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Former Headquarters (1961-65) of “Badenwerk” in Karlsruhe, Germany, by Norbert Schmid & Klaus Möckel. Threatened with demolition.
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Mord nach dem Beichtstuhl, ein Fast-ein-Jahrhundert-Leben, kein Visum für den Westen und wer ist eigentlich Nikolai Bachnow? – Fünf E-Books von Freitag bis Freitag
Kennen Sie sich vielleicht mit dem Beichtgeheimnis aus? Und was würden Sie anstelle eines Priesters tun, wenn Sie während der Beichte von einem angekündigten Mord hören? Schweigen oder handeln? Aber wie? Genau das sind die Fragen, vor der Kaplan Berger aus dem ersten von fünf Deals der Woche steht, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 23.02.18 – Freitag, 02.03.18) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind. Die Entscheidung von Kaplan Berger können Sie in dem Krimi „Ich morde heute zehn nach zwölf“ von Steffen Mohr nachlesen. Und dann ist da übrigens noch Frau Klepzig, Bergers Haushälterin. Aber das nur nebenbei … Eine andere Frau und ihr fast 100 Jahre währendes, nicht einfaches Leben steht im Mittelpunkt der Erzählung „Fast ein Jahrhundert. Das lange Leben der Alma M., geborene S.“ von Ingrid Möller. Ein unspektakuläres, aber dennoch spannendes und dennoch lebenswertes Leben. Ebenfalls um Lebensfragen und um schwierige Entscheidungen eines Pfarrers zu DDR-Zeiten geht es in der Novelle „Sonntagspredigt oder Heimkehr auf die Insel“ von Siegfried Maaß. Und noch einmal steht ein Menschenschicksal im Mittelpunkt eines Buches, diesmal allerdings ein ausgesprochen weibliches und noch dazu ein höchst ungewöhnliches, das einer Zeitreisenden. Auch im elften von insgesamt 16 Teilen dieser Zeitreisenden-Saga von Hardy Manthey geht es um Maria Lindström alias Aphrodite und die außergewöhnliche Lebensgeschichte dieser Frau. „Zum Ursprung – 15 000 Jahre zurück“, so lautet der Titel dieses fantastischen Romans. Das fünfte und letzte Angebot dieses Newsletters stammt von einem gewissen Nikolai Bachnow, der von einem gestohlenen Tierreich in einem Zauberland erzählt. Aber wer war oder ist eigentlich Nikolai Bachnow? Doch bevor wir eine erste Antwort auf diese Frage am Ende dieses Newsletters geben, zunächst einmal zurück zu Kaplan Berger und zum Beichtgeheimnis. Erstmals 1980 erschien in der Blaulicht-Reihe des Verlages Das Neue Berlin als Heft 206 die Kriminalerzählung „Ich morde heute zehn nach zwölf“ von Steffen Mohr: Der junge, fortschrittliche Kaplan Berger erfährt im Beichtstuhl von einem geplanten Mord und kann den gerade aus der Haft Entlassenen nicht von seinem Vorsatz abbringen. Was soll er tun? Er kann doch das Beichtgeheimnis nicht brechen. Da er Zeitpunkt und Ort kennt, begibt er sich an den künftigen Tatort. Aber es ist schon zu spät. Bei der Vernehmung durch die Kriminalpolizei schweigt er natürlich. Wie kann er nur den Täter seiner gerechten Strafe zuführen, ohne das Beichtgeheimnis zu verletzen? Hier die erste Begegnung mit Kaplan Berger: „O Herr, lass mich durchhalten, dachte der für einen Kaplan vielleicht zu gut gewachsene und mit einem zu schönen Gesicht begabte junge Mann. Natürlich kam ihm sein Aussehen, die braunen Augen zum Beispiel und das, rotblonde an Tippy Honnigans Wuschelkrause erinnernde Haar, gerade in einer Großstadtgemeinde zugute. Wusste man doch, dass die Jugend von Popstars wie Honnigan und Konsorten schwärmte. O Herr, barmte er innerlich, aber auf seinen Gesichtszügen malte sich nichts weiter als unbeschwerte Freundlichkeit. Im Miniradio lief mit angemessener Lautstarke das Pokalspiel Erfurt gegen Jena, das Kaplan Berger langweilte. Der große Zeiger der Sakristeiuhr klickte und zog langsam auf fünf. Flüchtig sah der junge Priester auf die Uhr, die über dem kleinen römischen Kreuz hing. Dann schaltete er das Radio aus, versteckte es in der untersten Lade des Paramentenschranks und streifte sich den glänzend schwarzen Talar über Pulli und Jeans. Nun ähnelte Kaplan Berger doch einer geistlichen Person. Von der Krause abgesehen, glich er fast aufs Haar einer der milden Heiligengestalten auf den großen bunten Bildern des Fräulein Klepzig. Zu ihrem Ärger waren diese bonbonsüßen Darstellungen heiliger Männer und Frauen vor einem Dutzend Jahren aus der Kirche entfernt und durch, wie sie unentwegt mäkelte, „hässliche moderne Fratzen“ ersetzt worden. Seitdem lehnten sie nebeneinander an der dem Fenster gegenüberliegenden Wand des Wäschebodens. Die gute Pfarrhaushälterin vergaß bei keiner großen Wäsche, auf ihrer Ausstellung Staub zu wischen. Das alles wusste der Kaplan. Es interessierte ihn ebenso stark, wie ihn weibliche Wesen überhaupt interessierten. Lutz Berger hatte sich, eigentlich bereits ab seinem fünfzehnten Lebensjahr, den Idealen seines Berufes verschrieben. Dazu passte nun einmal keine Frau, war sie nun reizvoll und attraktiv oder eine alte Jungfer. O Herr, seufzte er noch einmal und schritt, als der große Zeiger auf eine Minute vor die Zwölf rückte, durch die niedrige Sakristeitür hinaus in die Kirche. Punkt fünf Uhr begann an jedem Sonnabend die Beichte. Erwartungsgemäß fand Kaplan Berger das Gotteshaus leer. Durch die Scheiben des Seitenschiffs drang gedämpftes Licht. Das reichte im Sommer voll aus, um den Gläubigen, die bis sieben beichten kamen, das Lesen im Gebetbuch zu erleichtern. Den Kindern half es, die Krakelschrift auf ihren Sündenzetteln zu erkennen. Tiefere Dämmerung herrschte dagegen im Beichtstuhl. In dessen mittleren Teil nahm Berger Platz und zog sogleich den violetten Vorhang hinter sich zu. Er schaltete ein schwaches Lämpchen ein. Das wollte er beim Eintreten eines Beichtkindes in den Seitenteil selbstverständlich wieder ausknipsen. Der Kaplan mochte die Beichte nicht, weil er der Auffassung war, es sei richtiger, sich mit seinen Mitmenschen an einen Tisch zu setzen, um normal und bequem über alle Probleme zu reden. Freilich bestand diese Möglichkeit. Und wie oft hatte er junge Leute in seinem Zimmer unter dem Dach empfangen, damit er ihnen eine Last abnehmen oder gar einen Weg weisen konnte, Schwierigkeiten in der Lehre, zu Hause oder in der Schule zu klären! Leider gab es diese mittelalterliche, die sogenannte Ohrenbeichte noch, zu der man sich in eine „Holzkiste“ zwängen musste und das Beichtkind in die „Kiste“ nebenan kroch. Da kniete es nieder, während er, der Priester, saß, und wisperte einem das Register seiner Sünden durch ein Gitter in der Trennwand ins Ohr. Unnatürlich. Unnormal. Was wollte man machen? Die Gläubigen selbst verlangten nach solcher Geheimniskrämerei. Lutz Berger verstand sie nicht. Er hatte ein in braunes Leder gebundenes Buch vorgenommen, das hier immer lag, und sann über die Worte nach: „Wahrlich, Petrus, ich sage dir: Ehe der Hahn heute Nacht kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“ Es war reiner Zufall, dass der Kaplan gerade über diesen Text meditierte. Das rote Leseband hatte an der Stelle gelegen. Irgendwo oben, vielleicht im Himmel, verhallte der letzte Schlag der Kirchturmuhr. Der junge Geistliche hörte trippelnde Schritte, die sich dem Beichtstuhl näherten. An der Art, wie diese Schritte mit Andacht auf dem steinernen Boden auftraten und doch jenen Krach veranstalteten, den mit Eisen benagelte Schuhe in einer leeren Halle hervorrufen, erkannte er die Haushälterin, Fräulein Klepzig.“ Erstmals 2012 veröffentlichte die edition NORDWINDPRESS Dalberg-Wendelstorf die Erzählung „Fast ein Jahrhundert. Das lange Leben der Alma M., geborene S.“ von Ingrid Möller: Am 15. Dezember Anno Domino 1902 wurde in Straßen bei Eldena dem Büdner Heinrich Schult und seiner Ehefrau Anna geborene Bergmann ein Mädchen geboren und getauft auf den Namen Alma. Ein langes Leben - ja, aber kein besonderes - mag mancher sagen, der die Erzählung liest. Aber den Alltag zu bewältigen in diesem 20. Jahrhundert, das zwei Weltkriege, Inflation und Mangeljahre einschließt, verlangte den Menschen viel ab. Und so prägte sich ein Verhalten, das heute mitunter Stirnrunzeln auslösen mag, aber in der Generation in dem mecklenburgischen Landstrich nicht untypisch ist. Herkunft und Erziehung prägten Wertmaßstäbe, die erhalten blieben, auch außerhalb des Dorfes und der dortigen Familie. Wir sind also in Straßen. Moment mal, wo bitte sind wir? „Straßen ist ein kleines Dorf. So klein, dass es kaum in einem Lexikon zu finden ist. Es liegt im Südwesten Mecklenburgs, in der sogenannten Griesen Gegend, nahe Eldena. Für Anna Schult aber ist es die Mitte der Welt, ihrer Welt. Hier, in der Büdnerei Bergmann, wurde sie am 3. Januar 1861 geboren, hat am 27. Januar 1888 den Eldenaer Landwirt Heinrich Schult geheiratet, der den kleinen Hof übernahm. Vor ihm war sie gewarnt worden, denn sein Vater Christian stand in einem denkbar schlechten Ruf. Zwei Ehefrauen – eine geborene Graf die erste, Rose die zweite, mit der er fünf Kinder hatte - hatte er vom Hof gejagt und dennoch eine dritte - geborene Möhring - gefunden. Doch den Spitznamen „De Düwel“ hatte er weg. Anna Bergmann aber befand, dass sich die Bosheit auf den Sohn nicht vererbt hatte. Kindersegen war ihr reichlich beschieden. Jetzt, Mitte Dezember 1902, soll sie ihr neuntes Kind gebären. Mit nahezu zweiundvierzig Jahren. Das erste war ein Junge und kam ungebeten, als sie noch jung und unverheiratet war. Schon lange hat sie ihn nicht mehr gesehen. Früh musste er aus dem Haus. Mit siebenundzwanzig heiratete sie. Am 1. April 1888 kam ihr erstes gemeinsames Kind zur Welt, Otto. Im Abstand von zwei Jahren gebar sie die übrigen: Ida, Minna, Wilhelm, Heinrich, Emma und Richard. Und nun? Was dies wohl wird? Eigentlich schon peinlich, in ihrem Alter. Sie schreit nach der Hebamme, denn die Wehen haben eingesetzt. Ja, ja. Sie kommt gleich. Dann geht es schnell. Das Kind ist winzig. „Ne lütte Diern! (Ein kleines Mädchen)“, sagt die Hebamme. Aber ihre Stimme klingt irgendwie anders als sonst, während sie das Kind wäscht und ihm den Klaps auf den Po verpasst. Sie muss kräftiger zulangen, bis das Würmchen einen zaghaften Laut von sich gibt. „Wies mi de Lütt! (Zeig mir die Kleine)“, sagt die Wöchnerin argwöhnisch. Die Hebamme wickelt ein Leinentuch um den kleinen Leib und reicht das Neugeborene der Mutter. Die seufzt. Wenn das Awmarachen man nicht umsonst war! „Kümmt de dörch? (Kommt sie durch)“ Die Hebamme zuckt die Schultern. „Berrer, se ward gliek döfft (Besser, sie wird gleich getauft).“ Man läuft, den Pastor zu holen. Der ist nicht erreichbar. Dann den Lehrer. Eine Bibel ist im Haus, eine Schüssel Wasser von der Pumpe auch. Es eilt. „Woans sall se heiten (Wie soll sie heißen)?“ „Alma“. Na dann! Die Formalitäten werden schriftlich festgehalten: Am 15. Dezember Anno domini 1902 wurde in Straßen bei Eldena dem Büdner Heinrich Schult und seiner Ehefrau Anna geborene Bergmann ein Mädchen geboren und getauft auf den Namen Alma. Die Einzelheiten - wie die sonstigen Vornamen - kann der Pastor dann später im Kirchenbuch eintragen. Anna Schult atmet auf. Eine Heidin ist die Lütte nun nicht mehr, falls ... Aber allen Unkenrufen zum Trotz zeigt das schwache Kind einen starken Lebenswillen. So hat es mit der offiziellen Taufe Zeit bis zum 5. Januar 1903. Sie erhält die zusätzlichen Namen Johanna und Marie. Sobald Alma laufen kann, wuselt sie um die Mutter herum. Die reagiert genervt: „Gah mi vor de Fäut weg! (Geh mir vor den Füßen weg)“ Aber einmal kommt sie in der Küche doch nicht schnell genug weg und wird verbrüht. Ihr Leben lang wird sie überzeugt sein, dass sie deshalb so dünne Haare hat. Dann läuft sie hinter den Geschwistern her, was ihr auch nicht immer gut bekommt. Am sichersten ist sie noch bei der Oma, an deren Schürzenzipfel sie sich nun hängt. Die Oma ist gäuding zu ihr, warnt sie aber ein bisschen zu viel vor den Gefahren des Lebens. Möchte Alma den Jungen nach in den Wald, heißt es: Dort gibt es Räuber und andere fremde Leute. Wenn die Jungen zur Elde baden gehen, heißt es „Bliew du man bi Oma’n, lat de Jungs man versupen! (Bleib du man bei Oma, lass die Jungs man ersaufen)“ Oder wenn sie auf Bäume klettern und Krähennester ausnehmen: „Lat de man dalplumpsen und sick dat Genick bräken! (Lass die man runterplumpsen und sich das Genick brechen)“ Alleinsein und Dunkelheit geht natürlich gar nicht, da spuken ja die Gespenster rum. Als Alma vier ist, zieht die Familie um nach Eldena auf eine Bauernstelle. Nun sind sie keine Büdner mehr, sondern was viel besseres, nämlich Bauern. Stolz dürfen sie jetzt den „Buernweg“ (Bauernweg) benutzen. Allerdings verschulden sie sich hoch. Die Felder liegen weit auseinder, sind nur zeitraubend zu bewirtschaften. Gespart wird an allem. „Gaud Bodder“ (Gute Butter) kommt nicht auf den Tisch. Dafür Pökelspeckschwarte in Eintopf. Alma schmeckt das so wenig wie ihren Geschwistern. Heimlich steckt sie Schwarten in ihre Schürzentasche oder wirft sie gleich unter den Tisch zu den Hunden, wenn die nicht vorher durch den Befehl „Hunn’n rut!“ (Hunde raus) rausgejagt worden sind. Für Gäste - wenn es denn mal welche gibt - hat die Mutter einen aufmunternden Spruch parat „Esst, leiwe Gäst, schont de Wust und langt äwer den Bodder weg!“ (Esst, liebe Gast, schont die Wurst und langt über die Butter weg) Holzpantoffeln - hölten Tüffel - müssen möglichst lange halten. Wenn es einigermaßen warm ist, heißt es „barst“ (barfuß) lopen. Aber es gibt auch Feste. Weihnachten zum Beispiel. Da schlägt der Vater eine Fichte im Wald, stellt sie in der Stube auf, hängt Äpfel und steckt Kerzen dran. Und wenn die Glocke ertönt, dürfen die Kinder kommen. Alle fassen sich an und wandern um den Tannenbaum, wobei sie Weihnachtslieder singen. Dann dürfen sie ihre Geschenke auswickeln. Bei den Jungen ist es immer ein Pferdegespann, das der Vater geschnitzt hat. Bei den Mädchen eine Puppe mit Lehmkopf, festgenäht in einem Schuhkarton. Immer wieder zur Vorsicht ermahnt, dürfen die Kinder die Festtage über damit spielen, dann wird alles wieder eingesammelt, bis zum nächsten Jahr, wo sich die Zeremonie wiederholt. Als Alma zur Schule kommt, kann sie ganz sicher kein Wort Hochdeutsch (denn das konnten die Kinder der nächsten Generation noch nicht einmal), aber sie kommt gut mit. Es kränkt sie, dass die Kinder ihr „Dickhals!“ nachrufen, denn ihr wächst ein Kropf. Ihr Vater tröstet sie, kauft ihr neue Kleider, die sie dann im Kuhstall auf dem Melkschemel vorführen muss. „Dreih di nochmal!“ (Dreh dich noch mal) heißt es dann, und „Du büst noch de Hübschte von allen!“ Das bringt sie auf den Gedanken, ihre Mutter zu bitten: „Kannst mi nich eins awnähmen laten?“ (Kannst du mich nicht mal fotografieren lassen) „Woans kümmst du up sowat! Dat wier ja rutsmeten Geld! Nu segg mal sülwst: wotau wist du‘n Foto von di hebbn? - „Tau’n Ankieken.“- „Dann kiek man in’n Pisspott, dor kannst du di ok ankieken.“ („Wie kommst du auf so was! Das wäre ja rausgeschmissenes Geld! Nun sag mal selbst: Wozu willst du ein Foto von dir haben?“ - „Zum Angucken.“ „ Dann guck in den Nachttopf, da kannst du dich auch angucken.“)“ Ein knappes Jahrzehnt vor der Jahrhundert-Biographie von Alma, 2004, brachte Siegfried Maaß im BK-Verlag Staßfurt erstmals seine Novelle „Sonntagspredigt oder Heimkehr auf die Insel“ heraus: Brückstedt - eine fiktive Kreisstadt in der realen DDR. Ein alleinstehender Mann beantragt ein Reisevisum, um seine schwer erkrankte Mutter in Westdeutschland besuchen zu dürfen. Das Visum wird ihm verweigert „Wenn Sie wenigstens verheiratet wären“, wird ihm lakonisch erklärt. Aber der Antragsteller ist katholischer Pfarrer Jahre später kann er endlich das Grab seiner Mutter besuchen und zugleich seine jüngere Schwester, die einst mit ihrem Freund nach Westdeutschland floh. Doch sie glaubt nicht, was er ihr berichtet und hält ihm vor, sich zwar um das Seelenheil anderer zu kümmern, aber seiner eigenen Mutter in ihren letzten Stunden nicht beigestanden zu haben. Der schon in der gemeinsamen Kindheit im Elternhaus entstandene Konflikt zwischen den Geschwistern spitzt sich zu; die von einem freudlosen Leben gezeichnete Schwester, vereinsamt und dem Alkohol zugeneigt, bietet keine Chance zu einem geschwisterlichen Ausgleich. Enttäuscht und mit sich selbst unzufrieden und sich zugleich seines Anteils an dem endgültigen Bruch mit seiner Schwester bewusst, verlässt der Pfarrer vorzeitig den Wohnort seiner Schwester. Während der nächtlichen Bahnfahrt begegnet er einer schwarz gekleideten Dame, die sich auf dem Weg nach Brückstedt zur Beerdigung ihrer Mutter befindet. Es ist die ehemalige Polizistin, die damals zu ihm gesagt hatte: „Wenn Sie wenigstens verheiratet wären ...“ Eine scheinbar ganz private Geschichte mit einem politischen Hintergrund, vor dem sich der Konflikt von einst zu einem ganz aktuellen ausweitet und seine Konsequenzen fordert. Hören wir den Anfang dessen, was der alleinstehende Pfarrer berichtet: „Gestern bin ich aus S. zurückgekehrt. Einen Tag früher als beabsichtigt. Ich glaube, niemals zuvor hatte ich eine solche Erleichterung bei der Heimkehr von einer Reise empfunden. Als wäre ich auf der Flucht gewesen und endlich an einem sicheren Ort angekommen. Den sicheren, mir gut bekannten Ort hatte ich wirklich erreicht. Aber war ich vor Marie, meiner Schwester, tatsächlich geflohen? Oder gar vor Lydia? Ich wusste es nicht und wollte jetzt auch nicht darüber nachdenken. Während der ganzen langen Fahrt hatte mich kaum etwas anderes beschäftigt als mein Verhältnis zu meiner Schwester Marie. Wäre nicht die schwarz gekleidete Frau mit dem Schleier vor ihrem Gesicht zu mir ins Abteil gekommen, hätte ich wahrscheinlich noch während der Fahrt etwas Abstand gewonnen und auch etwas schlafen können. Doch ohne Marie zu kennen und von unserer gestörten Beziehung zu wissen oder auch nur zu ahnen, auf welche Weise ich meine Schwester verlassen hatte, lenkte sie meine Gedanken ungewollt in die entgegengesetzte Richtung unserer Fahrt – nämlich zurück zu Marie und damit auch in jene Zonen meines Bewusstseins, die ich gern endgültig hinter mir lassen wollte. Erst nachdem sich unsere Wege getrennt hatten, gelang es mir, ruhiger zu werden und mich auf meine Heimkehr zu freuen. Durch keine weiteren belastenden Überlegungen wollte ich meine Freude trüben lassen. Auf dem Markt unserer kleinen Stadt verließ ich den Bus, mit dem ich aus unserer Kreisstadt gekommen war. Es erschien mir als glücklicher Zufall, dass er abfahrbereit am Bahnhof gestanden hatte, als ich die Stufen hinab stieg und schwer an meinem Koffer schleppte. Auf diese Weise entging ich der Entscheidung, mit einer Taxe fahren zu müssen, was für mich eine verschwenderische Ausgabe bedeutet hätte. Vom Busfenster aus beobachtete ich meine ungebetene Reisegefährtin, von der ich mich bereits im Zug verabschiedet hatte. Flüchtig genug, um erkennen zu lassen, dass meinerseits kein weiterer Gesprächsbedarf bestand. Jedoch ausreichend beherrscht, um nicht als unfreundlicher und nachtragender Schwarzkittel, der einmal erlittenes Unrecht nicht verzeihen kann, in Verruf zu geraten. Offenbar war sie bereits am Bahnsteig von ihrem Bruder in Empfang genommen worden; eindringlich, als wäre es von besonderer Bedeutung, hatte sie mich wissen lassen, dass er sie abholen wolle. Mit einem großen, kräftig wirkenden Mann sah ich sie aus dem Bahnhofsportal heraustreten. Er trug einen dunklen Anzug und eine schwarze Krawatte auf weißem Hemd. Den Koffer seiner Besucherin behandelte er, als sei er völlig leer und wechselte ihn leichthändig und schwungvoll auf die andere Seite, um seine Schwester mit der rechten Hand unterfassen zu können. Noch bevor mein Bus abgefahren war, hatten die beiden mit einem Taxi bereits den Bahnhofsvorplatz verlassen. Für die etwa zwanzig Minuten währende Fahrt bis Burghausen richtete ich mich auf meinem Platz so bequem wie möglich ein. Von der langen Bahnfahrt schmerzte mich jede Faser meines Körpers. Am liebsten wäre ich im Mittelgang auf- und abgelaufen, unterließ es jedoch der anderen Fahrgäste wegen. Vielleicht konnte ich mich am Nachmittag mit Gartenarbeit wieder etwas in Schwung bringen. Doch mit dieser stillen Hoffnung betrog ich mich selbst. Auf meinem Schreibtisch würde ein Berg Arbeit auf mich warten. Und auch meine Sonntagspredigt schrieb sich nicht allein. Zu dieser Stunde war der Bus aus der Kreisstadt nahezu leer. Nur einige Frauen fuhren mit mir, die mich beim Einsteigen erstaunt angesehen hatten. Sie arbeiten als Kassiererinnen in unserem ländlichen Supermarkt. Auf der Rückfahrt würde der Bus gut besetzt sein, weil viele Pendler in die Kreisstadt fahren. Obwohl mir die Augen zufallen wollten, blickte ich während der Fahrt aus dem Fenster. In der waldlosen und flachen Landschaft, in der Fremde kaum Sehenswertes entdecken können, fühlte ich mich sofort wieder heimisch. Seit meiner Kindheit bin ich es gewöhnt, weit ins Land blicken zu können und kann Gebirge kaum länger als eine Urlaubswoche ertragen - schon bald spüre ich dann Beklemmungen, fühle mich eingezwängt und sehne mich nach der Ebene zurück. Ähnlich erging es mir auch in S. Eingebettet in einen Talkessel, der von dichten Wäldern umgeben ist, erlaubt die Stadt keinen Blickkontakt mit dem Horizont. Lediglich vom Schloss aus, dem höchsten Punkt der Stadt, kann man über die Wipfel hinwegsehen. Aus dem Bus heraus erkannte ich nun die Turmspitzen der beiden Burghausener Kirchen, die mir stets wie ungleiche Geschwister erschienen. Hoch aufragend und erhaben der Turm der evangelischen St. Petrikirche, eines romanischen Bauwerks, mit dem nicht allein die Gemeinde, sondern auch die Stadt renommiert. Dagegen der kurze, gedrungene Turm „meiner“ Kirche - als stünde sie, schlicht und unansehnlich, ganz im Schatten der anderen. Dennoch erkannte ich auch „meinen“ Turm, dessen Schieferdach sich im Maimorgenlicht dunkel abhob. Von diesem Augenblick an konnte ich es kaum erwarten, endlich mein Ziel zu erreichen. Außerdem war ich neugierig zu sehen, wie Juliane auf meine verfrühte und damit unerwartete Ankunft reagierte.“ Erstmals 2013 veröffentlichte die EDITION digital die 2., überarbeitete Auflage des 11. Teils der nur als E-Books erscheinenden Zeitreisenden-Reihe von Hardy Manthey. Der Titel des fantastischen Romans lautet „Zum Ursprung – 15 000 Jahre zurück“: Ein Leben voller Abenteuer liegt hinter unserer Zeitreisenden. Was musste Maria Lindström, die sich selbst stolz Aphrodite nennt, nicht alles überstehen! Auf dem Flug zum Pluto wurde sie ohne ihre Zustimmung als Versuchsperson benutzt und unfreiwillig schwanger. Das war aber nur der Anfang einer langen Leidensgeschichte. Der Sturz durch Raum und Zeit in die Vergangenheit sollte die Leidensfähigkeit der Zeitreisenden auf eine harte Probe stellen. Ihr Schicksal in der Sklaverei und ihre erzwungenen Hurendienste sind für sie unvergessene traumatische Erlebnisse. Es war ein ewiger Überlebenskampf, der sie tief in ihrem Herzen geprägt und für immer geformt hat. Dass sie später zu Macht und großem Reichtum gelangte, hat daran nichts geändert. Am Ende blieb ihr nur die Flucht. Ihr Leben danach auf dem Planeten der Frauen war ebenso spektakulär. Vielleicht hat sie es aber doch geschafft, dort das Rad der Geschichte ein Stück weiter zu drehen. Die Abenteuer in der Zukunft hätten sie beinahe das Leben gekostet. Doch ihr Wirken hat auch dort für ein Umdenken gesorgt und die Macht der Unsterblichen für immer gebrochen. Zurück in ihre Welt, die Welt des 23.Jahrhunderts, war ebenfalls kein Spaziergang. Die Freude, Bruder und Schwester zu sehen, wurde schnell von dunklen Machenschaften verschiedener Kreise getrübt. Für den Entschluss, zurück in die antike Zeit zu reisen, wurde sie nicht belohnt. Das Land der Pharaonen wollte sie ebenfalls nicht haben. Nun soll sie den Kampf gegen außerirdische Zivilisationen in einer fernen Vergangenheit, in der Steinzeit, aufnehmen. Wird ihr das gelingen? Zunächst einmal aber lernen wir am Anfang des Buches Aphrodite in all ihrer weiblichen Schönheit kennen, die durch keinerlei Kleidung verhüllt wird – gänzlich nackt: „Aphrodite schlägt die Augen auf und sieht, wie sich der Sarkophag gerade öffnet. Wie gewohnt steigt sie aus und streift sich dabei mit den Händen den letzten Rest der grünen Flüssigkeit vom Körper. Dabei stellt sie überrascht fest, dass sie nicht die geringsten Spuren der Schwangerschaften und der Geburt der beiden Kinder an sich erkennen kann. Sie hatte sich damit abgefunden, dass eine hässliche Narbe vom Kaiserschnitt zurückbleibt. Doch ihr Körper erscheint perfekter denn je. Sind auf Wunsch der Männer ihre Brüste noch größer geworden? Nicht dass die Brüste ihr jetzt zur Last werden! Die Männer sind mit ihren Fantasien scheinbar maßlos geworden. Sie denken nicht daran, dass zu viel des Guten für eine Frau zu einer echten Belastung werden kann. Am Po hat sie auch zugelegt. Oder war sie schon immer so gebaut? Was solls, sie muss sich nehmen, wie sie eben ist. Sie schaut sich um. Überrascht stellt sie fest, dass die Sarkophage auf der anderen Seite auch schon offen sind. Hat sie etwas verpasst? Wo sind die Kinder? Sie hört eine unbekannte tiefe Stimme hinter sich sagen: „Hallo, Mutter. Wie geht es dir? Bist du wohlauf?“ Aphrodite dreht sich um und sieht einen jungen Mann vor sich stehen. Der hübsche schlanke junge Mann trägt eine Kombination aus einem silbrig schimmernden Stoff. Er hat einen prächtigen schwarzen Lockenkopf und strahlend blaue Augen. Aphrodite weiß, es sind ihre Augen, die sie ihrem Sohn mitgegeben hat. Der junge Mann vor ihr hat sehr viel Ähnlichkeit mit ihren anderen Söhnen. Nur hat dieser pechschwarzes Haar und scheint auch größer als ihre Söhne Alexander und Adam zu sein. Woher er wohl die schwarzen Haare haben könnte? Aber der junge Mann gefällt ihr auf den ersten Blick und darum sagt sie: „Hallo, Söhnchen! Hallo, Marotti! Du siehst gut aus. Wie geht es dir? Komm zu deiner Mama und lass dich umarmen!“ Jetzt geht sie auf ihren Sohn zu. Auch er kommt ihr entgegen und schaut sie dabei nur so komisch an. Aphrodite drückt ihn fest an ihre Brust. Sie spürt es jetzt ganz deutlich, das ist ihr Sohn. Plötzlich wird Aphrodite bewusst, dass sie immer noch völlig nackt ist. Aha, darum hat ihr Söhnchen so komisch geguckt. Er ist mein Kind, er darf mich so sehen, entschuldigte sie sich und genießt die Nähe des jungen Mannes. Der junge Marotti bekommt einen roten Kopf, ihm gefällt aber auch spürbar ihre innige Umarmung und er sagt: „Mutter, du bist einfach nur umwerfend. Du fühlst dich richtig gut an. Alles an dir ist so herrlich weich und warm. Jetzt begreife ich, warum Männer in deiner Nähe den Verstand verlieren.“ Er löst sich zaghaft von ihr. „Aber du solltest erst einmal unter die Dusche gehen und dir dann etwas anziehen. Auch wenn du meine Mutter bist, bleibst du immer noch eine wahnsinnig schöne Frau. So eine schöne Frau, wie du es nun mal bist, darf nicht völlig nackt vor einem Mann herumlaufen. Du bist Verlockung und Lust pur. Auch oder gerade deshalb solltest du deinen Sohn nicht so sehr verwirren!“ „Ach, neuerdings stört es dich, wenn ich nackt vor dir herumlaufe? Ja, ich sehe es jetzt auch, du bist ein richtiger Mann geworden!“, sagt Aphrodite spöttisch, löst sich ganz von ihrem Sohn und geht unter die Dusche, die wie aus dem Nichts aus der Wand kommt. Sie genießt die Dusche und seift sich extra ein. Ihr Sohn: „Soll ich dir den Rücken einseifen?“ „Das wäre lieb von dir, mein Sohn, ich meine Marotti!“, sagt sie und hält ihm schon ihren Rücken hin. Mit viel Gefühl wird jetzt ihr Rücken eingeseift. An ihren Po traut er sich aber nicht heran. Aphrodite genießt seine sanften Hände. Nach der Dusche stellt sie wie immer die Luftdusche an. Der angenehm warme Luftstrom duftet nach Kräutern, die in den Bergen Siziliens gedeihen. Mit geschlossenen Augen glaubt sie, in ihrem Palast in Syrakus zu stehen. Für einen kleinen Moment fühlt sie sich gar ins antike Syrakus zurückversetzt. Doch die Illusion ist nur von kurzer Dauer. Etwas traurig steigt sie aus der Dusche. Ihr Sohn empfängt sie mit einem Tuch und reibt sie jetzt auch sorgfältig ab. Der junge Mann braucht dafür auffallend lange. Er nutzt das Tuch, um seine Mutter gründlich zu erkunden. Man merkt ihm an, dass er mit viel Genuss ihre Rundungen ergründet. Aphrodite nimmt es locker und genießt seine Aufmerksamkeit. Plötzlich fühlt er sich ertappt und reicht Aphrodite, verlegen geworden, das Tuch: „Mutter, du bist wirklich eine schöne Frau!“ „Für deine Gefühle brauchst du dich nicht zu schämen. Dass eine Frau bei einem Mann allein durch ihre Erscheinung, ihre Anwesenheit Gefühle auslöst, ihn erregen kann, ist etwas ganz Natürliches. Für dich, der solange körperlos gelebt hat, ist es etwas Neues. Du musst lernen, damit umzugehen. Jeder Mann muss lernen, seine Gefühle zu kontrollieren und sich nicht wie ein Tier, nur vom Trieb gesteuert, auf die Frau, das Lustobjekt in seinen Augen, zu stürzen. So wie ich jetzt aussehe und beschaffen bin, das habe ich euren Künsten zu verdanken. Ich bin euer Fantasieprodukt. Ihr wolltet es doch so, dass ich als Frau mit allen weiblichen Attributen üppig ausgestattet werde. Die Macht, die ihr über mich habt, hat das möglich werden lassen. Oder irre ich mich?“, behauptet Aphrodite. Sie weiß nicht, ob es wirklich so gut ist, Produkt ausufernder Männerfantasien zu sein. Sie ist es, die mit diesem Körper leben muss.“ Erstmals 2003 veröffentlichte ein Nikolai Bachnow bei der bei LeiV Buchhandels- und Verlagsanstalt als Band 8 Aljonna und Klaus Möckel „Das gestohlene Tierreich“: Etwas Unvorstellbares passiert im Zauberland: das Tierreich mitsamt seinem König, dem Tapferen Löwen, wird gestohlen. Ein Riese streut Schrumpfpulver über dem Wald aus, so dass Bäume und Sträucher, aber auch die Tiere um ein Vielfaches kleiner werden. Dann rollt er alles wie einen Teppich zusammen und schleppt es als Spielzeug für seine Kinder in die Berge. Das Unglück könnte nicht schlimmer sein! Während die Tiere größte Mühe haben, sich an ihre neue Lage anzupassen, stehen der Scheuch, Betty, Jessica und andere, die ein Waldfest besuchen wollten, dem Ereignis fassungslos gegenüber. Sie nehmen die Spur des Riesen auf, doch wie sollen sie helfen? Wieder einmal müssen sie unerwartete Hindernisse überwinden, gefährliche Abenteuer bestehen. Sie geraten in die Fänge doppelköpfiger Geier und Jessica mit Betty sogar in die Gefangenschaft des Riesenmädchens Bomm. Doch mit Hilfe eines Steinbocks und eines klugen Marabus gelangen sie schließlich ans Ziel. Gemeinsam mit den Tieren kann letztendlich die schwierige Aufgabe der Rückverwandlung in Angriff genommen werden. „Mit dem letzten Band der Reihe beweist Nikolai Bachnow noch einmal, zu welch fantastischen Ideen er fähig ist. Die Geschichte vom Tierreich ist toll und macht dieses Märchen zu etwas ganz Besonderem“, hieß es in einer begeisterten Rezension von Karolin Kullmann. Dieses Buch, 2003 bei LeiV (Leipzig) mit Illustrationen von Hans-Eberhard Ernst schienen, ist das achte von mehreren Büchern, die an die bekannte Reihe des Russen Alexander Wolkow anschließen. „Endlich befindet man sich wieder in Gefilden, die nicht mehr futuristisch oder abstrakt anmuten", lobte Kritikerin Karolin Kullmann. Und so geht es los: „Erster Teil: Das unheilvolle Pulver Der Riese Ein dumpfes Geräusch ertönte in der Ferne, ein Stampfen, das sich wiederholte und immer lauter wurde. Der Tapfere Löwe, Herrscher des mitten im großen Zauberland gelegenen Tierreichs, hob den Kopf. Er hatte nach einem ausgezeichneten Mahl am Fuße seiner Felsenburg in der warmen Mittagssonne gedöst, doch nun wurde er wach. Die Laute waren ungewöhnlich, wenn nicht sogar beunruhigend. Der Hase hoppelte herbei, einer seiner Minister. „Hörst du das Trampeln, Herr?“, rief er aufgeregt. „Es scheint näher zu kommen. Was mag das sein?“ Der Löwe erhob sich. „Das möchte ich auch gern wissen. Ganz schön unverschämt, so unsere Mittagsruhe zu stören.“ Er gähnte. Das Geräusch verstummte, erscholl aber nach einigen Minuten erneut und noch stärker. Ein Trapsen wie von Riesenstiefeln, die Gehölz niederwalzten, Baumstämme zerbrachen. Dem Hasen zitterten vor Angst die Pfoten, der Puschelschwanz und die langen Löffel. „Das klingt wie ein Schritt. Als stapfte ein Riese heran!“ „Ein Riese bei uns? Bist du noch bei Verstand? Wo soll der herkommen?“ Inzwischen flatterten erschrocken Vögel durch die Luft, verkrochen sich in ihren Nestern und Baumhöhlen. Wildschweine, Füchse, Rehe flüchteten ins Unterholz. Nun waren die Schritte schon ganz nahe. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, jagte der Hase davon, verschwand in seinem Bau. Der Löwe dagegen stieß ein wütendes Gebrüll aus. Er würde es dem Eindringling zeigen. Doch er kam nicht dazu, den Feind ins Auge zu fassen. Ein Schatten verdunkelte die Sonne, eine Schuhsohle, fast so groß wie der Vierbeiner selbst, senkte sich auf ihn herab, so dass er mit einem jähen Satz zur Seite springen musste, wenn er nicht zertreten werden wollte. An der Stelle, wo er gerade noch gestanden hatte, wurden ein Strauch zermalmt, ein paar mächtige Steine in den Boden gedrückt, als sei der aus Wachs. Eine Stimme, die das Löwengebrüll um ein Vielfaches übertönte, sagte dröhnend: „Das ist lustig. Das wird den Kleinen gefallen.“ „Wer bist du? Wer ist das, die Kleinen? Was soll ihnen gefallen?“, wollte der König des Tierreichs fragen, verstummte aber bereits nach den ersten Worten. Der Kerl, der wie ein Turm vor ihm stand, griff nämlich in einen Sack und streute mit weitem Schwung, so als säe er Korn aus, ein graues Pulver in die Gegend. Über die Wälder, die Wiesen, die Tiere und Vögel. Der Löwe duckte sich, versuchte auszuweichen – vergebens. Das schrecklich stinkende Zeug rieselte in dichten Schwaden auf ihn, die Pflanzen und Steine ringsum herab. Der hat Schlimmes mit uns vor, will uns vielleicht sogar ersticken, schoss es dem Löwen durch den Kopf. Doch weiter kam er mit seinen Gedanken nicht. Die Beine knickten ihm weg, der Kopf wurde schwer, die Augen fielen ihm zu, und ohne etwas dagegen tun zu können, sank er betäubt zu Boden. Genau wie die anderen Wald-, Sumpf- und Steppenbewohner, die Vierbeiner und Vögel, die Schlangen, Echsen und Lurche. Selbst wenn sie sich gerade in ihren Höhlen aufhielten oder in letzter Minute dorthin geflohen waren, konnten sie nicht entrinnen. Das Pulver und sein beißender Geruch verbreiteten sich überall, drangen in jedes Loch, jede Ritze. Höchstens trat die Wirkung manchmal später ein, war ein bisschen schwächer. Auf jeden Fall aber reichte sie aus, den Tieren das Bewusstsein zu nehmen, so dass sie stumm dalagen, sich nicht mehr regen und keinen Laut mehr von sich geben konnten. Aber noch etwas anderes, ganz Eigenartiges geschah! Es betraf neben Tieren und Vögeln auch die Bäume, Büsche, Pflanzen und sogar die Steine. Niemand außer dem Kerl, der das Pulver verstreut hatte, bemerkte anfangs die Veränderung, dämmerten doch alle in tiefer Benommenheit dahin. Und selbst als der Löwe wieder zu sich kam, begriff er die neue Lage nicht. Um ihn herum war es stockfinster, er fühlte sich eingequetscht, der Boden unter ihm schwankte und es kam ihm vor, als trüge man ihn davon. Ich bin in einen großen Teppich eingerollt, dachte er, der Riese hat mich betäubt und ein Tuch um mich geschlagen, er will mich in seine Höhle schleppen, vielleicht um mich am Spieß zu rösten. Ich muss mich unbedingt befreien. Nach und nach gelang es dem Vierbeiner, sich etwas Raum zu verschaffen. Er streckte die Pfoten aus und kroch langsam ins tiefe Dunkel hinein - er sah nirgends Licht. Nein, da war nicht bloß eine Decke um ihn und allein war er hier auch keineswegs: Er stieß auf Steine, Gesträuch, Bäume, genau wie bei sich zu Hause. Vögel flatterten vor ihm auf und ein Reh sprang über moderndes Holz. Denn in Wirklichkeit hatte der Riese nicht nur ihn, sondern den ganzen Wald eingepackt. Als Spielzeug für seine Zwillinge. Er beherrschte einige Zaubertricks und hatte das Pulver so zusammengemixt, dass alle Lebewesen und Gegenstände auf eine ihm genehme Größe schrumpften. Zufrieden hatte er zugeschaut, wie das gesamte Tierreich unter ihm kleiner und kleiner wurde, bis es sich nur noch als großer grüner Teppich darbot. Mit groben Händen hatte er diesen Teppich vom steinigen Untergrund gelöst und ihn mit allem, was darauf wuchs, fleuchte oder kreuchte, zu einer riesigen Rolle geformt. Ähnlich wie man den Kunstrasen in einem Fußballstadion zusammenwickelt. Dann hatte er den Packen unter den Arm genommen und war davongestapft, auf sein weit entferntes heimatliches Tal zu.“ Nun wird es aber wirklich Zeit, die Identität von Nikolai Bachnow zu klären, des würdigen Nachfolgers und kräftig-in-die-Fußstapfen-Treters von Alexander Wolkow. Allerdings gibt es gar keinen Nikolai Bachnow – jedenfalls nicht einen einzigen, sondern gewissermaßen zwei. Lassen Sie mich dazu der Einfachheit und Bequemlichkeit halber das komplette Vorwort zu dem gerade vorgestellten Band 8 der Nikolai-Bachnow-Bücher „Das gestohlene Tierreich“ zitieren: „Als Alexander Wolkow Mitte des vorigen Jahrhunderts seine Bücher über das Zauberland jenseits der Weltumspannenden Berge veröffentlichte, in denen er sich am berühmten „Zauberer von Oz“ des Amerikaners Lyman Frank Baum orientierte, konnte er nicht ahnen, welchen Erfolg er damit haben würde. Nicht nur in der damaligen Sowjetunion fanden die Geschichten vom Mädchen Elli, dem Weisen Scheuch, dem Tapferen Löwen und dem Eisernen Holzfäller zahlreiche Leser, sie wurden auch in viele Sprachen übersetzt. In der DDR wuchsen Generationen von Kindern mit den sympathischen Helden auf, und die Wolkow-Bücher überlebten schließlich sogar die Wende. 1992 wurde der „Zauberer der Smaragdenstadt“ im LeiV Verlag Leipzig neu herausgebracht und stand, genau wie einige weitere Bücher der Märchenreihe, in den Bestsellerlisten für Kinderliteratur lange an vorderster Stelle. Es ist nicht erstaunlich, dass sich in Russland und anderswo bald Autoren fanden, die an diesen Erfolg anknüpfen wollten. Nach einigen Experimenten mit russischen Schriftstellern, die, den neuen Zeiten Rechnung tragend, die Wolkowschen Gestalten zum Teil auf ferne Atolle und ins Weltall schickten, kam der Verlag auf die Idee, wieder die ursprüngliche Wirkungsstätte in den Mittelpunkt zu rücken. Klaus und Aljonna Möckel, die sich als Schriftsteller bzw. Übersetzerin in der DDR einen Namen gemacht hatten, übernahmen unter dem Pseudonym Nikolai Bachnow (Nikolai als russische Version von Klaus; Bachnow nach dem Mädchennamen Bach der Übersetzerin), die Aufgabe, weitere Geschichten für die sympathischen Helden zu erfinden. Natürlich sollten die Leser – Kinder und Erwachsene, die diese Bücher früher verschlungen und inzwischen selbst Kinder hatten - den Bezug zum bisherigen Geschehen herstellen bzw. den Übergang nachvollziehen können. Neue Gestalten waren schon in den letzten Wolkow-Bänden aufgetaucht, Söhne und Nichten der ursprünglichen Heldin Elli bestanden gefahrvolle Abenteuer, und in drei Bänden des Nachfolge-Autors Kusnezow wirkten weitere Helden mit. Doch das ursprüngliche Zauberland rückte dadurch in den Hintergrund, war kaum noch fassbar, das Geschehen oft verwirrend und zu abstrakt dargestellt. Um diese Situation, die von vielen Lesern als unglücklich empfunden wurde, zu beenden und gleichzeitig die wichtigsten Verbindungen fortzuführen, konzentrierten sich Aljonna und Klaus Möckel erneut auf die Grundzüge der Zauberland-Serie. Sie hielten, zumindest in den ersten Bänden, an einigen der neueren Figuren wie dem Kapitän Charlie oder Chris Tall, Ellis Sohn, fest, stellten aber die vertrauten Gestalten wieder mehr ins Zentrum. Mit der Zeit formte sich ein neues Ensemble, in dem neben dem Scheuch, dem Löwen und dem Holzfäller besonders Goodwins Enkelin Jessica und die Puppe Prinzessin Betty, die der Scheuch zur Frau genommen hatte, herausragten, zu dem aber auch witzige Gestalten wie der Hobbyzauberer Pet Riva, die starke Spinne Minni oder der schlaue Mäuserich Larry Katzenschreck gehörten. 1996 kam es zur Veröffentlichung des ersten Bachnow/Möckel-Bandes „In den Fängen des Seemonsters“, in dem sich die Bewohner des Zauberlandes mit einer Verschmutzung im Muschelmeer, dem Reich der Fee Belldora, auseinandersetzen müssen. „Manches hat sich im Zauberland verändert“, schrieb seinerzeit die Kritikerin Karolin Kullmann im Internet, „aber dennoch hat man von der ersten Seite an das Gefühl, wieder im wundervollen Märchenreich zu sein ... Mit dem Autor Nikolai Bachnow, der von nun an das Schreiben neuer Geschichten übernimmt, hat die Reihe viel dazu gewonnen.“ Und die Rezensentin, die auch zu den späteren Büchern Kritiken verfasste, sprach am Ende die Hoffnung aus, „dass auch die Nachfolger mithalten können“. Von dem Autorenpaar entstanden in den Jahren 1996 bis 2003 acht Bände, die nun auch digital vorliegen. Aljonna und Klaus Möckel hatten sich vorgenommen, gut verständlich, spannend, mit Fantasie und Humor zu erzählen, so wie es für Kinder (und Erwachsene) sein sollte. Der Leser mag nun selbst urteilen, ob sich die Hoffnung der Kritikerin erfüllt hat.“ So, das war jetzt vielleicht ein bisschen ausführlich. Aber nun ist hoffentlich alles ge- und erklärt. Und es bleibt nur noch die bekannte Schlussformel unserer wöchentlichen Newsletter mit den aktuellen Deals der Woche der EDITION aus Godern nahe der Landeshauptstadt Schwerin: Viel Spaß beim Lesen und bis demnächst. Weitere Informationen und Angaben finden Sie unter http://www.prseiten.de/pressefach/edition-digital/news/3909 sowie http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/. Über EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr: EDITION digital wurde 1994 gegründet und gibt neben E-Books (vorwiegend von ehemaligen DDR-Autoren) Kinderbücher, Krimis, historische Romane, Fantasy, Zeitzeugenberichte und Sachbücher (NVA-, DDR-Geschichte) heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen sowie Belletristik und Sachbücher über Mecklenburg-Vorpommern. Firmenkontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr Godern Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/ Pressekontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Gisela Pekrul Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://www.edition-digital.de
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informer82 · 4 years
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Titel: MEPHISTO - Theater Osnabrück Text: MEPHISTO Klaus Mann -Inhalt- Das Theater sollte ein Ort der Freiheit und der Demokratie sein. Wie schwer es aber sein kann, in Zeiten sich zuspitzender Meinungen weiterhin der Wahrheitssuche treu zu bleiben, hat Klaus Mann in seinem 1936 erschienenen Roman beleuchtet. Mann erzählt den Aufstieg des Schauspielers Höfgen von der Zeit am Hamburger Theater 1926 bis zum Intendanten des Berliner Staatstheaters 1936 – eine Karriere, die nur möglich war als Drahtseilakt zwischen den nationalsozialistischen Machthabern und den Freund*innen und Künstler*innen im Widerstand. Nicht ohne Grund ist Höfgens Paraderolle der Mephisto aus Goethes FAUST: Zu spät erkennt er, dass sein Pakt mit dem Teufel sich auch in sein Leben jenseits der Bühne gefressen hat. Dabei wollte er doch viel lieber mit Hamlet identifiziert werden, der Inkarnation des (selbst-) kritischen Gedankenmenschen. In Zeiten, da die Theater in Deutschland sich erneut rechtspopulistischen Anfeindungen ausgesetzt sehen – eine Entwicklung, die durch die in der Corona-Krise grassierenden Verschwörungstheorien und Radikalisierungen bestärkt wird – erscheint MEPHISTO wieder erschreckend aktuell. Die Figur des Hendrik Höfgen sollte allen Kunstschaffenden als Mahnung gereichen, die eigene politische Wirkmächtigkeit nie zu verkennen oder zu verraten. Im Gegenteil: Es gilt, eine klare Haltung zu zeigen – in Zusammenschlüssen wie „Die Vielen“, im Spielplan, in Diskussionsrunden und in der Öffentlichkeit. Christian von Treskow, der in der Spielzeit 2018/19 mit VERBRENNUNGEN eine bildgewaltige Befragung von Schuld und Verantwortung im internationalen Kontext auf die Bühne gebracht hat, wendet sich nun in MEPHISTO der deutschen Vergangenheit und ihrer Bedeutung für die Gegenwart zu. Dabei werden sich die Deformation von Wahrheit und die Unmöglichkeit von Nähe im Spiel der Intrigen und des Scheins insbesondere auch auf die Körper auf der Bühne auswirken. -Besetzung- Inszenierung: Christian von Treskow Bühne: Sandra Linde Kostüme: Kristina Böcher Musik: Jens-Uwe Beyer Dramaturgie: Jens Peters Choreografie Tanz Dora Martin: Marine Sanchez Egasse Video Einlass: Siegfried Köhn Hendrik Höfgen: Andreas Möckel Otto Ulrichs, Theophil Marder: Stefan Haschke Nicoletta von Niebuhr, Frau von Herzfeld: Denise Matthey Barbara Bruckner, Bella Höfgen: Katharina Kessler Hans Miklas: Mick Riesbeck Dora Martin, Lotte Lindenthal: Christina Dom Juliette Martens: Oliver Meskendahl Der Ministerpräsident, Oskar H. Kroge: Thomas Kienast Der Professor, Cäsar von Muck: Johannes Bussler Geheimrat Bruckner, Benjamin Pelz: Klaus Fischer ℗ Filmproduktion Siegersbusch, Wuppertal, Hochgeladen von: Theater Osnabrueck, https://ift.tt/2bg6CEt
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prseiten · 7 years
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Mord nach dem Beichtstuhl, ein Fast-ein-Jahrhundert-Leben, kein Visum für den Westen und wer ist eigentlich Nikolai Bachnow? – Fünf E-Books von Freitag bis Freitag
