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Leben im Überleben
So stark ist mein Verlangen, in einen tiefen, unbekannten Wald einzutauchen, mich durch sein unberührtes Dickicht zu kämpfen und mir meinen eigenen Pfad zu bahnen. Ein Forst, dessen Weite und Unergründlichkeit alles Bisherige in den Schatten stellt, dessen Dunkelheit noch den Zauber des Unentdeckten birgt – ein Zauber, den die mir bekannten Wälder längst vor meinen nunmehr ernüchterten Augen verloren haben.
Denn selbst in der tiefsten Schwärze dieses unbekannten Waldes, in der die Orientierung schwindet und jeder Schritt eine Ungewissheit birgt, wäre ich doch niemals so verloren, so tief in die Irre getrieben wie in der Finsternis, die in meinem Inneren wohnt. Dort draussen regiert allein die unbarmherzige und doch reine Natur, und kein einziger irdischer Gedanke, keine der Lasten meiner bewussten Existenz könnten dort noch Macht über mich ausüben.
Die blosse Vorstellung, in dieser ungezähmten Welt schlicht zu existieren und dem Ruf des Überlebens zu folgen, erscheint mir als ein klarerer Kampf, eine greifbarere Prüfung als die unendliche, oft verschwommene Konfrontation mit meiner eigenen Dunkelheit. Im Angesicht der äusseren Wildnis, so meine Hoffnung, könnte ich die Werkzeuge und die innere Kraft entdecken, um auch in meiner Seele einen Lichtstrahl zu finden.
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Brief an den Vater
Lieber Papa, dieser Brief wird dich wahrscheinlich nie erreichen. Alle sagen Sie immer, man sollte über Probleme reden, um sie aus der Welt zu schaffen, doch in diesem Fall scheint es mir, als ob mir das Reden mehr schaden würde, als es jedes Schweigen könnte. Ich versuche meinen Frieden bei mir selbst zu finden, denn ich fürchte nur ein einziges Wort des Unverständnisses deinerseits, könnte mich für immer brechen. Doch dann und wann gibt es Momente, in denen ihr, Mama und du, euch wieder all zu viel Lorbeeren auf die Köpfe setzt.
In diesen Momenten bin ich immer still und denke an dieses eine Gespräch zurück, als ich noch ein kleiner Junge war. Es war an einem Sommerabend, ihr sasst im Wohnzimmer in diesen unpraktischen Lehnstühlen, die wir damals hatten. Eigentlich eine Zeit, in der ich mich immer sehr frei gefühlt hatte – der Sommer. Den ganzen Tag war ich draussen und spielte mir Freunden auf der Strasse und im Sandkasten und meine einzige Verpflichtung schien nur die Einnahme des tägliche Abendbrots zu sein.
Nach dem Essen wollte ich mich gleich wieder an die frische Luft verdrücken, doch man liess mich nicht. Sofort hatte ich dieses unwohle Gefühl in mir. ‘Hatte ich etwas Falsches gemacht? Gab es einen Schabernack, den ich vor langer Zeit ausgeheckt hatte, für den ich jetzt endlich getadelt werden sollte?’, ging es mir voll Furcht durch den Kopf. «Komm doch näher. Du hast nichts zu befürchten, du hast nichts Falsches gemacht.», versuchte mich Mama zu beruhigen, mir meine Angst wohl ansehend.
Ich trat langsam näher und blieb dann zögernd vor euch stehen. «Wir wollten dich nur etwas fragen.», meinte meine Mutter dann. «Okay, und was denn?», fragte ich schüchtern. «Hast du Angst vor deinem Papa?», kam es zurück und mir stockte der Atem. Ängstlich blicke ich zu dir rüber, doch du bliebst schweigend sitzen und aus deinen Augen konnte ich nichts lesen. Mein Blick wechselte zur Mutter rüber, doch auch aus ihrem Gesicht wurde ich nicht schlau und es fühlte sich wie eine halbe Ewigkeit an. ‘Wie soll ich nur auf so eine Frage antworten? War das alles nur ein Trick?’, schoss es mir durch den Sinn. Bedurfte es überhaupt noch meiner Antwort, wenn doch schon jedes Detail der Szene «Ja!» schrie?
«Der Junge hat keine Angst, stimmts? Er hat nur Respekt vor seinem Vater und so ist das auch lobenswert.» Stumpf nickend pflichtete ich dir bei, unsicher ob du mich aus meiner Not befreien wolltest, da die Antwort sowieso klar zu scheinen schien oder um deiner selbst willen; um dir noch ein kleines Bisschen deines Selbstwerts zu erhalten.
Ich glaube schon, dass ihr bemerkt habt, dass dies nicht das Verhalten eines gesunden Kindes sein sollte. Ich glaube, ihr habt gewusst, dass Angst ein schlechter Erzieher ist. «Ich glaube» trifft es gut, denn wissen tue ich es bis heute nicht so genau. Doch dieser «Glaube» ist genau das, was ich um meiner selbst willen benötige; um mir noch ein kleines bisschen Gerechtigkeit in dieser Welt zu erhalten.
Später hast du dich gebessert und gerade jetzt habe ich oft das Gefühl, du sähest genau, wie sehr ich innerlich leide und wie sehr diese alten Wunden mich schmerzen. Du wusstest es selbst nie besser und musstest lange für deinen eigenen Frieden arbeiten und jetzt, da du mich so siehst, erkennst du genau, dass es mir genau so geht, wie dir einst schon.
