und Miriam verursachte Unordnung, hatte sekundenlang das Gefühl, in einer geradezu idealen Filmkulisse zu sitzen, dann registrierte er wieder den Schmerz über den Augen und stand auf. Er stakste zu den breiten Sesseln hinüber, fingerte aus der Jackentasche eine halbgeleerte Packung Eudorlin, drückte rasch eine Tablette heraus, warf sie sich in den Mund und zerkaute sie. Schmeckt wie Kalk, dachte er. Auch so ein Satz, den er stets in solchen Fällen dachte, er grinste darüber und hatte sich an den Reflex gewöhnt. Er tapste weiter. Mit dem Zeh löschte er die Lampe vor der Schrankwand, goss der kalkigen Tablette ein halbes Glas Juice hinterher, fand irgendwo seine Armbanduhr und stellte fest, dass sein Zug in siebzig Minuten fuhr. Auf Zehenspitzen schlich er in die Duschkabine hinter der Kleinküche, strich sich mit der Hand über Stirn, Bauch und Geschlecht und wusste, dass es ihn Mühe kosten würde, die Duschhähne aufzudrehen. Dann tat er es. Das Wasser hämmerte auf seinen Körper. Er hätte schreien mögen vor Schmerz. Schließlich empfand er die Frische seiner Haut als köstlich. Er drehte die Hähne zu und frottierte sich mit einem von Miriams herb parfümierten Badetüchern. Er öffnete kein Fenster, er zog keinen Vorhang auf. Er kleidete sich an in der dünnen Dämmerung. Die Schuhe trug er in die schmale Diele. Er nahm den Koffer und stellte ihn neben die Schuhe. In der Küche aß er ein kaltes Ei und eine Scheibe Schinken auf ausgekühltem, pappigem Toast. Dann schlich er zurück in das Zimmer. Er sah Miriam an, die schlafende und nichts ahnende. Dass er nichts spürte, was man als Liebe hätte bezeichnen können, oder wenigstens irgendetwas Unerwartetes, schockierte ihn. Er stakste auf Zehenspitzen in die Diele, schlüpfte in die Schuhe, deren Bänder er niemals öffnete, nahm den Koffer, drehte den Türknauf und schloss die Tür von außen mit so viel Vorsicht, dass er sicher war, Mariam würde das Klicken des Schlosses nicht hören. Einen Augenblick lauschte er noch, dann verließ er das Haus über die vier Betontreppen. Die grauen Rippen der Betonwege, die jeden Wohnblock mit der parallel laufenden Straße verbanden, vermied er und benutzte wie die zu Bushaltestelle und S-Bahn-Station hastenden Früharbeiter die kürzeren Trampelpfade über die streng quadratischen Grünflächen, an deren Rändern Buschrosen den morgendlichen Tau schluckten. Vor der Kaufhalle drängelten die Schlangen der Milch- und Brötchenholer, in den Wohnscheiben öffneten sich die ersten Fenster, und gähnende Leute stießen die Arme in die Morgenluft. Es war wie jeden Tag. Nur der Koffer in seiner Hand erinnerte ihn an die Endgültigkeit seines Abschieds. Er verließ das Häuserquadrat, umrundete den hellgrauen Glaskasten der Nehru-Schule und erreichte den Flachbau der S-Bahn-Station. Er schob sich in den Doppelstockwagen und ließ sich in der unteren Etage auf die schmale Lederolbank am Treppenaufgang fallen, so dass er sicher war, allein zu bleiben und kein übliches Morgengespräch über die gestrige große Schlappe von Motor Zella-Mehlis anhören oder gar durch verständnisvolles Kopfnicken, - schütteln oder -wiegen mitgestalten zu müssen. Die Zierkiefern auf den Grünflächen waren ein wenig höher geworden in den zwei Jahren, die er hier gelebt hatte. Gelebt? Im Übrigen entdeckte er kaum etwas an Erinnerung in sich. War es seine Pflicht, sich zu erinnern, weil er Abschied nahm? Schon das Wort: Abschied! Grauenhaft. Wie in einem Groschenheft. Endlich, hätte er am liebsten gesagt, aber zu wem? Er saß allein, und der Koffer klemmte sein Schienbein. Er stieß ihn ein wenig nach vorn und setzte einen Fuß darauf. Endlich, hatte er gesagt, als Miriam vor anderthalb Jahren mit der Wohnungszuweisung auf die Probebühne gerannt kam und ihm um den Hals fiel. Miriam hatte stets gewusst, was sie wollte. Sie hatte die härtesten Proben durchgestanden, die schlaf- und ruhelosen Landabstecher-Touren, die feuchte Kälte eines vier Meter hohen möbelierten Zimmers, das spärliche Gehalt und den kalorienreduzierten Fraß in der Kantine. Sie hatte die AWG-Chefs bezirzt mit Tränen und Lächeln und staunenden Augen und Hüftschwenken und Gratiskarten für überfüllte Operettenvorstellungen, denn sie wollte schneller eine Wohnung als gewöhnlich. Sie wollte immer irgendwas und immer etwas sehr Bestimmtes: die beste Schauspielerin an diesem Haus werden, eine Wohnung haben, einen Mann, „den ich will“. Damals wollte sie ihn, schon bevor sie die Wohnung bekam. Er war sich an diesem Morgen nicht sicher, ob er mit gleicher Inbrunst auch der größte Regisseur jenes Theaters werden wollte, aber dass er Miriam wollte, damals, darüber war er sich noch heute klar. Er hatte nie erfahren, was sie von ihm erwartete und ob es sie überhaupt interessierte, welche Ambitionen er hatte. Im Bett erwartete sie viel, bisweilen Maßloses. Er erinnerte sich, dass sie, zwei Tage nachdem sie gemeinsam hier begonnen hatten, stundenlang in dem knarrenden breiten Bett in Miriams möbliertem Zimmer zugebracht hatten, sehr zur Freude der Studenten im Nebenzimmer, denn Miriam war keineswegs schweigsam in solchen Fällen. In jener Zeit hatte er sich gesagt, dass er sie liebe und dass daraus mehr werden müsse als nur so ein Bett-Verhältnis. Er hatte in sich nach Anzeichen solcher Liebe gesucht, nach dem Ziehen in der Brust, dem Prickeln in der Herzgegend, aber er hatte nichts dergleichen feststellen können - jedenfalls war er sich an diesem Morgen solcher Gefühle von damals nicht sicher. Als sie später in den frischen Putz der Neubaustadt eingezogen waren und die Türen durch den selbstlosen Einsatz, der Theatertischler sogar lautlos schlossen, stellte er nach drei abendlichen Rundgängen an Miriams energisch ziehendem Arm fest, dass man in dieser Gegend nur saufen und schlafen könne, zu anderem sei sie nicht geeignet. Miriam meinte, das sei vorerst auch genug, ihr Leben spiele sich ohnehin woanders ab, und eine Wohnung sei erst mal eine Wohnung. Er behielt, sicherheitshalber, seine Dachkammer im Intendanzgebäude und zog zu Miriam. Sie arbeitete voller Verbissenheit an jeder noch so kleinen Rolle, sie diente sich empor, wie er das nannte, sie hatte eine schier unerschöpfliche Energie, nichts warf sie aus der Bahn, sie hatte ein Ziel vor den Augen. Bisweilen empfand er sich als Garnierung. Seine Wege nach oben waren verschlungene Pfade, er liebte es nicht, darüber nachzudenken, er verbot sich Analysen. Er war voller Freundlichkeit und voller Charme – das wusste er, und das gestattete er sich zu wissen, er sagte sich, dass er voller Liebe war, ein Mann der Liebe und der Leidenschaft. Was Letzteres betraf, fand er in Miriam die geradezu ideale Entsprechung. Er war sich sicher, dass er solch Pendant in allen anderen Berufen auch gefunden hätte - irgendetwas war fast mystisch an solcher Übereinstimmung. Mit viel größerer Wucht als vor Miriams Bett packte ihn die schreckhafte Erkenntnis, dass er nichts empfunden hatte, als er Miriam verließ, kein Herzklopfen, keine Furcht, keine Sehnsucht, nichts! Nach zwei Jahren müsste sich doch irgendetwas in ihm rühren. Er horchte wiederum in sich hinein, aber es war nichts da. Die weißen Blocks und die tauigen Grünflächen flogen vorbei, dickleibige Heizungsrohre schlängelten sich unter die Häuserscheiben, gelbe Busse schwankten überladen in Betonkurven, kümmerlicher Baumwuchs strebte einem fahlen Himmel zu. Das war alles, was er registrierte.“ Drei Jahrzehnte nach den untypischen Liebesgeschichten von Egon Richter, brachte der Projekte-Verlag Halle als Band 2 der vierbändigen Science-Fiction-Reihe „Raumlotsen“ von Carlos Rasch dessen Buch „Orbitale Balance“ heraus: Im Verlaufe des abenteuerlichen Geschehens bekommt es der Jungastronaut Jan mit einem geheimnisvollen Mann namens Puppmann zu tun. Verwilderte Roboter, die ihn für ein Gerät halten, das zu reparieren ist, machen ihm in „Hotel für Fabrikate“ zu schaffen. Ferner setzen ihm Raumpiraten zu. Astronauten machen auch Urlaub, natürlich auf Erden. Doch selbst dort bleiben sie nicht von Abenteuern verschont. Als Cora sich auf einer Meeresfarm in der Karibik bräunt, muss sie aus heiterem Himmel eine Invasion von Kraken abwehren. In „Aktion Meteoritenstopp“ ist der Raketenfriedhof Umfeld für die beiden Handlungsorte Raumfahrtmuseum und dem Raumschiff der Piraten „Stern von Magreb“ als Plätze der Versöhnung eines uralten über 2000 Jahre anhaltenden Völkerstreites. Das geschieht während eines unplanmäßigen Meteorfalls, bei dem zum Erstaunen der Menschheit der legendäre und hochverehrte Altraumfahrer Ben die Fronten wechselt, um Raumpiraten beizustehen, die Gold aus Mondbergwerken zur Erde schmuggeln. Was steckt hinter dieser Fahnenflucht gerade bei Bens letztem Einsatz im Auftrag der Raumflotte vor Ausmusterung ins Rentenalter? Zunächst einmal aber geht es um einen „Handfesten Streit im Drifter“: „Die breite Frachtluke des Buggys schwang auf und gewährte einen weiten Ausblick über den Erdball und auf die umliegenden Parkbahnen im Orbit. Jans dick umwulstete undluftgeblähte Gestalt im unförmigen Raumanzug schwebte reglos im Rahmen der Luke, während er dem hurtigen Tanz nah und fern vorübergleitender Flugobjekte auf ihren Park- oder Wechselbahnen zuschaute. „Träumst du?“, herrschte ihn Stüreplan, der ewig schlecht gelaunte Lademeister der Raumstation NORDLICHT, an. Er hockte auf dem Lenkschemel am primitiven Gestell mit wenigen Kontroll- und Steuereinrichtungen seines Frachtbuggys, wie sie für solche Pendler zwischen den Raumstationen und Mondfähren genügten. „Ja. Du bist wahrscheinlich nicht zum Träumen imstande!“ Jan drehte sich bei dieser Antwort nicht einmal zu ihm um, weil sowieso nicht zu sehen war, wie Stüreplan sich hinter dem Helmvisier wahrscheinlich über diese Antwort ärgerte. Jan spähte weiter über den schwarzen Abgrund des erdnahen Alls hinweg zum majestätischen Anblick des Erdballs. Sie verständigten sich beide über den Helmfunk. Die zylinderförmige Buggykonstruktion mit seinem Miniaturantrieb vorn und hinten gondelte tagseitig etwa vierhundert Kilometer hoch über die Erde hinweg. Auf dem hellen Hintergrund von Wolkenspiralen wirkte Jans Gestalt im Raumanzug pummelig, ähnlich einer dicklichen Gummipuppe. Ein verächtliches Schnaufen fauchte im Helmfunk. „Erwartest du, dass ich dich auf den Lenkschemel lasse, du Träumer mit dem neugebackenen A-Patent für Raumlotsen?“, stichelte Stüreplan. „Wenn wir nochmals drei Stunden in Abrufposition warten müssen, wirst du froh sein, wenn ich dich mal ablöse“, sagte Jan. Die Anspielung des Lademeisters auf seine neue Pilotenlizenz überhörte er geflissentlich. „Du schläfst schon jetzt ein. Wenn du nicht angeschnallt wärst, würdest du vor Müdigkeit vom Lenkschemel fallen“, reizte er Stüreplan. Er war auf den Lademeister von NORDLICHT nicht gut zu sprechen, weil der ihm kürzlich durch eine Unachtsamkeit fast den Prüfungsflug zum A-Patent als Raumlotse verpatzt hätte. Stüreplan geriet in Bewegung. Ihm rappelte ein Schimpfwort über die Lippen. Er hatte einen Verweis wegen Beeinträchtigung des Prüfungsfluges einstecken müssen. Jan war an einem Sicherheitsseil angeklinkt. Es straffte sich, als Stüreplan danach griff und kräftig zog. Seine Skaphanderhand packte Jan und schob ihn zwischen die Sicherungsnetze des kleinen Laderaums, die Fracht umspannten. Dann schloss er die Ladeluke. Die kleine Lastrakete war luftleer und somit auch schallfrei. Andernfalls hätten ihnen beiden von der Wucht des Zuschlagens die Ohren gedröhnt. „Es ist verboten, während des Fluges die Frachtluke zu öffnen“, schnauzte Argo Stüreplan seinen Passagier an. „Hat man dir das nicht beigebracht? Ich habe keine Lust, schon wieder wegen dir Rotzlöffel einen Rüffel zu bekommen.“ Es war nicht Jans Naturell, sich ausdauernd mit jemandem zu zanken, zumal der Lademeister in diesem Fall die Vorschriften auf seiner Seite hatte. Es war richtig: Auch in der Warteposition hatten die Ladeklappen verriegelt zu bleiben. Außerdem war Argo Stüreplan in der Raumflotte bereits als Grobian bekannt. Also schwieg Jan diesmal und entzog sich ohne Widerworte den Fangnetzen. Er hatte Order, mit dem Buggy zum Raumkreuzer BUMERANG überzusetzen und als Vertreter der Raumlotsen einen Testflug mitzumachen. Die BUMERANG schwebte neben der Raumschiffwerft. Die Stunden, die er dazu mit dem Griesgram verbringen musste, ließen sich angesichts der exquisiten Aussicht, an Bord eines nagelneuen, hochmodernen Raumkreuzers zu gelangen und dabei abschließend auch endlich, wie von ihm heiß ersehnt, Mondstaub an den Sohlen zu haben, verschmerzen. ›Wozu sich also einer Banalität wegen an ihm reiben?‹, dachte Jan. „Ich kann nichts dafür, dass wir so lange warten müssen, ehe du mich wieder abliefern kannst“, sagte er deshalb nur. „Ich auch nicht«, raunzte Stüreplan barsch und schnallte sich mit einer Gemächlichkeit auf dem Lenkschemel an, die nichts mehr von der eben noch gezeigten Fixigkeit ahnen ließ. „NORDLICHT unterkreuzt uns“, sagte Jan und versuchte, die große radartige Raumstation, etwa fünf Kilometer entfernt, durch ein Bullauge genauer zu erspähen. Vergeblich. „Von der Ladeklappe aus hätte ich sie mir besser ansehen können.“ „Was ist schon an ihr dran? Nur Kriechlinge von der Erde sind von ihrem Anblick wie hypnotisiert“, sagte der Lademeister überheblich und in zynischer Anspielung im Jargon der Raumfahrer auf jeden, der als normaler Sterblicher den luftleeren Raum außerhalb der Atmosphäre noch nicht aus eigener Anschauung erlebt hatte. Er wollte damit andeuten, dass Jan trotz seiner eben erst abgeschlossenen Ausbildung in der Raumflotte mit seiner noch geringen Erfahrung kaum besser dran sei als solche „Kriechlinge“. Argo Stüreplan gehörte zur Stammbesatzung von NORDLICHT und war nur vorübergehend zur Raumschiffwerft für Flüge mit Buggys abgestellt worden, weil NORDLICHT für ein paar Wochen als Umsteigebahnhof im Flugverkehr zwischen Mond und Erde geschlossen worden war. Der Hoteltrakt, ein Ringteil als Aufenthaltsort für An- und Abreisende, wurde modernisiert. Man wechselte dazu einfach einen ganzen Ringausschnitt. Deshalb hatten zur Zeit nur Raummonteure dort etwas zu tun. Der überwiegende Teil der Stammbesatzung war auf Erdurlaub geschickt oder auf andere Raumstationen im Erdumlauf verteilt worden. So war Jan mit der Order, an Bord der BUMERANG gebracht zu werden, Stüreplan nur zufällig erneut nach seinem rasanten Prüfungsflug zum Pilotenzertifikat begegnet. Der Raumkreuzer würde nach dem Testflug Solarkraftwerke im Erdumlauf bewachen und vor Meteoriten schützen. Etwa zweitausend Tonnen solcher Brocken, von der Größe eines Sandkorns bis zu großen Steinen oder Schlacken, bombardierten täglich die Erde, ohne Schaden anzurichten, denn sie verglühten in der Atmosphäre. Durchschlügen sie aber die großen Solarflächen orbitaler Energiesammler, richteten sie Verheerungen an. Trotz ihres gespannten Verhältnisses hatte es Stüreplan vorerst toleriert, dass Jan die Ladeluke ihres Buggys entriegelte und aufschwingen ließ, um einen besseren Rundumblick auf Hurtig-Sterne zu bekommen, die unter oder über ihnen vorbeizogen. Vor allem wollte Jan sehen, wie weit die Einfügung eines neuen Hotelsegmentes in den Stationsring von NORDLICHT gediehen war. Jan hatte noch nie Gelegenheit gehabt, ein solches Austauschmanöver als Zaungast aus einer benachbarten Überholbahn zu beobachten und würde voraussichtlich auch nicht so bald wieder eine solche Möglichkeit dazu bekommen. Als frisch ausgebildeter Lotse nahm er das Recht auf Wissbegierde für sich in Anspruch, selbst wenn dazu Vorschriften vernachlässigt wurden. Er traute sich genug Urteilsvermögen zu, um zu wissen, wann er Ermessensspielraum hatte und wann nicht. Jans Pech, ausgerechnet von Stüreplan zur BUMERANG befördert zu werden. Dem Blick aus der Ladeluke war nun Genüge getan nach Stüreplans Ansicht.“ Bereits 1964 war erstmals in der beliebten Erzählerreihe des Deutschen Militärverlages Berlin als Heft 94 der Krimi „Schüsse im Hafen“ von Heiner Rank erschienen: Zollassistent Bertholdi entdeckt in einer dunklen Nebelnacht im Hafengelände einen Mann, der vor ihm in Richtung des norwegischen Schiffs „Ingo“ flieht. Zwei Männer lassen von der Reling dieses Schiffes einen Karton zu einem Boot herab. Als Bertholdi die beiden Männer von der „Ingo“ stellen will, wird er überwältigt. Er kann nur noch die Männer auf dem davoneilenden Boot zum Halten aufrufen und, nachdem sie fliehen, hinterherschießen. Die am nächsten Tag durchgeführte Zollkontrolle auf der „Ingo“ bringt zwar etwas Schmuggelgut zutage, aber keinen Hinweis auf die nächtliche Aktion. Eine akribische Ermittlungsarbeit des DDR-Zolls beginnt. Das erstmals vor nunmehr 53 Jahren erschienene Buch bietet auch dem heutigen Leser noch genügend Spannung und dazu einen kleinen Einblick in die Lebens- und Arbeitswelt in der DDR nach dem Mauerbau. Und so beginnt der Einsatz von Bertholdi: „1. Kapitel Zollassistent Bertholdi macht den gewohnten Hafenrundgang. Sein Weg führt ihn die Strandstraße entlang auf das Warnowufer zu. Links ragen die windschiefen, schmalbrüstigen Fachwerkhäuser der Rostocker Altstadt auf, rechts liegt das umzäunte Hafengelände mit Speichern, Kränen und den am Kai vertäuten Frachtern. Bertholdi läuft auf dem schmalen, grasbewachsenen Sandstreifen zwischen Zaun und Gehweg. Oft bleibt er stehen und schaut sich prüfend nach allen Seiten um, doch die Sicht beträgt nur wenige Meter. Dichter schmutziggrauer Nebel liegt über der Warnowniederung. Es ist fast windstill. Die Geräusche klingen wie in Watte verpackt, ihre Entfernung ist nicht abzuschätzen, sie scheinen alle aus nächster Nähe zu kommen. Das heisere Stöhnen einer Schiffssirene draußen auf dem Fluss, der schrille, kurzatmige Pfiff der Rangierlok, das Klirren einer Krankette — alles ist greifbar nahe, dumpf, ohne Widerhall. Der Zollassistent verhält im Schutz einer Schuppenwand. Am Mast über dem geteerten Dach steht verschwommen der gelbliche Schein einer Lampe. Von dem Ahornbaum auf der anderen Straßenseite löst sich Blatt um Blatt. Um den schwarzen, regennassen Stamm hat sich ein Hof aus dunkelbraunem Laub gebildet, das einen kräftigen herben Geruch ausströmt. Gar nichts los heute Nacht, denkt Bertholdi, dabei ist das Wetter wie geschaffen für krumme Geschäfte. Ich muss meine Waffe einfetten, wenn ich in die Dienststelle zurückkomme. Die Nässe dringt in alle Ritzen und greift sogar Stahl an. — Da alles ruhig bleibt, will Bertholdi seinen Weg fortsetzen. Er löst sich von der Schuppenwand. Still! War da nicht ein Geräusch? Rasch tritt er zurück. Aus einem engen Altstadtgässchen nähern sich Schritte, frech und unbekümmert. Doch plötzlich bricht das Tappen ab. Eine Minute verstreicht. Bertholdi rührt sich nicht. Sollte er sich getäuscht haben? War es jemand, der in diesen Häusern da drüben wohnt? — Nein, da ist er! Eine gebückte Gestalt, Schiffermütze auf dem Kopf, huscht über die Straße auf den Hafenzaun zu. Mit einem Satz hängt der Mann am Zaun, schwingt sich hinauf. Bertholdi springt vor. „Halt! Zollkontrolle!