Kennen Sie sich vielleicht mit dem Beichtgeheimnis aus? Und was würden Sie anstelle eines Priesters tun, wenn Sie während der Beichte von einem angekündigten Mord hören? Schweigen oder handeln? Aber wie? Genau das sind die Fragen, vor der Kaplan Berger aus dem ersten von fünf Deals der Woche steht, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 23.02.18 – Freitag, 02.03.18) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind. Die Entscheidung von Kaplan Berger können Sie in dem Krimi „Ich morde heute zehn nach zwölf“ von Steffen Mohr nachlesen. Und dann ist da übrigens noch Frau Klepzig, Bergers Haushälterin. Aber das nur nebenbei … Eine andere Frau und ihr fast 100 Jahre währendes, nicht einfaches Leben steht im Mittelpunkt der Erzählung „Fast ein Jahrhundert. Das lange Leben der Alma M., geborene S.“ von Ingrid Möller. Ein unspektakuläres, aber dennoch spannendes und dennoch lebenswertes Leben. Ebenfalls um Lebensfragen und um schwierige Entscheidungen eines Pfarrers zu DDR-Zeiten geht es in der Novelle „Sonntagspredigt oder Heimkehr auf die Insel“ von Siegfried Maaß. Und noch einmal steht ein Menschenschicksal im Mittelpunkt eines Buches, diesmal allerdings ein ausgesprochen weibliches und noch dazu ein höchst ungewöhnliches, das einer Zeitreisenden. Auch im elften von insgesamt 16 Teilen dieser Zeitreisenden-Saga von Hardy Manthey geht es um Maria Lindström alias Aphrodite und die außergewöhnliche Lebensgeschichte dieser Frau. „Zum Ursprung – 15 000 Jahre zurück“, so lautet der Titel dieses fantastischen Romans. Das fünfte und letzte Angebot dieses Newsletters stammt von einem gewissen Nikolai Bachnow, der von einem gestohlenen Tierreich in einem Zauberland erzählt. Aber wer war oder ist eigentlich Nikolai Bachnow? Doch bevor wir eine erste Antwort auf diese Frage am Ende dieses Newsletters geben, zunächst einmal zurück zu Kaplan Berger und zum Beichtgeheimnis. Erstmals 1980 erschien in der Blaulicht-Reihe des Verlages Das Neue Berlin als Heft 206 die Kriminalerzählung „Ich morde heute zehn nach zwölf“ von Steffen Mohr: Der junge, fortschrittliche Kaplan Berger erfährt im Beichtstuhl von einem geplanten Mord und kann den gerade aus der Haft Entlassenen nicht von seinem Vorsatz abbringen. Was soll er tun? Er kann doch das Beichtgeheimnis nicht brechen. Da er Zeitpunkt und Ort kennt, begibt er sich an den künftigen Tatort. Aber es ist schon zu spät. Bei der Vernehmung durch die Kriminalpolizei schweigt er natürlich. Wie kann er nur den Täter seiner gerechten Strafe zuführen, ohne das Beichtgeheimnis zu verletzen? Hier die erste Begegnung mit Kaplan Berger: „O Herr, lass mich durchhalten, dachte der für einen Kaplan vielleicht zu gut gewachsene und mit einem zu schönen Gesicht begabte junge Mann. Natürlich kam ihm sein Aussehen, die braunen Augen zum Beispiel und das, rotblonde an Tippy Honnigans Wuschelkrause erinnernde Haar, gerade in einer Großstadtgemeinde zugute. Wusste man doch, dass die Jugend von Popstars wie Honnigan und Konsorten schwärmte. O Herr, barmte er innerlich, aber auf seinen Gesichtszügen malte sich nichts weiter als unbeschwerte Freundlichkeit. Im Miniradio lief mit angemessener Lautstarke das Pokalspiel Erfurt gegen Jena, das Kaplan Berger langweilte. Der große Zeiger der Sakristeiuhr klickte und zog langsam auf fünf. Flüchtig sah der junge Priester auf die Uhr, die über dem kleinen römischen Kreuz hing. Dann schaltete er das Radio aus, versteckte es in der untersten Lade des Paramentenschranks und streifte sich den glänzend schwarzen Talar über Pulli und Jeans. Nun ähnelte Kaplan Berger doch einer geistlichen Person. Von der Krause abgesehen, glich er fast aufs Haar einer der milden Heiligengestalten auf den großen bunten Bildern des Fräulein Klepzig. Zu ihrem Ärger waren diese bonbonsüßen Darstellungen heiliger Männer und Frauen vor einem Dutzend Jahren aus der Kirche entfernt und durch, wie sie unentwegt mäkelte, „hässliche moderne Fratzen“ ersetzt worden. Seitdem lehnten sie nebeneinander an der dem Fenster gegenüberliegenden Wand des Wäschebodens. Die gute Pfarrhaushälterin vergaß bei keiner großen Wäsche, auf ihrer Ausstellung Staub zu wischen. Das alles wusste der Kaplan. Es interessierte ihn ebenso stark, wie ihn weibliche Wesen überhaupt interessierten. Lutz Berger hatte sich, eigentlich bereits ab seinem fünfzehnten Lebensjahr, den Idealen seines Berufes verschrieben. Dazu passte nun einmal keine Frau, war sie nun reizvoll und attraktiv oder eine alte Jungfer. O Herr, seufzte er noch einmal und schritt, als der große Zeiger auf eine Minute vor die Zwölf rückte, durch die niedrige Sakristeitür hinaus in die Kirche. Punkt fünf Uhr begann an jedem Sonnabend die Beichte. Erwartungsgemäß fand Kaplan Berger das Gotteshaus leer. Durch die Scheiben des Seitenschiffs drang gedämpftes Licht. Das reichte im Sommer voll aus, um den Gläubigen, die bis sieben beichten kamen, das Lesen im Gebetbuch zu erleichtern. Den Kindern half es, die Krakelschrift auf ihren Sündenzetteln zu erkennen. Tiefere Dämmerung herrschte dagegen im Beichtstuhl. In dessen mittleren Teil nahm Berger Platz und zog sogleich den violetten Vorhang hinter sich zu. Er schaltete ein schwaches Lämpchen ein. Das wollte er beim Eintreten eines Beichtkindes in den Seitenteil selbstverständlich wieder ausknipsen. Der Kaplan mochte die Beichte nicht, weil er der Auffassung war, es sei richtiger, sich mit seinen Mitmenschen an einen Tisch zu setzen, um normal und bequem über alle Probleme zu reden. Freilich bestand diese Möglichkeit. Und wie oft hatte er junge Leute in seinem Zimmer unter dem Dach empfangen, damit er ihnen eine Last abnehmen oder gar einen Weg weisen konnte, Schwierigkeiten in der Lehre, zu Hause oder in der Schule zu klären! Leider gab es diese mittelalterliche, die sogenannte Ohrenbeichte noch, zu der man sich in eine „Holzkiste“ zwängen musste und das Beichtkind in die „Kiste“ nebenan kroch. Da kniete es nieder, während er, der Priester, saß, und wisperte einem das Register seiner Sünden durch ein Gitter in der Trennwand ins Ohr. Unnatürlich. Unnormal. Was wollte man machen? Die Gläubigen selbst verlangten nach solcher Geheimniskrämerei. Lutz Berger verstand sie nicht. Er hatte ein in braunes Leder gebundenes Buch vorgenommen, das hier immer lag, und sann über die Worte nach: „Wahrlich, Petrus, ich sage dir: Ehe der Hahn heute Nacht kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“ Es war reiner Zufall, dass der Kaplan gerade über diesen Text meditierte. Das rote Leseband hatte an der Stelle gelegen. Irgendwo oben, vielleicht im Himmel, verhallte der letzte Schlag der Kirchturmuhr. Der junge Geistliche hörte trippelnde Schritte, die sich dem Beichtstuhl näherten. An der Art, wie diese Schritte mit Andacht auf dem steinernen Boden auftraten und doch jenen Krach veranstalteten, den mit Eisen benagelte Schuhe in einer leeren Halle hervorrufen, erkannte er die Haushälterin, Fräulein Klepzig.“ Erstmals 2012 veröffentlichte die edition NORDWINDPRESS Dalberg-Wendelstorf die Erzählung „Fast ein Jahrhundert. Das lange Leben der Alma M., geborene S.“ von Ingrid Möller: Am 15. Dezember Anno Domino 1902 wurde in Straßen bei Eldena dem Büdner Heinrich Schult und seiner Ehefrau Anna geborene Bergmann ein Mädchen geboren und getauft auf den Namen Alma. Ein langes Leben - ja, aber kein besonderes - mag mancher sagen, der die Erzählung liest. Aber den Alltag zu bewältigen in diesem 20. Jahrhundert, das zwei Weltkriege, Inflation und Mangeljahre einschließt, verlangte den Menschen viel ab. Und so prägte sich ein Verhalten, das heute mitunter Stirnrunzeln auslösen mag, aber in der Generation in dem mecklenburgischen Landstrich nicht untypisch ist. Herkunft und Erziehung prägten Wertmaßstäbe, die erhalten blieben, auch außerhalb des Dorfes und der dortigen Familie. Wir sind also in Straßen. Moment mal, wo bitte sind wir? „Straßen ist ein kleines Dorf. So klein, dass es kaum in einem Lexikon zu finden ist. Es liegt im Südwesten Mecklenburgs, in der sogenannten Griesen Gegend, nahe Eldena. Für Anna Schult aber ist es die Mitte der Welt, ihrer Welt. Hier, in der Büdnerei Bergmann, wurde sie am 3. Januar 1861 geboren, hat am 27. Januar 1888 den Eldenaer Landwirt Heinrich Schult geheiratet, der den kleinen Hof übernahm. Vor ihm war sie gewarnt worden, denn sein Vater Christian stand in einem denkbar schlechten Ruf. Zwei Ehefrauen – eine geborene Graf die erste, Rose die zweite, mit der er fünf Kinder hatte - hatte er vom Hof gejagt und dennoch eine dritte - geborene Möhring - gefunden. Doch den Spitznamen „De Düwel“ hatte er weg. Anna Bergmann aber befand, dass sich die Bosheit auf den Sohn nicht vererbt hatte. Kindersegen war ihr reichlich beschieden. Jetzt, Mitte Dezember 1902, soll sie ihr neuntes Kind gebären. Mit nahezu zweiundvierzig Jahren. Das erste war ein Junge und kam ungebeten, als sie noch jung und unverheiratet war. Schon lange hat sie ihn nicht mehr gesehen. Früh musste er aus dem Haus. Mit siebenundzwanzig heiratete sie. Am 1. April 1888 kam ihr erstes gemeinsames Kind zur Welt, Otto. Im Abstand von zwei Jahren gebar sie die übrigen: Ida, Minna, Wilhelm, Heinrich, Emma und Richard. Und nun? Was dies wohl wird? Eigentlich schon peinlich, in ihrem Alter. Sie schreit nach der Hebamme, denn die Wehen haben eingesetzt. Ja, ja. Sie kommt gleich. Dann geht es schnell. Das Kind ist winzig. „Ne lütte Diern! (Ein kleines Mädchen)“, sagt die Hebamme. Aber ihre Stimme klingt irgendwie anders als sonst, während sie das Kind wäscht und ihm den Klaps auf den Po verpasst. Sie muss kräftiger zulangen, bis das Würmchen einen zaghaften Laut von sich gibt. „Wies mi de Lütt! (Zeig mir die Kleine)“, sagt die Wöchnerin argwöhnisch. Die Hebamme wickelt ein Leinentuch um den kleinen Leib und reicht das Neugeborene der Mutter. Die seufzt. Wenn das Awmarachen man nicht umsonst war! „Kümmt de dörch? (Kommt sie durch)“ Die Hebamme zuckt die Schultern. „Berrer, se ward gliek döfft (Besser, sie wird gleich getauft).“ Man läuft, den Pastor zu holen. Der ist nicht erreichbar. Dann den Lehrer. Eine Bibel ist im Haus, eine Schüssel Wasser von der Pumpe auch. Es eilt. „Woans sall se heiten (Wie soll sie heißen)?“ „Alma“. Na dann! Die Formalitäten werden schriftlich festgehalten: Am 15. Dezember Anno domini 1902 wurde in Straßen bei Eldena dem Büdner Heinrich Schult und seiner Ehefrau Anna geborene Bergmann ein Mädchen geboren und getauft auf den Namen Alma. Die Einzelheiten - wie die sonstigen Vornamen - kann der Pastor dann später im Kirchenbuch eintragen. Anna Schult atmet auf. Eine Heidin ist die Lütte nun nicht mehr, falls ... Aber allen Unkenrufen zum Trotz zeigt das schwache Kind einen starken Lebenswillen. So hat es mit der offiziellen Taufe Zeit bis zum 5. Januar 1903. Sie erhält die zusätzlichen Namen Johanna und Marie. Sobald Alma laufen kann, wuselt sie um die Mutter herum. Die reagiert genervt: „Gah mi vor de Fäut weg! (Geh mir vor den Füßen weg)“ Aber einmal kommt sie in der Küche doch nicht schnell genug weg und wird verbrüht. Ihr Leben lang wird sie überzeugt sein, dass sie deshalb so dünne Haare hat. Dann läuft sie hinter den Geschwistern her, was ihr auch nicht immer gut bekommt. Am sichersten ist sie noch bei der Oma, an deren Schürzenzipfel sie sich nun hängt. Die Oma ist gäuding zu ihr, warnt sie aber ein bisschen zu viel vor den Gefahren des Lebens. Möchte Alma den Jungen nach in den Wald, heißt es: Dort gibt es Räuber und andere fremde Leute. Wenn die Jungen zur Elde baden gehen, heißt es „Bliew du man bi Oma’n, lat de Jungs man versupen! (Bleib du man bei Oma, lass die Jungs man ersaufen)“ Oder wenn sie auf Bäume klettern und Krähennester ausnehmen: „Lat de man dalplumpsen und sick dat Genick bräken! (Lass die man runterplumpsen und sich das Genick brechen)“ Alleinsein und Dunkelheit geht natürlich gar nicht, da spuken ja die Gespenster rum. Als Alma vier ist, zieht die Familie um nach Eldena auf eine Bauernstelle. Nun sind sie keine Büdner mehr, sondern was viel besseres, nämlich Bauern. Stolz dürfen sie jetzt den „Buernweg“ (Bauernweg) benutzen. Allerdings verschulden sie sich hoch. Die Felder liegen weit auseinder, sind nur zeitraubend zu bewirtschaften. Gespart wird an allem. „Gaud Bodder“ (Gute Butter) kommt nicht auf den Tisch. Dafür Pökelspeckschwarte in Eintopf. Alma schmeckt das so wenig wie ihren Geschwistern. Heimlich steckt sie Schwarten in ihre Schürzentasche oder wirft sie gleich unter den Tisch zu den Hunden, wenn die nicht vorher durch den Befehl „Hunn’n rut!“ (Hunde raus) rausgejagt worden sind. Für Gäste - wenn es denn mal welche gibt - hat die Mutter einen aufmunternden Spruch parat „Esst, leiwe Gäst, schont de Wust und langt äwer den Bodder weg!“ (Esst, liebe Gast, schont die Wurst und langt über die Butter weg) Holzpantoffeln - hölten Tüffel - müssen möglichst lange halten. Wenn es einigermaßen warm ist, heißt es „barst“ (barfuß) lopen. Aber es gibt auch Feste. Weihnachten zum Beispiel. Da schlägt der Vater eine Fichte im Wald, stellt sie in der Stube auf, hängt Äpfel und steckt Kerzen dran. Und wenn die Glocke ertönt, dürfen die Kinder kommen. Alle fassen sich an und wandern um den Tannenbaum, wobei sie Weihnachtslieder singen. Dann dürfen sie ihre Geschenke auswickeln. Bei den Jungen ist es immer ein Pferdegespann, das der Vater geschnitzt hat. Bei den Mädchen eine Puppe mit Lehmkopf, festgenäht in einem Schuhkarton. Immer wieder zur Vorsicht ermahnt, dürfen die Kinder die Festtage über damit spielen, dann wird alles wieder eingesammelt, bis zum nächsten Jahr, wo sich die Zeremonie wiederholt. Als Alma zur Schule kommt, kann sie ganz sicher kein Wort Hochdeutsch (denn das konnten die Kinder der nächsten Generation noch nicht einmal), aber sie kommt gut mit. Es kränkt sie, dass die Kinder ihr „Dickhals!“ nachrufen, denn ihr wächst ein Kropf. Ihr Vater tröstet sie, kauft ihr neue Kleider, die sie dann im Kuhstall auf dem Melkschemel vorführen muss. „Dreih di nochmal!“ (Dreh dich noch mal) heißt es dann, und „Du büst noch de Hübschte von allen!“ Das bringt sie auf den Gedanken, ihre Mutter zu bitten: „Kannst mi nich eins awnähmen laten?“ (Kannst du mich nicht mal fotografieren lassen) „Woans kümmst du up sowat! Dat wier ja rutsmeten Geld! Nu segg mal sülwst: wotau wist du‘n Foto von di hebbn? - „Tau’n Ankieken.“- „Dann kiek man in’n Pisspott, dor kannst du di ok ankieken.“ („Wie kommst du auf so was! Das wäre ja rausgeschmissenes Geld! Nun sag mal selbst: Wozu willst du ein Foto von dir haben?“ - „Zum Angucken.“ „ Dann guck in den Nachttopf, da kannst du dich auch angucken.“)“ Ein knappes Jahrzehnt vor der Jahrhundert-Biographie von Alma, 2004, brachte Siegfried Maaß im BK-Verlag Staßfurt erstmals seine Novelle „Sonntagspredigt oder Heimkehr auf die Insel“ heraus: Brückstedt - eine fiktive Kreisstadt in der realen DDR. Ein alleinstehender Mann beantragt ein Reisevisum, um seine schwer erkrankte Mutter in Westdeutschland besuchen zu dürfen. Das Visum wird ihm verweigert „Wenn Sie wenigstens verheiratet wären“, wird ihm lakonisch erklärt. Aber der Antragsteller ist katholischer Pfarrer Jahre später kann er endlich das Grab seiner Mutter besuchen und zugleich seine jüngere Schwester, die einst mit ihrem Freund nach Westdeutschland floh. Doch sie glaubt nicht, was er ihr berichtet und hält ihm vor, sich zwar um das Seelenheil anderer zu kümmern, aber seiner eigenen Mutter in ihren letzten Stunden nicht beigestanden zu haben. Der schon in der gemeinsamen Kindheit im Elternhaus entstandene Konflikt zwischen den Geschwistern spitzt sich zu; die von einem freudlosen Leben gezeichnete Schwester, vereinsamt und dem Alkohol zugeneigt, bietet keine Chance zu einem geschwisterlichen Ausgleich. Enttäuscht und mit sich selbst unzufrieden und sich zugleich seines Anteils an dem endgültigen Bruch mit seiner Schwester bewusst, verlässt der Pfarrer vorzeitig den Wohnort seiner Schwester. Während der nächtlichen Bahnfahrt begegnet er einer schwarz gekleideten Dame, die sich auf dem Weg nach Brückstedt zur Beerdigung ihrer Mutter befindet. Es ist die ehemalige Polizistin, die damals zu ihm gesagt hatte: „Wenn Sie wenigstens verheiratet wären ...“ Eine scheinbar ganz private Geschichte mit einem politischen Hintergrund, vor dem sich der Konflikt von einst zu einem ganz aktuellen ausweitet und seine Konsequenzen fordert. Hören wir den Anfang dessen, was der alleinstehende Pfarrer berichtet: „Gestern bin ich aus S. zurückgekehrt. Einen Tag früher als beabsichtigt. Ich glaube, niemals zuvor hatte ich eine solche Erleichterung bei der Heimkehr von einer Reise empfunden. Als wäre ich auf der Flucht gewesen und endlich an einem sicheren Ort angekommen. Den sicheren, mir gut bekannten Ort hatte ich wirklich erreicht. Aber war ich vor Marie, meiner Schwester, tatsächlich geflohen? Oder gar vor Lydia? Ich wusste es nicht und wollte jetzt auch nicht darüber nachdenken. Während der ganzen langen Fahrt hatte mich kaum etwas anderes beschäftigt als mein Verhältnis zu meiner Schwester Marie. Wäre nicht die schwarz gekleidete Frau mit dem Schleier vor ihrem Gesicht zu mir ins Abteil gekommen, hätte ich wahrscheinlich noch während der Fahrt etwas Abstand gewonnen und auch etwas schlafen können. Doch ohne Marie zu kennen und von unserer gestörten Beziehung zu wissen oder auch nur zu ahnen, auf welche Weise ich meine Schwester verlassen hatte, lenkte sie meine Gedanken ungewollt in die entgegengesetzte Richtung unserer Fahrt – nämlich zurück zu Marie und damit auch in jene Zonen meines Bewusstseins, die ich gern endgültig hinter mir lassen wollte. Erst nachdem sich unsere Wege getrennt hatten, gelang es mir, ruhiger zu werden und mich auf meine Heimkehr zu freuen. Durch keine weiteren belastenden Überlegungen wollte ich meine Freude trüben lassen. Auf dem Markt unserer kleinen Stadt verließ ich den Bus, mit dem ich aus unserer Kreisstadt gekommen war. Es erschien mir als glücklicher Zufall, dass er abfahrbereit am Bahnhof gestanden hatte, als ich die Stufen hinab stieg und schwer an meinem Koffer schleppte. Auf diese Weise entging ich der Entscheidung, mit einer Taxe fahren zu müssen, was für mich eine verschwenderische Ausgabe bedeutet hätte. Vom Busfenster aus beobachtete ich meine ungebetene Reisegefährtin, von der ich mich bereits im Zug verabschiedet hatte. Flüchtig genug, um erkennen zu lassen, dass meinerseits kein weiterer Gesprächsbedarf bestand. Jedoch ausreichend beherrscht, um nicht als unfreundlicher und nachtragender Schwarzkittel, der einmal erlittenes Unrecht nicht verzeihen kann, in Verruf zu geraten. Offenbar war sie bereits am Bahnsteig von ihrem Bruder in Empfang genommen worden; eindringlich, als wäre es von besonderer Bedeutung, hatte sie mich wissen lassen, dass er sie abholen wolle. Mit einem großen, kräftig wirkenden Mann sah ich sie aus dem Bahnhofsportal heraustreten. Er trug einen dunklen Anzug und eine schwarze Krawatte auf weißem Hemd. Den Koffer seiner Besucherin behandelte er, als sei er völlig leer und wechselte ihn leichthändig und schwungvoll auf die andere Seite, um seine Schwester mit der rechten Hand unterfassen zu können. Noch bevor mein Bus abgefahren war, hatten die beiden mit einem Taxi bereits den Bahnhofsvorplatz verlassen. Für die etwa zwanzig Minuten währende Fahrt bis Burghausen richtete ich mich auf meinem Platz so bequem wie möglich ein. Von der langen Bahnfahrt schmerzte mich jede Faser meines Körpers. Am liebsten wäre ich im Mittelgang auf- und abgelaufen, unterließ es jedoch der anderen Fahrgäste wegen. Vielleicht konnte ich mich am Nachmittag mit Gartenarbeit wieder etwas in Schwung bringen. Doch mit dieser stillen Hoffnung betrog ich mich selbst. Auf meinem Schreibtisch würde ein Berg Arbeit auf mich warten. Und auch meine Sonntagspredigt schrieb sich nicht allein. Zu dieser Stunde war der Bus aus der Kreisstadt nahezu leer. Nur einige Frauen fuhren mit mir, die mich beim Einsteigen erstaunt angesehen hatten. Sie arbeiten als Kassiererinnen in unserem ländlichen Supermarkt. Auf der Rückfahrt würde der Bus gut besetzt sein, weil viele Pendler in die Kreisstadt fahren. Obwohl mir die Augen zufallen wollten, blickte ich während der Fahrt aus dem Fenster. In der waldlosen und flachen Landschaft, in der Fremde kaum Sehenswertes entdecken können, fühlte ich mich sofort wieder heimisch. Seit meiner Kindheit bin ich es gewöhnt, weit ins Land blicken zu können und kann Gebirge kaum länger als eine Urlaubswoche ertragen - schon bald spüre ich dann Beklemmungen, fühle mich eingezwängt und sehne mich nach der Ebene zurück. Ähnlich erging es mir auch in S. Eingebettet in einen Talkessel, der von dichten Wäldern umgeben ist, erlaubt die Stadt keinen Blickkontakt mit dem Horizont. Lediglich vom Schloss aus, dem höchsten Punkt der Stadt, kann man über die Wipfel hinwegsehen. Aus dem Bus heraus erkannte ich nun die Turmspitzen der beiden Burghausener Kirchen, die mir stets wie ungleiche Geschwister erschienen. Hoch aufragend und erhaben der Turm der evangelischen St. Petrikirche, eines romanischen Bauwerks, mit dem nicht allein die Gemeinde, sondern auch die Stadt renommiert. Dagegen der kurze, gedrungene Turm „meiner“ Kirche - als stünde sie, schlicht und unansehnlich, ganz im Schatten der anderen. Dennoch erkannte ich auch „meinen“ Turm, dessen Schieferdach sich im Maimorgenlicht dunkel abhob. Von diesem Augenblick an konnte ich es kaum erwarten, endlich mein Ziel zu erreichen. Außerdem war ich neugierig zu sehen, wie Juliane auf meine verfrühte und damit unerwartete Ankunft reagierte.“ Erstmals 2013 veröffentlichte die EDITION digital die 2., überarbeitete Auflage des 11. Teils der nur als E-Books erscheinenden Zeitreisenden-Reihe von Hardy Manthey. Der Titel des fantastischen Romans lautet „Zum Ursprung – 15 000 Jahre zurück“: Ein Leben voller Abenteuer liegt hinter unserer Zeitreisenden. Was musste Maria Lindström, die sich selbst stolz Aphrodite nennt, nicht alles überstehen! Auf dem Flug zum Pluto wurde sie ohne ihre Zustimmung als Versuchsperson benutzt und unfreiwillig schwanger. Das war aber nur der Anfang einer langen Leidensgeschichte. Der Sturz durch Raum und Zeit in die Vergangenheit sollte die Leidensfähigkeit der Zeitreisenden auf eine harte Probe stellen. Ihr Schicksal in der Sklaverei und ihre erzwungenen Hurendienste sind für sie unvergessene traumatische Erlebnisse. Es war ein ewiger Überlebenskampf, der sie tief in ihrem Herzen geprägt und für immer geformt hat. Dass sie später zu Macht und großem Reichtum gelangte, hat daran nichts geändert. Am Ende blieb ihr nur die Flucht. Ihr Leben danach auf dem Planeten der Frauen war ebenso spektakulär. Vielleicht hat sie es aber doch geschafft, dort das Rad der Geschichte ein Stück weiter zu drehen. Die Abenteuer in der Zukunft hätten sie beinahe das Leben gekostet. Doch ihr Wirken hat auch dort für ein Umdenken gesorgt und die Macht der Unsterblichen für immer gebrochen. Zurück in ihre Welt, die Welt des 23.Jahrhunderts, war ebenfalls kein Spaziergang. Die Freude, Bruder und Schwester zu sehen, wurde schnell von dunklen Machenschaften verschiedener Kreise getrübt. Für den Entschluss, zurück in die antike Zeit zu reisen, wurde sie nicht belohnt. Das Land der Pharaonen wollte sie ebenfalls nicht haben. Nun soll sie den Kampf gegen außerirdische Zivilisationen in einer fernen Vergangenheit, in der Steinzeit, aufnehmen. Wird ihr das gelingen? Zunächst einmal aber lernen wir am Anfang des Buches Aphrodite in all ihrer weiblichen Schönheit kennen, die durch keinerlei Kleidung verhüllt wird – gänzlich nackt: „Aphrodite schlägt die Augen auf und sieht, wie sich der Sarkophag gerade öffnet. Wie gewohnt steigt sie aus und streift sich dabei mit den Händen den letzten Rest der grünen Flüssigkeit vom Körper. Dabei stellt sie überrascht fest, dass sie nicht die geringsten Spuren der Schwangerschaften und der Geburt der beiden Kinder an sich erkennen kann. Sie hatte sich damit abgefunden, dass eine hässliche Narbe vom Kaiserschnitt zurückbleibt. Doch ihr Körper erscheint perfekter denn je. Sind auf Wunsch der Männer ihre Brüste noch größer geworden? Nicht dass die Brüste ihr jetzt zur Last werden! Die Männer sind mit ihren Fantasien scheinbar maßlos geworden. Sie denken nicht daran, dass zu viel des Guten für eine Frau zu einer echten Belastung werden kann. Am Po hat sie auch zugelegt. Oder war sie schon immer so gebaut? Was solls, sie muss sich nehmen, wie sie eben ist. Sie schaut sich um. Überrascht stellt sie fest, dass die Sarkophage auf der anderen Seite auch schon offen sind. Hat sie etwas verpasst? Wo sind die Kinder? Sie hört eine unbekannte tiefe Stimme hinter sich sagen: „Hallo, Mutter. Wie geht es dir? Bist du wohlauf?“ Aphrodite dreht sich um und sieht einen jungen Mann vor sich stehen. Der hübsche schlanke junge Mann trägt eine Kombination aus einem silbrig schimmernden Stoff. Er hat einen prächtigen schwarzen Lockenkopf und strahlend blaue Augen. Aphrodite weiß, es sind ihre Augen, die sie ihrem Sohn mitgegeben hat. Der junge Mann vor ihr hat sehr viel Ähnlichkeit mit ihren anderen Söhnen. Nur hat dieser pechschwarzes Haar und scheint auch größer als ihre Söhne Alexander und Adam zu sein. Woher er wohl die schwarzen Haare haben könnte? Aber der junge Mann gefällt ihr auf den ersten Blick und darum sagt sie: „Hallo, Söhnchen! Hallo, Marotti! Du siehst gut aus. Wie geht es dir? Komm zu deiner Mama und lass dich umarmen!“ Jetzt geht sie auf ihren Sohn zu. Auch er kommt ihr entgegen und schaut sie dabei nur so komisch an. Aphrodite drückt ihn fest an ihre Brust. Sie spürt es jetzt ganz deutlich, das ist ihr Sohn. Plötzlich wird Aphrodite bewusst, dass sie immer noch völlig nackt ist. Aha, darum hat ihr Söhnchen so komisch geguckt. Er ist mein Kind, er darf mich so sehen, entschuldigte sie sich und genießt die Nähe des jungen Mannes. Der junge Marotti bekommt einen roten Kopf, ihm gefällt aber auch spürbar ihre innige Umarmung und er sagt: „Mutter, du bist einfach nur umwerfend. Du fühlst dich richtig gut an. Alles an dir ist so herrlich weich und warm. Jetzt begreife ich, warum Männer in deiner Nähe den Verstand verlieren.“ Er löst sich zaghaft von ihr. „Aber du solltest erst einmal unter die Dusche gehen und dir dann etwas anziehen. Auch wenn du meine Mutter bist, bleibst du immer noch eine wahnsinnig schöne Frau. So eine schöne Frau, wie du es nun mal bist, darf nicht völlig nackt vor einem Mann herumlaufen. Du bist Verlockung und Lust pur. Auch oder gerade deshalb solltest du deinen Sohn nicht so sehr verwirren!“ „Ach, neuerdings stört es dich, wenn ich nackt vor dir herumlaufe? Ja, ich sehe es jetzt auch, du bist ein richtiger Mann geworden!“, sagt Aphrodite spöttisch, löst sich ganz von ihrem Sohn und geht unter die Dusche, die wie aus dem Nichts aus der Wand kommt. Sie genießt die Dusche und seift sich extra ein. Ihr Sohn: „Soll ich dir den Rücken einseifen?“ „Das wäre lieb von dir, mein Sohn, ich meine Marotti!“, sagt sie und hält ihm schon ihren Rücken hin. Mit viel Gefühl wird jetzt ihr Rücken eingeseift. An ihren Po traut er sich aber nicht heran. Aphrodite genießt seine sanften Hände. Nach der Dusche stellt sie wie immer die Luftdusche an. Der angenehm warme Luftstrom duftet nach Kräutern, die in den Bergen Siziliens gedeihen. Mit geschlossenen Augen glaubt sie, in ihrem Palast in Syrakus zu stehen. Für einen kleinen Moment fühlt sie sich gar ins antike Syrakus zurückversetzt. Doch die Illusion ist nur von kurzer Dauer. Etwas traurig steigt sie aus der Dusche. Ihr Sohn empfängt sie mit einem Tuch und reibt sie jetzt auch sorgfältig ab. Der junge Mann braucht dafür auffallend lange. Er nutzt das Tuch, um seine Mutter gründlich zu erkunden. Man merkt ihm an, dass er mit viel Genuss ihre Rundungen ergründet. Aphrodite nimmt es locker und genießt seine Aufmerksamkeit. Plötzlich fühlt er sich ertappt und reicht Aphrodite, verlegen geworden, das Tuch: „Mutter, du bist wirklich eine schöne Frau!“ „Für deine Gefühle brauchst du dich nicht zu schämen. Dass eine Frau bei einem Mann allein durch ihre Erscheinung, ihre Anwesenheit Gefühle auslöst, ihn erregen kann, ist etwas ganz Natürliches. Für dich, der solange körperlos gelebt hat, ist es etwas Neues. Du musst lernen, damit umzugehen. Jeder Mann muss lernen, seine Gefühle zu kontrollieren und sich nicht wie ein Tier, nur vom Trieb gesteuert, auf die Frau, das Lustobjekt in seinen Augen, zu stürzen. So wie ich jetzt aussehe und beschaffen bin, das habe ich euren Künsten zu verdanken. Ich bin euer Fantasieprodukt. Ihr wolltet es doch so, dass ich als Frau mit allen weiblichen Attributen üppig ausgestattet werde. Die Macht, die ihr über mich habt, hat das möglich werden lassen. Oder irre ich mich?“, behauptet Aphrodite. Sie weiß nicht, ob es wirklich so gut ist, Produkt ausufernder Männerfantasien zu sein. Sie ist es, die mit diesem Körper leben muss.“ Erstmals 2003 veröffentlichte ein Nikolai Bachnow bei der bei LeiV Buchhandels- und Verlagsanstalt als Band 8 Aljonna und Klaus Möckel „Das gestohlene Tierreich“: Etwas Unvorstellbares passiert im Zauberland: das Tierreich mitsamt seinem König, dem Tapferen Löwen, wird gestohlen. Ein Riese streut Schrumpfpulver über dem Wald aus, so dass Bäume und Sträucher, aber auch die Tiere um ein Vielfaches kleiner werden. Dann rollt er alles wie einen Teppich zusammen und schleppt es als Spielzeug für seine Kinder in die Berge. Das Unglück könnte nicht schlimmer sein! Während die Tiere größte Mühe haben, sich an ihre neue Lage anzupassen, stehen der Scheuch, Betty, Jessica und andere, die ein Waldfest besuchen wollten, dem Ereignis fassungslos gegenüber. Sie nehmen die Spur des Riesen auf, doch wie sollen sie helfen? Wieder einmal müssen sie unerwartete Hindernisse überwinden, gefährliche Abenteuer bestehen. Sie geraten in die Fänge doppelköpfiger Geier und Jessica mit Betty sogar in die Gefangenschaft des Riesenmädchens Bomm. Doch mit Hilfe eines Steinbocks und eines klugen Marabus gelangen sie schließlich ans Ziel. Gemeinsam mit den Tieren kann letztendlich die schwierige Aufgabe der Rückverwandlung in Angriff genommen werden. „Mit dem letzten Band der Reihe beweist Nikolai Bachnow noch einmal, zu welch fantastischen Ideen er fähig ist. Die Geschichte vom Tierreich ist toll und macht dieses Märchen zu etwas ganz Besonderem“, hieß es in einer begeisterten Rezension von Karolin Kullmann. Dieses Buch, 2003 bei LeiV (Leipzig) mit Illustrationen von Hans-Eberhard Ernst schienen, ist das achte von mehreren Büchern, die an die bekannte Reihe des Russen Alexander Wolkow anschließen. „Endlich befindet man sich wieder in Gefilden, die nicht mehr futuristisch oder abstrakt anmuten", lobte Kritikerin Karolin Kullmann. Und so geht es los: „Erster Teil: Das unheilvolle Pulver Der Riese Ein dumpfes Geräusch ertönte in der Ferne, ein Stampfen, das sich wiederholte und immer lauter wurde. Der Tapfere Löwe, Herrscher des mitten im großen Zauberland gelegenen Tierreichs, hob den Kopf. Er hatte nach einem ausgezeichneten Mahl am Fuße seiner Felsenburg in der warmen Mittagssonne gedöst, doch nun wurde er wach. Die Laute waren ungewöhnlich, wenn nicht sogar beunruhigend. Der Hase hoppelte herbei, einer seiner Minister. „Hörst du das Trampeln, Herr?“, rief er aufgeregt. „Es scheint näher zu kommen. Was mag das sein?“ Der Löwe erhob sich. „Das möchte ich auch gern wissen. Ganz schön unverschämt, so unsere Mittagsruhe zu stören.“ Er gähnte. Das Geräusch verstummte, erscholl aber nach einigen Minuten erneut und noch stärker. Ein Trapsen wie von Riesenstiefeln, die Gehölz niederwalzten, Baumstämme zerbrachen. Dem Hasen zitterten vor Angst die Pfoten, der Puschelschwanz und die langen Löffel. „Das klingt wie ein Schritt. Als stapfte ein Riese heran!“ „Ein Riese bei uns? Bist du noch bei Verstand? Wo soll der herkommen?“ Inzwischen flatterten erschrocken Vögel durch die Luft, verkrochen sich in ihren Nestern und Baumhöhlen. Wildschweine, Füchse, Rehe flüchteten ins Unterholz. Nun waren die Schritte schon ganz nahe. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, jagte der Hase davon, verschwand in seinem Bau. Der Löwe dagegen stieß ein wütendes Gebrüll aus. Er würde es dem Eindringling zeigen. Doch er kam nicht dazu, den Feind ins Auge zu fassen. Ein Schatten verdunkelte die Sonne, eine Schuhsohle, fast so groß wie der Vierbeiner selbst, senkte sich auf ihn herab, so dass er mit einem jähen Satz zur Seite springen musste, wenn er nicht zertreten werden wollte. An der Stelle, wo er gerade noch gestanden hatte, wurden ein Strauch zermalmt, ein paar mächtige Steine in den Boden gedrückt, als sei der aus Wachs. Eine Stimme, die das Löwengebrüll um ein Vielfaches übertönte, sagte dröhnend: „Das ist lustig. Das wird den Kleinen gefallen.“ „Wer bist du? Wer ist das, die Kleinen? Was soll ihnen gefallen?“, wollte der König des Tierreichs fragen, verstummte aber bereits nach den ersten Worten. Der Kerl, der wie ein Turm vor ihm stand, griff nämlich in einen Sack und streute mit weitem Schwung, so als säe er Korn aus, ein graues Pulver in die Gegend. Über die Wälder, die Wiesen, die Tiere und Vögel. Der Löwe duckte sich, versuchte auszuweichen – vergebens. Das schrecklich stinkende Zeug rieselte in dichten Schwaden auf ihn, die Pflanzen und Steine ringsum herab. Der hat Schlimmes mit uns vor, will uns vielleicht sogar ersticken, schoss es dem Löwen durch den Kopf. Doch weiter kam er mit seinen Gedanken nicht. Die Beine knickten ihm weg, der Kopf wurde schwer, die Augen fielen ihm zu, und ohne etwas dagegen tun zu können, sank er betäubt zu Boden. Genau wie die anderen Wald-, Sumpf- und Steppenbewohner, die Vierbeiner und Vögel, die Schlangen, Echsen und Lurche. Selbst wenn sie sich gerade in ihren Höhlen aufhielten oder in letzter Minute dorthin geflohen waren, konnten sie nicht entrinnen. Das Pulver und sein beißender Geruch verbreiteten sich überall, drangen in jedes Loch, jede Ritze. Höchstens trat die Wirkung manchmal später ein, war ein bisschen schwächer. Auf jeden Fall aber reichte sie aus, den Tieren das Bewusstsein zu nehmen, so dass sie stumm dalagen, sich nicht mehr regen und keinen Laut mehr von sich geben konnten. Aber noch etwas anderes, ganz Eigenartiges geschah! Es betraf neben Tieren und Vögeln auch die Bäume, Büsche, Pflanzen und sogar die Steine. Niemand außer dem Kerl, der das Pulver verstreut hatte, bemerkte anfangs die Veränderung, dämmerten doch alle in tiefer Benommenheit dahin. Und selbst als der Löwe wieder zu sich kam, begriff er die neue Lage nicht. Um ihn herum war es stockfinster, er fühlte sich eingequetscht, der Boden unter ihm schwankte und es kam ihm vor, als trüge man ihn davon. Ich bin in einen großen Teppich eingerollt, dachte er, der Riese hat mich betäubt und ein Tuch um mich geschlagen, er will mich in seine Höhle schleppen, vielleicht um mich am Spieß zu rösten. Ich muss mich unbedingt befreien. Nach und nach gelang es dem Vierbeiner, sich etwas Raum zu verschaffen. Er streckte die Pfoten aus und kroch langsam ins tiefe Dunkel hinein - er sah nirgends Licht. Nein, da war nicht bloß eine Decke um ihn und allein war er hier auch keineswegs: Er stieß auf Steine, Gesträuch, Bäume, genau wie bei sich zu Hause. Vögel flatterten vor ihm auf und ein Reh sprang über moderndes Holz. Denn in Wirklichkeit hatte der Riese nicht nur ihn, sondern den ganzen Wald eingepackt. Als Spielzeug für seine Zwillinge. Er beherrschte einige Zaubertricks und hatte das Pulver so zusammengemixt, dass alle Lebewesen und Gegenstände auf eine ihm genehme Größe schrumpften. Zufrieden hatte er zugeschaut, wie das gesamte Tierreich unter ihm kleiner und kleiner wurde, bis es sich nur noch als großer grüner Teppich darbot. Mit groben Händen hatte er diesen Teppich vom steinigen Untergrund gelöst und ihn mit allem, was darauf wuchs, fleuchte oder kreuchte, zu einer riesigen Rolle geformt. Ähnlich wie man den Kunstrasen in einem Fußballstadion zusammenwickelt. Dann hatte er den Packen unter den Arm genommen und war davongestapft, auf sein weit entferntes heimatliches Tal zu.“ Nun wird es aber wirklich Zeit, die Identität von Nikolai Bachnow zu klären, des würdigen Nachfolgers und kräftig-in-die-Fußstapfen-Treters von Alexander Wolkow. Allerdings gibt es gar keinen Nikolai Bachnow – jedenfalls nicht einen einzigen, sondern gewissermaßen zwei. Lassen Sie mich dazu der Einfachheit und Bequemlichkeit halber das komplette Vorwort zu dem gerade vorgestellten Band 8 der Nikolai-Bachnow-Bücher „Das gestohlene Tierreich“ zitieren: „Als Alexander Wolkow Mitte des vorigen Jahrhunderts seine Bücher über das Zauberland jenseits der Weltumspannenden Berge veröffentlichte, in denen er sich am berühmten „Zauberer von Oz“ des Amerikaners Lyman Frank Baum orientierte, konnte er nicht ahnen, welchen Erfolg er damit haben würde. Nicht nur in der damaligen Sowjetunion fanden die Geschichten vom Mädchen Elli, dem Weisen Scheuch, dem Tapferen Löwen und dem Eisernen Holzfäller zahlreiche Leser, sie wurden auch in viele Sprachen übersetzt. In der DDR wuchsen Generationen von Kindern mit den sympathischen Helden auf, und die Wolkow-Bücher überlebten schließlich sogar die Wende. 1992 wurde der „Zauberer der Smaragdenstadt“ im LeiV Verlag Leipzig neu herausgebracht und stand, genau wie einige weitere Bücher der Märchenreihe, in den Bestsellerlisten für Kinderliteratur lange an vorderster Stelle. Es ist nicht erstaunlich, dass sich in Russland und anderswo bald Autoren fanden, die an diesen Erfolg anknüpfen wollten. Nach einigen Experimenten mit russischen Schriftstellern, die, den neuen Zeiten Rechnung tragend, die Wolkowschen Gestalten zum Teil auf ferne Atolle und ins Weltall schickten, kam der Verlag auf die Idee, wieder die ursprüngliche Wirkungsstätte in den Mittelpunkt zu rücken. Klaus und Aljonna Möckel, die sich als Schriftsteller bzw. Übersetzerin in der DDR einen Namen gemacht hatten, übernahmen unter dem Pseudonym Nikolai Bachnow (Nikolai als russische Version von Klaus; Bachnow nach dem Mädchennamen Bach der Übersetzerin), die Aufgabe, weitere Geschichten für die sympathischen Helden zu erfinden. Natürlich sollten die Leser – Kinder und Erwachsene, die diese Bücher früher verschlungen und inzwischen selbst Kinder hatten - den Bezug zum bisherigen Geschehen herstellen bzw. den Übergang nachvollziehen können. Neue Gestalten waren schon in den letzten Wolkow-Bänden aufgetaucht, Söhne und Nichten der ursprünglichen Heldin Elli bestanden gefahrvolle Abenteuer, und in drei Bänden des Nachfolge-Autors Kusnezow wirkten weitere Helden mit. Doch das ursprüngliche Zauberland rückte dadurch in den Hintergrund, war kaum noch fassbar, das Geschehen oft verwirrend und zu abstrakt dargestellt. Um diese Situation, die von vielen Lesern als unglücklich empfunden wurde, zu beenden und gleichzeitig die wichtigsten Verbindungen fortzuführen, konzentrierten sich Aljonna und Klaus Möckel erneut auf die Grundzüge der Zauberland-Serie. Sie hielten, zumindest in den ersten Bänden, an einigen der neueren Figuren wie dem Kapitän Charlie oder Chris Tall, Ellis Sohn, fest, stellten aber die vertrauten Gestalten wieder mehr ins Zentrum. Mit der Zeit formte sich ein neues Ensemble, in dem neben dem Scheuch, dem Löwen und dem Holzfäller besonders Goodwins Enkelin Jessica und die Puppe Prinzessin Betty, die der Scheuch zur Frau genommen hatte, herausragten, zu dem aber auch witzige Gestalten wie der Hobbyzauberer Pet Riva, die starke Spinne Minni oder der schlaue Mäuserich Larry Katzenschreck gehörten. 1996 kam es zur Veröffentlichung des ersten Bachnow/Möckel-Bandes „In den Fängen des Seemonsters“, in dem sich die Bewohner des Zauberlandes mit einer Verschmutzung im Muschelmeer, dem Reich der Fee Belldora, auseinandersetzen müssen. „Manches hat sich im Zauberland verändert“, schrieb seinerzeit die Kritikerin Karolin Kullmann im Internet, „aber dennoch hat man von der ersten Seite an das Gefühl, wieder im wundervollen Märchenreich zu sein ... Mit dem Autor Nikolai Bachnow, der von nun an das Schreiben neuer Geschichten übernimmt, hat die Reihe viel dazu gewonnen.“ Und die Rezensentin, die auch zu den späteren Büchern Kritiken verfasste, sprach am Ende die Hoffnung aus, „dass auch die Nachfolger mithalten können“. Von dem Autorenpaar entstanden in den Jahren 1996 bis 2003 acht Bände, die nun auch digital vorliegen. Aljonna und Klaus Möckel hatten sich vorgenommen, gut verständlich, spannend, mit Fantasie und Humor zu erzählen, so wie es für Kinder (und Erwachsene) sein sollte. Der Leser mag nun selbst urteilen, ob sich die Hoffnung der Kritikerin erfüllt hat.“ So, das war jetzt vielleicht ein bisschen ausführlich. Aber nun ist hoffentlich alles ge- und erklärt. Und es bleibt nur noch die bekannte Schlussformel unserer wöchentlichen Newsletter mit den aktuellen Deals der Woche der EDITION aus Godern nahe der Landeshauptstadt Schwerin: Viel Spaß beim Lesen und bis demnächst. Weitere Informationen und Angaben finden Sie unter http://www.prseiten.de/pressefach/edition-digital/news/3909 sowie http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/. Über EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr: EDITION digital wurde 1994 gegründet und gibt neben E-Books (vorwiegend von ehemaligen DDR-Autoren) Kinderbücher, Krimis, historische Romane, Fantasy, Zeitzeugenberichte und Sachbücher (NVA-, DDR-Geschichte) heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen sowie Belletristik und Sachbücher über Mecklenburg-Vorpommern. Firmenkontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr Godern Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/ Pressekontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Gisela Pekrul Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://www.edition-digital.de
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Das geheime Wissen der Huren, merkwürdiges Verhalten einer Schauspielerin und das Orangerot des Müllautos – Drei E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis sowie zwei Superpreis-Angebote für nur jeweils 99 Cents
Was würden Sie dafür geben, könnten Sie durch die Zeiten reisen? Was wäre Ihnen die Chance wert? Und ganz ehrlich, würden Sie dieses Experiment wirklich wollen? Wie es zumindest in der Literatur funktionieren kann, das zeigt Hardy Manthey in seiner erfolgreichen, inzwischen auf insgesamt 16 Teile angewachsenen und nur als E-Books erschienenen Reihe „Die Zeitreisende“. Deren zehnter Teil ist der erste der drei Deals der Woche, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 02.02.18 – Freitag, 09.02.18) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind. Diesmal befindet sich Aphrodite, seine Zeitreisende, im Land der Pharaonen. Ägypten ist ein Sehnsuchtsort auch von Hardy Manthey selbst. Um die möglicherweise übertriebene Leidenschaft zu einem Beruf und deren Folgen geht es in dem Roman „Die Axt der Amazonen. Eine Penthesilea-Modifikation in Prosa“ von Wolfgang Licht. Zur Bekanntschaft mit einem höchst merkwürdigen Menschen und seinen Versuchen, die Welt zu retten, lädt Waldtraut Lewin in ihrem Märchen vom Eis und vom Feuer „Der Sohn des Adlers, des Müllmanns und der hässlichsten Frau der Welt“ ein. Und vielleicht ist die Welt doch noch nicht verloren? Außerdem sind in dieser Woche zwei E-Books von Ulrich Hinse und von Klaus Möckel für eine Woche zum Superpreis von nur jeweils 99 Cents zu haben. Mehr dazu am Ende dieser Ausgabe. Erstmals 2017 erschien bei der EDITION digital als E-Book unter dem Titel „Im Land der Pharaonen“ als 10. Teil der Reihe „Die Zeitreisende“ von Hardy Manthey – übrigens in 2., stark überarbeiteter Auflage: Hat die Zeitreisende Aphrodite das Ziel ihrer Träume und Sehnsüchte erreicht? Über ein Jahrzehnt lebte sie glücklich an der Seite ihres Mannes. Es waren die schönsten Jahre ihres Lebens. Sie ist in dieser Zeit dreimal Oma geworden. Mit ihrem Wissen und ihrem Geld rettete sie unzähligen Kranken das Leben. Sie baute für die Armen der Stadt und besonders für Frauen ein soziales Netz auf und förderte die gegenseitige Hilfe der Frauen. Sie weckte bei ihnen das Bewusstsein dafür, sich aus eigener Kraft untereinander helfen zu können. Mit ihren Mitteln wurde das modernste Krankenhaus ihrer Zeit errichtet. Heiler aus allen Winkeln des Reiches eilten herbei und tauschten ihr Wissen mit Aphrodite aus. Reiche Römer stifteten gern Geld für ihre Einrichtungen, um ihren Reichtum zu demonstrieren. Aphrodites Macht und ihr Einfluss auf das römische Reich erreichten ihren Höhepunkt. Nach dem Tod ihres Mannes konnte sie sich vor Anträgen der reichsten und mächtigsten Männer kaum retten. Doch für sie gab es nur einen Mann, den sie auch über seinen Tod hinaus liebte. Er würde immer bei ihr sein. Die Zeitreisende hat nur ein Problem: Die geliebten Menschen um sie herum altern, sie aber nicht. Ihre Tochter kann man inzwischen für ihre Mutter halten. Sie muss eine Entscheidung treffen. Wie es weitergeht, erfahren Sie in diesem Teil. Sie erlebt wieder unglaublich spannende Abenteuer und meistert sie exzellent im Ägypten zur Zeit von Ptolemäus X. Alexander I. Der Autor hat mit der 2. Auflage sein Erstlingswerk sehr stark überarbeitet und die kritischen, trotzdem begeisterten Hinweise berücksichtigt. Wir treffen eine nachdenkliche Aphrodite zunächst am Strand: „Syrakus – 20 Jahre später Feuerrote Wolken am Horizont kündigen die Sonne an. Nur wenige Augenblicke noch, dann steigt die Sonne aus dem Meer. Ein besonders heißer Tag kann es auch heute wieder werden. Der milde schwache Wind von der See her und die Stille will Aphrodite heute besonders ausgiebig genießen. Schlafwandlerisch findet Hengst Tachos den Weg zum Strand, findet ihren gemeinsamen Platz, wo Aphrodite zum Baden und zum Meditieren jeden Tag die Sonne begrüßt. Ein Platz am Meer, der scheinbar nur ihr vorbehalten ist. Doch Aphrodite weiß, die Menschen der Antike haben nicht die Muße für Erholung und Entspannung am Meer. Für die meisten Menschen hier hat das Meer etwas Bedrohliches. Nur die wagemutigsten Männer trauen sich auf das offene Meer hinaus. So kann Aphrodite sicher sein, dass auch heute an diesem frühen Morgen der Strand nur für sie alleine da sein wird. Nur die Fischer werden sie vielleicht sehen, wie sie nackt in die Fluten steigt. Volle Netze sind ihnen so sicher, glauben die Fischer bis heute. Aphrodite will nach dieser wilden Nacht in ihrer Villa im Meer endlich wieder einen klaren Kopf bekommen. Sie springt vom Pferd und setzt sich erst einmal auf einen der großen Steine am Wasser. Ruhe suchend blickt sie der aufgehenden Sonne entgegen. Es ist ein erhabener Moment, wo Sonne und Meer vereint scheinen. Hier findet Aphrodite wieder die Kraft für den neuen Tag. Es ist auch der Moment, wo die fliehende Nacht dem neuen Tag einen letzten Gruß schickt und der Himmel sich wie zum Dank in den schönsten Farben zeigt. Hier findet sie den nötigen Abstand von allem, was sie sonst so belastet. Sie muss über vieles nachdenken. Viel muss neu überdacht und neu entschieden werden, ist ihr längst klar geworden. So kann es jedenfalls nicht mehr weitergehen. Ihre kleine heile Welt hat einen gewaltigen Riss bekommen. Es war gestern wieder einer der Festtage, die sie lieber ganz schnell vergessen möchte. Alles artete aus und steigerte sich schon ins makaber Absurde. Ihre Tochter Mira mittendrin. Das alles nur, weil ausgerechnet Mira nicht verhüten will. Aphrodite kann das überhaupt nicht verstehen. Zum Glück kennt und hat sie die Mittel, eine Schwangerschaft zu verhindern. Und das zu einer Zeit, wo die Frau es hinnehmen muss, jedes Jahr schwanger zu werden, nur weil sie dem Trieb der Männer nichts entgegensetzen kann. Eine Frau, die es wagt, sich dem Mann zu verweigern, darf hart bestraft werden. So ist es der unumstößliche Wille der Götter. Daran ändert sich auch nichts, wenn Jesus oder der Prophet Mohamed das alte Weltbild der Götter für immer aus den Angeln heben werden. Für Frauen kommt es dann knüppeldick und sie dürfen dann nur noch zu ihrem Mann aufschauen und ihn wie einen Gott anbeten. Ein Jahrhundert trennt sie zu ihrem Glück noch von dieser für Frauen schrecklichen Zeit. Nur sie, die göttliche Aphrodite, hat die schützende Pille und ihre Tochter, die dumme Kuh, will sie nicht nehmen. Dabei müssen die Frauen noch zweitausend Jahre auf diese Wunderpille warten. Doch Mira lehnt jede Art von Verhütungsmitteln rundweg ab. Für sie ist jedes Kind ein Geschenk der Götter. Mira hat jetzt schon drei Kinder. Drei Kinder großziehen, das reicht nach Aphrodites Ansicht. Was alle anderen Frauen natürlich ganz anders sehen. Eine Frau mit zehn Kindern ist hier die Regel. Viele schwache oder kranke Kinder lassen aber dann jeder Frau doch nur vier oder fünf Kinder. Miras Kinder, Minoa, Thelema und Perselos sind liebe Kinder, zum Glück gesund und wohlgeraten. Sie haben alle einen anderen Vater. Die fremden Väter werden sie vielleicht in ihrem Leben nie sehen. Mira sucht sich immer nur Männer aus, die zwar potent und gut im Bett sind, aber am Morgen danach auf ein Schiff steigen, um ferne Länder zu bereisen oder in den Krieg zu ziehen. Verrückter noch, Mira hofft scheinbar sogar, dass keiner der Väter jemals wiederkommt. Sie begründet ihre herzlose Entscheidung ausgerechnet mit den leidvollen Erfahrungen ihrer Mutter. Selbst der arme und liebe Titus Anton, der leider viel zu früh verstorben ist, muss dafür herhalten. Die Götter mögen ihr und Mira das vergeben. Gestern Abend hat Mira sich den Mann für das nächste Kind ausgesucht. Sie hat ihm so den Kopf verdreht, dass er blind vor Leidenschaft über sie herfiel. Sie legte es richtig darauf an, dass der Mann, von seinen Trieben geblendet, alles um sich herum vergaß. Sie musste als Mutter mit ansehen, wie ihre Tochter von diesem eingebildeten Ägypter vielleicht wieder geschwängert wurde. So schön für sie auch guter Sex ist, zusehen ist nicht ihr Fall. Der Ägypter zeigte erstaunlich viel Ausdauer. Mira wollte, dass alle Gäste und vor allem die hohen Würdenträger sehen, wer sie dieses Mal schwängert. Aphrodite und fünfzig andere von ihr geladene Gäste schauten dabei zu, wenn sie nicht gerade selbst in gleicher Art und Weise miteinander beschäftigt waren. Dass ihre Tochter das als Hohepriesterin öffentlich tun durfte, nein sogar tun musste, entschuldigt nicht die Entgleisung. So hat sie ihre Tochter nicht erzogen. Auch wenn Mira sich mit ihrem Verhalten gerne auf ihre Mutter beruft. Doch als sie öffentlich von den Männern genommen wurde, war sie im Gegensatz zu ihrer Tochter noch eine rechtlose Sklavin. Nun ja, ein paar Männer waren es dann später auch noch. Mira versteht es als ihr Vorrecht, sich auf diese Art den Vater für ihr Kind zu suchen. Nun behauptete sie letzte Nacht in ihrem Rausch vor allen Gästen, dass sie über eine Schwangerschaft selbst entscheidet. Sie hat damit ein Tabu gebrochen. Über so etwas spricht man einfach nicht, denn die Männer glauben fest daran, dass nur sie alleine darüber entscheiden, wann eine Frau schwanger wird. Das Wissen über die fruchtbaren Tage einer Frau ist hier nur den Huren bekannt. Nur die Priesterinnen, die Hetären und die Huren wissen, wie sie sich vor den Männern schützen können. Die Männer dürfen es niemals erfahren. Ihre heile Welt würde dann untergehen.