Irgendwann bröckelte dein erschaffenes Bild. Deine Maske fiel zu Boden und entblösste einen abgekämpften Mann in Jogginghosen. Und die Zeit verging und je länger ich dich so in Jogginghosen sah, desto mehr wurde mir klar, wie verloren du doch selbst warst. Viel zu lange warst du dem Druck ausgesetzt, den du auch auf mich ausübtest und je mehr du dir selbst den Druck genommen hattest, desto leichter wurde auch mein Leben.
Ich frage mich, ob dir bewusst ist, wie sehr du dieses Elend benötigt hattest, um zu verstehen, wie streng du doch mit dir und deinem Umfeld warst? Ich für meinen Teil sehe es als einen Segen.
Mein Blick auf die Welt und das Leben darauf ist leider noch immer getrübt und nun ist es für mich selbst an der Zeit, für meinen eigenen Frieden zu arbeiten. Du kannst mir nicht mehr weh tun, doch die schmerzlichen Erinnerungen oder jene, die nie erlebt wurden, verletzen mich noch heute. Ich selbst bin jetzt mein grösster Feind geworden; geteilt zwischen dem Willen, mich selbst lieben zu lernen und der Ermordung dessen meiner Teile, welche ich am meisten verabscheue.
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Die Gischt der inneren Flut
Lang ist’s her, seit ich das letzte Mal einen Stift gehalten. Das letzte Mal war wohl nur in Gedanken. Und auch jetzt bin ich vielmehr dort als anders wo. Worte schwirren lose und roh.
Sind da, doch wollen sich nicht fügen. Drehen sich rund mit all den Lügen, Die mir den Sinn verderben und dabei Die Glieder schwer machen, wie Blei.
Wünschte mir so sehr es wäre leichter. Wie könnt ich doch schwimmen Und dabei ein frohes Lied singen, Wäre das Wasser nur etwas seichter.
Doch die Wellen sind gross, Die Gischt spritzt hoch Und mein kleines Fischerboot Scheint noch länger in Not.
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Das Brot des kleinen Mannes
"Lasst sie Kuchen essen!", rufen sie, doch der Grossteil kann Kuchen nicht ihr täglich Brot nennen. Nicht einmal des Konditors Leben ist ein Zuckerschleck.
Die meisten begnügen sich in den kurzen Pausen mit einer im Stehen gerauchten Zigarette, das Brot des kleinen Mannes. So stehen sie da wie Hühner in einer Legebatterie und hüllen ihre Sorgen in Rauch und Asche. Die Warnhinweise auf den Zigarettenschachteln, früher noch abschreckend, wirken nun viel mehr wie ein Hoffnungsschimmer.
Von tapferen Kämpfern bis armen Teufel lässt sich alles unter ihnen finden, wenn man nur genau hinsieht. Doch viel zu oft bleiben die Hände mit den meisten Schwielen unsichtbar für die Menge. Während die Reichen und Schönen sich an Gala-Abenden von allen gesehen, die zarten Finger reichen, schlafen die wahren Schöpfer dieser Welt bereits ihre müden Knochen aus.
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Scherbenmosaik
Das ganze Ausmass des Schadens wird einem erst so richtig klar, wenn die Scherben erst einmal halbwegs geordnet vor einem liegen. Für manch einen ein Trümmerhaufen – nichts mehr, doch für einen anderen ist es ein gut bestückter Malkasten mit den inspirierendsten Farben darin.
Eben noch Scherben bilden wie von Zauberhand ein neues, strahlendes Bild. Ein Mosaik funkelnd, blinkend, wenn die Sonne es küsst und mit mystischem Schein bei Mondlicht.
Es bedarf viel Zeit und Geduld, doch du nimmst sie dir. Dafür danke ich dir.
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Zwischen Angst und Düsternis
Frisch aus der Dusche Mit allen Wassern gewaschen Lass den Schmutz der Welt hinter mir Im Abfluss ein Strudel hinterlassen Und der Strudel dreht und dreht Ich zieh den Vorhang zur Seite Öffne das Fenster Der kalte Wind weht
Es liegt etwas seltsames in der Luft Ein Duft von Umbruch Mag betören so manch Schuft Doch mich fröstelt
Mit Gänsehaut steh ich vor dem Spiegel Beschlagenes Gesicht steht mir gegenüber Angst ist der Zukünfte Siegel In dieser Welt, immer trüber Bin unschlüssig, was ich tragen soll Doch weiss ich, was ich nicht tragen will Akkorde erklingen in Moll Spitzen sich zu, werden schrill
Betäubend, totenstill
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Die Leere des Löwen
Viele Monde lang lebten alle Tiere des Waldes gemeinsam in Frieden. Alle waren sie verschieden, doch eines verband sie alle gleichermassen: sie waren Tiere. Die Elefanten waren zwar viel grösser und stärker als die kleinen Vögel, doch wenn immer es sie hinter ihren grossen Ohren, die sie wie Fächer um den Kopf wedelten, juckte, waren sie stets froh um jeden kratzenden Schnabel eines Vogels. Ja, selbst der Löwe, König des Dschungel, erlaubte sich hie und da einen Spass mit den Affen und tobte mit ihnen durch das Unterholz der Bäume.