“ Der Mann denkt nicht daran, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Ehe Bertholdi zugreifen kann, zieht er sein Bein über den Zaun und rennt davon. Bertholdi verliert keine Zeit. Mit einer Flanke setzt auch er über den Hafenzaun. Der andere springt vor ihm über die Gleisanlagen, schlüpft unter einem Portalkran hindurch und verschwindet zwischen gestapelten Öltonnen. Der dichte Nebel erschwert die Verfolgung, und als Bertholdi die Tonnen erreicht, ist der Mann spurlos verschwunden. Doch da ertönt nahe dem Kai, hinter persenningüberdeckten Kisten mit Werkzeugmaschinen, blechernes Scheppern. Der Zollassistent läuft in diese Richtung. „Nicht so hastig, Freundchen“, brummt er, „und immer schön die Augen auf.“ Durch den Nebel dringen die Bordlichter eines Küstenfrachters. Es ist die „Ingo“, ein kleiner norwegischer Dreitausendtonner. Bertholdi kennt das Schiff, es läuft regelmäßig die Route Oslo—Rostock, bringt norwegische Fischkonserven und holt deutsche Werkzeugmaschinen und elektrische Ausrüstungen. Der Mann läuft direkt auf den Frachter zu. Vielleicht glaubt er, er hätte den Verfolger bereits abgeschüttelt. Er eilt die beleuchtete Schiffstreppe hinauf und taucht zwischen den dunklen Aufbauten unter. Es ist ein kleiner, etwas gebeugter Mann, schon nicht mehr jung, wie Bertholdi in diesem kurzen Augenblick feststellen kann. Er folgt ihm, schleicht so leise wie möglich an den Ladeluken vorbei nach Steuerbord, wo es dunkel ist. Irgendwo fällt eine eiserne Tür ins Schloss. Dann ist es wieder still. Nur unten an der Bordwand plätschern die Warnowwellen. Soll er versuchen, den Kerl auf eigene Faust zu finden, oder gleich zum Kapitän gehen, um den Vorfall zu melden und eine Kontrolle der Mannschaft zu verlangen? Ehe sich Bertholdi entscheiden kann, öffnet sich in seiner Nähe eine Tür. Zwei Männer betreten leise das Deck. Unter ihren dunklen Gummimänteln heben sich hell die Hosenbeine der Schlafanzüge ab. Einer der beiden trägt einen großen Karton unter dem Arm, der zweite schleppt ein zusammengerolltes Seil. Vorsichtig sehen sie sich um. Bertholdi hält den Atem an. Doch er bleibt unbemerkt: Die beiden Männer treten an die Reling. Sie befestigen das Seil am Karton, der eine schaut auf seine Armbanduhr und nickt seinem Freund zu. Vom Wasser dringt ein leises Geräusch von Riemenschlägen herauf. Dollen quietschen gedämpft, Holz schlägt an Holz — ein Riemen wird eingezogen, dann eine kleines Schurren an der Bordwand: Ein Riemenboot ist am Schiff. Weit über die Reling gebeugt, lassen die beiden Männer den Karton hinunter. „Jetzt!“, sagt Bertholdi zu sich. Mit zwei schnellen Schritten steht er hinter den Männern und packt einen von ihnen fest am Arm. „Zollkontrolle! Folgen Sie mir zum Kapitän!“ Ein erschreckter Aufschrei. Ein dumpfes Poltern. Die Insassen des Bootes fluchen, einer ruft empört: „Was ist denn los da oben? Seid ihr verrückt geworden?“ Da wird Bertholdi von hinten umklammert. Zwei bärenstarke Arme pressen sich um seinen Oberkörper. Ein dritter Mann, von Bertholdi unbemerkt, ist seinen Kumpanen zu Hilfe gekommen. Der Zollassistent wird gegen die Reling geschleudert und stürzt auf das Deck. Noch im Fallen greift er zur Pistolentasche; doch als er sich aufgerichtet hat, ist er allein. Bertholdi schaut über die Reling. Undeutlich erkennt er ein Boot, zwei Männer hantieren an den Riemen. Zwischen ihnen liegen Ballen oder Säcke auf den Bodenbrettern. Gerade stoßen sie das Boot ab und wollen sich davonmachen. „Ziehen Sie die Riemen ein! Bleiben Sie am, Schiff! Zollkontrolle!“, ruft Bertholdi hinunter. „Ja, ja“, tönt es geruhsam zurück. „Nur keine Aufregung. Wir kommen schon.“ Doch entgegen dieser Beteuerung entfernt sich das Boot immer weiter von der Schiffswand. „Kommen Sie sofort zurück, oder ich schieße!“ Bertholdi umklammert die Waffe. Noch nie hat er mit scharfer Munition auf einen Menschen schießen müssen. Es ist kein angenehmer Gedanke, dass dieser Notfall jetzt eintreten könnte. „Die Strömung treibt uns ab, wir kommen schon zurück“, ruft einer aus dem Boot. Doch Bertholdi sieht: Sie helfen mit den Riemen nach, um immer mehr Abstand zu gewinnen. „Letzte Warnung! Kommen Sie heran!“ Die beiden im Boot glauben, sie seien nun weit genug fort, um die Maske fallen lassen zu können. Mit aller Kraft werfen sie sich plötzlich in die Riemen. Das Boot macht eine Wendung und schießt auf den Fluss hinaus. Bertholdi reißt die Pistole hoch und feuert zweimal. Sekunden später, noch ehe er feststellen kann, ob er getroffen hat, ist das Boot vom Nebel verschluckt. Erbittert starrt er in die Finsternis. Kein Laut mehr. Nur das monotone Klatschen der Wellen. Er schiebt die Waffe in die Ledertasche zurück, hebt die Hülsen auf und macht sich auf die Suche nach dem Kapitän.“ Eine ganz andere Situation und Szenerie erleben wir in dem erstmals 1977 im Prisma-Verlag Zenner und Gürchott Leipzig erschienenen Vermeer-Roman „Das Haus an der Voldersgracht“ von Ingrid Möller: Es besteht kein Zweifel, dass man das Werk eines Künstlers erst dann würdigen kann, wenn man über das erlebende Betrachten hinaus etwas vom Schicksal des Meisters in Erfahrung gebracht hat. Vermeer, der mit seiner Vaterstadt aufs engste verwurzelt war, ließ die provinzielle Enge und Behäbigkeit des Delfter Alltags zum Gegenstand seiner farbkräftigen Gemälde werden, mit denen ihm allgemeingültige künstlerische Aussage gelang. Autorin Ingrid Möller vollzieht den Schaffensprozess schöpferisch und spannend nach. In dem folgenden Ausschnitt geht es um eine Hochzeit oder besser gesagt um die Vorbereitungen zu einer Hochzeit. Ein Hochzeitsgast sucht ein Hochzeitsgeschenk für die Braut – eine ziemlich komplizierte Angelegenheit, sollte es doch etwas ganz Besonderes sein: „Fünf Wochen ist es her. Ein Markttag. Unschlüssig darüber, was er als Hochzeitsgeschenk aussuchen sollte, schlenderte Leonard Bramer durch die Straßen. Keinen Stand ließ er unbeachtet, an dem etwas geboten wurde, was das Auge erfreuen kann: Stoffe, Spitzenkragen. Fayencegeschirr, Messingleuchter — aber bei keinem dieser Stücke hatte seine innere Stimme ihm Halt geboten. Was er suchte, war nicht irgendein Geschenk — es sollte etwas Besonderes sein, etwas, was keiner von ihm erwartete, und etwas, das einen höheren Sinn hatte und das er als Höhepunkt einer Festansprache überreichen wollte. Das eben machte die Sache so schwierig! Wäre er ein guter Musikant gewesen, hätte er ein Saiteninstrument nehmen und es nach der Darbietung dem Paar überreichen können. Hinge bei den Vermeers nicht das ganze Haus voller Gemälde, hätte er mit einem eigenen Bild Ehre einlegen können. Aber so? Bramer zuckte die Achseln und grübelte weiter. Mitten auf der Warmoes-Brücke vor dem Westerschen Silverpant blieb er plötzlich stehen. Schmuck — ja — Schmuck könnte es sein! Und so nahm er Richtung auf die Gasse der Goldkrämer. Zu Sybrant van der Velden wollte er gehen, ihn kannte er seit seiner Kindheit. Der alte Mann hatte viel Unglück gehabt. Mit seiner Ehrlichkeit kam er nicht gegen die jüngeren und wendigen Konkurrenten auf. „Goedendag Mijnheer Bramer!“ Die Freude des Alten war ehrlich. „Wollt Ihr etwa etwas kaufen?“ „Gewiss, wenn Ihr das Richtige für mich habt.“ „Ein Geschenk für eine Dame“, forschte der Juwelier und begann, mit Samt ausgeschlagene Kästchen hervorzuholen. „Mijnheer van der Velden, Ihr seid doch der letzte, der über Feste und Vorgänge in der Stadt nicht Bescheid wüsste, also ist Euch auch zu Ohren gekommen, dass ich am fünften April Zeuge beim Aufgebot des jungen Vermeer war. Daraus folgt: Ich werde auch zur Hochzeitsfeier eingeladen, und daraus folgt weiter: Ich brauche ein Geschenk. Und nun sagt ruhig, Ihr hättet’s nie erraten!“ Geschmeichelt lächelte der Alte: „Nun ja, in meinem Beruf muss man manchmal das Gras wachsen hören, aber meine Ohren lassen nach.“ „Was habt Ihr also anzubieten?“, drängte Bramer. „Eine gute Sache will gut bedacht sein!“ Sybrant van der Velden verstand sich darauf, auf sanfte Art zurechtzuweisen. „Nehmt — bitte sehr — erst einmal Platz! Und nun beschreibt mir die Braut. Ist sie blond, brünett, dunkel? Nicht jeder Schmuck passt zu jeder Frau — ich frage nicht aus Neugier.“ Bramer musste überlegen. „Ich glaube wohl, sie ist blond — nein eher mittelblond, und hat blaue Augen oder — auf jeden Fall ist sie jung und hübsch, und ich wüsste nicht, was ihr nicht stehen sollte.“ „Hm“, der Alte blieb umständlich. Zu selten kam ein Kunde, mit dem er sich ausführlich unterhalten konnte. „ — vielleicht ein Ring mit Aquamarinen? Sie haben die Farbe der Augen, falls sie wirklich blau sind.“ Bramer drehte den prismatisch geschliffenen Stein hin und her, um das Licht darin spielen zu lassen. Die Klarheit dieses hellen Blaus ließ an Wasser, an Himmel denken. Aber war es nicht dem Bräutigam vorbehalten, einen Ring zu schenken? Er legte ihn auf den Tisch zurück. Der Juwelier brachte eine Goldspange, eine feine Filigranarbeit. Kunstvoll schlangen sich die Drähte zu Spiralen und Schneckenhauswindungen. „Ist das Eure Arbeit?“, fragte Bramer verwundert. „Dann könnt Ihr dem Herrgott für Eure guten Augen dankbar sein.“ „Zusammen mit der Lupe geht es noch mit meinen Augen. Dieses Stück habe ich allerdings schon vor Jahren angefertigt. Wollte es erst nicht verkaufen. Für meine Tochter aufheben.“ „Ich weiß es zu schätzen, dass Ihr es mir anbietet. Ich bin Euch ein schwieriger Kunde.“ „Schwierige Kunden sind gute Kunden. Sie beweisen Geschmack. Lassen sich nichts aufschwatzen.“ Bramer sah, wie die Hände des Alten zu zittern begannen. Die Angst, dass der Kunde gehen könnte, ohne etwas zu kaufen, stand ihm im Gesicht. „Man trägt jetzt Perlschnüre im Haar — vielleicht darf es so etwas sein“, schlug der Juwelier vor. Was in aller Welt nennt dieser Mensch denn bloß etwas Besonderes, dachte er insgeheim. Bramer wog die Kette in den Händen. Zuviel Perlen, überlegte er, zu viel Gulden. Aber Perlen, ja, die wären richtig. Ihr Schimmer — es muss eine andere Verwendungsart geben! Ring? Nein! Armband? Nein! Bramer sah sich wieder um, öffnete selbst Schubfächer, kümmerte sich nicht um den Alten. Und da geschah es, dass er dieses Perlohrgehänge entdeckte, das gerade so bewundert wird. Doch der Juwelier war keineswegs bereit, es zu verkaufen. Vielmehr schien er erschrocken darüber, dass Bramer es überhaupt gefunden hatte. Bramer aber gab seinen Entschluss nicht auf: Dieses Schmuckstück wollte er — nichts anderes. Der Juwelier wand sich, es sei eine Sonderanfertigung, die noch nicht abgeholt sei, er dürfe sie nicht verkaufen. Bramer, der gewohnt war zu erreichen, was er sich in den Kopf gesetzt hatte, war erregt aus dem Laden gegangen und hatte den Juwelier seinen Gewissensbissen überlassen. Einen Tag später aber stand van der Velden bei Bramer in der Tür, mit dem Schmuck. „Mijnheer Bramer — verzeiht — ich habe mich entschlossen — Euch das Ohrgehänge zu überlassen“, stammelte er, „es hat vor Jahren ein Marineoffizier in Arbeit gegeben — für seine Braut — ein weit gereister Mann — hat sich nie wieder blicken lassen“, und mit einer Miene, als müsse er sich selbst die Überzeugung aufzwingen, setzte er hinzu: „Vermutlich ist er längst gefallen — gegen die Engländer — da fallen ja viele, sagt man ...“ „Na also!“, rief Bramer aus, „dann ist doch alles in bester Ordnung! Keiner kann von Euch erwarten, dass Ihr jahrelang unabgeholte Bestellungen liegen lasst. Es ist doch Euer Geld, das dann festfriert.“ Darauf wurde der Preis ausgehandelt — kein hoher Preis — und Bramer hatte das Ohrgehänge ...“ Und so kann Mijnheer Bramer doch noch guten Gewissens und mit einem schönen und vor allem besonderen Hochzeitsgeschenk zu der Feierlichkeit gehen und seine Rede an die beiden Brautleute mit einem tollen Effekt beenden. Das Ereignis ist sehr anschaulich und farbig beschrieben – fast wie gemalt. Und vielleicht könnte man sich beim Lesen dieses Romans das vielleicht bekannteste und populärste Gemälde von Jan Vermeer dazustellen – „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge (niederländisch: Meisje met de parel). Auch wenn man bis heute nicht weiß, wer die dargestellte Schönheit auf dem um 1665 entstandenen, 45 Zentimeter hohen und 40 Zentimeter breiten, mit Öl auf Leinwand gemalten Porträts eigentlich ist. Es könnte ein bezahltes Modell gewesen sein, ein Tronie, oder aber das Bild war eine Auftragsarbeit. Das Porträt ist als Schulterstück ausgeführt, so dass die Schulteransätze zu sehen sind. Das Bild endet also auf der Höhe der Achseln. Das Mädchen trägt eine bräunlich-gelbe Jacke, von der sich der weiße Kragen deutlich absetzt. Zudem bildet die Jacke einen Kontrast zum blauen Turban mit dem gelben herabfallenden Tuch. Er ist ein Zeichen für das in der damaligen Zeit vorhandene Interesse an der morgenländischen Kultur infolge der Türkenkriege. Im 17. Jahrhundert waren Turbane deshalb ein beliebtes und weit verbreitetes Accessoire in Europa. Besonders auffällig ist die Perle am Ohr des Mädchens, die aus der Schattenzone des Halses hervorsticht und im Licht funkelt. Das Mädchen interagiert mit dem Betrachter, indem es ihn direkt anblickt und den Mund leicht geöffnet hält, was in der niederländischen Malerei häufig die Andeutung einer Ansprache des Bildbetrachters darstellt. Der Bildhintergrund ist neutral und sehr dunkel, aber aufgrund seiner Vielfarbigkeit nicht schwarz. Er verstärkt die Helligkeit des Mädchens, insbesondere die seiner Haut. Die Kleidung des Mädchens wurde von Vermeer mit annähernd reinen Farben gemalt. So oder so gesehen aber kann dieses Bild die Fantasie und das Interesse an Leben und Werk des berühmten Malers aus Delft steigern, der in der Epoche des Goldenen Zeitalters der Niederlande wirkte, in der das Land eine politische, wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit erlebte. Und auch wenn tatsächlich nur wenig über das Leben von Jan Vermeer bekannt ist und nur 37 Bilder gesichert als seine Werke gelten, so lohnt sich die Lektüre des Romans „Das Haus an der Voldersgracht“ – oder sogar erst recht deswegen. Viel Vergnügen bei der Lektüre und beim Bilder-Schauen. Weitere Informationen und Angaben finden Sie unter http://www.prseiten.de/pressefach/edition-digital/news/3852 sowie http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/. Über EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr: EDITION digital wurde 1994 gegründet und gibt neben E-Books Bücher über Mecklenburg-Vorpommern und von Autoren aus dem Bundesland heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen. Pressekontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Gisela Pekrul Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://www.edition-digital.de
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Verrückte Geschichten, Napoleon in Dresden, Kurbel in Kattuhn und andere Erinnerungen – Sieben E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