“ Erstmals 1995 hatte Wolfgang Licht seinen Roman „Die Axt der Amazonen. Eine Penthesilea-Modifikation in Prosa“ bei HAAG + HERCHEN Frankfurt am Main veröffentlicht: Zoe ist eine erfolgreiche Schauspielerin und ihrem Beruf leidenschaftlich verfallen. Ihre Sensibilität ist sowohl Voraussetzung für ihre berufliche Leistung, aber auch schwerwiegendes Hindernis bei der Suche nach persönlichem Glück. Sie leidet unter der Trennung von Erno, dem Vater ihres Sohnes Olaf, dessen Erziehung ihr zu entgleiten droht. Sich der Herausforderung stellend, die Penthesilea zu spielen, verfällt sie dieser Rolle so sehr, dass sie die Grenzen zur Realität nicht mehr wahrnimmt. Schauen wir in die ersten drei Kapitel dieses zwischen Wirklichkeit und (Schau)Spiel changierenden Buches: „Teil 1 1. Kapitel Am Karfreitag betritt die Schauspielerin Zoe, von einer Abendvorstellung im Städtischen Theater kommend, ihre Wohnung in der Westvorstadt. Ihr ist heiß. Sie öffnet ein Fenster im Wohnzimmer, beugt sich weit hinaus, doch die Nachtluft erquickt sie nicht. Sie schließt das Fenster, geht ins Bad, bemüht, die Stelle in der Diele zu umgehen, an der der Fußboden unter ihren Schritten einen knarrenden Laut gibt, von dem Olaf, ihr Kind, in seinem Zimmer, dessen Tür stets offen steht, aufwachen könnte. Im Bad dreht sie den Wasserhahn auf, bildet aus beiden Handtellern eine Mulde, in die sie ihr Gesicht presst. Das treibt sie, bis sich ihre Haut kühl anfühlt und der Druck in ihrem Kopf nachlässt. Sie betritt das schmale Zimmer ihres Sohnes, Ein Lichtstreifen aus der Diele liegt über dem Kinderbett. Sie betrachtet die Umrisse der kleinen, gekrümmt liegenden Gestalt, die sich unter der Zudecke abbildet, die im Schlafe sanften Züge, die wie kleine Fächer aufgebogenen Wimpern über den geschlossenen Augen. Sie atmet seinen Duft, unterdrückt das plötzlich aufschießende Verlangen, das Kind anzufassen. In ihrem Schlafzimmer zieht sie sich um zur Nacht. Doch sie ist noch nicht müde. Eine Weile verharrt sie vor Ernos Bett, das, neben dem ihren stehend, mit einer blauen Seidendecke überzogen ist. Es ist ihr in diesem Augenblick, als berge dieses Bett die Erinnerung an Erno in solch starkem Maße, dass sie die kräftige, untersetzte Gestalt ihres Mannes vor sich zu sehen meint: erdbraune Augen im rötlichen Gesicht, seine ihm wohl unbewusste Bewegung, mit der er eine Haarsträhne aus der Stirn zu streichen versucht. Vor einem Jahr, auf den Tag genau, war er nach einer heftigen Auseinandersetzung aus diesem Zimmer gegangen. Seitdem hatten sie sich nicht wieder gesehen. Sie setzt sich auf einen Armstuhl neben dem Fenster und überlässt sich der Erinnerung an Erno. 2. Kapitel Damals, es scheint ihr jetzt wie in einem früheren Leben, hat sie an vielen Abenden vor dem Einschlafen noch in ihrem jeweiligen Rollenbuch gelesen, wobei sie, die Arme über der Bettdecke, Gesten andeutete, einen Satz, eine Sentenz vor sich hinsagte und gelegentlich sogar einen Ausruf tat, wenn sie die Szene fortriss. Erno hatte ihr vornächtliches Benehmen erduldet, ertragen; es ihrer beruflichen Begeisterung zugutegehalten, darin eine der Eigenheiten gesehen, die man einer Künstlerin nachsehen müsste. Einmal sprach sie Verse des Heilbronner Käthchens an ihren Geliebten. Vor dem Schlafzimmerfenster hing ein orangefarbener Mond über den Parkbäumen. Ein Vogel, wahrscheinlich eine Amsel, sang ein sehnsüchtig schwermütiges Lied, das, gedämpft durch die geschlossenen Fenster, ihre Worte nicht störte. Sie sprach von ihrer, vielmehr Käthchens, beseligenden Liebe, die voller Selbstaufgabe war. Erno lag so, dass er Zoe den Rücken zuwandte. Plötzlich begannen sich seine Schultern im Rhythmus heftiger werdender Atmung zu bewegen, und es kann sein, dass Zoe, das Käthchen spielend, in einem seltsamen Identifikationsvorgang begriffen, die Wirkung ihres Spiels, ihrer Worte an Erno erproben wollte. Sie hatte einer Zäsur im Text wegen eine Pause eingelegt, in der der geliebte Graf vom Strahl eine ernüchternde, Käthchen demütigende Bemerkung zu machen hatte. In diesem Augenblick drehte sich Erno ungestüm zu ihr herum, ergriff ihre auf der Bettdecke umherfahrenden Hände, presste und küsste sie. Beugte dann sein Gesicht über ihres, nahe, als versuche er im Schimmer des Mondes ihre Züge zu erkennen: Dass du das gesagt hast! Seine Stimme war unfest, er stammelte vor Erregung. Er hatte ihre Hand losgelassen, sich auf einen Ellenbogen gestützt; strich dann mit der anderen Hand über ihre Schläfe, den Hals, rückte näher, begann sie zu küssen, auf die Stirn, das Gesicht, die Brüste. Und obwohl sie, noch im Bann ihres Spiels, ihn und sich selbst, die Frau Zoe, beobachtete, zog Leidenschaft sie wie in einen Sog, der sie endlich ihres Augenblicksbewusstseins beraubte; ihr einen langen hohen Laut auspresste. Erno war von ihr geglitten. Sein Gesicht an ihren Leib geschmiegt. Der Mond schien jetzt so hell, dass die Baumkronen draußen im Park Schatten an die Zimmerwände warfen, über ihre Körper, das Laken. 3. Kapitel In acht Tagen war die Premiere des Stückes. Erno würde diese Aufführung nicht versäumen. Nicht einmal war er einer Erstaufführung, in der Zoe auftrat, ferngeblieben. Und diese Verse, ihr Wortlaut, aber mehr noch Zoes Spiel, ihre Bühnenhingabe an den Partner, würden Erno an ihre Liebe in jener Nacht erinnern. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm jetzt, an diesem Nachmittag, die Sache zu offenbaren, sich ihm anzuvertrauen. Sie saßen in den Sesseln vor dem Fenster, das im Gegensatz zu denen des Schlafzimmers auf eine verkehrsreiche Straße hinausging, deren Lärm sie nur dadurch auf ein erträgliches Maß dämpfen konnten, indem sie trotz herrschender Schwüle und der verbrauchten Luft im Zimmer das Fenster verschlossen hielten. Zwischen ihnen stand ein Tisch, auf dem Ernos Zeitschriften Platz hatten, Zoes Rollenbuch und ihre beiden Kaffeetassen. An der dem Fenster gegenüberliegenden Wand hing Ernos umfängliche Sammlung von Hieb-, Stich- und Stoßwaffen aus den früheren Epochen der Wehrgeschichte. Da gab es Streitäxte, Morgensterne, Hellebarden, Schwerter und Krummsäbel. Man konnte die Entwicklung des Dolches vom Faustkeil über den Stein- und Knochendolch, den Feuersteindolch, zum Kupfer- und Bronzedolch der Metallzeit verfolgen. Die verschiedenen Entwicklungsstufen der Äxte, worunter sich als besondere Kostbarkeit die Nachbildung einer sogenannten Amazonenaxt befand. Zoes Blick konnte sich in diesem Moment von den durch die schräg stehende Nachmittagssonne zum Funkeln und Gleißen gebrachten Waffen nicht lösen. Ihr war, als fände sie in der Art, wie sie aufgehängt waren und der im Grunde unerklärlichen Tatsache, dass Erno, der ein pazifistischer Charakter war, sie sammelte, einen Fingerzeig, wie sie ihre Sache am besten beginnen könnte. Da nahm sie aus den Augenwinkeln wahr, dass Erno sie anschaute. Wann ist es soweit, fragte er plötzlich, und Zoe erschrak, als hätte er ihre Gedanken verfolgen können. Sie wusste auch sofort, dass er die Premiere meinte. In einer Woche, sagte sie. Übrigens, du hast schon Verse aus dem Stück gehört. Verse, sagte er, wann denn? Zoe beugte sich vor, griff nach seiner Hand, mit der er ein Buch hielt. - Gestern. Er sah verdutzt zu ihr. Sie stand auf, trat hinter seinen Stuhl und zog Ernos Kopf an ihren Leib. Sie wiederholte: gestern, gestern Abend, im Schlafzimmer, als wir bevor wir ... uns liebten, sagte sie sehr leise. Er beugte sich nach vorn über den Tisch, um von ihr loszukommen, drehte sich dann um und starrte sie an: Du hast deklamiert, rief er, offenbar absichtlich dieses Wort gebrauchend, um sie herabzusetzen. Das ... das, was du mir gesagt hast, war Theater? Diese ... Worte, eingelernt? Die Art, wie du mich angesehen hast, der Ton deiner Stimme, Schauspielerei? Ihm schien Speichel den Mund zu füllen. Er umschloss die Flüssigkeit mit Lippen und Wangen, schob sie umher wie einen Brocken, der ihm, dem Manne Erno, zum Bolus werden könnte, an dem er erstickte, bis er ihn zerbeißend, zerdrückend hinunterschluckte mit einem hörbaren Geräusch. Ich fand sie schön, diese Verse, sagte sie. Ich habe dich nicht täuschen wollen. Er war aufgestanden, brüsk; hatte eine Bewegung mit der Hand gemacht, als wolle er die Luft zerteilen; kam dann zurück, um seine Papiere vom Tisch zu nehmen. Willst du deinen Kaffee nicht austrinken? fragte Zoe, damit er sich beruhige. Plötzlich vernahm sie das polternde Rattern der Tatrabahn vor ihrem Hause, als höre sie es zum ersten Mal; die Vibration der Gleiskörper setzte sich durch Straße und Haus bis in ihr Zimmer fort. Erno nahm wie unter einem Zwang seine Kaffeetasse auf, sah hinein, schüttelte den Kopf, wobei unklar blieb, ob er Zoes Frage verneinte oder ob ihm der Vorfall unbegreiflich blieb. Früher, sagte er plötzlich, empfand ich dein Spiel wie eine zweite, neue Wirklichkeit. Ich habe mich an deiner Kunst freuen können, die, wie ich glaubte, unsere persönlichen Gefühle nicht berührte. Aber das ist anders geworden. Wenn ich dich heute üben sehe, dich reden höre, weiß ich nicht, ob du als meine Frau sprichst oder als irgendeine Judith oder Magdalena. Ich kann bei dir Spiel und Wirklichkeit kaum noch unterscheiden; nicht einmal dann, wenn es um Ernsthaftes geht. Denke ich, du redest mit mir, übst du eine Rolle, und glaube ich, du probst einen Text, sprichst du mit mir. Es war gestern Abend, dachte Zoe, nur ein äußerliches Missverständnis. Ich hätte eigene Worte finden können, sie wären mir zugefallen. Und sie sagte zu Erno: Das sagst du so, aber dann, später, konntest du spüren, was ich fühlte. Ja, sagte er bitter, gestern dachte ich es, aber heute weiß ich nicht, ob nicht auch das gespielt war. Schließlich gebrauchst du auf der Bühne nicht bloß Worte. Das war boshaft, und Erno wusste es. - Wenn du deinen Empfindungen selbst nicht mehr traust, kann ich dir nicht helfen. Das sagte sie nun auch kühl, und so war das Gespräch auf ungute Weise zu Ende gegangen. Zoe blickt in die Dunkelheit hinter dem Fenster. Sie atmet tief auf. Heute glaubt sie zu wissen, was damals in Erno vorging. Er konnte sich nicht verzeihen, auf ihre von ihm sogenannten Theatergefühle mit einem Ausbruch wirklicher Leidenschaft reagiert zu haben. In jenen Tagen, wo er vielleicht gehofft hatte, Spannungen, die seiner geschiedenen Frau wegen schon längere Zeit bestanden, auflösen zu können, Erno war gegangen. Sein Vortrag im „Haus der Technik“ begann erst in ein paar Stunden. Zoe hatte das Fenster geöffnet, Verkehrslärm überflutete sie. Die brandenden Geräusche erschienen ihr wie Äußerungen des Lebens. Fließendes, treibendes Bereits 1981 war erstmals im Verlag Neues Leben Berlin das Buch „Der Sohn des Adlers, des Müllmanns und der hässlichsten Frau der Welt. Ein Märchen vom Eis und vom Feuer“ von Waldtraut Lewin erschienen: Das Buch ist eine ebenso skurrile wie zarte Geschichte von einem, der auszog, die Welt zu retten und sich dabei fast selbst verlor. Die hässlichste Frau der Welt kann sich vor Verehrern kaum retten. Sie ist eben eine Sensation! Und so kommt es, dass ihr Sohn gleich zwei Väter hat: Einen stolzen Adler und jenen schönen Müllmann, der eigentlich von der Frau gar nichts wissen will und ihr eben den Gefallen tut… Als das wundersame Kind dann aber geboren wird – was ihre Mutter in einen tiefen Schlaf versenkt – streiten sich die beiden absonderlichen Erzeuger um die Vaterschaft. Denn dieser Sohn ist zu Höherem bestimmt, wie es scheint. Er hat nichts mehr und nichts weniger vor, als die Welt von allem Übel zu erlösen. Allerdings verliert er darüber seine Mutter aus den Augen – und so etwas tut nie gut. Der Sohn eilt von Abenteuer zu Abenteuer, und überall, wo er auf Unrecht und Verdrehtheiten stößt, schafft er Ordnung. Jedenfalls meint er das, während er weitereilt, getrieben von Neugier und dem Drang nach Gerechtigkeit. Aber nur etwas zu „stiften“ und dann fortzurennen, das reicht nicht aus, wie sich herausstellt. An welchen Ort seiner Taten er auch zurückkommt, immer muss er feststellen, dass sich die Dinge inzwischen zum Schlechten entwickelt haben. Und er kann weder verhindern, dass seine Mutter stirbt und seine Liebe, das kieselsteinerne Fräulein, in seinen Armen ganz und gar erstarrt. Alles scheint aus zu sein für ihn. Aber zum Glück erwachsen ihm mächtige Helfer. All die Schwachen und Betrübten, denen er einst so unvollkommen geholfen hat, verbünden sich für ihn, und gemeinsam sind sie stark. Und da sich außerdem noch seine beiden ungleichen Väter aussöhnen, um ihrem Sohn beizustehen, kann ja die Welt vielleicht doch noch gerettet werden. Wenn man sich auch zunächst eine blutige Nase geholt hat. Aber schließlich wird man aus Erfahrung klug… Die absonderlichen Abenteuer des Sohns, die ihn mit vielen unglaublichen Geschöpfen zusammenführen und in denen die Welt gleichsam durch ein leicht verzerrendes Brennglas betrachtet wird, sollen erstaunen, vergnügen und den Leser dazu anregen, das „Schiefe“ in diesen Geschichten in ihrem eigenen Kopf gerade zu rücken. Denn eigentlich kann immer nur der verfremdete Blick uns helfen, den Reiz der Wirklichkeit zu genießen. Nur die Fantasie öffnet den Blick. „Der Sohn des Adlers“ knüpft an die Tradition des romantischen Kunstmärchens an, wie wir es von Goethe, von Clemens Brentano und vor allem natürlich von E.T.A. Hoffmann her kennen – und das im Gewand einer modernen, ein bisschen surrealen und ein bisschen schrägen Sprache. Er hat eben, wie gesagt, zwei Väter… Und so hebt die Geschichte vom wundersamen Kind an: „Erstes Hauptstück von der merkwürdigen Empfängnis und Geburt des Sohnes, den Gaben des Adlers, der Harmonie der Sphären und der stillestehenden Zeit Bevor seine Mutter ihn empfing, war sie die hässlichste Frau, die man sich denken kann. Sie war so hässlich, dass sich die Leute auf der Straße bis zu den Knien bogen vor Staunen über ihre Hässlichkeit. Sie hatte eine Haut wie ein Nilpferd, Zähne wie ein Waldeber, Haare, die wie Schilfhalme aussahen, und ihre Augen tränten, und an ihren Händen wuchsen graue Krallen. Aber ihr Herz war wie ein süßer Mandelkern in ihr. Der Ruhm ihrer Hässlichkeit und ihres süßen Herzens ging in großen Wellen von ihr aus und lockte viele Männer an, denn ein so hässliches Weib zu besitzen ist eine große Ehre. Allen, die um sie warben, blieb bei ihrem Anblick fast das Herz stehen vor Beklommenheit und Entsetzen, aber dies Entsetzen wandelte sich alsbald in eine wilde Entschlossenheit, sie zu haben, und es war, als verfüge sie im Winkel ihrer grauen verschwimmenden Augen über mehr Bannkraft als ein großer Magnet, der so stark ist, dass er das Eisen aus den Schiffen zieht, und sie gehen unter. Da sie keinen der Freier erhörte, aber auch keinen abwies, zog der Schwarm von Liebhabern ständig hinter ihr her wie ein Königsgefolge. Der eine schleppte ihre abgetragene Handtasche, der zweite ihren Sonnenschirm aus roter verschlissener Seide, der dritte ihren Regenschirm aus schwarzer Baumwolle, der vierte eine Standuhr, damit sie stets wisse, welche Stunde geschlagen habe, der fünfte zwei Zimmerlinden in Töpfen aus Majolika, falls sie im Grünen ausruhen wollte. Der sechste bat sie flehentlich, ein Schleppkleid anzuziehn, damit er ihr die Schleppe tragen dürfe, aber trotz ihrer Güte ließ sie sich nicht dazu bewegen, etwas so Unmodernes wie ein Schleppkleid anzulegen. So musste dieser Freier nutzlos hinter ihr herlaufen und weinte oft, weil er ihr nicht dienen konnte. Eines Tages im Februar stieg das Thermometer auf golden, ein Taubenpärchen hackte gegen die Fensterscheibe, und die Krokusse im Rasen sprangen mit jenem Geräusch auf, das von Küssen herrührte. Sie verspürte den heftigen Wunsch, auf der Straße vor einem Café zu sitzen und einen Eisbecher mit Rosenblättern und Pfefferminz zu essen und lief so schnell los, dass ihr fast die Absätze von den Schuhen flogen und die Freier kaum zu folgen vermochten. Als sie mit ihren sechs Verehrern schließlich in der Sonne saß, standen die Leute im Halbkreis, um sie zu sehen. Touristen machten Fotos von ihr, um sie zu Hause ihren staunenden Kindern zu zeigen, und zwei Naturforscher stritten sich, ob ihre Haare wirklich welke Schilfhalme seien oder nur so wirkten. Mehrmals musste der sechste Freier, glücklich darüber, etwas tun zu können, die Menge bitten, so viel Platz zu lassen, dass die Sonne durchkomme. Sie rührte in ihrem Eisbecher mit Rosenblättern und Pfefferminz und hatte plötzlich keinen Appetit mehr. Die Standuhr schlug Mittag und einen Schlag darüber hinaus. Ein großer Schatten fiel auf ihre Hand. Aufblickend, gewahrte sie einen riesigen Adler mit dunkelbraunem Gefieder, dessen gebogener Schnabel auf sie gerichtet zu sein schien. Ihr Herz klopfte stürmisch. Die Krallen des Vogels waren ihren Fingernägeln verwandt, und die gefühllosen Adleraugen glänzten. Sie brach überstürzt auf und zahlte mit einer Muschel. Der Adler gab ihr ein Stück das Geleit, man hörte das gewaltige Rauschen seiner Schwingen noch drei Straßenzüge weiter, so dass der Magistrat annahm, der Staudamm sei gebrochen, und Vorkehrungen zur Rettung der Stadt traf. Unterwegs, in der quirlenden Menge, die sie umgab, traf sie das Orangerot des Müllwagens wie eine Botschaft. Der Müllfahrer trug eine Mütze aus vielerlei Fellen, aber hauptsächlich vom Kaninchen. Die Haut seiner Hände und seines Angesichts war gelb vor Asche, aber als er die Hand hob, sich den Schweiß abzuwischen, entblößte er einen gemeißelten Arm mit Adersträngen. Seine unförmigen Handschuhe hingen ihm müßig an der Hüfte. Die hässlichste Frau der Welt trat auf ihn zu, und während ihr süßes Herz zu leuchten begann, sagte sie: „Ich glaube, ich liebe dich.“ Weil der Müllwagen lärmte wie ein Wachhund, musste sie ihre Worte wiederholen. Der Müllfahrer besah sie von oben nach unten, darauf von unten nach oben, brach in Gelächter aus und wandte sich ab.“ Zum Superpreis von jeweils 99 Cents stehen diesmal zwei Bücher von Ulrich Hinse und von Klaus Möckel, die sich beide, aber auf sehr unterschiedliche Weise mit unterschiedlichen Zeiten und Menschen befassen – mit Rittern und mit schönen, einflussreichen Frauen: Erstmals 2014 legte die EDITION digital sowohl als E-Book wie auch als gedruckte Ausgabe den historischer Roman über den Verbleib des Templerschatzes anno domini 1307 „Das Gold der Templer“ von Ulrich Hinse vor: Jaques de Molay, der Großmeister des in der ganzen Welt des Orients und des Okzidents bekannten, geschätzten aber auch gefürchteten Templerordens war entsetzt. Sein Orden sollte aufgelöst, die Ritter verhaftet werden und das riesige Vermögen der französischen Krone zufallen. Die Haftbefehle waren bereits ausgestellt und an alle Gouverneure und Bischöfe in Frankreich verteilt worden. Am Freitag, dem 13. Oktober 1307, sollen in den Morgenstunden überall im Land die Vasallen des Königs jeden Templer festnehmen und einkerkern. Alle Templer zu retten scheint dem Großmeister nicht mehr möglich. Deshalb stellt er in aller Eile drei Maultierkarawanen zusammen, die mit wenigen Leuten das Archiv und das Gold in Sicherheit bringen sollen. Eine Karawane ist für England bestimmt, eine soll über See nach Portugal gehen und eine weitere auf die Festung der Templer nach Ponferrada in Spanien gebracht werden. Der junge flandrische Tempelritter Jan van Koninck hat zusammen mit dem Stellvertreter des Großmeisters die Ehre, die Karawane nach Spanien in Sicherheit zu bringen, als in den Pyrenäen sein Mentor erschlagen wird. Die Verantwortung lastet ab sofort auf seinen Schultern. Gelingt es ihm wirklich, die kleine Karawane gegen alle Widerstände im Winter über die Pyrenäen zu bringen und Ponferrada zu erreichen? Eine stattliche Anzahl französischer Soldaten, geführt von einem alten Landsknecht, hat sich auf seine Spur gesetzt. Und auch innerhalb der sonst eingeschworenen Templer gibt es Widerstände. Es erscheint mehr als fraglich, das Gold vor dem gierigen französischen König Philipp IV. und seiner nicht viel besseren Frau Johanna von Navarra in Sicherheit zu bringen. Ein Roman aus der Zeit des finsteren Mittelalters, in der es ehrenhafte Ritter aber ebenso viele Schurken gab. Der historische Roman beginnt mit einem Kampf und mit dessen überraschendem Ausgang: „1. Kapitel Die Glocken am Kirchturm der Stadt Kortrijk in Flandern läuteten. Dumpf wummerte ihr Klang über das Schlachtfeld. Sie verkündeten den glanzvollen Sieg der Flandern gegen die Franzosen. Jan van Koninck, der zweiundzwanzigjährige junge Mann mit den gekräuselten roten Haaren, den blauen Augen und der kräftigen, durchtrainierten Figur unter dem jetzt Blut bespritzten ledernen Wams, stand etwas gebeugt, auf sein blutiges Schwert gestützt, am Rande eines Eschenwäldchens. Eine Wurfaxt, die schon aus normannischer Zeit bekannte Franziska, steckte im Gürtel. Er schaute auf die Szene vor ihm in der Niederung. Dicht gedrängt vor einem Bach, der sich durch die morastige Senke schlängelte, lagen Hunderte von toten Rittern in ihren ehemals glänzenden, jetzt nach der Schlacht aber stumpfen, blutigen Rüstungen und ebenso viele tote oder schwer verletzte Pferde. Jan summte ein leises Lied. Es war das Totenlied für die Ritter des französischen Königs Philipp des Schönen, der selbst nicht an dem Massaker teilgenommen hatte. Der Sieg war ohnehin eingeplant. An eine Niederlage war nicht im Entferntesten gedacht worden. Deshalb hatte er seinen einäugigen Kanzler Pierre Flote als Feldherrn gesandt und Jaques de Chatillon als zukünftigen Gouverneur gleich mitgeschickt. Die unruhigen Flandern sollten zur Raison und der lukrative Tuchhandel mit England und der Hanse unter französische Kontrolle gebracht werden. Aber es war dann doch anders gekommen. Fast alle nordfranzösischen Ritter hatten ihr Leben für den König auf dem Schlachtfeld lassen müssen, nur wenige waren entkommen. Über das Schlachtfeld mit den unzähligen Toten und Schwerverletzten wuselten unzählige junge und alte zerlumpte Menschen und Bürger aus Kortrijk, die den Toten und Sterbenden ihre Wertgegenstände abnahmen. Van Koninck nestelte an seinem Wams. Mit etwas Mühe zog er den goldenen Anhänger hervor und betrachtete ihn. Er war, wie die Kette auch, aus purem Gold. Langsam strich er mit seinen Fingern über das Wappen. Ein französisches Wappen, ein Königswappen, was die drei Lilien verrieten. Er hatte es einige Monate vorher von einem französischen Ritter bekommen, der den Aufstand der flämischen Bürger in Brügge gegen die französische Besatzung nicht überlebt hatte. Eigentlich hatte er den verletzten Franzosen aus Wut töten wollen, weil er durch seine Gegenwehr die Flucht des Gouverneurs Jaques de Chatillon ermöglicht hatte. Hasserfüllt hatte Jaques de Chatillon noch zurückgerufen, dass er schon allein deshalb zurückkommen würde, nur um ihm eigenhändig den Kopf abzuschlagen. Der verletzte Ritter hatte sich mit Mühe die Kette mit dem Wappen abgenommen und dem jungen Flandern gegeben. Vielleicht bringt es dir irgendwann einmal Glück, hatte der Franzose gemurmelt, dann war er verschieden. Jan hatte das Medaillon zwar genommen, aber sonst hatte ihn der nach seiner Kleidung offensichtlich adelige Franzose nicht weiter interessiert. Er hatte ihn in seinem Blut liegen lassen und war den anderen flüchtenden Franzosen hinterhergelaufen. Sein Vater Pieter, sein Bruder Wim und er, der jüngste Sohn des Webers Pieter van Koninck, waren kurz darauf wegen ihres Mutes und ihres verwegenen Vorgehens bei der Befreiung von Flandern von Robert von Bethune, dem Grafen von Flandern, zum Ritter geschlagen worden. Dieses Mal war ihm de Chatillon nicht entkommen. Selbstgefällig war er in die Falle geritten und im sumpfigen Ufer des kleinen Flüsschens vor Kortrijk stecken geblieben. Seine Rüstung war zu schwer, als dass er hätte problemlos absitzen und mit dem Schwert kämpfen können. Das war sein Todesurteil. Die flämische Infantrie war dem schwerfälligen Ritter zu Fuß deutlich überlegen und Jan van Koninck hatte genau aufgepasst, wo Jaques de Chatillon hingeritten war. So kreuzten sich auf dem Schlachtfeld ihre Wege erneut. De Chatillon erkannte sofort, wer sich ihm in den Weg stellte, und versuchte mit kräftigen Schwerthieben, dem Jüngsten der Koninck-Sippe den Garaus zu machen. Aber der flinke, junge Flame wich allen Hieben geschickt aus, wehrte mit seiner Wurfaxt und dem Schwert die Hiebe ab und ließ den Franzosen sich müde schlagen. Wobei Jan höllisch aufpassen musste. Die Fechtkunst von de Chatillon war legendär. Aber dazu gehörte natürlich auch, dass sich der Ritter schnell und trickreich bewegen konnte. Aber genau das fehlte hier. Nur wenige Schritte gelangen dem schwer gerüsteten Ritter im Sumpf. Er sank immer tiefer ein und konnte sich nur noch auf einem Fleck stehend verteidigen, während Jan in seiner leichten Kleidung um ihn herumstapfte. Wenn er in seinem Rücken stand, hatte er Mühe, seinen Gegner durch die Sehschlitze zu erkennen. Als einige weitere Franzosen heranritten, um dem Gouverneur zu Hilfe zu eilen, machte Jan dem Kampf ein schnelles Ende. Er wehrte einen Schlag des Franzosen mit seiner Franziska ab und stieß ihm mit der ganzen Kraft seines rechten Arms das Schwert von unten durch den Rüstungsschlitz zwischen Helm und Harnisch in den Hals. Augenblicklich sackte de Chatillon zusammen und starb. Mit einem Ruck zog Jan sein Schwert aus dem Körper des Sterbenden, um die heranreitenden Franzosen abwehren zu können. Aber als die sahen, dass Reiten in dem Sumpf nicht möglich und ihr Anführer bereits gestorben war, zügelten sie die Pferde und ritten auf festen Untergrund zurück. Jan nahm noch an dem einen oder anderen Scharmützel teil, aber der so ungleich begonnene Kampf war letztlich zugunsten der Flandern entschieden. Das, was niemand zu glauben gewagt hatte, war eingetreten. Die bürgerlichen flandrischen Infanteristen hatten mit ihren selbst gebastelten Waffen gegen die Truppe aus hochdekorierten, gut gerüsteten französischen Rittern gewonnen. Die Ritter waren nicht zuletzt an ihrer Arroganz gescheitert. Flandern war unabhängig geblieben und musste sich Philipp dem Schönen nicht beugen. 14 Jahre vor dem Roman über die Templer, also 2000, hatte Klaus Möckel im Verlag Das Neue Berlin erstmals sein Buch über Frankreichs berühmteste Mätressen „Die Gespielinnen des Königs“ veröffentlicht: „Nun war es wirklich geschehen, sie war die Hure des Thronfolgers. Die Höflinge würden es zwar nicht wagen, ihr das ins Gesicht zu sagen, aber denken würden sie es.“ So beginnt der Autor seine Erzählung über Diane de Poitiers, die Mätresse des späteren Königs Heinrich II., die noch heute als eine der schönsten Frauen in Frankreichs Geschichte gilt. Selbstbewusst und geschäftstüchtig, brachte sie es zu großem Reichtum und fast unbeschränkter Macht. Doch auch die anderen Damen in diesem Band, von denen die berühmteste Madame Pompadour ist, wussten ihre Fähigkeiten im Bett und am Hof zu nutzen. Von Glanz umgeben, meist intelligent und gerissen, umgarnten die Entragues, die Montespan, die Du Barry ihren Herrscher, um ihn dann am Gängelband zu führen. Freilich war ihr Weg gefährlich. Von so manchem Höfling angefeindet und von Hinterhältigkeit bedroht, durften sie nie die Gunst des Geliebten verlieren - das hätte den Untergang bedeutet. Dieses Buch ist ein Sittengemälde, das vier Jahrhunderte französischer Geschichte darbietet. Spannend bis ins Detail, abenteuerlich und voller Witz führt es dem Leser eine Welt vor Augen, die ihn mit ihren bis zum Mord reichenden Intrigen, mit ihrer List und Gewalt, aber auch mit ihrem Charme und ihrer Lebhaftigkeit von Anfang bis Ende in den Bann schlägt. Wie und warum der dafür bestens prädestinierte Autor dieses Buch geschrieben hat, das erläutert Klaus Möckel in seinem aufschlussreichen Vorwort: „Ist von Gespielinnen des Königs die Rede, denkt man vielleicht zuerst an leicht bekleidete Schönheiten, die sich auf samtenem Pfuhl ihrem leidenschaftlich entflammten Herrscher hingeben. Oder man stellt sich elegante Damen in raschelnden Seidenkleidern vor, bereit zum stürmischen Tête-à-tête mit der entzückten Majestät; Bilder, die sich nicht von ungefähr ergeben: Im Bett errangen Mätressen aller Zeiten ihre nachhaltigsten Siege. Doch die Rolle der Schönen, die meist aus dem hohen Adel stammten oder zumindest in diesen Stand erhoben wurden, erschöpfte sich keinesfalls im Liebesdienst. Wohl widmeten sie sich dieser Aufgabe mit Leidenschaft, zumal sie zum Dank dafür Gold, Edelsteine, kostbare Gewänder, Ländereien und prächtige Schlösser erhielten. Sie glänzten aber auch in anderen Bereichen. Sie besaßen Bildung, brillierten mit Worten und mit ihrem gesamten Auftreten, verfügten über natürliche Eleganz. Bei Hof wurden sie zu wichtigen Persönlichkeiten; sie redeten in der Mode, in der Kunst und oft sogar in der Politik mit. Zur „Maitresse en titre“ ernannt, verstanden sie sich als Partnerin an der Seite des Königs und liebten den Herrscher meist wirklich. Im Schutz des Monarchen konnten die jungen Damen ihren Besitzstand sichern und ihre Familien in einflussreiche Stellungen bringen. Über die Liebe zum König versuchten sie, Machtpositionen zu erobern, die Frauen ihrer Zeit sonst verwehrt waren. Zugleich waren sie aber in jeder Hinsicht von der Zuneigung des Herrschers abhängig, gerieten in größte Bedrängnis, wenn sie diese Gunst verloren oder der König aus dem Leben schied. Um sich im höfischen Intrigenspiel zu behaupten, bedurfte es all ihrer Wachsamkeit und Intelligenz. Von den Königinnen, die sich gekränkt in die Rolle der betrogenen Gemahlin zurückzogen, wurden sie vornehm mit Madame angesprochen, insgeheim jedoch Hure genannt. War die Demütigung zu groß, geschah das manchmal sogar in aller Öffentlichkeit. Die Verschwendungssucht der Mätressen, die den Staat ein Vermögen kostete, wurde ihnen vom Volk verübelt und lieferte Neidern gute Argumente. Doch sie brauchten den Glanz, um bei Hof Anerkennung zu finden. Nur so konnten sie sich auf längere Zeit neben dem König behaupten. Was den Rang bei Hof betraf, mussten sich die Favoritinnen der Herrscher den Königinnen, die für die Bewahrung der Thronfolge zuständig waren, unterordnen. An Glanz und Schönheit jedoch, oft auch an Reichtum und besonders an der Möglichkeit, den Monarchen zu beeinflussen, standen die Mätressen den Königinnen voran. Je nach Klugheit oder Raffinesse, nach Geschick oder Wendigkeit erhielten sie sich diesen unschätzbaren Vorteil auf möglichst lange Zeit. Sie versuchten nicht selten, ihre Stellung zu festigen, indem sie Kinder gebaren und den König dazu brachten, diese zu legitimieren. Die berühmteste aller französischen Mätressen ist die Marquise von Pompadour; ihr ebenmäßiges Gesicht mit der hohen Stirn, der schmalen Nase und den wachen Augen schaut uns von den Einbänden vieler Abhandlungen und Werke über die Epoche Ludwigs XV. an. Sie hatte es darauf angelegt, die Geliebte des Königs zu werden, und gelangte, als das erreicht war, zu beachtlichem Einfluss. Sie war gebildet und kunstbegabt, verschwenderisch und mitunter großherzig. Sie verstand es, Allianzen zu schmieden, und mischte sich - keineswegs zum Wohl des Landes - in die Politik ein. Als sie den Herrscher mit ihren Liebeskünsten nicht mehr zu erwärmen vermochte, schaffte sie es, ihre Stellung zu behaupten, indem sie ihm jüngere Gespielinnen zugestand. Mit der Renaissance tauchen erstmals jene Damen aus dem Schatten der Geschichte auf, die als königliche Favoritinnen zu Macht und Ehren kamen. So gilt Agnès Sorel, die später mit entblößter Brust sogar auf einem Altargemälde dargestellt wurde und dem Leben Karls VII. entscheidende Impulse verlieh, als erste offiziell anerkannte Mätresse in Frankreich. Die Schicksale bekannter französischer Mätressen, die in diesem Buch nachgezeichnet werden, sind eng mit den Kämpfen und Wechselfällen jener Jahrhunderte, den Religionskriegen und dem Niedergang des Ancien Régime, verbunden. Ihr Leben in Prunk und Überfluss stand häufig in schroffem Gegensatz zum Elend der niederen Schichten. Kriege und Hungersnöte im Verein mit Seuchen wie der Pest oder den Pocken dezimierten immer wieder die Bevölkerung. Das Buch setzt im 15. Jahrhundert, dem Zeitalter der Jeanne d'Arc, ein und behandelt Lebensläufe bis hin zur Französischen Revolution. Die Gestaltung bewegt sich im Rahmen der geschichtlichen Überlieferung, ohne dass Fakten sklavisch aneinandergereiht werden. Einer anschaulichen Darstellung mögen die zum Teil etwas freier geformten Szenen und Dialoge dienen, genau wie die ins Geschehen verwobenen Anekdoten, die das Denken, Fühlen und Handeln der Protagonisten zeigen. Wie stets im Leben bilden Tragik und Komik, Intelligenz, Dummheit, ja selbst Verbrechen dabei ein Ganzes. Das Buch handelt von Frauen zwischen größtem Ruhm und tiefster Verachtung, zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen Leidenschaft und Resignation, für die es eine Ehre und mitunter ein Fluch war, die Geliebte des Königs zu sein, und genauso widersprüchlich sind ihre Wege. Bisweilen stark und selbstherrlich, dann wieder schwach und verlassen spiegeln sie „Glanz und Elend“ des höfischen Lebens wider, um den Titel eines bekannten Buches von Balzac abzuwandeln. Sie haben geliebt und gelitten, verschwendet, geherrscht und manchmal auch bereut. In ihrem Drang nach Besitz und Macht, aber auch mit ihrer Hoffnung auf erfüllte Liebe stehen sie für eine vergangene Zeit, die unserer Gegenwart dennoch nicht so fern ist, wie es auf den ersten Blick scheinen mag.“ Kommen wir noch einmal auf das Thema Zeitreisen zurück. Würden Sie sich vielleicht mal mit der berühmtesten aller französischen Mätressen treffen wollen, mit der Marquise von Pompadour? Und zwar nicht nur so zum Spaß, sondern um mit ihr ganz ernsthaft über Männer und Frauen, über Liebe und Glück sowie über Macht und Einfluss und darüber zu plaudern, wie man beides gewinnt und – verteidigt. Sie sehen schon, das sind ganz im Sinne von Klaus Möckel gar nicht so sehr historische Themen, sondern sehr gegenwärtige. Das dürfte jedenfalls eine sehr spannende Unterhaltung werden – noch dazu mit einer nach allen überlieferten Beschreibungen und Bildnissen sehr schönen Frau (schauen Sie sich bitte mal zum Beispiel das elegante „Porträt der Madame de Pompadour“ des französischen Rokoko-Künstlers, Hofmalers und Pompadour-Günstlings François Boucher aus dem Jahre 1758 an) von hoher Bildung und Intelligenz, die mit vielen Gaben gesegnet war, wie Klaus Möckel zu berichten weiß: „Ihr Wissen mochte oberflächlich sein, aber sie hatte die Fähigkeit, es anzuwenden. Für eine Maitresse en titre fehlte ihr zwar die entsprechende Herkunft, doch sie würde alles tun, diesen Makel durch ihre vielfältigen Vorzüge wettzumachen.“ Ob und wie das gelingt, ist frisch und farbig in den „Gespielinnen des Königs“ zu erfahren – fast so, als wäre man als stummer Zuschauer und Bewunderer der schönsten Frauen Frankreichs in Versailles und anderswo direkt dabei. Insofern ist es denn doch eine Art Zeitreise … Gute Reise also, viel Spaß beim Lesen und Französisch lernen und bis demnächst. Weitere Informationen und Angaben finden Sie unter http://www.prseiten.de/pressefach/edition-digital/news/3903 sowie http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/. Über EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr: EDITION digital wurde 1994 gegründet und gibt neben E-Books (vorwiegend von ehemaligen DDR-Autoren) Kinderbücher, Krimis, historische Romane, Fantasy, Zeitzeugenberichte und Sachbücher (NVA-, DDR-Geschichte) heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen sowie Belletristik und Sachbücher über Mecklenburg-Vorpommern. 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Standhaftes Leningrad, der letzte König der Obotriten und ein Künstlerleben in fünf Bildern - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
„Das Wunder von Leningrad“ - ein besonderes Buch ist der erste der fünf Deals der Woche, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 15.12.17 – Freitag, 22.12.17) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind. Sein Autor ist Erwin Johannes Bach, ein sehr vielseitiger Musikwissenschaftler und Komponist, der unter den schrecklichen Ereignissen des 20. Jahrhunderts zu leiden hatte, sich aber dennoch seinen Glauben an die Kraft und Standhaftigkeit der Menschheit bewahrt hat. Ein eindrücklicher Beweis dafür ist sein bewegender Augenzeugenbericht über die 900 Tage der Blockade von Leningrad zwischen dem 8. September 1941 und dem 27. Januar 1944. Standhaft und mutig war auch der letzte Fürst des slawischen Stammes der Obotriten. Ihm und seinen drei Söhnen und der Geschichte der alten Slawenburg Dobin am Schweriner See widmet Heinz Falkenberg seine historische Darstellung. Um Mut geht es auch in den ausdrücklich „Mutgeschichten“ genannten Texten von Jan Flieger, in denen sich zeigt, dass Mut manchmal ganz anders aussieht als man gewöhnlich denkt. Außerdem bringt dieser Newsletter einen utopischen Roman von Alexander Kröger, in dem sich die Menschen gegen kriegerische Außerirdische wehren müssen, sowie eine Begegnung mit dem Leben und Werk des neben Caspar David Friedrich bedeutendsten deutschen Malers der Frühromantik – dem 1777, also vor 240 Jahren, in Wolgast geborenen Philipp Otto Runge. Ausgangspunkt für die Annäherungen von Renate Krüger an den Künstler sind fünf seiner Bilder. Erstes Angebot des aktuellen Newsletters aber ist das Buch „Das Wunder von Leningrad“ von Erwin Johannes Bach, das soeben von der EDITION digital herausgegeben wurde – und zwar sowohl als E-Book wie auch als gedruckte Ausgabe: Dieser Bericht eines Zeitzeugen besticht durch große Bildhaftigkeit und Gedankentiefe. Erwin Johannes Bachs Leben verlief dramatisch, 1897 in Hildesheim geboren, verlor der spätere Komponist und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg seinen Bruder – eine lebenslange Wunde –, musste auch selbst an die Front. Er studierte in verschiedenen Disziplinen, publizierte ein wichtiges musikwissenschaftliches Werk: „DIE VOLLENDETE KLAVIERTECHNIK“, schuf vier Sinfonien, von denen drei durch Flucht und Krieg verlorengingen. 1934 mit seiner jungen Frau vor den Nationalsozialisten in die UdSSR geflohen, geriet er in die Stalinschen „Säuberungen“, erlebte Erniedrigung und Verbannung. Die Familie (drei Kinder wurden geboren) war zu einer Odyssee mit den Stationen Moskau, Odessa, Swerdlowsk im Ural, Tomsk in Sibirien, Taschkent in Usbekistan gezwungen. Bei Kriegsausbruch hatte es Bach nach Leningrad verschlagen, das schon bald einem der grausamsten Vernichtungsfeldzüge der deutschen Wehrmacht ausgesetzt war. Von dieser Blockade handelt der hier erstmals veröffentlichte Text, von den zerschossenen Häusern, den verhungernden, erfrierenden Menschen dieser einst so prächtigen Stadt. Und doch ist es keine Botschaft der Resignation oder gar Verzweiflung, denn Bach glaubte an die innere Kraft des Menschen. Ein Tschaikowski-Konzert im eisigen Winter 1941/42 wird ihm zum Beweis für Mut und Unbeugsamkeit gegenüber böswillig-mörderischer Zerstörung. Eine Botschaft, die durch ihre tiefen Wahrheiten überzeugt! Dieses Buch, das anlässlich des 120. Geburtstages von E. J. Bach erscheint, ist ein Zeugnis menschlicher Standhaftigkeit in größter Not. Ergänzt wird der Text durch Artikel und Briefe über Leben und Werk dieses zu Unrecht vergessenen Künstlers. Herausgeber des Augenzeugenberichtes sind Tochter Aljonna Möckel, eine bekannte Übersetzerin, die gemeinsam mit ihrem Mann Klaus Möckel auch schon schriftstellerisch tätig war. Klaus Möckel ist Autor zahlreicher Bücher verschiedener Genres. Beide bemühen sich seit mehreren Jahren, das musikalische und literarische Erbe des Komponisten E. J. Bach dem Vergessen zu entreißen. Hier der Anfang des „Wunders von Leningrad“: „Es war ein kalter und später Frühling, der Frühling 1941, kalt und spät selbst für die Stadt Leningrad, deren Klima ihre Menschen nicht verzärtelt. Noch im Mai waren die Knospen nicht erwacht, und auf den Teichen der Parks schillerte das weiße Eis. Und dann kam der Juni mit Lenzesgrün und Blüten, und dann kam der Krieg. Viele Schicksale hatte Leningrad erlebt, seit der Zeit schon, da es noch St. Petersburg hieß. Sogleich war sommerliche Freude ausgelöscht wie eine umgestürzte Fackel, und graue Sorge umdüsterte das Haupt der Stadt. Ihr Gehirn wurde zu einem Ganglienzentrum des Krieges, Leningrad wusste sein Schicksal vom ersten Tage. Ich sprach von der Roten Armee. Leningrad sprach von Blockade und Sterben, sprach von Hunger, den es kannte von früher. Leningrad gedachte der Interventionskriege und dachte an Not, an hundertfünfundzwanzig, an hundert und fünfzig Gramm Brot am Tag. Ich glaubte, der Eindringling, der im Inneren seines Landes schon viel zu lange sich an schmachvoll usurpierter Macht hielt, würde zerschellen im ersten Anprall. Aber seine Macht war noch unermesslich, und die Stadt sah den Strahl, der auf sie niederzucken würde. Wie eine leuchtende Landschaft verbleicht unter heraufziehendem Sturmgewölk, so verdüsterte die säulenreiche Stadt sich von Stunde zu Stunde. Die Front rückte heran, ein vieltausendköpfiges Ungeheuer, feuerspeiend aus vielen Tausenden von Schlünden. Tod und Verderben ging nieder auf die Stadt, welche eine apokalyptische Macht des Bösen schlechthin und des Teuflischen vertilgen und dem Erdboden gleichmachen wollte. Und eines Tages stand es angeschlagen und geschrieben auf den Plätzen der Stadt: „L e n i n g r a d i s t F r o n t g e w o r d e n.” Das Antlitz der Stadt verdüsterte sich schwerer, und sie sank in Trauer und Asche. In aschfahles Grau hatten sich die goldenen Spills, die charakteristischen Nadelspitzen der Türme gekleidet, die sonst die Stadt überglänzten. Grauschwarz überzog sich die große goldene Kuppel der St. Isaak-Kathedrale und die kleinere der Admiralität. Ein Wald grauer Fesselballons stand über der Stadt. Immer mehr Fenster der Häuser und Vitrinen der Läden wurden zugemauert, das fröhliche Leben in den Passagen war versickert und verstummt. Kunst- und Kulturschätze wurden aus der Stadt geschafft, Denkmäler wurden verschalt und mit bombenfestem Beton umhüllt. Lebendes verwandelte sich in Stein, wie Mensch und Tier in grauer Vorzeitsage. Leningrad ward Front. Die Bomben wühlten sich in sein blutendes Leben und zauberten die Häuserfassaden hinweg, so dass man in die Wohnungen hineinblickte wie vom Parterresitz in das Zimmer einer Bühnenkulisse. Mit einem sonderbaren kaltherzigen, eisern klingenden Bellen rissen die Projektile der Langrohrgeschütze klaffende Löcher in die Häuserfronten, hinter denen eben noch lebende Mütter saßen mit warmen Kindern. Die Männer waren fort, die Väter, Brüder, die Söhne und Gatten. Sie lagen vor der Stadt, und der Fuß keines Feindes hat die Stadt betreten.“ Ebenfalls ein Original-Produkt der EDITION digital ist der heute erschienene Band „Zur Geschichte des letzten Obotritenfürsten Niklot, seiner Söhne und der alten Slawenburg Dobin“ von Heinz Falkenberg – ebenfalls zeitgleich als E-Book und als gedruckte Ausgabe: Das Buch erzählt unter Nutzung historischer Fakten die reale Geschichte des letzten Königs der Obotriten, Niklot, welcher vor 870 Jahren endgültig vor die Entscheidung gestellt wurde, sein Land den christlichen Heeren zu unterwerfen oder sich gegen die Angreifer zu verteidigen. Unter dem sächsischen Herzog Heinrich dem Löwen kam es deshalb im Jahre 1147 zu einem Kreuzzug gegen die noch heidnischen Slawen. Zur Verteidigung hat dabei Niklot die Burg Dobin zwischen Schweriner See und Döpesee umfassend ausbauen lassen. Die Angreifer konnten die Burg auch nicht erobern. Doch ließen sich anschließend 1000 Slawen taufen. Das unentschiedene Schicksal des Obotritenreiches endete endgültig mit neuen Feldzügen der Sachsen und Dänen im Jahr 1160 und in den folgenden Jahren, bei denen Niklot den Tod fand und zwei seiner Söhne aktiv die Politik ihres Vaters weiter verfolgten. Schließlich ergab sich der überlebende Sohn Pribislav dem Sachsenherzog, ließ sich taufen und wurde von Heinrich dem Löwen als erster christlicher Fürst in Mecklenburg eingesetzt. Die alte Burg Dobin verlor danach an Bedeutung und wurde später nur wirtschaftlich genutzt. Im Andenken an das Wirken des Fürsten Niklot richtet der Kulturverein Sagenland e.V. in dieser touristisch interessanten Region einen „Niklotpfad“ mit Hinweistafeln und Sagensteinen ein. Werfen wir einen Blick in die Geschichte der Obotriten in Mecklenburg: „Seit dem 6. Jahrhundert n. Chr. breiteten sich von Osten kommend, slawische Völker, ursprünglich aus dem Gebiet des Schwarzen Meeres stammend, in der Region Ostdeutschlands aus. Die ehemals dort wohnenden germanischen Stämme waren überwiegend zwischen dem 1. und 4. Jahrhundert im Zuge der Völkerwanderung nach Süden in Richtung auf das Römische Reich abgewandert. In mehreren Wellen drangen in den folgenden Jahrhunderten die Slawen in die zumeist unbewohnten Gebiete vor, gründeten Siedlungen und machten das Land urbar. Sie begannen, Keramiken herzustellen, hielten an der Religion ihrer Vorfahren fest und errichteten neben ihren Wohnburgen und Dörfern erdgebundene Fluchtburgen zum Schutz der Bewohner vor feindlichen Angreifern. Im Verlauf der Entwicklung bildeten sich einzelne Stämme der Slawen heraus, welche von deutscher Seite oftmals als Wenden bezeichnet wurden. Diese Stämme wurden von Fürsten und lokalen Adligen geleitet. Basis ihrer Herrschaft waren Burganlagen als Wohnbereiche, zu denen jeweils eine Reihe von Dörfern in der Umgebung der Burgen gehörte. In der Region um den Schweriner See hatte sich der slawische Stammesverband der Obotriten angesiedelt. Die Fürsten dieses Stammes hatten ihren Hauptsitz auf der Feste mit deutschem Namen Mecklenburg (auch Mikelenburg, Michelenburg, aus dem Altslawischen übersetzt: Große Burg), heute die historische Burganlage bei dem Ort Dorf Mecklenburg. Im 12. Jahrhundert gehörte das Areal von Lenzen an der Elbe bis nach Kessin an der Warnow sowie von der Ostseeküste in südlicher Richtung bis um die Region Parchim zum Obotritenreich. Zum Zeitpunkt seiner höchsten Entwicklung wurde der Obotritenstaat von einem Gesamtherrscher, dem Knese, geführt, welcher auch manchmal von deutschsprachigen Historikern als dux (Fürst) oder rex (König) bezeichnet wurde. Ihm stand jeweils eine Gruppe von Adligen als Führungskräfte zur Seite. Diese meist kleine, eng begrenzte Gruppe von Adligen besaß größere Burgen und Burgbezirke (Burgwarde) und war mindestens mit der Großfürstenfamilie des Königs verwandt. Diesem Umstand verdankten sie auch ihre hervorgehobene Stellung im Land. Einige von ihnen herrschten dabei über Teilstämme (Escher, F.: Zur politischen Geschichte der Slawen zwischen Elbe und Oder vom 10. bis zum 12. Jahrhundert. In: Slawen und Deutsche zwischen Elbe und Oder. Ausstellungskatalog, Berlin, 1983). Westlich des Obotritenreiches hatte sich im heutigen Niedersachsen ein sächsisch-christliches deutsches Herzogtum gebildet. Das Bestreben der sächsischen Herzöge, ihren Machtbereich auszudehnen, richtete sich vor allem gegen die Ländereien der Slawen. Im Jahre 1142 wurde im Sachsenland der noch junge Welfenherzog Heinrich zum Herrscher erhoben, welcher später aufgrund seiner Aktivitäten den Beinamen „Heinrich der Löwe“ erhielt. Nördlich des Obotritenlandes regierten dänische Könige, welche ebenfalls schon in ihren Reichen das Christentum angenommen hatten. Zeitweilig gehörten Dänemark, Schweden, Schleswig-Holstein und Gebiete an der heutigen deutschen Ostseeküste zu ihrem Einflussbereich. Die östlichen und südlichen Nachbarn der Obotriten waren wiederum Slawen, zu denen vor allem der Stammesverband der Lutizen, zuvor oft als Wilzen bezeichnet (u. a. mit den Stämmen der Kessiner, Zirzipanen, Tollenser und Redarier), die Linonen und Brizanen sowie die Pommern zählten. Mit dem Obotritenland gab es zeitweilig Gemeinsamkeiten, aber immer wieder auch kriegerische Auseinandersetzungen. Es war keine ruhige Zeit für die Obotriten. Immer wieder kam es zu Kämpfen und Zwistigkeiten mit den Nachbarn, besonders mit den Sachsen und Dänen, aber auch mit anderen slawischen Stämmen. So wechselten in diesen unruhigen Zeiten auch immer wieder die genauen Grenzziehungen und Gebietszuordnungen.“ Erstmals im Jahr 2000 erschienen im Arena Verlag Würzburg die „Mutgeschichten“ von Jan Flieger: Wie sieht eigentlich Mut aus? Wie fühlt er sich an? Und kann jeder mutig sein? Auf Fragen wie diese gibt der Schriftsteller Jan Flieger in seinen vier kleinen Geschichten sehr unterschiedliche, nachdenkliche Antworten. Sicher ist, Mut hat auf keinen Fall immer mit Kraft und Größe zu tun. Oft ist etwas ganz anderes entscheidend. Und auch Kinder können sehr mutig sein. Das zeigt auch diese Geschichte: „Gerettet! Hinter der Schule ist der Park. Dort warten die anderen Kinder der Tiger-Bande auf Michi. „Endlich kommst du!“, ruft Julia. Alle mögen Michi. Aber heute hat Michi Sebastian mitgebracht. Den können die anderen nicht leiden. Sebastian ist sehr still und außerdem der Klassenbeste. „Der kann abschwirren“, sagt Niklas verächtlich. „Streber brauchen wir nicht in der Tiger-Bande“. Niklas ist der Anführer der Tiger-Bande. Er trainiert Judo im Sportverein. Niklas kann sogar den dicken Olli aus der vierten Klasse ganz einfach über die Schulter werfen. Echt stark! Michi schüttelt den Kopf. „Bist du vielleicht doof“, sagt er zu Niklas. „Dann haut doch beide ab!“, ruft Niklas zornig. Die anderen sagen nichts. Michi zieht Sebastian fort. Sie gehen an den Fluss. Ein Stück weiter unten am Ufer spielen zwei kleine Buben im Matsch. Die Tiger-Bande kommt auch. Niklas, Julia, Philipp und die anderen. Sie setzen sich ans Ufer und werfen Steinchen ins Wasser. Niklas wirft am weitesten. Ganz klar! Michi und Sebastian bauen gerade einen Stausee, da hören sie plötzlich Geschrei. „Mama!“, brüllt einer der kleinen Buben. Er ist ins Wasser gefallen. Der andere Junge steht am Ufer und heult. Michi und Sebastian rennen schnell hin. Jetzt haben auch die anderen Kinder gesehen, was los ist. „Hilfe!“, schreit der Kleine und rudert wie verrückt mit den Armen. Der schafft es nicht bis ans Ufer, denkt Michi erschrocken. „Mensch“, schreit er, „einer muss ins Wasser!“ Keiner traut sich. Alle schauen auf Niklas. Aber der scharrt auch nur mit den Füßen im Sand. Da platscht es. Sebastian ist gesprungen! Er schwimmt, packt einen Stock und streckt dem Kleinen den Ast entgegen. Der greift zu, aber seine Finger rutschen ab. Das nasse Holz ist einfach zu glatt. Endlich! Der kleine Junge hat den Stock erwischt. Atemlos sehen die anderen, wie Sebastian ihn ans Ufer zieht. Dann hocken die beiden nassen Jungen schnaufend im Sand. „Das war ganz toll von dir, Sebastian“, sagt Julia. Plötzlich fragt Philipp: „Wo ist denn Niklas?“ Alle sehen sich um. Aber Niklas ist nicht mehr da.