Tumgik
#Suchtmittelkontakt
agatha-abstinent · 6 years
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Tag 1474 / Ficke ich den Alkohol oder fickt der Alkohol mich
wenn ich mit jemand ficke, der vom Alkohol gefickt ist?
Von Beginn der Begegnung an überlegen gefühlt. Möglicherweise daher nicht glaubwürdig die Devote spielen können. Abstinenz ließ mich wachsen, an innerer Stärke gewinnen und nun bin ich zu groß für die meisten Männer, Situationen, Arbeitsplätze. Im Beginn der Begegnung auf seine Nase gestoßen. Leicht rötlich, stellenweise unregelmäßige Farbverteilung, unregelmäßige Großporigkeit. Eine Nase, wie Alkoholkonsum sie deformieren kann. "Ich trinke abends gerne Wein." Aber dass das für uns keine Rolle spielen müsse. Ist das so? Spielt es nicht doch eine Rolle mit, für, zwischen uns, wenn ich mit jemandem intim werde, der regelmäßig Alkohol trinkt? Er war gut in sehr vielen dieser intimen Dinge. Der Akt des Geschlechtsverkehrs war mir zu kurz. In meiner Position dürfte ich das nicht so oft betonen. An Ludwigs Vorhaut habe ich keine Erinnerung. Cliffs störte mich irgendwann. Nach körperlicher Interaktion (Kosmetik, Massage, Sex) geht es mir meist sehr viel besser. Ich fühle mich schöner, dünner, (noch) größer, sexy, schlau, stark. Das Flirt-Fon zu Hause gelassen. Mit dem Arbeits-Apparat angerufen. Jetzt bin ich da also auch gespeichert als Nummer in der Liste ausgehender Anrufe. Erst rief er mit unterdrückter Anrufer-ID an. Und dann nochmal mit. Reflexartig hatte ich auf "Ablehnen" getippt, aber die Nummer im Internet gesucht und gefunden, alles transparent. Was macht ihn so verpeilt, so unvorsichtig? Das Alter? Die Aufregung? Die Geilheit? Der Alkohol? Kontrollverlust. Nachlässig werden. Überarbeitet? Durch? So wie ich? Im Januar hatte ich schon "47 Monate trocken" geschrieben, es jetzt erst korrigiert. Fataler Fehler über einen Monat lang online. So wie über drei Monate schon der Eintrag vom 27.01.2014 falsch offline ist, als nicht-jugendfreier Inhalt deklariert. Irgendwas riecht hier nach Sperma. Dabei hatte ich geduscht danach. ... Ich will keinen, der sich selbst diese speziellen Spitznamen gibt. Vielleicht bin ich zu sehr Bedenkenträgerin für dieses Spiel.
Cliff hat viel mehr Geld als ich. Viel mehr beruflichen Erfolg. Viel mehr Freunde. Er wird viel mehr gereist sein, hat ein Auto, hat noch mehr Sextoys als ich. Und doch will ich nicht tauschen. Ich denke, eigentlich ist er unglücklich(er) als ich, unfreier. Geekelt - neue Bilder von ihm. Geekelt, weil er weiter zu suchen scheint, weil sein Gesicht plötzlich da online erscheint, auf der Datingplattform das gleiche wie auf seiner Arbeitswebsite. Eindruck eines noch krasseren Kontrollverlusts. Was sollen die Kinder denken? Die feste Freundin? Die Kollegen? Mit wem bespricht er, wenn so ne App-Tussie rumzickt, weil er es nicht rafft, dass die Upload-Zeit seiner Fotos angezeigt wird?
Ich hätte ihn gern exklusiv und auch nicht. Ich denke, ich brauch's noch krasser und auch nicht. Ich habe blaue Flecken am Busen, am Po. Wir waren sehr zärtlich auch.
Ficke ich den Alkohol oder fickt der Alkohol mich, wenn ich mit jemand ficke, der vom Alkohol gefickt ist?
"The drink you spilt all over me" "It drives you crazy getting old" "I've never felt more alone"
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Lorde Ribs https://www.youtube.com/watch?v=os13bj4xKbQ
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Es wird schwer, jemanden zu finden, eben weil das besondere Menschen sind, die Abstinenten. Weil die anders denken, reden, reflektieren, sie ehrlich sind. Wie tiefgründig Hanno denkt, spricht, wie reif und groß.
Dagegen sind nicht nur Schauspieler Schauspieler.
Es wird schwer, weil ich eben klar bin und ein gutes Gedächtnis habe und die Dinge nehme, wie sie gesagt wurden. Weil viele heute so und morgen so sind. Weil die oft so tun als ob. Mit Kollegen tun als ob. Mit Partner tun als ob. Weil manche vielleicht nur beim Therapeuten ehrlich sind oder nicht mal da. Ich bin überall ehrlich. Aufrichtig. Ich kann was verschweigen. Dass ich den gegoogelt habe. Dass ich Alkoholikerin bin. Ich kann nicht verschweigen, dass mich das irritiert hat. Dem den Spiegel vorhalten. Fühlt sich für mich scheiße an. Ist aber stark, mutig, direkt, ehrlich.
Nicht anderen zum Gefallen gelebt haben am Ende denken. Ich glaube, die wenigsten sind sie selbst. Der Cliff auch die wenigsten Momente des Tages.
Es wird schwer mit Affäre, Ehe, Arbeit, Freundschaft. Weil Trockenheit meinen Anspruch gesteigert hat. Weil ich hohes menschliches Niveau erwarte. Weil ich hochwertig bin. Und mich nicht larifari daherschenke.