Lange war die Welt, wie sie war und sie war gut, wie sie war. Doch die Tage des Glücks neigten sich vermeintlich dem Ende entgegen. Die Sonne brannte erbarmungslos und heiss, schon seit Jahren, sodass selbst die stärksten Bäume zu welken begannen und der Pelz der Tiere, seinem ursprünglichen Glanze beraubt, hing ihnen matt und schlaff von den Knochen. Doch nicht ihr Hunger stachelte sie gegen sich auf, nein, es war die Angst, welche sie kannibalisierte. Mit ihr kamen finstere Gedanken und bald hielten Gier und Hass einige der einst mächtigsten des Dschungel in ihrem Bann. Majestätische Geister wurden von sich selbst vergiftet und in den Abgrund geworfen, wo sie ihr Exil fanden. Dort, nur mit sich selbst allein, waren sie unfähig Liebe finden.
Stattdessen verzweifelt ohne das Strahlen der Liebe im Herzen, suchten sie sich andere Kostbarkeiten, welche diese Leere zu füllen vermochten. So fingen die Affen an, die Früchte der Bäume, die nur sie erreichen konnten, nur noch für sich zu behalten und nicht mehr mit den Mäusen zu teilen. Diese wiederum mochten nun nicht mehr die mühsam gesammelten Samen mit den Affen teilen und so nahm alles seinen Lauf.
Der Schlimmste von ihnen allen aber war ihr König selbst. Hochwohlgeboren war er mit seiner strahlenden Mähne einst zweifellos der schönste gewesen. Doch der Glanz von einst war vergangen und zurück blieb ein jähzorniger, hässlicher Herrscher. Als stärkster Jäger hatte er schon längst alles für sich beansprucht, was es zu fressen gab, doch gelüstete es ihm nach mehr als nur etwas zwischen seinen Zähnen. Jedes Tier sollte sich vor ihm, dem grossen Führer, fürchten, denn er war schliesslich der Löwe, König des Dschungel.
Gierig der Macht genoss er es den anderen Tieren mit seinen grossen Zähnen Angst einzuflössen und wenn das einmal nicht reichte, so setzte er zu einem so furchterregenden Brüllen an, dass sein ganzes Königreich dabei erzitterte. Lange lebte der Löwe so als gefürchteter Führer der Tiere, bis ihn keines davon mehr lieben konnte. Ganz allein war er nun unfähig, die Leere zu füllen, und er redete sich dabei ein, genau das gewollt zu haben – von allen verachtet zu werden.
Obgleich er seinen Hunger nach Nahrung stillen konnte, sein Hunger nach Macht war nicht zu bändigen. So kam es, dass die Krankheit, seinem Geiste entsprungen, nun auch seinen Körper befiel. Er wurde immer schwächer und kranker und der einstige Glanz seiner Mähne verglomm, bis nicht einmal mehr ein Funke von seinem einstigen königlichen Anmut zurückblieb. Da lag er nun allein in seiner grossen Höhle und rund um sich herum türmten sich die Reichtümer. Doch da war kein einziger Freund und auch sonst keine gute Seele, welche sich ihm erbarmen konnte.
In seiner Verzweiflung erkannte der Löwe schliesslich die bittere Wahrheit: Er hatte versucht, alles für sich allein zu haben, ohne zu verstehen, das wahre Reichtümer nur durch Teilen und Gemeinschaft entstehen. Liebe und Freundschaft sind Schätze, die man nur findet, wenn man bereit ist, sie zu geben und zu empfangen. Der Löwe hatte seine Macht und seinen Stolz über alles gestellt und dabei das Wichtigste verloren – die Fähigkeit, zu lieben und geliebt zu werden. Denn Liebe ist nur dort zu finden, wo es Liebende gibt.
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Eine Traumerzählung: Das Flüstern des Krieges
In einem kleinen Landhaus weit im Osten sassen wir, meine Familie und ich, in der Stube vor dem Röhrenempfänger und lauschten gebannt auf die Worte, die daraus schallten. Ich verstand nichts von all dem, war ich doch mit meinem acht Jahren noch viel zu klein. Was ich aber verstand oder viel mehr fühlen konnte, war die Anspannung meiner Eltern, welche mit Sorgenfalten im Gesicht und Angst in den Augen lauschten.
Dann, an einem Abend durchbrachen Sirenen die Stille. Lange baute sich der Ton auf, um träge über die Lande zu rollen. Der Schrei des Alarms liess alles andere verstummen und mit dem Dröhnen in meinen Ohren war ich unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Mein Vater packte mich grob an den Schultern und zerrte mich aus dem Haus davon, während ich noch immer wie benommen war vor Angst. Irgendwo musste Schutz sein, ein Bunker, doch stattdessen fanden wir nur einen Keller, dunkel und eng. Die erste Explosion kam so plötzlich, dass es kaum Zeit zum Reagieren gab. Die Welt schien auseinanderzubrechen, als die Bombe genau über uns einschlug.
Ich wurde fortgerissen und taumelte in die Dunkelheit. Blind vor Furcht rannte ich über das Feld in Richtung des nahen Waldes. Oft stürzte ich und meine Knie waren blutüberströmt, was ich aber nicht spürte. Als ich wieder klar denken konnte, war ich allein. Überall Staub und der Geruch von verbranntem Holz. Meine Familie, die Menschen, die ich liebte, blieben zurück – sie hatten es nicht geschafft. Panik durchflutete mich, und meine Beine setzten sich wie von selbst in Bewegung.
Ich rannte in den Wald. Ich rannte, so schnell ich konnte und dachte dabei immer wieder, ich würde nicht schnell genug rennen. Den Wald um mich herum kannte ich gut. Hier hatte ich schon viele Stunden verbracht und am nahen Fluss gespielt.
Der Fluss begleitete mich, ein stiller Zeuge meiner Flucht. Ich folgte seinem Lauf, während die Autobahn in der Ferne auftauchte, getrennt vom Wasser durch ein schmales Stück Land.