Auf den ersten Blick ist es schwer, eine oder auch zwei Gemeinsamkeiten der sieben Deals der Woche zu finden, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 06.10. 17 – Freitag, 13.10.17) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind. Dazu scheinen die Zeiten und Orte der jeweiligen Handlung zu unterschiedlich zu sein. So lässt uns Siegfried Maaß an einer merkwürdigen Beziehung zwischen einer noch jungen Lehrerin und einem ihrer Schüler teilhaben, der auf eine verrückte Idee kommt – verrückte Geschichten schreibt das Leben mitunter. Mit dem Leben des später berühmten Malers Adrian Ludwig Richter, der schon als kleiner Junge vom Glück ohne Ende träumt, befasst sich Ingrid Möller. Ebenfalls von Malern, aber auch von großer und kleiner Politik in einer großen und bedeutenden deutschen Stadt Anfang des 16. Jahrhunderts – also kurz nach dem Ende des Mittelalters – erzählt Renate Krüger. Zwei Bücher über junge Leute in der DDR, die beide sogar von demselben DEFA-Regisseur verfilmt worden waren, steuert Joachim Nowotny bei. Spannend wie immer schreibt Wolfgang Schreyer über einen Mann und seine mehrfachen Leben. Gerade steht er vor einer ganz neuen Herausforderung. Und schließlich geht es noch einmal um Träume. Mit der gebürtigen Königsbergerin Elisabeth Schulz-Semrau besuchen wir zum dritten Mal ihre ostpreußische Heimatstadt und erfahren von Lebensschicksalen „russischer und deutscher Kinder aus den letzten Kriegstagen und den sich anschließenden Wirren der Nachkriegszeit, deren Lebensweg sie bis in die Gegenwart hinein verfolgt hat“. Und wahrscheinlich ist es dieses eine Wort, welches das Gemeinsame der aktuellen sieben Deals der Woche ausmacht: Lebensschicksale. In jedem der sieben Angebote geht es um Lebensschicksale, die unterschiedlicher in Zeiten und Orten kaum sein können. Sie alle aber haben doch eines gemeinsam: sie berühren uns … Erstmals im Jahre 2001 erschien im dr. Ziethen Verlag Oschersleben der Roman „Zeit der Schneeschmelze“ von Siegfried Maaß: Verrückte Geschichten schreibt das Leben. Da verehrt ein Schüler, der sich in seiner Familie und seiner Umwelt nicht mehr angenommen fühlt, seine Lehrerin, fühlt sich von ihr bestärkt in seinen Lebenswünschen. Und gerade deshalb entführt er sie, sperrt sie in einem Abrisskeller ein, gefährdet am Ende ihr Leben. Was treibt ihn dazu, sich gerade zu dieser Frau so zu verhalten? Siegfried Maaß geht in seinem Roman dieser Frage nach, betrachtet sie in dem Geflecht von Beziehungen, in dem der Junge und seine Lehrerin verstrickt sind. Für den Leser steht nicht die Frage, ob dies hätte verhindert werden können, die man sich in ähnlichen Fällen so oft zu spät stellt, sondern erkennbar wird, dass hier Wünsche und Sehnsüchte unter Umständen aufeinandertreffen, die fast zwangsläufig unglücklich ausgehen müssen. Und gleich am Anfang dieses Buches begegnen wir der entführten Lehrerin, die Angst hat, große Angst und die versucht, sich irgendwie verständlich zu machen - vergeblich: „Montag Anna-Marie Der schmale Streifen Tageslicht, der sich dort abzeichnete, wo die schwere Eisentür über der obersten Stufe der Kellertreppe endete, stellte die einzige Orientierungshilfe für sie dar. Doch die Wintertage waren kurz, und die junge Frau in dem dunklen Verlies fürchtete bereits die lange Nacht, die bald auch diesen einzigen Sichtpunkt auslöschen würde, der sie mit der Welt dort draußen verband. „Hallo! Hört mich jemand? Ich bin hier unten im Keller! Helft mir!“ Wie oft hatte sie diesen oder einen ähnlichen Ruf schon hinausgeschrien? Längst war sie heiser, sodass sie nur noch flüstern konnte. Es kam ihr sogar vor, als wären ihre Stimmbänder inzwischen zu dicken Seilen angeschwollen. Sie schmerzten und schienen sie fast zu ersticken. Niemand hatte sie gehört, und sobald sie in Gedanken den Weg nachvollzog, den der Junge sie geführt hatte, begriff sie, dass es aussichtslos war zu hoffen, sie könnte mit ihren Rufen irgendwen auf sich und ihre Notlage aufmerksam machen. In diese abgelegene Industriebrache verirrte sich niemand, und wäre Ben durch irgendein unbeeinflussbares Ereignis daran gehindert, sie weiterhin notdürftig zu versorgen und irgendwann wieder freizulassen, würde sie womöglich das Tageslicht nicht wiedersehen. „Ich will hier raus!“, sagte sie, so gut es ging. „Ich will nicht sterben, ich bin erst 32 Jahre alt, im vorigen Monat hatte ich Geburtstag.“ Ängstlich beobachtete sie den Lichtstreifen, dessen eigentümliche Färbung ihr verriet, dass es später Nachmittag war und sie für heute ihre letzte Verbindung zur Außenwelt bald verloren hätte. „Ich heiße Anna-Marie Tetzlaff ...“ Ich bin es wirklich, dachte sie. Aber mit einer fremden Stimme. An meiner Stimme kann mich niemand mehr erkennen. Auch Jens könnte es nicht. Jens ... „Nicht einmal zum Geburtstag hat er mir gratuliert. Ich wäre ganz allein gewesen, wenn mich nicht meine Chefin überrascht hätte. Plötzlich stand sie vor der Tür. Darum wurde es auch kein so trauriger Geburtstag, wie ich befürchtet hatte ...“ Anna-Marie lauschte ihren Worten nach. 32 Jahre ... Ich bin jung, dachte sie, und habe noch alles vor mir. Wer gibt Ben das Recht, mir die Hoffnung auf ein langes und erfülltes Leben zu nehmen? „Manche Leute behaupten, ich würde bedeutend jünger aussehen. Dann lache ich zwar jedes Mal und bin verlegen, aber in Wirklichkeit habe ich es mir immer wieder gern angehört ...“ Sie war froh, ihre eigenen Worte vernehmen zu können, mit denen sie nicht gegen die schmerzhafte Stille ankämpfen konnte, die sie aber ahnen ließen, dass diese nicht allmächtig und unüberbrückbar war. Geräuschlosigkeit fürchtete sie seit ihrer Kindheit ebenso wie Lichtlosigkeit. Dieser, die sie jetzt wie ein Kokon umgab, war sie allerdings völlig wehr- und machtlos ausgesetzt. Der kaum noch wahrnehmbare Streifen unter der Tür schien ihre Erkenntnis zu bestätigen. „Ja, ich habe es jedes Mal wieder gern gehört, wenn man mich jünger schätzte. Was sollte mir daran auch nicht gefallen? Besonders von Jens gefiel es mir. Es war für mich das schönste Kompliment.“ Gleich an ihrem ersten Abend hatte sie es zu hören bekommen, nachdem er ihr ganz geschickt ihr Alter entlockt hatte, sodass sie es nicht einmal als frech und uncharmant empfand. „Dann sind Sie ja schon richtig erwachsen!“, fügte er noch hinzu und lachte, und später hatte sie sich immer dann an dieses jungenhafte Lachen erinnert, wenn sie einen Anlass sah, einen Vergleich zu jenem Abend zu ziehen, der für sie zu einem Maßstab künftiger Gemeinsamkeit geworden war. Sie waren in der geräumigen Gaststätte die einzigen Gäste. Als sie zögernd eingetreten war und sich nach einem Platz umgesehen hatte, der sie nach Möglichkeit von dem jungen Mann auf der Fensterseite deutlich genug trennte, hatte er ihr sofort zugewinkt und dann einladend auf seinen Tisch gewiesen. Ob sie dem Wirt vielleicht zusätzliche Mühe bereiten wolle, noch an einem anderen Tisch bedienen zu müssen? Er hatte ihr bereits einen Stuhl zurechtgerückt, sodass sie es als sehr ungefällig empfunden hätte, seine freundliche Einladung auszuschlagen. So hatte es mit ihnen begonnen ...“ Eine Eigenproduktion von EDITION digital ist „Der Traum vom Glück ohne Ende. Aus dem Leben des Malers Adrian Ludwig Richter“ von Ingrid Möller, der dort sowohl als gedrucktes Buch wie als E-Book erschienen ist: Adrian Ludwig Richter (1803-1884) war der Sohn eines Dresdner Kupferstechers. Als Kind schon beobachtet er die Erwachsenen um sich herum, hört ihren Gesprächen zu und grübelt dabei, wie sein eigener Lebensweg einmal aussehen mag. So mühsam plagen wie sein Vater möchte er sich nicht. Ein großer Held möchte er werden, einer der Kriegshelden, die alle Welt rühmt. Er schwärmt für Napoleon, den er in Dresden hoch zu Pferd sieht. Zum 10. Geburtstag wünscht er sich, ein Schlachtfeld mit eigenen Augen zu sehen. Der Schock ist so groß, dass er sich in die Welt der Märchen flüchtet. Später - zum Maler und Kupferstecher ausgebildet - sucht er sein Glück in der Feme, besonders in Rom, wo er viele deutsche Kollegen trifft. Zurückgekommen in die Heimat, wächst sein Ruhm. Doch zufrieden mit sich ist er selten. Sein Lebensweg führt über Höhen und Tiefen, Irrtümer und Selbstzweifel. Falsche Einschätzungen müssen über Bord geworfen werden. Er schafft eine friedliche Gegenwelt in seinen Bildern und zahlreichen Druckgrafiken, die in Alben „Für's Haus“ weite Verbreitung fanden und besonders die Kinder begeisterten. Seine Lebenserinnerungen verraten viel über ihn, auch wenn er sie nicht mehr zuende bringen konnte. Als einladende Leseprobe aus dem Buch von Ingrid Möller mag die dienen, in der von der Begegnung des kleinen Adrian Ludwig mit einem Großen der Weltgeschichte erzählt wird, als dieser noch groß und noch am Siegen war: „Napoleon in Dresden Heute ist Pfingstsonnabend. Das Kalenderblatt meldet den 16. Mai 1812. Heute soll Napoleon Bonaparte leibhaftig Dresden durchqueren auf seinem Feldzug nach Russland. Seit dem frühen Morgen hat Adrian Ludwig am Fenster Posten bezogen, auch wenn die Truppen erst gegen Abend erwartet werden. Die Aussicht ist günstig: Hinweg über Stadtgraben, Wälle, Stadtmauer, Schanzen und hohe Bäume lässt sich die ganze Amalienstraße bis zum Pirnaischen Tor überblicken und nach rechts den Elbberg hinab bis zur Neustadt. Vorbeikommen wird Napoleon hier allerdings nicht, aber Adrian Ludwig wird es nicht entgehen, wenn die Einwohner in Scharen aufbrechen, um dem Schauspiel beizuwohnen. „Müssen wir nicht los, Vater?“, fragt er wohl schon zum zehnten Mal. „Nein, noch nicht!“ Immer die gleiche monotone Antwort. Da wird die Geduld auf eine harte Probe gestellt. „Vater! Jetzt sind schon ganz viele unterwegs! Sie werden uns die besten Plätze wegnehmen!“ „Das werden Spaziergänger sein, die vom Stammtisch kommen!“ Ist der Vater denn durch nichts aus der Ruhe zu bringen! Kann er sich denn für gar nichts begeistern? Erst nach dem Mittagsschläfchen fängt der Vater an, sich langsam und umständlich umzuziehen. Auch für Adrian Ludwig liegen endlich die Ausgehsachen bereit. Draußen wimmelt es von Menschen. Je näher sie der Innenstadt kommen, desto größer wird das Gedränge. Die Bürgergarde bildet Spalier an den Straßenrändern. „Lass uns man hier stehen bleiben“, sagt der Vater am großen Platz vor dem Zwinger. Und wieder heißt es: warten und geduldig sein. Zu beobachten gibt es allerdings so einiges. Straßenkehrer spicken Papierfetzen auf. Fliegende Händler verkaufen Brezeln und heiße Würstchen. Berittene Beobachter galoppieren vorbei. Eine Dame mit auffällig geschnürter Taille droht in Ohnmacht zu fallen. Gerade noch rechtzeitig findet ihr Begleiter das Riechfläschchen in ihrem Pompadour. Oh, diese Hitze! „Aber, meine Liebe, wer geht da auch ohne Sonnenschirm aus!“ Ein Säugling schreit. Ein Hund schlängelt sich durch die Menge und beschnüffelt jeden. Ganz bestürzt wirkt er, weil er sich nicht alle Gerüche merken kann. „Achtung!“ Ein Raunen geht durch die Menge. Irgendeine wichtige Nachricht muss durchgesickert sein. Alle spitzen die Ohren. „Von Freiberg her werden sie kommen!“ Von Südwesten also, über Freital. Aber wusste man das nicht schon längst? Adrian Ludwig ist umringt von Mänteln, Rockschößen und Seidenkleidern. Viel sehen kann er nicht. Ein vielstimmiges Gemurmel mit einzelnen Satzfetzen dringt an sein Ohr. Unterschiedliche Gerüche umnebeln ihn. So hat er sich das nicht vorgestellt. Gut, dass Vater nicht auf mich gehört hat, denkt er. Mir ist schon jetzt ganz schlecht. Hoffentlich nimmt Vater mich nachher auf die Schultern. „Die Höhen des Rosstals sind schwarz vor Menschen!“, heißt es plötzlich, „Bald müssen sie hier sein!“ Die Spannung steigt. Die Gespräche werden abgebrochen. Schließlich sind Trommelgerassel und Feldmusik aus der Ferne zu hören. Die Vorhut rückt an, völlig mit Staub überpudert. Es folgen die Regimenter. Darüber beginnt es zu dämmern. Fackeln werden entzündet und Metallkörbe mit brennenden Kienkloben an den Straßenrändern aufgestellt. Der rötliche Feuerschein reißt die angestrahlten Gestalten aus dem Dunkel und lässt Gesichter und bunte Uniformen aufleuchten. Welch ein Schauspiel! Adrian Ludwig ist hellwach. Der Vater hat ihn hochgehoben, damit er alles genau sehen kann. So, ja genauso hat er sich Helden vorgestellt: bunt und imposant. Ich muss mir alles genau merken, überlegt er, zu Haus mal ich dann alles in mein Skizzenheft. Mit Farben natürlich. Wenn ich nur alles behalten könnte! Und er starrt auf die prunkvollen Garden, die polnischen Ulanen mit den silbernen Kokarden. Immer exotischer wird der Zug. Auch Mamelucken sind dabei. Schließlich der Höhepunkt: die Karosse mit dem Kaiserpaar! Trompeten schmettern, Trommeln rasseln, alle Glocken der Stadt läuten, Kanonen donnern. Manche Leute schreien: „Vivat!“, oder „Vive l'Impereur!“. Manche aber pressen die Lippen zusammen. Was nun noch kommt, ist von geringerem Interesse: Nachhut, Feldküche, Marketenderinnen. Die Menge zerstreut sich. Adrian Ludwig lässt sich widerwillig von seinem Vater an die Hand nehmen. Er hätte nichts dagegen, wenn er ihn tragen würde. Er ist so müde, dass er richtig taumelt. So lange darf er sonst nie auf sein. Die Bilder aber flimmern noch immer vor seinen Augen, bunt und wild durcheinander. „Ist das jetzt jeden Tag so?“, fragt er. „Tja, eine Weile werden wir wohl noch Zuschauer am Rande des Weltgeschehens sein.“´ Bereits 1974 veröffentlichte Renate Krüger im Union Verlag Berlin ihr Buch „Nürnberger Tand. Historia eines Narren, eines Stummen und dreier gottloser Maler“. Wir sind jetzt knapp 300 Jahre vor Napoleon in Dresden: „ANNO DOMINI 1523 wird in der Reichsstadt Nürnberg drei jungen Malern der Prozess gemacht. Die Stadt befindet sich ökonomisch, politisch und kulturell auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung und ist ein geistiges Zentrum in Europa. Das wirtschaftlich starke Patriziat hat das Stadtregiment fest in der Hand und weiß, wie mit Oppositionellen zu verfahren ist. Da gibt es die Brüder Barthel und Sebald Beham und ihren Freund Georg Pencz. Es sind Schüler des in der Stadt besonders angesehenen, hoch berühmten Meisters Albrecht Dürer. Doch jetzt stehen sie als Aufrührer vor Gericht, die gefährlichen und verderblichen Lehren von göttlicher Gerechtigkeit für den gemeinen Mann anhängen. Schlimmer noch: Die Menschen selber müssten die Gerechtigkeit schaffen auf Erden, so meinen sie. Und die Obrigkeit, die das nicht zulasse, müsse als ungöttlich verworfen werden. Gottlose Maler also, wie ihre Ankläger es wollen? Die Autorin schildert die geistigen Auseinandersetzungen und Kämpfe, die der revolutionären Erhebung der Bauern vorangingen. Sie führt uns von der weiten ungarischen Puszta, in der eben ein Bauernaufstand blutig niedergeworfen wurde, in das Gewimmel der wohlhabenden großen Stadt, in die Häuser der Patrizier wie Willibald Pirckheimer und in die Hütten der Armen, in die Werkstadt Dürers und in das Wirtshaus in der Wöhrd, den Treffpunkt derer, die Unrecht nicht mehr dulden wollten. Ein reicher Narr, der eine neue nürnbergische Weltchronik schreiben will, lernt von den drei gottlosen Malern und einem ungarischen Bauern, den die Herren grausam verstümmelt haben, dass nicht heiteres Darüberstehen und Spottlust eine neue Welt schaffen, sondern die Klarheit des Gedankens und der Mut zur Entscheidung. Schauen wir als erstes in die Puszta und nach dem ungarischen Bauern: „Auf dieser weißgrauen Erde liegt ein bestaubter Körper. Ein Mensch. Ein Mann. Er heißt Bálint, aber das wird vielleicht nie jemand erfahren. Eigentlich könnte man sagen: er hieß Bálint; seine Vergangenheit trug diesen Namen. Seine Gegenwart ist namenlos, und die Zukunft wird ihm einen anderen Namen geben. Aber immerhin - er hat eine Zukunft. In seiner Vergangenheit hat auch er die Erde aufgegraben und Bäume gefällt, Sensen und Sicheln geschliffen und neue Zähne in den Rechen eingesetzt. Der Bauer Vörös Mihály war stolz auf seinen nunmehr neunzehnjährigen Sohn gewesen. Bálint verstand sich auch darauf, ein kleines Boot aus einem Baumstamm auszuhauen und einen Zaun aus Weidenruten zu flechten. Er konnte einen Hammel schlachten und, wenn man es so weit brachte, auch eine Kuh. Bei der Jagd war er unentbehrlich. Er verstand es, die Schnepfen und Reiher mit seiner Blechscheibe so geschickt aufzuscheuchen, dass der gnädige Herr sie unmöglich verfehlen konnte. Du bist ein tüchtiger Kerl, Bálint ... Ja, er hatte sogar einen Namen beim gnädigen Herrn. Elf oder zwölf Jahre alt mochte er wohl gewesen sein, also fast schon erwachsen. Du bist ein tüchtiger Kerl, Bálint ... Das ganze Dorf hatte darüber gesprochen. Einem tüchtigen Kerl gebührt eine goldene Zukunft, in der er die Früchte in reicher Fülle auch ernten darf, deren unscheinbare Samenkörner er hinter Pflug und Egge der braunen Erde anvertraut hat. Einem tüchtigen Kerl gebührt ein eigenes Haus, davor ein rund gemauerter Backofen, aus dem die Frau die duftenden Brote ziehen kann wie Schätze aus einer verborgenen Höhle. Ihm kommt ein Weinberg zu, von einem geflochtenen Zaun umgeben, der unerwünschten Kreaturen den Zutritt verwehrt. Wie gut, dass er ein tüchtiger Kerl war. Aber nun war er müde und matt und so benommen, dass er nicht denken, sich nicht bewegen konnte. Steif und schwer lag er auf der Erde, als hätte man ihn von einem hohen Turm herabgeworfen. Arme und Beine waren so liegen geblieben, wie sie zu Boden gefallen waren. Sie hatten so viel Gewicht, dass die verbrannte Erdkruste zu dünn schien, um sie tragen zu können. Es kam dem Bauernburschen Bálint so vor, als hätte er den Sturzweg erst zur Hälfte zurückgelegt, als müsste er noch tiefer eindringen in diesen weißgrauen Staub, als müsste er darin untergehen wie ein Weizenkorn. Aber ist es möglich, dass aus dieser toten Erde je wieder neues Leben hervorbrechen wird? Sie alle hier sind von schlechten Ackersleuten ausgesät, hingestreut auf einen unbestellten Acker. Welch ein Wahnsinn! Sie sind nur Fraß für die Vögel. Wann werden sie kommen? Noch haben sie die Beute nicht erspäht, oder es ist selbst ihnen dieses Land zu unwirtlich. Auch Vögel lieben bunte Farben. Bálint öffnet mühsam die Augen, um nach den Vögeln auszuschauen. Leer ist der Himmel. Bálint sieht in die Ferne. Der Horizont ist keine verschwommene Linie, sondern eine Brücke in neue Fernen, in denen Tausende von Vögeln leben. Nicht die schwarzen Aasvögel, die den Himmel verdunkeln, wenn sie in der Luft verharren und mit ihren durchdringenden Augen nach Beute spähen. Nein, dort in der Ferne gibt es noch die kleinen frohen Farbflecken, die leben und sich bewegen, auch auf kahlen Bäumen und im Schnee, die kleinen bunten Vögel, die vielen Familien der Meisen und Finken und Rotkehlchen. Schon ihre Namen zaubern ein Lächeln auf das Antlitz des Alltags. Bunt sind die Vögel, bunt wie der türkische Teppich, den Bálint im Zelt des Feldhauptmanns gesehen hat. Bálint meint aus der Ferne riesige Farbflächen auf sich zuströmen zu sehen. Ist es ein Heer von winzigen Vögeln? Ein unbeschreiblich großer türkischer Teppich? Oder gar das türkische Heer? Nun, dann kann diese sinnlose Saat völlig zerstört werden, dann wird man sie in den verkrusteten Boden einstampfen, tief, immer tiefer ... Die Farben wachsen und wechseln. Bald schiebt sich das aufdringliche Gelb in den Vordergrund, bald leuchtet allein das satte volle Rot. Bald spannt sich eine blaue Wand auf, als wolle sie den weißgrauen Himmel trösten. Nun schieben sich grüne Streifen dazwischen, gleich wieder verdrängt von kaltem Weiß. Bálint schließt die Augen, aber auch so kann er sich gegen das Gaukelspiel der Farben nicht wehren. Sie sind ja nicht in der Ferne, sondern in ihm selbst. Sind es die Schmerzen, die in seinem hingestreckten Körper wühlen? Plötzlich wird es ihm wieder bewusst, dass er Schmerzen leidet, nein, dass er selbst ein einziger großer schreiender Schmerz ist. Er schreit, und es löst sich doch kein Ton von seinen Lippen. Das Schreien rieselt in das Innere des Mannes zurück, verdichtet und verhärtet sich dort, legt sich um Herz und Lungen wie ein Panzerkleid. Und nichts dringt hindurch, nicht nach innen und nicht nach außen. Oder fast nichts ...