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agatha-abstinent · 7 years
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Tag 780 / Mit dem Ende der Besuchszeit kommt das Schreiben zurück
Die Krassen, Kaputten, Verlebten am Leopoldplatz, die eine mit den vielen unkontrollierten Zuckungen, die andere mit den unrhythmischen, abgehackten Bewegungen und dem ausgemergelten Gesicht und auch die rauchende Schwangere verdeutlichen mir, wohin meine Krankheit führt, wenn ich sie nicht weiter in dem derzeitigen Stillstand halte.
Es kommt nicht auf die Menge an, nicht auf die Prozente in der Flasche, noch nicht mal auf die Frequenz, Alkohol zerstört - Leben, Gehirnzellen, Seelenheil, das Wertesystem.
Dieses muss doch voll im Arsch sein, wenn man verantwortungslos unsafen Sex hat mit jemandem, der fest verpartnert ist. Geht ja auch um sexuell übertragbare Infektionen. "Verrohung der Gesellschaft" sagt der Minister.
Auch Verrohung ist ein Suchtfolgeschaden.
Tränen als es ums Mithalten geht, Funktionieren, nicht schon wieder krank sein können.
Denken, alles muss doch laufen jetzt, trocken muss es doch leicht fallen, fällt aber schwerer.
Heute Mittag in der U-Bahn: Die Geräusche All die Gesprächsfetzen Die Gesten zum Gesprochenen Die Berührungen Der Kleidersack Der Mantel Die Tasche
Nach vorn gekrümmt gesessen, Musik an, "All my pride", an das Zentrum für sexuelle Gesundheit gedacht an den Tag da (Tag 571), als die Haare noch sehr lang waren.
An Dr. Sexy gedacht, ob ich hin muss, wegen dieses inneren Zitterns und Zuckens. Freitag. Und heute wieder. Alles viel zu viel. Gestern den Eindruck des leiseren Tinnitus. Ob das durch die OP kommt, die Schmerzmittel?
Tränen, Tränen Nasse Wange Tempo
Selbstliebe Sucht nach Anerkennung - kenn ich.
Ich bin nicht traurig. Ich bin ergriffen, berührt. Weil ich schon in der U-Bahn beim Zittern dachte, dass mir das Meeting gut tun wird. Dass da kein Durcheinandergerede ist. Dass die Sprechenden wenig gestikulieren. Ein Segen, diesen Ort gefunden zu haben. Für immer.
"Amplify your life" - ein Whiskey. "This is living" - ein Bier. "The sunny side of life" - ein Likör.
Alkohol ist das Gegenteil von Leben.
Das ist und bleibt irreführende Werbung. (Tag 450)
"Trinken ist Nichtsein," sagt einer. Weil unbewusst. Nichttrinken ist Sein, ist Leben.
Und das seh ich nicht nur für Alkoholabhängige so. Unbewusst, bewusstseinsgetrübt bei allen Gelegenheiten: Konfirmation, Geburtstag, Hochzeit, Abiball, Urlaub, Sex.
Abstinenz ist eine Lebenseinstellung, eine bewusste Art zu leben für mich geworden.
Ich spüre mich. Und die Hand auf meiner Schulter von der älteren Frau. "Wie geht’s dir?" Ich bin hier angenommen. Das rührt mich. Immer noch.
Das Grüßen Das Lächeln Das Nicken Das bleibt.
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Früher in Trockenheit: Ach, wie krieg ich den Abend bloß rum? Heute in Trockenheit: Schade, dass der Abend so kurz ist. Ich möchte kochen, Wii spielen, bloggen, App hören, Sexchatten, wichsen, lesen.
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Das Bier in der Hand, das Bier auf dem Plakat. Wenig Abwehr seit der OP. Scheißegal. Ist mir fremd diese Biertoleranz. Bei dem Bierblog der FAZ, da wächst wieder Empörung. Aber die Flaschen sehen echt nahezu attraktiv aus. Wie der eine meinte: "Die Sucht ist ein Motor. Und der Motor braucht Stoff, damit er läuft." Dieses Abgespeicherte. Dieses tief im Unterbewusstsein Verankerte. Mit jedem einzelnen Trinken immer fester reinzementiert: Trinken erleichtert, trinken erfreut, trinken macht stark, mutig, schön...
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"Du hier?" So tun, als sei das "ihr" Meetingraum. Alter, das nervt!
Und was mach ich? "Ja, klar, mal Kaffeetrinken können wir." "Ja, ich bin manchmal distanziert."
Man und ich bin manchmal total bescheuert und sage jemandem nicht wie bescheuert ich ihn/sie finde. Meine Mutter finde ich hunderte tausendmal weniger bescheuert und trotzdem sag ich ihr mindestens einmal täglich, wenn sie da ist: "Das fand ich doof", "Das fand ich unmöglich"...
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Es ist ganz klar, ganz logisch, ganz organisch, ganz normal, dass ich jetzt Telefonsex hatte. Ich reagiere mich sexuell ab, wenn Leute lange zu Besuch waren. Früher hab ich mich mit Alkohol abgeschossen, um den Abschiedsschmerz nicht zu spüren. Heute ist es hin und wieder, nicht immer, Eskapismus in die Chatwelt. Ich tu dabei keinem weh. Ich kann mir keine STI holen. Ich brauche mich nicht zu schämen.
