Südengland 2024 - Tag 3
Ladies and Gentlemen!
Wieder erwachen wir bei strahlendem Sonnenschein, da ist die Anreise bei schmuddeligem Usselwetter vom Kontinent hier her, schon fast vergessen.
Schnell sind wir uns über das heutige Programm einig: Die weißen Klippen von Dover sollen es heute sein. Denn als wir im letzten Jahr hier waren, war der Himmel zwar strahlend Blau, doch es pfiff ein lausig kalter Ostwind. Deswegen verzichteten wir damals und besichtigten lieber, windgeschützt, ein Castle.
Ungefähr 30 Minuten benötigen wir bis zum Parkplatz des National Trust mit dem Besucherzentrum. Natürlich waren wir nicht die einzigen Besucher, die diese fabelhafte Idee hatten, aber am Morgen ging es noch.
Durch unsere, bereits von zu Hause abgeschlossene, Mitgliedschaft im National Trust blieben uns auch die knackigen Gebühren fürs Parken, in Höhe von 8,50 Pfund, erspart. Praktisch!
Die schon fast ikonischen weißen Kreidefelsen bei Dover blicken majestätisch auf den Ärmelkanal und bieten einen fantastischen Ausblick über das Meer - bei guter Sicht sogar bis hin zur französischen Küste.
Im Prinzip verlaufen die Klippen östlich und westlich der Stadt. Die Front ist bis zu 106 Meter hoch und besteht größenteils aus Kalk und ist mit schwarzem Feuerstein durchsetzt.
Die Felsen bestehen aus Coccolithen, die bis auf 136 Millionen Jahre zurückreichen. Zu diesem Zeitpunkt hat sich die gesamte Region noch zwischen dem westlichen Großbritannien befunden und dem östlichen Polen.
Schwämme, Korallen und Skelette sowie Überreste sind auf den Boden gesunken und haben sich hier Schicht für Schicht abgelagert. Kaum vorstellbar, was sich in 70 Millionen Jahre angesammelt hat. So bedecken ungeheure Massen Kalk die Gebiete zwischen Großbritannien und der Ostsee.
Die Kalkschichten ragten weit über die Meeresoberfläche hinaus. An einigen Stellen waren diese von Gletschern überzogen. Das steigende Meer zeigte nach den Eiszeiten seine Wirkung.
Kalk weißt an sich eine hohe Weichheit auf, sodass diese Massen erodierten, um den Ärmelkanal herum. Auch direkt an der Front erfolgt weiteres Erodieren. Es gehen Jahr für Jahr einige Zentimeter Kalk verloren, zuletzt ist 2001 eine große Anzahl an Gesteinsbrocken abgefallen.
Die beste Art, die Klippen zu erkunden, ist ein Spaziergang entlang des Küstenpfades zum South Foreland Lighthouse. Von dort aus hat man einen großartigen Blick auf die Klippen selbst sowie auf die Kreidewiese, welche viele ungewöhnliche Pflanzen und Insekten, wie den kreideblauen Schmetterling und die pyramidenförmige Orchidee, beheimatet.
In den Felsen nisten unzählige Vögel, wie Eissturmvögel, aber auch die Dreizehenmöwe.
Es gibt eine Stelle an den Klippen, an dem England Kontinentaleuropa am nächsten ist – dieser Punkt heißt Shakespeare Cliff – der Abstand kommt auf gerade einmal 33 km.
Nicht immer waren die White Cliffs of Dover dabei anheimelnder Heimathafen. So manchem, der England erobern wollte, erschienen sie eher als uneinnehmbare Trutzburgen, war es doch nur an wenigen Stellen möglich, an Land zu gehen.
Deswegen sind die "White Cliffs" geschichtlich besonders relevant. Gegen 800 vor Christus wurden erstmals auf den Kreidefelsen von Dover Erdwälle und Gräben angelegt. Sie sollten vor Invasoren schützen, die über den Ärmelkanal setzten.
Nach der Zeitwende, zu Beginn des 2. Jahrhunderts, bauten Englands römische Besatzer auf dem Gelände einen Leuchtturm. Er existiert noch heute. Im siebten Jahrhundert n. Chr. wurde im Bereich des Kastells eine Domkirche für 22 Mönche eingerichtet.
Für eine erste widerstandsfähige Befestigung sorgte im Jahr 1066 Wilhelm dem Eroberer, Herzog der Normandie und seit Dezember 1066 König von England. Und in beinahe jedem der nachfolgenden Jahrhunderte wurden weitere Ausbauten hinzugefügt.
Selbst im Zweiten Weltkrieg spielte Dover noch eine wichtige Rolle als militärisches Hauptquartier und Standort eines unterirdischen Hospitals. Die Truppenverlagerung von mehr als 338.000 Soldaten nach England wurde von Dover aus gesteuert. Bei der ging es um die militärische Evakuierung britischer und französischer Truppen aus Dünkirchen.