“ Kehren wir mit den nächsten beiden Büchern von Joachim Nowotny wieder in die Gegenwart zurück, jedenfalls näher an die gegenwärtige Gegenwart des 21. Jahrhunderts, immerhin in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts und nach Deutschland, genauer gesagt in die DDR. Im Jahr des 20. Jahrestages ihrer Gründung, 1969, erschien erstmals im Kinderbuchverlag Berlin „Der Riese im Paradies“ von Joachim Nowotny: Der dreizehnjährige Klaus Kambor, Kurbel genannt, hat seine ganz persönlichen Schwierigkeiten. Die einen meinen, er wär schon erwachsen, und verlangen von ihm, dass er sich entsprechend benimmt, die anderen behandeln ihn wie ein halbes Kind, möchten ihm am liebsten jeden Schritt vorschreiben (täglich eine Stunde Schönschreiben üben zum Beispiel, wegen seiner entsetzlichen Klaue). Wo lebt Kurbel? In Kattuhn, einem Dorf irgendwo in der DDR, genauer: im sorbischen Gebiet. Kattuhn steht plötzlich im Mittelpunkt aufregender Ereignisse. Zunächst nur ein Gerücht, vage, schwer zu greifen, verdichtet sich immer mehr, was mit Kattuhn und der ein wenig abseits gelegenen Buschmühle geschehen soll: Standort eines Großkraftwerkes soll es werden. Aber in der alten Buschmühle leben doch Menschen: der alte Schuster Jubke, Rodewagens, Familie Honko, Kambors .:. Während sich das Leben der Buschmühlenleute ganz allmählich verändert, während die Männer vom Bau ihrerseits den Ton anzugeben versuchen, muss Kurbel sehen, wie er fertig wird, mit seinen Geheimnissen, wozu seine Verehrung für Daniela Greiner ebenso gehört wie sein Paradies, muss damit fertig werden, dass man ihn bei einer wichtigen Veranstaltung einfach außer Aktion setzt, denn Kurbel, das ist doch der, der den Waldbrand verursacht hat ... Das spannende Buch für Leser ab 13 Jahre wurde 1974 in der Regie von Rolf Losansky von der DEFA unter dem Titel „...verdammt ich bin erwachsen“ verfilmt. Aber schauen jetzt in den Anfang des Buches, wo die Hauptperson, der literarische Held, also Kurbel, zu fehlen scheint: „ERSTES KAPITEL 1 Hier fehlt Kurbel. Denn: Paul Honko ist da, er steht schwarz und mit gefährlich funkelnden Augen vor der Durchfahrt, hat links neben sich ein altes Mühlrad, rechts eine Holzfeie, vor sich die Hundehütte mit Prinz an der Kette - dieser Paul Honko also zieht ein Scheit aus der Feie, so ein knorriges Kiefernscheit, an dem noch Aststumpen stehn, das schmeißt er jetzt zu Prinz hin. Der kann zwar ausweichen, jault aber trotzdem, springt auf die Hinterbeine, prügelt in seiner Angst die Luft mit den Vorderpfoten, das hilft ihm nichts, schon das nächste Scheit trifft ihn am Kopf. Na gut, Prinz ist eigentlich kein ordentlicher Hund, mehr so eine Promenadenmischung aus Fox und Spitz, krumme Beine, bärtige Schnauze, ein Ohr hoch, eins lappig herabhängend und Haare wie ein schwarzes Lamm - aber Hund ist Hund, jedenfalls ein lebendes Wesen, dem so etwas weh tut. Man müsste eigentlich eingreifen, müsste der armen Kreatur helfen. Wo ist denn bloß Kurbel? Ja doch, hier in der Buschmühle wohnen noch andere Leute, aber die sind alle unterwegs. Der Meister Jubke zum Beispiel, der Flickschuster, trägt die reparierten Schuhe aus. Herr Rodewagen steht vor dem breiten Backstubenfenster, träumt ein bisschen in die Sonne und knetet dabei langsam den Semmelteig durch. Seine dicke Frau trinkt indessen die zweite Tasse Kaffee, denn der Konsum ist von eins bis drei geschlossen, da hat sie Pause. Paul Honkos Frau Melanie dagegen hockt nichts ahnend zusammen mit Frau Kambor, Kurbels Mutter, in einem Erdloch vor dem Dorf Kattuhn. Beide lesen Saatkartoffeln aus der Miete, es ist höchste Zeit, dass sie in die Erde kommen. Weit weg im Dubowitzer Forst rollt Peter Honko, der Sohn Pauls, ausgelängte und geschälte Riesenstämme auf den Rungenwagen; nicht mehr lange, und er donnert mit dem schweren Traktor auf den Ladeplatz des Dubowitzer Güterbahnhofes. Von dort ist es nicht weit zum Glaswerk, der kalte Ofen liegt gleich neben der Rampe, an ihm mauert Josef Kambor, Kurbels Vater, herum. Er teilt gerade einen Schamottstein kunstgerecht in vier ziemlich gleiche Viertel. Bliebe noch Elisabeth. Elisabeth Honko, die hübsche Schwester Peters, der Stolz von Melanie, der Liebling von Paul Honko. Die sitzt im Augenblick mit ihrer Freundin in der kreisstädtischen Eisdiele und isst in aller Ruhe Halbgefrorenes. Die Schule ist aus, und der Zug fährt erst nach zwei zurück. Kurz und gut: All die Buschmühlenleute haben ihre Beschäftigung, keiner weiß von dem betrunkenen Mann, niemand ahnt etwas davon, dass Paul Honko wieder einmal seinen Koller hat. Der Buschmühlenhof liegt weitab vom Dorfe Kattuhn in ziemlicher Einsamkeit, nahe am endlosen Kiefernwald, da kann der dicke Rodeländer Hahn ruhig empört spektakeln, die Ziege Meta kann meckern, wie sie will, der Hund Prinz noch so heulen und wimmern, das hört keiner. Aber die Scheite fliegen. Und wie sie fliegen! Pauls langer Körper schwankt zwar auf steifen Beinen, die schwarzen Haare hängen ihm ins Gesicht, doch zielen kann er noch. Ein Scheit trifft Prinz am Hals, ein zweites an der Hinterpfote, ein drittes überm linken Ohr. Daneben geht keins. Kurbel muss her! Vielleicht hockt er oben unter der Dachkappe des alten Mühlengebäudes. Das macht er manchmal, aber bloß abends, wenn die Sonne rot und rund hinter der Kiefernheide versinkt. Vielleicht steckt er auch am Mühlgraben, gegenüber der Stelle, an der sich früher das große Schaufelrad drehte. Dort steigen im stillen tiefen Wasser immer noch ein paar lichtscheue Schleie auf. Es kann auch sein, dass er sich in Meister Jubkes Schusterwerkstatt geschlichen hat, jetzt wäre es gerade günstig, Kurbel könnte endlich sein Taschenmesser an der elektrischen Schmirgelscheibe schärfen. Das wollte er schon immer mal tun, bloß der Meister Jubke lässt ihn da nicht ran, der traut sich ja selber kaum. Ginge es nach Kurbels Mutter, der energischen Frau Kambor, dann müsste der Junge jetzt in der Wohnstube am runden Tisch sitzen und Schönschreiben üben. Vier Seiten jeden Nachmittag. Und wehe nicht! Frau Kambor traut sich ja nicht mehr ins Dorf, seit alle Welt weiß, dass ihr Sohn in letzter Zeit so eine Klaue hat. Aber Kurbel sitzt natürlich nicht in der Wohnstube am runden Tisch. Noch viel weniger übt er das Schönschreiben. Irgendwo wird er wohl stecken. Josef Kambor, der Hüttenmaurer, bildet sich ein, dass sein Sohn im Augenblick im Schuppen hinter dem ehemaligen Pferdestall Holz hackt. Der wird schon die Bescherung sehn, wenn er heimkommt. Nicht ein Scheit ist gehackt, nicht eins. Der Herr Sohn drückt sich vor der Handarbeit, er will später bloß auf lauter Knöpfe drücken und die Maschinen mit einem Fingerschnipsen regieren, arbeiten will er natürlich nicht. Also: Kurbel ist immer noch nicht gefunden. Der kleine Hähnel wartet auch auf ihn. Da hat man nun eine ganz passable Bude gebaut, aus Latten und Schalbrettern, ziemlich gut versteckt auf der schmalen Mühlteichkaupe, die dreiseitig von Wasser umspült wird, mitten im Buschwerk steht die Bude, wie gesagt, also kaum erkennbar. Aber wozu eigentlich? Jetzt könnte man allerhand anstellen, etwas stibitzen und hier verstecken, jemanden, der auf dem Mühlteich zu tun hat, könnte man heimlich beobachten, vielleicht hat wirklich mal einer hier was zu tun. Und wenn nicht, dann ließe sich die Bude zu einem Steuerhaus umträumen, die Kaupe zu einem Riesenschiff, der Teich zum großen Meer. Der kleine Hähnel würde sich ganz gern mit dem Rang eines Ersten Offiziers begnügen und das Kapitänsamt dem Kurbel überlassen, wenn der bloß da wäre. Aber er ist nicht da. Nirgends ist er. Und der arme Prinz heult immer noch, die Scheite fliegen, Paul Honkos Augen flackern böse. Junge, Junge! würde Piepe Jatzmauk aus Kurbels Klasse sagen, der ist ganz schön blau. Aber auch Piepe Jatzmauk ist nicht da. Was soll bloß werden? Prinz endlich findet einen Dreh. Er zieht den Schwanz zwischen die Beine und verkriecht sich in der Hütte. In die äußerste Ecke kriecht er. Einen Moment steht Paul Honko verdattert da, wen soll er nun malträtieren, wo er doch so einen Rausch hat und einfach jemanden malträtieren muss? Dann aber reißt es seinen Oberkörper nach vorn, das macht Schwung, nimmt die langen Beine mit, auf die Hütte zu, quer über den buckligen Hof, vielleicht fällt der Mann hin. Aber er fällt nicht, sondern greift sich eine rostige Eisenstange von der Mühlenrampe, die hat dort zwischen Moos und Mauerritzengras gelegen, jahrelang, nun muss sie dazu herhalten, Prinz aus seinem Versteck zu stochern. Der Hund quiekt in seiner Angst wie ein Ferkel, schießt dann aber plötzlich aus der Hütte, springt in rasender Wut auf Honko los, aber die kurze Kette reißt ihn zurück. Taumelnd knickt er in den Knien zusammen. Paul Honko lacht, lautlos, nur mit auseinandergezerrten Lippen lacht er, dabei schlägt er mit der Eisenstange auf den Hund los. Das nimmt kein gutes Ende. Wenn wir nur Kurbel endlich fänden! Wir finden ihn. Zufällig sehen wir mal zu der Stelle, wo sich der Mühlgraben wieder mit dem Flüsschen Schwinde vereinigt. Dort wächst im Sommer Schilf einen ziemlich behäbigen Damm hoch, oben auf dem Scheitel wuchert fleischiges Grünkraut, auf der dem Wasser abgewandten Seite aber duftendes Sauergras. Jetzt freilich zeigt alles erst ein paar schüchterne Spitzen, nur das Sauergras bildet schon einen gelbgrünen Teppich, das hat es im Frühjahr immer etwas eilig. Und hier liegt nun auch Kurbel. Kopfüber liegt er. Erst kommen die Füße oben auf dem Dammscheitel, dann die Beine in Nahthosen, endlich der graue Pullover und dann das Kinn, der Nasenrücken und der dunkle Haarschopf unten im Gras. Wie kann man sich bloß so hinlegen! Uns steigt gleich das Blut in den Kopf.“ Zwölf Jahre nach dem „Riesen im Paradies“, also 1981, brachte Joachim Nowotny bei der Edition Holz im Kinderbuchverlag Berlin das Buch „Abschiedsdisco“ heraus: Angenommen, dieser Henning Marko wachte eines Tages mitten im Urwald auf und könnte sich einen Menschen herbeiwünschen. Mit wem möchte er das Abenteuer bestehen? Mit Mutter? Sie ließe sich von der Schlange beißen, nur damit sie mich nicht beißt. Mit Vater? Er würde immer vorangehen, immer die Richtung bestimmen wollen. Lutz? Sobald die Batterien des Rekorders leer wären, hätte er alle Lust am Abenteuer verloren. Und Gundula Fischer? Das ließe sich denken, wenngleich ich nicht wüsste, wie sie sich angesichts eines ausgewachsenen Ochsenfrosches aufführt. Der junge Polizist fällt mir ein. Mit dem könnte man, falls vorhanden, möglicherweise Pferde stehlen. Der schnauzbärtige MZ-Mann würde vermutlich seiner Maschine nachtrauern, sich aber bei einer überraschenden Begegnung mit dem weiblichen Teil der Ureinwohner als sehr nützlich und umgänglich erweisen. Oder Magda, von der sich lernen ließe, wie man mit der Einsamkeit fertig wird. Und der Mann mit dem Ortsschild? Er würde eine Siedlung gründen, ihr Gesetze und einen Namen geben, sich dann in den Schatten setzen, rauchen und darüber nachdenken, woher er gekommen ist, mehr noch: Wer er eigentlich ist. Mit seiner Art, das Mögliche zu tun, ohne sich aus lauter Ehrfurcht vor dem Geschaffenen selbst auf die Hosenbeine zu treten, müsste sich eigentlich ganz gut leben lassen. Das ist das vorläufige Ergebnis der Überlegungen Hennings nach einem Tag voller Eindrücke in dem fast schon toten Dorf Wussina, das der Braunkohle weichen muss. Im Lichte dieses Abschieds verlaufen die Begegnungen mit den wenigen Leuten, die er trifft, überraschend und rätselhaft. Der 15-Jährige muss all seine Kräfte zusammennehmen, um dem Ansturm der Ereignisse und Gefühle standhalten zu können. Er beginnt zu ahnen, wie schwer die Prüfungen des Lebens mitunter sind, und fühlt die Kraft in sich wachsen, sie zu bestehen. Dabei denkt er natürlich auch an Dixie, die hinter ihm läuft, schon Busen hat, immer ein wenig nach Windeln riecht, weil sie kleine Geschwister zu versorgen hat. Sie wäre der ideale Kumpel; sie müsste nur etwas hübscher sein. Auch dieses spannende Jugendbuch wurde wiederum von der DEFA verfilmt und zwar 1989 wiederum in der Regie von Rolf Losansky, der auch das Drehbuch verfasste, und diesmal unter dem Original-Titel des Buches – „Abschiedsdisko“. Und da die Kapitel des Buches so kurz sind, bringen wir hier gleich die ersten drei: „1. Kapitel Leider gehöre ich nicht zu den Jugendfreunden, bei denen der Geist unentwegt sprüht. Gewöhnlich benötige ich Anlauf, ehe mir etwas einfällt. Es kann mit einem Traum beginnen. Zeitig früh im Bett: Jemand wird von jemandem geprügelt. Etwas, was es eigentlich nicht mehr gibt. Man hört es von früher oder aus anderen Weltgegenden. Weshalb ich davon träume, kann ich nicht erklären. Jedenfalls quält es mich. Ich werfe mich herum, ich ... Aber das erzähle ich nicht mal Lutz. Noch im Halbschlaf höre ich plötzlich Mutter reden. In ihrer Stimme ist etwas ungewohnt Keifendes. Es muss ganz schön was los sein, drüben in der Küche. „Ich hab’s gewusst, dass es so kommt. Ich hab’s gewusst!“ „Und?“, höre ich Vaters barschen Bass, „was hat es geholfen, dass du es wusstest? Der Alte hockt immer noch dort.“ „Sprich nicht so von meinem Großvater!“ „Ist er vielleicht nicht alt?“ „Deshalb musst du ihn nicht gleich abschreiben.“ „Als ob das ginge! So ein eigensinniger alter Zausel, der bringt sich schon in Erinnerung.“ „Zausel, aha!“ „Ich muss mich auf der Straße ansprechen lassen: Warum geht er nicht endlich ins Altersheim, wo er aufgehoben wäre. Warum bleibt er dort? Als letzter. Das riecht doch nach Provokation!“ „Wenn er nicht will.“ „Was heißt, nicht will? Wer fragt mich denn, was ich will. Ich muss mir die Vorwürfe anhören. Das war einer von der Kreisleitung, Mädchen.“ Wenn Vater zur Mutter Mädchen sagt, ist es entweder ganz gut oder ganz schlimm. Das kann ich mir ja nun aussuchen. Mutter jedenfalls weiß, woran sie ist. Sie nimmt ihre Stimme zurück. „Und wenn du nun doch noch mal hinfährst? Mit ihm sprichst?“ „Ich denk nicht dran! Damit er mich wieder stehen lässt, wie einen dummen Jungen. Außerdem fahren wir morgen ins Riesengebirge, basta!“ 2. Kapitel Dieser herzerfrischenden Unterhaltung folgt jenes Schweigen, aus dem geschickte Leute ganze Romane machen. Ich wälze mich im Bett, als wäre ich es, der die Schläge empfangen hat. Endlich kann ich mich von mir selbst losreißen. Endlich schaffe ich es, aufzustehen. Unter der Tür krächze ich etwas, was nur bei viel gutem Willen als Gruß gedeutet werden kann. Der Wille ist nicht vorhanden, also wird mir keine Antwort zuteil. Als ich aus dem Bad komme, hat sich die Szene verwandelt. Mutter klappert munter mit den Tassen, Vater kaut und liest dabei die Zeitungsrubrik „Auch das gibt’s!“ Sie steht auf der vorletzten Seite unten links. Ansonsten aber ist die Welt in Ordnung. Ich würde ihnen gern zeigen, dass ich das Spiel durchschaue. Aber noch fällt mir nichts ein. So greife ich die Tasche und gehe wortlos. 3. Kapitel Später dann Deutsch bei Fräulein Brode. Sie ist die reine Zuversicht. „Henning, ich weiß, du hast dich heut vorbereitet.“ Um sie nicht allzu sehr zu enttäuschen, stehe ich wenigstens auf. Gleich früh muss ich zur schärfsten Waffe greifen, muss ich den Naiven mimen. Man sagt mir dünnes blondes Haar und treue blaue Augen nach. Wenn ich in den Spiegel sehe, finde ich das leider bestätigt. Niemand indes weiß, dass ich das nicht bin. In mir steckt ein brauner, beinahe nachdenklicher Typ, der im entscheidenden Augenblick schnell zuschlagen kann. Ein solcher Moment ist nicht. Auf Fräulein Brodes Zuversicht kann man nur blauäugig reagieren. „Ich hab gedacht, wir haben das nicht auf.“ Beinahe enttäuscht stelle ich fest: Sie glaubt mir. Sie tut ein übriges, ruft Gundula Fischer auf. Die kann. Kann immer alles. Während sie redet, füllt sich Fräulein Brodes Zuversicht mit viel guter Meinung über den Leistungswillen der Schüler von heute. Noch später Sport. Dieser Sprung über das Pferd längs. Ich lege ihn hin, als müsse das so sein. Lutz stößt einen rauen Triumphschrei aus. Gundula Fischer sieht, ganz Bewunderung, aus der anderen Turnhallenseite zu mir herüber. Habich schreibt eine Eins ein. Nur ich weiß, dass der Sprung ungültig ist. Ich kann ihn nicht. Ich fürchte ihn und lande immer mit dem Hintern auf dem letzten Drittel des Pferdes. Es war reiner Zufall, dass ich dieses einzige Mal hinüberkam. Aber wer will das hier wissen? Dann Stabü bei Katscher. Die Stunde zieht sich wie Gummi. Katscher referiert über die Rolle des Staates und stemmt sich gegen unsere Müdigkeit. Der Staat sind auch wir. Der Staat bin auch ich. Wenn ich Katscher richtig verstehe, dann will er vor allem den Blauäugigen in mir. Wenn er wüsste, wie anstrengend es ist, andauernd so treudeutsch in die Gegend zu blicken. Man lernt es, mit offenen Augen zu dösen. Ehe ich einen Einfall haben kann, gerate ich unversehens in den Frühtraum, höre ich Vater und Mutter, sehe ich Fräulein Brodes Zuversicht, erlebe ich die Angst vor dem Sprung. Herr Katscher ist gerade bei der allseitigen Stärkung, der Einfall wäre fällig. — Doch bevor er kommt, ertönt die Klingel.