#happysobermoment des Tages, nicht der Orgasmus, sondern das Überqueren der sechsspurigen Straße auf dem Heimweg vom Meeting. Cool-Moment. Ich, die coole trockene Alkoholikerin. Cool weil super Super weil sober Supreme weil supersober
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agatha-abstinent · 8 years
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Tag 729 / 7 Euro Pfand, Radtour nach Hohenschönhausen, DVD, Flammkuchen
Schwer mit mir gekämpft, ob ich heute überhaupt vor die Tür gehe. Nicht nur, weil ich mich mit Pfandflaschen im Wert von 7 Euro schäme. Das waren noch nicht mal alle leeren Flaschen, die bei mir rumliegen. Der Mann vor mir an der Kasse kauft nur Bier. Neun 0,5er-Flaschen liegen vor meinem Einkauf. Neben mir, dem Flachmann- und dem Süßigkeitenregal ein neuer Aufsteller für buntes Wassereis mit Alkohol. Vor der Empörung war kurz der Gedanke: "Könnte man ja mal ausprobieren."
Auf der Konrad-Wolf-Straße war ich nie besoffen. Neues, Unbelastetes entdecken, abstinente Erfahrungen, erste kleine Radtour in diesem Jahr am bisher wohl wärmsten Tag. Staubsaugen kann ich auch morgen noch.
Mir im Meeting über einiges klar geworden. Dass die Empfindlichkeit und der Suchtdruck mit dem MRT-Abbruch zusammenhängen könnten. Dass unter Stress auch bei anderen die Geräuschempfindlichkeit steigt. Dass es etwas anderes ist, ob die Off-Stimme in der Doku mehrmals sagt, Alkoholismus sei eine lebenslange Krankheit oder ob ich sage "Ich bin Alkoholikerin und ich bleibe Alkoholikerin.". Gestern mehrfach heftig geheult während der sehr, sehr guten "Morbus-Mecklenburg"-Sendung. Im Meeting wird erzählt: Bei einem ist die Sucht wieder ausgebrochen, der Schmerzmittel bekam. Und ich kann mir vorstellen, dass ich auch so drauf wäre: Mal gucken, ob nichts passiert, wenn sie mir das spritzen, wenn sie mir die Tabletten mitgeben. Der eigenen Entwicklung bewusst geworden, als ich mir das Formular "Versicherten-Fragebogen zur Selbsteinschätzung für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben" angesehen habe. Ich werde jetzt für den bevorstehenden Beratungstermin einiges anders ankreuzen, einiges anders ausfüllen als vor einem Jahr (für Tag 433). Erstmals zehn Minuten oder sogar länger gesprochen.
Im Briefkasten zu Hause ein Wortwitzflyer - Einkehr mit W davor, Zellgiftgetränk "genießen und Kiez erleben". Ich erlebe diesen Kiez und den in Hohenschönhausen und all die anderen nur, wenn ich trocken bleibe. Die Pro-Abstinenz-Liste ist viel, viel, um Seiten länger als die Contra-Liste, sagte ich in der AA-Gruppe. Und trotzdem fällt es mir momentan unendlich schwer, das zu fühlen, das zu realisieren. Selbstportraitfotos helfen dabei! Vorhin am See, jetzt im Treppenhaus. Ich finde mich schön heute, am 4. März 2017, auch wenn Außen und Innen nicht deckungsgleich sind.
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agatha-abstinent · 8 years
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Tag 708 / Selbstentfremdungserleben
Balkon: Unzufriedenheitsimpuls am Morgen. Dabei sollte ich dankbar sein, danken, dass ich heute trocken erwacht bin, dass ich diese Wohnung habe, meine Katze.
Supermarkt: Samstagnachmittag im Einkaufszentrum. Unangenehm. Zu spät - muss ich jetzt durch. Selbst schuld: Rückzug gestern. Pärchen, Familien, Freunde kaufen ein. Gedränge vorm Spirituosengang. Der sieht aus wie ein Alkoholiker. Von der Haut her und so dünn. Kauft zwei Sorten SpreeQuell mit Geschmack. Und ein paar andere Sachen. Und der wiederum sieht aus wie drogenabhängig. So ausgemergelt, so knochig, wirkt fahrig. Steht vor den Doseneintöpfen, -suppen, -ravioli. Zählt Geld in der Hand. Geht schließlich ohne Essen. Er erinnert mich an jemanden. Von AA, NA, Suchtklinik, Nachsorge? Komme nicht drauf. Ich kaufe viel zu viel. Viel zu viel zum Schleppen. Noch viel schwerer als der Weihnachtsbaum, der größer war als ich. Ich kaufe genau die richtigen Sachen. Kein Sekt, kein Wein, kein Bier. Valentinstag ist auch ein Anlass, um mit Alkoholika- und Süßigkeitenaufstellern die Supermarktgänge zu verengen. Karneval natürlich auch.