“ Erstmals 1986 brachte Alexander Kröger seinen Science-Fiction-Roman „Die Engel in den grünen Kugeln“ als Band 199 der Reihe „Spannend erzählt“ im Verlag Neues Leben Berlin heraus. Dem E-Book liegt die überarbeitete Auflage zugrunde, die 2014 unter dem Titel „Falsche Brüder“ im Projekte Verlag Cornelius Eisleben und Halle erschien. Der utopische Roman ist gleichzeitig eine Parallelhandlung zu „Robinas Stunde Null“: Dicht presst sich Igor Walrot an den Boden, während ringsum die todbringenden blauen Blitze aufzucken. Etwas Unbegreifliches ist geschehen. Da sind in Nordeuropa fremde Raumschiffe gelandet und überziehen die Erde mit Krieg. Viele meinen, dass es sich bei den Auseinandersetzungen um ein Missverständnis handelt, und wollen die Fremden wie Gäste begrüßen, doch Igor glaubt nicht an die Friedfertigkeit der Besucher aus dem All. Bestärkt wird er in seiner Meinung von Dagmar, jenem dunkelhaarigen Mädchen, das immer in der vordersten Kampflinie zu finden ist. Und so übernimmt er auch den gefährlichen Auftrag, der ihn bis in die Basis der Außerirdischen führt, die seltsamerweise wie Engel aussehen. Kriege sind zum Zeitpunkt der Handlung auf der Erde Geschichte. Es dauert lange, bis die Menschen wirksamen Widerstand leisten können. An einem packenden Einzelschicksal schildert Kröger das leidvolle abenteuerliche Geschehen um die Eindringlinge. Und so beginnt der spannende utopische Roman: „Ich presste mich in die flache Mulde. >Sie sehen meinen Rücken!<, dachte ich panisch. Meine Hände krallten sich in trockene Moosbüschel. Ich empfand nicht den Schmerz, den die Sandkörner verursachten, wenn sie sich unter die Fingernägel schoben, bemerkte nicht den krampfigen Druck in Brust und Rücken; ich wollte schier in den Boden hineinkriechen. Hartes Kraut stieß ins Gesicht, aber ich veränderte meine Lage nicht. Jede Faser meines Körpers war auf den einen Satz eingestellt, der wie ein Schrei durch meinen Kopf jagte: >Ich will leben, ich will leben ...< Und je näher das penetrante Zischgeknatter des blauen Blitzes kam, desto lauter schrie es in mir. Eine Sekunde erinnerte ich mich der eingebläuten Instruktionen: Sie schießen blind, harken ein Areal automatisch ab. Du kannst stehen, sitzen, bei dieser Waffe haben sie dich nicht im Visier. Das ist deine Chance: Du musst den Blitz sehen, wenn er kommt. Die Schläge halten eine Linie ein. Wenn diese auf dich zukommt, dann spring. Am besten dorthin, wo es bereits eingeschlagen hat. Die Automatik geht nur vorwärts. Freilich, so ganz genau ist das nicht. Um ein, zwei Meter vor und zurück vertun sie sich manchmal - abhängig von der Geländeoberfläche. Aber keine Angst, es tut nicht weh, egal wo es dich erwischt. Nicht einer hat bisher gelitten. Es trifft dich - und aus! Wenn du nicht vorher schreist, später kommst du nicht mehr dazu. Kurz vor meinem Kopf sprang eine Fontäne auf. Trotz der zusammengepressten Lider drang der blaue Schein ins Hirn. Erdreich prasselte nieder. Noch tiefer zuckte mein Gesicht in das stachlige Kraut. Nach zwei Sekunden krachte es erneut, doch zwei Meter links. Dann abermals, schon weiter entfernt. Da kam ein anderer Gedanke auf, zaghaft noch, drängender, dann mit einer Wucht, die den Körper wie in einem Anfall empor riss. >Vorwärts, zwei Meter vorwärts!< Ich warf mich nach vorn, nahm fast die gleiche Lage ein, nur dass ich jetzt die Arme an den Körper presste. Ich schlug mit dem Kopf hart auf, schmeckte Erde. Langsam zog sich das Brennen abgeschürfter Haut über die linke Gesichtshälfte. Mit diesem Schmerz setzte allmählich logisches Denken ein. Ich horchte auf die Einschläge links von mir. Das trockene Knallen nahm an Lautstärke wieder zu, also die nächste Reihe, die, trat nichts Zufälliges ein, nun hinter mir vorbeigehen musste. Ich winkelte die Arme an, hebelte den Körper nach vorn, noch immer bestrebt, den Bodenkontakt nicht zu verlieren. Dann wurde ich erneut mit Erde überrieselt, und ich roch stechenden Ozon. Der Blitz war in die Mulde gefahren, in der ich vor wenigen Augenblicken gelegen hatte. Noch fünf, sechs Entladungen folgten zur Rechten, dann trat Ruhe ein, langsam entkrampfte ich mich. Ich spürte den kalten Schweiß in den Achselhöhlen und wie mir Tränen über die Nasenwurzel rannen. Die linke Wange brannte stärker. Langsam verlagerte ich mein Gewicht auf den rechten Ellenbogen, stemmte, setzte mich auf. „Los, auf mit euch und zurück, ihr Blödmänner, sie rücken gleich an!“ Der Unteroffizier sprang zehn Meter neben mir aus einer Kuhle, raffte sein Gewehr auf, verhielt dann doch und beobachtete, wie sein Befehl befolgt wurde. Ich kam nicht sogleich in den Stand, einige Meter rannte ich auf allen Vieren, stolperte dann in die Aufrechte. Das Gewehr schleifte ich, am Lauf gefasst, hinter mir her. „Sammeln, dort hinter der Baumgruppe!“, hörte ich. Die gesamte dünne Kämpferkette auf mehreren Dutzend Metern Länge rannte, hastete zurück. Hinter und neben mir hörte ich es keuchen. Und zum ersten Mal, seit ich als Neuling ganz vorn eingesetzt war, gestand ich mir ein: >Tapfer sind wir, bist du, Igor, nicht gerade! < Als ich den Wald erreichte, verlangsamte ich den Lauf, fiel in den Schritt, verhielt ganz und gar, blickte mich um. Wir hatten fast alle gleichzeitig den dünnen Waldstreifen erreicht, so als gönne einer dem anderen den Vorsprung nicht, den Vorsprung in eine Scheinsicherheit. Denn wie hieß es in der schnoddrigen Anleitung: Wenn sie ein Gebiet ausgiebig beharkt haben, dann rücken sie beharrlich bis zu dieser Linie vor. Und treffen sie dabei auf keinen Widerstand, dann ist man in dieser Zeit sicher. Bis das Spiel von Neuem beginnt. Ich hatte mich nicht zu fragen getraut, wo da überhaupt der Sinn liege, dass wir nun gleichsam nackt dem Gegner in vorderster Linie entgegentreten, wenn wir dann doch nur vor ihm herliefen. Ich erinnere mich nicht, dass in diesen zwei Tagen auf unserer Seite auch nur ein Schuss gefallen wäre, aber drei Tote hatte es gegeben. >Und ob jetzt alle überlebt hatten?< Auf der anderen Seite des Waldes konnte man bereits wieder einen Kahlschlag sehen. Ich ging noch etliche Schritte, gewahrte, dass die Kameraden sich zwischen den wie gesät liegenden Steinen lagerten. Gegen eine Birke gelehnt, starrte ich durch die Zweige in den Himmel. Was für eine sinnlose Unternehmung! Zweimal hatte ich nun erlebt, wie die vorrückten, zweimal dieses Blitzinferno über mich ergehen lassen; das zweite Mal war ich davongelaufen. Ich biss die Zähne aufeinander, dass die Kaumuskeln schmerzten. Wie der ausgesehen hat! Ich erinnerte mich des toten Kameraden - ich glaube, er hieß Stephan -, den es beim ersten Angriff unmittelbar neben mir erwischt hatte. Im Sprung hatte ihn der Blitz getroffen, ihn niedergestreckt, den Körper langgepeitscht, als schnelle eine gespannte Feder zurück. Er lag und rührte sich nicht mehr. Noch einen kurzen Augenblick drangen rings aus seinem Körper kleine Funkengarben in den Boden. Mehr hatte ich nicht wahrgenommen, denn da rannte ich, von Entsetzen gepackt, bereits nach hinten, ungeachtet der noch berstenden Entladungen neben mir.“ Erstmals 1997 erschien im Union Verlag Berlin „Aus Morgen und Abend der Tag. Philipp Otto Runge – Sein Leben in fünf Bildern“ von Renate Krüger: Die Autorin hat fünf Gemälde des nicht einmal vierzig Bilder umfassenden Lebenswerkes dieses neben Caspar David Friedrich bedeutendsten Malers der deutschen Frühromantik zum Anlass einer weitreichend angelegten epischen Darstellung genommen. Der so gleichsam von den Werkaussagen ausgehende Text versucht in farbiger und lebendiger Schilderung das Leben des 1777 in Wolgast geborenen, 1810 in Hamburg gestorbenen Künstlers zu erfassen und dem Leser eine Vorstellung von den persönlichen, familiären und gesellschaftlichen Bedingungen zu geben, die hier durch einen tragisch frühen Tod auf das an seiner Vollendung gehinderte Schaffen einwirkten. Unter Bezug auf das 1806 entstandene Doppelporträt der Eltern gibt die Autorin im ersten Bild Auskunft darüber, wie Napoleons Machtausbreitung und der wirtschaftliche Ruin des Bruders Daniel die finanziell ungesicherte Lage des jungen Künstlers und seiner Familie bedrängten; zugleich enthält dieses Kapitel die einfühlsame Darstellung seiner Kinderjahre, spiegelt es in Reflexion und Analyse die von Krankheit und Sensibilisierung geprägte Kindheit. Die Autorin hat dieses Prinzip auch in den folgenden Abschnitten beibehalten: Das 1805 gemalte Gruppenporträt „Wir drei“ wird zum Motiv einer Würdigung und Wertung der besonderen Rolle, die Runges älterer Bruder im Leben des Künstlers spielte. In „Die Lehrstunde der Nachtigall“ und „Bildnis der kleinen Louise Perthes“ sind es Runges Frau Pauline und der ihm freundschaftlich verbundene Verleger Friedrich Perthes, die sich episodisch seines Lebens und seiner Person erinnern. Der zeitliche Abstand der beiden gealterten Menschen vom erlebten Geschehen und die subjektive Sicht ihrer Erinnerungen brechen dabei das Bild des von ihnen geliebten oder geschätzten Menschen auf verschiedenartige Weise. Im abschließenden fünften Bild „Der Morgen“ endlich wird in einer großen Rückschau und wechselnden Perspektiven und Zeitebenen die Ideenwelt des Romantikers Runge aus sozialer Herkunft, Naturerlebnis, Weltanschauung, Freundschaften, politischen Haltungen, künstlerischen Zielsetzungen und Lebenserfahrungen heraus erfasst und in Beziehung gesetzt zu Zeitgenossen und den Erfahrungen des beginnenden Industriezeitalters. Es ist das besondere Verdienst der Autorin, Wesen und historische Rolle der deutschen Romantik am Schicksal des lange Verkannten und Missverstandenen sichtbar gemacht zu haben. Schauen wir auf das erste Bild: „Erstes Bild: Die Eltern 1. Kapitel Philipp Otto Runge: Die Eltern, 1806 Zum zweiten Mal in diesem harten Jahr 1806 fährt Philipp Otto Runge die Straßen, die er in sehnsüchtigen Gedanken so oft zurückgelegt hat: die Wege zwischen Hamburg und Wolgast, zwischen der Weltstadt und dem kleinen pommerschen Hafen, zwischen der Elbemündung und der Mündung der Peene. Doch die Wirklichkeit ist anders als die Sehnsucht, das Land ist unruhig, unsicher, geängstigt. Wird auch uns der Krieg heimsuchen? Werden die Franzosen uns quälen? Die Last dieser Wirklichkeit wird für Runge nicht dadurch leichter, dass er sie nicht allein tragen muss. Frau und Kind sind bei ihm. Er verpflanzt seine ganze Familie von Hamburg nach Wolgast. Zum Mitleid mit dem Land kommen die Sorge und die Verantwortung. Er ist für zwei Menschen verantwortlich: für Pauline und den Sohn. Sie fahren durch kleine Städte und große Dörfer, bald kann der Blick ungehindert über ausgedehnte Weideflächen schweifen, bald auf tiefgrünen Büschen am Waldesrand ausruhen, die Schwalben fliegen tief, Kirchturmuhren tönen durch die Stille; was hat die Stunde geschlagen? Alt ist das Land, und alt ist irgendwie die Zeit. Runge scheut sich fast, mit der Last von so viel Jugend und Jungsein hindurchzufahren: er selbst neunundzwanzigjährig, Pauline ist einundzwanzig Jahre alt und der kleine Otto eine Menschenknospe von einem Jahr. Im März war Runge mit dem Bruder Daniel diesen Weg schon einmal gezogen. Ihr Hamburger Handelshaus war zusammengebrochen. Sie wussten nicht mehr, wovon sie in der nächsten Zeit leben sollten. Sie wollten nach Wolgast, um die traurigen geschäftlichen Angelegenheiten mit den Eltern und den Geschwistern zu besprechen und zu ordnen, denn der Konkurs des Hauses Hülsenbeck, Runge & Co traf sie leider alle. Damals wirkte das Land hier ringsum friedlich und tröstend. Jetzt nicht. Nur schnell hindurch, nur schnell nach Pommern. Es besteht kein großer Unterschied zwischen Mecklenburg und Schwedisch-Pommern. Die Landschaft wirkt ähnlich. Die Menschen sind ähnlich. Nur die Obrigkeit ist anders, und Pommern darf froh sein, dass es zu Schweden gehört. Das Joch des Nordens scheint in diesen Zeiten leichter. Runge wird mit diesem Land, mit diesen Menschen leben müssen - wie lange? Doch alles wird anders sein, als er es sich erträumt und ersehnt hat. Was hat er erträumt? Das Ereignis der Heimkehr der Söhne ... Dieses Bild war während der Kopenhagener Zeit in ihm gewachsen, und seither hat es ihn nicht verlassen. Die Söhne waren ausgezogen in die nahe und in die weite Welt, um ihr Glück und nicht weniger sich selbst zu finden. Nun kehren alle zurück ins Elternhaus, erfolgreich, glücklich, dankbar. Alles und sich selbst legen sie den Eltern zu Füßen: Seht, das ist aus uns geworden, das habt ihr aus uns gemacht. Eure Mühen und Sorgen und schlaflosen Nächte sollen als übergroßer Segen auf euch zurückkehren. Alle die zarten Pflanzen, die ihr unter Schmerzen und Sorgen in den Weltengarten gesetzt habt, haben tiefe Wurzeln geschlagen, sind zu kräftigen Büschen und Bäumen geworden, geben Schutz und Schatten für andere, auch für euch selbst. Damals hat er seinen Traum gezeichnet: Jeder begrüßt und umfängt jeden vor der geöffneten Tür des Elternhauses. Traumhaft leicht und zart sind alle Bewegungen. Nur im Traum könnte es so sein. Damals hat er sogar geplant, den kleinen Saal im Wolgaster Haus seines Bruders Jakob mit diesem Traum zu schmücken, doch es wird nicht geschehen, dieser Traum ist ausgeträumt. Fort mit den trüben Gedanken! Es bleiben genug andere Bilder, die gemalt werden wollen. Die Lerchen jubilieren, und es duftet nach warmem Waldboden. Es warten noch andere Träume. Und es bleibt so viel gute Wirklichkeit, dass er sich schämen sollte, dem bisschen Traum, das nicht in Erfüllung ging, nachzutrauern. Die Söhne dürfen ja heimkehren. Warum nur die Söhne? Das Kopenhagener Bild war nicht vollständig. Sind die Töchter weniger? Zugegeben, Töchter bleiben immer viel mehr zu Hause als Söhne. Töchter nehmen die Heimat viel stärker überallhin mit, wohin auch immer sie gehen. Sie haben die Gabe, die Heimat dort auszubreiten und wachsen zu lassen, ein neues Zuhause aus sich hervorgehen zu lassen und über ihre Familien zu breiten. Vier Töchter sind aus dem Runge-Haus hervorgegangen. Erst nach drei Töchtern wurde der erste Sohn geboren, Johann Daniel. Die älteste Tochter, Maria Elisabeth, lebt im Elternhaus. Sie hat keine neue Heimat begründen können. Sie kränkelt seit Kindertagen, ähnlich wie Otto. In ihrer Kränklichkeit und Schwachheit fühlen sich Otto und Maria am meisten verbunden. Otto liebt die um vierzehn Jahre ältere Schwester wie eine zweite Mutter, und die Schwester hört ihre plattdeutsche Namensform Mrieken am liebsten aus dem Munde Ottos. Die zweite Tochter, Ilsabe Dorothea, ist schon Witwe. Durch ihre Ehe mit dem Gutspächter Helwig wurde die Familie Runge auch im Mecklenburgischen heimisch. Ilschen, auch Helwigsch genannt, verstand es ganz besonders gut, die alte Heimat auszubreiten, auch auf ihre Pachtungen Großen-Helle und Lüdersdorf nördlich von Penzlin, zwischen Waren und Neubrandenburg. Das Rungesche Leben spielt sich fortan zwischen Hamburg, Lüdersdorf und Wolgast ab. Ilschen hat wenig Gelegenheit, über ihre frühe Witwenschaft zu trauern. Um sie braust so viel Rungesches Leben, dass sie sich nie einsam fühlt. Die Schwester Regina Charlotte hat es nur achtzehn Jahre in Wolgast und überhaupt auf der Welt ausgehalten. Sie liebte alles Stille, den Garten und den Friedhof, die Blumen und die Schmetterlinge, und sie fühlte sich jetzt gewiss wohl in der ewigen Stille. Durch Daniel breitete sich die Familie Runge nach Hamburg aus, auch wenn er keine eigene Familie begründete. Die auf Daniel folgende Schwester Anna Christine, Stienchen genannt, blieb gleichfalls unvermählt, lebt im Wolgaster Elternhaus, kränkelt und ist oft schwer zu ertragen. In Wolgast lebt auch Jakob Friedrich, Kaufmann und Reeder wie der Vater, tüchtig, verheiratet mit Friederike Peters, die er bei seiner Schwester Helwig in der mecklenburgischen Runge-Heimat kennengelernt hat. Anlässlich seiner Hochzeit vor vier Jahren waren alle Runge-Kinder in Wolgast vereint. Ihm, Jakob, hatte Otto das Bild von der Heimkehr der Söhne schenken wollen. Der nächste Sohn, David Runge, ist Landmann durch und durch, verwaltet die Ländereien der Schwester und seine eigenen an der Müritz. Er fühlt sich als Mecklenburger, hat eine Neubrandenburgerin zur Frau, ist ungemein fleißig und tüchtig, voller Humor, Schwung und Gesundheit. Der folgende Bruder Karl Gustav starb schon mit drei Jahren. Den leeren Platz nahm bald Philipp Otto ein. Auch Ottos jüngerer Bruder, Karl Hermann, verspricht ein tüchtiger Landwirt zu werden. Er ist Ottos Lieblingsbruder, ein wenig heimlich zwar, denn Daniel neigt zur Eifersucht. Aber Otto ertappt sich dann und wann doch bei dem Gedanken, dass er auch bei Karl Hermann leben könnte, wenn der erst einmal richtig Fuß gefasst hätte mit sich und seiner zukünftigen Familie. Er hat im vergangenen Jahr geheiratet. Und er wird sich des jüngsten Runge-Sohnes Gustav annehmen müssen, der lange mit Otto im Hamburger Hause Daniels lebte, um den Beruf eines Buchhändlers zu erlernen, den es aber doch nicht bei Daniel und den Büchern hielt. Er sehnte sich nach frischer Luft und wollte auch lieber Landmann werden. Mit seiner Gesundheit ist es nicht weit her. Sein tägliches Nasenbluten ist noch immer beunruhigend. Jetzt lebt er beim Bruder David. Otto wird sie auf seiner Heimfahrt alle miteinander besuchen. Statt der Heimkehr der Söhne die Heimkehr der Geschwister, die Heimkehr zu den Geschwistern.“ Und für die Leser bleibt neben dem Leseerlebnis die Einladung, sich einmal ausführlicher mit einem der - trotz seines durch die Tuberkulose tragisch verkürzten Lebens – vielseitigsten Künstlers des 19. Jahrhunderts zu befassen, vom dem Goethe einst gesagt haben soll: „Ein Individuum, wie sie selten geboren werden“. Besonders zu empfehlen ist übrigens seine „Farbenkugel“, das erste dreidimensionale Farbsystem, über das er mit eben jenem Geheimrat aus Weimar korrespondiert hatte. Dieser zeigte sich sehr interessiert, wollte aber offenbar von seinen eigenen Überlegungen zu seiner „Farbenlehre“ nicht allzu viel preisgeben. Weitere Informationen und Angaben finden Sie unter http://www.prseiten.de/pressefach/edition-digital/news/3882 sowie http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/. Über EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr: EDITION digital wurde 1994 gegründet und gibt neben E-Books Bücher über Mecklenburg-Vorpommern und von Autoren aus dem Bundesland heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen. Pressekontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Gisela Pekrul Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://www.edition-digital.de
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Ein Landarzt mit Schlafstörungen, ein Eisenhändler als Sensenmann und ein Papagei sieht fern - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
Weihnachten rückt immer näher. Und so steht an der Spitze der fünf Deals der Woche, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 08.12.17 – Freitag, 15.12.17) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind, wieder ein Weihnachtsbuch: Lutz Dettmann hat die darin enthaltenen mehr oder weniger kurzen Geschichten zunächst nur für die eigene Familie geschrieben und lässt jetzt auch andere Leserinnen und Leser daran teilhaben. Und mal ganz ehrlich, glauben Sie eigentlich noch an den Weihnachtsmann? Aljonna und Klaus Möckel laden uns ins Zauberland ein, wo diesmal jedoch eine große Katastrophe für die Smaragdenstadt droht. Gleich zwei Mal ermitteln kluge Köpfe und lösen selbst die schwierigsten Fälle. Kein Wunder, schließlich wissen der von Steffen Mohr erdachte Kommissar Gustav Merks und auch der von Jan Flieger erfundene Kommissar „Spürnase“ ihre kleinen grauen Zellen zu nutzen. Und von Tobias, also von Kommissar „Spürnase“, erfahren wir sogar, was er sonst noch tut, wenn er ganz intensiv denkt. Schließlich sind da noch insgesamt 40 ganz wunderbare Feuilletons von Jürgen Borchert zu haben. Und der ist ein Schriftsteller, der in dieser literarischen Disziplin einfach klasse war, vielleicht sogar Weltklasse. Aber überzeugen Sie sich am besten selbst und legen Sie einen Elefanten auf die Briefwaage. Vastehnsemarecht. Aber zurück zu Weihnachten. Es ist nur eine kurze Zeit her, eine ganz kurze Zeit, da hat die EDITION digital das Buch „Wer glaubt schon an den Weihnachtsmann?“ von Lutz Dettmann sowohl als gedruckte Ausgabe wie auch als E-Book herausgebracht: Weihnachten – Fest der Familie, strahlende Kinderaugen unter dem Weihnachtsbaum, Besinnlichkeit, für viele Menschen aber auch Symbol für Konsumterror, Völlerei und eine Zeit der Einsamkeit. Lutz Dettmann macht die Vielfalt der zahlreichen, oft widersprüchlichen Seiten der Weihnachtsfeiertage für den Leser erfahrbar. Die abwechslungsreichen Kurzgeschichten führen den Leser vom Mecklenburg der Gegenwart, in der ein erbarmungsloser Dekorationskrieg zweier Nachbarfamilien ein überraschendes Finale hat, bis in die Schützengräben von Flandern, wo er hautnah dabei ist, wie in der Heiligen Nacht des Jahres 1914 aus Feinden Freunde werden. Lutz Dettmanns Geschichten regen zum Nachdenken an und sind – genau wie die Vorweihnachtszeit – manchmal skurril oder auch trivial. Eines haben sie alle gemein: Sie vermitteln diese besondere Weihnachtsstimmung. Fast alle Weihnachtsgeschichten, über Jahre für die Familie geschrieben, finden in diesem Buch erstmals ihren Weg in die Öffentlichkeit. Dem Buch liegt außerdem eine DVD bei. Sie enthält den Kurzfilm „Fröhliche Weihnachten“ (Regie: Till Endemann), der nach der in diesem Band enthaltenen Erzählung „Alle Jahre wieder“ gedreht und 2010 im MDR erstausgestrahlt wurde. Dafür hatte Lutz Dettmann auch das Drehbuch geschrieben. Die Erzählung ist ebenfalls im E-Book enthalten. Aber nun erst mal eine kleine Kostprobe aus den mitunter recht ungewöhnlichen Weihnachtsgeschichten von Lutz Dettmann. Auch diese hier beginnt zunächst recht still und harmlos und fast gewöhnlich: „Stille Nacht Dr. Friedrich Christ war ein ruhiger und ausgeglichener Mann. Bis vor fünf Jahren hatte er in der Landeshauptstadt gewohnt und dort eine florierende Arztpraxis geführt. Doch als der Doktor fünfzig wurde, stellte er fest, dass er nun in einem Alter sei, in dem auch er zählte und nicht nur seine Patienten. Um es kurz zu machen: Als der Doktor einige Monate später in einer Ärztezeitung las, dass eine Landarztpraxis frei werden würde, setzte er sich in seinen alten DKW und fuhr hinaus aufs Land. Der alte Landarzt stutzte zwar, dass sein potenzieller Nachfolger gerade einmal 15 Jahre jünger sein würde als er. Doch er fand ihn sympathisch und beide wurden schnell handelseinig. Des Doktors Frau brauchte nicht lange überredet zu werden, denn sie hatte schon lange bemerkt, dass ihr Mann in der Großstadt nicht mehr glücklich war. So wurden die vielen Bücher eingepackt, der Tochter und dem Sohn ein langer Brief geschrieben und hinaus ging es aufs Land. Der alte und der neue Landarzt praktizierten noch eine kurze Zeit gemeinsam, denn ganz einfach ist es nicht auf dem Land für einen neuen Arzt, auch wenn er schon 50 ist. Aber der neue alte Doktor sprach Platt und bewies den Leuten auch, dass er was konnte, und irgendwie deckte er auch noch einen alten Zweig seines Stammbaumes auf, der dort in Bargeshagen vor 100 Jahren gelebt hatte. Der alte Arzt setzte sich beruhigt zur Ruhe und zog zu seiner Tochter nach Greifswald. Dr. Christ fühlte sich wohl, weitab vom Großstadttrubel in seiner kleinen Praxis, mit dem kleinen Häuschen und dem großen Garten. Und wenn er nicht einen Schnack mit den Nachbarn machte, verbrachte er seine Mußestunden im Garten, las und beobachtete seine Frau beim Jäten und Ernten. Am Sonntag saß Dr. Friedrich Christ inmitten seiner Gemeinde und machte seinem Namen alle Ehre. Eigentlich hätte er glücklich und zufrieden bis ins Rentenalter leben können. Doch – wie schon gesagt – unser Doktor war ein ausgeglichener Mann – war – bis vor einigen Monaten. Dann nahm das Unheil seinen Lauf. Unruhig wälzte sich Doktor Christ von der einen auf die andere Seite. Der Schlaf wollte einfach nicht wiederkommen – obwohl es erst fünf Uhr war. Fast schmerzhaft klang der Gong des alten Regulators aus dem Wohnzimmer herauf. Neben ihm schlief seine Frau den Schlaf der Gerechten. Fast war er wütend auf sie, obwohl sie doch nicht dafür konnte, dass er nicht schlief. Dafür konnte nur eine bestimmte Kreatur etwas, und diese schmetterte ihren Laut schon wieder in die dunkle Nacht, seit fast zwei Stunden. „Dieses Miststück von Hahn!“ Der Doktor vergrub seine Ohren in das tiefe Kissen. Doch gedämpft klang das KIKERIKI noch immer an seine Ohren, als ob die Hühnerfedern mit dem Hahn unter einer Decke steckten. „Heute gehe ich noch einmal rüber zu Lehmann und red mit ihm! Der Hahn muss weg. Das Vieh ist doch verrückt! Stockdunkel, von der Sonne nicht eine Spur und krähen tut das Aas wie im Sommer. Verdammt, wir haben Oktober! Oktober!“ Die Hand seiner nun erwachten Ehegattin ließ ihn verstummen. „Mann, versuch zu schlafen! Kein Wunder, dass du mit deiner schlechten Laune die Patienten zur Frau Doktor treibst.“ Da war es – das zweite Übel, dass ihn nicht ruhig schlafen ließ: Die junge Frau Doktor, die im Nachbardorf vor einigen Wochen eine Praxis eröffnet hatte. In Scharen liefen die alten Kerle mit dem kleinsten Zipperlein zu ihr und ließen vor ihr die Hosen runter! Wenn es so weitergehen würde, hätte er nur noch die alte Meyersche als Kundin. Die wog vier Zentner und konnte darum nicht in das Nachbardorf zur Konkurrenz gelangen. Doch mit der hübschen Doktorin konnte er leben. Der Hahn war das größere Übel. Die Frau Kollegin war ja noch nett zu ihm, aber der Lehmannsche Hahn war eine Ausgeburt der Hölle.“ Erstmals 2002 erschien bei der LeiV Buchhandels- und Verlagsanstalt als Band 7 der Nikolai-Bachnow-Bücher die Druckausgabe von „Der Hexer aus dem Kupferwald“ von Aljonna und Klaus Möckel: Im Kupferwald, wo es Aluminiumfinken, Goldschwanzaffen und Silberwölfe gibt, haust in seiner Hütte der finstere Hexer Kaligmo. Seine magischen Kräfte bezieht er von einem Strauch, dem er dafür sein Blut spenden muss. Kaligmo ist eingebildet und hält sich für den größten aller Zauberer. Als er bei einem Magierwettstreit in der Smaragdenstadt nur den dritten Platz belegt, schwört er schreckliche Rache. Er schickt schwarze Stachelmänner aus, die überall wildwachsende Dornenhecken und Kakteen pflanzen. Die Stadt soll zuwuchern und alles Leben darin erstickt werden. Eine Katastrophe droht, der Weise Scheuch, Prinzessin Betty und die anderen müssen etwas unternehmen. Vergeblich bemühen sie sich zunächst, den Urheber herauszufinden. Als der Hexer sich dann zu erkennen gibt, ist guter Rat teuer. Der Tapfere Löwe und Elefant Dickhaut, die Kaligmo aufsuchen, um ihn zur Rede zu stellen, werden in unzerbrechliche Glaskugeln gebannt; der Eiserne Holzfäller entkommt mit Not einem grässlichen Tod. Aber da der Scheuch, Betty, Jessica, Larry Katzenschreck und sogar der Storch Klapp sich zusammenschließen, wird der Zauberer am Ende doch noch gestoppt. Am Anfang des spannenden und sehr einfallsfreudigen Buches erfahren wir, worüber sich der finstere Hexer Kaligmo so sehr ärgert und wie abschreckend er aussieht: „Erster Teil: Die schwarzen Kaktusmänner Ein beleidigter Zauberer Ein Sirren lag in der Luft, ein Klang, als würden sanfte Hände über tausend Gitarrensaiten streichen. Es kam vom Wind, der mit den Zweigen des Kupferwaldes spielte. Mittagszeit. Die Goldschwanzaffen dösten in den Baumwipfeln; ab und zu huschte ein Aluminiumfink zum nächsten Strauch. Am Ende des Waldes, dort wo Dornenhecken und Stachelgestrüpp eine karge Ebene ankündigten, stand eine Hütte. Sie war stabil gebaut, aber ganz von Grünspan überzogen, denn ihre Wände bestanden aus Stämmen der Kupfereiche. Betrat man die Hütte, so schien sie nicht viel Raum zu bieten, doch der erste Eindruck täuschte. Eine geschickt in den Boden eingelassene Tür führte über eine Treppe nicht nur in einen Keller, sondern auch zu weiteren Wohnräumen. Sie waren mit Teppichen ausgelegt, möbliert und durch Leuchtsteine erhellt, wie es sie nur im Zauberland gab. Hier war das Reich des Hexers Kaligmo, eines mürrischen Mannes von unbeschreiblicher Hässlichkeit. Mit seiner schiefen Nase im eckigen Gesicht, mit abstehenden Ohren und einer Warze auf der Stirn, mit kurzen Beinen und langen dünnen Armen hätte er ohne weiteres einen nächtlichen Gruselgeist spielen können. Sein abschreckendes Äußeres war auch der Grund, weshalb er in dieser Einöde lebte. Doch Kaligmo hielt sich für einen bedeutenden Zauberer und Erfinder. Ganz unbegründet war das auch nicht, konnte er doch Wasser in Most verwandeln und Tiere zu Stein erstarren lassen. Außerdem experimentierte er mit Kräutern, Mineralien, Säften. Er rührte und mischte die verschiedensten Substanzen zu einem Gebräu oder Teig, mit dem er jegliches Leben nach seinen Wünschen verändern oder gar vernichten wollte. In diesen Tagen war Kaligmo besonders schlecht gelaunt – er musste sich irgendwie Luft verschaffen. Mit der Absicht, seine Wut an dem erstbesten Wesen auszulassen, das ihm über den Weg lief, verließ er seine Hütte. Die friedliche Landschaft draußen beruhigte ihn ein wenig und er begnügte sich zunächst damit, rechts und links blaue Blitze in die Büsche zu schleudern, so dass die Vögel kreischend aufflatterten. Als jedoch ein alter Wolf mit metallisch glänzendem Fell unglücklicherweise aus dem Gesträuch sprang, schrie der Hexer: „Bleib stehn, sonst verwandle ich dich in einen Hackstock!“ Der Wolf wusste, wie gefährlich Kaligmo war, und verharrte reglos am Fleck. Seine raue Stimme dämpfend, bat er: „Lass mich gehen, ich hab dir nichts getan. Wenn du willst, fange ich dir einen fetten Hasen zum Abendbrot.“ Das besänftigte den Zauberer etwas. „Heute und morgen einen Hasen“, befahl er, „übermorgen zwei Wachteln! Aber hüte dich, mich zu betrügen, wie es die Leute in dieser widerwärtigen Smaragdenstadt getan haben.“ „Man hat dich betrogen?“, fragte der Wolf. Er merkte, dass es am besten für ihn war, das Gespräch in Gang zu halten. „Betrogen ist gar kein Ausdruck. Dieser Scheuch und seine Bande sind nichts als Scharlatane, denen man das Handwerk legen muss. Was verstehen die schon von Zauberei. Erst schreiben sie einen Wettbewerb aus, bei dem man seine Kunst zeigen soll, dann urteilen sie nach ihrem lächerlichen Geschmack. Warum habe ich mich bloß herabgelassen, teilzunehmen?“ Der Wolf wusste nicht, was er erwidern sollte, begriff aber, dass Kaligmo einen Zuhörer brauchte. Dem Hexer war offenbar ein Unrecht geschehen oder er bildete sich das wenigstens ein. Jedenfalls musste er sich die Sache wohl von der Seele reden, zumal er sonst stets allein in seiner Hütte hockte. „Dabei habe ich ein so wunderbares Kunstwerk geschaffen“, erklärte Kaligmo. „Entschuldige, ich habe noch nicht genau verstanden, worum es bei dem Wettbewerb ging“, sagte der Vierbeiner. „Worum es ging? Wir sollten eine Festtafel nach unseren Vorstellungen gestalten. Mit unseren Wunderkräften natürlich. Alle Hexen und Feen des Zauberlandes waren versammelt, darunter so mancher Nichtskönner. Ich habe meine ganze Kunst entfaltet. Aber dann, bei der Preisverleihung ...“ „Sie haben dich übergangen“, wagte der Wolf den Satz zu vollenden. „O nein! Das haben sie sich nun doch nicht getraut. Aber der Scheuch, der sich weise nennt und den obersten Richter spielte, hat mir nur den dritten Preis zuerkannt, den dritten!“ Angesichts dieser Kränkung traten Kaligmo Tränen in die Augen. Der Wolf konnte den Schmerz nicht ganz nachempfinden. Er dachte, dass ein dritter Preis bei einem solch großen Wettbewerb durchaus eine Anerkennung sei. Aber er hütete sich, das kundzutun. „Was hattest du denn gezaubert, Großer Kaligmo?“, fragte er unterwürfig und trat ganz vorsichtig einen Schritt zurück. Der Hexer war zu sehr mit seiner Rede beschäftigt, um die Fluchtabsicht zu bemerken. Zudem fühlte er sich geschmeichelt. „Die wunderbarsten Gerichte aus den Höhlen meiner Kindheit. Blutegelsuppe und Mäuseschwanztorte. Drei fette Ratten in einer Ziegenhaut gebacken und mit Eulenfedern garniert. Das Ganze in einem Kranz grauer Sumpffrüchte. Über Kreuz angeordnete gehäutete Schlangen an beiden Enden der Tafel. Die besten Stücke mit Dornen gespickt. Genial, sage ich dir!“´ Irgendwie ziemlich genial sind auch die Ermittlungskünste von Kommissar Gustav Merks. 2012 legte Steffen Mohr bei der EDITION digital das E-Book „Rätselkrimis. Ein Kommissar für jede Jahreszeit“ vor: Wer hat den Tod des Artisten verschuldet? Womit verrät sich der Mörder des Postboten? Warum ist die Trauer der Öko-Bäuerin über den Tod ihrer Schwester geheuchelt? Wer wollte das Auto der Schlagersängerin in die Luft sprengen? Kommissar Gustav Merks ist den Tätern auf der Spur. Seinen legendären Ruf verdankt der gemütliche Sachse einer wirkungsvollen Waffe - seinen kleinen grauen Zellen. Wer die eigenen kriminalistischen Fähigkeiten unter Beweis stellen will, hat hier Gelegenheit: 77 Rätselkrimis versprechen Spaß und Spannung beim Lesen und Lösen. Wer aufgibt oder den falschen Täter dingfest macht, kann sich am Ende die Ermittlungsergebnisse des Gustav Merks ansehen. Als Einladung, sich selbst einmal als Ermittler zu versuchen, präsentiert der aktuelle Newsletter die ersten beiden Fälle von Kommissar Merks. Aber um es gleich hinzuzufügen, sie sind nicht ganz einfach zu lösen … „IM MÄRZEN DER BAUER BIS PFINGSTEN SCHLÄGT ZU 1. FRÜHLINGSSCHNEE Mit Anke und Karolin gab es in der Stadt zwei Stardiven, und das war einfach eine Diva zu viel. Zwar traten die beiden jungen Frauen gemeinsam in einem ständig ausverkauften Brettlprogramm auf. Doch als ruchbar wurde, dass die blonde Anke ihrer Kollegin den Lebenspartner weggeschnappt hatte, tickte die Bombe. Gerade jetzt stand Anke neben ihrem Auserwählten. Sie bückte sich in den Mercedes, mit dem sie als erste Gäste auf dem ländlichen Parkplatz gelandet waren. Der gutmütige Peter, Herr beider Künstlerinnen und einiger anhängender Musikanten und Tänzer, blickte mit großen blauen Augen in die Nachmittagssonne. Eben belud ihn die Braut mit mindestens sechs Blumensträußen. „Echtes Verlobungswetter, Schatz“, strahlte Peter. „Jetzt ist es gerade mal 17 Uhr“, bemerkte Anke kühl. „Bis Sieben trudeln die letzten Gäste ein, und dann wird es schon Nacht.“ Während sie neben ihrem Bräutigam auf den romantischen Landgasthof zustakste, meinte sie: „Gott sei Dank kommt mein alter Freund, der Kommissar. Und hoffentlich bleibt Karolin der Party fern.“ Der Weg über den Hof war mit Feldsteinen gepflastert. Der Schnee fiel quasi aus heiterem Himmel. Rasch überzogen die Flocken die weite Fläche des Parkplatzes mit einer dichten Decke. Es war kurz nach 19 Uhr, als Kommissar Gustav Merks seinen alten Audi neben die anderen Wagen stellte. Vorsichtig, um die für den Anlass frisch geputzten Schuhe nicht zu beschmutzen, balancierte er einen Riesenstrauß und seinen stattlichen Bauch über den Hof. Drinnen liefen bereits die musikalischen Verlobungsständchen. Als der Kommissar in der Tür erschien, steppte die mollige Karolin zu heißen Pianoklängen über das Parkett. Man konnte über die beiden Künstlerinnen denken, was man wollte - in diesem Augenblick, als die kühle Schönheit neben ihrem Bräutigam still sitzen musste, war Karolin die weitaus bezauberndere Person im Saal. Sie hatte einen witzigen Song über die rosige Zukunft verfasst und verführte damit selbst die anwesenden Brettlkollegen zu Beifallsstürmen. Als sie Anke gelbe Rosen und Peter ein Biedermeiersträußchen mit großer Silberdistel überreichte, beobachtete der Kommissar von der Tür aus die Mienen der Drei genau. „Wenn Blicke Stichwaffen wären“, dachte Merks. In diesem Moment schob sich Karolin an ihm vorbei nach draußen. Offenbar musste sie zur Toilette. Anke rief: „Oh, Gustav! Setz dich doch in Ermangelung eines Schwiegervaters an meine Seite!“ Merks gratulierte väterlich, und amüsiert verfolgte er die anschließende Darbietung des Hausballetts. Danach mischte sich eine völlig entspannte Karolin wieder unter die Gäste. Das Büffet wurde eröffnet. In einem günstigen Moment winkte Anke den Kommissar an ihre Seite. „Denk nicht, dass das, was ich dir anvertraue, bloß Theaterdonner ist. Karolin hat einem der Musiker erzählt, dass sie mich in die Luft sprengen will. Wörtlich! Von einer Autobombe war die Rede. Du hast doch Erfahrung mit so was. Könntest du bitte mal zu unserem Wagen gehen und nachschauen?“ Merks nickte stumm. Als er schon auf dem Hof war, stand die Braut plötzlich in der Eingangstür und winkte ihn aufgeregt zurück. „Entschuldige. Weißt du denn, welches Fahrzeug unseres ist?“ „Deinen Wagen“, meinte Merks, „finde ich auf Anhieb.“ - Weshalb? 2. NUR DIE KROKUSSE WAREN ZEUGE Bei Eisen-Lutz in der Gartenlaube lag eine Leiche. Kommissar Gustav Merks hatte die unverwechselbare, markante Stimme des invalidisierten Eisenhändlers am Telefon sofort erkannt. Mit Glas-Peter, seinem ebenfalls im Ruhestand lebenden Grundstücksnachbarn, befand sich der Alte im Dauerstreit. Mal wuchsen die Zweige der Pflaumenbäume von Eisen-Lutz zu weit über den Glas-Zaun, mal rannten Nachbars Hühner quer durch fremde Blumenbeete. Eisen-Lutz aber war als gewalttätig bekannt. Die Hühner von Glas-Peter erlegte er mit der Sense. Diesmal wahrscheinlich auch den ehemaligen Glaser selbst. Die ganze Woche hatte es Bindfäden geregnet. Dementsprechend war der Zustand der Wege im Gartenverein. Merks ließ sein Fahrzeug vor dem Torschild mit der Aufschrift „Märchenidyll“ stehen. Seinen massigen Körper mühsam bewegend, stapfte er durch den Schlamm. Irgendwie war trotzdem ein Auto bis zum Grundstück von Eisen-Lutz durchgekommen. Es parkte vorm Zaun. Merks erkannte den Nobelschlitten als den Manta von Glas-Peter. Jetzt musste ihm der Eisenhändler ein bisschen mehr erzählen als die drei Sätze am Telefon: „Der Glaser ist bei mich rein inne Laube. Hat mir angegriffen mit ne Waffe. Ich hab ihm mit de Sense 'n Kopp kürzer gemacht. Komm' Se doch ma vorbei, Herr Kommissar.“ In allen Farben des Frühlings leuchteten lieblich die Krokusse auf Eisen-Lutzens Beeten. Dazwischen, auf dem Weg zur Laube, erblickte der Polizist die tiefen Fußstapfen eines Mannes. Vom Manta aus führten sie direkt auf das Gartenhäuschen zu. Merks sah zu, dass er in die Spuren hineintrat, um nicht noch mehr Schlamm an seine Schuhe zu pappen. Glas-Peter lag auf den Dielen gleich hinter der Tür. Der als Graf Koks verschriene alte Kleinkapitalist, von dem man sich erzählte, sein Harem erledige alles im Gärtchen, sah im Designeranzug und den frisch gewienerten Markenschuhen, auf deren Sohlen noch das Preisschild klebte, auch im Tode noch ganz passabel aus. Mit einer kleinen Ausnahme: Sein blond getöntes Toupet und ein erhebliches Stück Kopfhaut befanden sich einige Schritte von ihrem natürlichen Sitz entfernt in der entgegengesetzten Ecke des Raumes. Blutspritzer bedeckten den Boden. Die Sense von Eisen-Lutz lag neben dem abgetrennten Kopfsegment. „Ich habe nullkommanischt verändert, Herr Kommissar.“ In seiner Pratze schwang der rotgesichtige Choleriker einen schwarzen Taser. „Mit diesem Elektroschocker hat das Schwein mir angegriffen. Latscht rein in meine Hütte, zieht das Ding und will mir betäuben! Nee, da hab ich mir gleich gewehrt. Und die Sense hat, wie Sie sehn, ganze Arbeit geleistet.“ „Und warum halten Sie jetzt den Scorpion 750 in der Hand?“ Merks schüttelte ärgerlich den Kopf. „Es war die reine Notwehr, Herr Kommissar!“ „Glas-Peter ist also direkt aus seinem Wagen in Ihre Laube gestürzt und mit dem Taser auf Sie los?“ „Was 'n sonst? Nu machn Se schon Ihre Tatortbildchen.“ „Nicht nötig. Wir müssen bei der Polizei jetzt auch mit Fotomaterial sparen. Außerdem bin ich fest überzeugt, dass sich die Tötung Ihres Gartennachbarn ganz anders abgespielt hat.“ - Wie? „Elefant auf der Briefwaage“ – unter diesem schönen Titel veröffentlichte Jürgen Borchert erstmals 1979 im Mitteldeutschen Verlag Halle-Leipzig 40 Feuilletons: Es sind Momentaufnahmen und viele andere Dinge, die der Feuilletonist Jürgen Borchert in diesem Band versammelt. Insgesamt 40 an der Zahl. Und der Bogen der Themen und Titel ist wie immer weit gespannt, reicht vom Nabel der Welt über Labyrinthe und Inkas im Ballon bis zu einer Frau im blauen Kleid und eben zu verschiedenen Momentaufnahmen. Und gleich am Anfang des Bandes mit 40 Feuilletons, die man am besten nicht gleich alle auf einmal, sondern Stück für Stück genießen sollte, gibt es eine bemerkenswerte Empfehlung des Autors an seine Kritiker: „Meinen Kritikern empfehle ich, sich eine Briefwaage, wo nicht schon vorhanden, unbedingt anzuschaffen. Sie können sie zum Abwägen meiner Feuilletons benutzen. So werden sie dann bestätigt finden, was sie schon immer behaupten: Diese Feuilletons sind einfach zu leicht. Wie ein Elefant. Vastehnsemarecht.“ Aber dazu muss man sie gelesen haben. Alle. Fangen wir doch einfach mit diesem hier an: „Fähre zu verkaufen Eines Tages steht eine Anzeige in der Zeitung; sie bietet eine Gierfähre feil, gut erhalten und in zugelassenem Zustande. Die Tragfähigkeit beträgt, wenn wir dem Anzeigentext glauben dürfen, 18 Tonnen. Über den Preis ist allerdings nichts ausgesagt, aber da eine Gierfähre nicht über einen Motor oder ähnliche technische Raffinessen verfügt, Zierleistenbei einem solchen Fahrzeug nicht vorhanden und andere preistreibende Extras nicht erwähnt sind, dürfen wir getrost meinen, die Gierfähre sei erheblich billiger zu haben als ein gebrauchter Wartburg. Also greifen Sie zu: so schnell kommen Sie nicht wieder zu einer Gierfähre, einem Gefährt, das zudem höchst umweltfreundlich ist, sich völlig lautlos bewegt und keinen Treibstoff benötigt, wenn man von einem gelegentlichen Schnaps für den Fährmann absieht: abends ist es manchmal kühl auf dem Wasser. Bevor nun aber alle Gierfähren ausverkauft und also von der Elbe verschwunden sein werden, bin ich schnell noch mit einer gefahren, um herauszufinden, wie denn so ein Gefährt eigentlich funktioniert, so ohne Motor und Treibstoff. Zunächst führt eine kleine Straße auf den Strom zu, geradenwegs ins Wasser hinein, um auf der anderen Seite weiterzugehen, als sei sie nicht durch einen halben Kilometer Elbe unterbrochen. Hier, zwischen den Straßenenden, pendelt die Gierfähre. Sie pendelt: das will sagen, sie bewegt sich lautlos und geheimnisvoll wie ein Pendel ohne sichtbaren Antrieb von Ufer zu Ufer hin und her. Nun ist die Fähre an unserer Seite angekommen, legt knirschend an, der Fährmann leiert die hölzerne Auffahrklappe hinunter und betrachtet uns einsame Fußgänger missbilligend: solche Touren lohnen sich nicht. Dann betätigt er zwei urige, ins Wasser hinabreichende Hebelgestänge, und wiederum lautlos und geisterlich entfernen wir uns auf diesem brettflachen, mit einer Holzbude für den Fährmann versehenen Vehikel, um schließlich am anderen Ufer zu landen. Während der Fahrt (sie dauert vielleicht drei Minuten) geht uns ein Licht auf; das Prinzip der Gierfähre offenbart sich: An einem langen Seil, ein paar Hundert Meter stromauf verankert, hängt der Fährprahm, dessen Bewegung von zwei am Schiffsboden befindlichen Seitenrudern erzeugt wird. Die Strömung der Elbe drückt also unseren Kahn je nach Stellung jener Ruder auf die eine oder andere Seite, ohne dass menschliche oder maschinelle Kraft vonnöten wäre. Diese Erfindung, genial in ihrer Primitivität, soll, wie ich mir habe sagen lassen, mehr als tausend Jahre alt sein. Der Fährmann, unsere noch beim Absteigen schafsdumm staunenden Gesichter betrachtend, grinst, stellt seine Hebel um und entschwindet zum jenseitigen Ufer, wo schon eine Autokolonne hupend seiner harrt, besseren Geschäften entgegen. Nun aber beginnt man, die Gierfähren zu verkaufen. Wozu, so frage ich Sie, sollen sie anderswo dienen? Wo die Strömung fehlt, kann sich die beste Gierfähre nicht vom Flecke rühren. Wo aber die Fähre fehlt, kann niemand mehr übersetzen.“ Und noch ein Kommissar – allerdings ein viel kleinerer und sicher nicht so schwergewichtig wie Gustav Merks. Aber auch schon ganz schön clever. Erstmals 1999 war im Arena Verlag Würzburg die Druckausgabe von „Der Kommissar in der Regentonne. Ein Fall für die Superspürnasen und andere Detektivgeschichten“ von Jan Flieger erschienen: Darauf muss man erst mal kommen. Aber die kleinen Detektive und Detektivinnen erweisen sich als Superspürnasen. Egal, ob es um gestohlene Papageien, um eine verschwundene Kuhherde, um einen scheinbar nicht zu fassenden Parfümdieb im Kaufhaus oder um einen seltsamen Weihnachtsmann geht. Am Ende geht es jedenfalls gut aus. Übrigens, Leo, die Nervensäge, ist ein Papagei, ein Gelbbrust-Ara. Und nicht jeder, der so aussieht, ist wirklich ein Weihnachtsmann. Und hier der Anfang der titelgebenden Detektivgeschichte, der uns auch gleich mit Tobias und seinen Freunden bekanntmacht, und mit Opa Lungwitz und natürlich mit Leo: „Der Kommissar in der Regentonne Tobias, Gökhan, Sophie und Nadine kommen aus der Schule. Sie schlendern langsam durch die Kleingartenanlage, vorbei am Vogelhaus von Opa Lungwitz. Eigentlich ist ja Opa Lungwitz gar kein Opa, sondern ein Mann im Vorruhestand. Aber die Kinder nennen ihn Opa, weil er so nett und gemütlich ist. Und er winkt ihnen immer zu, wenn er in seinem Garten oder im Vogelhaus arbeitet. Opa Lungwitz hat es selbst gebaut, aus Glas und Maschendraht. Es ist ein wunderschönes Vogelhaus. Und voller bunter Vögel. „Ach du dickes Ei“, staunt Tobias, denn vor dem Gartentor von Opa Lungwitz steht ein Karton. Und eine krächzende Stimme ist daraus zu hören: „Mahlzeit!“ Gökhan wirft einen forschenden Blick auf den Karton. „Klingt wie Leo“, stellt er fest. „Leo?“, fragt Sophie ungläubig. Leo ist nämlich ein Papagei, ein Gelbbrust-Ara. Diebe haben ihn zusammen mit zwei anderen Papageien gestohlen. Vor vier Monaten. „Renate, mach die Glotze an“, krächzt es aus dem Karton. Vorsichtig hebt Tobias den Deckel. „Es ist tatsächlich Leo“, sagt er. „Pass auf, er hackt nach deiner Hand“, warnt Gökhan. „Wer weiß, was er erlebt hat“, meint Tobias gelassen. „Renate, noch ’n Bier“, verlangt der Papagei. Die Kinder sehen sich an und lachen. „Das alles hat er noch nie gesagt“, meint Nadine kopfschüttelnd. „Guckt mal, da liegt ein Zettel im Karton“, ruft Sophie plötzlich. Vorsichtig greift sie in die Pappkiste. Aber Leos Schnabel trifft sie hart. „Aua, Leo“, schimpft Sophie zornig. Doch sie hat den Zettel schon in der Hand. Verwundert beginnt sie zu lesen: „Wir geben ihn zurück. Er ist eine Nervensäge.“ Tobias legt die Stirn in Falten. „Die müssen auch die anderen Papageien haben.“ Gökhan nickt. „Schon möglich, aber wie willst du herauskriegen, wo die Papageienräuber wohnen?“ „Ein Fall für unsere Spürnase“, sagt Nadine und blickt Tobias erwartungsvoll an. Tobias will nämlich zur Kriminalpolizei. Später. Jetzt ist er erst einmal Privatdetektiv. Und einige Fälle hat er schon gelöst. Er hat auch den Mann erwischt, der heimlich mit dem Luftgewehr nach Katzen geschossen hat. „Mmm“, macht Tobias. „Die kriegen wir.“ Die anderen blicken ihn zweifelnd an. „Und wie?“, rufen sie fast wie aus einem Mund. Tobias denkt noch immer nach. Detektive lösen viele Fälle nur dadurch, dass sie nachdenken. Er weiß das aus Filmen. „Ich hab’s“, meint er. „Du spinnst ja“, sagt Gökhan ungläubig. Aber Tobias macht ein überlegenes Gesicht. „Wir brauchen Leo nur zuzuhören. Dass er bei einer Renate war, wissen wir schon. Vielleicht verrät er auch ihren Familiennamen.“ „Total genial“, meint Gökhan bewundernd. „Aber erst mal müssen wir Leo zu Opa Lungwitz bringen.“ „Opa Lungwitz“, rufen sie durcheinander. Der kommt aus seiner Laube geschlurft. Nadine hebt triumphierend den Karton hoch. „Leo ist wieder da!“ Opa Lungwitz strahlt plötzlich über das ganze Gesicht. So schnell er kann, kommt er angelaufen. „Mein Leo, mein lieber Leo“, ruft er immer wieder aus und hebt den Vogel auf seine rechte Schulter. „Stinklangweiliges Programm“, schimpft Leo ihm ins Ohr. Tobias kombiniert: „Er muss bei Typen gewesen sein, die viel vor der Glotze saßen. In der Laube gibt Opa Lungwitz eine Runde Cola aus. Leo flattert durch den Raum, um sich dann auf der Lampe niederzulassen. „Helmholz, alter Esel“, krächzt er vergnügt von oben. Und er schaukelt mit der Lampe. Tobias steht plötzlich wie erstarrt. „Das ist der Name!“, platzt er los. „Helmholz, Renate Helmholz. Diese Renate und ihr Mann müssen die Papageien geklaut haben.“ „Ja, aber die Adresse?“, meint Sophie besorgt. „Wir haben nur den Namen.“ Tobias nimmt einen Schluck von der Cola, denkt wieder nach. Dabei knirscht er mit den Zähnen. Das tut er oft, wenn er nachdenkt.“ Hoffentlich hilft dieses Zähneknirschen auch diesmal, um den Papageiendieben auf die Spur zu kommen. Aber auch die anderen vier Angebote dieses Newsletters lohnen die Lektüre. Besonders zu empfehlen ist die Weihnachtsgeschichte von Lutz Dettmann, in der sich die beiden Nachbarfamilien einen regelrechten Dekorationskrieg liefern, an dessen Ende sie … - aber wir wollen hier nicht zu viel verraten. Viel Vergnügen beim selber Lesen und eine schöne Vorweihnachtszeit! Weitere Informationen und Angaben finden Sie unter http://www.prseiten.de/pressefach/edition-digital/news/3880 sowie http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/. Über EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr: EDITION digital wurde 1994 gegründet und gibt neben E-Books Bücher über Mecklenburg-Vorpommern und von Autoren aus dem Bundesland heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen. Pressekontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Gisela Pekrul Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://www.edition-digital.de