“ In dem anderen deutschen Staat, der damaligen Bundesrepublik Deutschland, der BRD, spielt der Roman „Die fünf Leben des Dr. Gundlach“ von Wolfgang Schreyer. Die Druckausgabe erschien ein Jahr nach der Abschiedsdisko“ von Joachim Nowotny,1982, im VEB Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik Berlin und setzt zwei Jahre zuvor ein: Köln, Herbst 1980. Hans Gundlach, Werbemann der Rheinischen Industriebau AG, fliegt nach El Salvador, um die Auslösung des dort entführten Filialleiters zu überwachen. Ein Detektivbüro soll ihn für 1,5 Millionen Dollar freikaufen. Gundlach kümmern nicht die politischen und sozialen Kämpfe in dem kleinen Land, er sieht nur seinen Auftrag; erledigt er den, steigt er auf der Leiter des Erfolgs noch höher. Also schaltet er aus, was ihn stört, handelt ganz auf eigene Faust. Im Dschungel des Machtkamps setzt er alles aufs Spiel und verliert die Existenz. Doch Hans Gundlach steht immer wieder auf. Zwei Anläufe hat er schon hinter sich: als Teilnehmer der Studentenunruhen 1968 und als linker Journalist; später als junger Mann der Konzernführung. Nun wagt er von neuem den Sprung in die Politik. Ihm ist als habe er fünf Leben. Nichts scheint unmöglich. Er kann sich eine Geheimdienst-Laufbahn ebenso vorstellen wie ein Wirken für die Befreiungsbewegung. Ist ihm jeder Start recht? Sind Taktik, Karriere und Träume vom Erfolg die Leitlinien seines Handelns? Und so fangen die fünf Leben des Dr. Gundlach an: „I. The Troubleshooter oder Der Durchreißer 1 „Herr Doktor“, sagte die Sekretärin, als Gundlach vom Essen kam, „Herr Direktor Winter bittet Sie in zehn Minuten zu sich. Er hat auch etwas geschickt, drinnen auf Ihrem Schreibtisch...“ „Was will er denn?“ Achselzucken, wie üblich; diese Frau wusste niemals mehr, als man ihr sagte. „Es klang sehr dringlich.“ Bestimmt wieder ein Feuerwehreinsatz, Trip ins Ausland, etwa in dieses Drecknest Kairo. Oder nach Übersee, Indien oder Schwarzafrika, wo es dauernd haperte... Ach, er hatte es satt. Die Rheinische Industrie AG stand da in Ländern wie Zaire und Mali als Lichtbringer im Chaos. Und nahm der Ärger überhand, schickte man gern ihn, Hans Gundlach, mit seinen drei Fremdsprachen und der Verhandlungsgabe, die ja bloß Einfühlung war, die Kunst, sich mehr intuitiv als vernunftmäßig in den Partner zu versetzen. Meist gab man ihm einen Wirtschaftsfachmann, Juristen oder Diplomingenieur mit, jemanden aus der Projektierung oder vom Personalbüro, je nach Art des Problems. Er war der vierte Mann in der PR-Abteilung des Konzerns, sein eigener Kram, die Öffentlichkeitsarbeit in der Dritten Welt, blieb dann liegen, aber was half’s: Der Gundlach wird's schon richten. Er griff nach der „Frankfurter Allgemeinen“, die da von Winter kam; er hatte Reiseunterlagen erwartet. Wichtiger übrigens als das Problem und das Ziel war ihm, wer diesmal mitkam. Hoffentlich nicht Winter selbst. Mitte Fünfzig war der, zwanzig Jahre älter, vierzig Pfund schwerer, zwei Firmenränge höher - na, da gab's halt kaum Kontakt. Gundlach hatte ihn einmal begleitet und davon noch genug! Privat schien Winter ein armer Hund, sexuell enttäuscht wie viele in dem Alter. Das ging Gundlach so recht erst beim Rückflug auf, als Winter nach zwei, drei Kognaks anfing, die Stewardess zu necken und auch die Namen der Fluglinien zu verballhornen. Aus Pan-Am machte er: „Passengers are not Allowed mating" - Passagiere dürfen sich nicht paaren, SAS hieß „Sex After Service“, und die Lufthansa wurde bei ihm zur Lusthansa; ein gestresster Manager eben, der unterwegs mal Dampf ablässt. Gundlach erinnerte sich daran bloß, weil er selber bei „Lufthansa“ noch eins draufgesetzt hatte, um den Mann zu erfreuen: „Let us fuck the hostess as no Steward available“ - treiben wir's mit der Hostess, da kein Steward verfügbar. Erbärmliches Gewitzel, geschmacklos, man konnte auch Anpassung übertreiben. Obendrein war er Winter gar nicht nähergekommen, dem gab jeder Flugkilometer heimwärts ein Stück seiner Würde zurück. Was sollte ihm das? Ein Jahr war die Zeitung alt, vom Dienstag, dem 16. Oktober 1979... Gundlach ging die Annoncen durch, sein Revier, doch die RIAG hatte in dieser Nummer überhaupt nicht inseriert. Dafür stieß er im Feuilleton auf eine zweiseitige Großanzeige, von Winters Grünstift angekreuzt. Unter der naiven Schlagzeile „An die Menschen der Welt“ sieben Textspalten, drei unscharfe Horrorfotos, eine Statistik und das Emblem einer ominösen „Revolutionären Partei Zentralamerikanischer Arbeiter“! Keine Produkt-, eher Sympathiewerbung; das Inserat warb um Verständnis für einen Umsturz in Mittelamerika. Übrigens entschuldigte die Redaktion auf Seite 2 den Abdruck mit Erpressung. Gundlach überflog den Text nur eben; eine Bleiwüste mit schaurigen Oasen. Zu verschroben klangen hier Kampfparolen wie „Lang lebe das Recht des salvadorianischen Volkes auf einen revolutionären Befreiungskrieg!“ und die bizarren Anklagen aus dem Blickwinkel eines fernen, tropischen Untergrunds. Was richtete so etwas in Deutschland denn aus? Den Rebellen fehlte offenkundig ein PR-Mann, der ihnen die Selbstdarstellung und das Feindbild aufpolierte, beides war irgendwie trüb, verschleiert, von Hass und Schwulst entstellt; jemand wie er, Gundlach, hätte es entzerrt und effektiv gemacht, dank seiner Vergangenheit war er genau der Mann dafür gewesen. Denn mit 53 250 Mark, dem Listenpreis für die „FAZ“-Doppelseite, hätte sich etwas publizieren lassen, das den Leuten unter die Haut ging... Was eigentlich bezweckte Winter jetzt damit? Sollte es mit der Arbeit in El Salvador zusammenhängen, etwa diesem Hafenausbau? Während Gundlach hinauffuhr in die Chefetage, kam ihm eine Erinnerung. Im vorigen Herbst waren zwei nordamerikanische Geschäftsleute dort an der Pazifikküste entführt worden; ihr Fahrer und der Leibwächter kamen bei der Sache um. Eine der fast schon alltäglichen Geiselnahmen in dem kleinen Land. Die Aktion hatte aber nicht nur wie sonst einen Berg Lösegeld gekostet, sie diente auch noch für einen Propagandacoup. Die Drohung mit dem Tod der Geiseln nämlich war der Hebel, mit dem die Täter ihr Manifest als Großinserat in die „Frankfurter Allgemeine“ pressten; übrigens auch in die „New York Times“, die „Los Angeles Times“ und ein Dutzend weiterer Blätter wie „Le Monde“ und den Londoner „Daily Mirror“, Englands Bildzeitung. Ja, nun fiel es Gundlach wieder ein: Beckman Instruments Inc., Los Angeles, hieß die leidtragende Firma; die zwei Geiseln waren ihre Filialleiter in El Salvador gewesen. Der Fall stand gar nicht einzig da. Vor zwei, drei Jahren schon hatte es solch ein Zwangsinserat argentinischer Guerrilleros in der "Süddeutschen Zeitung" gegeben, bezahlt von dem Konzern Bunge & Born in Buenos Aires. Die Entführung eines Mercedes-Direktors, auch in Argentinien, ergab eine Annoncen-Kampagne auf Kosten von Daimler-Benz. Und der Elektroriese Philips, dessen Manager in El Salvador gekidnappt worden war, musste in 32 Ländern eine zweiseitige Anzeige finanzieren, die dem Regime des Kaffeestaats das Übliche vorwarf: Demagogie und Verbrechen wie Korruption, heimliche Massaker und „bestialischen Sadismus“, belegt mit den Fotos Gefolterter, ganz wie hier... Mehrmals traf es auch japanische Konzerne. Doch jetzt sah es so aus, als sei die eigene Firma dran.“ Szenenwechsel. In Zeit und Raum. Erstmals 1995 erschien bei Langen Müller das Buch „Wer gibt uns die Träume zurück. Schicksal Ostpreußen“ von Elisabeth Schulz-Semrau: Mit „Suche nach Karalautschi“ (1984) und „Drei Kastanien aus Königsberg“ (1990) hat die gebürtige Königsbergerin Elisabeth Schulz-Semrau bereits zwei Titel vorgelegt, die sich mit der Geschichte ihrer Heimatstadt beschäftigen und die Autorin als kenntnisreiche Chronistin Königsbergs ausweisen. Die Rekonstruktion dieser Geschichte setzt sie in ihrem neuen Buch fort und hat mit viel Spürsinn und großer sprachlicher Sensibilität eine Reihe bewegender literarischer Porträts zusammengestellt. Es sind die Schicksale russischer und deutscher Kinder aus den letzten Kriegstagen und den sich anschließenden Wirren der Nachkriegszeit, deren Lebensweg sie bis in die Gegenwart hinein verfolgt hat. Es ist das große Verdienst der Autorin, dass dabei - aller Grausamkeit und allen Schrecken zum Trotz - keine Litanei des Leids entstanden ist, sondern die differenzierte und sich jeder Schematisierung entziehende Beschreibung von Lebensschicksalen. Dass der Mensch, trotz traumatisch gewordener Leiderfahrung, in der Lage ist, aus der Geschichte zu lernen, zeigt Elisabeth Schulz-Semrau, ausgewiesene Kennerin der ostpreußischen Geschichte, legt mit diesem Buch eine Reihe authentischer literarischer Porträts vor, die auf persönlichen Begegnungen basieren. Es sind die bewegenden Einzelschicksale russischer und deutscher Kinder aus der Endphase des Zweiten Weltkriegs, die in ihrer Gesamtheit ein plastisches Bild der jüngeren Geschichte Königsbergs und Ostpreußens ergeben. Und hier ein Auszug aus dem Buch, nicht ganz vom Anfang, aber bald danach: „Fangen wir also mit dem Jahr 1936 an, die Geschichte Rudolf Mietlewskis (Nachname natürlich auch fingiert) aus der Stadt Königsberg zu erzählen. Fünf Jahre ist er da, wie auch ich es war. Ich bin nur fünf Monate früher geboren. Vielleicht haben unsere Mütter im gleichen Krankenhaus gelegen, in der Langen Reihe? Zu schaffen hatten beide Frauen wohl kaum etwas miteinander. Wir haben im östlichen Teil Deutschlands gelernt, es Klassenunterschiede zu nennen ... Als sich Renate Mietlewski 1931 noch einmal schwanger fühlte, war sie zweiunddreißig. Heinz, ihr Erstgeborener, war zehn, gerade aus dem Gröbsten heraus. Und nun sollte alles noch einmal von vorn beginnen? Edgar, ihr Mann, vierunddreißig, hatte nach einer Durststrecke von zwei Jahren und fünf Monaten gerade wieder eine Arbeit bekommen, als Schlosser auf dem Flugplatz Devau. Vorübergehend, hatte man gesagt. Zu so einer Zeit also ein Kind? Aber es würde ja vielleicht ein Mädchen werden, Mädchen ließen sich billiger hübsch anziehen und waren im Alter eine Stütze. Als die Schwester ihr das Baby, männlichen Geschlechts, in den Arm legte, weinte Renate Mietlewski. Es war keine glückliche Erschütterung. Als sich Heinzi daheim in der Sackheimer Mittelstraße etwas verstört über den plötzlich hinzugekommenen Bruder beugte, zog die Mutter ihren nun Ältesten an sich, sagte tröstend, was Rudolfs ganzes Leben überschatten würde: Bleibst doch mein bestes Lorbasschen ... Die Wohnung besteht aus zwei Zimmern, einer Kammer, die als Zimmer für Heinz eingerichtet wird, das Vorderzimmer bleibt tabu, muss vermietet werden, das Bett des Schreihals’ wird erst einmal in der Küche untergebracht. Vater Mietlewski arbeitet inzwischen als Heizer, steigt zum Lokführer auf. Er tritt der Flügelradgewerkschaft der Eisenbahner bei, nicht aber der Partei, die sich rühmt, die Arbeitslosigkeit beseitigt zu haben, was ja für ihn zutrifft, und Deutschland zum Erwachen zu bringen. Er ist sozialdemokratisch eingestellt und religiös. Man besucht in der Sackheimer Kirche früh den sonntäglichen Gottesdienst, damit Vater Mietlewski anschließend noch Zeit hat, für die Volksfürsorge zu kassieren. Ein zusätzlicher Verdienst, die Familie hat also ihr Auskommen. Heinz wird in der Yorkstraße in der Sackheimer Mittelschule angemeldet. Als er 1935 konfirmiert wird, richtet der Vater das Zimmer für 20 Gäste her. Daran kann ich mich nur nach Erzählungen erinnern. Aber das größte und eindrucksvollste Fest meines Lebens war Vaters Beerdigung, sagt der jetzt Neunundfünfzigjährige. Das vergesse ich nie: Vater hatte selbst eine hohe Versicherung abgeschlossen, und so organisierte mein Onkel etwas ganz Besonderes: Drei Taxen fuhren uns und Hunderte von Eisenbahnern folgten dem Sarg. Wir hatten eine Grabstätte für zwei Personen gekauft. Für den Grabstein reichte dann allerdings das Geld nicht mehr. Wir stellten so’n bissel Bank auf ... Jedenfalls hatten die Träger schwarze Mäntel und Stiefel an. Als sie das Grab zuschaufelten, zogen sie die Mäntel aus, so seh ich sie bis heute. Wie viele Gäste sich dann in der Kneipe einfanden, weiß ich nicht, nur, dass wir viele waren. Immer war ich stolz darauf gewesen, dass wir so ein Fest feiern konnten! Mutter hätte wohl lieber von dem Geld was übrig behalten. >Onkel ist ein richtiger Lebemann<, lamentierte sie. Meine Mutter verstand sich mehr mit der Tante, beide waren sehr kirchlich. Mein ganzes voriges Leben ging durch die Kirche. Erst hier, nach 1947, musste ich aus der Kirche austreten. Meine Verwandten sagten: Für Kirchensteuer ist kein Geld übrig! Nach dem Tod des Vaters übernimmt Frau Mietlewski die Kassierung für die Volksfürsorge. Jeden Nachmittag ist sie von 16 bis 19 Uhr unterwegs. Wenn Rudi sie nicht begleitet, wartet er in der Küche am Fenster und spielt mit dem Schlittschuhnuddler Straßenbahn. Denn unbedingt würde er Straßenbahnfahrer werden - wie der Onkel, der ihn oft auf seiner Tour ohne Geld mitfahren ließ. 1938 in der Schenkendorfschule eingeschult, erlebt er eine kurze, glückliche Zeit mit einem Lehrer, der ... wie ein Vater... war. Er fuhr mit uns Kindern an die See, nahm auch die Mütter mit. Da musste auch meine Mama nett zu mir sein. Das war sie nämlich meist nicht. Sie hatte so eine Art, mir Dresche anzudrohen, indem sie den ganzen Weg kein Wort mit mir redete. Ich erinnere mich noch, wie wir auf der Weißgerberbrücke über den Schlossteich gingen, und ich bettelte: >Bitte, Mama, hau mich doch nicht, ich werd ’ auch ganz artig sein.< Ich küsste ihr sogar die Hand. Es half nichts, kaum schloss sich die Wohnungstür, bezog ich die obligatorische Kloppe. Sie liebte wohl bloß meinen Bruder. Der wurde 1939 eingezogen, geriet in englische Gefangenschaft und blieb nach dem Krieg in England. Im gleichen Jahr kam Rudi an die Bülowschule, die Lehrer unterrichteten in Uniform, und als sie eingezogen wurden, kam, so erinnert er sich, eine Lehrerin, die in einem schwarzen Kleid unterrichtete, dessen einziger Schmuck das Parteiabzeichen war. Als die Schule als Lazarett gebraucht wird, geht’s im Schichtunterricht an die Schenkendorfschule zurück. Überhaupt bewegt sich das Leben dieses Jungen, wie das der meisten anderen Kinder dieser Stadt, zwischen den unreflektierten Widersprüchen ihrer damaligen Historie. Vom Dach seines Hauses sieht Rudolf die Synagoge brennen, hört davon, wie man die jüdischen Waisenkinder barfuß, im bloßen Hemd durch die Straßen trieb. Seine Mutter ist nicht in der Partei, aber der FENSTERTEPPICH (ich lasse mich aufklären, dass es sich dabei um die Hakenkreuzfahne handelt) wird bei Feiern und Siegesmeldungen herausgehängt. Als alleinstehende Frau ... Oft hält die Grüne Minna in seiner Straße, Arbeiter werden eingeladen, es wird geflüstert, das seien diese berüchtigten Kommunisten, und einige Jungen verweigern sich der Hitlerjugend. Versuchen es zumindest. Rudolf kommt 1942 zum JUNGVOLK - es ist ihm wahrhaftig im Kopf geblieben: FÄHNLEIN 17, JUNGSTAMM 2. Aber da kann er von zu Hause weg, und die Mutter muss schweigen. Sie haben Dienst hinter der KDF-Halle, biwakieren in Rundzelten, und es macht ihm Spaß. Zuerst jedenfalls. Sogar die militanter werdenden Spiele wie Späher oder Melder sind nach seinem Geschmack. Bis - ja, bis darauf im Kampf um Königsberg ein Dreizehnjähriger „Soldat“ zu werden hat. Zweimal besucht er mit der Mutter Veranstaltungen in der KDF-Halle; eine hieß: Das ist die Berliner Luft! und dann fahren sie auch mit einem KRAFTDURCHFREUDESCHIFF nach Kahlberg, eine Kapelle spielt. Mutter Mietlewski hat sich schick gemacht, sie achtet nicht so auf Rudi - der Mieter des Vorderzimmers ist auch mit. Den mag der Junge, hat er ihm doch einen herrlichen Kaufmannsladen aus Streichholzschachteln gebaut. Er arbeitet in einem Zigarettenladen. Als er später eingezogen wird, zieht ein Polizist in das Zimmer, mit dem ist die Mutter besonders befreundet. Überhaupt beginnt der Krieg, die mütterliche Strenge aufzuweichen, und es werden einfache, normale Vergnügungen für den Jungen möglich. Er angelt mit Freunden am Kupferteich, hockt mit vier anderen in einem Kajütenboot am Pregel. Ihrem Piratenschiff. Oder - sie knüpfen von langsam dahingleitenden Flussschiffen den Rettungskahn ab und karjohlen damit tagelang auf dem heimatlichen FLÜSSCHEN. Ein Tennisball verhilft manchmal zwanzig Kindern zu einem Fußballmatch. Aber es gibt auch Straßenschlachten, wo sie mit Latten aufeinander losprügeln, eine Straße gegen die andere. Im Winter wird in den Glacis gerodelt und der Weihnachtsmarkt auf dem Paradeplatz unsicher gemacht. Im Sommer ist Rudis Lieblingsplatz auf der Treppe eines Bäckerladens. Da sieht er auch die Gefangenen, die ein P oder U auf dem Rücken haben und die darauf warten, dass ihnen einer ein Brötchen schenkt. Die Großmutter hat einen Gemüsekeller in der Manteufelstraße, so finden Verwandtenbesuche mal auf dem Tragheim, mal auf dem Sackheim statt. Einmal hat die Mutter aus diesem Anlass Rudolf Hose und Weste aus Vaters altem Anzug nähen lassen. Es bleibt einer der wenigen Pluspunkte für die Mutter in der Erinnerung des fast Sechzigjährigen ... Die Angriffe im August 1944 erlebt Rudolf als HJ-Melder beim Volkssturm zwischen Tragheimer Kirchenstraße, Steindamm, Paradeplatz. Als er in der Wrangelstraße von drei Kettenhunden angehalten wird, ruft er: Goldfisch. Und die antworten: Wasser. Hätte ich die Losung nicht gewusst, wär ich bestimmt abgeknallt worden ... , sagt er. Gegen Morgen heimkommend, findet er die Sackheimer Mittelstraße 13 nur noch als rauchenden Trümmerhaufen. Mutter und Sohn ziehen zu den Großeltern in die Tragheimer Pulverstraße. Im Herbst 44, als die Russen Ostpreußen Stück um Stück erobern, bauen beide an einer Panzersperre in der Wrangelstraße, Ecke Tragheimer Kirchenstraße mit. Als er dieses Detail erzählt, überlege ich, ob dieser Umstand nicht womöglich die Ursache dafür war, dass mein Haus in der Tragheimer Kirchenstraße 17, das die Terrorangriffe doch verschont ließen, für mich heute unauffindbar ist?“ Und, sie Sie berührt worden? Von dem einen oder anderen Angebot? Ganz sicher sprechen sie sieben Titel Leserinnen und Leser ganz unterschiedlich an – je nach Alter und Herkunft, eigener Lebens- und Leseerfahrung. Aber mindestens eines der Bücher dürfte wohl Interesse finden und zur ausführlichen Begegnung mit den jeweiligen literarischen Helden einladen. Apropos Begegnung. Zum Schluss noch ein kleines Gedankenexperiment: Stellen wir uns vor, wie es wäre, wenn sich die Hauptfiguren der sieben Bücher und vielleicht auch einige Nebenfiguren irgendwo träfen und sich gegenseitig ihre Lebensgeschichten, ihre Freuden und ihre Schmerzen erzählten. Das dürfte wohl eine sehr aufschlussreiche und spannende, lustige und traurige Runde ergeben – mit drei Worten: ein literarisches Ereignis. Viel Vergnügen beim Weiterdenken dieses Gedankens und bis zum nächsten Mal! Weitere Informationen und Angaben finden Sie unter http://www.prseiten.de/pressefach/edition-digital/news/3848 sowie http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/. Über EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr: EDITION digital wurde 1994 gegründet und gibt neben E-Books Bücher über Mecklenburg-Vorpommern und von Autoren aus dem Bundesland heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen. Firmenkontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr Godern Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/ Pressekontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Gisela Pekrul Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://www.edition-digital.de