Meeting: Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin müde. Es wäre besser, wenn ich was sage. Besser für mich. Jetzt fällt mir ein, an wen mich der eine im Supermarkt erinnert hat. An den Aristeides aus einem der modernen AA-Meetings. Als ich dran bin, sage ich unter Tränen, ich könne jetzt nicht sprechen. Eben haben sich zwei angegriffen. Hin- und her. Der eine dem anderen in die Aussage reingelabert und dann die ihre Worte ausgetauscht, bei mir die Anspannung hoch, das Zittern an, das Herzrasen, die Überforderung. „Ich komme hier her, weil ich nicht saufen möchte, weil ich trocken bleiben will und nicht an dieser scheiß Krankheit sterben möchte.“ Vorgestern in dem Meeting zwei Frauen gegen eine. Heute ein Mann gegen den anderen. Wir sind doch alles zarte Seelen. Kranke Alkoholiker. Nur für heute trocken. Der Zurückgefallene war auch da. Habe ihn umarmt. Normalerweise umarmen wir beide uns nicht. „Schön, dass du da bist.“ Der ist noch auf der Entgiftungsstation. Ein anderer soll ihn nachher lieber dahin zurückbegleiten. Der andere wird es machen, klang aber etwas wiederwillig. Der Zurückgefallene bekommt jetzt Diazepam. Und was denk ich? - Hab ich davon nicht auch noch einige zu Hause? So wie Naltrexon, Mirtazapin, Fluoxetin, Trimipramin, Cipralex, Doxepin... Ich habe noch eine Menge Pillen zu Hause, mit denen man wahrscheinlich eine ganze Fußballmannschaft kurzfristig, langfristig oder endgültig lahmlegen könnte. - Gedankenblitz, ihm meine Diazepamschachtel anzubieten. Die Idee verpuffen lassen. Tschüss gesagt.
Bett: Achtsam hören: Die Gastherme, die Heizung, das Schwanzwedeln der Katze, ein Rauschen im Ohr. Achtsam fühlen: Der Katzenhals, meine Stoppeln oberhalb des Schambereichs, mein dezimiertes Bauchfett.
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Lily Allen The fear https://www.youtube.com/watch?v=AG9C69Dg2QU
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agatha-abstinent · 6 years
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Tag 1290 / Die Geschichte erzählen
Man kann die Geschichte so oder so erzählen. Man kann vom großen Fall, vom Absturz, vom Tiefpunkt und noch tieferen Tiefpunkten sprechen. Man kann genauso von Befreiung, von Wunder, Heldentum, Wendung reden. Ohne dass man es Leistung, Erfolg, Kraftakt, Gewinn nennt.
Ich sei eine traurige Gestalt, dachte ich eben beim Schminken vorm Badezimmerspiegel. Strahle ich nicht fast so viel Einsamkeit und Enttäuschung aus wie der Mann, den ich eine Zeitlang traf? Sind Verletzungen, Kränkungen, Ablehnungen nicht genauso in mein Gesicht gebrannt? Manifestieren sich Verlust, Scheitern, Schicksalsschläge nicht auch in meiner Ausstrahlung?
Eine End-30erin/Anfang-40erin auf dem Weg zu einem weiteren tinder-Date. Was sagte der Psychologe? Das Bedürfnis nach Nähe sei eine positive Entwicklung. Austausch, Begegnung, Gespräch.
Ich kann mir selbst meine Geschichte jeden Tag neu erzählen. Und wie stand es gestern auf dem Notizbuch mit Max Frisch-Zitat? "Schreiben heisst, sich selber lesen". Mein Abstinenztagebuch ist in erster Linie für mich. Ich lese mein Geschriebenes, bevor ich poste. Und auch danach. Ich brauche keine Krankenakten studieren. Ich demonstrier mir meine kontinuierliche, großartige Entwicklung selbst. "Nichttrinken hat auch eine Wirkung."
Und dann die Beinah-Katastrophe, S-Bahn-Unfall. Bei den Leuten zweimal bedankt, die die Tür aufstemmten, in der mein Arm klemmte. Körper auf dem Gleis, Oberarm in der Bahn, Türen zu, bis auf diesen armbreiten Spalt. Gerettet von Fremden. Warnton beim Schließen der Türen nicht gehört, Kopfhörer auf.
Ich mochte seine Schuhe nicht so. Hemd und Blazer ja. Er sah müde aus, hatte wenig geschlafen. Ich war sehr gehemmt. "Mit Alk wär es jetzt einfacher" gedacht. Aber ohne Alk erlaub ich mir sogar noch zu gehen, wenn mir die Wohnung nicht gefällt. Die war aber halbwegs ok und der Sex dementsprechend.
Hinterher im Meeting. "Krankgeschrieben wegen Suff" erzählte einer aus seiner nassen Zeit. War ich auch oft in meinen letzten drei Trinkjahren. Alkoholkonsumfolgeschäden. Und jetzt bin krankgeschrieben wegen Trockenheit. Um sie zu sichern.
"Haben Sie mal Feuer, bitte?" fragt mich ein Sternburgpullenträger auf meinem Nachhauseweg. "Nicht für 'n Biertrinker!" entgegne ich und gehe weiter.
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agatha-abstinent · 6 years
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Tag 1268 / Die letzte Spritze für den Alkoholiker
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agatha-abstinent · 6 years
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Tag 1157 / Die Weinflaschen agieren wie Flitzer
Wie Nackte, die das Fußballfeld stürmen, die dort nicht hingehören, alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen, den Spielverlauf stören, für die einen ein Ärgernis sind, ein Zeichen der Verwundbarkeit trotz hoher Sicherheitsvorkehrungen, für die anderen belustigend, Kurzweil demonstrieren.
Die Weinflaschen da hinten links an der Kühltheke im Museumscafé sind wie diese schaulustigen Fernsehgeilen, die bei Live-vor Ort-Übertragungen ins Bild laufen, die ihre Arme hochreißen, winken, Grimassen ziehen, den Berichterstattungsanlass persiflieren, sodass es schwer fällt, den Worten des Moderators zu folgen, schier unmöglich ist, ausschließlich auf seine starre Statur zu gucken.
Ich kann verdammt nochmal meine Bestellung eines Espressos, einer Rhabarberschorle und eines Kuchenstücks nur stotternd, stockend formulieren, ich spreche langsam, mein Sprechen ist durch mein Denken irritiert und mein Denken klebt an diesen Flaschen da hinten.