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Weihnachtsland und Weihnachtsmonster, Constanze räumt auf und ein Rotkehlchen erzählt – Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
Heute ist der 1. Dezember: Nun ist Weihnachten wirklich nicht mehr weit. Und so haben die ersten beiden der fünf Deals der Woche, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 01.12.17 – Freitag, 08.12.17) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind, mit dem vielleicht wichtigsten und am sehnsüchtigsten erwarteten Fest des Jahres zu tun – aber auf sehr unterschiedliche Weise. Während Karl Sewart uns in sein erzgebirgisches Weihnachtsland einlädt, stellt uns Klaus Möckel gewissermaßen das Gegenteil eines Weihnachtsmannes vor – Kneli, das Weihnachtsmonster, das schreckliche Weihnachtsmonster. Noch nie was von Weihnachtsmonstern gehört? Dann wird es aber Zeit. Schließlich ist es bis Weihnachten nun wirklich nicht mehr weit. Und vielleicht suchen Sie ja auch noch ein paar Geschenke für liebe Menschen, die lesen? Die drei anderen Deals der Woche lassen sich ebenso gut verschenken wie selber lesen. So erinnert sich die Kunstwissenschaftlerin und Schriftstellerin Ingrid Möller an sehr unterschiedliche Reisen zu DDR-Zeiten, die sie auch ins ferne Ausland führten. Renate Krüger macht uns mit dem nicht ganz einfachen Leben von Mozarts Witwe Constanze und seiner beiden Söhnen Karl und Wolfgang bekannt, die scheinbar nichts weiter geerbt haben, als einen Haufen mit Noten beschriebener, wertloser Papiere. Und wer sich schon kurz vor Weihnachten wieder auf den nächsten Frühling freut, für den kommt „Vogelgezwitscher aus dem Garten am Wald“ von Irma Köhler-Eickhoff gerade recht. Haben Sie eigentlich schon mal einem Rotkehlchen zugehört? Erstmals 1992 erschien im Chemnitzer Verlag „Christbaum und Pyramide. Ein erzgebirgisches Weihnachtsbuch“ von Karl Sewart: Nirgendwo sonst in deutschen Landen wird das Weihnachtsfest mit so vielen historisch gewachsenen Bräuchen und volkskünstlerischen Zeugnissen begangen wie im Erzgebirge. Schwibbogen und Pyramide, Nussknacker und Räuchermann, Bergmann und Lichterengel - erzgebirgische Weihnachtsfiguren - sie sind heute weltweit bekannt und beliebt. Karl Sewart erzählt in seinem Weihnachtsbuch aus ganz persönlichem Erleben, wie er erzgebirgische Weihnacht und ihr Brauchtum erfahren hat. In aufschlussreichen volkskundlichen Erörterungen geht er den Spuren dieser Bräuche nach. Ein Buch für alle, die sich für das „deutsche Weihnachtsland“ interessieren. Und sein Buch beginnt auch gleich sehr persönlich: „Wie ich das Schnitzen gelernt habe „Gahr fer Gahr gieht’s zen Advent of’n Buden nauf, werd ä Mannel aufgeweckt: >Komm, nu stiehst de auf!< ...“ Jahr für Jahr ging es auch bei uns daheim am Vorabend des ersten Adventsonntags auf den Oberboden hinauf, so wie es in dem viel gesungenen Lied vom „Raachermannel“ des Olbernhauer Kantors Erich Lang heißt. Doch wir holten nicht nur ein „Mannel“ herunter. Eine ganze Schar weckten wir aus dem Sommerschlaf auf. Es war eine feierliche Handlung, wenn der Vater die Weihnachtskiste in unserer Bodenkammer öffnete. Ja, und da standen sie also - noch oder wieder -, unsere Advents- und Weihnachtsgäste, ein jeder auf seinem angestammten „Fleckel“ auf Schrank, Kommode oder Fensterbrettel: der Waldarbeiter mit geschulterter Axt und Säge, der Schwammegeher mit angehängtem Beerkännel und Schwammekorb, der Vogelhändler mit seinen aufgehuckelten Käfigen und Bauern, Briefträger, Feuerwehrmann und Eisenbahner in ihren Uniformen, der Nachtwächter mit Laterne und Hellebarde, der Bäcker mit weißer Jacke und Mütze und der Fleischer im zünftigen weiß gestreiften Hemd, der Schäfer mit seinem breitkrempigen Wetterhut und seinem Hirtenstab, der „Feuerrüpel“ mit Kehrbesen und Kehrzeug, der Seiffener Spielzeughausierer mit seiner Kiepe voller Reifentiere, der Stülpner-Karl mit Flinte und Hund, der Kurrendesänger im Umhang, mit Käppi und Notenblatt, der Rastelbinder, um und um behängt mit „Rattifalli, Mausifalli“, der vornehme Türke mit Turban und Halbmondschuhen ... Ein jeder bekam nun vom Vater sein „Pfeifel“ angezündet, und die Mutter sang dazu: „Wenn es Raachermannel nabelt, un es sogt kaa Wort drzu un dr Raach steigt an dr Deck nauf, sei mr allzamm su fruh. un schie ruhig is in Stübel, steigt dr Himmelsfrieden ro, doch in Herzen lacht’s un jubelt’s: Ja, de Weihnachtszeit is do!“ Konnte unsere Weihnachtsvorfreude treffender ausgedrückt werden als durch diese Liedverse? Ja, was wären Advent und Weihnachten ohne das stille Rauchen und Schmauchen der Räuchermänneln für uns gewesen, ohne den zugleich vertrautanheimelnden und feierlichen Duft der Räucherkerzchen, der zur Decke aufstieg und sich in der ganzen Stube verteilte, ohne das traute und gemütliche Beieinandersitzen am Adventsabend? Und erinnerte der Weihrauchduft nicht schon an das Weihnachtsfest selbst, an den Heiligen Abend und an die Christgeburt? Hatten die drei Weisen aus dem Morgenlande dem neugeborenen Jesuskind nicht den Weihrauch als kostbares Geschenk mitgebracht? Es war wirklich ganz feierlich in unserem Stübel, und der Himmelsfrieden stieg zu uns herab. Selbst zwischen uns Jungen ruhte jeder Zank und Streit, wir saßen still und schauten zu, wie die „Männeln“ „nebelten“. Und im Schein der Kerzen schien es, als ob sie die Rauchschwaden von selber zur Decke hinauf bliesen und zu eigenem Leben erwachten. Jedes hatte seine besondere Gestalt, sein eigenes Gesicht, und jedes hatte seine eigene Geschichte für uns ... Die Räuchermännchen waren nicht auf einmal in unsere Lehrerwohnung in der Großolbersdorfer Schule gekommen. Unser Vater hatte sie nach und nach angeschafft, als er, als junger Lehrer vom Annaberger Lehrerseminar ins Dorf gekommen, an schulfreien Tagen und in den Ferien noch seine ausgiebigen Wanderungen in die Umgegend gemacht hatte. Von jedem einzelnen Exemplar wusste er eine Geschichte zu erzählen, wie er es, in Annaberg oder Marienberg „oben“ oder in Wolkenstein „drüben“ oder in Lengefeld „hinten“, im Schaufenster eines Spielwaren- oder Kunstgewerbeladens hatte stehen sehen, wie er gar nicht anders gekonnt habe, als einzutreten und das Männel zu kaufen. Auf dem Heimweg hatte er es dann immer gar nicht erwarten können, das Männel aus der Schachtel herauszunehmen, und er ist öfters einmal stehengeblieben und hat sich an dem noch nach frischer Lackfarbe riechendem Männel gefreut, und er hat ihm die Gegend gezeigt und erklärt, und das Männel hat ihm erzählt, wo es herkam, wie es oben im Kammwald in einem Baumstamm versteckt gewesen sei, wie Waldarbeiter den Baum umgemacht hätten, wie der Stamm in die Sägemühle transportiert und dort zerschnitten worden sei und wie die Stücke zu einem Holzdreher nach Seiffen gekommen seien, der es, ohne ihm im geringsten dabei wehzutun, auf seiner Drehbank aus einem der rohen Klötze herausgedrechselt habe ... Daheim angelangt, wies der Vater dem neuen Männel seinen Platz auf Fensterbrett oder Schrank an und machte es auf dem Oberboden mit seinen schon anwesenden Brüdern bekannt, um es zum Advent herunterholen und ihm sein erstes Pfeifel anzünden zu können. Und noch andere Geschichten wusste der Vater über die Räuchermännchen zu erzählen, Geschichten, die ihren Beruf oder ihr Herkommen anbetrafen. So erfuhren wir Jungen, wie die Menschen in unserer Heimat früher gearbeitet und gelebt hatten und wie auch Leute von weither in unser abgelegenes Gebirge gekommen waren, wie z. B. die Rastelbinder, die aus Draht Küchen- und Hausgeräte herstellten und aus der Slowakei hergewandert kamen, um ihre Waren von Haus zu Haus anzubieten und auch Ausbesserungsarbeiten vorzunehmen.“ Eine ganz andere Begegnung mit dem Thema Weihnachten bescherte, wie schon gesagt, Klaus Möckel seinen Lesern mit dem 2013 bei der EDITION digital original sowohl als gedruckte Ausgabe wie als E-Book erschienenen Buch „Kneli, das schreckliche Weihnachtsmonster“: Alle kennen den Weihnachtsmann, der zum Fest Geschenke verteilt und den Kindern damit viel Freude bereitet. Doch wer ist für die weniger schönen, ja schlimmen Dinge zuständig, die während der Weihnachtszeit auch passieren? Wer lässt den Adventskranz anbrennen, bringt Lichterketten zur Explosion, legt falsche Geschenke unter den Baum, so dass es manchmal sogar zum Streit kommt? Schuld an diesen Übeltaten sind die hierzulande kaum bekannten Weihnachtsmonster, zu denen auch Kneli gehört, ein knallrotes Wesen mit sechs Fingern an jeder Hand und dem Aussehen eines Kartoffelsacks. Als Knelis Vater noch vor dem Fest krank wird, kommt die große Stunde des Monsterjungen. Er darf Papas Aufträge übernehmen und an seiner Stelle Schornsteine verstopfen, Geschenke vertauschen, kurz, alle möglichen Pannen während der Weihnachtszeit vorbereiten. Für Kneli, der durch Wände gleiten und unsichtbar werden kann, geht zunächst auch alles gut. Er erfüllt seine Aufgaben gewissenhaft. Als ihn aber in einer der fremden Wohnungen unversehens eine Katze kratzt, verliert er, ohne es zu merken, seine magischen Fähigkeiten. So kann ihn das Mädchen Naika entdecken, wodurch er in höchste Bedrängnis kommt. Aber Naika, deren Eltern sich getrennt haben, hat noch größere Probleme. Überraschend bittet sie ihn um Hilfe. Allmählich entsteht Freundschaft zwischen Naika und Kneli. Als dann noch zwei Ganoven auftauchen und das Mädchen entführen, steht der Junge vor einer schwierigen Entscheidung. Soll er sich, den Monstergesetzen folgend, aus den Angelegenheiten der Menschen heraushalten, oder soll er Naika helfen, was für ihn und seine magischen Fähigkeiten sehr gefährlich werden kann? Eine humorvoll-spannende Geschichte, nicht nur für Weihnachten! Und so geht es los mit der Geschichte von Kneli, dem schrecklichen Weihnachtsmonster. Also, eigentlich sind da allerdings erst mal Eusebo, der Monstermann, und seine Monsterfrau Ernstina. Ernstina, das ist übrigens die mit der sanften Stimme: „1. Kapitel Eusebo, das dicke, knallrote Monster mit den blauen Augen, lag mit einem feuchten Handtuch auf der Stirn im Bett. „Mir ist zugleich heiß und kalt“, jammerte es, „der Hals tut mir weh, und im Kopf dröhnt es, als würde ein ganzes Orchester Musik machen. Mit Pauken und Trompeten! Das kalte Tuch nützt überhaupt nichts. Mir ist so schlecht, ich glaube, ich muss sterben.“ Eusebo war ein Monstermann mittleren Alters. Seine Frau Ernstina nahm ihm das Handtuch ab und ersetzte es durch einen Eisbeutel. „Unsinn", erwiderte sie mit einer Stimme, deren Sanftheit man ihrer unförmigen Gestalt nicht zugetraut hätte. „Du hast dir zwar eine Erkältung zugezogen, die wir nicht auf die leichte Schulter nehmen dürfen, aber mit meiner und Doktor Ungetüms Hilfe wirst du es überstehen. Trink nur schön deine heiße Schokolade, dann wird es dir bald besser gehen.“ Eusebo schüttelte sich. „Brrr! Immer wenn mir etwas fehlt, verordnet mir der Quacksalber dieses süße Gebräu. Als ob er nicht genau wüsste, dass unsereinem so etwas absolut zuwider ist. Kannst du mir nicht eine Flasche Lebertran bringen oder wenigstens eine Tasse Essig? Ich hab solchen Appetit auf einen Schluck Scheußliches.“ „Der Doktor ist alles andere als ein Quacksalber, und Essig oder Lebertran machen die Sache nur schlimmer“, erklärte die Frau. „Du willst doch nicht ewig hier liegen. Wenigstens zur Jahresendversammlung solltest du wieder auf den Beinen sein. Das schickt sich für jedes Weihnachtsmonster, und wir haben bisher stets teilgenommen.“ Das schien Eusebo einzusehen. Gehorsam trank er einen Schluck Schokolade, auch wenn er dabei angewidert das Gesicht verzog. Dann erst fiel ihm an den Worten seiner Frau etwas auf. Erschrocken hob er den Kopf. „Zur Jahresendversammlung erst? Das geht nicht, ist ganz unmöglich. Spätestens in drei Tagen muss ich wieder fit sein!“ „Das schaffen wir nie. Dr. Ungetüm meint ...“ „Ganz egal, was er meint“, unterbrach sie der Mann, „du weißt, dass in drei Wochen Weihnachten ist. Gerade in diesem Jahr habe ich besonders schöne Aufträge bekommen. Wie soll ich mich der Versammlung präsentieren, wenn ich sie nicht erfülle. Ich mache mich zum Gespött sämtlicher Ungeheuer der näheren und weiteren Umgebung!“ „Erstens“, sagte seine Frau, „macht sich niemand, der uns kennt, über einen Kranken lustig, und zweitens wird wohl in diesem Fall irgendein Kollege deinen Dienst übernehmen können. Übrigens ist das Unheil allein durch deine Schuld entstanden. Hättest du nicht - betrunken, wie du warst und nur um deiner neuen Sekretärin zu imponieren - nach dem Betriebsfest kürzlich im eiskalten Moorloch gebadet, wäre das alles nicht passiert.“ „Aber das ist es ja gerade“, stöhnte Eusebo. „Wenn das die Kollegen erfahren, bin ich bis in meine schwarze Seele hinein blamiert.“ „Dann streite es ab, serviere ihnen eine deiner Lügen. Darin bist du doch Meister.“ „Sie werden es durchschauen“, stöhnte das knallrote Monster. „Meine Schwindeleien wirken nur bei den Menschen. Könntest nicht vielleicht du an meiner Stelle ...?“ „Ich denke nicht daran“, erwiderte Ernstina entschieden. „Die Suppe löffle gefälligst selber aus. Ich hab genug mit Mutter zu tun; sie wird in letzter Zeit recht wunderlich. Brät das Schlangenfleisch mit kostbarem Zauberfett, erkennt ihre Nachbarn nicht mehr und beschimpft den Hausmeister als Menschenfreund. Man kann sie kaum noch allein lassen.“ „Aber die Aufträge“, jammerte Eusebo wieder. Das war nun wirklich ein Problem, denn diese Arbeit musste getan werden! So viel man nämlich auch über die guten Taten des Weihnachtsmannes und des Christkindes weiß - dass es die Weihnachtsmonster gibt und sie gleichfalls eine Menge zu erledigen haben, ist weitgehend unbekannt. Möglicherweise hängt das mit ihrem für uns wenig angenehmen Wirken zusammen, wir reden lieber von dummen Zufällen, nehmen die Wahrheit einfach nicht zur Kenntnis. Dessen ungeachtet gehören die Streiche der Monster zum Fest wie Braten und Kerzenschein. Oder stimmt es etwa nicht, dass um diese Zeit herum jedes Jahr Adventskränze brennen, Christbäume umstürzen, das falsche Geschenk auf dem Gabentisch liegt, Streit wegen Kleinigkeiten in so mancher Familie entsteht? Für all diese Misslichkeiten aber sind genau jene Ungeheuer zuständig, die sich Weihnachtsmonster nennen. Sie unterscheiden sich kaum von ihresgleichen, zeichnen sich lediglich durch ihre rote Farbe, eine Zapfennase und ein Flackern in den Augen aus, das an rußende Kerzen erinnert. Im übrigen sind sie einfach unförmig und hässlich. Das allerdings empfinden nur wir so, sie selbst halten sich durchaus für wohlgeformt und schön. Eusebo beklagte also seine Lage, fand aber keine Lösung und sank entkräftet aufs Lager zurück. „Das wird eine Katastrophe, ein glatter Reinfall, mein schlimmstes Weihnachten seit Monstergedenken", murmelte er. Seine Frau verließ achselzuckend das Zimmer, sie wollte und konnte ihm nicht helfen. Doch wie es manchmal so geht, nahte unverdientermaßen Beistand von anderer Seite. Kaum hatte sich Ernstina entfernt, flog jäh die Schranktür auf, und eine muntere Stimme rief: „Nimm die Sache nicht gleich so tragisch, Papa, ich bin auch noch da. Wenn du willst, helfe ich dir aus der Patsche.“ Mit einem Ächzen richtete sich Eusebo ein zweites Mal auf. „Wie oft habe ich dir schon verboten, durch den Schrank in die Wohnung zu kommen, Kneli! Das kannst du bei den Menschen machen, aber nicht bei uns. Anscheinend hast du deine Mutter und mich belauscht. Wie lange steckst du schon da drin?“ „Gar nicht lange. Es war nur, weil ich euch nicht stören wollte. Außerdem krieg ich die Haustür immer nicht auf. Sie geht so schwer.“ Erstmals 2004 hatte Ingrid Möller, Jahrgang 1934, im Schweriner Thomas Helms Verlag ihr autobiografisch angelegtes Buch „Reisefieber – Fieberreisen“ veröffentlicht: In diesem Rückblick skizziert die Autorin ihr Leben unter dem Aspekt des Reisens unter DDR-Bedingungen. Was zunächst beneidenswert scheint wie Aufenthalte in Mexiko und Japan erweist sich als nicht frei von Tücken. Komisches steht neben Absurdem, Begeisterndes neben Schockierendem, etliches bewegt sich an der Grenze dessen, was damals legal war, und manches scharf am Rande des Abgrunds. Hier ein Ausschnitt aus der Zeit der beruflichen Anfänge von Frau Möller: „Weiterreichende Wünsche und Träume - das Studium Als die Bewerbungsunterlagen fürs Studium abgegeben werden mussten, stand für mich fest: Kunstgeschichte sollte es sein. Und zwar in Berlin bei Prof. Richard Hamann. Meine Familie fiel aus allen Wolken. Verständlicherweise. Erstens war es extrem unvernünftig, einen so brotlosen Beruf haben zu wollen nach den Jahren des Darbens, wo sich alles um Essen und Trinken drehte. Zweitens auch noch in Preußen, wo doch Rostock näher lag und auch eine Universität hatte. Wenn es wenigstens Hamburg gewesen wäre, aber das ging ja nun nicht mehr! Wie kam ich nur auf solche Flausen?! Das hatte man wirklich am allerwenigsten damit bezweckt, als man meine kulturellen Interessen förderte. Durch Klavierunterricht, Lob über mein Zeichentalent, Kauf von kunstgeschichtlichen Büchern. Warum nur wollte ich ihnen das antun! Trotz langer Diskussionen blieb ich dabei. Ich hatte Hamanns „Geschichte der Kunst“ gelesen und war fasziniert über seine Fähigkeit, große zeitliche und geografische Zusammenhänge herzustellen, die Kunst als Ganzes zu sehen. Ihm schien alles gleich vertraut zu sein, egal ob Felsmalereien der Urgeschichte, Monumentalstatuen des ägyptischen oder vorderasiatischen Altertums, griechische Tempel und Idealplastiken oder römische Triumphbögenreliefs und Herrscherbildnisse, mittelalterliche spirituelle Bilder oder lebensnahe Renaissancegemälde ... Alle Facetten der Kunst wusste er treffend in ihren Besonderheiten zu erfassen, als sei es ganz selbstverständlich, als müsse jeder Betrachter es sehen und die gleichen Schlüsse ziehen. Gewiss kannte er das alles aus eigener Anschauung. Also musste er viel gereist sein, sehr viel. Und das konnte er jederzeit auch jetzt noch, denn sein fester Wohnsitz war in Marburg. Er las jeweils ein Semester dort und das zweite eben an der Berliner Humboldt-Universität. Somit ignorierte er die Teilung Deutschlands und war prominent genug, das zu dürfen. Als die Zusage kam, dass ich zum Studium angenommen war, jubelte ich. Auf nach Berlin! Doch - dort angekommen - deprimierte mich die kaputte Stadt. Überall graue Steinhaufen. Trümmer über Trümmer. Auch wir Studenten mussten unsere Aufbaueinsätze ableisten. Da wurden die Ziegelsteine, von denen wir den Zement abklopfen mussten, von Stein zu Stein immer schwerer. Abends schmerzten die Handgelenke. Den Marx-Engels-Platz empfand ich keineswegs als gestalteten Platz, sondern als Vakuum, und mich selbst darauf klein wie eine Ameise. Wie spannend auch die reichlich angebotenen Vorlesungen waren, wie gierig ich auch all das Neue aufsog, an den Wochenenden zog es mich nach Haus. Trotz langer Bahnfahrt. Hauptsache, wieder Farbe sehen, grüne Wiesen und Wälder und heile Häuser. Doch eigentlich war das Hin-und Herfahren zu anstrengend. Auch stellte sich heraus, dass um Berlin auch Grün war. Am Wannsee, am Müggelsee, an der Dahme. Und bunt waren schließlich auch die vielen Ausstellungen, ungewohnt die modernen in den Westsektoren. Es wehten Eindrücke herüber aus anderen Erdteilen. Aus Amerika. Aus Indien. Von der Südsee. Und natürlich aus den Ländern, die als Wiege unserer Kultur gelten: Griechenland, Italien, Frankreich. Nicht nur Kunstausstellungen wurden besucht. In Dahlem gab es schließlich daneben das Völkerkundemuseum. Und den Botanischen Garten mit den tropischen Gewächshäusern, die den Duft der entfernten Welten ganz unmittelbar verströmten. Zum Studium gehörten ganz selbstverständlich auch Exkursionen. Doch die blieben innerhalb der Grenzen der DDR. Der Klassenausflug nach Thüringen war dagegen ein harmloser Vorgeschmack gewesen. Jetzt grenzte es an Drill. Jeder hatte ein Referat vorzubereiten und vor dem Objekt zu halten. Egal, welche Kältegrade im alten Gemäuer waren. Ich erinnere mich an eine winterliche Fahrt zum Thema „Norddeutsche Backsteingotik“, die sehr dazu beitrug, mir diese eigentlich wunderschöne Architektur auf Jahre hinaus zu vermiesen. Der Seminarleiter im Feldherrnschritt vorneweg und absolut ohne Verständnis für den Wunsch nach Verschnaufpausen. Wir froren erbärmlich. (Obgleich uns das Frieren geläufig war von den kaum geheizten Vorlesungssälen.)“ Erstmals 1979 brachte der VEB Deutscher Verlag für Musik Leipzig den ausgezeichnet recherchierten, spannend geschriebenen und für die Neuherausgabe nur geringfügig überarbeiteten Roman „Wolfgang Amadés Erben“ von Renate Krüger heraus: Wenn auch Mozart mit Einsetzen der Handlung nicht mehr am Leben ist, so ist er doch durch seine Leistungen als Wunderkind, Virtuose und Komponist in den Erinnerungen seiner Familie und seiner Freunde als geistiges Zentrum dauerhaft präsent. Die Erben: das ist seine Frau Konstanze, der er zwei Söhne und ein zunächst wertloses Papiererbe hinterlässt und die nun versuchen muss, ihrem Leben einen neuen Inhalt zu geben. Die beiden Söhne Karl und Wolfgang sind durch Namen und künstlerische Hinterlassenschaft des Vaters vorbelastet und müssen sich damit auseinandersetzen. Karl verzichtet auf den Künstlerberuf und somit auf Erfolg und Ehre und findet seinen Frieden in der unbeachteten Anonymität eines kleinen Beamten, Wolfgang aber zerbricht an der Belastung. Wenige Jahre nach Mozarts Tod melden weitere Erben ihre Ansprüche an: Verleger, Sammler, Kunstfreunde, Biografen, wenig später auch das geschäftstüchtige Bürgertum des biedermeierlichen Salzburg und Wien, das sich des großen Sohnes erinnert und mit seinem Namen und Andenken eine nachhaltige Konjunktur anzukurbeln versteht. Den Freunden Mozarts und seiner Kunst bleibt es vorbehalten, seine Biografie und sein verstreutes Werk zusammenzutragen, zu sammeln, zu ordnen und vor der Mitwelt auszubreiten. Einer dieser ernsthaften Erbepfleger ist Ludwig von Köchel, pensionierter erzherzoglicher Erzieher, auf der Suche nach einer Lebensaufgabe. Dieser liberale Humanist erarbeitet mit der Hilfe von gleichgesinnten Freunden und seines einstigen Pfleglings und jetzigen Sekretärs, des rebellischen Alois Hegereiter, in über zehnjähriger fleißiger Forschertätigkeit ein Verzeichnis der Werke Mozarts. Im zweiten Kapitel treffen wir Konstanze beim Aufräumen und Überlegen, wie es weitergehen soll: „Einige Monate nach jenem grauen Dezembertag, an dem Wolfgang Amadé zu Grabe getragen wurde, ist Constanze Mozart fähig, die Hemden und Anzüge aufzuräumen, die Halstücher und Strümpfe, die Westen und Haarbeutel. Diese Sachen sind nicht viel wert, nur auf 55 Gulden geschätzt; Constanze würde freilich gar kein Geld mehr herausschlagen können. Vielleicht fände sie jemanden, etwa eine mütterliche Nachbarin, die aus Wolfgangs Anzügen Höschen und Jäckchen für den Karl schneidern könnte, wenigstens für den Karl. Der Kleine, Franz Xaver Wolfgang, Wowi genannt, ist noch kein Jahr alt und vorläufig mit Kleidchen versorgt; er kann ja in die Kleider des Bruders hineinwachsen. Wann wird sie wieder Geld haben, um neue Sachen kaufen zu können? Täglich wird alles teurer. Eine Witwe mit zwei kleinen Kindern und ohne Vermögen kann da nicht mithalten. Alle anderen Kinder werden wärmer und hübscher gekleidet gehen als ihre beiden Buben. Bei fremden Leuten werden sie sich durchschlagen müssen, frühzeitig lernen, ihre Füße unter fremde Tische zu strecken. Das ist nun einmal so bei Musikantenwaisen. In der großen Welt sind die geistigen Kinder der Künstler beliebter und angenehmer, die kraftvollen Erfindungen, die Schönheit der Melodien, dargeboten mit höchster Geschmeidigkeit und Beweglichkeit der Finger. Wer fragt nach den leiblichen Kindern und ihrem Wohlergehen? Und vor allem wer fragt nach ihr, der Witwe? Die Kinder werden ihren Weg schon finden. Kinder haben es leichter. Sie sind klein und niedlich. Schnell erobern sie alle Herzen. Den achtjährigen Karl wollen die Prager Freunde aufnehmen. Sie werden ihn mit allem versorgen, was er zum Leben braucht, mit Essen, Trinken, Kleidung, Lehrern und vor allem mit Musik. Und vielleicht wird man später auch den Kleinen liebevoll in der goldenen klingenden Stadt an der Moldau aufnehmen. Sie müsste nur vorsichtig genug anfragen. Der Name Mozart gilt ja in Prag mehr als in Wien. Doch was wird aus ihr selbst? Eine alternde Witwe … Das hat ihr die Mutter gesagt, die alt und bitter gewordene Cäcilia Weber. Constanze kann sich nicht zu gemeinsamer Einsamkeit mit der Mutter entschließen. Sie fürchtet sich davor, noch einmal von der Mutter verheiratet zu werden. Eigentlich war die Ehe mit Wolfgang der Plan der Mutter gewesen. Dass diese Ehe dann einen anderen, glücklichen Weg ging, war nicht das Verdienst der Mutter. Und darüber war Cäcilia Weber böse. Was nützte der Tochter jetzt die Kunst und die Liebeserinnerung? Hätte sie eine Metzgerei oder auch nur einen Milchladen, so wäre die Sache halb so schlimm. Erstens wirft ein solcher Laden genug ab, dass man davon leben könnte. Zweitens wären gewiss ältere Witwer oder Junggesellen der Überzeugung, man dürfe eine Frau mit einem solchen Gewerbe nicht allein lassen, es sei viel zu schwer für sie. Man müsse sie von dieser Last befreien, indem man sie von der Stelle weg heirate. Und sie, Constanze, brauchte ja nicht jeden zu nehmen. „Ich bin nicht solch ein undankbares, ungetreues Weib!“, hat sie der Mutter entgegengehalten. „Ich denke nicht schon jetzt ans Heiraten, kaum, dass der Wolferl unter der Erde ist …“ Doch wie soll es weitergehen? Sie kann sich nicht auch noch nach Prag einladen lassen. Sie erinnert sich mit gemischten Gefühlen an die Stadt an der Moldau, in der Wolfgang sich so wohl fühlte. An die Villa Bertramka, in der sie bei den Duscheks wohnten. An die gemalte Balkendecke, unter der Wolfgang so gut arbeiten konnte und unter der sie, Constanze, neben der Frau des Hauses ein Nichts war, obgleich die berühmte Sängerin Josepha Duschek sich so freundlich zeigte. Lieber denkt sie an Professor Niemetschek vom Kleinseitner Gymnasium. Ein freundlicher, ein hilfsbereiter Mann. Doch was nützt das alles? Aus ist es mit der Kunst. Denn eine Musik, die nur auf dem Papier steht, ist eben keine Musik mehr, wenn sie niemanden findet, der ihr zum Klingen verhilft. Alle diese Notenblätter, diese flüchtigen Skizzen, ausgeführten Stimmen und sorgfältig zusammengeschriebenen Partituren kommen ihr jetzt wie eine schöne Erinnerung vor, wie ein Brief, der niemals mehr vorgelesen wird. Ein wertvolles Andenken. Nur noch denken, nichts mehr hören kann sie, während sie die Noten durchblättert. Sie weint über der Entdeckung, dass ihr kein Ton entgegenkommt, dass alle ihre Erinnerungen ohne Melodien bleiben, wiewohl sie viele Erinnerungen hat und wiewohl im Hause Mozart nichts geschah, was nicht mit Tönen, Akkorden, Melodien, Rhythmen und wechselnden Harmonien verbunden war. Die schwarzen Zeichen sind nur kalligrafische Schnörkel einer raschen und zielbewussten Hand, die dem Strom, der sich durch sie drängte, niemals Widerstand entgegensetzte. Die selbst mitformte, mitschwang, mitsang. Constanze war niemals müde geworden, die Hand ihres Mannes beim Arbeiten, Schreiben und Spielen zu beobachten. Wolfgang war kein schöner Mann gewesen, doch eine schönere Hand als die seine hat sie nie gesehen. Jede Bewegung des Leibes und des Geistes prägte sich auch in dieser Hand aus. Klein war sie, zierlich, nervig und kräftig. Sie besaß nicht nur eine durch die Natur gegebene Kraft, sondern auch eine durch Übung und Erziehung erworbene. Diese Hand war aller Lautstärken fähig. In ihr lebte das zarteste Pianissimo ebenso wie das kräftigste Forte, das Legato wie das Staccato. Constanze kann sich jetzt leichter an die Hand erinnern, die alle diese Noten schrieb, als an die Klänge und Empfindungen, die in ihnen verborgen liegen. Nun hält sie ein Taschenbüchlein in grünem, blumengemustertem Pappeinband in der Hand, Rücken und Ecken sind von Leder, um dem Büchlein Dauerhaftigkeit zu sichern. Ein Bändchen, geeignet für verliebte Verse oder empfindsame Abendgedanken. Doch für solchen Luxus hatte Wolfgang niemals Zeit gehabt. Er spielte, arbeitete, komponierte. In dieses Büchlein hatte er alle seine Kompositionen eingetragen, genau und ordentlich, fast wie ein Schulmeister. Er hatte eben doch Pedanterie vom Vater geerbt, der immer wieder mahnte, die Noten nicht zu verschleudern, nur bestes wasserfestes Notenpapier zu benutzen und mit unauslöschlicher Tinte zu schreiben. Constanze hatte sich die Ohren zugehalten, wenn sie solche Reden hörte. Und was nützt nun das pedantische „Verzeichnüß aller meiner Werke vom Monath Februario 1784 bis Monath …?“ Wolfgang hatte damit gerechnet, dass er selbst noch das Abschlussdatum einsetzen könnte, ehe er ein neues Heft begann, ein Verzeichnis neuer, noch erfolgreicherer Kompositionen, die ihm Ruhm und Anerkennungen eingebracht hätten, eine einträgliche angemessene Anstellung und vor allem Geld ... Geld für die wichtigsten Lebensbedürfnisse und noch darüber hinaus. Geld für Badeaufenthalte mit komfortabler Wohnung. Geld nicht nur für Bier, sondern auch für Champagner. Was alles hätte er noch auf diese vierzehn leeren Seiten von rastriertem Papier eintragen können! Konzerte und Opern für die große Gesellschaft. Lieder für den Hausgebrauch. Nichts davon … Nun musste Süßmayr kommen und als letzte Komposition das Requiem einschreiben, das er zu Ende komponiert hatte, weil der Wolferl nicht mehr konnte. Ein Requiem, ausgerechnet eine Totenmesse … nein, das nicht! Der Süßmayr soll nicht kommen. An der letzten Stelle dieses grünen Büchleins soll kein Requiem stehen.“ Erst vor wenigen Wochen erschien bei der EDITION digital der mit vielen Fotos versehene Band „Vogelgezwitscher aus dem Garten am Wald“ von Irma Köhler-Eickhoff – und zwar sowohl als gedruckte Ausgabe wie als E-Book. Worin es darum geht, das hören wir von der Autorin selbst: Mit dem „Garten am Wald“ hatten wir uns rund um unser Wohnhaus ein kleines Refugium geschaffen, in dem wir im Laufe der Jahre immer wieder von unseren „Mitbewohnern“ überrascht wurden. Die Tiere, die der Gartenteich angelockt hatte, fühlten sich genauso wohl dort wie wir. Besonders viele Vögel hatten sich bei uns eingefunden. Wir staunten über ihre Vielfalt, beobachteten die Amseln, die ihre Kräfte beim Zusammentragen des Nistmaterials fast überschätzt hatten und litten später mit ihnen, als ihr Nest ausgeraubt wurde. Wir brachten eine kleine Blaumeise fast zur Verzweiflung, weil wir ihre „Hilferufe“ lange nicht deuten konnten, zitterten mit der kleinen Schwalbe, die Angst vor dem Fliegen hatte, hielten mit dem Rotkehlchen die Luft an, als es beobachtete, wie sich eine Ringelnatter einen Frosch aus dem Teich holte, und vieles mehr. Doch lassen wir die Vögel selbst erzählen.“ Und genau so soll es auch hier geschehen: „Über den Schnabel geschaut Ein Rotkehlchen erzählt Heute ist schon der 11.März. Auch jetzt um die Mittagszeit ist es noch frostig kalt und die Zweige der Bäume sind immer noch voller Reif. Ich fliege gerne zu der großen Birke auf dem Nachbargrundstück, heute aber möchte ich die weiße Pracht nicht zerstören, wenn ich durch die Zweige fliege. In den letzten Nächten war es wieder besonders kalt, da genügte es auch nicht, wenn ich mich dick aufplusterte und unter das Efeu kroch. Ich fror, auch wenn ich mich immer tiefer in mein gut gepolstertes Nest drückte. Jetzt wird es aber Zeit, dass ich mich euch vorstelle: ich bin das Rotkehlchen aus dem Garten am Wald. Vor einigen Jahren schon habe ich hier einen geschützten Platz für mein Nest gefunden. Unter den Blütensträuchern ist alles dick mit Efeu zugewachsen. Darunter konnte ich mein Nest gut verstecken. Auch im vergangenen Herbst flog ich nicht mit meiner großen Rotkehlchen-Familie in den Süden, sondern blieb über den Winter gerne hier im Garten, denn hier werden wir Vögel täglich gefüttert. Mit Äpfeln für die Amseln, Sonnenblumenkernen für die Spatzen und alle anderen Vögel, die die Kerne gerne mögen. Ich picke von allem etwas auf, mag aber besonders gerne das Weichfutter, das extra für mich ausgestreut wird. Zu Beginn des Winters war ich noch sehr schüchtern, ließ mich oft von den anderen Vögeln vertreiben. Von Tag zu Tag aber wurde ich mutiger, lernte von den Anderen und behauptete mich, denn schließlich habe ich genau so viele Rechte wie die anderen Vögel, mich an den vier Futterstellen in unserem Garten satt zu essen. Habe ich schon erwähnt, dass ich ab und zu Familie Kleiber beobachte, wenn sie zu den Futterplätzen kommt? Jetzt weiß ich auch, wo sie wohnt. Neulich sah ich die Eltern ganz elegant unter einen Ziegel am Wohnhausgiebel schlüpfen. Dort hörte ich auch schon regelmäßige Klopfgeräusche, fast wie bei den Spechten, nur wesentlich leiser. Auch andere Gäste kommen zu uns in den Garten, weil hier genug Futter für uns alle ausgestreut wird. Gesehen habe ich Grünlinge, Stieglitze und ein Rotschwänzchen. Auch die Spatzenfamilie wird immer größer. Heute freue ich mich über den Zaunkönig, ein Dompfaffpaar und die Buchfinken. Schön, dass so viel Besuch kommt, und wir alle satt werden. Aber es wäre mir lieber, wenn es bald Frühling würde, damit wir unsere Nester ausbessern und neu polstern können. Es wird Zeit, an die Familienplanung zu denken.“ Und damit sind wir auch schon wieder am Ende unseres vorweihnachtlichen Newsletters angelangt und hoffen, es war auch für Sie etwas dabei – etwas zum Verschenken oder etwas zum selber Lesen. Apropos Geschenke. Immer wieder gern wird gerade zu Weihnachten ein ganz bestimmtes Gedicht von Joachim Ringelnatz zitiert. Und deshalb soll es auch hier am Ende unseres ersten Dezember-Newsletters stehen: Schenken Schenke groß oder klein, aber immer gediegen. Wenn die Bedachten die Gaben wiegen, sei Dein Gewissen rein. Schenke herzlich und frei. Schenke dabei, was in Dir wohnt an Meinung, Geschmack und Humor, so dass die eigene Freude zuvor Dich reichlich belohnt. Schenke mit Geist ohne List. Sei eingedenk, daß Dein Geschenk Du selber bist. In diesem Sinne viel Vergnügen beim Lesen und beim Schenken! Weitere Informationen und Angaben finden Sie unter http://www.prseiten.de/pressefach/edition-digital/news/3876 sowie http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/. Über EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr: EDITION digital wurde 1994 gegründet und gibt neben E-Books Bücher über Mecklenburg-Vorpommern und von Autoren aus dem Bundesland heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen. Firmenkontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr Godern Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/ Pressekontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Gisela Pekrul Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://www.edition-digital.de
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Neugierde mit Soße und Topfguckerpudding, falsche Fee im Zauberland und der Fall Hellberger - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
Fangen wir diesmal ganz anders an, um die fünf Deals der Woche zu präsentieren, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 17.11.17 – Freitag, 24.11.17) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind. Fangen wir mit der Neugier an, die im ersten Buch von Martin Meißner eine gewisse Rolle spielt. Denn da will Herr Lockstedt, der freundliche Sprachheillehrer, von der Köchin des Kinderheimes gern wissen, was es denn heute zu essen gäbe? „Neugierde mit Soße und Topfguckerpudding“, lautet ihre Antwort. Aber wie gesagt in dem Buch geht es vor allem um etwas anderes und um jemand anderen: Manuel. Aber auch um Herrn Lockstedt … Auch die anderen vier Titel dieses Newsletters sind kräftige Lese-Angebote: So bringt Klaus Möckel einen unerhörten Vorfall zur Sprache und gemeinsam mit seiner Frau Aljonna Möckel hat er die bekannten Bücher des russischen Schriftstellers Alexander Wolkow fortgesetzt. Diesmal, im fünften Band der „Zauberland“-Reihe geht es um eine falsche Fee. Ingrid Möller widmet sich in ihrem Künstlerroman „Meister Bertram“. Und in dem Krimi „Die letzte Zeugin“ braucht Oberleutnant Heym noch eine letzte Chance, um die wirkliche Mörderin zu überführen. Na, neugierig geworden? Erstmals 1983 erschien im Kinderbuchverlag Berlin das Buch „Manuel und der Waschbär“ von Martin Meißner: Manuel wohnt in einem Kinderheim, umsorgt von verständnisvollen Erziehern. Und doch: Das Heim ist nicht sein Zuhause. Dort gibt es die lebenslustige Mutter. Besonders als ihr neuer Partner in der Familie lebt, fühlt sich der Junge geborgen. Mehr als es ein leiblicher Vater kann, kümmert er sich um den Jungen. Als der Mann eines Tages wortlos davon geht, versteht Manuel das nicht. Auf seine Weise versucht er mit den bitteren Erfahrungen fertig zu werden. Das geht nicht gut. Aus Angst vor neuen Enttäuschungen wird er immer mehr zum Einzelgänger. Das ändert sich auch nicht, als er im Kinderheim lebt. Selbst dem freundlichen Sprachheillehrer gelingt es nicht, sein Vertrauen zu gewinnen, so sehr er sich auch bemüht. Manuel schwänzt den Unterricht. Sitzen sich Lehrer und Schüler einmal gegenüber, so schweigen sie meistens. Der Junge lässt sich kein Wort entlocken. Doch eines Tages bricht er sein Schweigen und fragt den Lehrer, ob er auch die Sprache der Tiere beherrscht. Verblüfft rettet sich der Lehrer zunächst in eine Lüge. So erfährt er, warum Manuel unbedingt mit einem Tier sprechen muss. Manuel und der Waschbär ist eine Erzählung, in der ein Junge durch Erlernen und somit mit Hilfe der Sprache seinen Freund rettet. Alles beginnt mit einem Diebstahl … „1. Kapitel Ein Diebstahl war entdeckt. Als Manuel die Treppe des Kinderheims hinaufging, drang Lärm aus der Küche. Die Tür stand offen. So breiteten sich die lauten Worte über das ganze Treppenhaus bis hinauf zum Obergeschoss aus. Der Junge blieb stehen. Frau Bohndiek hielt einen Korb in der Hand und trug ihn von einer Frau zur anderen. Fast das ganze Personal hatte sich versammelt. „Zählt sie nach“, flehte sie. „Zwölf müssen es sein. Und wie viel sind es?“ Die anderen wussten es längst. Nur zehn Eier lagen in dem Korb. Aber die Erzieherin gab nicht eher Ruhe, bis jede gezählt hatte und bestätigte: Zehn Eier waren es und nicht zwölf. „Es stiehlt einer die Hühnereier aus den Nestern“, schloss Frau Bohndiek. Dann setzte sie sich wie ein Wächter vor den Korb. Manuel ging bis zum Treppenabsatz weiter und schaute aus dem Fenster. Unten sah er den Hof mit dem Holzschuppen und dem Hühnerstall. Hinter einem hohen Zaun aus Draht schloss sich der Garten an. Rechts Gemüsebeete und Obstbäume. Links der Rasen, wo die Schaukeln, Wippen und ein Karussell standen. Auch Autoreifen, die genauso bunt angemalt waren wie das übrige Spielgerät. Weiter hinten floss die Purnitz vorbei. Das war ein Bach, der sich bescheiden hinter dichtem Gebüsch verbarg. 2. Kapitel Am Abend konnte niemand einschlafen. Alle dachten an den Eierdieb. „Ich habe mal einen fremden Mann gesehen, der kam aus dem Hühnerstall“, erzählte Kai, der für seine erfundenen Geschichten bekannt war. „Er trug etwas unter der Jacke. Sie beulte so aus.“ „Nun legen die Hühner bestimmt nicht mehr“, erklärte Ricardo. „Warum?“ „Ich weiß nicht. Ich denke mir das.“ „Nein“, erwiderte Kai. „Hühner legen immer. Die können gar nicht anders. Wenn sie keine Eier legen, dann sterben sie.“ „Woher weiß Frau Bohndiek, dass Eier fehlen?“, fragte Manuel. „Es kommen immer welche dazu.“ „Sie weiß es eben“, antwortete Kai. „Es müssen jeden Tag zwölf sein. Das war schon immer so. Außerdem lagen Eierschalen herum. Wenn man sie zusammensetzt, werden zwei Eier daraus.“ „Es kann ein Tier gewesen sein“, vermutete Ricardo. „Ein Tier?“, fragte Manuel. „Ja. Es gibt Tiere, die nehmen gerne Nester aus.“ So ging es hin und her. Die Jungen erfanden die unmöglichsten Täter. Bis die Nachtwache hereinkam und endgültig für Ruhe sorgte. 3. Kapitel Am nächsten Morgen dachte kaum noch einer an den Eierdieb. Wie immer freitags kam Herr Lockstedt ins Kinderheim. Das war der Sprachheillehrer. Manuel sah den Mann erst, als er den Flur bereits betreten hatte. So drückte er sich zwischen Topfpalme und Aquarium, um nicht gesehen zu werden. Andere Kinder stürmten wie immer auf den Lehrer los. Eine ganze Traube umringte ihn. „Lasst meine Jacke“, sagte er und lachte. Er bahnte sich einen Weg in den Unterrichtsraum. Herr Lockstedt hatte eine Glatze und einen Bart wie ein Gebüsch. Er trug gelbliche warme Schuhe, mit denen er leise wie ein Elefant ging. Seine Brille hing schief im Gesicht und sah aus, als hätte sie ein anderer weggeworfen. Als erster war Kai mit dem Unterricht an der Reihe. Als er herauskam, schwenkte er stolz sein Arbeitsblatt in der Hand. Darauf waren einige Tiere gestempelt. Er ging an die Küchentür und rief hinein: „Hier. Das habe ich gelernt. Lauter Tiere. Elefanten und Kamele. Ich durfte sie selber stempeln.“ Kai sprach jetzt gut. Aber Herr Lockstedt unterrichtete ihn weiter, weil er eifrig bei der Sache war und solchen Spaß hatte. Manuel hörte, wie Kai auf der Treppe sang: „Affen, Esel, Elefanten, diese lieben Anverwandten, Schaf, Kamel und Känguru und auch noch der Kai dazu.“ Manuel stand in dem dunklen Gang, der zur Schneiderstube führte. Hier waren die Wäschesäcke aufgestapelt und gaben diesem Teil des Hauses das Aussehen einer Höhle. „Willst du dich wieder verstecken?“, fragte Kai. „Ich verstecke mich nicht.“ „Und warum kriechst du zwischen die Säcke? Warum guckt nur noch dein Kopf hervor?“ „Ich suche was.“ „Du willst nicht zum Sprachunterricht. Das ist es. Du versteckst dich. Du kommst erst wieder hervor, wenn du das Auto von Herrn Lockstedt abfahren hörst.“ Kai ging fröhlich zum Gruppenraum hinüber, um sein Arbeitsblatt herumzuzeigen. „Affen, Esel, Elefanten...“, sang er. Nachdem Manuel über eine Stunde in seinem gemütlichen Versteck verbracht hatte, hörte er die dunkle Stimme des Sprachlehrers unten in der Küche. Herr Lockstedt aß an den Unterrichtstagen mit. „Was gibt es denn heute?“, fragte er. „Neugierde mit Soße und Topfguckerpudding“, antwortete die Köchin und stellte ihren kräftigen Rücken vor die Töpfe. So konnte der ungeduldige Gast keinen Blick hineinwerfen.“ Als ein Krimi für Kinder, Eltern und Großeltern versteht sich das erstmals 1995 Rowohlt Taschenbuch Verlag Reinbek veröffentliche Buch „Bleib cool, Franzi“ von Klaus Möckel: Franzi traut ihren Augen nicht. Beim Baden in einem See nahe Berlins beobachtet sie, wie ein Schwimmer von einem Motorboot überrollt wird. Ist er verletzt oder gar tot? Der Fahrer jedenfalls schert sich nicht um ihn, braust einfach davon. Der Verunglückte könnte ein Obdachloser aus dem Dorf sein, denn der ist seit dem Unfall verschwunden. Franzi kannte ihn, sie hat manchmal seinem Mundharmonikaspiel gelauscht. Gemeinsam mit einer Freundin stellt sie Nachforschungen an, die zu kritischen Situationen führen. Als der Bootsführer bemerkt, dass ihm die Mädchen auf der Spur sind, zeigt er seine ganze Gefährlichkeit. Eine Geschichte voller Abenteuer, die in der Rotfuchs-Reihe bei Rowohlt veröffentlicht wurde. Und so ist das Unglück passiert: „1. Kapitel Franzi beginnt zu frieren, Franzi bibbert schon ein bisschen, Franzi hat blaue Lippen. Das ist kein Wunder, sie war viel zu lange im Wasser. Nach einer endlosen Schulwoche in Berlin ist sie hier draußen vom Grundstück aus gleich zum See gerannt, hat sich in die Fluten gestürzt. Trotz des kühlen Wetters und obgleich sie die Einzige an der Badestelle war. Sie ist weit hinausgeschwommen, hat gepaddelt, geplanscht, sich auf dem Rücken treiben lassen. Sie hat alles gemacht, was man allein im Wasser anstellen kann, und sich dabei pudelwohl gefühlt. Eine Stimmung, die jetzt noch anhält, obwohl Franzi merkt, dass es nun genug ist. Deshalb gleitet sie von der Rücken- in die Brustlage, schiebt eine großblättrige Pflanze zur Seite, die ihr an den Bauch glitscht, und erreicht mit ein paar Armzügen Ufernähe. Wenn sie auch nicht so ein Superstar ist wie ihre Namensvetterin, Franziska van Almsick - schwimmen kann sie für ihre elf Jahre ausgezeichnet. Links auf schlammigem Boden Schilf, rechts am Grund der Badestelle aber weißer, körniger Sand. Ein Strand, wie man ihn sonst nur am Meer, an der Ost- oder Nordsee, findet. Franzi watet an Land, wo ihre Sachen liegen, streift den Badeanzug ab und rubbelt sich trocken. Wohlige Wärme durchzieht ihren ganzen Körper, als sie in die Latzhose und den Pulli schlüpft. Sie bindet ihre weiße Plastikuhr um und stellt fest, dass es gleich eins ist. Höchste Zeit, zurück zum Häuschen zu laufen, wo die Mutter bestimmt schon mit einem Imbiss wartet. Vielleicht liegt es an dem kalten Wind, der die Bäume zaust, an den Wolken vor der Sonne, vielleicht auch an der Mittagsstunde, jedenfalls ist Franzi nach wie vor allein. Kein Mensch auf der Wiese oder auf einem der Stege, kein Boot auf dem Wasser. Kein Segler, kein Surfer, niemand. Es stört sie nicht, aber sie ist ein wenig verwundert. Nun ja, morgen, am Sonnabend, ist bestimmt wieder mehr Betrieb. Ein Reiher zieht mit schwerem Flügelschlag über den See, ihm gefällt die Ruhe natürlich. Franzi verfolgt seinen Flug, und da, ein ganzes Stück entfernt, entdeckt sie doch noch jemanden. Einen Schwimmer, der auf die Schlangeninsel zukrault. Ja, sie weiß sogar, um wen es sich handelt. Zwar sieht sie nur den Hinterkopf des Mannes, seine Arme, die er im Wechsel nach vorn führt, doch sie erkennt ihn an seinen unbeholfenen, ruckartigen Bewegungen. Kein Zweifel, das ist Kilian, der Mundharmonikaspieler aus dem Dorf. „Kilian!“, ruft Franzi, denn sie freut sich echt. Ein Gefühl der Verbundenheit zwischen Leuten, die bei solchem Wetter den Mut haben, ins kühle Nass zu tauchen. Sie versucht, dem Schwimmer zuzuwinken. Er bemerkt sie aber nicht, und sie lässt es auch gleich wieder sein. Ihr fällt nämlich ein, dass die Eltern es gar nicht gern haben, wenn sie mit Kilian spricht. Der Grund: Er ist ein Obdachloser, vor ein paar Monaten erst in der Gegend aufgetaucht und in einer Scheune untergekommen, die früher der LPG gehörte, der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft. Die Leute im Dorf dulden ihn, mögen ihn im Grunde aber genauso wenig wie die in der Bungalowsiedlung, wo das Wochenendhaus von Franzis Eltern steht. Sie haben Angst, dass er irgendwo einbrechen und dann im Suff die Bude anzünden könnte. Vielleicht auch, dass er durch sein Beispiel andere „Assis“ anlockt. Die Mutter befürchtet sogar, dass er Franzi etwas antut. Sie hat ihr streng verboten, sich mit ihm abzugeben. Dabei ist Kilian die Freundlichkeit in Person und besser als so mancher mit einer großen Villa, findet Franzi. Es stimmt zwar, dass er immer mal die Schnapsflasche beim Wickel hat, aber er stiehlt bestimmt nichts außer ein paar Kartoffeln vom Feld und tut keinem Menschen etwas zuleide. Ein paar Mal hat Franzi sich schon mit ihm unterhalten oder mit anderen Kindern neben ihm auf der Treppe vom Heimatmuseum gesessen. Dort hat er seinen Stammplatz, döst vor sich hin oder spielt seine Lieder. Die Besucher des Museums werfen ihm hin und wieder eine Münze in die Mütze, und er bedankt sich mit einem Kopfnicken. Den Kindern aber erzählt er sonderbare Geschichten. Zum Beispiel, dass er in einem früheren Leben ein indischer Maharadscha war oder ein Löwenbändiger. Inzwischen hat Kilian fast die Spitze der Insel erreicht, die, mit Büschen und Bäumen bewachsen, mitten im See liegt. Näher zum gegenüberliegenden Ufer allerdings als zum diesseitigen. Er hat aber wohl nicht vor, an Land zu gehen, denn er hält einen Augenblick inne und kehrt dann in einem Bogen um. Franzi, die ihm lange genug zugeschaut hat, bückt sich nach ihren Badesachen. Doch gerade als sie losrennen will, passiert es. Alles geht so schnell und überraschend, dass sie noch nicht einmal einen Schrei ausstößt. Sie hört vom See her ein Brummen, das plötzlich zum Geheul anschwillt, und sieht ein Motorboot hinter der Insel hervorschießen. Rot und weiß lackiert, einer der kleinen Flitzer, die über die Wellen springen, eine scharfe Furche ins Wasser schneiden. Der Himmel ist grau, weißer Gischt schäumt auf, und das Boot saust, ohne die Geschwindigkeit zu vermindern, geradewegs auf Kilian zu. Der überfährt ihn noch, denkt Franzi erschrocken. Der Bootsführer scheint den einsamen Schwimmer tatsächlich nicht zu sehen, und Kilian, der zunächst suchend zum Ufer blickt, erkennt die Gefahr erst, als es zu spät ist. Jäh wendet er sich um, hebt einen Arm und schreit etwas. Dann wirft er sich zur Seite, doch da ist das Boot schon bei ihm. Vielleicht hat der Mann am Steuer, ein kräftiger Kerl mit Mütze, ihn in letzter Sekunde bemerkt, wollte ausweichen und überrollt ihn gerade deshalb. Täuscht sich Franzi, oder hat sie ein dumpfes Krachen gehört, einen Aufprall? Ein Wasserwirbel, der Motor des Flitzers stottert und spuckt. Plötzlich jedoch heult er erneut auf, und das Boot zieht in einer Schleife davon. Von Kilian ist nichts mehr auszumachen, Franzi, die jetzt richtig entsetzt ist, sieht, dass der Bootsführer zu der Stelle zurückschaut, wo der Zusammenprall stattgefunden hat. Für einen Moment glaubt sie, dass er umkehren wird. Doch nein, der Flitzer rast weiter und verschwindet wieder hinter der Insel. Erneut starrt das Mädchen zum Unglücksort. Die Bugwelle des Bootes hat sich verlaufen, und nur noch der Wind peitscht das Wasser.