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Jakob und der Bienenopa, Schreiben in der „Cessna“ und C.P.E. Bach in Preußen – Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
An der Spitze der insgesamt fünf Deals der Woche, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 15.09. 17 – Freitag, 22.09.17) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind, steht diesmal ein Kinderbuch von Annegret Templin, ein schön illustriertes und zweisprachiges Kinderbuch für kleine Leser und Leserinnen, Zuhörer und Zuhörerinnen. Darin geht es um Jakob und um die Bienen, vor allem aber darum, wie die Menschen, große und auch kleine Menschen, Natur und Umwelt in Allgemeinen und die Bienen im Besonderen schützen können. Ebenfalls Sorgen, große Sorgen um die Menschheit macht sich ein US-amerikanischer Journalist, der eine Raketenkatastrophe miterlebt hat und anschließend gegen alle Widerstände gegen künftige Verbrechen ankämpft – auch gegen den eigenen Medienkonzern. In seinem spannenden Roman „Tempel des Satans“ gab Wolfgang Schreyer Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts aufschlussreiche Einblicke in die amerikanische Gesellschaft, in amerikanische Politik und Journalismus. Einblicke in die Gesellschaft der langsam zu Ende gehenden DDR und ihrer Widersprüche unter dem besonderen Blickwinkel der Armee erlaubt der Roman „Harte Jahre“ von Jürgen Ritschel. In ferne Zeiten entführt Alexander Kröger seine Leser in seinem SF-Roman „Mimikry“, in dem er jedoch höchst gegenwärtige und nahe Fragen diskutiert. Bleibt schließlich noch das fünfte und letzte der aktuellen preisreduzierten Angebote dieser Woche, in dem sich Renate Krüger mit Carl Philipp Emanuel Bach beschäftigt, dem berühmtesten der Bach-Söhne, als dieser zwischen 1738 und 1768 in Diensten des früheren Kronprinzen und späteren Königs Friedrich II. stand und allgemein als der „Berliner Bach“ bekannt war. Aber von Bach jetzt erst mal zu den Bienen. Noch ganz frisch, ganz druckfrisch ist der eben sowohl als E-Book wie auch als gedrucktes Buch für Kinder von 4 bis 8 Jahren bei der EDITION digital sowohl auf Hoch- als auch auf Plattdeutsch erschienene Titel „Jakob und die Bienen“ / „Jakob und de Immen“ von Annegret Templin, die ihr Anliegen selber so beschreibt: „Ich habe diese Geschichte für Kinder ab sechs Jahre geschrieben, um euer Interesse an Bienen zu wecken. Sie sind wichtige Nutztiere und brauchen unsere Hilfe. Jeder sollte etwas dazu beitragen, dass es den Bienen gut geht. Traut euch, seid neugierig, besucht einen Imker und erfahrt so mehr über das Leben der Bienen! / Ik heff disse lütt Geschicht schräben, wieldat ji wat oewer de Immen liern künnt, denn de sünd de wichtigsten ünner de Tiere un de bruken uns‘ Hülp. Jedwerein kann wat daun, dat dat de Immen gaut geiht.“ Und da es in dem Buch nicht nur, aber doch vor allem um Jakob und seine Familie geht, erfahren wir am Anfang des Buches zunächst einmal ein bisschen von Jakob. Wie alt ist er eigentlich? Wie sieht er aus? Wo wohnt er? „Jakob ist ein kleiner Junge mit blondem Lockenkopf und blauen Augen. Er lebt in einer großen Stadt und geht in den Kindergarten. Aber bald, wenn der Sommer vorbei ist, kommt er in die Schule und darauf freut er sich. Jetzt ist Frühling. Die Schneeglöckchen und Krokusse blühen, an den Bäumen und Sträuchern sprießen die ersten zartgrünen Blätter, die Spatzen jagen sich durch Lavendelbüsche und Amseln fliegen mit Nistmaterial in die nächste Hecke. Jakob ist zu Besuch bei seinem Opa, seinem Bienenopa. „Die Sonne hat schon ganz schön Kraft“, sagt Opa. „Gut, dass der Frühling da ist. Die Bienen fliegen auch schon.“ Opa setzt sich den Schleier auf den Kopf und geht zu seinen Bienenkästen. Wie kann denn die Sonne Kraft haben, denkt Jakob, das hat er ja noch nie gehört. Die Großen sagen manchmal aber auch komische Sachen. Jakob schlendert gedankenversunken über den Hof.“ Und wie eingangs versprochen nun das Ganze nochmal up Platt: Jakob is ein lütten Jung mit flassblonde Hor und blage Ogen. Hei lääft in ein grote Stadt und geiht in‘n Kinnergoorden. In ein poor Mand, wenn die Aust vörbi is, kümmt he in de Schaul un dorup freut sick de Jung sihr. Nu is’t oewer ierst Frühjohr. Die Schneikieker sünd all dor und de Krokusse bläuden to hop. An Böm un Strükers sünd all de iersten gräunen Bläder tau sein. De Sparlings fleigen dörch dat Buschwark un de Swartschackers drägen Material tau’n Nestbu in de Heck. Jakob is tau Besäuk bi sinen Grotvadder, sin‘n „Immenopa“. „De Sünn hett al ollich Kraft“, secht Opa. „Gaut, dat dat Frühjohr dor is. De Immen fleigen ok all.“ Gröting set‘t sick den Schlier up den Kopp und geiht zu sein Immenkastens. Woans kann denn de Sünn Kraft hebben, denkt Jakob, dat hett he nie nich hüürt. Die Ollen vertell’n mannichmal oewer dwatschen Kram.“ Zum ersten Mal 1964 konnten die Leser und Leserinnen den im Mitteldeutschen Verlag Halle – Leipzig erschienenen spannenden Roman „Tempel des Satans“ von Wolfgang Schreyer kaufen: Dies ist die Geschichte eines US-amerikanischen Journalisten, der Zeuge einer Raketenkatastrophe wird und nun mit aller Kraft gegen die Fortsetzung solch selbstmörderischer Versuche ankämpft - bald ahnend, was er dadurch entfesselt. Seine enthüllende Tat, seine Erfolge und Niederlagen reißen uns mit. Wir bangen um ihn selbst da, wo wir die Wahl seiner Waffen verurteilen müssen. Der Verfasser schafft atemberaubende Spannung aus einem bestechend aufgerollten Fall, dem wahre Vorkommnisse zugrunde liegen. Er führt uns mitten hinein in die „Tempel des Satans“, die stählernen Türme der Zeitungskonzerne New Yorks mit ihrem Glanz und Arbeitsdrill, den Wundern modernster Nachrichtenübermittlung, den Glasfassaden und Geschäftskniffen, ihren Präsidentenbüros, Privatflugzeugen, Fernsehstudios, Redakteuren, Reportertypen, karrieresüchtigen hypermodernen Frauen, hohen Gehältern und gut funktionierenden Fallen; und hart neben dem „way of life“ gähnt der Abgrund totaler Existenzvernichtung. Vor uns ersteht eine bizarre Welt, äußerlich faszinierend, im Kern oft barbarisch. Wir sehen einen Raketenforscher, der sich zugunsten seiner Weltraumpläne der Rüstungsindustrie verschrieben hat, und beobachten eine kleine fortschrittliche Gruppe, die mutig versucht, das sensationelle Unglück zu klären. Von flimmernden Bildschirmen, im Schein rotierender Leuchtreklamen blitzt uns ein Stück amerikanischen Alltags entgegen. Wir erleben das kleine und große Intrigenspiel: Dschungelkämpfe, durch Hass, Liebe, Ehrgeiz oder Macht- und Profitgier gesteuert. Pausenlos werden vor unseren Augen Menschen emporgetragen, von ihrer Umwelt getrieben und zerrieben. Bei alldem vermag Wolfgang Schreyers Darstellung schon durch ihr Niveau den Lesenden in Bann zu halten. Sie verrät eine Nähe zum wahren Sachverhalt, die uns tiefer packt als äußere Dramatik. Der Deutsche Fernsehfunk DFF hatte nach diesem Roman einen dreiteiligen Abenteuerfilm unter anderen mit Bruno Carstens als Pit Nordfors sowie Christine Laszar und Wolf Kaiser gedreht, der am 1. März 1962 erstausgestrahlt und zum Straßenfeger wurde. Hier aber der Anfang des Buches: „FREITAG ERSTES KAPITEL 10:50 Monique Dumont hielt den Stenogrammblock auf den Knien. Sie hatte gelernt, im Flugzeug zu schreiben. Die meisten Reporter machten es so, und sie wollte in keinem Punkt hinter den Angestellten ihres Vaters zurückbleiben. Sie hatte von vornherein begriffen: Persönlichkeit und Selbstbewusstsein genügten nicht, den Rang des stellvertretenden Verlagschefs zu behaupten. Auch wenn man so auftrat und so aussah wie sie, kam es auf Leistung an. Journalismus war ein hartes Geschäft. Und das Gefühl, Erfolg zu haben, schenkte einem keiner. Das gab es auch nirgends zu kaufen. Aber was für ein unvergleichlicher Lebensgenuss, tätig zu sein, die eigene Kraft zu spüren! Dies war das Höchste auf der Welt. Um sieben Uhr waren sie vom Privatfeld der Contipress bei New York aufgestiegen, nun näherte sich die „Cessna“, eine schnelle zweimotorige Maschine, dem Ziel. Ihr Schatten glitt mit 120 Metersekunden südwärts über die Ebene. Monique Dumont kümmerte die Küstenlandschaft dort unten nicht. Sie prüfte ihren Text. Der Artikel begann folgendermaßen: „Am Rande unseres Badeortstaates Florida – Staatsmotto 'Auf Gott vertrauen wir' – dehnt sich auf einer sandigen, Palmen bewachsenen Landzunge zwischen Bananenfluss und Atlantik, die früher Ziel heimlicher Wochenendausflüge zu zweit war, heute das 50 Quadratkilometer große Gelände der 'Patrick Air Force Base', mit Raketenrampen, Radartürmen, Betonbunkern...“ Das musste sie kürzen, es klang verworren. „College-Stil“, würde Howard Dumont sagen. „Du schreibst nicht mehr für Professoren. Weniger Nebensätze, keine Beiwörter, sonst wird es Literatur. Wenn du meinst, dir ist ein schöner Satz gelungen, schmeiß ihn 'raus!“ – Sie war entschlossen, danach zu handeln. Doch wie sie den Entwurf nun in den Händen hielt, wusste sie nicht, wo beginnen. Sie entfernte das Adjektiv „sandig“. Sie strich „Auf Gott vertrauen wir“ und kam sich dabei lächerlich vor. Plötzlich wurde ihr klar, dass die Gegenwart des Piloten sie daran hinderte, konzentriert zu arbeiten. Sie saß in der viersitzigen Maschine neben ihm, weil sie nicht hinten bei einem der unwichtigen Leute sitzen wollte, und während der ganzen Zeit hatte sie sich versucht gefühlt, ihn zu provozieren. Er war ihr Widersacher; ein grober, störrischer Mensch. Er war vierzig, fünfzehn Jahre älter als sie, und Chefreporter der Contipress. Von allen Angestellten des Verlagshauses war er der einzige, der sie nicht respektierte. Nichts wünschte sie mehr, als ihm zu zeigen, welchen Fehler er damit beging. Nun kam die Gelegenheit! Auf seinem eigenen Arbeitsgebiet würde sie ihn schlagen. Monique nahm sich zusammen. Sie fuhr fort, ihren Entwurf zu überprüfen. – „Das Versuchsfeld am Cap Canaveral ist ein schwer zugänglicher Ort. Die Einwohner nennen es 'Raketenland'. Gewöhnlich landen Journalisten auf dem Linienflughafen Orlando, frühstücken im 'Restaurant zum Sternenlicht' und werden dann von scharf bewachten Autokonvois in das mit elektrischem Draht, Radaraugen und Patrouillenbooten abgeschirmte Gebiet gefahren. Wir aber durften...“ Ihr Blick irrte vom Stenoblock weg, hin zu den Händen, die den Steuerknüppel führten. Es waren derbe Hände, knochig, ohne Ring. Sie hasste diesen Mann nicht; man hasst nur Stärkere. Sie war sicher, die Kraftprobe noch heute zu bestehen. 11:00 Die rechte Hand löste sich, griff nach dem Bordmikrofon. Durch die Seitenscheibe sah Monique hinaus in den blaugoldenen Spätsommertag. Dreitausend Fuß unter ihnen tauchte jetzt ein Spinnennetz zementierter Rollbahnen auf. Sie hörte ihren Nachbarn ins Mikrofon rufen: „Versuchszentrum CBA 'Victor', Versuchszentrum CBA 'Victor', dies ist die Contipress-Maschine N 307, Pilot Nordfors. Erbitte Landeerlaubnis und Instruktionen – over.“ Nordfors schaltete auf Empfang, er stimmte die Frequenz ab. Im Lautsprecher piepste es, dann antwortete eine gequetschte Stimme: „...'Victor', verstanden. Versuchszentrum CBA 'Victor', verstanden. Benutzen Sie Rollbahn Süd. Wind aus 345 Grad mit fünf Knoten.“ Es gab eine Pause, dann sagte der Sprecher: „Komm schon 'runter, Pit, aber brich dem Baby nicht das Kreuz!“ Nordfors hängte das Mikrofon ab. „Alter Bekannter.“ „Scheint Ihnen nicht viel zuzutrauen“, sagte Monique. Sie klappte die Handtasche auf und versuchte, sich die Lippen nachzuziehen. In den ungleichen Luftschichten tanzte das Flugzeug, ihr Stift rutschte ab. Sie fragte: „Geht das wirklich nicht ruhiger?“ „Schon möglich.“ Nordfors ließ die Steuersäule los. „Versuchen Sie's selbst.“ Sofort neigte sich die Maschine vornüber, fiel in steilen Gleitflug. Die Köpfe der beiden Heckpassagiere hoben sich mit einem Ruck, ihre Körper rutschten halb von den Sitzen. Joe Maldy, hager und blass, vierundfünfzig Jahre alt, presste die Hand auf den Magen und zischte: „Er bricht sich bestimmt noch mal den Hals.“ – Bei jedem Stoß verzog sich sein Gesicht. Lange Zeit hatte Maldy die Redaktion „Heim und Gesundheit“ geleitet. Seit man ihm diesen Posten genommen hatte, verheimlichte er niemand mehr seinen Pessimismus. „Lass nur“, sagte Bunny King, ein fülliger, fideler, zwanzig Jahre jüngerer Mann. „Pit und ich, wir mussten im Krieg ganz anders schaukeln!“ – Er hatte den Schlips heruntergezogen, sein Gesicht glänzte nass. Es war heiß in der Plexiglaskanzel, ihm machte das Manöver Spaß. Er war Bildreporter und immer dann mit dem Leben zufrieden, wenn er Pit Nordfors begleiten durfte. Heute war wieder ein großer Tag für ihn. Monique sagte: „Mister Nordfors, lassen Sie das. Die Leute hinten haben Familie.“ Er fing das Flugzeug ab und sah sie an. Recht hübsch, wie sie sich verstellte. Aus ihrem schwarzen, im Nacken hochgerafften Haar hatte sich eine Strähne gelöst. Sie war reizend und nicht so arrogant, wie er geglaubt hatte, nur sehr selbstsicher. Aber sie war Miss Dumont. Man sagte sich Bosheiten oder lächelte verbindlich, konnte einander sogar streifen. Und doch sprang kein Funke über. Er wusste, sie hatte die Leitung heute nur deshalb übernommen, damit er sich ihr endlich unterordne. Darauf durfte sie warten – bis zum Jüngsten Tag. Er hörte sie nach hinten sprechen: „Sie werden sich um die technischen Dinge kümmern, Maldy. Wir wollen eine erstklassige Reportage heimbringen.“ „Selbstverständlich, Miss Dumont.“ Nordfors drückte den Knüppel sacht nach vorn, das gelbe Betonband kam ihm entgegen. In seinem Rücken schnappte ein Kameraverschluss. Monique sagte: „Damit warten wir besser, bis wir die Erlaubnis haben, King.“ „Wie Sie denken, Miss Dumont“, kam es ergeben zurück. Nordfors stellte sich Bunnys Gesicht vor; er unterdrückte ein Lachen.