Irgendwann, am Rand des Waldes, sah ich es: ein Schlachtfeld, das sich wie eine klaffende Wunde durch die Landschaft zog. Überall lagen Trümmer und Stacheldraht, blutige Glieder steckten im Morast und stumme Augen starrten aus dunkelroten Pfützen. Fast stolperte ich in einen Draht, an welchem eine Handgranate befestigt war. Meine Eile wurde nun viel mehr zu Vorsicht und aus Angst vor weiteren Fallen mied ich diese Schneise der Zerstörung und entschied mich für den langsameren Weg durch das Dickicht. Jede Bewegung wurde langsamer, zögerlicher, während mein Herz wie ein Trommelwirbel in meiner Brust schlug.
Am Flussufer angekommen, kroch ich durch das Unterholz und konnte schliesslich einen Blick auf die Autobahn werfen. Soldaten wurden mobilisiert, Fahrzeuge rollten aufgereiht in den Krieg. Der Kontrast zwischen dem stillen Fluss und dem martialischen Chaos dahinter liess die Welt unwirklich erscheinen.
Und dann … verblassten die Bilder. Die Schreie, das Dröhnen, das unaufhörliche Pochen der Angst – alles wurde leise, bis mich nur noch Stille und Dunkelheit umgaben. Ich erwachte mit dem Geschmack von Eisen und Staub in meinem Mund.
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Willi B.: Teil 2
Als mir Willi gerade ein neues Bier hinstellte und ich zu ihm hochsah, um danke zu sagen, konnte ich es in seinen Augen sehen, wie früher schon – diese untröstliche Trauer und Leere. Und jetzt, da ich älter geworden war und mir auch etwas Mut angetrunken hatte, fragte ich ihn: «Vermisst du sie noch oft?», und deutete dabei mit einem Kopfnicken in Richtung des Kaminsimses, wo ihr Bild hing, wie seit eh und je schon.
Verlegen blinzelte er zu dem Bild hinüber und dann wieder zu mir, wobei ich ihm den Klos im Hals ansehen konnte. Er schluckte schwer, um dann ein knappes «Ja …» herauszupressen. Wir schwiegen eine Weile, dann fuhr er fort: «Weisst du, sie hat mich das Leben gelernt. Sie hatte ein so grosses Herz für alle Menschen auf dieser Erde und besonders auch für einen Spiesser, wie ich einer bin. Gemeinsam unternahmen wir Reisen um die ganze Welt, besonders Asien hatte es ihr besonders angetan. Ohne all das hätte ich doch nur in meiner Arbeit Erfüllung gefunden und den Rest der Welt gar nicht gesehen durch meine Scheuklappen.»
«Warum also hast du alles aufgegeben, was sie dich lehrte und sitzt nun allein in deiner Stube und bläst Trübsal?», fragte ich nachdenklich, ohne dabei zu merken, wie ich ihm gerade vor den Bug gestossen war. Für einen kurzen Moment sah ich eine kleine, zornige Flamme in seinen Augen aufsteigen, welche aber sogleich von einem Schwall an Tränen erloschen wurde.
Schnell blinzelte er sich das Augenwasser weg und entgegnete: «Was weiss ein so junger Kerl wie du denn schon von der Liebe?» «Alles und Nichts, so wie du.», entgegnete ich. Und ich fuhr fort: «Weisst du, die Liebe kann viele Gesichter haben: Sei es die warme Fürsorge der Mutter wenn man als Kind einen Albtraum hatte, die älteren Geschwistern die bei einer Rauferei auf dem Schulhof zu einem halten oder ein Schatz den man lieb hat. Alles das ist die Liebe in ihren verschiedenen Facetten und die Liebe ist immer eine gute Kraft, die dir nie schaden sollte, doch genau das macht sie bei dir.»
«Ich glaube nicht, dass die Liebe nur gut ist. Was ist denn bei einem Mord aus Leidenschaft? Da scheint die Liebe eher tödlich als gut zu sein.» «War’s denn die Liebe, welche gemordet hat oder viel eher die Eifersucht oder der Neid?», fragte ich Willi zurück und dieser verstummte und schien in Gedanken zu versinken.
«Und weisst du, auch ich habe schon einmal jemanden geliebt, den ich dann verlieren musste und lange dachte ich, ich müsste an meinem gebrochenen Herzen zugrunde gehen. In meinem Fall ist die Person nicht gestorben, doch ich glaube, das macht es nicht einfacher. Wenn jemand stirbt, gibt es nichts mehr zu hoffen. Es ist aus und vorbei und man weiss selbst gut genug, dass es nichts gibt, was man dagegen tun könnte.
«Genau das ist es ja!», unterbrach mich Willi, «es ist verloren. Sie ist jetzt im Himmel und ich hier ganz allein, dazu verdammt meine Zeit abzusitzen, als hätte ich für eine schlimme Tat lebenslängliche Haft erhalten.» «Wenn du deine Zeit hier auf der Erde nur noch absitzt,», antwortete ich, «dann scheint es wirklich wie eine Strafe zu sein.
«Aber denkst du nicht,», fügte ich hinzu, «dass sie gewollt hätte, dass du das Leben weiterhin geniesst? Sie hat dich doch all die Freuden dieser schönen Erde gelehrt, nur um jetzt von oben herab auf ein Häufchen Elend zu blicken.» Meine letzteren Worte erhielten einen scharfen Unterton, denn egal wie verständnisvoll ich doch auch immer sein mochte, wenn ich jemandes Elend nicht verstehen konnte oder unfähig war, zu helfen, so machte mich das stets unbequem.