“ Als Band 5 der Nikolai-Bachnow-Bücher brachten Aljonna und Klaus Möckel unter dem Pseudonym „Nikolai Bachnow“ im Jahre 2000 bei der LeiV Buchhandels- und Verlagsanstalt GmbH „Die falsche Fee“ heraus: In diesem Buch der Zauberland-Reihe geht es um das Rosa Land, in dem freundlich und klug die gute Fee Stella herrscht. Doch gerade die Güte wird ihr zum Verhängnis, denn Mark, ein gemeiner Betrüger, schmeichelt sich bei ihr ein, um an ihre Zauberbücher zu kommen. Nachdem er bereits den misstrauischen Hengst Eschno ausgeschaltet hat, gelingt es ihm, Stellas Gestalt anzunehmen und sich an ihre Stelle zu setzen. Der Scheuch und seine Freunde, die anlässlich einer großen Feier ins Rosa Reich gekommen sind, schöpfen zunächst keinen Verdacht. Nach und nach begreifen sie aber, dass hier etwas nicht stimmt, und beginnen Fragen zu stellen. Doch Mark ist gefährlich. Er lähmt den Holzfäller, verwandelt den Scheuch, Prinzessin Betty und den alten Goodwin, der gleichfalls einen Abstecher in die ihm von früher her bekannten Gegenden gemacht hat, in sprechende Kohlköpfe. Zum Glück gibt es da ja aber noch Jessica, die all ihren Mut zusammennimmt. Von einem flüsternden Bäumchen geführt, stellt sie sich tapfer dem Betrüger entgegen. Und gleich am Anfang des Buches treffen wir die gute Fee Stella und ihr Ross Eschno und einen jungen Mann in Schwierigkeiten – oder ist er nur scheinbar in Schwierigkeiten? Jedenfalls steckt er verkehrt herum in einem Baum: „Stella, die gute und schöne Fee, ritt auf ihrem Ross Eschno über Land. Als Herrscherin des Rosa Reiches wollte sie von Zeit zu Zeit mit eigenen Augen sehen, wie es um ihr Volk stand, ob die Leute glücklich oder unzufrieden waren. Sie besuchte Dörfer und Städte, mischte sich verkleidet unter die Menschen und unterhielt sich mit ihnen. Auch diesmal hatte sie wieder mit Handwerkern und Kaufleuten gesprochen, Fischer und Bauern bei der Arbeit beobachtet. Sie hatte allerhand erfahren und sich überzeugt, dass es den Leuten gut ging. Darüber freute sie sich. Eschno, ein silbergrauer Hengst mit weißer Blesse, trabte gemächlich dahin. Wie stets hatte er seine Herrin über Hügel und durch Täler getragen, er war ausdauernd und schnell. Man konnte sich mit ihm auch unterhalten, denn wie alle Tiere im Zauberland beherrschte er die menschliche Sprache. Allerdings redete er manchmal etwas zu viel, hatte sogar einen Hang zum Philosophieren. „Unsere Reise hat sich gelohnt“, sagte die Fee und Eschno wollte gerade ausführlich antworten, da wurden sie aufgestört. Ein lauter Klageruf erscholl aus einiger Entfernung. Es war ein langgezogenes, schrilles „Hi-ilfe! So helft mir doch!“ Die Fee brauchte Eschno nicht erst aufzufordern, er jagte von ganz allein los. In gestrecktem Galopp stürmte er querfeldein zu einem Wäldchen mit Buchen und Eichen. „Hilfe!“, ertönte es wieder, „zu Hilfe!“ Sie setzten über niedriges Buschwerk und drangen in das Wäldchen ein. Die Rufe kamen von weiter hinten und schnell hatten die beiden eine dicke Eiche erreicht, bei der sich ihnen ein verblüffendes Bild bot. Von einem Ast hing, an den Füßen festgebunden und mit dem Kopf nach unten, ein schmächtiger Bursche. Er mochte neunzehn oder zwanzig Jahre alt sein, hatte geflickte Kleider an und borstiges braunes Haar. Er zappelte und bog sich, weil er mit den Händen nach oben oder wenigstens an den Baumstamm gelangen wollte. In seiner unglücklichen Lage stieg ihm das Blut zu Kopf, besser gesagt, es drängte abwärts, so dass er knallrot im Gesicht war. Eschno machte schnaubend Halt und Stella rief: „Was um Himmels willen ist dir armem Kerl zugestoßen? Wer hat das getan?“ „Räuber“, würgte der Bursche hervor. „Sie haben mir alles weggenommen. Bindet mich rasch los, bitte!“ Die Fee murmelte ein paar Worte und berührte den Burschen mit ihrem Zauberstab. Sofort lösten sich nicht nur die Stricke von seinen Füßen, er schwebte auch, mit den Beinen nach unten, sanft zu Boden. „Wer bist du?“, fragte Stella. „Erzähle, wie das passiert ist.“ „Bist du eine Zauberin?“, wollte der junge Mann seinerseits wissen. Er schien verblüfft. „Etwas Ähnliches, aber ich pflege nichts Böses zu tun, du brauchst also keine Angst vor mir zu haben. Berichte jetzt.“ „Nun ja, wie soll ich beginnen ...“ Der Bursche war ganz offensichtlich noch geschwächt und durcheinander. „Ich heiße Mark und bin, wie ihr an meinen Kleidern seht, nicht gerade reich. Wir wohnen in den Bergen, in einer kargen Gegend. Meine Mutter ist gestorben, als ich noch sehr klein war, der Vater brachte die Familie gerade mal so mit dem Flechten von Weidenkörben durch.“ „Das muss ein wackerer Mann sein“, sagte die Fee, „denn bestimmt bist du nicht das einzige Kind.“ „Ganz und gar nicht. Ich habe drei Brüder und zwei Schwestern. Weil ich der Älteste bin, musste ich übrigens von zu Hause weg. Der Platz in unserer Hütte reichte hinten und vorn nicht mehr. Ich habe meine Siebensachen zusammengepackt, meinen Stock genommen und einen Beutel mit ein paar Kupfermünzen eingesteckt, die ich im Laufe der Jahre gespart hatte. Vater schenkte mir noch ein Silberstück, seinen einzigen Schatz. Aber dann haben mich diese Banditen überfallen.“ Marks Stimme klang kläglich. „Banditen hier, ich bin erstaunt“, mischte sich Eschno ein. „Die Bewohner unseres Landes werden Schwätzer genannt, weil sie ein munteres Mundwerk besitzen, doch Raub und Mord sind ihnen fremd. Wie sahen die Wegelagerer denn aus?“ „Sie waren kräftig, zerlumpt und hatten struppige Bärte“, erwiderte Mark. „An mehr erinnere ich mich nicht, es ging alles so schnell. Vielleicht kamen sie von jenseits der Grenze.“ „Das könnte sein, die Grenze ist nicht weit von hier“, stimmte die Fee zu. „Jedenfalls haben mir diese Schufte alles weggenommen, auch die kleinste und schäbigste Münze.“ Mark zeigte seine leeren Taschen. „Und was willst du nun tun?“, fragte Stella. „Ich werde in die Hauptstadt gehen und um eine Anstellung am Hof unserer Herrscherin bitten. Bei ihr kann ich bestimmt eine Menge lernen. Vielleicht habe ich Glück.“ Ein sonderbares Glitzern zeigte sich in Marks Augen. „Wenn du dich bei unserer berühmten Herrscherin bewerben willst, musst du Klugheit, Zuverlässigkeit und Geschick in vielen Dingen beweisen“, wandte Eschno skeptisch ein. „"Ihr kennt euch in der Hauptstadt wohl gut aus?“, fragte der Bursche.“ 1981 veröffentlichte Ingrid Möller im Prisma-Verlag Zenner und Gürchott Leipzig den Künstlerroman „Meister Bertram“: Der menschliche und künstlerische Werdegang dieses bedeutenden Malers an der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit wird für den Leser eine ereignisreiche Fahrt in die Kulturgeschichte. Prunkvolle Prozessionen, Mirakelspiele auf den Märkten, Geschäftigkeit der Hansestadt Hamburg, Pilgerfahrten und Piraterie - alles prägt die Welt Meister Bertrams und die literarische Szene dieses Romans. Noch verwurzelt in der künstlerischen Tradition des gotischen Nordens, zeugen Bertrams Altarschreine bereits vom neuen, aus Italien stammenden Denken einer die eigene Kraft und den Wert des Irdischen entdeckenden Menschheit. Zunächst aber sind wir in einem Kloster und vermissen gemeinsam mit dessen Prior Bruder Meinardus. Was ist mit ihm passiert? „Unverwandt starrt der Prior auf den leeren Platz, an dem Bruder Meinardus zu sein hätte. Nichts anderes mehr beschäftigt ihn. Wie etwas von ihm selbst Abgelöstes und von seinem Willen Unabhängiges dringt seine Stimme durch den Raum: „... Ho — di — e pro — ces — sit ad or — tum ...“ Er dehnt den letzten Ton aus, bis der Chor zur Wiederholung ansetzt. Kaum verhallt die letzte Zeile des Frühen Morgengrußes im Raum, als der Prior geraden Weges auf die Zelle des Bruders Meinardus zugeht. Seine Augen flammen, seine Bewegungen sind heftig, in seinem Hirn sammeln sich niederschmetternde Worte einer Strafrede. Zu Lieblingskindern muss man doppelt streng sein! Er reißt die Tür auf, dass die handgeschmiedete Eisenangel jäh aufkreischt. „Leuchte mir!“, herrscht er den Mönch an, der als nächster herbeikommt. Denn in der Zelle ist es dunkel. Die Pritsche ist leer! Das ist das Erste, was er feststellt. Unwillig reißt er dem Mönch die Fackel aus der Hand und ist mit drei schnellen Schritten mitten im Raum. Noch schneller sind seine Augen: Dort, ja — tatsächlich! — dort in der Ecke unter dem Bild der Madonna liegt etwas. Schwarz und unbeweglich. Der Prior richtet die Fackel darauf: kein Zweifel! Bruder Meinardus. >Ist er ohnmächtig? Oder etwa tot?< Der Prior erschrickt heftig bei dem Gedanken. „Hol Hilfe!“ Heiser bringt er die Worte heraus. Der Mönch rennt los, ohne Fackel, und stößt sich vor Hast an der Mauerkante. Währenddessen leuchtet der Prior das Gesicht des Leblosen ab. Es ist gespenstisch blass. Oder belebt es sich rötlich? Nein, es ist nur der Schein der Fackel! Keine Wimper rührt sich. Tiefer beugt sich der Prior hinab, vergisst selbst die Sorge um den untadeligen Sitz seiner Ordenstracht. Er muss Gewissheit haben. Sofort. Hastig nimmt er das Kreuz von seiner Brust und hält die glatte Unterseite vor die Lippen des Kranken. Beschlägt das blanke Metall? Die innere Unruhe lässt den Prior im Ungewissen. Er wird misstrauisch gegenüber der Zuverlässigkeit seiner Sinne. Sieht er nicht etwa nur, was er zu sehen wünscht? Er kniet auf den Backsteinboden nieder und tastet nach der Schlagader am Hals. Kein Zweifel, Gottlob! — das Blut pulst. Schritte kommen auf die Tür zu. Eilig richtet sich der Prior auf, klopft den Staub von den Kleidern, rückt das Kreuz auf die Brustmitte und gibt seinem Gesicht den überlegenunerschütterlichen Ausdruck, den die Würde des Amtes von ihm verlangt. „Legt ihn aufs Bett, holt Decken und Felle ... und schickt mir Bruder Stefan!“ Die Stimme klingt weder heiser noch belegt. „Bruder Stefan wurde zum Bischof gebeten ...“ „Dann bringt den Gärtner!“ Der Prior handelt rasch. Es darf keine Zeit verloren werden. Wo bleibt der Gärtner! Verschlafen tritt er ein, sichtlich bemüht, zu begreifen, was hier vorgeht und was man von ihm will. Seine Augen wandern fragend von einem zum andern, bis er den totenbleichen Meinardus auf der Pritsche entdeckt. Ein Unfall? Ein Gärtner hat nichts zu fragen. Er muss warten, bis ihm erklärt wird, was er wissen soll. Jetzt, der Prior selbst wendet sich ihm zu! „Du kennst dich aus in der Heilkraft der Kräuter. Schaff etwas herbei, dass Bruder Meinardus ins Leben zurückkehrt, und sorge für einen Sud, der ihn wärmt und stärkt!“ Der Gärtner erschrickt. Was weiß denn er schon von der Heilkraft der Kräuter! Welche Verantwortung wird ihm da auferlegt! Er ist ein einfacher Mann, der sät und erntet, was das Kloster braucht, mehr nicht! Doch er weiß: Widerspruch wäre fehl am Platze, selbst Zögern. Und so versucht er keinen Einwand. Unschlüssig läuft er hinaus, kehrt verwirrt im stockfinsteren Kreuzgang wieder um, sucht sich ein Windlicht, läuft den Weg zurück und bedenkt jetzt erst, was ihm da zugemutet wird. Bei Dunkelheit soll er auf den Kräuterboden! Ihn graust. Hätte nicht der Prior selbst den Auftrag gegeben, keine zehn Pferde könnten ihn dorthin zerren! Jeder im Kloster weiß, dass es auf diesem Dachboden nicht geheuer ist, dass es hier nachts tobt und springt und trampelt und jault! Dass Geister herumhuschen und einen mit den Flügeln streifen, mit Flügeln, die weich sind wie Flaum, und ganz ohne Geräusch. Der Gärtner bekommt eine Gänsehaut. Zu jedem Schritt auf der ausgetretenen Wendeltreppe muss er sich zwingen und Mut zureden. Schließlich erreicht er die schwankenden Bretter des Bodens. Leuchten nicht Phosphoraugen aus dem Winkel? Huscht nicht etwas hinter dem Balken? Der Gärtner kneift die Augen vor dem grellen Licht der Windleuchte zusammen und starrt auf die Kräuterbündel, die aufgereiht an einer Schnur unter der Decke hängen. Hätte er sie nicht selbst gesammelt oder im Klostergarten gezogen, wie sollte er sie auseinanderhalten? Welches Bündel ist richtig und hilft? Das da müsste Thymian sein — ein Gewürz also — das da Baldrian, das Kamille, Minze ... Blinzelnd kneift er die Augen zu einem engen Spalt zusammen. Und auf dem Boden, auf Laken ausgebreitet, Lindenblüten und Fliedertee ... „Ach was“, murmelt er halblaut, „nehm ich einfach Fliedertee. Schaden kann er nicht, und was wirklich hilft, weiß allein Gott.“ Erlöst über seinen schnellen Entschluss, rafft er zwei Hände voll in die Schürze und läuft behände die Schneckenstufen hinab, in den Knien federnd und krummbeinig. Das Windlicht hält er ein Stückchen vorweg, man könnte sonst fehltreten, weil keine Stufe der anderen gleich ist. Unten wird er mit Unmut empfangen, das Wasser kocht längst. Der Gärtner lugt durch den Türspalt mit einem kurzen, neugierigen Blick. Noch immer weiß er nicht, was eigentlich vorgefallen ist. Doch schon wird die Tür vor ihm zugeschlagen. Nur sehr allmählich erholt sich Bruder Meinardus. Der Ohnmacht folgt das Fieber. Mit dem zeitweise wiederkehrenden Bewusstsein kommt das Bewusstwerden großer körperlicher Schwäche zurück. Doch dieses Gefühl der Schwäche, der Schwerelosigkeit, des Schwebezustands, diese Unfähigkeit, sich zu rühren, beunruhigt Bruder Meinardus keineswegs. Im Gegenteil: es beglückt ihn. Er sucht ihm nicht zu entfliehen. „Bruder Meinardus!“ Der Prior selbst klopft die Wangen des Kranken mit der flachen Hand und legt ihm feuchte Tücher auf die Stirn. „Bruder Meinardus!“ Er wird ungeduldig. Warum nur lässt der Kranke sich immer wieder in die Bewusstlosigkeit zurückfallen! Der Prior ertappt sich bei Selbstvorwürfen. Hat er Meinardus zu hartes Fasten auferlegt, zu harte Selbstkasteiung, und hat er ihn nicht gezwungen, den Schlaf zu meiden, um zu beten, beten, beten ... Hat er zu viel verlangt? Mehr als ein junger Körper auszuhalten vermag? ... Andererseits: Meinardus sah die Notwendigkeit ein, er gehorchte ohne den geringsten Widerstand, ja mehr noch: er schien aufzugehen in dieser Lebensführung, als sei er von Anbeginn für das Leben im Kloster bestimmt!“ Und zum Schluss noch ein Angebot für Krimi-Freunde: Erstmals 1976 veröffentlichte Heiner Rank in der beliebten DIE-Reihe (Delikte, Indizien, Ermittlungen) des Verlages Das Neue Berlin „Die letzte Zeugin“: Oberleutnant Heym hat Zweifel. Aufgrund von Indizien musste er eine Frau unter dem Verdacht des Mordes verhaften. In ihrer Wohnung starb Hellberger an einer Tablette, die sein Herz nicht vertrug. Sie wusste, dass er an diesen Tabletten sterben würde, die ihr Arzt ihr verschrieben hatte. Die Beweise sind erdrückend. Und trotzdem zweifelt Heym. Er hat jemand anderen in Verdacht. Doch Verdacht allein genügt nicht. Es gibt nur einen Weg, sie zu überführen. Dazu muss er alle Zeugen noch einmal verhören und Staatsanwalt Sommerfeld den Beweis liefern, dass seine Vermutungen richtig waren. Die Zeuginnen sitzen im Vorzimmer des Staatsanwaltes und warten auf das Verhör. Es sind alles Frauen, denn Hellberger hatte so seine Geheimnisse. Und eine von ihnen ist die Mörderin und wähnt sich noch in Sicherheit. Hören wir, was Oberleutnant Heym Staatsanwalt Sommerfeld vorschlägt: „1. Kapitel „Meine Geduld ist zu Ende!“ Staatsanwalt Sommerfeld klappt energisch seinen Terminkalender zu. „Seit drei Wochen sitzt die Frau in Untersuchungshaft. Bei jedem Haftprüfungstermin haben Sie mir versichert, Sie stünden kurz vor der Lösung. Aber wie ich sehe, sind Sie mit diesem Fall nicht einen Schritt weitergekommen!“ Sommerfeld wirft den Kalender auf den Schreibtisch, lehnt sich zurück und schweigt. Der Mann, an den die Worte gerichtet sind, antwortet nicht. Er nickt nur leicht, auf den Lippen ein dünnes Lächeln. „Als Staatsanwalt bin ich nicht nur Ankläger“, sagt Sommerfeld, und sein Ton klingt ein wenig freundlicher. „Ich habe für die Einhaltung unserer Rechtsnormen zu sorgen. Frau Ballhorn wird heute entlassen, und wenn Sie sich auf den Kopf stellen, mein lieber Heym. Was Sie als stichhaltige Fakten bezeichnen, überzeugt mich nicht.“ „Mich auch nicht.“ „Wie bitte?“ „Es ist doch ganz einfach.“ Oberleutnant Heym breitet entschuldigend die Hände aus. „Ich habe mich geirrt. Gleich zu Beginn meiner Untersuchung ist mir ein Fehler unterlaufen. Ich habe also noch einmal von vorn angefangen und die richtige Lösung gefunden.“ „Tatsächlich?“ Sommerfeld lächelt matt. Den Wunsch, eine spöttische Bemerkung zu machen, unterdrückt er. Er weiß, seinem Partner ist damit nicht beizukommen. Ironie läuft an diesem Menschen ab wie Wasser an einer Ente. „Ich habe die fünf Zeuginnen noch einmal vorgeladen“, fährt Heym fort. „Ich bin ganz sicher, dass es mir gelingt, die Schuldige zu überführen. Falls Sie keine Einwände gegen meinen Plan erheben. Ich brauche nämlich Ihre Hilfe.“ Sommerfeld schweigt und betrachtet sein Gegenüber. Ein rundes, jugendliches Gesicht. Blondes, schon etwas schütteres, zu lustigen Locken geringeltes Haar. Randlose Goldbrille. Ein freundliches, ja verschmitztes Lächeln, das auf die Neigung hindeutet, den Genüssen des Lebens nichts schuldig zu bleiben. Wildlederjacke, brauner Pullover, graue Hose mit korrekten Bügelfalten. Kein Mensch würde in diesem netten jungen Mann die fast kriminelle Fantasie vermuten, mit der er sich in die Gedankengänge und Empfindungen seiner Gegner einschleicht. Dazu eine Ausdauer, die an Sturheit grenzt. Aber das ist schon nicht mehr Sache der Persönlichkeit, das gehört zum Beruf. Wer keine Ausdauer hat, darf seine Zivilklamotten reinen Gewissens an den Nagel hängen und zum Streifendienst zurückkehren. „Na gut“, seufzt Sommerfeld. „Sie haben mich tatsächlich neugierig gemacht. Und das wollten Sie ja auch, nicht wahr? Also entwickeln Sie mal Ihren Plan.“ Heym erhebt sich, öffnet die Tür und gibt einen Wink ins Vorzimmer. Ein Volkspolizist schleppt eine Kiepe voll Birkenholz herein. Heym stellt den Kaminschirm zur Seite. Er zieht aus seiner Aktentasche Zeitungspapier, Kohlenanzünder, Streichhölzer, knüllt das Papier zusammen, stopft es in den Kamin. „Was soll das? Was treiben Sie da?“, fragt Sommerfeld beunruhigt. „Wollen Sie eine Brandstiftung demonstrieren?“ „Ich brauche Feuer. Falls die Täterin hartnäckig leugnet, kann ich sie vielleicht mit einem kleinen Trick zum Geständnis bringen.“ „Sind denn Ihre Beweise so mager, dass Sie diese zweifelhafte Methode nötig haben?“ „Was ich habe, sind Indizien. Ohne Geständnis reichen sie vor Gericht nicht aus. Das wissen Sie doch besser als ich.“ „Finden Sie nicht selbst, Genosse Heym, dass so ein Kaminfeuer etwas merkwürdig aussieht? Wir sind hier in einem Dienstzimmer und nicht im Ferienheim.“ „Warum darf sich ein Staatsanwalt nicht ein Kaminfeuer leisten, wenn die Zentralheizung kaputt ist? Es gibt doch gewiss keinen Zweifel, dass Sie in der Lage sind, diesen Sachverhalt überzeugend glaubhaft zu machen. Nur für den Fall, dass jemand dumme Fragen stellt.“ „Ich beneide Sie um Ihren Optimismus. Aber reden wir überhaupt noch von der gleichen Sache? Ist es der Fall Hellberger, den Sie heute lösen wollen?“ „Er ist es.“ „Schön. Sie sagen, Sie hätten jetzt die richtige Lösung. Soll das heißen, dass Sie Frau Ballhorn nicht mehr für die Täterin halten?“ „Ja.“ „Aber es gibt noch den Tatbestand, dass Wolfgang Hellberger in der Wohnung der Frau Ballhorn an einer Medikamentenvergiftung starb?“ „Ja“ „Gilt noch, dass er der Geliebte der Frau Ballhorn war?“ „Ja.“ „Und dass sie triftige Gründe zur Eifersucht hatte?“ „Ja“ „Und dass sie im Besitz des tödlichen Medikaments war?“ „Ja“ „Und schließlich, dass sie erst zwölf Stunden nach Hellbergers Tod den Arzt rief?“ Heym nickt und scheint ganz davon in Anspruch genommen, die Birkenscheite im Kamin aufzuschichten. „Waren diese Fakten“, fragt Sommerfeld hartnäckig weiter, „waren diese Fakten und die Lügen der Frau Ballhorn die Begründung der Kriminalpolizei für den Haftbefehl, den ich Ihnen unterschrieben habe und mit dem Sie die Frau in Untersuchungshaft brachten?“ „Ja.“ „Sind Sie im Besitz von Beweismitteln oder Zeugenaussagen, die an diesen Fakten etwas ändern?“ „An diesen Fakten ist nichts zu ändern.“ „Und trotzdem bilden Sie sich ein“, sagt Sommerfeld entrüstet, „Sie könnten heute eine andere Frau der Tat überführen?“ „Allerdings.“´ Zumindest beim letzten Fall dürften Sie aber nun aber endgültig neugierig geworden sein, wie der Oberleutnant den Fall Hellberger doch noch aufklären will. Und falls Sie zum Beispiel vor dem Lesen des Künstlerromans von Ingrid Möller noch mehr zum Meister Bertram, einem der bedeutendsten Maler der Gotik erfahren wollen, dann schauen Sie doch im Internet mal unter dem Stichwort „Grabower Altar“ nach … Im Übrigen befindet sich der Grabower Altar seit Anfang des 20. Jahrhunderts wieder in Hamburg. Neugierig? Weitere Informationen und Angaben finden Sie unter http://www.prseiten.de/pressefach/edition-digital/news/3868 sowie http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/. Über EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr: EDITION digital wurde 1994 gegründet und gibt neben E-Books Bücher über Mecklenburg-Vorpommern und von Autoren aus dem Bundesland heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen. Pressekontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Gisela Pekrul Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://www.edition-digital.de
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Sex und Politik, Politik und Sex sowie Einsamkeit und Tod in Paris 1793 – Sechs E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
Sex sells. Das gilt nicht erst seit den modernen Zeiten, sondern das galt schon im Mittelalter, in Barock und Rokoko und nicht zuletzt in der Zeit der Renaissance. Und Sex spielt auch in der Politik eine nicht zu unterschätzende Rolle, wenn es um Interessen und Intrigen, um Macht und Ohnmacht, um Aufstieg und Fall geht. Einen ebenso kenntnis- wie aufschlussreichen Blick gewissermaßen in die Schlafzimmer der Politik erlaubt der sechste der sechs Deals der Woche, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 08.09. 17 – Freitag, 15.09.17) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind. Wer möchte nicht gern etwas von den Gespielinnen der französischen Könige erfahren, von Madame Pompadour und ihren „Kolleginnen“? Der sollte das Buch von Klaus Möckel über Frankreichs berühmteste Mätressen zur Hand nehmen und gemeinsam mit dem Autor durch die Geschichte dieses im wahrsten Sinne des Wortes reizvollen „Handwerks“ wandern. Aber Achtung: Wahrscheinlich wird der eine oder die andere bei der Lektüre von Klaus Möckel auch manche Vorurteile korrigieren müssen. Denn um das Spiel der Gespielinnen erfolgreich mitspielen zu können, da reichte nicht nur die äußere Schönheit, dazu brauchte es mehr … - Aber das kann Möckel viel besser erzählen. Im Übrigen geht es auch in den anderen fünf Deals der Woche mehr oder weniger um Macht und Schicksal, manchmal aber auch um die Macht des Schicksals, um einen bekannten Operntitel zu zitieren. Und es geht um die eine oder andere Fehleinschätzung, wie sie zum Beispiel im jugendlichen Überschwang dem Helden des ersten Angebotes dieses Newsletters unterlaufen ist. Einer Fehleinschätzung mit Folgen, von denen die Schwierigkeit, ein paar auf Abzahlung gekaufte Sachen auch wirklich abzahlen zu können, noch die geringste ist … Erstmals 1957 erschien im damaligen Verlag des Ministeriums für Nationale Verteidigung Berlin „Der Spion von Akrotiri“ von Wolfgang Schreyer, dessen Handlung ein Jahr zuvor beginnt: August 1956: Der Reserveleutnant Roger Anderson aus Liverpool, im zivilen Leben Mitarbeiter der Zollfahndung, wird zur 16. Fallschirmjägerbrigade nach Zypern eingezogen. Dort bekommt er von der britischen Abwehr den Auftrag, den amerikanischen Archäologen Walpole, der seine Ausgrabungen nur in der Nähe von geheimen militärischen Objekten durchführt, zu überwachen. Die britische Abwehr fängt Funksprüche mit Details der französischen und britischen Truppentransporte nach Zypern auf, aber Anderson verliebt sich in eine junge und auffällig hübsche Journalistin, die sich nur allzu oft in der Nähe von Walpole aufhält. Im Morgengrauen des 5. November stiegen von Zyperns Flugplätzen in rascher Folge schwere Transportflugzeuge auf, mit Fallschirmjägern, automatischen Waffen und Munition randvoll beladen. Anderson und seine Kameraden sollten den Flugplatz Gamil nordwestlich von Port Said erobern. Nach dem hundertstündigen, pausenlosen Luftbombardement auf Ägypten ein Kinderspiel? Hier der Beginn des 1. Kapitels dieses spannenden Buches, in dem der Held selbst berichtet: „Die Geschichte begann für mich mit einer schlichten Drucksache, durch die der Reserveleutnant Roger Anderson, wohnhaft zu Liverpool, Lime Street 207, aufgefordert wurde, binnen achtundvierzig Stunden in die Garnison zurückzukehren, die er fünf Jahre zuvor, nach Ableistung seiner Wehrpflicht, verlassen hatte. Es war ein schöner Nachmittag Anfang August. Ich kehrte vom Dienst aus dem Hafengelände heim, als mir diese Karte in die Hände fiel. Es wäre übertrieben zu behaupten, sie hätte mich damals erschreckt oder besonders unangenehme Empfindungen in mir wachgerufen. Ich drehte sie zwischen Daumen und Zeigefinger und dachte nur, dass es ein bisschen schäbig vom Mobilisierungsamt sei, statt eines Telegramms diesen simplen Vordruck zu schicken, der obendrein, wie ich gleich entdeckte, etliche Anachronismen enthielt. Man schrieb mir nämlich unter anderem darin vor, meine Lebensmittelkarten mitzubringen; obwohl jedes Kind wusste, dass es seit 1954 in Großbritannien keine Rationierung mehr gab. Die Armeebürokraten hatten einfach uralte Formulare benutzt. Sie schienen im Kriegsministerium auf der ganzen Linie zu sparen. Ich packte dennoch schleunigst meine Siebensachen, sagte in der Dienststelle Bescheid und fand mich pünktlich vor der Garnison Aldershot ein, dem Stammquartier der 16. Fallschirmjägerbrigade; sie ist in dieser Gegend besser bekannt unter dem berüchtigten Namen „Rote Teufel“. Das war mein guter alter Haufen. Während ich das Kasernentor passierte, erinnerte ich mich all der tollen Streiche, die wir vor Jahren hier ausgeheckt hatten. Abgesehen von der Rekrutenzeit, die wohl in keiner Armee der Welt mit einer Badekur zu verwechseln ist, war mein Wehrdienst so erfreulich verlaufen, dass ich mich am Ende schriftlich bereit erklärt hatte, im Falle eines nationalen Notstandes, noch vor der eigentlichen Mobilmachung, freiwillig einzurücken. Möglich, dass dieser Entschluss in jugendlichem Überschwang gefasst worden war, unter dem Eindruck der wunderbaren Abschiedsfeier vielleicht – jedenfalls saß ich nun hier und harrte gespannt der Dinge, die kommen sollten. Erst sehr viel später wurde mir klar, dass ich mit jener Erklärung die größte Torheit meines Lebens begangen hatte. Das erste, was kam, war die ordengeschmückte Brust meines alten Freundes Bill Shotover, der aktiv diente, sich in Kenia oder auf Malakka herumgeschlagen und es dabei zum Captain gebracht hatte. „Hallo, Roger“, sagte er und schlug mir seine mächtige Pranke auf die Schulter. „Recht so! Das Vaterland ruft...“ „Und seine besten Söhne eilen zu den Fahnen“, fügte ich bescheiden hinzu. „Für dich ist noch Platz in meiner Kompanie“, erklärte er, „rede heute Abend mit dem Colonel, das geht in Ordnung, alter Junge.“ Nachdem wir einen Drink genommen, Erinnerungen ausgetauscht und mehrmals bekundet hatten, dass der heutige Nachwuchs kaum noch das darstelle, was unser Jahrgang gewesen sei, ging Bill dazu über, mir die militärische Situation des Commonwealth zu erläutern. Das war seit jeher sein Steckenpferd. „Unsere Lage“, sagte er, „ist bekanntlich hoffnungslos, aber nicht ernst. Das würde sie erst, wenn es uns nicht gelänge, diesen Burschen Nasser unterzukriegen. Das Beispiel könnte Schule machen, und all die anderen Hunde, die jetzt noch den Schwanz einziehen, würden dann den Respekt verlieren. Falls du ab und zu eine Zeitung liest, Roger, weißt du ja, was er nun wieder angestellt hat. Aber mit der Kanalgeschichte kommt er nicht durch. Wir sind dabei, ihn und seine erbarmungswürdigen neunzigtausend Mann auf kaltem Wege mattzusetzen. Pass auf“, sagte er und trat zur Europakarte, die über der Musikbox an der Kasinowand hing. Sein breites Ledergesicht war fahlbraun mit einigen weißen Stellen, eine Folge von Pigmentstörungen, an denen er schon früher gelitten hatte; es glich im Farbton haargenau jenen Partien auf der Karte, die Gebirgszüge über dreitausend Meter darstellten, die hellen Flecke entsprachen den vergletscherten Gipfeln. „Im Roten Meer“, sagte Bill, „liegt unser Kreuzer 'Kenya', vor der levantinischen Küste der Kreuzer 'Jamaica'. In Malta ankert der Flugzeugträger 'Eagle', er hat mehrere Staffeln Jagdbomber an Bord. Hinzukommen sechzig 'Canberra'-Düsenbomber, die gestern nach Malta beordert worden sind. Hier in Jordanien steht das 10. Husarenregiment, verstärkt durch eine Kompanie des Infanterieregiments 'Middlesex', es ist mit 'Centurion'-Panzern ausgerüstet. In Libyen, nahe der ägyptischen Westgrenze, liegen die 10. Panzerdivision, das Infanterieregiment 'The King's Royal Rifle Corps' und das 3. Artillerieregiment 'Royal Horse Artillery', das während der Herbstmanöver 1951 unsere linke Flanke gedeckt hat. Na, wie gefällt dir das?“ – „Nicht schlecht“, sagte ich, „und wir?“ „Wir sind die Commonwealth-Feuerwehr“, antwortete er. „Uns wird man dorthin werfen, wo's brennt.“ „Ob sie den Reservisten wohl den Lohnausfall ersetzen?“, fragte ich. „Außerdem“, fuhr Bill fort, ohne auf meine Sorgen einzugehen, „ziehen wir Teile der 2. Infanteriedivision aus Westdeutschland heraus. Die NATO-Chefs jammern zwar, besonders, weil Frankreich es ebenso macht, aber Sir Anthony hat den Gruenther schon breitgeschlagen. Wie es heißt, haben wir neunzig Zivilflugzeuge beschlagnahmt, bringen damit sogar Leibgarde in den Nahen Osten...“ „Wer nämlich – wie ich – ein paar Sachen auf Abzahlung gekauft hat, der kommt durch die Einberufung ganz schön in Druck.“ Erstmals 2006 brachte die Schweriner Schriftstellerin Jutta Schlott im Wiesenburg Verlag Schweinfurt „Das Liebespaar vom Körnerplatz“ heraus: Ein getrenntes Paar trifft unvermutet aufeinander, eine Journalistin reist in den Irak, ein Mädchen sucht nach seiner Mutter, die es nie kennengelernt hat, eine junge Frau versucht, eine Bibliothek aufzubauen ... Jutta Schlott erzählt Alltagsgeschichten, die oft eine überraschende Wendung nehmen. Ohne Sensationshascherei, aber spannend und mit leisem Humor stehen diese Erzählungen vor dem politischen Hintergrund der neunziger Jahre bis in unsere Gegenwart. Der Titel einer dieser Erzählungen gleich am Anfang des Buches lautet „Etwas Warmes für die Nacht“: „Der Vertreter des Außenministeriums in Berlin versicherte den beiden Journalisten bei der Einweisung für die bevorstehende Auslandsreise, dass ihre Angehörigen innerhalb von vierundzwanzig Stunden Bescheid erhielten, wenn ihnen etwas zustoßen sollte. Im Gespräch mit dem Mittfünfziger und seiner jungen Kollegin unterstrich er mehrmals, dass sie bei Begegnungen mit Offiziellen und dortigen Kollegen jedweden Kommentar zur aktuellen politischen Situation zu unterlassen hätten; vielmehr sollten sie auf die konsequente Friedenspolitik des eigenen Staates verweisen. Ich weiß Bescheid. Arnold hat mich angerufen, erklärte Veras Mutter statt einer Begrüßung am Telefon. Er macht sich auch Sorgen. Ihre Stimme hörte sich reserviert an. Arnold, Veras geschiedener Mann, arbeitete in der größeren der beiden zentralen Nachrichtenagenturen in Berlin. Seine ehemalige Schwiegermutter rief er öfter an als Vera. Es ärgerte die junge Frau, dass ihr Arnold mit der Neuigkeit zuvor gekommen war, gleichzeitig enthob es sie der Schwierigkeit, der Mutter ihre Reisepläne zu eröffnen. Mama, es ist mein Beruf! Die Mutter reagierte nicht; ihr Atmen war zu hören. Du weißt nicht, was du tust. Der Satz klang böse. Ich weiß, dass es nicht ganz ungefährlich ist, setzte Vera hinzu. Aber ich habe mich entschieden - und nicht leichtfertig. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Und was wird mit dem Jungen, fragte die Mutter schließlich. Ich dachte, dass du Albrecht ... Natürlich nehme ich ihn, entgegnete sie, aber man fährt nicht in ein Land, in dem geschossen wird. Am Tag vor der Reise brachte Vera den fünfjährigen Sohn zu ihrer Mutter. Nur zweimal am Tag, morgens und abends, verkehrte der Bus von der Bezirksstadt in die kleine Gemeinde. Vera half Albrecht aus dem Bus, umarmte die Mutter und stieg wieder ein. Um den Jungen mach dir keine Sorgen, sagte sie und drückte das Kind an sich. Als Vera die Tür zuziehen wollte, hielt die Mutter von außen dagegen. Du weißt nicht was du tust, wiederholte sie zornig. Du hast kein Gewissen. Sie sprach leise, damit Albrecht ihre Worte nicht verstand, dann knallte sie die Tür vor der Tochter ins Schloss. Vera sank erschöpft auf einen Sitz im leeren Bus. Zu Hause zog sie sich die Schuhe aus und sah in den Spiegel im Korridor. Er warf das Bild einer nachlässig geschminkten jungen Frau von Mitte dreißig zurück. Müde um die Augen, stellte Vera fest. Wird Zeit, dass du ins Bett kommst. In ihrem Zimmer schmiss sie das Bündel Kleider vom Sessel auf die Liege. Sie stellte in der Küche die Kaffeemaschine an und kontrollierte den Zettel, auf der sie die notwendigen Besorgungen notiert hatte. Bis auf zwei Posten war auf der Liste alles erledigt und durchgestrichen. Nur die Punkte: Packen und Schlüssel zu Frau M. Aus den Nachbarwohnungen drangen Geräusche. Stimmen. Klappern von Geschirr, Fernsehton - der vertraute abendliche Klangteppich des großen Mietshauses. Vera schaltete das Radio an, suchte nach klassischer Musik, fand nur ein Orgelkonzert, das ihr missfiel, und drückte die Aus-Taste. Als sie das Fenster öffnete, drückte der Wind eine Bö herein. Regentropfen verteilten sich auf der Kommode und den Dielenbrettern. Unschlüssig stand sie vor dem Kleiderberg. Alle Sachen erschienen fremd, nicht zu ihrer Person gehörig. Zwischen ihren Blusen fand sich ein Nicki von Albrecht. Du brauchst mir gar nichts mitzubringen, hatte er beim Abschied gesagt. Pflück mir nur ein paar Bananen. Echte Bananen aus Afrika. Vera seufzte tief. Erst mal Kaffee trinken, beschloss sie. Der Kühlschrank war leer geräumt, das Sahnekännchen gab noch ein paar dickflüssige Tropfen her. Sie zündete sich eine Zigarette an und sog den Rauch tief ein. Du solltest dich freuen, redete sie sich zu. Du darfst raus aus diesem ummauerten Land. Du verlässt Europa. Ein anderer Kontinent wartet auf dich. Wer kriegt schon so eine Reise geschenkt! Es klingelte. Im Hausflur stand der Telegrammbote; ein junger Mann, der ihr geduldig zeigte, an welcher Stelle auf dem Formular sie den Empfang zu quittieren hatte. Ich könnte es ungeöffnet liegen lassen, dachte Vera auf dem Weg in die Küche. Gleich zehn. Um diese Zeit ist die Haustür meist schon abgeschlossen. Eigentlich bin ich nicht mehr da. Die Nachrichten aus diesem Land gehen mich nichts mehr an. Mechanisch riss sie den Umschlag auf, las mehrmals den Text: Sibylle gestern friedlich verstorben - Termin für Beisetzung folgt - Fam. Schubert. Ihr Verstand weigerte sich, den Inhalt anzunehmen. Aber doch nicht Billy, sagte sie laut. Sie tappte in den Korridor, stellte sich vor den Spiegel und wiederholte: Aber doch nicht Billy! Ihr Gegenüber starrte sie mit erschrockenen Augen an. Durch die offene Balkontür taumelte ein Nachtfalter ins Zimmer. Vera verfolgte seinen Irrflug um die Lampe. Als sie wieder auf die Uhr sah, war es kurz vor elf. Einen Moment lang wunderte sie sich, dass sie in der Küche saß. Wahrscheinlich funktioniert das Gehirn nicht richtig, registrierte sie träge, das Erinnerungsvermögen setzt aus. Sie holte den Brief der Mutter, den sie ihr nach dem Telefonat geschrieben hatte, vom Schreibtisch ... Dein Leben habe ich Dir nicht einfach geschenkt, ich habe es Dir erkämpft. Ein halbes Jahr habe ich im Krankenhaus gelegen und alles ertragen, damit Du lebst. Aber Du bist bereit, Dein Leben wegzuwerfen. Dort ist Krieg. Du weißt nicht, was Krieg bedeutet. Ich weiß es, ich habe ihn am eigenen Leib erfahren. Du hast noch keine Bombe fallen sehen. Neben Dir ist noch kein Mensch krepiert. Du weißt nicht, was Du tust. Du denkst nicht an Dein Kind ... Warum willst du mich kränken, Mama, dachte Vera. Wer hat mir beigebracht, was Verantwortung ist? Es ist meine Pflicht, zu sagen, was geschieht. Und ich habe mir die Fähigkeit erworben, hinter die Dinge zu sehen. Ich bin nicht eitel - ich weiß, was ich kann. Ich muss Bericht erstatten - auch von diesem Land im Krieg. Ich muss.“ Erstmals 1981 ließ Erik Neutsch seine Erzählung „Forster in Paris“ Mitteldeutschen Verlag Halle (Saale) drucken: Ein Mann, einsam im Paris des Jahres 1793. Verlassen von Freunden, verlassen vor allem von seiner Frau Therese, die ihm einen anderen vorgezogen hat, getrennt von den geliebten Kindern, ohne Einkünfte, von tödlicher Krankheit gezeichnet, der Mann Georg Forster, Weltreisender, Naturforscher, Deputierter der Mainzer Republik im Pariser Konvent. Erik Neutsch zeichnet die letzten Lebensmonate dieses Revolutionärs und in ihnen zugleich die Geschichte dieser ereignisreichen Biografie. Aus Briefen, Dokumenten, zeitgenössischen Aussagen wird deutlich, wie da ein Mann das einmal als richtig Erkannte auch in schwierigen Zeiten nicht aufgibt, wie er nicht in die Leiden seiner persönlichen Konflikte versinkt, sondern mit dem Blick auf seine und die künftigen Feinde der Revolution noch auf dem Sterbebett schreibt: Paris ist immer unsere Karte, und ihr habt verloren! Und so beginnt das Zweite Kapitel dieser Erzählung: „Tausend und aber tausend Familien können zugrunde gehen, aber das große Werk geht nicht mehr zurück. 27. 11. Die Rue des Moulins, wo Forster wohnte, lag in einem von mehreren engen und vier- bis fünfstöckig hohen Straßen zerklüfteten Karree im Zentrum der Stadt, zwischen dem ehemaligen Jakobinerkloster, dem Sitz des nach ihm benannten revolutionären Klubs, und dem Palais-Royal, das jetzt den Namen der Gleichheit führte: Égalité, mit seinem von Kolonnaden und zahlreichen Läden umbauten Garten. Von seinem Quartier, einem einzigen Zimmer im Haus der Holländischen Patrioten, mit halbkreisförmigen Fenstern zum Hof hinaus, waren es nur zehn Minuten bis zu den Tuilerien, eine Viertelstunde Fußweg vielleicht bis zur Place de la Révolution. Hier stand die Guillotine, jedenfalls jene, die zum Inbegriff ihrer Gattung geworden war, da sie bisher besonders an berühmteren Köpfen die Todesurteile vollstreckt hatte: an Ludwig XVI. und Marie Antoinette, Custine und dem Herzog von Orléans, an den Girondisten und Madame Roland. Vor nicht einmal einem Monat war auch Lux hier enthauptet worden. Forster hatte die Nachricht in Pontarlier erhalten. Den ganzen Tag hatte sie ihm verdorben, und er war sich dabei erst recht der furchtbaren Einsamkeit bewußt geworden, die ihn von aller Welt abzuschnüren drohte. Die Freunde an seiner Seite verließen ihn. Die Deutschen haßten ihn ohnehin. Generale, Aristokraten, fainéants, jene gelehrten und geschäftigen Müßiggänger von Berlin bis an den Rhein, die einen Mann nicht begreifen konnten, der in dieser Zeit auch handelte. Sie finden mich verabscheuungswert, dachte er, da ich nach den Grundsätzen wirklich zu Werke gegangen bin, die sie auf meinem Papier, in meinen Schriften ihres Beifalls noch würdigten. Sein Vater hatte ihn verflucht, Heyne sich von ihm abgewandt, und nun verriet ihn auch seine Familie - nein, aber Therese, mit der er nicht leben, ohne die er jedoch allenfalls sich nur noch verzehren konnte. Alles ist zerrüttet, alles hin... Ich kann nicht mehr die Ruhe finden, die zur Arbeit unentbehrlich ist. Ich kann mich mit der toten Einsamkeit nicht aussöhnen und verachte sie doch noch weniger als die traurige Gesellschaft der Menschen. Noch gestern abend hatte er Salbe auf Flanell gestrichen und seine Brust damit umwickelt. Er schlief gut, doch es mußten ihn wirre Träume gepeinigt haben. Als er erwachte, war er in Schweiß gebadet. Aber - er spürte Linderung. Der rheumatische Schmerz schien sich zu legen und sein Husten abzuklingen. Sein erster Gedanke galt wieder Lux, Adam Lux, der mit ihm als Deputierter gekommen war, um auf Beschluß des Rheinisch-deutschen Konvents Mainz und Umgebung der Republik der freien Franken anzugliedern. Er wollte Gewißheit haben über die genaueren Umstände seiner Hinrichtung. Vielleicht träfe er einen seiner hiesigen Bekannten, der Augenzeuge gewesen war, Maliszewski, Dorsch, Kemer... Sonderbar, daß ihm erst als zweites sein Geburtstag einfiel. 27. November. Neununddreißig wurde er alt an diesem grauen Morgen.“ Vier Jahre vor der historischen Erzählung von Erik Neutsch über Georg Forster in Paris veröffentlichte Elke Nagel unter dem Name Elke Willkomm im Verlag Neues Leben Berlin ihren sehr gut recherchierten Historischen Roman „Das Mirakel von Bernsdorf“: Sie erkennen ihn nicht auf den ersten Blick, die von Bernsdorfs, als Michel Marten, Offizier der Armee Bonapartes, am Weihnachtsabend 1807 ihren Salon betritt. Vor Jahren war er der Gefährte der Bernsdorfkinder, er, der Enkel des Dorfpfarrers und illegitime Sohn des Barons. Er entfloh jedoch der Perspektive, Dorfschulmeister zu werden, und schlug sich auf den Spuren seines „eigentlichen“ Vaters Heinrich Marten an der Seite der französischen Jakobiner durch. Er erlebte alle Höhen und Tiefen der Revolution, folgte Heinrich Marten aber nicht unter die Anhänger Babeufs, weil er ahnte, dass sich die Hoffnung auf das Bonheur Commune - das Glück des Volkes - nicht erfüllen würde. Er leidet unter seiner Inkonsequenz, vor allem, als er in seiner Heimat alte Freunde wiedertrifft, darunter Henriette von Bülow, die er liebte und die sich wie er von der Forderung nach Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit begeistern ließ. Sie, jetzt die Frau eines geachteten preußischen Beamten, sieht durch Michels Erscheinen ihre Hoffnung auf Veränderungen neu belebt. Michel gewinnt das Vertrauen seiner Landsleute, als er bereit ist, für ihre Interessen gegenüber dem Baron einzustehen. Doch an der Spitze der Bauernerhebung macht er sich eines Vergehens gegen Befehle seines Generals schuldig, und alle wissen, dass nur ein Wunder ihn vor dem Tod retten kann. Der erste Blick in dieses Buch fällt auf einen „Vorspann“ äußerst bemerkens- und lesenswerten Inhalts: „Eintragung im Kirchenbuch zu Bernsdorf (Königreich Preußen) vom 27. 12. 1807: Ein Wunder ließ Gott geschehen in einer wunderarmen Zeit. Am heutigen 27. Dezember des Jahres 1807 geschah an uns allen und besonders an dem hierselbst anno 1773 geborenen Michael Jakob Mathias Marten ein Wunder Gottes. Besagter Marten, der auf Befehl der französischen Militärbehörde am heutigen Abend acht Uhr durch Erschießen vom Leben zum Tode gebracht werden sollte, wurde am heutigen Vormittag, während die Gemeinde vollzählig in der Kirche versammelt war und von Gott ein Wunder erflehte, von einem Engel gen Himmel getragen, derart, dass in der fest verschlossenen Kammer nichts von ihm zurückblieb als seine Kleider und Stiefel, die in der gleichen Anordnung, wie er sie getragen, auf dem Strohsack liegend vorgefunden wurden. Der Herr hat uns ein Zeichen gegeben, ein sichtbares Zeichen. Wir werden uns seiner Gnade würdig erweisen. Amen. Pfarrer zu Bernsdorf, Emanuel Kienast“ Es folgt das 1. Kapitel: „Die Glocke. Hörst du, Jean-Pierre? Das ist sie. Etwas zu blechern, ich weiß. Aber sie ist es, meine Glocke, meine Kirche - was soll das, Jean-Pierre, Bruderherz, ich bin aufgeregt wie selten, ich rede, scheint mir, deutsch und hab doch all die Jahre nur französisch gesprochen, sogar gedacht ... Nein, dies ist nicht Bernsdorf, sondern Alt-Grödern. Gehört aber zum Besitz derer von Bernsdorf. Komm schneller, Bruderherz. Dieser Hügel nur trennt Alt-Grödern von Bernsdorf. Von da oben kann ich dir zeigen, was ich dir schon oft beschrieben habe, komm! Weißt du, was ich mir jetzt vorstelle? Michel Marten, der einst aus Bernsdorf fortlief, heimlich und bei Nacht, kommt als Offizier der Grande Armee zurück, und - da lässt der gnädige Herr von Bernsdorf die Kirchenglocken ziehen. Gut, was? Warum die Glocke läutet? Es ist doch Weihnachtsabend, Bruderherz. Jetzt kommen sie dort, hinter jenem Hügel, von der Christvesper. Sie gehen in ihre Katen. Und essen. Etwas Besonderes, lange Aufgespartes. Manchmal reicht’s sogar zum Sattwerden. Und der Küster geht mit den Schulkindern umsingen, durchs Dorf, zum Schloss ... Mein Gott, Jean-Pierre, wie lange ist das her, dass ich dort die Glocke läutete. Den Blasebalg trat. Umsingen ging. Die Orgel spielte ... Welcher Teufel hat mich nur geritten, heute mit dir hierher zu kommen? Heimweh? Ja, da hast du wohl recht. Denn dieser Leutnant Bertrand, der dort letzte Woche ertrunken ist – ob verunglückt, ob nicht verunglückt -, ich sage dir, Jean-Pierre, das interessiert mich nicht im geringsten. Du musst es aufklären, deine Sache - bitte schön. Und ich, davon habe ich unseren General überzeugt, ich muss dir – als Ortskundiger, nicht wahr? – unbedingt helfen... Zum Teufel, worauf habe ich mich eingelassen! Hab nicht bedacht, dass diese Glocke bimmeln wird, das ist es. Was ist schon Besonderes daran, warum erregt es mich ... Aber recht kräftig wird dort am Strang gezogen, scheint mir ... So, mon ami, nun müssen wir anhalten. Da. Das ist Bernsdorf. Siehst du - um die Kirche herum das Dorf. Pfarrhaus, Schulhaus. Der Teich. Die Trauerweiden. Die Tagelöhnerkaten. Fast keine Bauernhöfe, nein, Gutsdorf eines Barons, verstehst du nicht? Leibeigene, ein paar Büdner, vier Bauern, und auch die sind arme Schlucker. Wer weiß, ob’s noch vier sind. Und dort der Park, siehst du? Und das Schloss. Hofeinfahrt, hintere Seite, dem Dorf zugekehrt: preußischer Edelmannsstil. Dagegen die Vorderfront, Parkseite: Kleinsanssouci. Mit Terrassen, Freitreppe, Orangerie, Puttenskulpturen. Dann die gestutzten Bäume, die abgezirkelten Wege. Aber der untere Teil des Parks, bis hinunter zum See - das ist ein Paradies, Jean-Pierre! So verwildert! Und der See ... Natürlich ist er für das Dorf verboten. Aber denk nicht, wir hätten dort nicht gebadet, schwimmen gelernt, Fische gefangen sogar! Jean-Pierre Carnette, Offizier der Grande Armee, nickte und unterbrach den Redestrom des Freundes nicht. Er wusste, der redete sich das jahrelang aufgestaute Heimweh von der Seele, und er, Jean-Pierre, vergaß beim Zuhören das eigene Heimweh nach der Tischlerei des Vaters in Paris, nach dem Geruch frischer Bügelwäsche in Mutters Plättstube. Denn er sah nun den Freund, ein halb nacktes, schmutziges Kerlchen von acht Jahren, mager und behänd, mit dieser zu großen Nase und mit dem Helm aus strähnigen, ganz glatten, weißblonden Haaren. Anscheinend ausgerissen ist dieser Bursche, denn er sichert wie ein flüchtiges Wild, bevor er sich aus den schützenden Zweigen der Trauerweide herausschiebt und hastig auf das Fliedergebüsch an der Schlossmauer zuläuft. Von dort aus späht er noch einmal zur Schule zurück, und da kein Verfolger in Sicht ist, geht er langsam und ohne besondere Vorsicht an der hohen Schlossmauer entlang zum See hinunter. Denn wenn Küster Jakob Marten, der Großvater, bis jetzt noch nicht gemerkt hat, dass er aus dem Fenster geklettert und „in die Welt“ gelaufen ist, dann ist er wieder einmal so sehr in seine Lektüre vertieft: - in Lessing oder Rousseau oder Forster oder Herder -, dass er das Verschwinden des Enkels frühestens gegen Mittag bemerken wird. Und petzen - das tun die übrigen Schüler nicht. Obwohl sie Michel Marten oft hänseln, wegen dieser großen Nase. Aber nicht nur ihn, ähnliche Nasen sind in Bernsdorf nicht selten. Zum Verpetzen ist das kein Grund. Die Schlossmauer ist hoch, unendlich hoch für einen kleinen Jungen. Lang ist sie auch, aber keinesfalls unendlich. Wo sie aufhört, fängt der See an, der verbotene. Er ist hier schwer zugänglich: dichtes Gestrüpp, Sumpf, Schilf. Doch das stört einen eigensinnigen Michel Marten ganz und gar nicht. Er kauert schon nach kurzer Zeit auf einem ins Wasser gestürzten Baum im Wald aus Schilf und ist am Ziel seiner Wünsche: Durch den schwankenden grünen Vorhang kann er spähen, ungesehen, und sein Blick umfasst einen Teil des Sees und die breite, schilffreie Badestelle der Herrschaftskinder, derer von Bernsdorf, auch den Uferstreifen davor, planiert, geharkt sogar. Nichts rührt sich heute hinter den hohen Parkbäumen. Er verbirgt seine Enttäuschung vor sich selbst. Bin ich denn hier, um die aus dem Schloss zu sehen? Wollte doch zum See, heraus aus der langweiligen, dunklen Schulstube ... In dem Ofenwinkel dieser Schulstube sitzt er schon seit reichlich vier Jahren, ohne bis vor einem Jahr eigentlich Schüler zu sein, während der Großvater sich mit den fast dreißig Kindern zwischen sieben und zwölf Jahren abplagt, sich wenig um den Enkel in seinem Winkel kümmert, oft auch nicht um die anderen Kinder, denn er hat immer zu lesen oder Noten zu schreiben ... Der Enkel hat gelernt, was es hier zu lernen gibt, er bekämpft die Langeweile. Nach der Schule, abends, sonntags - da gibt es freilich noch mehr zu lernen und anderes, weit Schöneres als Bibelverse und Gesangbuchstrophen. Da kann man dem Großvater mit einhundertsiebenundneunzig Fragen kommen, und er wird genau ebenso viele Antworten wissen, wird von Forsters Weltreisen erzählen und von Lessings Schauspiel „Nathan der Weise“ und immer wieder von den wunderschönen Kantaten des Johann Sebastian Bach, die er in Leipzig gehört hat, und nicht nur gehört - mitgesungen hat er, der Großvater Marten, als Thomasschüler ... Michel Marten, auf seinem Baumstamm, baumelt mit den Beinen im seichten Wasser, blinzelt durch Schilfhalme und Sonnenwogen auf den See, zu den Wildenten und Wasserhühnern hin, die sich um ihn nicht kümmern, verfolgt mit den Augen eine grünlich glitzernde Libelle. Und gar nicht lange dauert es, da spielt er in Gedanken Cembalo, alle Etüden, Präludien und Toccaten, die bisher auf seinem Programm stehen. Und dann, kühn geworden, berauscht von der nur ihm hörbaren Musik, versucht er sich an der Orgel, und mit Stücken gar, die er noch keineswegs beherrscht, die er noch nicht einmal probieren durfte, aber er hat sie gehört, oft, wenn der Großvater sie spielte, und hat ihm auf die Finger gesehen. Obwohl er eigentlich den Blasebalg zu treten hat, wenn Großvater übt. Er tut das auch, nicht sehr gern, aber er tut’s. Wenn irgend möglich, sucht er sich aber seinen Freund, den August Lemke, schenkt ihm eine Glasperle oder einen Nagel oder ein Stück Schnur; August betrachtet den Lohn kritisch, nickt zufrieden und steigt hinter Michel zur Orgel hinauf. Und für Michel Marten beginnt ein Fest. Er steht neben dem Großvater, sieht abwechselnd auf dessen Hände und Füße und auf die Noten, steht da mit halb offenem Mund und ineinander verkrampften Händen, saugt die Musik in sich ein und bekommt nie genug von ihr; es kommt vor, dass er am ganzen Körper zu zittern beginnt, ohne es zu merken, dass er, wenn die Orgel schweigt, in krampfartiges Schluchzen ausbricht und lange nicht zu beruhigen ist. Fantasie und Fuge g-Moll, Johann Sebastian Bach. Was ist dir, Junge, sagt Jakob Marten erschrocken. Nichts, Großvater. Darf ich’s probieren? Er darf nicht. Seit einem Jahr spielt er erst auf der Orgel. Da soll man noch nicht nach den Sternen greifen.