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agatha-abstinent · 7 years
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Tag 1057 / Sensationell: Agatha Abstinent hat das erste Mal angebotenen Alkohol abgelehnt!
Das erste Mal stand jemand vor mir und hielt mir ein alkoholisches Getränk entgegen. Was hatte ich Angst vor diesem Moment! Was hab ich nicht alles befürchtet! Wie soll ich da Nein sagen, wenn der Alkohol diese vielfach erwähnte Armlänge von mir entfernt ist? Ist nicht in mir automatisiert anzunehmen, zuzuprosten, mitzutrinken? Verpflichtet nicht die Höflichkeit, die Zugehörigkeit, die soziale Erwünschtheit mich, freundlich zuzugreifen?
So sensationell das ist, so unspektakulär war das. Alkohol am Arbeitsplatz: Unbekannte Person hält mir ein kleines Glas Wein hin. "Nein, danke." Ende der Situation.
Abstinenzbegünstigende Faktoren: Uhrzeit - früher Nachmittag, Helligkeit Raum - zwei offenstehende Türen Umfeld I - mit keiner der anwesenden Personen jemals getrunken Umfeld II - die Mehrheit der anwesenden Personen hat nicht getrunken Umfeld III - mittlerweile durch andere Umstände bereits derartig als Außenseiter fühlend, dass ich es mit einer Wein-Ablehnung weder schlechter noch besser machen kann. Psychische Verfassung - auf eine mir selbst befremdliche Art und Weise so emotionslos, leer, ermattet, so weit weg von "Ich heiße Agatha und ich bin Alkoholikerin", dass noch nicht mal Empörung in mir aufgestiegen ist, Empörung, die ja zunächst gedanklich oft den Alkohol fokussierte, meine Ressourcen zum Teil in Anspannung bündelte.
"Nein, danke." Ende der Situation. Anfang der Sensation.
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agatha-abstinent · 7 years
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Tag 1023 / Rückfälle bei angenehmen Gefühlszuständen II
Gestern und heute oft sehr, sehr energetisch-zufrieden-selbstwirksam-cool gefühlt.
Strike-Geste beim Aufstehen.
Sehr hohe Vorhabenumsetzungsrate.
Trotzdem: Blick in Eckkneipe Blicke auf Bierkästen Blick zum Weinregal Visuelle Reize Akustische Reize Das Flaschenklirren der andern in den Supermärkten, auf der Straße, sogar bei McDonald's scheppern die mit ihren Alk-Flaschen, wenn sie nach dem Einkaufen dort essen gehen.
Ich will nicht tauschen und das viele Negative, das bei dem gesteigertem Alkkonsum an den Feiertagen rauskommt.
Aber ich merke dennoch wie Trinkgedanken in angenehmen Gefühlszuständen immer noch, immer wieder da sind.
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agatha-abstinent · 7 years
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Tag 998 / Ich habe heute Morgen einen geilen Text geschrieben.
Und es war kein Blogext, sondern ein Bewerbungstext. Ich schreibe inzwischen Texte für verschiedene Anlässe. Vielleicht kommt der Blog jedoch zu kurz dabei. So ein geiler Bewerbungstext ist möglicherweise komplette Talentverschwendung. Denn wer liest den schon? Wenn ihn überhaupt jemand liest. Meine Blogtexte les ich selbst manchmal nochmal und nochmal und später nochmal. Aber so n Bewerbungstext... Höchstens vorm Vorstellungsgespräch les ich den erneut oder wenn ich mal keine Muße habe für geile Texte und was kopieren will.
Ich habe heute Morgen diesen geilen Bewerbungstext geschrieben und freue mich auf dem Feierabend-Weg nach Hause drauf, ihm einen Endschliff zu geben, ihn hochzuladen, abzuschicken.
Ich bin Alkoholikerin und freue mich auf und über Texte! Eigene Texte! Bock zum Saufen habe ich heute nicht. Es kamen Menschen mit Alkoholfahnen ins Geschäft. Zweimal heute. Und ich ekelte mich.
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agatha-abstinent · 7 years
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Tag 967 / “Ich bringe ein Getränk mit.”
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agatha-abstinent · 7 years
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Tag 945 / Die Leichtigkeit im Leben der anderen
Das ist schön, das Leben der anderen.
Gefährlich für mich - mitzubekommen, wie die anderen leben. Sich treiben lassen auf einem Wochenmarkt. Eine Frau geht mit einem Cocktailbecher vorbei. Es riecht nach Hasch. Auf der Autofahrt zurück zur Arbeitsstelle sehen all die Spirituosen in den Kioskschaufenstern sehr verlockend aus. "Können wir machen", sagt sie zu ihrem Partner am Telefon. Und ich denke: Aperol trinken oder Wein oder, oder. Etwas trinken. Eins, zwei Gläser, aber sich nicht davon bestimmen lassen.
Gestern die zwei leeren Bierflaschen in der Küche. Die können das wohl: Nur ein Bier jeder. Und nicht gleich sechs kaufen. Wenn die Droge das Leben (noch) nicht dominiert.
Ein Verkäufer bietet mir die Cherimoyafrucht an. Ich probiere. "Willste auch n Tee?" "Willste n Wasser?" "Kaffee?" Bisher habe ich alles Angebotene im Praktikum abgelehnt. Mir selbst damit erklärt, dass ich Neinsagen üben muss, wenn jemand mir Getränke anbietet. Jetzt nehme ich diese fremde Frucht. Ich traue mich. Sie schmeckt milchig, sage ich und kaufe lieber, was ich kenne: Orangen. Aber auch die probiere ich. Und ein Stück Kaki noch.