So fügte ich dann noch mit gehässigem Ton hinzu: «Wenn du mich fragst, dann bist du ein Hasenherz. Zu feige, dir das Leben zu nehmen, um ihr in den Himmel zu folgen, aber auch zu ängstlich, um hier auf der Erde glücklich zu sein. Es zeigt sich endgültig, dass du jenseits deiner Arbeit für nichts zu gebrauchen bist.»
Stumm glotzten mir seine Augen entgegen und ich war nicht in der Lage, seinen Blick zu deuten. Doch kaum eine Sekunde später sollte sich das ändern. Willi fuhr, wie von einer Wespe gestochen, von seinem Stuhl hoch, um mir sogleich einen Schwall an wüsten Worten gegen den Kopf zu knallen.
Die Details spare ich an dieser Stelle aus und ich musste auch zugeben, dass er Recht hatte. Ich war eindeutig zu weit gegangen und so musste es mich auch nicht wundern, dass ich bald darauf wieder mit meinem Bündel auf den Schultern auf der Strasse stand. Zum guten Glück war es eine milde Sommernacht, sodass ich gut unter dem freien Himmel schlafen konnte. Meinen alten Freund aber wahrscheinlich für immer verloren zu haben, war weniger glücklich.
Viele Male dachte ich noch an diesen Moment zurück und oft genug machte ich mir Vorwürfe für mein Verhalten an jenem Abend. Doch einige Jahre vergingen und ich dachte nicht mehr oft daran, und wenn ich es tat, so redete ich mir auch oft ein, dass ich doch froh war, den alten Miesepeter nicht mehr einen Teil meines Lebens nennen zu müssen.
Dies war nun acht Jahre her. Heute erreichte mich die Nachricht, dass Willi endlich den Weg zu seiner Frau gefunden hatte. Seine Tage auf Erden, die ihm längst zur Last geworden waren, hatten ihr Ende gefunden. All der Rauch und Hass in ihm liessen sein Leib und seine Seele zerfallen. Seine Zehen waren wie in Pech getaucht, schwarz vom vielen Rauchen und für einen Arztbesuch war er sich zu schade, trotz des mehrmaligen Bittens seiner Tochter.
Nun ist er fort, und vielleicht hat er endlich gefunden, wonach er sich so verzweifelt gesehnt hatte: Frieden, eine Umarmung, ein Wiedersehen mit der, die ihm das Leben einst so lebenswert gemacht hatte. Doch was bleibt, ist das leere Echo eines ungesagten Wortes. So bleibt mir nichts als die Einsicht, dass manche Türen sich für immer schliessen, bevor man den Mut gefunden hat, sie noch einmal zu öffnen.
Erzählungen aus dem Leben von Wolfgang A.
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Willi B.: Teil 1
Meine schnellen Schritte wurden bald langsamer, als vor mir die Altstadt von Oppenheim anstieg. Man solls mir verzeihen, schliesslich habe ich heute schon viele Meter gemacht und dies obendrein auch noch mit meinem ganzen Hab und Gut auf den Schultern. Gerecht gesprochen, besass ich aber auch nicht gerade viel.
Wie dem auch sei, weit sollte mein Weg nicht mehr sein, obgleich ich mich doch täuschen mochte, war ich doch schon so lange nicht mehr bei meinem Freund. Ich glaube, ich sollte das Haus aber an den markanten, hohen Tannen erkennen, die es stets umringten.
Etwa eine halbe Stunde später fand ich mein angestrebtes Ziel für heute, welches auch mein Nachtlager werden sollte. Die hohen Tannen gaben dem Haus ein düsteres Äusseres, trotz des fröhlichen hellgelben Tones der Fassade, die ich nun beim Nähertreten erkennen konnte. Nun konnte ich neben der Haustüre auch das geschnitzte Namensschild sehen, welches ich noch gut im Gedächtnis hatte.
Etwas verlegen betätigte ich die Sonnerie und wartete unruhig, der Mut und die Vorfreude von eben waren von einer grossen Scham verdrängt worden. Es ging aber nicht lange (lange genug für die Angst in mir) und ich konnte ein Licht erkennen und bald darauf hörte ich das Türschloss, welches langsam zurückgezogen wurde.
Die Türe öffnete sich zögernd und mir entgegen erblickte ich einen alten Mann, mittlerweile konnte man ihn fast schon einen Greis nennen, der mich aus müden Augen anblickte. Ich konnte die Zahnräder schier rattern und ticken hören in seinem Kopf, so konzentriert und gleichzeitig in Gedanken versunken, starrte er mich an. Dann, nach einer Weile, setzte ich mein unschuldigstes Schulbubenlachen auf und lüftete das Geheimnis.
«Wolfgang, du hier zu dieser späten Stunde? Wie komme ich denn nur zu so seltenem Besuch?» Ich fühlte mich ertappt und wusste erst gar nicht mehr, was ich antworten sollte. Dann entgegnete ich: «Ich war per Zufall mal in der Nähe, da dachte ich, ich schau mal nach dir. Ich wollte auch wissen, ob du dich noch an dein Wort erinnerst, welches du mir einst gabst?»
«Ja, es freut mich, dass du wieder einmal hier bist nach all den Jahren. Wo treibst du dich auch immer umher, wenn’s nicht hier in der Nähe ist?» Er hielt kurz inne, als ob er plötzlich vergessen hatte, was er sagen wollte, um mich dann sogleich mit einem Berg an Entschuldigungen zu überschütten. «Wo bleiben auch meine Manieren? Bitte vielmals um Entschuldigung und sei doch so gut und komm rein. Ich mach uns ein schönes Bier auf und dann können wir es uns bequem machen und gemütlich plaudern, wie in alten Tagen.»