“ Bereits 1961 stand der Roman „Kreuzwege“ von Walter Kaufmann im Verlagsprospekt des Verlags Neues Leben Berlin: Noch vor Sonnenaufgang verließ Ron das Haus. Schnell fuhr er die Hauptstraße hinunter aus der Stadt. Die Maschine lief gut in der kühlen Morgenluft, nach wenigen Minuten lag der Gipsengel am Eingang des Parks weit hinter ihm. Nach einem nächtlichen Zwischenfall hat er seine Arbeit verloren und nutzt die Gelegenheit, seinem Traum, Seemann zu werden, näher zu kommen. Schon nach zwei Tagen in der Stadt scheint Ron Glück zu haben – ein Dach über dem Kopf und einen festen Arbeitsplatz als Hilfsmonteur bei Speedwell Motors in Melbourne. Allerdings hat er in der Garage viel zu tun, und das Geschäft beruht offensichtlich auf Betrügereien. Aber dann fliegt Ron wieder raus und heuert auf der „Epoch“ als Kohlentrimmer an. Und dann lernt der Seemann Ron Prentice Katharine Miles kennen, die aus ganz anderen Verhältnissen stammt als er. Die Tochter eines Architekten verliebt sich in diesen jungen Seemann. „Und jetzt hatte dieser Fremde, der ihr gar nicht mehr fremd war, ihren Weg gekreuzt, und sie verlangte nach seiner Umarmung mit einer Unmittelbarkeit, die sie vorher nie gekannt hatte. Durch ihn könnte sie sich von ihrer Vergangenheit befreien. Dass dieser Seemann da war, heute Abend und hier, war für sie wie klares Wasser aus einem frischen Quell.“ Was wird daraus werden? Und so beginnen der Roman und damit auch die Geschichte von Ron: „Ron Prentice stieß die Pendeltür von Kellys Kneipe auf, lehnte sich gegen den Rahmen, um sie offenzuhalten, und blickte die Straße hinunter in das Halbdunkel. Ein Hund trottete durch den spärlichen Verkehr der australischen Kleinstadt von einem Rinnstein zum anderen. Das blasse Licht der Straßenlaterne vor Haybrooks Mechanic's Institute fiel auf eine Gruppe von Fremden, die sich an einem Lastwagen zu schaffen machten. Nachdem Ron sie eine Weile beobachtet hatte, spie er das zerkaute Ende eines Streichholzes aus, hob sein Bierglas und trank es leer. Dann ging er an die Theke der verqualmten Gaststube zurück und wandte sich an Ed Cox, seinen Boss, einen bulligen Farmer, dessen rotes Gesicht vom Trinken glühte. „Das werden sie sein“, sagte er kurz. „Zeit, dass du die Jungs zusammenholst“, antwortete Cox. Ron schob sein leeres Glas über die Theke und winkte dem Wirt. „Gib ihm eins auf meine Rechnung.“ „Danke“, erwiderte Ron kühl. „Dein Wohl.“ Der Farmer trank ihm zu. „Und jetzt hol die Jungs.“ „Die werden schon aufkreuzen.“ „Wir brauchen sie sofort“, sagte Ed Cox hartnäckig, doch Ron drehte ihm den Rücken zu. Jemand boxte ihn in die Seite. Ron blickte auf und sah in das grobe Gesicht von AI Cox. Eds ältester Sohn war ein breiter, muskulöser Kerl. „Sei kein Frosch“, sagte er. Ron nahm seinen Fuß von der Messingstange und stemmte sich von der Theke weg. Die Haut über seinen Backenknochen straffte sich. „Wer ist ein Frosch?“, fragte er scharf. Als Mund verzog sich zu einem trägen Grinsen. „Hast du nicht verstanden?“, sagte er, die Worte dehnend. „Der Alte will, dass du die Jungs holst.“ „Habt ihr Angst, oder was?“, fragte Ron. „Kratzt uns überhaupt nicht“, sagte AI und streckte lachend seine starken Hände vor. „Wundere mich nur über dich.“ „Was soll das?“ „Mach kein' Ärger“, sagte AI und legte Ron die Hand auf die Schulter. „Hol die Jungs her, und damit basta!“ Ron schüttelte die Hand ab, er sah zu seinem Boss hinüber, dann wieder auf AI, der jetzt nicht mehr griente. „Okay“, sagte er schließlich, schob sein halb geleertes Glas beiseite und ging zur Tür, die heftig hin und her schwang, als er nach draußen trat. Jedes Mal, wenn sie nach außen aufging, fiel ein Lichtstreifen auf die Straße, und die Chromteile eines Motorrades am Rinnstein glänzten auf. Ron setzte sich auf die Maschine, zog seine Handschuhe an, schlug den Kragen seiner Lederjacke hoch und trat auf den Starter. Der Motor heulte auf, als er eine Kurve nahm, der Scheinwerferkegel sprang über die Fassaden niedriger Häuser, der Bank, des Postamts, des Warenhauses und beleuchtete, als Ron am Mechanic's Institute vorüberfuhr, die Gesichter von Neugierigen, die um den Lastwagen herumstanden, auf dessen Dach ein Lautsprecher und ein kleiner beweglicher Scheinwerfer montiert waren. Hinten auf dem Wagen sah Ron einen Mann, der ein Mikrofon an den Mund hielt. Der Wind trug abgerissene Laute an sein Ohr: „Sprechprobe - eins - zwei - drei!“ Ron raste weiter in eine ungepflasterte Seitenstraße hinter dem Institut. Das Hinterrad wirbelte eine in der Dunkelheit kaum sichtbare Staubwolke auf. Drei seiner Freunde hatte Ron schließlich beisammen: Snowy Matters, Jim Kennedy und Bruiser Coles, die einander sehr ähnlich sahen in ihren Lederjacken und den engen Jeans. Als sie mit ihren Motorrädern Kellys Kneipe erreichten, wartete AI Cox schon auf dem Bürgersteig. Der alte Armeemantel, den er trug, ließ ihn noch massiger erscheinen. Unter dem breitkrempigen Hut war sein Gesicht trotz des Lichts der vier Scheinwerfer nicht zu erkennen. Der Stiel einer Spitzhacke, den er in der Faust schwang, warf unruhige Schatten gegen die Mauer der Kneipe. Durch den Lärm der laufenden Motoren vernahm Ron die erregte Stimme von Franklin, dem Grundstücksmakler, und die Erwiderungen von Charles D. Armstrong, dem Bankier, und durch die offene Kneipentür sah er seinen Boss einer Gruppe knüppelbewaffneter Männer Anweisungen erteilen. Der Anblick verdross ihn und er horchte mürrisch auf, als AI sagte: „Ihr müsst mit euren Motorrädern so'n Spektakel machen, dass keiner ein Wort von den Commos versteht.“ „Was meint ihr dazu, Jungs?“, fragte Ron die anderen. „Ihr wollt doch keine Roten in der Stadt, wie?“, mischte sich AI ein. „Wir werden Krach machen – okay“, sagte Ron. „Aber hör zu ...“ AI grinste. „Sie werden's überleben.“ Sekunden später knatterten die vier an dem Lastwagen vorbei, von dessen Ladefläche aus der Mann mit dem Mikrofon zu einer ständig wachsenden Menge sprach. Er war nicht groß, sah aber kräftig aus, und seine Stimme drang klar durch: „Wir von der Seeleutegewerkschaft sind nach Haybrook gekommen und wollen euch aufrufen, mit uns gegen die Pläne von Menzies zu protestieren, die Kommunistische Partei ...“ „Raus, ihr Kommunisten!“, schrie Bruiser Coles gellend, als sie vorüberrasten, und drückte unentwegt auf die Hupe. Noch vor dem Polizeirevier wendeten sie und brausten zurück, dabei gaben sie ruckartig Gas, um den Auspufflärm ihrer Maschinen noch zu steigern. Als sie dicht bei den Versammelten anhielten, konnten sie sehen, wie die Seeleute die Hände ineinander verschränkten und eine Schutzkette vor dem Lastwagen bildeten. Diese Commos haben Mut, das muss man ihnen lassen, dachte Ron, während noch immer die Lautsprecherstimme über dem Lärm zu hören war. „Heute versucht Menzies dasselbe, was vor achtzehn Jahren Hitler versucht hat: Er will die Kommunistische Partei verbieten. Es hat unermessliche Leiden gekostet, die Nazis zu zerschlagen. Können wir zulassen, dass jetzt, neunzehnhunderteinundfünfzig, Hitlers Geist Australien vergiftet?“ Der Mann mit dem Mikrofon trat einen Schritt zur Seite und richtete den Kegel des Scheinwerfers über die Köpfe der Versammelten hinweg in die Dunkelheit, direkt auf Ron. Ehe sich Rons Augen an das grelle Licht gewöhnt hatten, hörte er neben sich eine Stimme: „Stell mal deine Mühle ab, du!“ Ron wandte sich um und musterte den untersetzten kraushaarigen Burschen mit der gebrochenen Nase. „Wer bist du überhaupt?“ „Nur 'n Schiffsheizer, Kumpel“, antwortete der andere. „Bist aber ziemlich weit vom Hafen weg.“ „Nicht deine Sorge“, sagte der Seemann. „Also, was ist: Stellst du das Ding da ab?“ „He du, nimm dich in acht!“, drohte Snowy Matters. Vom Lastwagen her rief jemand dem Seemann eine Warnung zu. Im selben Augenblick wurde er herumgeschleudert, weil Ron Gas gab und sein Motorrad vorwärts schießen ließ. Vom Lenker getroffen, taumelte der Seemann, fing sich wieder und drängte sich durch die Menge. „Australier -Rufen euch auf...“, tönte es in Satzfetzen aus dem Lautsprecher, dann ein Krachen, das die folgende kurze Stille noch unterstrich.“ Nicht um Klassenkampf, Kommunisten und Gewerkschafter geht es in dem erstmals im Jahre 2000 im Verlag Neues Leben Berlin veröffentlichten Buch von Klaus Möckel, sondern um – „Frankreichs berühmteste Mätressen“, so sein weiter oben bereits erwähnter Untertitel. Der Haupttitel heißt „Die Gespielinnen des Königs“: „Nun war es wirklich geschehen, sie war die Hure des Thronfolgers. Die Höflinge würden es zwar nicht wagen, ihr das ins Gesicht zu sagen, aber denken würden sie es.“ So beginnt der Autor seine Erzählung über Diane de Poitiers, die Mätresse des späteren Königs Heinrich II., die noch heute als eine der schönsten Frauen in Frankreichs Geschichte gilt. Selbstbewusst und geschäftstüchtig, brachte sie es zu großem Reichtum und fast unbeschränkter Macht. Doch auch die anderen Damen in diesem Band, von denen die berühmteste Madame Pompadour ist, wussten ihre Fähigkeiten im Bett und am Hof zu nutzen. Von Glanz umgeben, meist intelligent und gerissen, umgarnten die Entragues, die Montespan, die Du Barry ihren Herrscher, um ihn dann am Gängelband zu führen. Freilich war ihr Weg gefährlich. Von so manchem Höfling angefeindet und von Hinterhältigkeit bedroht, durften sie nie die Gunst des Geliebten verlieren - das hätte den Untergang bedeutet. Dieses Buch ist ein Sittengemälde, das vier Jahrhunderte französischer Geschichte darbietet. Spannend bis ins Detail, abenteuerlich und voller Witz führt es dem Leser eine Welt vor Augen, die ihn mit ihren bis zum Mord reichenden Intrigen, mit ihrer List und Gewalt, aber auch mit ihrem Charme und ihrer Lebhaftigkeit von Anfang bis Ende in den Bann schlägt. Entsprechend positiv lesen sich auch Rezensionen wie zum Beispiel diese aus „L“, dem in Cottbus herausgegebenen Magazin für reife Menschen: „Als Liebhaber guter historischer Romane kann ich von diesem Buch ... nur schwärmen. Klaus Möckel, Romanist, Lyriker und Krimiautor, nutzt alle diese 'Qualifikationen' für prächtige Romane im Stenogramm“. Und statt einer der vielen Biographien der Gespielinnen des Königs begnügen wir uns diesmal mit dem, allerdings recht aufschlussreichen Vorwort: „Ist von Gespielinnen des Königs die Rede, denkt man vielleicht zuerst an leicht bekleidete Schönheiten, die sich auf samtenem Pfuhl ihrem leidenschaftlich entflammten Herrscher hingeben. Oder man stellt sich elegante Damen in raschelnden Seidenkleidern vor, bereit zum stürmischen Tête-à-tête mit der entzückten Majestät; Bilder, die sich nicht von ungefähr ergeben: Im Bett errangen Mätressen aller Zeiten ihre nachhaltigsten Siege. Doch die Rolle der Schönen, die meist aus dem hohen Adel stammten oder zumindest in diesen Stand erhoben wurden, erschöpfte sich keinesfalls im Liebesdienst. Wohl widmeten sie sich dieser Aufgabe mit Leidenschaft, zumal sie zum Dank dafür Gold, Edelsteine, kostbare Gewänder, Ländereien und prächtige Schlösser erhielten. Sie glänzten aber auch in anderen Bereichen. Sie besaßen Bildung, brillierten mit Worten und mit ihrem gesamten Auftreten, verfügten über natürliche Eleganz. Bei Hof wurden sie zu wichtigen Persönlichkeiten; sie redeten in der Mode, in der Kunst und oft sogar in der Politik mit. Zur „Maitresse en titre“ ernannt, verstanden sie sich als Partnerin an der Seite des Königs und liebten den Herrscher meist wirklich. Im Schutz des Monarchen konnten die jungen Damen ihren Besitzstand sichern und ihre Familien in einflussreiche Stellungen bringen. Über die Liebe zum König versuchten sie, Machtpositionen zu erobern, die Frauen ihrer Zeit sonst verwehrt waren. Zugleich waren sie aber in jeder Hinsicht von der Zuneigung des Herrschers abhängig, gerieten in größte Bedrängnis, wenn sie diese Gunst verloren oder der König aus dem Leben schied. Um sich im höfischen Intrigenspiel zu behaupten, bedurfte es all ihrer Wachsamkeit und Intelligenz. Von den Königinnen, die sich gekränkt in die Rolle der betrogenen Gemahlin zurückzogen, wurden sie vornehm mit Madame angesprochen, insgeheim jedoch Hure genannt. War die Demütigung zu groß, geschah das manchmal sogar in aller Öffentlichkeit. Die Verschwendungssucht der Mätressen, die den Staat ein Vermögen kostete, wurde ihnen vom Volk verübelt und lieferte Neidern gute Argumente. Doch sie brauchten den Glanz, um bei Hof Anerkennung zu finden. Nur so konnten sie sich auf längere Zeit neben dem König behaupten. Was den Rang bei Hof betraf, mussten sich die Favoritinnen der Herrscher den Königinnen, die für die Bewahrung der Thronfolge zuständig waren, unterordnen. An Glanz und Schönheit jedoch, oft auch an Reichtum und besonders an der Möglichkeit, den Monarchen zu beeinflussen, standen die Mätressen den Königinnen voran. Je nach Klugheit oder Raffinesse, nach Geschick oder Wendigkeit erhielten sie sich diesen unschätzbaren Vorteil auf möglichst lange Zeit. Sie versuchten nicht selten, ihre Stellung zu festigen, indem sie Kinder gebaren und den König dazu brachten, diese zu legitimieren. Die berühmteste aller französischen Mätressen ist die Marquise von Pompadour; ihr ebenmäßiges Gesicht mit der hohen Stirn, der schmalen Nase und den wachen Augen schaut uns von den Einbänden vieler Abhandlungen und Werke über die Epoche Ludwigs XV. an. Sie hatte es darauf angelegt, die Geliebte des Königs zu werden, und gelangte, als das erreicht war, zu beachtlichem Einfluss. Sie war gebildet und kunstbegabt, verschwenderisch und mitunter großherzig. Sie verstand es, Allianzen zu schmieden, und mischte sich - keineswegs zum Wohl des Landes - in die Politik ein. Als sie den Herrscher mit ihren Liebeskünsten nicht mehr zu erwärmen vermochte, schaffte sie es, ihre Stellung zu behaupten, indem sie ihm jüngere Gespielinnen zugestand. Mit der Renaissance tauchen erstmals jene Damen aus dem Schatten der Geschichte auf, die als königliche Favoritinnen zu Macht und Ehren kamen. So gilt Agnès Sorel, die später mit entblößter Brust sogar auf einem Altargemälde dargestellt wurde und dem Leben Karls VII. entscheidende Impulse verlieh, als erste offiziell anerkannte Mätresse in Frankreich. Die Schicksale bekannter französischer Mätressen, die in diesem Buch nachgezeichnet werden, sind eng mit den Kämpfen und Wechselfällen jener Jahrhunderte, den Religionskriegen und dem Niedergang des Ancien Régime, verbunden. Ihr Leben in Prunk und Überfluss stand häufig in schroffem Gegensatz zum Elend der niederen Schichten. Kriege und Hungersnöte im Verein mit Seuchen wie der Pest oder den Pocken dezimierten immer wieder die Bevölkerung. Das Buch setzt im 15. Jahrhundert, dem Zeitalter der Jeanne d'Arc, ein und behandelt Lebensläufe bis hin zur Französischen Revolution. Die Gestaltung bewegt sich im Rahmen der geschichtlichen Überlieferung, ohne dass Fakten sklavisch aneinandergereiht werden. Einer anschaulichen Darstellung mögen die zum Teil etwas freier geformten Szenen und Dialoge dienen, genau wie die ins Geschehen verwobenen Anekdoten, die das Denken, Fühlen und Handeln der Protagonisten zeigen. Wie stets im Leben bilden Tragik und Komik, Intelligenz, Dummheit, ja selbst Verbrechen dabei ein Ganzes. Das Buch handelt von Frauen zwischen größtem Ruhm und tiefster Verachtung, zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen Leidenschaft und Resignation, für die es eine Ehre und mitunter ein Fluch war, die Geliebte des Königs zu sein, und genauso widersprüchlich sind ihre Wege. Bisweilen stark und selbstherrlich, dann wieder schwach und verlassen spiegeln sie „Glanz und Elend“ des höfischen Lebens wider, um den Titel eines bekannten Buches von Balzac abzuwandeln. Sie haben geliebt und gelitten, verschwendet, geherrscht und manchmal auch bereut. In ihrem Drang nach Besitz und Macht, aber auch mit ihrer Hoffnung auf erfüllte Liebe stehen sie für eine vergangene Zeit, die unserer Gegenwart dennoch nicht so fern ist, wie es auf den ersten Blick scheinen mag.“ Womit wir wieder bei Vergangenheit und Gegenwart angelangt wären und bei Frage, wie viel Kenntnis der Vergangenheit es eigentlich braucht, um in der Gegenwart gut zurechtzukommen. Auf geschickte Art und Weise Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbunden hat der französischer Schriftstelle, Drehbuchautor und Filmregisseur, Abenteurer und Politiker André Malraux in dem folgenden Zitat aus der Schatzkiste kluger Gedanken: „Wer in der Zukunft lesen will, muss in der Vergangenheit blättern.“ Viel Spaß beim Lesen. Aber bitte vergessen Sie, auch wenn Sie tief in die Vergangenheit abtauchen, bitte vergessen Sie nicht, irgendwann auch wieder in der Gegenwart aufzutauchen oder – in der Zukunft! Aber das sind schon wieder ein anderes Thema und ein neuer Newsletter, der aber erst noch geschrieben werden muss. Weitere Informationen und Angaben finden Sie unter http://www.prseiten.de/pressefach/edition-digital/news/3833 sowie http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/. Über EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr: EDITION digital wurde 1994 gegründet und gibt neben E-Books Bücher über Mecklenburg-Vorpommern und von Autoren aus dem Bundesland heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen. Pressekontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Gisela Pekrul Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://www.edition-digital.de
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Ein Zeppelin über Breslau und Cranach in Kronach sowie ein Polizeiverhör im Senegal - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
Das Dach des aktuellen Newsletters mit den fünf Deals der Woche, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 25.08.17 – Freitag, 01.09.17) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind, ist wieder weit gespannt – räumlich wie zeitlich. Geographisch bewegen sich die Angebote von Deutschland bis nach Afrika, genauer gesagt, bis in den Senegal, und sogar bis in den Kosmos. Und damit ist auch zumindest eine zeitliche Dimension beschrieben: Alexander Krögers utopischer Roman „Sieben fielen vom Himmel“ spielt in der Zukunft, weit in der Zukunft. Am weitesten zurück, zurück in die Luther-Zeit, führt uns dagegen der Lucas-Cranach-Roman „Malt, Hände, malt“ von Renate Krüger. Ein sehr genaues Anfangsdatum für die in seinem Buch „Viel erlebt – viel verpasst“ erzählte Geschichte gibt Autor Rudi Czerwenka an – denn es ist seine eigene Lebensgeschichte, die exakt am 4. April 1927 begann. In Breslau. Und Czerwenka war eine „richtige Breslauer Lerge“. Was das nun wieder ist? Lesen Sie einfach nach in den Memoiren von Czerwenka, die übrigens mit dem Besuch eines Journalisten vor einem runden Jubiläum und einer vorschnellen Antwort auf eine Frage des Besuchers zu tun haben. Bleiben schließlich noch zwei Bücher, deren Handlungszeit eigentlich noch gar nicht so lange zurückliegt, aber inzwischen doch auch schon wieder historisch ist: „Bennys Bluff. Krimi für Kinder, Eltern und Großeltern“ von Klaus Möckel und „Die Leiche im Affenbrotbaum“ von Steffen Mohr. Letzterer Titel ist natürlich derjenige der aktuellen fünf Deals der Woche, welcher in Afrika spielt, genauer gesagt im Senegal. Der Landesname „Senegal“ wird im Deutschen laut Duden im männlichen Genus („der Senegal, im Senegal“) gebraucht. „Der Senegal“ ist ebenso die Benennung des Flusses Senegal. Der Name leitet sich vermutlich von der Berbersprache Zenaga ab. Der Senegalstrom, der dem Staat seinen Namen gab, ist der bedeutendste Fluss des Landes. Er entspringt als Bafing-Fluss im Fouta-Djalom-Plateau in Guinea und nimmt in Mali den Bakoyé sowie im Senegal den Falémé auf; auf einer Länge von etwa 500 Kilometern bildet er die Nordgrenze des Senegal. Ob Karl Bondel, ein Leipziger Journalist, das alles wusste, als er kurz nach der Wende einen teuren Urlaub im Senegal bucht … Aber zurück aus Afrika nach Breslau: Erstmals 2004 brachte der Rostocker BS-Verlag unter dem Titel „Viel erlebt – viel verpasst“ die Erinnerungen von Rudi Czerwenka heraus. Er selbst erzählt, wie es zu seinen Memoiren kam: Als mein 75. Geburtstag heranrückte, meldete sich bei mir ein junger Journalist, um eine Würdigung für mich zu fabrizieren. Sein Chefredakteur hatte sich meiner erinnert, weil ihm, wie er mir später erzählte, bei seinem Berufsstart vor etlichen Jahrzehnten sein damaliger Vorgesetzter einen meiner Artikel vor die Nase gehalten und empfohlen hatte: So musst du schreiben. So was wollen die Leute lesen. So beginnt Rudi Czerwenka die Erinnerungen an sein Leben als Pennäler, Polizist, Lehrer, Familienvater, Buchautor, Dramatiker und eben als Journalist. – Ehm Welk ist nicht sein Mentor oder Lehrer, sondern sein „Patenonkel“. Es wird klar, der musste sich nicht verbiegen, als er für Werner Köfer und andere die Texte schrieb – der ist so. Es bleibt offen, ob alles, was er nicht beschrieb, wirklich verpasst wurde. Und so gehen sie los die Memoiren von Rudi Czerwenka, der gleich zu Beginn jede Schuld an seiner Existenz von sich weist: „Völlig schuldlos bin ich daran, dass ich am 4. April 1927 geboren wurde, in der Hedwigsstraße im ehemaligen Breslau. Wenn man früher mit jemandem ins Gespräch kam und zugeben musste, dass man aus jener Metropole an der Oder stammte, dann hieß es unter Kennern: „Also eine richtige Breslauer Lerge.“ Dieser Ausdruck umfasst so ziemlich alles, was zwischen Schlafmütze und Windhund, zwischen Gemütsmensch und Pfiffikus eingeordnet werden könnte. Der Begriff ist zum Aussterben verurteilt, denn eine Übersetzung ins Polnische ist mir nicht bekannt. Mein Vater hieß Rudolf Friedrich Johannes. So jedenfalls vermeldet es meine Geburtsurkunde. Ich kannte ihn nur als Hans, soweit er mir Zeit ließ, ihn überhaupt kennenzulernen. Er starb, als ich drei Jahre alt war. Ich habe also nur wenige Erinnerungen an ihn und seine Hinterlassenschaften. Letztere gingen mit dem Kriegsende und der Flucht meiner Mutter aus unserer schlesischen Heimat verloren. Nur die Erinnerungen leben weiter. Mein Vater war, als er seine Auserwählte ehelichte, schon ein welterfahrener Junggeselle und an die 50 Jahre alt, also 20 Jahre älter als sie. Damals heiratete man nicht so früh und so schnell und so unüberlegt wie heutzutage, dafür aber ließ man sich entsprechend der katholischen Kirchenregeln auch nicht so häufig scheiden. Ein Foto von ihm blieb erhalten. Es zeigt einen aufrecht sitzenden, wohlgekleideten Herrn mit scharf gezogenem Scheitel und Kaiser-Wilhelm-Bart, den würdevollen Blick auf die Kamera gerichtet. So ernst habe ich ihn nicht in Erinnerung. Als mal ein Zeppelin über Breslau hinwegzog, nahm mich mein Vater auf den Arm und hielt mich schließlich fast aus dem Fenster hinaus, damit ich das entschwebende Luftschiff besser sehen konnte. Angesichts dieser Situation starb Mutti fast vor Angst und schrie auf. Ein anderes Mal sprang er, mich dabei emporwerfend, durchs Zimmer, bis ich dabei mit den kristallenen Zäpfchen des Kronleuchters in Kontakt geriet. Dieser Lüster, das Mitbringsel einer Italienreise, nahm mir diese Attacke noch jahrelang übel. Jene Zapfen waren mit Drähten an den bronzenen Schwingarmen befestigt, lösten sich manchmal schon beim Saubermachen und mussten dann wieder befestigt werden. Jahre später, als ich mich über den Lehrstoff der Schule hinausgehend auf eigene Faust mit der Elektrizität beschäftigte, hob ich ein solches Drähtchen vom Teppich auf, bog es u-förmig zurecht und steckte beide Enden gleichzeitig in eine der Wandsteckdosen. Es gab einen Knall, die Sicherung gab ihren Geist auf, und ich hatte eine blutende Wunde am Ellenbogen. Von meiner stets temperamentvoll reagierenden Mutti wurde ich anschließend entsprechend behandelt. Mein Vater hatte noch weitere interessante Souvenirs gesammelt und hinterlassen: eine wunderschöne Eckvitrine mit kunstvoll geschliffenen Scheiben, eine auf geschwungenen Beinchen stehende Kommode mit abgerundeten Außenflächen und vergoldeten Schubladenknöpfen und eine Zither, schwarz, mit Elfenbein ausgelegt. Zu ihr gehörten Griffnoten, Papierbögen mit Zahlen, die man unter die Saiten schieben und dann auch ohne Fachkenntnisse auf dem Instrument spielen konnte. Die vermutlich wertvollsten Objekte jedoch waren jene goldenen, silbernen oder bronzenen alten Münzen, einsortiert in zwei mit Samt ausgelegte Kästchen. Die Augen gingen mir über vor Staunen, wenn Mutti mir mal in einer ruhigen Gedenkstunde einen Blick auf diese Schätze erlaubte. Anfassen durfte ich dabei nichts. Die Soldaten der Siegermächte hatten wohl weniger Respekt und noch weniger Ahnung von dem Wert, als sie auch diese Kriegsbeute einstrichen. Ich war ja nicht dabei, und Mutti schwieg bis an ihr Lebensende über diese Ereignisse. Lediglich vom Schicksal ihres geliebten Klaviers berichtete sie wiederholt, denn an diesem Instrument verbrachte sie so manche Stunde. Sie besaß einen ganzen Stapel von Noten und spielte wie eine versierte Konzertpianistin. Es war eine Lust, ihr dabei zuzuhören. Nur wenn sie zu singen begann, hätte ich am liebsten das Weite gesucht. Als die Russen einmarschiert waren, staunte Mutti, wie viele der primitiv aussehenden und ebenso auftretenden Rotarmisten sich an das Klavier trauten und nach kurzem Probegeklimper komplette Melodien hervorzauberten. Als die Kampftruppen nach der Einnahme Breslaus weiterzogen, rückten polnische Verbände nach. Sie luden das Klavier auf einen Lastwagen und fuhren damit davon, von Muttis durch Tränen getrübten Blicken verfolgt. Sie musste zusehen, wie die Ladung in einer Kurve am Bahnhof vom Transportfahrzeug fiel und als Trümmerhaufen zurückblieb. Ihr blieben nur noch die Notenhefte, auch jene ohne Deckblatt, wo einst die Namen der jüdischen Komponisten gestanden hatten. Wer Mendelsohn oder andere zu Hause hatte, lebte in der Hitlerzeit gefährlich.“ Erstmals 1969 erschien im Verlag Neues Leben Berlin der utopische Roman „Sieben fielen vom Himmel“ – als 1. Teil der Centauren-Trilogie. 2003 wurde er im KRÖGER-Vertrieb Cottbus. Dem E-Book liegt die überarbeitete Auflage zugrunde, die 2008 im Projekte-Verlag Cornelius GmbH, Halle erschien: Sieben Astronauten gelingt es nach der Havarie des Mutterschiffes, sich auf einen Planeten, den sie „Hoffnung“ nennen, zu retten. Doch dort müssen sie mitten im Dschungel überleben. Die technisch hochstehenden Bewohner der Welt, die ihnen vielleicht helfen könnten, sind zunächst nicht zu finden. Doch wer sind eigentlich diese Astronauten? Alexander Kröger hat seinen Debütroman von 1969 im Jahre 2008 in einer überarbeiteten Neuauflage als 1. Teil der Centauren-Trilogie herausgebracht. Um sich einen Eindruck vom diesem Buch zu verschaffen, soll hier ein Kapitel als Lesestoff angeboten werden. Allerdings ist es nicht wie sonst meist bei uns üblich das erste Kapitel, sondern das zweite. „Die wenigen Tage im Raumschiff, die bis zum Start nach dem bläulich leuchtenden Dritten Planeten verblieben, vergingen schnell. Die Besatzungsmitglieder arbeiteten unter Einsatz aller Kräfte. Es blieb nur kurze Zeit für persönliche Gespräche bei Tätigkeiten, die dieses zuließen. Alle übrigen Stunden wurden für die notwendige Regenerierung des Organismus, für den Schlaf, benötigt. Nur einer kleinen Gruppe, gebildet aus dem Chefingenieur, dem Mathematiker und dem Funker, oblag die Überwachung des Standortes. Sie beobachteten ständig den Planeten Vier, den Roten, wie sie ihn nannten, seine beiden kleinen Monde und den Raum in unmittelbarer Nähe des Schiffes. Ferner hatte diese Gruppe Daten über den nun sichtbaren Dritten Planeten zu sammeln, soweit das aus der riesigen Entfernung mit den wenigen Hilfsmitteln des Schiffes möglich war. Die weitere Beobachtung des Vierten Planeten bekräftigte den Eindruck, den sie sofort nach dem Einsteuern in die Kreisbahn bekamen: Eine Landung ohne die Möglichkeit eines Starts wäre gleichbedeutend mit einem langsamen Tod. Im gleißenden Sonnenlicht, im Teleskop deutlich sichtbar, bot sich den Astronauten ein trostloses, unheimliches Bild von Sandwüsten, zerklüfteten Felsen und Trockenrissen. Die sichtbare weiße Polkappe bestätigte auch, dass Wasser in der Atmosphäre nicht gänzlich fehlte. „Es wird wenigstens vierzehn Umläufe des Planeten Vier dauern, bevor ein Entsatzschiff der Heimat den ehemaligen Standort der GALAX 2 erreichen wird. Wenn sie dann gleich die von uns auf eine Kreisbahn um den Fünften Planeten gebrachte Sonde finden, brauchen sie mehr als einen weiteren Umlauf bis hierher zum Roten Planeten. Die Konstellation wird dann nicht so günstig sein wie jetzt.“ Ernst, sachlich berichtete Mangk, als er nach dem Abschluss des Einsteuermanövers seine Berechnungen vorlegte: „Theoretisch würden wir etwa drei Jahre hier leben können - außerhalb des Landeschiffes ausschließlich im Skaphander und vorausgesetzt, dass die Verflüssigungsmaschine zur zusätzlichen Sauerstoffgewinnung aus der Atmosphäre niemals versagt und wir mit unseren Vorräten äußerst sparsam umgehen. Dauernde Regeneration des Wassers, der Nährstoffe, das Bestehen unbekannter Gefahren, dieses ewige Wandern der Sandwüsten, und das Wesentlichste: Keine Hoffnung, etwas zu finden, das unsere Ernährung sichert - all das bewegt mich zu dem Vorschlag, nicht zu landen! Der Dritte Planet des Systems hat genügend Sauerstoff. Ich meine, wir sollten versuchen, zu ihm zu gelangen!“ Deutlich erinnerte sich Min dieses Berichts. Sie stand neben Surki am Fenster, wenige Stunden vor dem Start zum Dritten Planeten. Die leuchtende Scheibe des Vierten nahm den Schirm ein. >Mangk hat recht, wir alle haben recht<, dachte Min, >es ist so logisch, dass wir wegfliegen, aber was erwartet uns? Erreichen wir den Dritten? Wie empfängt er uns?< Surki starrte in das Bild, sah zu Min auf und senkte dann den Blick. „Was wird werden, Min?", fragte sie. „Es wird alles gut, Surki! Trauere diesem roten Koloss nicht nach, komm ...“ Min sprach laut, um das Würgen in ihrer Kehle zu überrumpeln. Der Start zum Planeten Drei verlief normal. Langsam zog das Schiff seine Bahn, gerade so beschleunigt, dass es dem Gravitationsfeld des Vierten entrinnen konnte. Borl hatte die Eigenrotationszeit des Dritten berechnet. Danach verblieben bis zum Umsteuern in die Landebahn 139 ER, eine Zeit, die den Astronauten viel zu kurz erschien, um alle möglichen und notwendigen Daten ihrer Umgebung und des näher kommenden Planeten mit seinem Mond aufzunehmen und zu verarbeiten. Am 51. Tag zerriss ein weittragendes Ereignis den Rhythmus der Arbeit und ließ das Ziel, den Dritten Planeten, übermächtig in den Mittelpunkt treten: Kark, dem der gesamte Funkdienst oblag, hatte bei seinen täglichen radiometrischen Messungen während einer unbeabsichtigten Veränderung des Frequenzbereiches auf dem Schirm neben den Messimpulsen ein rhythmisches Aufleuchten bemerkt. Er unterbrach sofort die Routinearbeiten, verständigte den Kommandanten und war gleichzeitig bemüht, die Zeichen zu verdeutlichen. Eine Kontrolle der Frequenz ergab, dass sie nicht mit jener übereinstimmte, auf der schon einmal über eine kurze Zeitspanne unverständliches, aber systematisches Signalgewirr empfangen worden war. Dieses und einzelne Daten über die Beschaffenheit der Planetenoberfläche und der Atmosphäre waren Anlass zu der Vermutung, dass der Dritte Planet möglicherweise von vernunftbegabten Wesen bewohnt sei. Das Gewirr war auch wiederholt bei der Annäherung an ihren jetzigen Standort aufgefangen worden. Der Kommandant kam sofort in den Funkraum und beobachtete ebenfalls gespannt die Handgriffe Karks, der sich bemühte, durch vorsichtiges Bewegen des Außenreflektors die Impulse zu verdeutlichen. Als die Zeichen ein Optimum an Schärfe erreicht hatten, gab er die Impulse auf den Lautsprecher. Sofort war die kleine Kabine von einem starken Rauschen erfüllt, in welches rhythmische Signale in ungleichmäßigen Abständen mit einer eigenartigen Tonfarbe eingelagert waren. Vorsorglich hatte Kark einen Speicher zugeschaltet. Die merkwürdigen, immer in einer Tonhöhe bleibenden Laute verstärkten sich. Gespannt lauschten die beiden Männer. Die Zeichen, obgleich sie an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen, blieben unverständlich. „Es klingt zumindest ähnlich wie einiges aus dem Signalgemisch, das wir letztens auffingen“, unterbrach der Kommandant die lastende Atmosphäre, die durch flackernde Kontrolllampen, überlautes Summen, vor allem aber durch das Unverständliche in der engen Kabine herrschte. „Die Frequenz ist anders.“ Der Kommandant überzeugte sich mit einem schnellen Blick zur Skala. „Entfernung?“ „Schwer zu sagen.“ Der Funker machte eine unschlüssige Bewegung. „Der Reflektor zeigt genau auf Planet Drei. Wenn man wüsste, mit welcher Intensität die Zeichen ausgestrahlt werden ...“ „Jedenfalls steht nunmehr fest“, Chalo sprach ruhig, ohne aber seine innere Erregung völlig verbergen zu können, „dass diese Zeichen nicht zufällig durch Schwingungsüberlagerungen, Reflexion unserer Messwellen oder durch einen anderen, unbekannten Effekt hervorgerufen werden, sondern dass vernünftige Wesen ihre Urheber sind ...“ Ein starkes Rauschen und das langsame Abklingen der Signale lenkte die Aufmerksamkeit Karks auf die Apparatur. Durch schnelles Umschalten auf den Oszillographen und Überprüfung der Feinregulierung überzeugte er sich, dass der Bereich immer noch optimal eingestellt war. Die Richtung, aus der das Raumschiff die Zeichen auffing, hatte sich nicht geändert. Ständig nahm die Lautstärke ab, bis schließlich, auch bei angestrengtestem Hören, nur noch das eintönige Rauschen aus dem Lautsprecher drang. „Nicht weiter suchen.“ Chalo berührte Kark, der fast verzweifelt herumschaltete. „Lass das Gerät mit voller Lautstärke auf Empfang stehen und suche über die Leitkanäle weiter. Ich rufe alle zu einer kurzen Aussprache. Du bleibst hier, weißt ja ohnehin, um was es gehen wird. Die Aufzeichnungen nehme ich einstweilen mit.“ Sie waren sich in den letzten Tagen noch nähergekommen. Wenn auch keine Zeit blieb, um Gespräche über Persönliches zu führen, über Ziele oder Pläne, so hatten sie doch das gleiche Schicksal, das gleiche Ziel und die Tatsache, auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen zu sein, einander nähergebracht, als es das langjährige Zusammensein auf der GALAX 2 vermocht hatte. Die plötzlich anberaumte Zusammenkunft löste Erstaunen aus. Es musste schon ein sehr wichtiges Ereignis sein, das den Kommandanten veranlasste, in der knapp bemessenen Vorbereitungszeit diese einzuberufen. Die Spannung ließ sich aus den Gesichtern ablesen. Sie kamen, wie sie waren - meist in Arbeitskitteln - aus der Werkstatt, in der die Landekabinen ihrer Vollendung entgegengingen. Der Chefingenieur hatte ein zangenähnliches Werkzeug in der Tasche seines Kittels, das bei jeder Bewegung an den Körper schlug. Nachdem Chalo sich überzeugt hatte, dass außer dem Funker alle anwesend waren, erklärte er den Grund der Zusammenkunft: „Nur kurz zur Information und Beratung. Wir wollen nicht viel Zeit verlieren, es ist jedoch möglich, dass schnellstens Beschlüsse gefasst werden müssen, und da diese mit weittragenden Folgen verbunden sein können, hat die gesamte Besatzung darüber zu entscheiden. Kurz: Es ist zur Gewissheit geworden, dass in nicht allzu großer Entfernung von uns vernunftbegabte Wesen beheimatet sind oder sich zumindest aufhalten. Diese Signale“, er drückte auf eine Taste des Wiedergabegerätes, „hat Kark vor ganz kurzer Zeit aufgefangen.“ Im Raum war es still. Sie blickten gespannt auf das Gerät. Plötzlich ertönte wieder das Rauschen, aus dem wenig später überlaut die Signale drangen. Der Kommandant verringerte die Lautstärke und flüsterte mit Mangk. Dieser ging, wie es schien ein wenig widerwillig, aus dem Raum. Schließlich wollte keiner gern auf die zu erwartende Beratung verzichten, obgleich der Bordfunk zugeschaltet werden konnte. Keiner sprach. Die Zeichen klangen noch laut und deutlich aus den Lautsprechern, als Kark im Gemeinschaftsraum erschien. Er sollte als Fachmann funktechnische Fragen klären helfen. Als Ruhe eintrat, stellte der Kommandant an Borl die alle bewegenden Frage: „Siehst du eine Möglichkeit, die Zeichen zu entziffern?“ Borl überlegte. „Gewiss“, meinte er bedächtig, „aber nicht so bald, da ich den Schlüssel nicht kenne. Wie ich meine“, damit wandte er sich an Kark, „sind die Zeichen hinsichtlich ihrer Länge moduliert.“ Der Funker bestätigte durch eine Kopfbewegung. „Wenn es uns gelingt, weitere Zeichen aufzufangen, sehe ich eine Möglichkeit, wenigstens den Sinn einiger Einzelinformationen oder einzelner Sentenzen zu erfassen.“ „Wir versuchen es. Es kann jedoch ein Zufall sein, dass uns diese Aufnahme gelungen ist.“ Die Worte des Funkers klangen wenig optimistisch. „Ist es denn sicher“, meldete sich Surki, „dass die Zeichen vom Planeten kommen?“ Chalo erklärte: „Es gibt meiner Meinung nach drei, nein, vier Möglichkeiten. Vielleicht können wir die eine oder andere davon ausklammern: Erstens: die Zeichen stammen vom Mond des Dritten Planeten. Zweitens: die Signale kommen vom Dritten Planeten, und wir haben sie direkt empfangen. Drittens: Bewohner des Planeten unternehmen die ersten Schritte zur Erforschung des Weltraumes, und sie haben zu diesem Zweck künstliche Satelliten oder Raumstationen gestartet, die nunmehr senden. In diesem Falle müssten sich die Zeichen periodisch wiederholen. Das wird die Zukunft zeigen. Viertens: nicht der vor uns liegende Planet ist bewohnt, sondern ein anderer der hiesigen Sonne - oder es sind außer uns noch Raumfahrer eines anderen Systems in der Nähe. Und diese Wesen unterhalten Funkverbindungen mit ihrer Heimat, oder sie haben eine unbemannte Station ausgesetzt, die Warnzeichen oder andere Informationen sendet.“ Rilt schaltete sich ein: „Wenn die erste Variante zuträfe, müssten die Zeichen noch deutlicher ankommen und vor allem nicht so kontinuierlich verklingen. Es wäre natürlich denkbar, dass, wenn schon keine bemannte, so doch eine automatische Station auf dem Mond des Dritten steht. Der Planet hat eine dichte Atmosphäre, deren oberste Schichten ganz gewiss ionisiert sind. Es ist daher kaum anzunehmen, dass Funkzeichen mit dieser Frequenz in einer solchen Intensität von dort zufällig zu uns dringen. Es müssten schon sehr leistungsstarke Strahlen sein, die aber normalerweise auf bestimmte Objekte gerichtet werden. Ein solcher Richtstrahl könnte nur durch eine Kette von Zufällen zu uns gelangen ...“ „Und wenn wir das Objekt sind, dem die Wellen gelten?“, warf Min erregt ein. „Dann dürften die Zeichen nicht schwinden. Außerdem glaube ich nicht daran. Unser winziges Schiff aus dieser Entfernung zu entdecken, setzt eine sehr hochentwickelte Radartechnik voraus, und die können wir nach alldem, was wir hier bisher festgestellt haben, nicht annehmen. Ich meine, dass die Signale nicht direkt vom Blauen Planeten kommen, sondern von einem künstlichen Satelliten!“ „Ich halte auch die vierte Version für sehr unwahrscheinlich“, nahm Borl nach dem Funker das Wort. „Es wäre wiederum ein ausgesprochener Zufall, wenn gerade zum Zeitpunkt unseres Eintreffens hier auch noch andere Weltenwanderer in der Nähe wären. Ich bin auch ...“ Plötzlich ertönte ein Summerton. Sie blickten überrascht zum Lautsprecher. Aufgeregt meldete sich Mangk: „Achtung, ich habe wieder Signale eingefangen, ich lege sie auf den Bordfunk, Augenblick ...“ Wieder starkes Rauschen aus dem Lautsprecher, dann ganz leise Töne. Der Rhythmus und die Tonlage waren im Vergleich zu den ersten Zeichen anders, der Empfang schlechter. Aber unverkennbar, es musste ein ähnliches System sein. Aber auch diese Zeichen verklangen allmählich, bis das Rauschen den Raum wieder ganz ausfüllte. Eine starke Erregung hatte sich der Anwesenden bemächtigt. „Ein zweiter Satellit.“ „Versuche, mit uns auf einer anderen Frequenz in Verbindung zu kommen.“ Erregt gingen die Vermutungen hin und her. Der Kommandant schaltete zur Funkkabine. „Bitte die Frequenz und die Richtung.“ Der Stimme Chalos merkte man die Erregung nicht an. „Frequenz fast hundert mehr als die ersten Zeichen, Richtung nur um weniges verschieden. Die Intensität geringer. Anlage eins zeigt nichts Neues“, ertönte es knapp aus dem Lautsprecher. „Anlage zwei ebenfalls eingeschaltet lassen! Aufnahmegeräte und Bordfunk anschließen, dann kannst du herkommen, Ende. Ich bin vorhin durch die neuen Signale unterbrochen worden“, sagte Chalo ruhig. „Sie bestätigen die Ansicht, dass es sich um Satelliten handelt, die im Orbit kreisen. Vielleicht handelt es sich um mehrere, die getrennte Aufgaben haben und auf unterschiedlichen Frequenzen senden. Merkwürdig finde ich, dass sich die Impulse des ersten Signals von denen des zweiten unterscheiden. Die Einzelzeichen müssten annähernd gleich sein, es sei denn, es läge ein anderer Schlüssel zugrunde, und das wäre wieder unverständlich.“ Während der Kommandant sprach, war Mangk eingetreten. Er hatte die letzten Worte mitgehört. Als Chalo schwieg, sagte er zögernd: „Beim Suchen über die Leitkanäle war es mir mehrmals so, als ob in dem starken Rauschen wieder ähnliche Signalgewirre, wie wir sie schon einmal empfangen hatten, eingelagert gewesen wären. Das Bemerkenswerte daran ist, dass es sich immer um den gleichen Frequenzbereich handelt.“ „Wichtiger ist“, bemerkte die Ärztin, „gleichgültig, ob sich die Signale wiederholen oder nicht, was wir un...“ „Still!“ Kark war an den Bordlautsprecher getreten. Die Ärztin verstummte. Alle lauschten. Und jetzt hörten sie es auch: Kaum vernehmbar ertönten wieder die Laute. Sie schwollen an, erhoben sich langsam über das Rauschen, wurden noch lauter. Die kurzen und langen Impulse füllten den Raum. Min hatte den Eindruck, als ob sich die Töne auf ihre Atemorgane legten, als ob ihr der leichte Anzug plötzlich zu eng wäre. Sie blickte zu Mangk, auch er war erregt. Deutlich ließ sich das Einsetzen und Abreißen der einzelnen Impulse unterscheiden. Sie schienen ihr Lautstärkemaximum erreicht zu haben. Eine ganze Weile hielten sich die Zeichen in gleicher Intensität. Dann gingen ganz allmählich Härte, Schärfe und Lautstärke zurück. „Ein Satellit!“ Bestimmt sagte das Chalo in das allgemeine Schweigen hinein. „Bin auch der Meinung.“ „Kaum anders denkbar.“ Von allen kam Zustimmung. „Und ob das zweite Signal auch von einem Satelliten kommt, wird sich feststellen lassen«, sagte Kark, „es müsste sich dann ebenfalls wiederholen.“ „Und warum ist es schwächer?“, fragte Min. „Vielleicht ein schwächerer Sender, oder sein Bahnradius ist kleiner und er ist weiter von uns entfernt - ach, da gibt es viele Erklärungen.“ „Aber es kann nur ein Satellit sein“, sagte Borl. „Das langsame Anschwellen und das Abklingen beweisen es. Einmal befindet sich der Planet zwischen uns und dem Satelliten und einmal der Satellit zwischen uns und dem Dritten. Möglicherweise gelingt es, einiges über die Aufgaben des Satelliten herauszubekommen.“ Er hatte sich in Eifer geredet. Man sah es ihm an, dass er am liebsten gleich losgegangen wäre, um sich in die Arbeit zu stürzen. Aber noch war die Beratung nicht zu Ende. Der Kommandant war nachdenklich geworden. Er wusste, dass die Gefährten von ihm jetzt Vorschläge über das weitere Verhalten erwarteten. Er hatte aber auch die Verantwortung: Jeder voreilige Entschluss konnte katastrophale Folgen haben. „Es steht nunmehr fest“, sagte er, „dass in unserer Nähe, wahrscheinlich auf dem Dritten, vernunftbegabte Wesen leben. Da wir nicht wissen, wie sie auf unser Kommen reagieren werden, sollten wir vorsichtig sein. Ich ordne deshalb an: Ab sofort absolute Funkstille! Die Landevorbereitungen so schnell wie möglich beenden! Die Messungen unserer Bahnparameter nehmen wir von nun an nur noch optisch vor. Die Tatsache, dass sich unsere Frequenzen von denen der Satelliten unterscheiden, dürfte uns bisher vor einer Entdeckung bewahrt haben.“ „Wäre es nicht vielleicht richtiger und – nützlicher“, gab Rilt zu bedenken, „schon jetzt zu versuchen, mit diesen Wesen Verbindung zu bekommen? Es muss doch auch für sie - noch dazu, wo es erwiesen ist, dass sie auf einer hohen Entwicklungsstufe stehen - ein erfreuliches Ereignis sein, mit Wesen ferner Welten Kontakt aufzunehmen. Vielleicht könnten wir in unserer schwierigen Lage Hilfe erhalten.“ „Du hast sicher recht“, entgegnete Chalo ernst, »und ich hoffe sehr, dass es so kommen wird. Ich bezweifle jedoch einerseits die technischen Möglichkeiten zur Aufnahme einer Funkverbindung ...“ Kark bestätigte durch eine Kopfbewegung. „... zum anderen bitte ich dich Folgendes zu bedenken: Wären uns vor hundertfünfzig Jahren Gäste aus dem Weltall immer willkommen gewesen? Hätte es nicht auch Bedenken gegeben, zum Beispiel wegen der technischen Überlegenheit solcher Besucher? Außerdem ist nicht gesagt, dass diejenigen, die eine fortgeschrittene Technik haben, auch ethisch hochstehend sind. Es ist vorstellbar, dass sich auf irgendeinem Planeten eine Entwicklung vollzieht, die außerhalb der eigenen keine andere Lebensform anerkennt oder – was schlimmer ist - nicht erkennt. Wer sagt uns nun, dass die hiesigen Lebewesen nicht in einer derartigen Entwicklung stehen oder dass nicht schon vor uns Wesen anderer Welten hier waren und einen schlechten Eindruck hinterließen? Landen müssen wir, es bleibt uns keine Wahl. Ist es da nicht klüger, die Verhältnisse kennenzulernen und dann erst Kontakt aufzunehmen? Wir sind doch in jedem Fall im Nachteil! Selbst die Ausrüstung unseres kleinen Schiffes ist, gemessen an dem technischen Arsenal, das uns in unserer GALAX zwei zur Verfügung stand, primitiv - und das wenige müssen wir noch zurücklassen. Wir haben dann nur das, was wir tragen können. Allerdings möchte ich die Entscheidung, keine Funkverbindung aufzunehmen, nicht allein treffen. Ich bitte nachher um eine Abstimmung. Mich bedrückt nämlich Folgendes: Unsere Landung ist risikoreich. Wenn die Planetenbewohner nun in der Lage wären, uns zu helfen, und uns unter geringeren Gefahren auf die Oberfläche brächten ... Aber, sie müssten das Rendezvousproblem gelöst, im Orbit Stationen haben. Noch glaube ich an eine solche Möglichkeit nicht, möchte aber meine Meinung niemandem aufzwingen. Ohne diese Voraussetzung können wir weder auf Rettung durch Umsteigen noch durch Abschleppen hoffen.“ Es entstand eine Pause. „Ich glaube, eine Abstimmung ist nicht nötig.“ Mangk blickte von einem zum anderen. „Wir landen, wie festgelegt. Es ist in jedem Fall das kleinere Risiko.“ Es herrschte allgemeine Zustimmung. „Eines noch“, warf Chalo ein, „unser Leben wird in Zukunft eng mit dem unbekannten Planeten verbunden sein - oder glaubt einer an einen Misserfolg der Landung?“ Er blickte lächelnd in die Runde. „Ich schlage deshalb vor, dass Mangk schnellstens noch fehlende Parameter des Planeten errechnet, auch solche, die uns zur Zeit nur am Rande interessieren. Hier stehen uns noch Hilfsmittel zur Verfügung. Wir können natürlich den Computer nicht mitnehmen.“ „Dann bleibt uns nur zu hoffen, dass es auf dem Planeten tatsächlich Rechenautomaten gibt. Ich fürchte sonst für Boris Gesundheit. Wenn er nicht rechnen kann, wird er melancholisch.