“ Da scheint ein hartes Stück Arbeit auf die Besatzung der „Cessna“ zuzukommen. Über „Harte Jahre“ hat auch Jürgen Ritschel zu erzählen. „Harte Jahre“ – so heißt sein erstmals 1990 im Brandenburgischen Verlagshaus erschienener Roman, dem er ein ebenso aufmerksamkeitserregendes wie verstörendes Zitat vorangestellt hat: „Manchmal kann Literatur erschreckend wahr sein“: Nach dem Rauswurf aus dem Mitteldeutschen Verlag öffnete sich der Militärverlag der DDR einem Romanvorhaben, das sehr deutlich das Verhältnis von Schein und Sein dokumentiert, gewissermaßen als Modellfall DDR innerhalb der Nationalen Volksarmee. Letztlich endete dieses Vorhaben wiederum mit einem Verlagsrauswurf. Im gewandelten Militärverlag, dem Brandenburgischen Verlagshaus, erschien es 1990, wurde aber bald darauf im Zuge der Vernichtungsaktion von DDR-Literatur entsorgt. Das Manuskript aber hatte sich immerhin erhalten. Werner Rosenkranz meldet sich nach dem Abitur zur Armee als Soldat und wird Funktechniker einer Fliegerabwehr-Raketeneinheit. Er gerät sehr bald mit Methoden in Konflikt, die seine Ablehnung erfahren, denen er aber mit Schläue und Geschick entgegentritt. Sein Widersacher wird der Abteilungskommandeur, ein Artillerist, der die neuen technischen Herausforderungen nicht begreift und die er teils mit dümmlicher Befehlsgewalt zu übertünchen versucht. Junge Leute, klug und verantwortungsbewusst, aber durchaus keine Musterknaben, entwickeln eine gute Kameradschaft unter der Uniform des Soldaten, junge Leute, die von der Liebe zu ihren Mädchen geplagt oder beflügelt werden und die so manche Schikane deutlich beantworten. Dieser Roman ist von innerer Spannung durchwebt und gehört zu wenigen Titeln der DDR-Literatur, die sinnliche Erotik einfließen lassen. Das 1. Kapitel beschert uns die Bekanntschaft mit einigen Männern in Uniform, darunter auch Werner Rosenkranz: „Da standen sie nun auf holprigem Pflaster irgendwo in Mecklenburg zwischen Feld und Wald, junge Männer, achtzehn, neunzehn Jahre alt. Einheitlich gekleidet. Ein Block in Grau. Abgesetzt auf einsamer Landstraße. Kaum auszumachen vor dem halbhohen Kiefernwald. Eine schneidende Stimme fuhr in die lockeren Reihen. Schlag der Stiefel, Straffen, Stille. Der Wind rauschte um die Wipfel. Jetzt deutlich zu hören. Motoren sprangen an. Leer fuhren zehn Lastkraftwagen in Marschrichtung an dem Trupp vorbei. Die jungen Soldatengesichter waren ernst. Zu ernst. Werner Rosenkranz studierte die Züge des Majors, des Kommandeurs, den er seit zwei Tagen kannte. Sie waren von verbissener Emsigkeit gezeichnet, von Zorn zuweilen. Immer standen Verantwortung und Gewichtigkeit im Blick. Stets trug er eine Unmutsfalte in dem winzigen Kinn unter markanter Nase. Ein sehr dynamischer Mann, dieser Major Ritter. Kopf und Körper zeigten in ihren Bewegungen an, dass er immer zugleich an jedem Ort sein wollte, dass er alles sah, alles entdeckte, auch die geringste Verzögerung, den kleinsten unpassendsten Laut, Und dann schlug seine Stimme zu, fuhr in die Seelen, erschütterte. Junge, weichherzige Männer darunter. Rosenkranz. Eben erst das Abitur abgelegt. Eben den ersten Schritt ins Leben getan, in ein Leben, das man ihm völlig anders vermittelt hatte. Und eben war eine Mauer gezogen worden, die man Schutzwall nannte. Ein Vorgang, den er entfernt kommentierte wie ein Naturereignis: Es war nun mal so. Und es war eben so, dass er über Nacht zu einer Entscheidung finden musste: entweder zwei Jahre Armee oder kein Studium. Da keimte so etwas wie Einsicht in Unabänderliches. Aber jetzt, da er merkte, wie wenig wert er war, weil man ihn anzubrüllen und zu erniedrigen sich erlaubte, wich dieser Keimling Einsicht der Frage: Warum bin ich hier? Major Ritter war ein adretter Mann. Das Haar trug er übermäßig kurz geschoren. Es begann eine Koppelbreite über den Ohrenspitzen. Die Mütze mit straff geschwungenem Spiegel saß millimetergenau nach Vorschrift. Die Stiefelhosen waren exakt ausgebügelt und standen wie Segel von den Beinen. Die Stiefel glänzten, als wären sie aus schwarzem Glas. Die Ausstrahlung des Mannes, die Haltung, jeder Satz, den er sprach, jede Bewegung zeugten von unantastbarer Autorität und von einer Distanz, die Rosenkranz frieren ließ. Auch jetzt war der Major mit geschärftem Spürsinn um den kleinen Trupp herum unterwegs, als segelte er im straffen Frühjahrswind von hinten nach vorn und von vorn nach hinten. Er war an jeder Stelle zugleich. Er saß ihnen im Nacken oder auf der Stirn. Eine teuflische Weise, Sie engte Rosenkranz ein. Sie provozierte seinen Trotz. Er war bei seiner Mutter in höchstem Freiraum aufgewachsen. Freilich, ein bisschen verwöhnt. Einzige echte Erinnerung an ihren Mann. Bei Stalingrad vermisst. Geblieben war auch der winzige Laden. Kurzwaren aller Art. Eben ein Geschäft, keine lebendige Erinnerung. Zog Werner Rosenkranz die zum Verwöhnen neigende Mutterliebe ab, erinnerte er sich durchaus an Strenge. Aber nie verletzte diese Strenge sein Persönlichkeitsgefühl. Die militärische Einheit, die seit einem Tag bestand, duckte sich von der ersten Minute an unter dem Druck ihres Kommandeurs. Rosenkranz spürte schon jetzt, wie solche Saat in einigen jungen, noch unerfahrenen Offizieren zu keimen begann. Sie untersetzten den Unmut des Alten, vervielfachten ihn, engten ein, indem sie Echo waren, Strafen androhten, schnauzten, Rosenkranz fühlte sich als Gefangener. Er marschierte ernst, der junge Soldat. Zu ernst. Aber er war jung genug, die Gedanken kippen zu können. Die Uniform nahm ihm das heitere Leben nicht, dem Täuscher und Senkler, der mit Messingabsätzen übers Pflaster geknallt war, zu Hause. Der in engsten Röhrenhosen lief. Der mit seinen Freunden zu bestimmten Zeiten durch die Kleinstadt spazierte, um zu sehen und gesehen zu werden. Sie nannten es senkeln, und wer senkelte, war ein Senkler. Und wer dabei täuschte, den Weltmann markierte mit erstem Flaum unter der Nase, wer ein Mädchen umwarb und so tat, als könnte er tausend auf einen Wink haben, war ein Täuscher. Täuscher und Senkler musste sein, wer anerkannt sein wollte. Jeans gehörten dazu, die offiziell verpönten. Kenntnisse der Rock-'n'-Roll-Musik, der verbotenen Namen der Sänger, Titel. Bill Haley: Rock around the clock. Elvis: ...everybody let's rock. Es genügte, einige Zeilen vorzusingen oder zu schwärmen von Johnny Holiday, von Little Richard. Ein Täuscher durfte verliebt sein, sogar untröstbar unglücklich, zeigen aber musste er erhabenen Stolz. Einen Täuscher warf doch kein kleines Mädchen aus der Bahn! Gedanken verriet man nicht, auch nicht jetzt, da ein Täuscher nach Zewentin marschierte. Siehst du mich, Anita? Siehst du mich marschieren? In Stiefeln. Lässig. Ungeheuer kraftvoll, als wäre der Marschblock ich. Ganz allein ich. Ich sehe dich, mein Gedankenengel. Du schwebst über uns wie ein Federchen im Aufwind. Neben mir laufen Schmidtel und Flater, vor uns Lola und Karli Kippe, weiter hinten Frettchen und Käuzchen. Meine Freunde. Tolle Kumpel. Hätten echte Täuscher sein können, wären sie in unserer Stadt aufgewachsen. Sie kennen dich von meinem Erzählen. Lass sie ruhig lästern, wenn ich schwärme. Sie haben nie deine tiefen, aufwühlenden Blicke erlebt, die stumme Sehnsucht darin, nie dein Leid erfahren, das übles Geschwätz verursacht hat. Sie kennen deine dunklen Augen nicht, nicht dein schwarzes aufgestecktes Haar, deinen weichen Mund. Sie brauchen nicht zu wissen, dass ich dich nie geküsst habe. Es gab wenige Spaziergänge und nur einen, bei dem wir Hand in Hand liefen. Unsere Liebe war Sehnen, Träumen, Schwärmen. „Triefen Sie nicht, Genosse Rosenkranz!“ Er war außer Tritt geraten, war weggetreten in die letzte Phase seiner Pennälerzeit. Peinlich. Der Major, angelockt von dieser Ermahnung, behielt ihn im Blick. Aber Gedanken sind wie stille Musik. Sie untermalen den äußeren Ablauf. Rosenkranz war bald in seinem Heimatort, bei der Abschiedsfeier mit seinen Freunden, bei Anita, bei dem Schmerz um seine kleine enge Welt, der so richtig aufgebrochen war im Rausch.“ Sechs Jahre später brachte Dr. Helmut Routschek alias Alexander Kröger im Krögervertrieb seinen Science-Fiction-Roman „Mimikry“ heraus. Dem E-Book liegt die überarbeitete Auflage zugrunde, die 2010 im Projekte-Verlag Cornelius GmbH in Halle erschienen war: Die Geningenieurin Ursula Brest erfindet eine Apparatur, mit deren Hilfe Zellstrukturen und -wachstum nachhaltig beeinflusst werden können. Als zwielichtige, profitorientierte, einflussreiche Leute die im Grunde segensreiche, aber auch missbräuchlich anwendbare Erfindung an sich reißen wollen, flieht sie. Ihre angenommene Identität wird aufgedeckt, sie gerät in Lebensgefahr. Auf sehr ungewöhnliche Weise kann sie sich der Verfolgung, nicht aber der Bedrohung entziehen. Schutz findet sie in der Liaison mit Erwin. „Mimikry“ ist ein gegenwärtig spielender Science Fiction-Krimi, der hintergründig, eingebettet in eine spannende Geschichte, den Leser zum Nachdenken über Gegenwärtiges und insbesondere, dem Genre geschuldet, über die Verantwortung der Wissenschaftler anregt. Der Roman beginnt mit einem ungewöhnlich langen Prolog, der hier auch in seiner ganzen Länge wiedergegeben werden soll: „Zunächst durchdrang ein Sausen die Schwärze, ein zartes, leises, das rhythmisch in kurzer Folge auf- und abstieg. Ein Schimmer dämmerte heran, als dringe trübes Licht durch einen Wattebausch. Dann von weit her ein Brummen, anschwellend, schwindend ... Da formte es sich ... eine Frage ...: >Was ist ...?< Die Gedanken gewannen an Kraft: >Was ist?< Als laste ein Gewicht auf den Lidern, öffnete Ursula Brest langsam die Augen. Träge glitt das graue Weiß ins Lichte. Ganz allmählich stieg Bewusstheit auf. >Ich ... ich ... Wo bin ich?< Das weiße Gesichtsfeld blieb, und mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass sie auf eine Zimmerdecke starrte, auf eine Lampenschale, und wieder war da die Frage, drängender als vordem: >Wo bin ich?< Plötzlich spürte Ursula ihren Atem, wurde gewahr, dass ihre rechte Hand die linke umschloss, ihr Kopf sich in ein Kissen schmiegte, sie in einem Bett lag, und sie fühlte die Wärme. Was sie von ihrem Oberkörper sah, war eingehüllt in einem blaugepunkteten leichten Hemd. Hinter sich vernahm sie ein stetiges leises Piepen. Und da war abermals ein entferntes Brummen, das lauter wurde und verebbte. >Ein vorbeifahrendes Auto ...?< Ursula stützte sich auf die Ellenbogen, sank zurück. Ein leichter Schwindel hatte sie befallen, ihre Oberarme und Schultern schwächelten. Angst kroch in sie. Sie wendete den Kopf so gut sie es vermochte. >Ein Krankenzimmer! ... das obligatorische Patientenhemd ...< Der piepsende Computer schräg hinter ihr mit bizarren Kurven auf dem Monitor, ein Ständer mit einer Flasche daran, Steckdosenleisten, ein Tisch, ein Stuhl, ein Schrank, ein Nachtkasten, zwei Türen - ein Fenster hinter einem geschlossenen Vorhang, der dem Tag den Eintritt verwehrte. Erst jetzt bemerkte Ursula den dünnen Schlauch, der ihre rechte Hand mit dem Tropf verband. Daneben lag eine Schnur, ein Schalter daran mit einem roten Knopf. Ursula griff hastig danach, drückte ihn ununterbrochen, im Versuch, einem Panikanfall zuvor zu kommen. Sehr bald näherten sich eilende Schritte, zwei Weißgekleidete, eine Frau und ein Mann, stürzten ins Zimmer, verhielten kurz. „Endlich!“, rief die Krankenschwester. Der Mann beugte sich über Ursula, legte ihr die Hand auf die Stirn und sagte froh: „Willkommen! Es wird alles gut. Ich bin Doktor Hiroshi.“ Ursula blickte ängstlich. „Was ...“ Sie musste das Sprechen erneut ansetzen, im Hals schmerzte es, die Stimme klang rau. „Was ist mit mir?“, und sie versuchte abermals, sich aufzurichten, wurde aber sanft vom Arzt gehindert. „Sie lagen im ... haben elf Tage geschlafen“, erklärte die Schwester freundlich. „Aber warum?“ Jetzt gelang es Ursula, sich auf die Ellenbogen zu stützen. Sie blickte unstet, beunruhigt. Doch plötzlich war sie da, es überfiel sie schlagartig die Erinnerung: Der Blick zur Uhr: verdammt, ich komme zu spät zur Dienstberatung ... Zum Schrank, Kittel aus, der Strich übers Haar und - plötzlich gleitet da der Boden weg, ich verliere den Halt, stürze. Der offene Schrank stülpt sich über mich ... Poltern und prasseln ... schwarz, nichts ... „Sie waren verschüttet“, erklärte Dr. Hiroshi. „Das Erdbeben ...“ Er sah den Schreck in Ursulas Gesicht. „Keine Angst“, setzte er schnell, beruhigend hinzu. „Ein paar Prellungen, eine Gehirnerschütterung, Erschöpfung ... Man hat sie rechtzeitig gefunden. Noch einige Tage bei uns, und sie können nach Hause.“ Ursula sank zurück, schwieg. Die Schwester griff nach ihrer Hand. Nach einer Weile fragte Ursula stockend: „Die - Kollegen ...?“ Dr. Hiroshi blickte zum Fenster. Die Schwester verstärkte den Druck auf Ursulas Hand. „Ihre Kollegen befanden sich zum Zeitpunkt alle im Tagungsraum“, sagte er leise. „Die Decke stürzte ein, das gesamte Gebäude ...“ Lange Sekunden herrschte Schweigen. Dann bat Ursula: „Ich möchte bitte allein sein.“ Der Arzt und die Krankenschwester verließen das Zimmer. Physisch erholte sich Ursula in der Tat schnell. Sie telefonierte mit ihrer Mutter, beruhigte die Besorgte, denn natürlich hatte sie von dem Beben Kenntnis. Aber tief in ihr Bewusstsein drang Ursula die Katastrophe lange nicht. Die Kollegen waren ihr gegenwärtig, enthusiastisch, besessen von der Arbeit, freundlich jene, die die zunächst Fremde aus dem anderen Kulturkreis so kameradschaftlich, hilfsbereit und zuvorkommend aufgenommen und anerkannt hatten. Ursula wollte nicht realisieren, dass mit einem Schlag das, was so erfolgversprechend, so hoffnungsvoll und zukunftsträchtig, so freudvoll verlaufen ist, aus, vorbei, gelöscht sein sollte. >Wenn auch ein engerer Kontakt zu den Kollegen fehlte - wir haben uns verstanden, respektiert und vorbehaltlos unterstützt; ein außergewöhnliches, freundschaftliches Team ...< Ständig geriet Ursula in den Tagen der Genesung die Begegnung mit Akira in die Erinnerung, Akira, der Spiritus Rector, der hervorragende Wissenschaftler und Eigentümer des Unternehmens: Die Überfahrt mit dem kleinen Boot zur Insel, Seekrankheit - ihr heulendes Elend, sein tröstender Beistand ... Gespräche, gemeinsam in der Touristengruppe, überraschend die Feststellung, an der gleichen Universität in derselben Fachrichtung studiert zu haben; er drei Jahre vor ihr. Und dann sein Angebot, zaghaft zunächst, nicht drängend, aber ernsthaft werbend und ungeheuer verlockend: Mit „Zellwandlung“ hatte er es umschrieben - absolutes Neuland und beste Bedingungen mit der Gewissheit, dass einem im Leben nur einmal solches widerfährt. >Ha, sogar die Bedenkzeit habe ich verkürzt. Ein Glücksfall, dass ich die Kündigungsfrist bei „Florafarm“ nicht einhalten musste. Dann Mutter getröstet und ab nach Japan. Akira ist tot, erschlagen wie die anderen ... Der Wandler ... kurz vor dem Erfolg - noch ein Jahr vielleicht hätte es gedauert - futsch ist er. Der alte Planet, er räuspert sich, und wir erbärmlichen Würmchen mit all unserer gepriesenen Technik - sind hin! Schon am dritten Tag nach ihrem Erwachen konnte Ursula aufstehen und im frühlingssprießenden Park spazieren. Sie erfreute sich am frischen Grün und an der unnachahmlichen Gestaltung des japanischen Gartens. Es gelang ihr so, das niederschmetternde Ereignis, den Schmerz um die Kollegen und unerquickliche Gedanken an die ungewisse, nicht zu definierende Zukunft, ein Stück in den Hintergrund zu drängen. An einem Nachmittag suchte sie ein Vertreter der örtlichen Behörde auf, ein junger Mann, der schlechtes Englisch sprach, sie als Überlebende des Bebens beglückwünschte und registrierte, und - nachdem er so ihre Identität festgestellt hatte - ihr erfreut mitteilte, dass der Gebäudekomplex, im dem sich ihre Wohnung befand, nur leicht beschädig sei und dass sich das aus den Trümmern des Instituts Geborgene in einem Depot befinde. Sie solle dieses alsbald besichtigen und über noch Brauchbares bestimmen. Dieser Hinweis machte Ursula hellhörig. Sie fragte nach und erfuhr, dass Angehörige der Verstorbenen über das, was sich zuordnen ließ, bereits befunden hätten und keine weiteren Ansprüche geltend machten. Es sei aber einiges an Geräten und Akten sicher gestellt worden ... Und da sie die einzige Überlebende der Forschungsgruppe sei und den Fachverstand habe, solle sie über den verbleibenden Nachlass verfügen. In Ursula sträube sich etwas gegen solches Ansinnen, sie fühlte sich einfach noch nicht in der Lage, sich so unmittelbar nach dem schmerzlichen Geschehen mit derart profanen Verrichtungen zu befassen. Natürlich verstand sie das Anliegen der Behörde, die Angelegenheit so schnell als möglich regeln zu wollen, vielleicht auch, weil es sich mit ihr um eine Ausländerin handelte. Nach neun Tagen wurde Ursula mit guten Wünschen als wieder hergestellt aus der Klinik entlassen. Da sie nur ein leichtes Bündel geschenkter Kleider trug, ging sie zu Fuß; ihre Wohnung befand sich nur einen 20-Minuten-Marsch entfernt. Oft blieb sie unterwegs überrascht stehen und sah sich um. Sie hatte sich das Ausmaß der Zerstörungen größer vorgestellt: Da und dort eine geborstene Mauer, ein Riss in der Straße, wenige Häuser gänzlich eingestürzt. Angesichts dessen begriff sie, dass das Beben insgesamt, im Vergleich zu ähnlichen Katastrophen, glücklicherweise nur 11 Todesopfer gefordert hatte und sie verstand nicht, dass allein vier davon ihre Kollegen waren. Ursula schlug einen Umweg ein, passierte den kleinen Park, der unmittelbar an das Grundstück grenzte, das zu Akiras Villa gehörte, welche zum kleinen, aber exquisiten Forschungsinstitut umfunktioniert wurde, in dem sie zwei Jahre so erfüllt gewirkt hatten. Von Weitem hörte sie die Arbeitsgeräusche. Dann erblickte sie es: Ein Überkopflader schichtete sperrige Trümmer und Schutt auf einen Lastwagen. Die Umfassungsmauern des Erdgeschosses der Villa standen noch. Die zwei Etagen darüber waren eingebrochen; in der ersten hatte sich der Tagungsraum befunden ... Die Decke des flachen Laboranbaues, halb eingestürzt, bildete eine schiefe Ebene. >Das Loch dort, da stand der Schrank, da haben sie mich wohl rausgeholt ...< Lange lehnte Ursula an einem Baum und sah hinüber zu den Maschinen. Sie empfand nicht den Lärm, und sie hätte nicht zu sagen vermocht, was in diesen Minuten durch ihre Gedanken lief. Sie fand in die Wirklichkeit zurück, als drüben ein Personenwagen hielt, ein gut gekleideter Mann ausstieg, der Maschinist den Motor des Laders abstellte und die beiden Männer miteinander sprachen. Ursula trat hinzu. „Ja?“ Der im dunklen Anzug sah sie an, unterbrach seinen Disput. „Ich habe hier gearbeitet“, erklärte Ursula bewegt. Der Mann nickte. „Tut mir leid - aber ...“ Er hob die Schultern. „Ich verstehe nicht, dass gerade dieses Haus ...“ Ursula hob zaghaft den Arm und wies über die Trümmer. Der Mann zog eine Grimasse, die vielleicht Zorn oder Verachtung ausdrücken mochte. „Es gibt leider noch einige mehr davon ... ein elender Baupfusch! Man müsste die Verantwortlichen einsperren.