Das hat so eine beschwingte Leichtigkeit - hier auf dem Markt - das Leben der anderen. Ein Leben, in dem man nicht permanent aufpassen, vorsichtig sein muss (Tag 871). Ein Leben, in dem man sich treiben lassen, spontan sein kann.
Und selbst, wenn die eine junge AA-Frau - dem Anschein nach sich auf meine klagende Aussage beziehend - noch zehnmal konstatiert, sie fühle sich nicht abgeschnitten vom Leben. Bei mir ist das so, war das so. Die letzten zweieinhalb Jahre, seit Anbeginn der Abstinenz NUR im geschützten Rahmen NUR mit Fluchtmöglichkeit im Hinterkopf NUR an möglichst sicheren Orten mit trocken, cleanen Leuten NUR mit Leuten, die alle wissen: Agatha ist Alkoholikerin oder zumindest: Agatha ist psychisch krank.
Die Chefin, die Kollegin, der Kollege, die haben alle das, was ich so gern hätte, dieses MEHR vom Leben, dieses nicht fokussiert Kreisen um eine Erkrankung. Die haben soziale Kontakte, Partnerschaft, Liebe, Sex, gehen geradlinig einem Beruf nach ...
Ich habe mich ganz viel getraut diese Woche: - Cherimoya probieren - Obst kaufen, auch wenn die andere dann auf mich warten muss - Fotos machen, auch wenn die das mitbekommt - In der Besprechung gesagt: "Das hab ich nicht geschafft." - Dinge nachzufragen - dem einen schroff zu antworten - Ich habe mich getraut, wütend auf Paul zu sein. - Dem anderen Mann meinen eingeölten Busen zu schicken. - Ich hab mich getraut, von der Arbeit aus beim Zahnarzt anzurufen. - von meinem "Hobby", fremdländische Begriffe googeln und Aussprache anhören, erzählt - von meiner alten Arbeit auch - mich inhaltlich eingebracht - was gegen diese Ernährungsdogmatiker ("Opiate in der Milch") gesagt
Wow!
Ist ok, zum Wochenabschluss dem Betreuerersatzpfleger das Ohr vollzuheulen, der Mutter noch mal eindringlich zu verklickern: "Ich habe noch nie trocken gearbeitet. Ich habe während meiner Ausbildung und im Studium regelmäßig - auch unter der Woche - getrunken. Ich habe bei allen Praktika mehrmals wöchentlich getrunken. Ich habe bereits in der Hafenstadt so häufig so viel getrunken, dass das einer der beiden Gründe war, warum ich Ende der Nullerjahre stationär aufgenommen werden wollte. Ich habe in meiner Arbeitslosigkeit täglich / fast täglich getrunken. Und ich habe während meiner letzten Arbeitsstelle an 98% aller Feierabende getrunken. Ich kenne also keinen Feierabend ohne Alkohol."
Mein elfter Arbeitstag von diesem Praktikum, die dritte Praktikumswoche ist zuende. Da standen leere Bierflaschen in der Küche! Ich stoße jeden Arbeitstag an meine Grenzen - Belastbarkeit, Leistungsfähigkeit...
Es garantiert mir keiner, dass ich nicht von einem auf den anderen Moment zu den 95% der Alkoholiker gehöre, die es nicht schaffen. Wo sie doch so verlockend ist, die Leichtigkeit im Leben der anderen.
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agatha-abstinent · 7 years
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Tag 926 / “Können Sie mir mit nem Kaffee weiterhelfen?”
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agatha-abstinent · 7 years
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Tag 798 / Das Victory-Zeichen auf der Frankfurter Allee
Das Plakat mit der Whiskeywerbung in meiner Straße sehe ich mehrmals jeden Tag. Heute früh springen die gefüllten Schnapsgläser in meine Augen, in mein Hirn. Groß wie meine Hand. Ich ärgere mich, dass mir wieder nicht merken konnte, rechtzeitig auf den Boden zu gucken. Auch fällt mehrmals jeden Tag mein Blick auf das Plakat für Bier mit Rum in meiner U-Bahn-Station. Ich will da gar nicht immer hingucken und doch gucke ich hin und schnell weg. Werbung fürs Köpenicker Zellgiftfest beim Umsteigen. Ein Astra-Logo-Aufnäher auf der Jeansjacke des Mannes beim Einsteigen. Vor 8.30 Uhr wäre ich ohne die Maßnahme nicht viermal mit meinem Suchtmittel konfrontiert worden.
ABER Ohne die Maßnahme hätte ich auch nicht auch nicht zusehen können wie Herr und Frau Amsel ausgiebig in der Pfütze baden. Noch nie zuvor Vögel in der freien Natur so lange dabei beobachtet. Sehr daran erfreut!
Gestern um 22.50 Uhr einen Friseur gesucht, der morgen Mittag Zeit hat und gefunden. Total die positive Energie, diese Frau, die mir die Haare schnitt. #happysobermoment auf der Frankfurter Allee entlang mit Elan und "Don't let me down" im Ohr. Gedacht: Es ist nicht selbstverständlich, dass ich diese Woche durchgehalten habe. Dass ich diese Woche trocken durchgehalten habe, ist umso besonderer.