«Ach Willi, du musst meine Gedanken gelesen haben oder man muss mir den Bierdurst wirklich ansehen.», antwortete ich, während ich meine Schuhe vor der Tür abstreifte und eintrat. Er ging sogleich in den Keller davon und ich ging bereits alleine in die Stube.
Alles war noch genau so, wie ich es in Erinnerung hatte: Die Wohnwand aus dunklem Holz, das abgewetzte Ledersofa und der wie ein Altar wirkende Kamin mit ihrem Bild darüber. Oft überlegte ich, ob es ein besonders gutes Foto war oder ob es die Bedeutung dahinter war, welche es besonders machten.
Willi kam mit dem Bier aus dem Keller, während ich noch immer in Gedanken versunken das Bild betrachtete. «Letztes Jahr hätten wir goldene Hochzeit gefeiert, aber der liebe Gott nimmt die Besten oft etwas früher zu sich. Ach, er könnte dabei doch ruhig mal an all die armen Teufel wie mich denken, die dann einfach allein zurückbleiben.» Ich schluckte schwer und wusste nicht, was ich antworten sollte. Mir meine Beklommenheit ansehend, fügte er schnell noch ein «So ist das eben im Leben» hinzu und wechselte schnell das Thema.
Eine Weile sprachen wir über all die banalen Dinge, welche sich immer ansammelten, wenn man jemanden länger nicht gesehen hatte. Ich hasste diese Art von Gesprächen schon immer, aber sie schienen auch immer notwendig zu sein, um in die tieferen Gefilde eines jenen Charakters vorzudringen und dies war immer mein oberstes Ziel. In einer leichten Unterhaltung ist es leicht, sein Gegenüber glauben zu lassen, was immer man glauben lassen wollte. In einem tiefer reichenden Gespräch aber war es viel schwieriger, sein wahres Ich zu verbergen.
So verstrich eine Stunde und mein Bier neigte sich dem Ende zu und mit jedem Tropfen davon wurde ich redseliger und unser Duett heiterer, was aber auch die Gesprächsthemen in neue Richtungen treiben liess.
Erzählungen aus dem Leben von Wolfgang A.
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Bière im Bann des Windes
In Bière, wo die Winde schärfer schneiden Durch Alpenpässe, eng und kalt Versuchen Menschen, jung und alt Den Winter und die Geister zu vertreiben
Doch der Wind, in kalter Wut Kehrt zurück mit doppelter Glut Peitscht die Strassen, füllt die Gassen Lässt die Stadt erzittern, blassen
Ein Kräftemessen, wild entfacht Vom Sturm und Mensch in Szene gebracht In Bière bleibt kein Herz verschont Wenn der Wind sein Reich bewohnt
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Die Apfelkönigin im Wechsel der Jahreszeiten
Die ersten Sonnenstrahlen Kleben verträumt am Schnee. Glitzern in alle Himmelsrichtungen, Bis sie ihn verwandeln, in einen See.
Wir müssen uns noch etwas gedulden. Die Apfelkönigin scheint noch verschwunden. Schläft noch des letzten Sommers Rausch aus, Bis sie kommt wieder heraus.
Unser Leben mit Licht zu füllen, Gefühle in bunte Farben zu hüllen. Singen und lachen, Durch's Frühjahr tanzen.
Dann im Sommer, lange Nächte. Über ausgelassenen Mostabenden im Geäste Hebst auch du die irdenen Tassen. Lässt alles in Glückseligkeit fallen.
Die Ernte kommt dann erst noch. Ein rauschendes Fest, doch Die Abende werden wieder kürzer Und es kommt hie und da zu einem kleinen Stürzer.
S'ist aber schon gut, es soll verziehen werden, Schliesslich ist's kein gutes Fest ohne Scherben. So lassen wir uns nicht die Stimmung verderben, Früher oder später muss jedes Jahr sterben.
Und so lange kuschelt sich Die Apfelkönigin noch etwas an mich. Bis wir bereit sind zu blicken, In des neuen Jahres Gesicht.
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Neujahr
Glockenklang und Vogelgesang, Dazwischen die kalte Luft so bang. Wintereinbruch in der Stadt, Gemüter werden matt. Doch am Feuer, Rosige Wangen, glänzende Gestirne. Lachen über heuer Saftiges Kraut, leckere Birne.
Die Ernte war reich. Das Leben war gut. Nun warten wir ab, Schauen was das neue Jahr tut.
S'wird sich schon zeigen. S'geht immer rund und rund, wie beim Reigen.
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Eigentlich hatte ich Weihnachten für dieses Jahr schon abgeschrieben. Es wird dasselbe seelenlose Getue wie jedes Jahr sein. Meine Mutter geht auf in ihrer Rolle. Voller Barmherzigkeit und mütterlicher Fürsorge für uns alle am Tisch, hetzt sie gegen all jene, welche an keinen Tisch sitzen können. Alle sind sie faul und selbst schuld und mir liegt der modernde Geruch des Ideals in der Nase.
Mein Vater sagt nicht viel dazu. Ich weiss, in ihm schlägt ein Herz, dass Recht von Unrecht unterscheiden kann. Doch allzu oft ist seine Sicht getrübt, vernebelt und verletzt von der fauligen Nächstenliebe seiner Nächsten, welche keine Liebe für ihre Nächsten haben.