“ Kark grinste. Die anderen lächelten; Borl zog eine tragikomische Miene. „So, nun an die Arbeit! Ich kann es kaum erwarten, hier aus dem Käfig herauszukommen. Ich möchte auch bald den Schönen des Blauen meine Reverenz erweisen!“ „Warte ab“, entgegnete Chalo, auf den scherzhaften Ton Karks eingehend, „vielleicht sind die Schönen nach unserem Geschmack alles andere als schön - vielleicht gibt es überhaupt keine Zweigeschlechtlichkeit. Ich glaube, wir sollten versuchen, nicht mit unseren Maßstäben zu messen. Die Überraschungen sind sonst zu groß und zu unangenehm. Wenn auch die Entwicklung des Lebens überall dort, wo die Voraussetzungen dafür gegeben sind, annähernd gleich sein mag, so können sich doch die Formen grundlegend voneinander unterscheiden. Aber wem sage ich das!“ Damit war die Zusammenkunft zu Ende. Jeder nahm seine Arbeit wieder auf, voller Gedanken und gespannt auf die kommenden Ereignisse.“ „Malt, Hände, malt“ – so lautet der Titel des Romans von Renate Krüger über Lucas Cranach d. Ä., der erstmals 1975 im Leipziger Prisma-Verlag Zenner und Gürchott erschienen war: Ein biografischer Roman ermöglicht Annäherung an eine Persönlichkeit, will aber nicht eine Dokumentation ersetzen. Vorherrschende Gestaltungsmittel sind Emotionen, Beschreibungen und Handlungen. Der Roman „Malt, Hände, malt“ über den Maler Lucas Cranach (1472-1553) beansprucht ein hohes Maß an dichterischer Freiheit bei Verwendung und Gestaltung der historischen Tatsachen, insbesondere durch die Einbindung des Familiären in die Zeitereignisse und die Versuche, das Innere des Malers literarisch und psychologisch zu ergründen. Freie Erfindungen sind erlaubt, dürfen aber nicht die Grenzen des Möglichen und Glaubwürdigen überschreiten. Es geht um frei nachgestaltetes Leben, nicht um eine Biografie von dokumentarischem Wert. Dem berechtigten Informationsbedürfnis des Lesers wird in einer ausführlichen Zeittafel Rechnung getragen. Die Persönlichkeit des berühmten Wittenberger Malers und Unternehmers bietet viele gestalterische Möglichkeiten. Unter Cranach mit seinem eigenen unverwechselbaren Stil wurde das weithin unbekannte Wittenberg zu einem künstlerischen Zentrum. Cranach selbst wurde als Hofmaler des sächsischen Kurfürsten Friedrichs des Weisen zu einer nicht unwichtigen Figur im politischen Schachspiel seiner Zeit, besonders durch seine Vernetzung mit wichtigen Zeitgenossen, vor allem mit dem Reformator Martin Luther. Cranach war es, der das Lutherbild schuf, das durch Jahrhunderte Gültigkeit behielt. Der Roman bettet die Bilder in Handlungen ein und erhöht somit den emotionalen Faktor. Cranach hatte einen Blick für alle Bereiche des Lebens, die er rastlos in Bilder umsetzte. Mit dem einen Auge sah er die liebliche Madonna, mit dem anderen die lüsterne Venus. Er vollführte eine Gratwanderung zwischen erlesenster Qualität und marktgerechter Produktivität. Er war Künstler, Geschäftsmann und strebte nach Macht und Establishment. Aber er fand auch immer wieder zur Selbstkritik und zur Ehrlichkeit zu sich selbst. In einem (fiktiven) inneren Monolog Cranachs heißt es: „Trinken wir auf Lucas Cranach, den Hofmaler des Kurfürsten von Sachsen! Trinken wir auf Cranach, den Weinherrn der Stadt Wittenberg! Und auf Cranach, den Herrn der Wittenberger Apotheke! Trinken wir auf Cranach, den Druckherrn! Und auf Cranach, den Ratskämmerer!“ Und schließlich: „Trinken wir auf Cranach, den Bürgermeister!“ Aber da ist noch das jugendliche Bild des Humanistenfreundes Cuspinian aus den Aufbruchsjahren, der Blick in die Ferne gerichtet, in den Händen ein noch geschlossenes Buch, im Hintergrund einen Baum mit den ersten Blättern, frei umherflatternde Vögel, eine verlassene Festung. Was hält das Leben bereit? Krügers Roman „Malt, Hände, malt“ erschien übrigens auch in ungarischer Sprache. Hier kommt - aber nicht auf Ungarisch, sondern auf Deutsch - das 1. Kapitel des Buches, in dem wir ein gewisses Kronach kennenlernen und den berühmten Maler auf einem Pferd durch die Gegend reiten sehen – Richtung Heimat, Kronach eben: „Kronach ist nicht die geringste unter den oberfränkischen Städten, aber nicht einmal seinem Bürgermeister würde es in den Sinn kommen, es höher zu stellen als die Nachbarstädtchen mit ihren lang vertrauten Namen: Berneck, Kulmbach, Staffelstein oder Lichtenfels. Sie alle ducken sich unter dem Schutz der Veste Coburg, wohin sich des Öfteren der allergnädigste Herr Kurfürst von Sachsen zurückzieht. Man ist geschützt, und man ist abhängig. Man spricht die Sprache der Franken und tanzt nach der Pfeife der Sachsen. Man ist nicht Nürnberg und hat keine eigene Melodie. Aber einen kleinen Stolz hat man doch, und man erhält ihn mit allerlei Wirtshauswortreichtum am Leben, auch wenn man die Augen auf die Veste Coburg richtet. Unverwandt schaut der Stadtknecht am Tor auf die Coburger Landstraße, während die Schatten der Bäume, Sträucher, Mauern und Häuser länger und länger werden. Der Sommer hatte es eilig, Äpfel und Birnen sind schnell gereift und klein geblieben, in einigen Wochen wird man die letzten Früchte einholen. Auch gut. Soll der Winter kommen, in Kronach sind die Vorratskammern gefüllt. Auch die des Stadtknechtes. Er denkt daran, wie es in seinem Keller duften wird. Doch er soll ja nicht träumen, er hat eine wichtige Aufgabe: Ausschau soll er halten nach Coburg! Von dort wird Lucas der Maler kommen, der Sohn des berühmten Malers Sunder aus Kronach - einige nannten ihn auch Möller -, der zu Beginn des Sommers selig in Gott entschlafen ist. Seinen Ältesten hat er nicht mehr gesehen, der war zu weit weg. In Kronach gab es einst keinen Platz mehr für ihn, doch er soll es in der Ferne, in Wittenberg, zu Ansehen und Reichtum gebracht haben. Auch gut. Nun wird ihn der Kronacher Rat mit Ehren empfangen, die beiden Ratsstuben sind schon gekehrt und geschmückt. Soll er also kommen, Lucas der Maler, der im Dienste des allergnädigsten Herrn Kurfürsten von Sachsen gerade auf der Veste Coburg einige Bilder restauriert. Das ist klug von ihm, so verschafft er sich Ansehen auch in Kronach. Wie soll der Stadtknecht den Sohn des Meisters Sunder anreden? Er hat den Lucas schon als Kind gekannt, ein Kronacher Kind wie die anderen, doch nun Maler des Kurfürsten, mit der Tochter eines Bürgermeisters verheiratet und sogar in hohem Ansehen beim Kronacher Rat ... Es wäre nicht ausgeschlossen, dass er es in Kronach zum Ratsherrn, wenn nicht zum Bürgermeister bringt. Lucas der Maler reitet derweil singend durch einen dichten Wald. Er liebt den Wald über alles, doch nicht nur Lebensfreude treibt den Gesang aus seiner Kehle. Auch Furcht. Jeder, der auf einem guten Pferd durch den Wald reitet, fürchtet sich, selbst ein gepanzerter Ritter. Über den Wald hat die Veste Coburg keine Macht. Im Wald leben die Gesetzlosen, die sich nehmen, was man ihnen nicht gibt. Die Gestalten von wilden Männern und Frauen in zottigem Haarpelz und von übermenschlichen Kräften leben in der Furcht des Volkes, und die Herren leben von dieser Furcht des Volkes. Das Volk soll beim Gesetz bleiben und sich vor den Gesetzlosen fürchten, die Reisende und Wanderer ausrauben und erschlagen. Lucas hat nicht viel Geld bei sich, aber das Pferd ... Sollte ein kurfürstliches Pferd den Waldmenschen nicht besonders in die Augen stechen? Nichts rührt sich. Er begegnet niemandem. Er sagt seinen Namen vor sich her wie eine Beschwörung. Er hat einen Namen beim allergnädigsten Herrn Kurfürsten, und die daheim werden sich wundern, wenn er ihnen diesen Namen sagt, wenn er ihn zeigt, ja zeigt, denn dieser Name ist aufgeschrieben wie ein Gesetz; er, Lucas der Maler, wird niemals zu den Gesetzlosen gehören ... Das Malerhaus am Markt gehört zu den größeren Kronacher Bürgerhäusern. Es war ein festlicher, unvergesslicher Tag, als Meister Sunder sich endlich dieses Haus kaufen und seine Werkstatt darin einrichten konnte. In diesem Haus konnte die Kunst des Sohnes heranwachsen, doch für zwei Meister war es zu eng. Lucas war fortgezogen und nicht zurückgekehrt. Nun hat Meister Sunder dieses Haus verlassen - für immer. Der junge Meister kann einziehen, endlich! Die Witwe Sunder sitzt an einem Fenster des oberen Stockwerkes, sieht auf den Markt hinunter und in die Straße, die zum Coburger Tor führt, und wartet. Es ist lange her, seit der Sohn zuletzt daheim war. Jetzt muss er kommen und Ordnung schaffen, die Spreu vom Weizen trennen, den guten Nachlass zu guten Preisen verkaufen, denn die Witwe Sunder braucht etwas, wovon sie leben kann, und sie möchte nicht schlechter leben als bisher. Schmalz und Bier sind ohnehin nie reichlich gewesen, Brot und Wachs jedoch haben immer genügt. Der Magen knurrte keinem vergeblich, an Kerzen musste man nicht sparen. Ein gutes Handwerk ernährt die Familie, wenn der Meister fleißig ist und die Meisterin das Geld zusammenhält. Ihr eigener Vater war ein fleißiger, guter Schuhmacher gewesen, und noch heute stecken manche älteren Füße in seinen Schuhen. Ihre Mutter hatte lieber die pralle Geldkatze gestreichelt, als dass sie das runde Geld rollen ließ. Wie wird Barbara sein, die Schwiegertochter? Ihr Vater ist Bürgermeister, man braucht sich ihrer nicht zu schämen in Kronach. Sie wird sich des Ansehens ihres Schwiegervaters würdig erweisen können, mit Stolz seine Bilder in den Kirchen und in den Bürgerstuben betrachten. Nun gehören die Kronacher Malflächen dem Sohn, ihrem Ehegemahl. Der Zunftstuhl in der Kirche ist sein Eigentum. Und er findet ein großes Haus vor, alles gehört ihm. Trotz aller dieser angenehmen Gedanken erinnert sich die Witwe Sunder an einen Traum, der sie in Angstschweiß versetzt hatte. Der Sohn war gekommen, doch er wollte nicht bleiben. Er fühlte sich nicht mehr wohl in diesem großen neuen Haus, er hatte sich daran gewöhnt, in Schlössern zu leben und zu arbeiten, er stieß sich den Kopf an den niedrigen Decken der Kronacher Zimmer, er klagte über den muffigen Geruch und über das Nebeneinander von wertvollen Möbeln und zerbrochenem Gerümpel. Er nahm dem Pferd nicht einmal den Sattel ab ... „Ist er noch immer nicht zu sehen, der Lucas?“ Anna Sunder fährt herum, und ihr Unmut über den Traum entlädt sich über ihren Sohn Matthes, der in der Tür steht. „Wie siehst du aus! Blaue Farbe im Gesicht! Grün am Hemd! Wie vorsichtig hat dein Vater gemalt! Ich kann mich nun wieder mit den Flecken plagen. Nein, er ist noch nicht zu sehen. Wasch dich und zieh dich ordentlich an. Wo ist Thomas?“ „Im Wirtshaus.“ Ist das auch ein schlechter Traum? Lucas will nicht bleiben, und Thomas ist im Wirtshaus? „Im Wirtshaus? Am helllichten Tag, mitten in der Woche? Und gerade dann, wenn wir auf den neuen Hausherrn und Meister warten? Was ist in Thomas gefahren?“ Matthes zieht die Schultern hoch. „Du weißt ja, der Thomas und der Lucas ...“ „Geh jetzt und wasch dich! Es wird Zeit, dass der Lucas kommt und Ordnung schafft. Er muss es tun, er ist der Älteste. Er arbeitet für den Kurfürsten. Du musst dich anstrengen, wenn du etwas bei ihm gelten willst. Er soll dich endlich auf Wanderschaft schicken.“ Matthes weiß, was ihn jetzt erwartet, und er schließt schnell die Tür hinter sich. Zwanzig Jahre bist du alt und stehst noch immer nicht auf eigenen Füßen. Lässt den Thomas für dich arbeiten und schmierst selber nur ein wenig mit Farben herum wie ein Kind. Du bist eben zu spät geboren, Gott sei es geklagt! Es ist nichts mit den Kindern des Alters ... Lucas der Maler treibt sein Pferd an. Tummel dich, Schwarzer, schneller, wir müssen heim. Keine Zeit heute für alte Gespenstertannen, für knorriges Wurzelwerk, für all das, was man malen oder wenigstens zeichnen müsste. Mein Herz weint, weil wir so schnell an dieser sonnigen Lichtung vorüberreiten müssen. Diese zackige Burg im Hintergrund! Doch weiter, ich will zur Mutter. Ich brauche sie schon jahrelang, und doch habe ich nie Zeit für siegefunden, oder fürchtete ich mich vor dem Vater? Nun habe ich die Mutter ganz für mich, und ich werde glücklich sein mit ihr, mit Barbara habe ich kein rechtes Glück ... Mein Leben ist reich und gesegnet, aber der Mensch, der mir am nächsten ist, bringt mir kein Glück ... Wie werde ich sie begrüßen nach all den Jahren? Schau her, Mutter, was aus deinem Sohn geworden ist! Du kannst stolz auf mich sein, ich sage es ohne alle Eitelkeit! Meine Bilder betrachtet man nicht nur, man spricht auch von ihnen, und nicht nur in der Stadt Wittenberg. Ich zeige dir die beiden großen Bilder der letzten Jahre. Nein, natürlich habe ich sie nicht bei mir, sie sind längst dort aufgestellt, wo man sie erbeten hat, und doch leben sie in mir weiter. Ich bin noch immer innig verbunden mit der heiligen Katharina, der Schutzpatronin der Gelehrten, deren Bild ich malen, neu erschaffen durfte. Wittenberg soll eine Stadt der Gelehrten werden, so hat es der allergnädigste Herr Kurfürst beschlossen. Und so wird es sein. Übelwollende, verblendete Menschen ließen einst der Heiligen das Haupt abschlagen. Ein grausames, beängstigendes Bild, das ich da malen musste, doch du brauchst nicht davor zu erschrecken, denn die Schönheit ist stärker als der Tod. Ach Mutter, wenn du wüsstest, wie sehr ich die Schönheit liebe, wie ich mich nach ihr sehne! Barbara, meine Frau, ist schön, und doch sehne ich mich nach mehr Schönheit. Auf den Altarflügeln habe ich Schönheit vervielfacht. Je drei liebliche Jungfrauen stehen dort, es sind die lieben alten Heiligen, die ewig jung bleiben. Ich habe sie in den Jungbrunnen getaucht, Barbara, Ursula, Margaretha, Dorothea, Agnes und Kunigunde, lauter schwere, schöne Namen. Hinter ihnen habe ich die Schutzburg erbaut, damit sie gesichert leben können in dieser rauen, schönheitsfeindlichen Welt, die Veste Coburg ist dort zu sehen, denn mein Herr Kurfürst ist ein Schützer der Schönheit und der Kunst, und ich vertraue auf ihn. Ein eigenes Kind habe ich mir dazu erträumt und gemalt, und glaube mir, eines Tages werde ich es haben, dieses liebliche Geschöpf, das Blumen in einem Körbchen austeilt. Gefällt dir mein Bild, Mutter? Gefällt dir mein Kind? Oder sind die anderen dir lieber und nützlicher, die vierzehn Nothelfer, die ich aus ihren himmlischen Wohnungen geholt und auf der engen Tafel versammelt habe? Ungern habe ich mich von ihnen verabschiedet, als man das Bild von mir holte, am liebsten hätte ich jeden einzelnen festgehalten. Weißt du, Gestalten, die aus den Träumen und den Händen hervorgehen, leben. So, Schwarzer, jetzt noch ein Trunk für dich und für mich aus dem Bach hier, das schöne, saftige Gras für dich, Brot und Speck für mich, dann geht es weiter, und bald sind wir daheim.“ In den beiden letzten Titeln dieses Newsletters geht es – allerdings auf unterschiedliche Weise – um die Wende und deren Folgen. So veröffentlichte Klaus Möckel erstmals 1991 im Rowohlt Taschenbuch Verlag Reinbek bei Hamburg „Bennys Bluff. Krimi für Kinder, Eltern und Großeltern“: Berlin, wenige Wochen nach der Maueröffnung 1989. Benny, zwölf Jahre alt, findet, als er eines Tages vom Spielen heimkommt, seine Mutter tot in ihrem Bett. War es Mord? Das Tatwerkzeug deutet darauf hin und bringt Ralf in Verdacht, einen ihrer Freunde. Für den Jungen ein doppelter Schlag, denn er hätte sich diesen Mann gut als einen Ersatzvater vorstellen können. Verzweifelt macht sich Benny auf die Suche nach Ralf, der sich in den Westteil der Stadt abgesetzt hat. Dabei muss er Hindernisse aller Art überwinden, erlebt tiefe Enttäuschung, findet aber auch unerwartete Hilfe. Die Spur aber verzweigt sich, und es bedarf eines besonderen Bluffs, um den Täter schließlich zu entlarven. Das Buch, 1991 beim Rowohlt-Verlag erschienen und längst vergriffen, lenkt in seiner spannenden Handlung den Blick auf eine bereits historisch gewordene Zeit, auf die zugleich aufregende und verworrene Situation in den Monaten nach der Wende. Und als erstes lernen wir zu Beginn des Buches wie seines 1. Kapitels Benny kennen, oder auch … „Benny Wetzmann, auch Ben, Benno oder, wenn seine Mutter wütend ist, Ben-ja-min genannt, biegt in die Stargarder Straße ein, wechselt vor einem langsam dahintuckernden Trabi auf die andere Seite und setzt sich auf den Stapel Bretter, der hier liegt, seit sie die Hausdächer reparieren - seit Monaten also. Benny ist zufrieden mit dem Tag. In der Schule gab es heute nur das halbe Programm, weil ein paar Lehrer ausgefallen sind, und auch später lief es gut. Die Stunden vergingen, er wusste nicht wie. Benny überlegt, ob er jetzt schon auf „Mellas Bude“ gehen soll oder noch ein bisschen herumziehen. Es ist zwar Abendbrotzeit, doch oben gibt es vielleicht bloß wieder Krach. Mella ist Bennys Mutter und Mellas Bude sein Zuhause; irgendein Kerl, der sich vor einem halben Jahr öfter bei ihr sehen ließ, hat den Ausdruck geprägt, und Benny hat ihn übernommen. Das ist das Einzige, was von dem Macker damals geblieben ist, das heißt nein, es gibt im Küchenschrank noch eine grüne Blechbüchse mit goldenen Punkten drauf, in der mal Bonbons waren. Die hat der Mann bei einem seiner Besuche mitgebracht. Benny hätte sie längst weggeschmissen, er konnte den Macker nicht leiden, wie überhaupt die wenigsten von Mutters Bekannten, er steht bloß auf Ralf, aber Mella hängt an dem Kram. Sie hängt an Blechbüchsen, geflochtenen Körbchen, aber auch an großen Glitzerohrringen, an jeglichem Klimperzeug, eben ein Weib. Selbst Jessika, die zwölf ist, ein halbes Jahr jünger als Benny, liebt rote Teebüchsen, Armreifen aus buntem Plast und Blechketten um den Hals. Mit Jessika war er heute nach der Schule an der S-Bahnbrücke bei der Kaufhalle. Sie sind den Hang hinuntergeklettert, haben gequatscht, sich was zusammengesponnen. Wo sie hinfahren würden, wenn sie Westknete hätten und so. Obwohl Jessika ein Kaninchen ist und am liebsten mit ihren Kassetten im Bau hockt. Mit Jessika würde Benny schon mal was losmachen, wenn sie nur wollte, einen Fahrradtrip oder per Anhalter an die See. Was ganz anderes aber ist es mit Ralf, denn für den würde er sich eine Kerbe ins Bein schneiden lassen. War das eine Freude gewesen, als Ralf nach einem halben Jahr Abwesenheit wieder in Mellas Bude auftauchte, nach einem halben Jahr, als wäre er nie weggeblieben. „Na, Benny, wie wär's, wenn wir beide uns 'ne Kerbe ins Bein schneiden?“ „Können wir“, hat Benny da ganz ernsthaft erwidert, „sofort, wenn du willst.“ Damals, als Ralf bei ihnen wohnte, hat er nämlich immer behauptet, so richtige Freunde sollten sich 'ne Kerbe ins Bein schneiden, damit sie einander nie vergessen. Mella hat gegrient und gesagt: „Erzähl Benny nicht solchen Blödsinn, der ist so dumm und glaubt's.“ „Das verstehst du nicht, das ist Männersache, was Benny?“ Er hat genickt, glücklich genickt. Natürlich wusste er, dass es Blödsinn war, aber Ralf ist eben Ralf. Der einzige, der eine Ahnung vom Segeln hat, alles über Schiffe weiß, über Autos, über Computerspiele, der sich Zeit für ihn nimmt. Nicht genügend Zeit, aber immerhin. Seinetwegen hat sich Benny mit Hering verkracht, seinem besten Kumpel, es tut ihm nicht leid. Hering hat Ralf beleidigt und Mella und ihn, vor allem aber Ralf. „Du gehst mir auf den Senkel mit deinem Onkel, er kommt, weil er deine Mutter bocken will, genau wie alle andern, bloß dass er ihr mehr Geschenke macht.“ „Du Schwein, feiges Aas, deine Mutter lässt sich selber bocken.“ Sie sind mit Fäusten aufeinander losgegangen. In Wirklichkeit ist Herings Mutter (mit richtigem Namen heißt er Gilbert Herzring) anders als Mella, nämlich eine richtige Ehefrau. Benny weiß es durchaus, und er weiß auch, dass seine Mama wegen ihres Lebenswandels im Haus und überall schlecht angesehen ist. Selbst die Großmutter, die in Erkner wohnt, am Rande von Berlin, stöhnt über die vielen Kerle und den Leichtsinn der Tochter, wenn sie Benny gegenüber auch den Mund hält. Er bekommt es auf andere Art mit, durch Gespräche der Oma mit ihrer Freundin, Anspielungen im Haus und nicht zuletzt durch Mella selbst. Sie schickt ihn weg, wenn die Macker da sind, sie bleibt abends aus und kommt mitten in der Nacht mit einem wildfremden Mann heim. Manchmal ist für einen Monat Ruhe, gibt es keine Kerle, dann wieder tauchen innerhalb einer Woche gleich zwei Bekannte auf. Einmal hat er sie sogar beim Bocken überrascht, splitternackt sie und der Mann, später dann hat er durchs Schlüsselloch gespäht. Bis sie ihn erwischte und windelweich klopfte. Doch was geht das Hering an und was hat es mit Ralf zu tun, mit seinem großen einzigen Freund. Benny erhebt sich vom Bretterstapel, er hat sich überlegt, dass es nicht immer Streit gibt, wenn Ralf kommt, dass er jetzt oben sein kann und ihn nicht wegschicken wird. Später vielleicht ins Bett, aber das ist was anderes. Außerdem hat Benny Hunger. Er steuert das Haus an, in dem sie wohnen. Ein Altbau in einer alten Straße des Stadtbezirks Prenzlauer Berg, von vorn sieht er ganz passabel aus, wurde vor zwei Jahren neu verputzt, im Hinterhof aber ist er abgewrackt. Rußige Wände, Müllcontainer, die überquellen, Hundedreck, in der Mitte des Hofes ein kümmerliches Bäumchen. Benny sieht das jeden Tag, Benny denkt sich nichts dabei. Obwohl es schon dunkel ist, schaut die alte Frau Kent aus dem Fenster im linken Seitenflügel, als er vorbeigeht, und ihm entgegen kommt vom Seitengebäude rechts Familie Blettner. Er, Herr Blettner, steif aufgerichtet wie ein Stock - so läuft er immer - sie blässlich und krumm. Sie gehen aus, möglicherweise rüber nach Westberlin, sie hat da ihre Schwester, sagt Mutter. Sie konnte schon früher rüber, weil sie behindert ist, nur er durfte nicht, aber jetzt hat sich das ja geändert. Benny grüßt so höflich er kann, denn das ist ihm von Mella eingeschärft worden. Die Blettners sind wichtig, von ihnen borgt Mutter mitunter Geld. Frau Blettner grüßt freundlich zurück, Herr Blettner nickt nur kurz, wie er es immer tut. Heute sogar noch kürzer als sonst, er schaut Benny nicht an. Mächtig eingebildet ist er, arbeitet bei einer hohen Verwaltung und hält sich für was ganz Besonderes. Hoffentlich ist Ralf da, und hoffentlich streiten sie sich nicht wieder, denkt Benny erneut. Am Abend zuvor oder schon halb in der Nacht ist er von dem Krawall aufgewacht, den die beiden machten. Geschrei, Geschimpfe und vielleicht sogar Schläge. Jedenfalls hatte Mella am Morgen ein blaues Auge. Kaum aber saßen sie beim Frühstück, blafften sie sich schon wieder an. Weshalb nur können sich die beiden nicht vertragen. Eine Weile geht es gut, und plötzlich herrschen Mord und Totschlag. Dabei sind die anderen Kerle in den letzten Wochen weggeblieben, und überhaupt ist das eine Zeit nach dem Geschmack von Mella und Ralf. Behaupten sie ja selber. Die Grenze offen, Möglichkeiten, die man nie erhofft hätte. Demos, die Laune machen, alles ganz aufregend, da könnten sie doch zusammenhalten. Aber nein, sie brüllen sich an.“ Ebenfalls mit der Wende zu tun hat der 1992 im Wilhelm Heyne Verlag München und zwar als Nr. 02/2368 HEYNE BLAUE REIHE erschiene Kriminalroman „Die Leiche im Affenbrotbaum“ von Steffen Mohr. Allerdings spielt die Handlung dieses Buches nicht vorwiegend in dem gerade wiedervereinigten Deutschland, wie Politiker und viele andere Leute das nennen, sondern vorwiegend in Afrika: „Das hier“, erklärte Sall, „fanden wir in dem hohlen Affenbrotbaum." Er legte eine beredte Pause ein und begann dann, das Kuvert mit einer feierlichen Ruhe zu öffnen. „Und hier haben wir den zweiten greifbaren Fakt aus Ihrem Lügenmärchen: einen Zettel!“ Er hielt das linierte Blatt, aus einem Schreibheft herausgerissen, in seiner triumphierend erhobenen Hand. In deutscher Sprache und wieder aus vorgedruckten Buchstaben geschnitten und daraufgeklebt, las ich da: TÖTE DEN EVANGELISTEN. Dem Leipziger Journalisten Karl Bondel ist nach der Wende seine Frau mit einem westdeutschen Arzt durchgebrannt, seine Arbeit ist auch gefährdet. Er will einfach ausspannen und bucht einen teuren Urlaub im fernen Senegal. Dort holt ihn seine DDR-Vergangenheit ein und er lernt seine Stasispitzel kennen. Er verliebt sich neu und gerät in äußerst lebensgefährliche Abenteuer. Wir lernen Bondel kurz nach Beginn des Krimis von Steffen Mohr in einer ziemlich misslichen Situation kennen, in einem Verhör. Hören wir seine Gedanken: „Ich stellte mir kurz die Arrestzelle auf einem senegalesischen Polizeirevier vor. Aber ein Ostdeutscher oder Ossi, wie uns die ganze deutschsprachige Welt mit liebevoller Nachsicht nennt, kapituliert bereits an diesem Punkt einer Behördenbefragung und kommt, im Gegensatz zu dem viel weitläufigeren Wessi, nie auf den Satz, der etwa so oder ähnlich lautet: „Alle weiteren Auskünfte erteile ich nur in Gegenwart meines Anwalts.“ Wir hatten eben vierzig Jahre lang keine echten Rechtsanwälte, nur mehr oder weniger echte Linksanwälte. Also murmelte ich, mein unschuldigstes Gesicht aufsetzend und im Inneren auf jede List eingestellt: „Fragen Sie doch bitte, Monsieur. Es macht mir nichts.“ Über die jetzt schon glutheiße Schwelle des First-Class-Hotels huschte ein etwas zu großer Gecko. Wahrscheinlich war es aber ein vor Kurzem geborener Leguan, denn die Geckos sind scheuer. Der naive Leguan strolchte bis zu den Beinen unserer Rohrstühle hin, schnupperte nach dem Butterklecks auf meiner weißen Socke, flitzte jedoch gleich blitzartig nach draußen, als ich mit heftigem Ruck den Fuß fortzog. „Sie sind also Karl Bondel, wohnhaft in Leipzig, Karl-Liebknecht-Straße 263, von Beruf Journalist?“ Sall las die Textgrundlage aus meiner Hotelanmeldung und dem druckfrischen Reisepass ab, hielt beides jedoch in der weltweit verbreiteten Polizistenart, sodass ich keinen Blick darauf werfen konnte. Der Mann verstand sein Handwerk. „„Mon dieu!“, fuhr es ihm heraus. „Journalist!“ Er grinste breit: „Da muss ich ja vorsichtig sein. - Nun, können Sie diese Angaben bestätigen, Herr Bondel?“ „Ja. Trotzdem würde ich gern einmal wissen ...“ Er zeigte mir weiter sein geblecktes Gebiss. Tadellose, von keinem Zahnarzt versaute Arbeit der Natur. Durch die Zähne erfüllte er unbeirrt seine Fragepflicht: „Eingereist 26. Februar diesen Jahres aus Deutschland - ja?“ „Ja.“ „Geplanter Abflug und damit Beendigung des - aha, soso - touristischen Aufenthalts im Senegal am 20. März? Richtig?“ „Exakt. Ich muss ja schließlich wieder auf meiner Arbeitsstelle antraben.“ Er verlor kurz sein Lächeln und blickte mich für Augenblicke verständnislos an. Dann bleckte er wieder dieses Reklamegebiss, für das ihn die Colgate palmolivfarbene GmbH oder irgendeine andere Putzfirma in Deutschland mit Kusshand zum Fernsehen geholt hätte. Immerhin war er schon ein Mann in mittleren Jahren. „Bien“, sagte er. „Deutscher Fleiß - großer Preis! Ich schätze Ihre Einstellung.“ „Ohne Fleiß kein Preis“, korrigierte ich. „Und nun sagen Sie mir bitte endlich, warum ...“ Er klappte den grünen Pass zu. Mit einer sanften Geste stricher über den kleinen aufgedruckten Goldadler. „Über der Savanne“, meditierte er, „fliegen viele Milane, auch Falken, Kormorane und Pelikane. Ich aber hätte gern einmal in Deutschland die vielen Adler gesehen.“ Zu solchen idyllischen Vorstellungen über seine Heimat konnte ein echter Deutscher nur schweigen. Monsieur steckte meinen Pass in die adrette Außentasche seiner dunkelblauen Jackettbrust und fragte: „Wo hielten Sie sich heute Nacht auf, Herr Bondel? Bitte seit gestern Abend genau und, wenn möglich, mit Uhrzeit und eventuellen Zeugen. Es geht um ...“ Aus Anstand sprach er den Satz nicht zu Ende, sondern machte die international bekannte Geste des Halsabschneidens. Auf einmal ritt mich der Teufel. Da ich mich nicht des geringsten Verbrechens schuldig fühlte, legte ich ihm eine fantastische Geschichte hin. Die kam mir wie aus der Pistole geschossen.„Nach Einbruch der Dunkelheit - wann das genau war, können Sie leicht dem französischen Abreißkalender da an der Wand entnehmen - entfernte ich mich heimlich aus dem Hotel. Zeugen dafür gibt es keine, denn ich vermied es, von irgendjemand beobachtet zu werden. Ich nahm nicht den Weg hier an der Rezeption vorbei, wissen Sie, sondern stieg zwischen dem Toilettenhäuschen und dem Swimmingpool über die Mauer. Der dahinter aufragende Affenbrotbaum bot mir eine leichte Gelegenheit, an einem seiner herabgebogenen Äste leise wie auch gefahrlos auf die Straße zu gelangen. Über die Rue d'Aubert, die ich wegen der dort patrouillierenden Militärpolizei möglichst rasch überquerte, erreichte ich auf zahllosen schmutzigen Nebenstraßen den Hafen. Es gelang mir, die selbst zu dieser Stunde gewaltige Menge von Menschen abzuwimmeln, die mich anbettelten oder mir einen dieser bunten Armreifen verkaufen wollten. Im Dunkel eines abgelegenen Uferstücks, wo immer ein paar reparaturbedürftige Pirogen im Wasser schaukeln, traf ich meinen Mann. Er hockte im Schutz der überhängenden Palmenwedel auf einem der Kähne, dessen garantiert farbenfreudige Bemalung ich nicht erkennen konnte. Genauso wenig natürlich meinen Kurier, zumal er in der Art der Tuaregs einen riesigen Schal um das Gesicht geschlungen hatte. Es war aber sicher kein Tuareg, denn ich habe hier noch keinen einzigen gesehen. Der Mann sprach kein Wort, sondern reichte mir bloß das verschlossene Kuvert, das ich noch im Laufen öffnete. Im schwachen Schein des Lichts an meiner Armbanduhr entzifferte ich den in deutscher Sprache verfassten Inhalt der Botschaft. Da ich dabei die Uhr vor Augen hatte, weiß ich, dass es genau dreiundzwanzig Uhr siebzehn war, westafrikanischer Zeit natürlich. Auf dem von einer Cocaflasche aufgeweichten Zettel stand: >Als Teilnehmer der deutschen Herbstrevolution von 1989 bist du den Aufständischen herzlich willkommen. Frage im Nightclub nach Giselle. Alles Weitere erfährst du von ihr. Der revolutionäre Rat.< Ich aß das Papier, während ich mich eilig zur Stadt zurückwandte, in kleinen Stücken auf. Es schmeckte nach rohem Fisch und Leim ...“ Steffen Mohr hat seinem Krimi eine spannende Vorbemerkung vorangestellt, in der er auf geschickte Weise die wirkliche Wirklichkeit und die literarische Wirklichkeit seines Buches miteinander verknüpft und eine seiner Hauptfiguren aus dem Roman heraustreten lässt. St.M. (= Steffen Mohr) erklärt: „Figuren und Orte in diesem Buch sind reine Erfindungen zugunsten einer fantastischen Geschichte. Trotzdem gilt, was mir der Polizist Maguye Sall sagte: „... dass der Erzähler der unglaublichsten Märchen nie anders kann, als ein paar Funken Wahrheit in seine Lügen zu mischen.“ Allah möge mir verzeihen“, schreibt Steffen Mohr. Und die Leserin und der Leser mögen es mit wachsender Spannung genießen. Waren Sie eigentlich schon mal im Senegal? Oder in Breslau? Oder in Kronach? (Oder vielleicht sogar im Kosmos?) Weitere Informationen und Angaben finden Sie unter http://www.prseiten.de/pressefach/edition-digital/news/3829 sowie http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/. Über EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr: EDITION digital wurde 1994 gegründet und gibt neben E-Books Bücher über Mecklenburg-Vorpommern und von Autoren aus dem Bundesland heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen. Pressekontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Gisela Pekrul Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://www.edition-digital.de
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prseiten · 7 years
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Kein Offiziersbankett im Leningrader Hotel „Astoria“ - Zeitzeugenbericht von Erwin Johannes Bach bei EDITION digital
Wie konnten Leningrad und die Leningrader der 900-tägige Belagerung durch die deutsche Wehrmacht, finnische und spanische Truppen zwischen dem 8. September 1941 und dem 27. Januar 1944 trotz gewaltiger Opfer widerstehen? Und welche Lehren kann die gesamte Menschheit aus diesem erfolgreichen Widerstand ziehen? Sehr persönliche Antworten auf Fragen wie diese gibt der jetzt bei der EDITION digital sowohl als E-Book wie auch als gedruckte Ausgabe erschienene Zeitzeugenbericht „Das Wunder von Leningrad“ von Erwin Johannes Bach: „Es lässt sich nicht anders ausdrücken: Für die Stadt existierte der Krieg nicht. Es gab einen geheimen Bezirk, ein Reservat der Seele in jedem Leningrader, in welchem der Krieg nichtexistent war. Das geistige Leningrad, ganz auf den Krieg eingestellt und umgestellt, ignorierte den Krieg. Das kulturelle und das schöpferische Leben dieser Stadt ging weiter, als gäbe es keinen Krieg.“ Und so kam es niemals zu der schon offiziell terminierten Siegesparade auf dem Schlossplatz in Leningrad und zum Offiziersbankett im Hotel „Astoria“. „Die Stadt Leningrad, zerfasert und zerfleischt, deren letzten Lebensäußerungen noch der Krieg und die Blockade den Stempel aufdrückten, erkannte innerlich den Krieg nicht an“, schrieb Erwin Johannes Bach, der deutsche Musikwissenschaftler, Komponist und Schriftsteller, der sich wahrlich mit den Schrecken des 20. Jahrhunderts auskannte, sowohl von Hitler als auch von Stalin verfolgt wurde. „Das Wunder von Leningrad“, das auch einen ausführlichen „Nachsatz“ von Aljonna und Klaus Möckel zu dem Zeitzeugenbericht sowie weitere Texte und Briefe zum Leben und Schaffen von Erwin Johannes Bach enthält. ist sowohl unter edition-digital.de als auch im stationären und Online-Buchhandel zu haben. Erwin Johannes Bach wurde am 13. Oktober 1897 in Hildesheim geboren, wo er gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Hans aufwuchs und das Abitur ablegte. 1916 bis 1918 erlebte er die Schrecken des Ersten Weltkriegs als Soldat in Frankreich; besonders erschütterte ihn der Tod seines Bruders, der 1917 an der Front fiel. Von 1921 bis 1926 studierte er in Berlin Musikwissenschaft und Philosophie und war danach als Konzertpianist, Musikpädagoge und Schriftsteller tätig. 1929 veröffentlichte er sein wichtigstes Werk „Die vollendete Klaviertechnik“. Ein bereits begonnener Lehr- und Dokumentarfilm mit Zeitlupenaufnahmen wurde 1933 von den Nationalsozialisten jäh abgebrochen. Als Jude und Kommunist 1934 mit seiner jungen Frau vor den Nationalsozialisten in die UdSSR geflohen, geriet er dort in die Stalinschen „Säuberungen“, erlebte Erniedrigung und Verbannung. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die mittlerweile fünfköpfige Familie zeitweilig getrennt. Nach dem Vormarsch deutscher Truppen auf Moskau wurden Bach, seine Frau und die 1941 geborene Tochter Aljonna (jetzt Möckel) nach Leningrad evakuiert. Die beiden Söhne wurden in ein Kinderheim nahe Jaroslawl gebracht. 1947 kehrte die Familie nach Deutschland zurück, wo Bach die Leitung der Internationalen Musikbibliothek in Berlin übernahm. Er unterrichtete Meisterschüler aus dem In- und Ausland im Klavierspiel, übersetzte Gedichte und humoristische Prosa aus dem Russischen und beendete 1956 die Arbeit am „Sinfonischen Fresko“ RUF AN DIE MENSCHHEIT, nachdem seine ersten drei Sinfonien durch Flucht und Krieg verlorengingen. Nach einem Schlaganfall, der zum Verlust seiner pianistischen Fähigkeiten führte, unternahm er einen Suizidversuch und verstarb wenig später am 9. August 1961 in Berlin. Titelbilder können Sie unter http://www.edition-digital.de/Presse herunterladen. Weitere Informationen und Angaben finden Sie unter http://www.prseiten.de/pressefach/editiondigital/news/3871 sowie http://edition-digital.de/Bach/Leningrad/. Über EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr: Die vor 23 Jahren von Gisela und Sören Pekrul gegründete EDITION digital hat sich seit 2011 verstärkt dem E-Book verschrieben, verlegt aber inzwischen auch zahlreiche gedruckte Bücher – zumeist gleichzeitig als gedruckte und digitale Ausgabe desselben Titels. Zudem bringt sie Handwerks- und Berufszeichen heraus. Insgesamt umfasst das Verlagsangebot derzeit fast 900 Titel (Stand November 2017) von 120 DDR- und anderen Autoren, wie Wolfgang Held, Klaus Möckel, Wolfgang Schreyer und Erik Neutsch sowie den SF-Autoren Carlos Rasch, Heiner Rank, Alexander Kröger und Karsten Kruschel. Nachzulesen ist das Gesamtprogramm unter www.edition-digital.de. Jährlich erscheinen rund 100 E-Books und 15 gedruckte Bücher neu. Firmenkontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://edition-digital.de/Bach/Leningrad/ Pressekontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Gisela Pekrul Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://www.edition-digital.de
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prseiten · 7 years
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Kein Offiziersbankett im Leningrader Hotel „Astoria“ - Zeitzeugenbericht von Erwin Johannes Bach bei EDITION digital
Wie konnten Leningrad und die Leningrader der 900-tägige Belagerung durch die deutsche Wehrmacht, finnische und spanische Truppen zwischen dem 8. September 1941 und dem 27. Januar 1944 trotz gewaltiger Opfer widerstehen? Und welche Lehren kann die gesamte Menschheit aus diesem erfolgreichen Widerstand ziehen? Sehr persönliche Antworten auf Fragen wie diese gibt der jetzt bei der EDITION digital sowohl als E-Book wie auch als gedruckte Ausgabe erschienene Zeitzeugenbericht „Das Wunder von Leningrad“ von Erwin Johannes Bach: „Es lässt sich nicht anders ausdrücken: Für die Stadt existierte der Krieg nicht. Es gab einen geheimen Bezirk, ein Reservat der Seele in jedem Leningrader, in welchem der Krieg nichtexistent war. Das geistige Leningrad, ganz auf den Krieg eingestellt und umgestellt, ignorierte den Krieg. Das kulturelle und das schöpferische Leben dieser Stadt ging weiter, als gäbe es keinen Krieg.“ Und so kam es niemals zu der schon offiziell terminierten Siegesparade auf dem Schlossplatz in Leningrad und zum Offiziersbankett im Hotel „Astoria“. „Die Stadt Leningrad, zerfasert und zerfleischt, deren letzten Lebensäußerungen noch der Krieg und die Blockade den Stempel aufdrückten, erkannte innerlich den Krieg nicht an“, schrieb Erwin Johannes Bach, der deutsche Musikwissenschaftler, Komponist und Schriftsteller, der sich wahrlich mit den Schrecken des 20. Jahrhunderts auskannte, sowohl von Hitler als auch von Stalin verfolgt wurde. „Das Wunder von Leningrad“, das auch einen ausführlichen „Nachsatz“ von Aljonna und Klaus Möckel zu dem Zeitzeugenbericht sowie weitere Texte und Briefe zum Leben und Schaffen von Erwin Johannes Bach enthält. ist sowohl unter edition-digital.de als auch im stationären und Online-Buchhandel zu haben. Erwin Johannes Bach wurde am 13. Oktober 1897 in Hildesheim geboren, wo er gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Hans aufwuchs und das Abitur ablegte. 1916 bis 1918 erlebte er die Schrecken des Ersten Weltkriegs als Soldat in Frankreich; besonders erschütterte ihn der Tod seines Bruders, der 1917 an der Front fiel. Von 1921 bis 1926 studierte er in Berlin Musikwissenschaft und Philosophie und war danach als Konzertpianist, Musikpädagoge und Schriftsteller tätig. 1929 veröffentlichte er sein wichtigstes Werk „Die vollendete Klaviertechnik“. Ein bereits begonnener Lehr- und Dokumentarfilm mit Zeitlupenaufnahmen wurde 1933 von den Nationalsozialisten jäh abgebrochen. Als Jude und Kommunist 1934 mit seiner jungen Frau vor den Nationalsozialisten in die UdSSR geflohen, geriet er dort in die Stalinschen „Säuberungen“, erlebte Erniedrigung und Verbannung. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die mittlerweile fünfköpfige Familie zeitweilig getrennt. Nach dem Vormarsch deutscher Truppen auf Moskau wurden Bach, seine Frau und die 1941 geborene Tochter Aljonna (jetzt Möckel) nach Leningrad evakuiert. Die beiden Söhne wurden in ein Kinderheim nahe Jaroslawl gebracht. 1947 kehrte die Familie nach Deutschland zurück, wo Bach die Leitung der Internationalen Musikbibliothek in Berlin übernahm. Er unterrichtete Meisterschüler aus dem In- und Ausland im Klavierspiel, übersetzte Gedichte und humoristische Prosa aus dem Russischen und beendete 1956 die Arbeit am „Sinfonischen Fresko“ RUF AN DIE MENSCHHEIT, nachdem seine ersten drei Sinfonien durch Flucht und Krieg verlorengingen. Nach einem Schlaganfall, der zum Verlust seiner pianistischen Fähigkeiten führte, unternahm er einen Suizidversuch und verstarb wenig später am 9. August 1961 in Berlin. Titelbilder können Sie unter http://www.edition-digital.de/Presse herunterladen. Weitere Informationen und Angaben finden Sie unter http://www.prseiten.de/pressefach/editiondigital/news/3871 sowie http://edition-digital.de/Bach/Leningrad/. Über EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr: Die vor 23 Jahren von Gisela und Sören Pekrul gegründete EDITION digital hat sich seit 2011 verstärkt dem E-Book verschrieben, verlegt aber inzwischen auch zahlreiche gedruckte Bücher – zumeist gleichzeitig als gedruckte und digitale Ausgabe desselben Titels. Zudem bringt sie Handwerks- und Berufszeichen heraus. Insgesamt umfasst das Verlagsangebot derzeit fast 900 Titel (Stand November 2017) von 120 DDR- und anderen Autoren, wie Wolfgang Held, Klaus Möckel, Wolfgang Schreyer und Erik Neutsch sowie den SF-Autoren Carlos Rasch, Heiner Rank, Alexander Kröger und Karsten Kruschel. Nachzulesen ist das Gesamtprogramm unter www.edition-digital.de. Jährlich erscheinen rund 100 E-Books und 15 gedruckte Bücher neu. Firmenkontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://edition-digital.de/Bach/Leningrad/ Pressekontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Gisela Pekrul Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://www.edition-digital.de
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informer82 · 5 years
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Titel: ROMEO UND JULIA - Theater Osnabrück Text: ROMEO UND JULIA Tragödie von William Shakespeare Deutsch von Marius von Mayenburg -Inhalt- Zwei Familien, verfeindet bis auf den Tod, in einer Stadt, wo „Bürgerblut die Bürgerhand befleckt“. Die einzige Hoffnung liegt in zwei jungen Menschen, die sich – noch frei von alten Vorurteilen, Hass und Rache – bedingungslos ineinander verlieben. Die Größe ihrer Gefühle lässt ihre Namen zum Symbol für eine Liebe gegen alle Widrigkeiten werden: ROMEO UND JULIA. Die Tragödie von William Shakespeare, entstanden 1594–96, zählt zu seinen bekanntesten Werken und hat seit ihrer Uraufführung zahllose Künstler*innen zu Interpretationen in Theater, Film, Fernsehen, Bildender Kunst und Musik inspiriert. In der heutigen Gesellschaft, in der das Gefühl der Spaltung, der unüberwindlichen Gegensätze immer größer wird, sind dieser Klassiker und die Fragen, die er an uns stellt, akuter denn je: Was entzweit uns? Warum macht Hass so blind und entwickelt so schnell eine gefährliche Eigendynamik? Und wie kann uns ein Neuanfang gelingen? Walter Meierjohann, geboren 1971, kann in seiner Inszenierung auf seine internationalen Erfahrungen zurückgreifen. Geboren in Amsterdam und aufgewachsen in Holland, den USA und Deutschland, war er zuletzt von 2013–2018 Intendant des HOME Theaters in Manchester, das er mit einer großangelegten Inszenierung von ROMEO UND JULIA eröffnete, die an verschiedenen Orten in dem historischen Schwimmbad „Victoria Baths“ stattfand. Neben weiteren Arbeiten in Großbritannien wie KAFKAS MONKEY (nach BERICHT AN SEINE AKADEMIE), arbeitete er auch in Deutschland, u. a. am Residenztheater München, dem Staatstheater Dresden und dem Theater Freiburg. ROMEO UND JULIA ist seine erste Arbeit am Theater Osnabrück. Der international erfolgreiche Musiker Benjamin Lackner entwickelt speziell für die Osnabrücker Inszenierung eine atmosphärisch dichte Bühnenmusik zwischen jugendlichem Überschwang und der Zartheit der Liebe. -Besetzung- Inszenierung: Walter Meierjohann Bühne: Steffi Wurster Kostüme: Hannah Petersen Musik: Benjamin Lackner Choreografie: Ana Torre Kampfchoreografie: Jean-Loup Fourure Dramaturgie: Jens Peters Theaterpädagogische Betreuung: Sophia Grüdelbach Romeo: Julius Janosch Schulte Julia: Juliane Böttger Lady Capulet: Christina Dom Mercutio: Philippe Thelen Benvolio: Mick Riesbeck Tybalt: Stefan Haschke Amme: Cornelia Kempers Bruder Lorenzo: Ronald Funke Paris: Andreas Möckel Montague: Klaus Fischer Escalus (Stimme): Thomas Kienast Statisterie des Theaters Osnabrück ℗ Filmproduktion Siegersbusch, Wuppertal, Hochgeladen von: Theater Osnabrueck, https://ift.tt/2bg6CEt
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informer82 · 5 years
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Titel: KAFKA - Theater Osnabrück Text: KAFKA Uraufführung / Nach Franz Kafka -Inhalt- „Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ Ein Mann namens Kafka lebt als Sohn jüdischer Kaufleute in Prag und arbeitet als Spezialist mit hohem technischen Verständnis bei einer Versicherung. Ein geregeltes Leben, könnte man denken. Er verliebt sich auch, verlobt sich sogar, nur eine Hochzeit findet nicht statt. Schreibend ringt er um seine Existenz, er erzählt „vor dem Gesetz“ und „auf der Galerie“, wird zu einem „ungeheuren Ungeziefer verwandelt“, ist ein „Hungerkünstler“ in einem eigenartigen Zirkus und immer wieder wird ihm scheinbar grundlos „der Prozess“ gemacht. Es sind faszinierende und unheimliche Geschichten von Helden, die Kafka selbst ähnlich scheinen, einsam und sensibel, von einer geheimnisvollen Macht angegriffen und verurteilt. Der übermächtige Vater spielt eine wichtige Rolle, genauso wie das 20. Jahrhundert selbst, das seinen Lauf nimmt. Menschen geraten in die Mechanismen eines gewaltigen Apparates, dem sie ausgeliefert sind. Vielleicht kann eine Frau Josef K. oder Franz Kafka retten. Viele unterschiedliche Künstler*innen ließen sich zu eigenen Fantasien über Kafka und seine Texte inspirieren. Filmemacher wie Orson Welles, Terry Gilliam, David Lynch und Steven Soderbergh oder auch der Comicautor Robert Crumb widmeten sich ihm auf unterschiedliche Weise. Schauspieldirektor Dominique Schnizer verschränkt in seinem fiktiven Thriller entlang des Romans DER PROZESS die Biografie von Franz Kafka mit seinen Geschichten, den Briefen und den Tagebüchern und gestaltet so eine poetische und albtraumhafte, hellsichtige und spannende Uraufführung zu Leben, Lieben und Schreiben eines großen Künstlers. -Besetzung- Inszenierung: Dominique Schnizer Bühne, Kostüme: Christin Treunert Musik: Ernst Bechert Dramaturgie: Karin Nissen-Rizvani Kafka: Philippe Thelen Der Mann: Thomas Kienast Die Frau: Cornelia Kempers Die Klavierspielerin: Hannah Walther Der Direktor: Klaus Fischer Die Angestellte: Katharina Kessler Der Kollege: Julius Janosch Schulte Der Mann im Pelz: Johannes Bussler Der Advokat: Andreas Möckel ℗ Filmproduktion Siegersbusch, Wuppertal, Hochgeladen von: Theater Osnabrueck, https://ift.tt/2bg6CEt
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informer82 · 5 years
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Titel: KÖNIG LEAR - Theater Osnabrück Text: KÖNIG LEAR William Shakespeare Deutsch von Frank Günther -Inhalt- Ein Reich zerfällt und ein Neuanfang ist nicht in Sicht. Denn es ist die Kälte, die den Platz einnimmt, den Lear voreilig verlassen hat. Er glaubte sich durch eine einfache Prüfung ein Altern in Würde und Ehre zu sichern: Welche seiner drei Töchter liebt ihn am meisten? Doch genau diese Frage legt Lears eklatantes Missverständnis des menschlichen Zusammenlebens frei, auf dem seine Regierung und sein Familienleben fußten. Denn Liebe lässt sich nicht quantifizieren – was messbar ist, was sich auszuzeichnen sucht, wie die Bekundungen seiner beiden ältesten Töchter Goneril und Regan, ist nur äußerlich, ist nur Heuchelei. Nur seine jüngste Tochter Cordelia ist ehrlich – aber liegt hier Zuneigung zum alternden Vater? Oder nicht doch eher kalte Selbstgerechtigkeit? Lear wird verstoßen, verlassen und erkennt im Moment der größten Unbehaustheit, im Sturm auf der Heide: „Gestatte der Natur nicht mehr, als die Natur auch braucht. / Ein Menschenleben ist so billig wie das eines Tiers.“ Vielleicht gibt es Hoffnung, in Gestalt von Edgar, der sich – obwohl von ihm verstoßen – liebevoll und inkognito um seinen geblendeten Vater Gloster kümmert, der ebenso hochfahrend wie Lear mit seinen Kindern verfahren ist. Doch diese Hoffnung bleibt fragil und die Zukunft bis zum Ende ungewiss: „Unter der Last der schlimmen Jahre sind wir schwer entartet, / Wir müssen lernen, was uns drückt zu sagen, nicht, was man erwartet.“ Kann bei solch einer Hypothek ein Neuanfang gelingen? Dominique Schnizer beschließt im Schauspiel die Spielzeit 2018/19 mit Shakespeares berühmtem Endspiel. Nach NATHAN DER WEISE und MEDEA² befragt er wieder einen der ganz großen Klassiker auf seine Aktualität in einem Jahr, in dem sich das Ende des Ersten Weltkriegs, der Zerfall einer alten und die schwierige Geburt einer neuen Ordnung in der Revolution von 1918 zum 100. Mal jährt. -Besetzung- Inszenierung: Dominique Schnizer Bühne, Kostüme: Christin Treunert Dramaturgie: Karin Nissen-Rizvani König Lear: Ronald Funke Goneril: Christina Dom Regan: Denise Matthey Cordelia: Juliane Böttger Gloucester: Cornelia Kempers Edmund, der Bastard: Andreas Möckel Edgar, Gloucesters Sohn: Mick Riesbeck Kent: Stefan Haschke Der Narr: Johannes Bussler Der alte Mann: Klaus Fischer Das Kind: Julius Funke / Clara Möckel ℗ Filmproduktion Siegersbusch, Wuppertal, Hochgeladen von: Theater Osnabrueck, http://bit.ly/2bg6CEt
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