Klar, hab ich jeden Tag an Alkohol gedacht. Ich hab jeden Tag Alkohol gesehen - unterwegs oder in den Medien -, etwas über Alkohol gehört, fast jeden Tag Alkohol gerochen. Ich habe jeden Tag an Alkohol gedacht, weil ich mich an Tausende Feierabende mit Alkohol erinnere. Weil ich mich frage, wie ich das damals geschafft habe und dazu noch übers Herz bringen konnte: zehn, zwölf Stunden aus dem Haus, Katze alleine.
Nachmittags die App gehört. Ein bisschen Tränenkullern. Ein paar Zuckungen beim Einschlafen.
18.21 Uhr auf dem Weg zum Meeting: Grölende Trinker kommen die U-Bahnhof-Treppen hoch mit Halbliter-Flaschen Bier. Drehe meine Mukke bis zum Anschlag auf. Bedeutsames Bild: Da die Horde Zellvergifteter mit Ausfallerscheinungen - Gegenüber regungslos Agatha Konsequent.
U-Bahn-Fernsehen: Laut DAK-Studie haben 76% der Berliner Schlafstörungen. Wie viele davon wie viel Alkohol trinken, steht dort nicht. Seit ich trocken bin, schlafe ich so viel besser, dass es mich selbst erstaunt.
M10 Bauchfrei mit Bier. Vorm Kiosk Bauch vom Bier.
Nach dem Vorbeigehen an Lokalen mit einladenden, Pint-anmutenden, Bier gefüllten Gläsern überlegt, ob es mir hilft, wenn ich mir vorstelle, die sitzen da alle mit abgebundenem Arm und Spritze.
Ich habe diese Woche durchgehalten. Das ist nicht selbstverständlich. Vier Tage vier Stunden, ein Tag zwei Stunden. Ich bin jeden Tag hingegangen. Ich war nur einen Tag vier Minuten zu spät. Ich habe fünf Tage in Folge mein Bett gemacht. Das ist sensationell. Keine Ahnung, wann ich das das letzte Mal gemacht habe, ohne in einer Klinik unter Zimmerkontrolle zu stehen. Vielleicht noch nie im Leben.
Ich bin nicht begeistert jeden Morgen da hin. Nicht mit Freude. Ich bin hingegangen, weil ich denke, dass das jetzt ansteht. Ich wollte eine berufliche Reha, ich wollte LTA und zwar genau da.
Und dieses Machen, obwohl ich "keine Lust" habe, obwohl mich das nicht umhaut, das ist neu für mich. Ich kenne mich so nicht. Ich übe das jetzt. Neue Erfahrungen in Abstinenz. Struktur. Hinweg, Rückweg, Einrichtung, geistige Arbeit, Mitmenschen aushalten, nebenbei den Alltag bewältigen, Selbstverpflegung, Haushalt, trocken bleiben, was ja immer noch die Hauptaufgabe ist, neben den LTA weiter zur Selbsthilfegruppe, weiter Bloggen, weiter jeden Tag einen Aufkleber.
Ich bin abends zum Glück müde. Fast jeden Abend konnte ich schnell einschlafen.
Fast täglich geheult. Aber ich fühle mich nicht stundenlang leer, traurig, allein zu Hause. Nur eine Weile.
Demut Hinnehmen Annehmen Radikale Akzeptanz Dankbarkeit Selbst gut zureden (gut gemacht, da gewesen, ...) Abwaschberg tolerieren
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agatha-abstinent · 7 years
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Tag 792 / Unstrukturiert aufgeschrieben, noch unstrukturierter gedacht
Dienstagabend die Anregung, es als Geschenk zu sehen. Heute Nachmittag, "einfach mal hingehen, gucken, was die so zu bieten haben." "Ganz unverbindlich nen Überblick verschaffen, kannste dir ja mal. Dich schreibt jeder Psychiater krank, wenn du denkst, es geht nicht." sagt Frida in der Pause zu mir, nachdem ich vorher zittrig geteilt hatte: "Ich habe noch nie trocken gearbeitet." Abstinenz erhalten und viel zu Hause sein, kann ich. Aber fünf Tage die Woche irgendwo hingehen, irgendwo sein, mit dem Thema Beruf beschäftigen, das weiß ich noch nicht, ob ich das trocken kann, geschweige denn, ob ich trocken arbeiten kann.
Einem anderen im Raum, dem ging’s genau so. Dem geht’s genau so. Der traut sich nicht viel zu in Trockenheit. Der sagt, manchmal reicht die Kraft nur zum Trockenbleiben. Und er ist schon länger trocken als ich. Ich bin keine Ausnahme.
Heute Vormittag eine 555-Zeichen-Sms von Bibi. Sie hätte "Boreout" nach vier Tagen im neuen Job, es sei megamonoton, sie sei am Verzweifeln, total down... Und ich, wie soll ich mich jetzt fühlen? Da hat jemand eine Arbeitsstelle aus dem Nichts geschenkt bekommen durch Empfehlung. Da wird jemand genommen trotz Lebenslauflücken. Gut bezahlt, 13 Gehälter, Monatsticket, weitere Vergünstigungen und ich denke: Wie undankbar. Demut fänd ich angebracht und Geduld. Und ich denke: Was für ein Glück, dass ich eine gute Therapeutin habe und wie schade für sie, dass sie mit dieser Intensivtherapie doch so wenig erreicht hat. In der Anzahl Klinikaufenthalte liegen wir gleichauf. In der Gehirnumschreibung, im Erlernen neuer Denk- und Verhaltensweisen hab ich sie überholt. Trotz Alkoholismus. Oder genau deswegen. Meine Antwort an Bibi, 589 Zeichen konstruktiv, zur Dialektik einladend, gute Wünsche übermittelnd. Zurück kam ein "Danke, aber...". Noch nicht mal ein "schönes Wochenende".