“ „Baupfusch“, echote Ursula. Aber sofort fiel ihr ein, dass Akira, ihr Chef und Millionenerbe, nicht der Bauherr war, sondern das Objekt gekauft hatte. Sie wandte sich ab. >Baupfusch!<, dachte sie bitter und: >Vielleicht haben es die von der Behörde deshalb so eilig, den Vorgang um das Restinventar schnell abzuschließen, weil sie womöglich befürchten, ich könne Schadenersatz ...< Ursula lächelte traurig. >Sie müssen sich keine Sorgen machen.< Der Mann setzte sein Gespräch mit dem Maschinisten fort. Der Schaden in Ursulas Wohnung hielt sich zum Glück in Grenzen: Das Bild, das den Heiligen Berg zeigte und ein Geburtstagsgeschenk der Kollegen war, lag mit gesplittertem Rahmen und Glas auf dem Boden des Wohnzimmers. Die chinesische Vase, umgestürzt und zerbrochen, hatte einen hässlichen Wasserfleck und Reste von Sonnenblumen auf dem Parkett hinterlassen. In der kleinen Küche waren Teller und Tassen aus dem Schrank gerutscht, der größte Teil in Scherben zerborsten. Der Kühlschrank stand offen, sein Inhalt überzogen mit einem grünlichen Pelz ... Das Traurigste an dem Anblick waren die Zimmerpflanzen, die die lange Durststrecke nicht überstanden hatten. Am Gebäudeeingang hatte Ursula den Hausmeister getroffen, und er hatte ihr zugesichert, dass er sogleich zu ihr kommen und den Wasser- und Stromanschluss in ihrer Wohnung kontrollieren und frei schalten wolle. Mechanisch räumte Ursula auf, beseitigte die Scherben und wehmütig die Pflanzenleichen, putzte den Kühlschrank. Sie duschte, legte sich zum Ausruhen hin - und dann kam über sie die Leere. Träge ging das Denken. Ganz im Unterbewusstsein klopfte der Drang, sich bald entscheiden zu müssen. Doch da war auch die verschwommene Frage: >Wozu, wohin ...?< Einmal wurde ein Gedanke, die Besichtigung der Überbleibsel aus dem Institut einfach abzusagen, in ihrem Sinnieren schärfer, doch er schwand wieder. Antriebslos rollte sich Ursula zur Seite. Noch einmal dachte sie, es müsse etwas geschehen ... dann schlief sie ein. Grimmiger Hunger weckte sie. Sie stand auf, fühlte sich irgendwie erfrischt, und ihr fiel ein, dass sich in der Wohnung nicht das geringste Essbare befand. >Einkaufen!< Gleich als sie auf die Straße trat, war sie eingehüllt in Emsigkeit: In jedem Blickwinkel gewahrte sie mindestens einen Menschen, wenn nicht größere Gruppen, der oder die mit der Beseitigung von Schäden und Trümmern befasst waren. Auch der Alltag hatte wieder Einzug in das Städtchen gehalten: Leute bummelten, eilten, schwatzten, lachten. Im kleinen, gut besuchten Straßencafé genoss man den Müßiggang in der frühnachmittäglichen Sonne. Ursula gesellte sich zu jenen, bestellte Tee und ein Gebäck, das sie nicht kannte, und mit jedem Schluck des belebenden Getränkes wuchs Zuversicht in ihr. >Es wird, es muss weitergehen! Also auf zur Stadtverwaltung, schau’n was übrig geblieben ist von dem, worauf wir unsere Hoffnung gesetzt hatten!< In der Gewissheit, es wird nicht viel sein, machte sie sich auf den Weg. Ursula meldete sich im Büro des Bürgermeisters. Als sie ihr Anliegen vorgetragen hatte, war die Sekretariatsdame dort sofort im Bilde. Ein freundlicher junger Mann führte Ursula in eine geräumige Lagerhalle, die offenbar auch für das Deponieren herrenloser Güter diente. In niedrigen, abgeteilten Boxen befanden sich Möbel, technische Materialien, in Folien verpackte Textilien und Stapel von Kartons - all dies feinsäuberlich beschriftet. >Ein ordentliches Volk, diese Japaner<, dachte Ursula anerkennend schmunzelnd. Vor einer dieser Boxen mit dürftigem Inhalt blieb ihr Begleiter stehen, wies höflich mit einem Lächeln hinein, verbeugte sich leicht, ging etliche Schritte zurück und nahm eine abwartende Haltung ein. Zögernd trat Ursula näher. Einige verschrammte Kleinmöbel aus dem Labor erkannte sie sofort. Sie stand eine Weile da und betrachtete wehmütig, was sonst noch aus dem vertrauten Umfeld übrig geblieben war. In einem Regal lag Kleinzeug: Kabel, feinsäuberlich aufgerollt, Elektroverteiler, eine Tastatur, ein Telefonapparat und mehrere, leicht lädierte Aktenordner. Ursula lächelte traurig, als sie ihren „Ritschi“, den kleinen Stoff-Koala entdeckte, ihren Glücksbringer, der - vordem auf ihrem Schreibtisch sitzend - ihr Trost bei zuweilen fruchtlosem Nachdenken spendete. Ursula nahm einen der Ordner zur Hand, blätterte: Zahllose Vorgänge über Materialbestellungen, üblicher Schriftverkehr ... In einer nächsten, gut erhaltenen Mappe: Konstruktionszeichnungen. Diese legte sie zur Seite. Ein Karton stand da, gefüllt mit Datenträgern. Dem wandte sie sich interessiert zu, griff willkürlich einen heraus und erkannte sofort die Kennzeichnung: ihre eigene Handschrift! Ohne sich noch weiter mit dem Inhalt des Behältnisses zu befassen, stellte sie es zu dem bereits Aussortierten. Ihr Herz schlug schneller. >Wenn noch mehr brauchbare Daten ...< Sie dachte nicht zu Ende. >Doch nicht alles zerstört, vielleicht?< Die Entnahme des Kartons hatte den Blick auf einen kleinen Metallkoffer frei gemacht, dessen Oberfläche zwar zerkratzt war, er im Ganzen aber intakt schien. Ursula stieg eine siedend heiße Welle zu Kopfe. „Der Impulsgeber!“. Sie sagte es laut, ehrfurchtsvoll gerührt, ungläubig. Ihr Begleiter schaute aufmerksam. >Das Herz des Wandlers - es ist nicht alles verloren.< Sie atmete zutiefst erleichtert aus, setzte sich auf eine Kiste, benötigte Sekunden bis ihre Glückswallung nachließ. Ihr Begleiter betrachtete die junge Frau mit staunendem Interesse, veränderte seine Haltung jedoch nicht. Dann stand Ursula entschlossen auf, musterte flüchtig die noch vorhandenen anderen Gegenstände, legte noch zwei Messgeräte zu ihrer Ausbeute, wies auf die kleine Anhäufung des Aussortierten und sagte: „Das hier.“ Den kleinen Metallkoffer behielt sie an der Hand. Der junge Mann nickte, verschwand, kam nach kurzer Zeit mit einem stabilen Umzugskarton und einem Formular zurück, ließ sich von Ursula die ausgewählten Gegenstände, die er Stück für Stück mit in das Behältnis packte, bezeichnen - was sie zerstreut verkürzt tat. Sie unterschrieb den Empfang, überflog flüchtig die Klausel, die besagte, dass mit der Übernahme des Nachlasses in ihr Eigentum die Verwahrungspflicht der Behörde erloschen sei und sie keine weiteren Ansprüche geltend machen könne. >Schon recht<, dachte sie und verschloss eilig den Karton, den ihr der hilfsbereite Begleiter zum Taxistand trug. Ursula folgte in einem Zustand, wie er vielleicht jemanden befallen mochte, der das Große Los gezogen hat. Zwar sah sie nach wie vor die Zukunft mehr als verschwommen, aber sie trug den Impulsgeber und besaß vielleicht wesentliche Teile der Software für den Wandlungsprozess.“ Nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit und zwar im 18. Jahrhundert spielen die Geschichten, die Renate Krüger zu erzählen hat, und die unter dem Titel „Des Königs Musikant. Geschichten aus dem Leben des Carl Philipp Emanuel Bach“ erstmals 1985 im Kinderbuchverlag Berlin herausgekommen waren: Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788) gilt als der berühmteste unter den Söhnen von Johann Sebastian Bach. Er war Schüler der Thomasschule zu Leipzig, Student der Rechte in Frankfurt/Oder, stand 28 Jahre als Kammercembalist im Dienst König Friedrichs II. von Preußen und versah schließlich das Amt des Musikdirektors und Kantors am Johanneum in Hamburg. Carl Philipp Emanuel Bach war zu seinen Lebzeiten berühmter als sein Vater Johann Sebastian und gilt als einer der bedeutendsten Komponisten zwischen Barock und Wiener Klassik im sogenannten Zeitalter der Empfindsamkeit. Der fiktive Erzähler François de La Chevallerie, Historiker und Bibliothekar in Berlin, beschreibt zwei Lebensläufe, den des Kapellbedienten Carl Philipp Emanuel Bach und den der zwielichtigen fiktiven Gestalt von Friedrich Wilhelm Gemshorn, Sohn eines Scharfrichters und Henkers aus Brandenburg an der Havel. Beide begegnen sich auf Schloss Rheinsberg, der Residenz des Kronprinzen Friedrich von Preußen und Tummelplatz abenteuerlicher Existenzen. Gemshorn wird Handlanger eines sächsischen Spions, der Sohn von Johann Sebastian Bach hofft auf Aufstiegsmöglichkeiten am Hof des Kronprinzen – aber er bringt es nur bis zum Ersten Kammercembalisten. Gemshorn tritt bald als wandernder Schauspieler, bald als bürgerlicher Unternehmer auf, zwischen Sachsen und Preußen findet ein Krieg statt, und Herr von La Chevallerie begegnet dem jungen Lessing, der es später verschmäht, unter dem Schutz des Philosophen Voltaire Einlass in das königliche Opernhaus zu finden. Er wird Zeuge einer Bücherverbrennung auf dem Gendarmenmarkt: Der König lässt eine Schrift von Voltaire den Flammen übergeben. Auch in Carl Philipp Emanuel Bach verbrennt etwas: das Vertrauen auf König Friedrich. Ein Konzert am Rheinsberger Hof des Prinzen Heinrich entfremdet ihn gänzlich der höfischen Kunst und Welt, und er beginnt trotz vorgerückten Alters eine neue musikalische Karriere im bürgerlichen Hamburg. Hören wir jetzt das Entree oder den Eingangsmarsch. Es spricht der Erzähler, Monsieur François de La Chevallerie, Historiker und Bibliothekar in Berlin: „Mein Leben ist bis in seine feinsten Verästelungen davon geprägt, dass ich am gleichen Tag geboren wurde wie der neue preußische Staat. Mein Vater, Oberst der Reiterei aus der französischen Kolonie, begleitete mit Tausenden anderer Untertanen seinen Landesherrn, der als Friedrich III., Kurfürst von Brandenburg, nach Königsberg, in das weit entfernte Preußen, aufbrach und als König Friedrich I. mit Glanz und Gloria nach Berlin zurückkehrte. Meiner Mutter war es nicht erspart worden, sich gleichfalls auf den beschwerlichen Weg in den Norden zu machen, und nach diesen Anstrengungen und Aufregungen brachte sie mich zu früh auf die Welt, fast auf die Stunde genau, als sich unter dem Jubel der Menge der Kurfürst selbst die preußische Königskrone aufs Haupt setzte. So vermehrte ich das königliche Gefolge und zog schreiend und hungrig in Berlin ein, die Residenz von Brandenburg und die Hauptstadt Preußens, eines Landes, das weit entfernt im Norden lag. Aber solche Entfernungen spielten in unserer Familie keine Rolle. Meine Eltern waren in Paris geboren, hatten aber aus Glaubensgründen ihre französische Heimat verlassen müssen und Aufnahme im Kurfürstentum Brandenburg gefunden. Ich wurde nicht Reiteroffizier wie mein Vater, obgleich jedermann sagte, unser Name La Chevallerie verpflichte nun einmal zum Militärdienst, sondern wandte mich den Künsten und Wissenschaften zu und brachte es zum anerkannten Geschichtsschreiber und Bibliothekar. Solange ich mich zurückerinnern kann, erlebte und erfuhr ich, was in Preußen geschah, ich stand immer inmitten preußischer Geschichte. Manchmal meine ich, ich sei selbst ein Stück von ihr, obwohl ich noch immer besser französisch als deutsch spreche und meine Schriften in die deutsche Sprache übersetzen lassen muss. Und obwohl ich mit den preußischen Verhältnissen nicht immer einverstanden bin und manchmal mit Faust und Säbel dazwischenfahren möchte. Aber was würde sich damit ändern? Preußens Hauptstadt Berlin ist nun einmal meine Heimat, ich gehöre zu ihr, im Guten wie im Bösen ... Zu meiner frühesten Kindheitserinnerung zählt das Reiterstandbild des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, den man jetzt den Großen Kurfürsten nennt. Immer wieder spazierte mein Vater mit mir zur Schlossbrücke und ließ mich das Denkmal anstaunen. „Ja, das ist ein Pferd, Francois“, versicherte er, „aber gerade gut genug für einen solchen Reiter!“ Und er zog den Hut vor dem Kurfürsten, der vor einem Menschenalter den französischen Flüchtlingen die Tore seines Landes geöffnet hatte. Auch jetzt noch finde ich mich manchmal vor dem Großen Kurfürsten ein und sinne über den Weg nach, den Brandenburg-Preußen gegangen ist. Stärker aber noch zieht es mich in den Innenhof des Zeughauses, der mit ungewöhnlichem Schmuck versehen ist: den Masken sterbender Krieger. Der leiderfüllte, schmerzliche Ausdruck ihrer Gesichter passt oft am besten zu meinen Gedanken. Ich will mich jedoch vor Grübelei und Selbstquälerei hüten und lieber scharf darüber nachdenken, was geschehen ist und wie aus dem Geschehenen Geschichte wurde. Ich habe vieles erfahren, vieles aufgeschrieben, ich besitze eine Bibliothek, die in Berlin ihres gleichen sucht, und möchte nun eine Geschichte aus mir herauslocken, die auch Erfundenes und trotzdem nur Wahres enthält. Nicht nur eine Geschichte, es sind Lebensläufe, pralle, runde Menschenschicksale, die meine Straßen und Wege kreuzten, manchmal in vollem Lauf, dann wieder holpernd und mühsam. Ich will sie erzählen, nicht nur wie ein Dokument festhalten, obgleich mir das als Geschichtsschreiber ja zustünde. Doch nicht nur die Tatsachen will ich darstellen und somit der Nachwelt überliefern, sondern auch das, was zwischen ihnen wirkt, das eigentliche Leben, das sich so schwer in Zahlen und Berichte fassen lässt, weil Zahlen und Berichte nicht das ganze Herz des Schreibers fordern. Ich möchte mit allen meinen Gefühlen und Sinnen dabei sein, als hätte ich mit diesen Menschen gelebt. So erzähle ich dies nicht als nüchterner Beobachter und Archivar, der alles gründlich ausgeforscht hat, sondern ich stecke selbst in meinen Geschichten mit drin. Wozu wäre mir sonst wohl meine Fantasie gegeben? Wenn ich etwas nicht genau weiß, werde ich meine Vorstellungskraft zu Hilfe nehmen und so die Wahrheit finden und darstellen. Warum ich es erzähle? Auch deshalb, um herauszufinden, wo ich selbst stehe, welchen Weg ich gegangen bin. Und auch, um das andere Preußen zu finden, welches hinter dem allenthalben vorgezeigten Bild der Harmonie sichtbar wird, das auch mich sehr lange begleitet hat. Wer sollte es wohl entdecken können, wenn nicht ich, der Geschichtsschreiber, der Bibliothekar, der Archivar? Die Weggefährten, die mich vor allem beschäftigen, sind der Musiker Carl Philipp Emanuel Bach und der Notendrucker und Schauspieler Friedrich Wilhelm Gemshorn. Herr Bach wird ebenso in die große Geschichte eingehen wie sein Vater, der Leipziger Thomaskantor, obgleich er keine „Geschichte“ gemacht hat, wie man so sagt. Ich erlebte ihn als strebsamen, fleißigen Mann, der alle seine Kräfte in die Arbeit, in seine Musik steckte. Jetzt ist Bach Musikdirektor in Hamburg; alle Welt drängt sich nach seinen Kompositionen und seiner Bekanntschaft. Zu Beginn meiner Geschichte ist er ein noch junger Cembalospieler, der gerade seine Studien in Leipzig und Frankfurt hinter sich gebracht und seinen Platz in der Rheinsberger Kapelle des Kronprinzen Friedrich gefunden hat. Ob die Namen des Notenstechers Gemshorn einer ferneren Nachwelt erhalten bleiben werden, wage ich zu bezweifeln; für mich ist sein Leben jedoch ebenso wichtig wie das des Musikers Bach. Auch diese beiden Menschen lehrten mich preußische Lebenswege kennen und mit meinem eigenen zu vergleichen, mich selbst besser zu verstehen. Es hat mich ziemlich viel Mühe gekostet, bis ich herausfand, dass Friedrich Wilhelm Gemshorn der Sohn eines Scharfrichters und Henkers aus der Stadt Brandenburg an der Havel war. Mit ihm also beginnt meine Geschichte.“ Aber ehe Sie jetzt gleich anfangen, Monsieur de La Chevallerie zuzuhören und uns Ihre Aufmerksamkeit zu entziehen, sollen doch noch zwei, drei Sätze über den Berliner Bach hinzugefügt werden, der dann den eigentlichen Höhepunkt seines Lebens und künstlerischen Schaffens in Hamburg erlebte – von 1768 bis zu seinem Tode 1788. Neben vielen anderem, was noch über den nun natürlich als „Hamburger Bach“ bezeichneten Komponisten, städtischen Musikdirektor und Kantor am Hamburger Johanneum zu sagen wäre, mögen hier die Hinweise auf seine Arbeitsweise und auf seine Freundschaften genügen. Wegen seiner großen Aufgabenvielfalt und starken Arbeitsbelastung plante er sehr genau und vorausschauend und verarbeitete für viele seiner Werke bereits vorhandenes Material – und zwar sowohl eigene, frühere Kompositionen als auch die Werke anderer Komponisten wie Georg Anton Benda, Gottfried August Homilius, Gottfried Heinrich Stölzel, aber auch die seines Vaters und Telemanns. Zur Bearbeitung dieser „fremden“ Werke verwendete er die Pasticcio-Technik: Er fügte Stimmen oder ganze Sätze hinzu, instrumentierte neu und überarbeitete Rezitative. Und was seine Freunde und Bekannten angeht, da sind unter anderen Gotthold Ephraim Lessing, den er in Berlin kennengelernt hatte, die Bürgermeister Hans Jacob Faber und Jacob Schuback zu erwähnen, aber auch der Theologe Christoph Christian Sturm, der Mathematikprofessor Johann Georg Büsch sowie die Ärzte Johann Albert Heinrich Reimarus und Johann August Unzer. Und - Denis Diderot, mit dem Bach eine ausgiebige Korrespondenz unterhielt und der ihn möglicherweise Ende März 1774 auf seiner Rückreise von Sankt Petersburg nach Frankreich besuchte. Diderot wollte unter anderem für seine musikalisch interessierte und gebildete Tochter Marie-Angélique de Vandeul Noten und Kompositionen erwerben. Dieser Aufenthalt des berühmten Enzyklopädisten entging auch der örtlichen Presse nicht, so berichteten darüber etwa die hamburgischen „Addreß-Comtoirs-Nachrichten“ 32. Stück vom Donnerstag, den 31. März 1774. Sicher belegt sind zwei Briefe, die Diderot an Bach verfasst hatte. Gut, dass man damals noch Briefe geschrieben hat und noch keine E-Mails, SMS, oder Whatsapp-Nachrichten verfasste. Was wüsste sonst die interessierte Nachwelt heute davon? Weitere Informationen und Angaben finden Sie unter http://www.prseiten.de/pressefach/edition-digital/news/3837 sowie http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/. 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