Zeugnis hiervon gibt der Fan Bay Deep Shelter, ein in den Felsen verborgener Tunnelkomplex aus dem Zweiten Weltkrieg. Der Shelter wurde als Unterkunft für die Artilleriebatterie der Fan Bay Battery in 23 Metern Tiefe in den White Cliffs in der Nähe des Hafens von Dover gebaut.
Die Tunnel und die Geschützbatterie wurden zwischen dem 20. November 1940 und dem 28. Februar 1941 von den Royal Engineers gebaut. Die gemeinnützige Organisation "National Trust" kaufte das Land 2012 auf und entdeckte den Tunnel wieder.
Die Tunnel sind mit gewellten Stahlbögen ausgekleidet und der Komplex umfasste ursprünglich fünf große Tunnel mit Stauraum für Etagenbetten, Gewehre, ein Krankenhaus und einen sicheren Lagerraum, einen Generator, Toiletten und Waschräume. Die Geschützbatterie sollte feindliche Schiffe angreifen, die durch den Ärmelkanal fuhren.
Die Tunnel wurden in den 1950er Jahren aufgegeben und in den 1970er Jahren mit Schutt aufgefüllt. Die über 18 Monate dauernden Restaurierungsarbeiten umfassten die Beseitigung von u.a. 100 Tonnen Schutt.
Bei der Freilegung des Tunnels fanden die freiwilligen Helfer Zigarettenschachteln, Telegramme, improvisierte Kleiderhaken - und ein in die Kalkwand geschnitztes Gesicht.
Die Tunnel wurden am 20. Juli 2015 für die Öffentlichkeit geöffnet.
Heute können Besucher den Schutzraum so erleben, wie es die Soldaten vor über 80 Jahren taten. Man bleibt etwa 45 Minuten in den Tunneln und wird am Eingang mit einen Schutzhelm mit Stirnlampe, der für die Beleuchtung während der Tour sorgt, ausgestattet.
Nachdem ein schwerwiegendes Kondensationsproblem die Soldaten dazu zwang, die Unterkunftstunnel zu verlassen, wurde ein elektrisches Belüftungssystem installiert.
Der im Winter 1941/2 gebaute Maschinenraum beherbergte eine Heizung und einen elektrisch angetriebenen Ventilator, der von einem nahegelegenen Maschinenhaus angetrieben wurde, um trockene Luft in die Tunnel zu blasen.
Heute wird dieser Raum zur Begrüßung der Besucher genutzt und Besucher können den original Ventilator, sowie Fotos und Pläne aus dem Zweiten Weltkrieg und aus dem Wiederentdeckungsprojekt sehen.
Nach der Sicherheitseinweisung steigt die Gruppe die 125 Stufen hinunter, über 3 Absätze, in die ursprüngliche Beton- und Stahlkonstruktion.
Ein sachkundiger Guide zeigt Kriegsdarstellungen in den Tunneln sowie Artefakte und Graffiti, die von den Soldaten hinterlassen wurden.
Auf halber Strecke der Tour kommt die Gruppe ans Tageslicht, um die beiden Schallspiegel (Sound Mirror) zu sehen – Relikte aus dem 1. Weltkrieg.
Diese Schallspiegel auf Abbots Klippe wurde 1928 gebaut, um frühzeitig vor feindlichen Flugzeugen zu warnen, die sich Großbritannien nähern. Die Spiegel waren überraschend wirkungsvoll und eine Reihe wurden entlang dieses Küstenabschnitts gebaut.
Das System wurde jedoch 1938 zugunsten von RADAR aufgegeben. Von diesem Ort aus bekommt man sowohl akustisch als auch optisch ein großartiges Gefühl für die Umgebung.
Die nächsten Toiletten und Verpflegungsmöglichkeiten befinden sich am South Foreland Lighthouse, etwas mehr als 1 km entfernt.
Unterwegs treffen wir immer wieder auf Kuhfladen, die überall verteilt herum liegen. Die stammen von freilaufenden Rinder. Die 20 Dexter-Rinder sind Mitarbeit des National Trust.
Sie helfen das Land zu pflegen, ohne dass Maschinen oder Chemikalien erforderlich sind. Die Tiere leisten hervorragende Arbeit bei der Kontrolle der Vegetation.
Natürlich ist heute, bei diesem Traumwetter, auf dem Klippenweg jede Menge los. Aber die Leute verhalten sich alle rücksichtsvoll und extrem hilfsbereit.
Alsbald machen wir uns auf den Rückweg. Wir müssen zurück in unsere Unterkunft und packen, denn morgen geht es weiter zu unseren nächsten Station.
Good Night!
Angie, Micha und Mister Bunnybear (Hasenbär)
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