Der Mann, länger trocken und jünger als ich, sagt, er müsse auf sich aufpassen. Das muss ich auch. Deshalb setz ich mich weg in der Ringbahn, wenn sich der Fahrgast im Vierersitzeck gegenüber das Sternburgbier öffnet. Ich muss keinem beweisen: Macht mir nichts aus. Der junge Mann im Meeting guckt blitzartig weg, wenn er eine Plakatwerbung für Bier sieht, ein alter Mann im Meeting lenkt sich schnell ab, trinkt Wasser, isst ein Stück Schokolade, sobald ihm bei einer Konsumsituation im Fernsehen der Gedanke an Alkohol kommt. Und das, obwohl der sechsmal so lange trocken ist wie ich. Aufpassen heißt für mich auch: Eine Vita-Cola mit Whiskey-Weinbrand-Nachgeschmack? - weg damit Ein Petit Four mit Alkohol im Abgang? - weg damit Ein Energy Ball mit Hanfproteinpulver? - weg damit Ein veganes Duschgel mit alkoholischem Geruch? - weg damit Dann eben eine Apfelschorle am S-Bahnhof ziehen, zweimal knapp zwei Euro ausgegeben. Aber wenn mich die Vita-Cola an die Futschis in meiner Kleinstadtkneipe erinnert, ist es nicht schade ums Geld, es wär schade um die Trockenheit.
Erinnert hat mich auch im Meeting die eine in ihrer Jogginghosedaran, dass Trockenheit mir gebracht hat, wieder mehr auf mein Äußeres achten zu können. Dass ich meine Mode mag, dachte ich gestern - dieses Kleid, die neuen Abstinenzschuhe, den Remouladenparker. Trockenheit muss nicht zu einem neuen Arbeitsvertrag führen. Das Wichtigste ist, dass ich mich wohler mit mir fühle.
Dienstagabend im Meeting wollte ich eigentlich noch sagen, dass ich ja 2016 höchstens an 30 von 365 Tagen Suchtdruck hatte. Das heißt doch, dass ich nicht täglich immense Anstrengungen in die Abstinenz stecken muss. Manchmal schon. Nicht aber jeden Tag 24 Stunden lang. "Es wird milder" ist keine Lüge. Dass alkoholische Getränke das Leben besser machen, schon.
Zu Beginn des heutigen Meetings, als Frida teilte, bekam ich Gänsehaut. Auch da wurden meine Augen schon feucht, nicht erst, als ich dran war. Sie hat sich mit ihrem Sohn getroffen und ich dachte: Gott hat meinem Brief an ihn gelesen. Eineinhalb Seiten "Lieber Herr IchweißIhrenNachnamennicht...", nicht gepostet, nicht abgeschickt. Wohin auch? Mir an Tag 750 aus der Seele geschrieben wie sehr es mich zerreißt, dass der Sohn von der Heldenhaftigkeit und der herausragenden Vorbildfunktion seiner Mutter nicht weiß.
Auf dem Weg zum Meeting wie eine Irre, die ich ja auch bin, mit einem schnell hüpfend-tänzelnden und doch unrhythmisch-hektischen Gang über die Steinplatten auf dem Fußweg meine Anspannung rausgestrampelt, die sich in der rollenden Kneipe alias S-Bahn (Heimspieltag des West-Vereins) aufgebaut hatte.
Beim ZDF-Sportstudio dann das Rangnick-Interview zu Leipzig's Sieg in Berlin. Tränen. Eine Genugtuung: Brause schlägt Bier. Burnout schlägt Diskriminierung. Und damit meine ich nicht nur Hertha, aber auch. Hängen sie extra Werbeplakate vorm Spiel auf, worauf sie die Tradition betonen. Scheiß doch auf eure bierselige Stammtischtradition!
"Hallo, Mr. President" geguckt. Hat Trinkszenen. Ansonsten unterhaltsam.
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Auf heute von Fahrt in 38. Stock geträumt. Fahrstuhlträume sind mir nicht fremd. Kein Zwischenhalt. Extrem schnell, mit Zugluft und wackelig hochgesaust. Nicht ausgestiegen. Wieder runtergefahren, wo mich eine vierhändige Massage erwartet, zu der ich schon zu spät dran bin. Trotzdem auch noch einen Hut aus buntem Palästinensertuch gekauft. Ob das traditionell ist. Nee, hätte die Verkäuferin selbst kreiert. Die Knotung gleich aufgemacht und nicht wieder zusammen bekommen. Angst, Scheitern, Aufstieg, Absturz, ... was steckt da alles drin?
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agatha-abstinent · 8 years
Text
Tag 746 / Die Kaiser’s-Erlebnistour
- Und was hast du heute so gemacht?
- Ich bin von einem Kaiser's zum anderen gefahren auf der Suche nach den sehr, sehr stabilen, sehr, sehr soliden 25-Liter-Müllbeuteln der Eigenmarke "Jeden Tag". Denn die 25-Liter-Müllbeutel von Edeka und Rossmann haben viel schlechtere Qualität und reißen schnell. In der Sonne mit der Tram wie auch zu Fuß von Kaiser's zu Kaiser's und natürlich die Tatsache, dass ich noch einige Rollen "Jeden Tag"-Müllbeutel vor der Sortimentsumstellung erwerben konnte, bereitete mir große Freude.
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