In so kalten Stunden, in denen der Schnee keine Kuscheldecke, sondern ein kalter Sarg ist, ist es leicht, die Hoffnung aufzugeben. Sich einfach noch etwas treiben lassen, bis zu den letzten Stunden dieses Jahres überleben. Doch hin und wieder in dieser Zeit der Liebe und Großzügigkeit, in der wir fast an allem zerbrechen könnten, kommt es vor, dass wir doch noch überrascht werden.
Ja, gerade dann geschehen plötzlich kleine Weihnachtswunder, die einen wieder hoffen lassen. Ein einzelner Akt der Menschlichkeit, in welchem der Energiefluss des gesamten Universums zu stecken scheint. Vielleicht ist geteiltes Leid halbes Leid oder es war etwas anderes, was dich bewegte. So oder so, ich danke dir von Herzen @itwasrain 💚
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Die Magd: Teil 2
Auf meinem ganzen weiteren Weg Richtung Oppenheim musste ich über die Worte der Alten nachdenken. Sie erinnerte mich ein wenig an meine Mutter und ich beschlossen jeder bei nächster Gelegenheit einen Brief zu schreiben. Zu lange hatte ich mich schon nicht bei ihr gemeldet und sie wird sich wohl Sorgen machen, wie das alle Mütter tun, wenn ihre Kinder alleine in der Ferne sind.
Die Sonne stand schon tief, als sich vor mir in schwarzer Silhouette mein angestrebtes Ziel abbildete. Trotz der bereits fortgeschrittenen Stunde war auf den Gassen ein reges Treiben. Verliebte gingen Hand in Hand, Trunkene schwankten singend und grölend und dazwischen stand ich ganz allein und verloren da.
Um mich aus dieser unwohlen Lage zu retten und um meinem knurrenden Magen nachzugeben, suchte ich das nächste Gasthaus auf. Ich musste nicht weit suchen und schon fand ich ein mir entsprechendes Etablissement und begab mich so gleich hinein. Gerne hätte ich bei diesen schönen Sommerabend draussen Platz genommen, doch der Biergarten war brechend voll und das Getümmel viel zu laut für meinen Geschmack.
Drin fand ich die Schankstube fast leer. Nur am Stammtisch befand sich eine kleine Gruppe von Alten, welche sich gerade in einer hitzigen Schieber-Partie befanden. Mein Hut abnehmend, grüsste ich die Spielenden, doch von diesen bekam ich kaum einen Blick zugeworfen, so vertieft waren sie in ihre Karten.
Ich setzte mich nahe dem Tresen hin und grub dann bald schon in meinem Beutel nach Papier und Feder. Draussen war der Teufel los und es dauert eine ganze Weile bis eine junge Schankmaid Zeit fand, mich zu bedienen. In der Zwischenzeit hatte ich genügend Zeit, mich meinem Brief an meine Mutter zu widmen und noch etwas weiter über die Worte von Annegreth nachzusinnieren.
Sie war wie ein Baum, tief verwurzelt in ihrem Boden, und sie schien ihren Platz in der Welt gefunden zu haben. Aber war ich wie sie? Nein. Der Gedanke daran, für immer an einem Ort zu verweilen, schien mir wie ein Vogel eingesperrt in einem Käfig, unfähig zu fliegen zu sein. Ich war kein Baum, ich war Wind der über Seen und Felder zog.
Das Wandern war es, was mir Leben einhauchte – die unbekannten Pfade, die ich entdecken wollte. Annegreth hatte sicher Recht, man konnte nicht alles haben. Doch das bedeutete noch lange nicht, dass der Weg vergebens war. Im Gegenteil, gerade weil ich nicht alles haben und sehen konnte, gab es so viel, wonach es sich zu suchen lohnte.
Vielleicht werde ich eines Tages zur Ruhe kommen, aber nicht heute und wohl auch nicht morgen. Es war das Unbekannte, das mich anzog, die Geschichten, die ich nicht nur hören, sondern selbst erleben wollte. Je mehr ich darüber nachdachte, desto sicherer wurde ich: Ich musste gar nicht vor mir selbst flüchten, vielmehr musste ich mich selbst auf dem Weg finden oder zumindest einmal richtig kennenlernen.
Mit einem zufriedenen Seufzer erhob ich mich. Der Brief war fertig, mein Hunger gestillt und draussen wartete die Nacht. Ich zahlte und schulterte mein Bündel. Draussen erfrischte mich ein kühler Wind. In der Zwischenzeit hatte sich die Luft unter der klaren Nacht abgekühlt und nur vom von der Sonne noch warmen Gemäuer strahlte eine angenehme Wärme.
Zielstrebigen Fusses ging nicht hinaus auf die Gassen. Ich musste mich langsam sputen, da ich heute noch eine Verabredung hatte. Ein alter Freund bot mir einst einen Schlafplatz an, den ich haben könne, wann immer ich in der Nähe sein sollte. Wollten wir mal sehen, ob der alte Fuchs Wort halten würde.
Erzählungen aus dem Leben von Wolfgang A.
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Die Magd: Teil 1
Heute bin ich schon mit den ersten Vögeln am Morgen aufgestanden und habe mich so früh wie möglich auf den Weg gemacht. Ich hatte in Gernsheim in einer Gaststube übernachtet und wollte es heute bis nach Oppenheim schaffen.
Die ersten Kilometer brachte ich noch schnell unter die Füsse, als die Sonne noch nicht so hoch stand, danach aber fing es an, sich zu ziehen. Mit jeder Stunde entsprang meinem Körper ein neuer Schweissbach, der an mir herab ran und meine Füsse wurden von Mal zu Mal schwerer.
Da sah ich vor mir auf einmal eine schöne grosse Linde stehen, die mich mit ihrem Schatten einladen zu sich rief. Wie ein halb Verdursteter eine Oase in der Wüste, so steuerte ich auf diesen Baum zu, der in diesem Moment so viel mehr als nur das für mich war.
Als ich angelangte, sah ich, dass ich nicht der Einzige war, der sich bei dieser Hitze nach etwas Schatten sehnte. An den grossen Stamm gelehnt, sass eine alte Magd, welche neugierig aufsah, als ich näher trat.
Ich zog meinen Wanderhut aus Filz und grüsse die Alte. "Grüss Gott, mein Sohn.", antwortete diese und musterte mich mit ihren ruhigen braunen Augen vom Schopf bis zu den Sohlen, dann bat sie mich lächelnd zu sich zu sitzen.
Dankend nahm ich das Angebot an und setzte mich neben sie an den Stamm gelehnt. Durstig griff ich nach meiner Feldflasche. Ich trank in grossen Zügen und als ich genug hatte, gab ich dies mit einem "ahhh" kund und streckte befriedigt meine Beine aus.
Nach einer kurzen Zeit des Schweigens, in der nur der Wind und der Gesang der Vögel zu hören gewesen war, fragte mich die Magd: "Du siehst mir wie ein Wandervogel aus, Bursche. Wo möchtest du denn hin?" "Ich habe kein bestimmtes Ziel.", antwortete ich. "Für's Erste flussaufwärts, wo's mich dann hinzieht, weiss ich noch nicht."
"Wenn du schon nirgends hin willst, dann willst du doch bestimmt vor etwas weg, oder ist's nicht so?" Ich dachte einen Moment über diese Frage nach, dann musste ich ein wenig schmunzeln und gab zur Antwort: "Vor etwas weglaufen, beschreibt meine Situation ironischerweise ziemlich gut. Ich selbst bin es, vor dem ich zu fliehen versuche, doch vermag ich es nicht genügend Strecke hinter mich zu bringen, bevor ich auch schon wieder Schritt halten kann.
Sie sah mich mit deiner kuriosen Leichtigkeit an und auch sie musste jetzt ein wenig schmunzeln. "Weisst du,", sagte sie, "ich habe mein Leben lang nur hier gelebt. Meine Eltern bekamen mich hier, ich lernte hier meinen Mann kennen und mit unserem Pfarrer habe ich grad diesen Frühling einen schönen Grabplatz auf unserem Friedhof ausgesucht. Nie in dieser ganzen Zeit hätte es mich hier weggezogen, wo ich doch alles hatte.
Ich griff mir einen Apfel aus der Tasche und biss ab, wobei ich über das Gesagte nachdachte. Es war schon lustig, wie das Leben an so einem ganz gewöhnlichen Julitag zwei so verschiedene Menschen vereinte. "Wolfgang ist übrigens mein Name", sagte ich, "und ihrer?" "Annegreth und gell, du kannst ruhig "du" sagen."
"So hat dich also nie das Fernweh gepackt, Annegreth? Geschichten aus der Ferne hast du doch bestimmt gehört. Hat dich da nie die Neugier ergriffen?" "Geschichten hören wir hier am Fluss allerhand, so viele Wanderer und Boote wie hier auch vorbeikommen, doch weisst du, bei so vielen gehörten Geschichten, muss ich sie nicht auch noch gesehen haben." und bei diesen letzteren Worten lachte sie herzhaft.
"Weisst du,", fuhr sie fort, "ganz gleich, wie viel du hast, es wird immer Dinge geben, die du nie haben wirst und meist wenn man etwas zu erzwingen versucht und umso sehnlicher man es sich wünscht, desto ferner ist es. Ich hätte so manches anders machen können, doch bin ich ganz froh, dass ich es nicht getan habe. Ich hatte ein erfülltes Leben, auf welches ich gerne zurückblicke. Was also sollte ich vermisst haben, wo ich doch alles hatte?"
Ich nickte in Gedanken versunken vor mich hin. Dann, kurze Zeit später, als ich mich wieder aus meinem Trance-Zustand befreit hatte, dankte ich ihr von Herzen für ihre weisen Worte, schulterte wieder mein Bündel und zog weiter.
Erzählungen aus dem Leben von Wolfgang A.
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Apfelkönigin
Hörtet, oh Volk, von nah und fern, Jene Geschichte möchte ich euch erzählen, gern. Um niemand geringeren als um die Apfelkönigin soll's geh'n, Wunderschöne Elfe mit Haar, so schön.
Schützt im Frühling die Blüten vor Kälte, Doch nicht nur dies, Gibt sie den Früchten erst ihre Süsse Die du dann geniesst.
Immer gut zu Mensch und Tier Und glaube mir, Singen kann sie dir Manch Lied schöner als jedes Vogelgetier.
Doch wie alle hat auch Sie einmal Pause. Beim ersten Schnee stolpert sie betrunken lachend vom Most nach Hause.
Im Apfelhein, ein Loch im Baume, Gezimmert vom Specht, dem guten Freund Kuschelt sich zu einer Eichhörnchenfamilie, Dann wird der Winter durchgeträumt.
Im Schlaf tanzt sie mit mir und den anderen Pilzen durch den Wald, Aber nicht zu lange, denn der Frühling kommt bald.
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